Der Dersim-Ethnozid

Ein weiteres dunkles Kapitel in der Geschichte der zahlreichen türkischen Völkermorde an Iranern, bildet der Dersim-Massaker von 1936/38, in dessen Verlauf bis zu 80.000 Zazas vergast, massakriert und zu Tode vergewaltigt wurden. Die Überlebenden wurden zwangsumgesiedelt und ihre iranische Sprache erklärten die türkischen Herrenmenschen von da an als Sprache der Untermenschen.

Die Mehrheit der Zazas sind Aleviten und sprechen Zazaki, die von einigen fälschlicherweise als kurdischer Dialekt bezeichnet wird. Nicht nur was ihre Sprache und Religion angeht unterscheiden sie Zazas von den sunnitischen Kurden, sondern auch was ihre Rolle im Verlauf des armenischen Genozids angeht. Die Zazas beteiligten sich nicht an den kurdischen Hamidiye-Regimentern, und während des Völkermords an den Armeniern retteten sie Zehntausende von ihnen das Leben.

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung der Türkei, erkannte der neue faschistische Staat im homogenen Siedlungsgebiet der Zazas eine Gefahr und leitete daher Schritte ein um die Zazas zu türkisieren. In der türkischen Presse und auch von Regierungsmitgliedern wurde Dersim als ‚Krankheit‘ (hastalık) und ‚Heimsuchung‘ (belâ) bezeichnet. Die Bewohner hätten sich vom Türkentum „entfremdet“, ihre Sprache zum Teil vergessen und angefangen, sich für Kurden zu halten.

Nachdem der Ararat-Aufstand 1926-1930 von den Türken blutig niedergeschlagen wurde, liessen die Türken circa 10.000 Menschen aus Dersim (Pilemori und Erzingan) in westliche Gebiete der Türkei deportieren. Ziel dieser Aktionen war es Dersim zu schwächen, was jedoch ohne Erfolg blieb.

Die Entvölkerung Dersims

Im neu entstandenen türkofaschistischen Gebilde namens Türkei, trat dann 1934 das sogenannte Besiedlungsgesetz in Kraft, mit dem Ziel der endgültigen Türkisierung der Bevölkerung.

Die Türkei wurde laut dem später aufgehobenen Artikel 2 in drei Zonen unterteilt:

1.Regionen, in denen Bevölkerung türkischer Kultur angesiedelt werden soll
2.Regionen, die für den Transport und die Ansiedlung jener Bevölkerung vorgesehen sind, die der türkischen Kultur angeglichen werden soll
3.Regionen, die unter anderem aus Gründen der Kultur, Politik, des Militärs und der Ordnung entvölkert werden sollen und in denen Ansiedlung und Wohnen verboten waren.
Die Region Dersim wurde zu einer Region der dritten Kategorie erklärt und war somit für eine Entvölkerung vorgesehen. Von türkischer Seite wurden diese Gesetze als Maßnahmen zur “Modernisierung” des Landes verstanden. Was Türken sich unter Modernisierung vorstellten, sollten die Zazas bald am eigenen Leib erfahren.

Aus Dersim wird Tunceli

Die erste Amtshandlung der türkischen Militärverwaltung, die 1936 in Dersim installiert wurde, war Dersim in Tunceli (türkisch: eiserne Hand) umzubennen. Die Türken begannen mit der Umsiedlung von Türken in der Region, als auch mit der Deportation von Zazas in anderen Landesregionen. Die Stadt wurde abgeriegelt und unter militärischer Aufsicht, begann die systematische Ermordung und Vergewaltigung der Zivilbevölkerung durch Türken. Es sollte aber erst der Auftakt zu viel grausameren Gräueltaten werden.

Patriotische Zazas überfielen als Antwort auf die türkischen Verbrechen, militärische Stellungen, erbeuteten Waffen und töteten dabei türkische Offiziere. Daraufhin liess Atatürk die türkische Luftwaffe Bomben über ihre Dörfer abwerfen. Der Anführer der Aufständigen Seyid Rıza beauftragte eine Delegation, unter dem sich auch seinen Sohn befand, um Autonomie-Verhandlungen mit den Türken zu führen. Die Türken liessen daraufhin seinen Sohn auf dem Rückweg der erfolglos gebliebenen Verhandlungen ermorden, und schoben die Schuld auf einen rivalisierenden Zaza-Stamm um Zwietracht unter den Zazas zu säen.

