Norwegian Psycho (Seite 1)

Wie zu erwarten war, hat im Gefolge von Oslo/Utøya eine fröhliche und billige Hetze auf alles, was nicht Links ist, eingesetzt. Breiviks über weite Strecken geguttenbergtes „Manifest“, ein Weltanschauungen verschluckendes schwarzes Loch, ist voluminös und eklektizistisch vollgepackt genug, daß jedermann darin etwas für seine Zwecke finden wird. Wohl bekomm’s. Meine Lust, eine mit Halbwissen und Unterstellungen gespickte Diffamierung wie jene von Volker Weiß im Spiegel auch noch zu widerlegen, ist jedenfalls relativ gering.
Sie ist so vorhersehbar, daß ich sie selber hätte schreiben können. Außerdem bringt es erfahrungsgemäß nichts, mit Linken und Liberalen endlose „Ich sehe etwas, was Du nicht siehst“-Spielchen zu spielen. Stattdessen will ich mich im folgenden auf eine gründliche Analyse des Falles Breivik konzentrieren. (Update: auf Bitte der JF habe ich nun doch eine Antwort auf Herrn Weiß geschrieben.)

I.

Der Terrorismus bedarf des Resonanzkörpers und der Komplizenschaft der Massenmedien, um an sein Ziel zu kommen. Ihre Struktur bedingt, daß sie nicht gar nicht anders können, als so zu reagieren, wie es der Terrorist wünscht. Der Terrorist kann mit mathematischer Sicherheit darauf bauen, daß dieser tausendköpfige Behemoth anbeißen wird, denn er hat einen unwiderstehlichen Köder anzubieten. Durch die mediale Vervielfältigung werden der Schrecken und die Angst, die er zu erzeugen beabsichtigt, in jedes Wohnzimmer, jeden Bildschirm, jedes Mobiltelefon und jeden Kopf hineintransportiert. Die Flutwellen der Angst bekommen dadurch eine globale Reichweite, wie es sie nie zuvor gab. Insofern ist das Kalkül des Anders Breivik prächtig aufgegangen.

Sein Eigenmarketing war von langer Hand geplant, so gründlich, daß er bereits im Vorfeld seine offiziellen PR-Fotos selbst konzipiert hat, über die er wahrgenommen werden wollte. Überall tauchen sie nun auf, die Ikonen, die er von sich herstellen ließ, im professionellen Studio-Look, als metrosexuell angehauchtes männliches Model, das auf dem virtuellen Catwalk seine selbsterfundene Reconquista-Mode zur Schau stellt, als wollte er einen Online-Shop aufmachen, in selbstverliebten Posen als Freimaurer, „Marxisten“-Terminator und Kreuzritter eines Fantasieordens, dessen einziges Mitglied er (offenbar) ist.

Ein augenscheinlich pathologischer Narziß mit sorgfältig polierter Oberfläche, wie einem Roman von Bret Easton Ellis entsprungen, eine rechtsradikale Variante des „American Psycho“, dessen Filmvariante er sogar optisch ähnelt. Ob Breivik den Film gekannt hat? Von ihm selbst wissen wir, daß er sich mit großem Vergnügen die populäre Fernsehserie „Dexter“ angeguckt hat. Diese ermöglicht der uralten Faszination des Publikums für Serienmörder ganz neue Genußerfahrungen, indem sie als „Helden“ einen liebenswürdigen Psychopathen präsentiert, der darauf konditioniert ist, nur böse Menschen, die es nicht anders verdient haben, zu töten und ihre Leichen zu verstümmeln. Derlei Fantasien scheinen überaus weit verbreitet zu sein, und von Tarantino bis zum Ego-Shooter-Spiel finden sich immer wieder Wege, das gute Gewissen für den Spaß an der Gewalt mitzuliefern.

