Fremde und entfremdete Heimat
Im aktuellen Spiegel (44/2011) findet sich ein ebenso lesenswerter wie deprimierender Artikel mit dem Titel „Fremde Heimat“ über die Lage der Einwanderer in Deutschland. Er beginnt mit einer Szene, in der „vier junge Männer und eine Frau“ einen „Schulterklopftermin“ der allseits beliebten Tante Maria „Lebensfreude“ Böhmer vermasseln, indem sie auf die Bühne treten und erklären: „Nichts ist gut in Deutschland.“
Es sei etwa eine Lüge, „daß man in Deutschland nur fleißig sein müsse, um erfolgreich zu sein.“ Einer der Jungs etwa beschwerte sich, daß sein irakischer Freund kürzlich abgeschoben worden sei, obwohl er „immer fleißig“ war.
Maria Böhmer lächelte nicht mehr. Ein paar Teenager hatten gerade ihre Integrations-Show zerstört. Hatten ihr und den versammelten Journalisten vorgeführt, wie sich ein ganzes Land seit Jahren selbst betrügt, wenn es um Integration geht, um die Kinder und Enkel und Einwanderer.
Nicht nur dieser Abend, sondern überhaupt die ganzen offiziösen „Feiern“ zu „5o Jahre Einwanderungsabkommen“ werden als einzige verlogene „Inszenierung“ dargestellt, in der „viele Worte, große Reden“ die Regel sind.
Und so geht es weiter mit Negativaussagen, die wir indessen allesamt schon bei Thilo Sarrazin gelesen haben:
Es fehlen Bildung, Identität und Perspektive.
…
Fast ein Drittel aller Frauen und Männer zwischen 25 und 35 mit Wurzeln im Ausland hat keinen Schulabschluß. Bei türkischen Zuwanderern, immerhin die mit rund drei Millionen größte Minderheit, sind die Daten besonders alarmierend. Der Anteil der jungen Türken, die keinen Abschluss haben, ist zwischen 2001 und 2006 von 44 Prozent auf 57 Prozent gestiegen.
…
Zugleich sagen höher Qualifizierte, die Deutschland dringend braucht, sie wollten so bald wie möglich weg. … „Deutschland beginnt sich über Einwanderung Gedanken zu machen, da es längst zum Auswanderungsland geworden ist“, sagt Klaus Bade, Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Das Scheitern von Kindern und Enkeln der Gastarbeiter, so Bade, sei „eine unnötige gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Katastrophe.“
Wir erinnern uns, daß derselbe Herr Bade, der nun von einer multidimensionalen „Katastrophe“ spricht, erst vor wenigen Monaten von Thilo Sarrazin (und Necla Kelek) als typischer Vertreter der Schönfärberklasse kritisiert wurde:
Der rührende Versuch von Bade und Kollegen, unangenehme Nachrichten von der Integrationsfront zu relativieren, erinnert an die Kriegsberichterstattung im Dritten Reich: Wer BBC hörte, um die Wahrheit über den Frontverlauf zu erfahren, war kein Wahrheitssucher, er machte sich der „Wehrkraftzersetzung“ schuldig. Necla Kelek, Thilo Sarrazin und andere sind in diesem Sinne der „Integrationskraftzersetzung“ anzuklagen. Diese ist, hier zitiere ich Angela Merkel, „nicht hilfreich“. Aber wollen sich, um im Bilde zu bleiben, Klaus Bade und Kollegen wirklich in die Rolle des „Reichsfunks“ begeben, der in kühnen Bildern Probleme kleinredete und die baldige Wende des Kriegsglücks beschwor? Im Übrigen: Auf der kritischen Seite zu irren, ist allemal gesellschaftlich gesünder, als vorhandene Probleme schönfärberisch kleinzureden.
Die Ausrede der Bades ist natürlich, die Schuld auf die deutsche „Mehrheitsgesellschaft“, oder wie man es nennen mag, zu schieben. Und genau diese Behauptung (die mangels Evidenzen auch nicht mehr ist als das) ist auch der Grundtenor des Spiegel-Artikels. Das Land sei doch „zweifelsfrei auf die Kinder der Einwanderer angewiesen“ und es wird es allen Ernstes als „Versagen einer modernen Gesellschaft“ gewertet, daß:
Für viele Migranten ist die Bundesrepublik nicht attraktiv genug.
Wenn das wahr ist, wäre das ja mal eine gute Nachricht. Bei einem enorm hohen Migrantenanteil von 19, 3 % an der Gesamtbevölkerung und 28,3 % (!) an der Altersgruppe der 0 bis 24jährigen, ist es ja nicht gerade so, als ob die Bundesrepublik einen Bedarf an noch mehr Migranten hätte. Und die „eingeborenen“ Deutschen schon gar nicht. Aber die fragt ja niemand. Eine DDR-artige Propaganda setzt „Dankbarkeit“ und „Gründe zum Feiern“ auf die Tagesordnung, die von keinem Menschen weit und breit empfunden werden.
Wie immer wird die Frage nach einem Eigeninteresse der Deutschen völlig ausgeblendet, ebenso die angesichts der Lage naheliegende Schlußfolgerung, daß das ganze Einwanderungsprojekt vielleicht überhaupt ein fataler Fehler war und ist. Man tut so, als ob die Masseneinwanderung einfach so, wie ein unvermeidliches Naturereignis, auf uns herabgekommen wäre. Von der „multikulturellen Geselllschaft“ redet schon keiner mehr. Das Unbehagen und die Spannungen, die von Anfang an da waren, haben sich zum schier unlösbaren Dilemma gesteigert. Und Schuld haben daran natürlich immer die Deutschen selbst, die angeblich immer noch nicht genug „Willkommenskultur“ aufgebaut haben.
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