Operation „Züchtigung und Deportation“ (tedip ve tenkil)

Die ersten Invasionspläne scheiterten und die türkische Armee zog sich zurück, wo sie sich auf den neuen Feldzug vorbereitete. Im Mai 1937 warf die türkische Luftwaffe Flugblätter ab auf dem es hieß:

„Die Regierung möchte Euch in Güte und Großmut in den Schoß nehmen und Euch glücklich machen. Unter Euch sind viele, die das nicht verstehen und es an Respekt mangeln lassen. Vielleicht möchten Einige unter Euren Leuten Euch auch aufgrund persönlicher Interessen opfern. Da die Republik dies weiß, warnt sie Euch zum letzten mal. Übergebt die Beklagenswerten, die Euch zum Aufstand anstacheln, der Regierung der Republik. Oder sie müssen sich selbst ergeben. […] Diejenigen, die ausgeliefert werden oder die sich selbst ergeben, werden nichts als eine gerechte Behandlung durch die Regierung erfahren. Niemandem unserer wertvollen Bürger soll auf dieser Weise etwas geschehen. Andernfalls allerdings, also wenn Ihr nicht tut, was wir sagen: Wir haben euch von allen Seiten umstellt. Ihr werdet von den siegreichen Armeen der Republik niedergeworfen werden.”

Tausende, die aus Naivität den türkischen Versprechungen gefolgt waren und sich ergeben hatten, wurden kaltblütig ermordet, die Frauen von den Türken bestialisch vergewaltigt. Die 80-jährige Menez Akkaya, die den Völkermord überlebt hat berichtet:

”Ich war damals ein junges Mädchen. Die Soldaten kamen einige Male in unser Dorf und gingen wieder. Sie taten uns nichts. Wir haben sie nicht verstanden, weil wir kein Türkisch konnten. Später kamen sie noch einmal. Sie versammelten die Dorfbewohner. Es waren etwa 200 bis 300 Alte, Frauen und Kinder. Sie brachten uns in das Degirmen Tas Gebiet. Sie sagten, dass sie unsere Waffen haben wollten. Wenn sie sie hätten, würden sie uns freilassen. Sie brachten uns an das Bett des Flußes und töteten uns. Sie töteten auch meinen Mann. Nur wir, drei Personen, überlebten. (…) Wir blieben tagelang ohne Essen und Trinken unter den Leichen. Es war mit uns so, dass wir keine Angst hatten. In Kiran überredeten Türkische Soldaten etwa 400 Familien und versicherten, dass ihnen nichts geschehen würde, wenn sie sich ergäben. Die Türkischen Soldaten ließen dann die Bewohner auf Dorfplätzen antreten. Die Männer wurden standrechtlich erschossen. Frauen und Kinder wurden in Scheunen gesperrt und lebendig verbrannt.”

Seyid Riza schlug den türkischen Behörden Neuverhandlungen vor, die vom türkischen Staat angenommen wurden. Als er für Verhandlungen nach Erzingan ging, wurde er festgenommen. Noch im gleichen Jahr wurde er in Elaziz mit anderen Anführern gehängt. Atatürk befahl die Vernichtung aller Bilder der Hinrichtung Seyit Rizas, um ihn nicht zum Märtyrer werden zu lassen.

Im Winter ruhten die Feindseligkeiten wegen des strengen Winters. Im Frühling 1938 nahm die Armee ihre Operationen mit großer Härte wieder auf. Es existieren verschiedene Berichte über Gräueltaten der türkischen Armee. Auch Stämme wie die Pilvank und die Aşağı Abbas, die dem Staat loyal gegenüber standen, wurden vernichtet. Der türkische Generalstab berichtete von 7.954 Toten innerhalb von 17 Tagen während dieser zweiten Phase des Aufstandes. Dorfbewohner wurden zusammengetrieben und erschossen, Dörfer systematisch verbrannt und zerstört.

Entfesselter türkischer Vergewaltigungsrausch

Im Begeisterungstaumel der türkischen Vergewaltigungskultur fing nun die Jagd auf die zurückgebliebenen Frauen und Mädchen an. Nach den Vergewaltigungsorgien an jungen Mädchen und Frauen, ertränkte man sie zu Tausenden in den Flüssen des Euphrats. Tausende Frauen stürtzen sich freiwillig von hohen Klippen in dem Fluss Munzur und dem Tal Lac, um der entfesselten türkischen Barbarei und Vergewaltigungslust zu entkommen. Am Tal Lac floss so viel Blut in den Munzur-Fluss, dass dieser tagelang blutgetränkt war.