Die autobiographischen Teile von Breiviks Manifests enthalten Passagen wie diese, über eine Phase, als ihn Angst und Zweifel an seinem Vorhaben überkamen:

Meine Bedenken und meine Angst in Bezug auf diese Phase beeinträchtigten meine Motivation, bis zu einem Punkt, an dem ich besonderen Gegenmaßnahmen ergreifen mußte, um dem Verlust von Moral und Motivation entgegenzuwirken. Ich beschloß, sie über einen weiteren Dianabol-Steroide-Zyklus und gesteigertes Krafttraining wiederherzustellen. Ich habe auch einige Zeit damit verbracht, neue inspirierende Musik zu entdecken und herunterzuladen. Viele neue Vocal-Trance-Nummern und inspirierende Musik von Helene Bøksle. Zusätzlich beschloß ich, daß ich mir gestatten würde, das neu herausgebene Spiel „World of Warcraft – Cataclysm“ zu spielen. Die Kombination dieser drei Gegenmaßnahmen, inklusive meiner dreimal pro Woche durchgeführten Indoktrinations/Meditations-Wanderungen , führten dazu, daß meine Moral und Motivation erneut auf den Gipfelpunkt stiegen.

Alles, was Breivik tut, „beschließt“ er durchzuführen, nachdem er rational kalkuliert hat, daß es ihn ans Ziel bringen wird. Er präsentiert sich in vollständiger Kontrolle über sein Ich und seine Handlungen. Langsam verwandelt er sich einen Avatar aus einem seiner exzessiv betriebenen Kriegs- und Fantasyspiele. Vollgepumpt mit Steroiden, meint er auf ihnen wie auf einem Tiger zu reiten, während vermutlich bereits das genaue Gegenteil der Fall ist. All das liest sich ein bißchen wie ein Stück amerikanischer „Selbsthilfe“-Literatur, ist praktisch identisch mit dem, was Manager und Men’s Health-Leser tun, um erfolgreich, motiviert, fit und sexuell attraktiv zu werden. Breivik hätte das Talent, ein solches Buch zu schreiben, als Motivationsfibel für künftige Terroristen, inklusive NLP-Anleitungen, Meditationstechniken, Wellness-Tips, Bodybuilding-Trainingsplänen und last.fm-Playlisten für einen swingenden Armageddon.

Die taz brachte am 26. Juli eine nicht sehr lustige, aber das Richtige treffende Karikatur: Breivik hinter Gittern, bewacht von zwei Polizisten, mit manischem Gesichtsausdruck, seine Show und ihre Besetzung genießend: „Massenmord: Ich! Buch: Ich! Regie: Ich! Hauptdarsteller: Ich! Sound: Ich! Youtubedemo: Ich!“

Wer etwas ständig betont, tut das nicht, weil er es hat, sondern weil er es nötig hat. Ego-Inflationen und Größenphantasien durchfluten die Psyche immer dann als verzweifelte „ultima ratio“, wenn das Ich massiv von seinem Zerfall bedroht ist; im äußersten Fall versucht es sich über die Zerstörung des Anderen zu rekonstituieren. Sogar der Akt der Selbstzerstörung kann hier zu einem letzten verzweifelten Versuch der Selbstaneignung werden, ein letzter Versuch, selbst eine „Entscheidung“ zu treffen oder sich die allerletzte Illusion einer „Entscheidung“ zu verschaffen; der Mensch ist ein transzendentes Tier, das oft die Vernichtung dem Nichts vorzieht.

In meiner ersten Betrachtung des Falles habe ich die Tat von Utøya primär als Amoklauf im Stil von Columbine, Winnenden oder Virginia Tech eingeschätzt. Dieses Bild muß nun um einige gravierend abweichende Momente korrigiert werden. Dennoch lohnt es sich, eine Weile bei der Psychologie des Amokläufers zu verweilen, wie sie der linke, kapitalismuskritische Gefängnispsychologe Götz Eisenberg in seinem Buch „Amok – Kinder der Kälte“ (2000) und anderen Publikationen beschrieben hat.

Für Eisenberg ensteht der Amoklauf auf der „Innenseite der Globalisierung“, wo die „Wurzeln von Angst und Haß“ zu finden seien.

Der im Zeichen der „Globalisierung“ real gewordene Weltmarkt zerstört gewachsene Kulturen, entwurzelt und pauperisiert ganze Völker.