Diejenigen die in Höhlen geflüchtet worden waren, wurden mit Sprengsätzen und Giftgas umgebracht. Der Zeitzeuge und spätere Außenminister Çağlayangil berichtete 1986:

„Sie hatten sich in Höhlen geflüchtet. Die Armee setzte Giftgas ein. Durch den Höhleneingang. Sie vergifteten sie wie Mäuse. Sie schlachteten jene Dersim-Kurden [im Alter] von sieben bis siebzig Jahren. Es wurde eine blutige Operation”

Deportation und Umerziehung der Überlebenden

Nach der endgültigen Niederschlagung des Aufstandes, wurden bis zu 50.000 Zazas in andere Landesteile deportiert, wo sie weiterhin mit Repressalien, Mord und Vergewaltigung konfrontiert wurden. Die türkische Propaganda hatte zu “Banditen” und “Untermenschen” erklärt, die den Türken nicht ebenbürtig waren. Ein Zeitzeuge berichtet:

Als ich sieben Jahre alt wurde, musste ich die Sprache der Unterdrücker, die Sprache der Kolonisatoren lernen, und erleben, dass meine Muttersprache nicht als menschliche Sprache gesehen wurde. In dieser Sprache durfte ich weder weinen noch lachen, sprechen war ohnehin untersagt.

Meine Muttersprache war die Sprache von „Unmenschen“, sie existierte nicht. Wer behauptet, sie sei eine Sprache der Menschen, war er ein feind der Türkei, ein Spion, ein Verräter, ein Seperatist, ein Bandit.

Die Türkei hat alles in Kurdistan geändert. Sie hat alle geographischen und kurdischen Namen türkisiert. Isik heisst Licht, Tunceli bedeutet „Eiserne Hand“ und alle kurdischen Dorfnamen, Berge, Flüsse wurden türkisiert. Heute weiss ich nicht, wie die Dörfer heißen, deren Namen ich nur Kurdisch kenne. Die Türkei versucht, die Vergangenheit der Kurden zu löschen, damit sie keine Brücke zu Gegenwart und Zukunft haben können.

„Sei Stolz, Türke sein zu können!“ war der Spruch, den ich jeden Tag, strammstehend mit lachendem Gesicht, zu schwören hatte, und in meine Seele lassen musste. Dann habe ich bald erfahren, dass dem ins Gesicht gespuckt wurde, der sich als Kurde bekannte. Aus mir und dieser Generation wurde ein „Janitschare“.

Wenn man bedenkt, dass meine Enkelkinder auch heute noch in den Schulen diesen Spruch schwören, dann muss jeder ein Urteil fällen, ob diese Türkei demokratisch ist.

Nach 1938 lag eine Friedhofsruhe über Kurdistan. Viele Gebiete in Dersim wurden zum Sperrgebiet erklärt, in das man 10 Jahre lang nicht gehen konnte.

Wir, die übrig gebliebenen Menschen in Dersim waren in Not und Elend, da alles zerstört und verloren war.

Ich erinnere mich genau, dass meine Mutter immer Angst hatte, weil in harten Wintermonaten unsere Grundnahrung ausging, ob sie ihre Kinder bis zum Frühling retten kann. Viele Kinder starben an Hunger und Krankheiten.

Nach dem Massaker wurden viele Kinder „Kemal“ oder „Mustafa“ genannt. Da die Unterdrückung so maßlos war, glaubten die Menschen, dass sie, wenn sie ihre Kinder nach Kemal Atatürk bennenen, sie eine Chance bekämmen, am Leben zu bleiben oder gar beruflich aufsteigen zu können.

Ich habe persönlich in manchen Wohnungen der Dersim Kurden gesehen, dass sie die Poster von Kemal Atatürk in ihren Wohnzimmern aufhängen. Als man nach dem Grund fragte, gaben sie zur Antwort, dass sie es wegen der türkischen Rassisten aufhängen, um ihre Ruhe zu haben. Auch viele DersimKurden haben sich aus Angst selbstassimiliert.

In den Augen der Dersim Kurden war die Angst vor Repressalien sehr groß. Um dem Haß der Behörden auszuweichen, und sich nicht aus Dersim kommend zu zeigen, hatten viele freiwillig ihren Namen geändert, und auch ihre standesamtlichen Daten in türkische Städte transferiert.

Die Entvölkerung Von Zazaýstan und der Ethnozid geht weiter

In der Region Dersim sollen insgesamt acht Staudämme gebaut werden, wovon zwei schon praktisch fertig gestellt sind und in Kürze in Betrieb genommen werden sollen. Die Staudammprojekte würden bei ihrer Realisierung den natürlichen Reichtum Dersims zerstören. Für die Bevölkerung der Region hat der Fluss Munzur ebenso wie die Berge eine hohe kulturelle Bedeutung. Er wird vielfach als heilig verehrt, ist Ort und Gegenstand von Sagen und Mythen. Seine Vernichtung zielt direkt auf die Identität der in Dersim lebenden oder von dort stammenden Menschen ab. Sie ist die Fortsetzung einer durch zwangsweise Assimilation, Ermordung, Vertreibung, Umbenennung und Vernichtung von Dörfern und Verbot der iranischen Sprachen (Zazaki und Kurmanci) sowie religiöse Diskriminierung geprägten Politik.

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