„With Usura is no clear demarcation“, schrieb Ezra Pound im Canto XLV: Wo der Wucherer herrscht, gibt es keine klare Trennlinie mehr. Der äußeren Entgrenzung von haltgebenden Strukturen und der Totalherrschaft der Märkte entspricht eine innere, psychische Entgrenzung deren „sozialpsychologische Struktur“ das „Borderline-Syndrom“ sei, eine schwere Persönlichkeits- und Identitätsstörung. Im Zustand des „Borderline“ sind die Ich-Grenzen destabilisiert, das Innere zeigt sich als

… eine Welt zerrissener Emotionen, böser, verfolgender Partialobjekte, verschlingender Abgründe, eine Hölle der Desintegration und der Fragmentierung, lauter gestauchte Teile eines psychischen Puzzles, die sich zu keiner Identität mehr zusammenfügen lassen. Um dieser Hölle zu entgehen, verwandelt der in einer unaufhaltsam scheinenden Regression begriffene Mensch seine Angst, die ihn körperlich und psychisch zu verschlingen droht, in Wut, die er nach außen wendet und dort anderen die Hölle bereitet. Der innere Haß wird in die Welt projiziert und verwandelt sich im Extremfall des Amoks in die Masse der Umzubringenden.

Eisenberg konstatierte einen Übergang „von der vaterlosen zur elternlosen Gesellschaft“, die zu einer „Liquidation des Ichs“ führe. Dieses aber reagiere auf diesen Auflösungsprozeß mit Angst, Haß und Gewalt.

Ich habe auf diese Analyse bereits vor einigen Monaten hingewiesen, als ein anderes „Manifest“ die Runde durch die Feuilletons machte, das ebenfalls zu Gewalt und Zerstörung eines Systems aufrief, das nicht mehr reformierbar sei. Darin fanden sich Sätze wie diese:

Aus welcher Sicht man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ohne Ausweg. Das ist nicht die geringste ihrer Tugenden. Denjenigen, die unbedingt hoffen möchten, raubt sie jeden Halt. Diejenigen, die vorgeben Lösungen zu haben, werden sofort entkräftet. Es ist bekannt, dass alles nur noch schlimmer werden kann. »Die Zukunft hat keine Zukunft mehr« ist die Weisheit jener Epoche, die unter dem Anschein einer extremen Normalität auf der Bewusstseinsebene der ersten Punks angelangt ist.

Es gibt keinen Grund mehr zu warten – auf eine Aufheiterung, die Revolution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht, was kommt, sondern was da ist. Wir verorten uns bereits jetzt in der Bewegung des Zusammenbruchs einer Zivilisation. Dort ist es, wo man Partei ergreifen muss.

Die anonymen, vermutlich aus linksextremen Kreisen stammenden Verfasser des Manifests vom „kommenden Aufstand“ gaben sich den Namen „unsichtbares Kommitee“. Und sie zeigen sich mächtig angeekelt von dem „Ich“, das ihnen die Konsumgesellschaft aufzwingt, ohne Raum für Alternativen zuzulassen.

Es macht schwindelig, das »I AM WHAT I AM« von Reebok an einem Wolkenkratzer von Schanghai thronen zu sehen. (…)

»I AM WHAT I AM«, also, keine bloße Lüge, keine bloße Werbekampagne, sondern ein Feldzug, ein Kriegsschrei, gerichtet gegen alles, was es zwischen den Wesen gibt, gegen alles, was ununterscheidbar zirkuliert, alles, was sie unsichtbar miteinander verbindet, alles, was die perfekte Verwüstung hindert, gegen alles, was bewirkt, dass wir existieren und dass die Welt nicht überall wie eine Autobahn aussieht, wie ein Vergnügungspark oder eine Trabantenstadt: pure Langeweile, ohne Leidenschaft und wohl geordnet, leerer Raum, eiskalt, nur noch durchquert von registrierten Körpern, automobilen Molekülen und idealen Waren.

(…)

Es ist nicht das Ich, was bei uns in der Krise ist, sondern die Form, die man uns aufzuzwingen versucht. Es sollen wohl abgegrenzte, wohl getrennte Ichs aus uns gemacht werden, zuordenbar und zählbar nach Qualitäten, kurz: kontrollierbar; während wir Kreaturen unter Kreaturen sind, Einzigartigkeiten unter unseresgleichen, lebendiges Fleisch, welches das Gewebe der Welt bildet.

Nun beginnt das Bild allmählich vollständig zu werden, und wir ahnen den Nährboden, der Gewalt, Amoklauf und politischen Extremismus erzeugt. Wir beginnen einen „kausalen Nexus“ zu ahnen, mit seinen Aktionen, Reaktionen und Überreaktionen.

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