Prophetin des Niedergangs: Interview mit Oriana Fallaci
Von Tunku Varadarajan, Editorial Features Editor des Wall Street Journal, Donnerstag, 23. Juni 2005 12:01 EDT
Übersetzung: Deep Roots. Auch für diesen Text, den ich schon Anfang 2007 rein zur privaten Weitergabe übersetzt habe, gibt es keinen Link zur Originalquelle mehr; hier wird er nun erstmals veröffentlicht:
NEW YORK – Oriana Fallaci sieht einer Gefängnisstrafe entgegen. In ihren Mittsiebzigern, befallen von Krebs, der momentan nur den Konsum von Flüssigkeiten erlaubt – daher tranken wir Champagner im Laufe eines dreistündigen Interviews – ist eine der renommiertesten Journalistinnen der modernen Zeit von einem Richter ihres Geburtslandes Italien unter den Bestimmungen des italienischen Strafrechts angeklagt worden, welche die „vilipendio“ oder Herabwürdigung „jeder staatlich zugelassenen Religion“ verbieten.
In ihrem Fall ist die Religion, die geschmäht worden sein soll, der Islam, und die Herabwürdigung wurde anscheinend in einem Buch begangen, das sie letztes Jahr geschrieben hat – und von dem mehr als eine Million Exemplare in ganz Europa verkauft wurden – mit dem Titel „Die Kraft der Vernunft“. Seine zugkräftige These ist die, daß der Alte Kontinent nahe daran ist, ein Herrschaftsbereich des Islams zu werden, und daß die Völker des Westens sich kraftlos den „Söhnen Allahs“ ergeben haben. Kurzum, Oriana Fallaci muß sich auf bis zu zwei Jahre Haft gefaßt machen wegen ihrer Überzeugungen – was ein Grund dafür ist, daß sie beschlossen hat, sich nicht aus New York wegzurühren. Seien wir dankbar für den Ersten Verfassungszusatz.
Es ist eine Schande, auf so viele Arten, daß „vilipend“, das lateinischstämmige Wort, welches die genaue englische Entsprechung des fraglichen Vergehens auf Italienisch ist, kaum einmal im Anglo-Amerikanischen Lexikon verwendet wird, denn es fängt auf schöne Weise sowohl die Pompösität wie auch die anachronistische Fremdartigkeit des gegenständlichen Gesetzes ein. Eine „Herabwürdigung“ klingt im Gegensatz dazu so mies, so kleingeistig – kaum passend für eine Grande Dame.
„Als ich die Nachricht erhielt,“ sagt Frau Fallaci über ihre kürzliche Anklage, „lachte ich. Bitter, natürlich, aber ich habe gelacht. Kein Amusement, keine Überraschung, denn das Gerichtverfahren ist nichts anderes als eine Demonstration dessen, daß alles, was ich geschrieben habe, wahr ist.“ Ein aktivistischer Richter in Bergamo, Norditalien, hat es auf sich genommen, einer Beschwerde gegen Frau Fallaci stattzugeben, die selbst die hiesigen Staatsanwälte nicht anrühren würden. Der Beschwerdeführer, ein Adel Smith – der trotz seines Namens Moslem ist, und ein hetzerischer öffentlicher Provokateur dazu – ist auf Frau Fallaci schon länger nicht gut zu sprechen, und der Glaube ist weit verbreitet, daß er hinter der Veröffentlichung eines Pamphlets mit dem Titel „Der Islam bestraft Oriana Fallaci“ steckt, das Moslems dazu ermahnt, sie zu „eliminieren“. (Ironischerweise steht auch Mr. Smith die eigenartige Anklage wegen „Vilipendio“ einer Religion – der römisch-katholischen in diesem Fall – ins Haus, nachdem er die katholische Kirche im Fernsehen als „kriminelle Organisation“ bezeichnet hatte. Vor zwei Jahren hat er in Italien Schlagzeilen gemacht, indem er ein Verfahren zur Entfernung der Kruzifixe von den Wänden aller Klassenzimmer in öffentlichen Schulen beantragt hatte, und auch weil er angeblich ein Kruzifix aus dem Fenster eines Spitalszimmers geschleudert hat, in dem seine Mutter behandelt wurde. „Meine Mutter wird nicht in einem Raum sterben, wo ein Kruzifix ist“, sagte er laut den Spitalsbediensteten.)
Frau Fallaci spricht mit leidenschaftlichem Knurren: „Europa ist nicht mehr Europa; es ist „Eurabien“ eine Kolonie des Islam, wo die islamische Invasion nicht nur in physischem Sinne fortschreitet, sondern auch in einem mentalen und kulturellen Sinn. Servilität gegenüber den Invasoren hat die Demokratie vergiftet, mit offensichtlichen Konsequenzen für die Gedankenfreiheit und für das Konzept der Freiheit überhaupt.” Solche Worte – „Invasoren“, „Invasion“, „Kolonie“, „Eurabien“ – sind auf tiefe, immense Weise politisch inkorrekt; und man neigt zu glauben, daß es ihr Ton ist, ihr Vokabular, und nicht notwendigerweise ihre Substanz oder Grundbotschaft, die den Zorn des Richters in Bergamo auf sich gezogen hat (und sie in den Augen von Europas Kultureliten so radioaktiv gemacht hat).
„Zivilisationen sterben durch Selbstmord, nicht durch Mord“, schrieb der Historiker Arnold Toynbee, und diese Worte könnten sicherlich die von Frau Fallaci sein. Sie sieht Europa und seine Zukunft in schwarzer Düsternis: „Die zunehmende Präsenz von Moslems in Italien und in Europa ist direkt proportional zu unserem Verlust an Freiheit.“ Sie hat einen Hauch von Oswald Spengler an sich, dem deutschen Philosophen und Propheten des Niedergangs, und ein Aroma von Samuel Huntington und seinem „Kampf der Kulturen“. Aber vor allem ist da Pessimismus, rein und ungeniert. Wenn ich sie frage, welche „Lösung“ es geben könnte, um den europäischen Zusammenbruch zu verhindern, von dem sie spricht, dann flammt Frau Fallaci auf wie ein angerissenes Streichholz. „Wie können Sie es wagen, mich nach einer Lösung zu fragen? Das ist, als hätte man Seneca nach einer Lösung gefragt. Erinnern Sie sich, was er tat?“ Sie sagt dann: “Phwah, phwah,” und deutet das Aufschneiden ihrer Pulsadern an. „Er beging Selbstmord!“ Seneca war angeklagt, in eine Verschwörung zur Ermordung von Kaiser Nero verwickelt zu sein. Ohne Gerichtsverfahren befahl ihm Nero, sich selbst zu töten. Man spürt, daß Frau Fallaci im Islam den Schatten von Nero sieht. „Was konnte Seneca tun?“ fragt sie mit merklichem Schaudern. „Er wußte, daß es so enden würde – mit dem Fall des Römischen Reiches. Aber er konnte nichts tun.”
Der drohende Fall des Westens, wie sie es sieht, quält nun Frau Fallaci. Und genausosehr wie dieser Fall quält sie die fröhliche Art, in der der Westen auf seinen selbstgewählten Abgrund zumarschiert. „Schauen Sie sich das heutige Schulsystem des Westens an. Die Studenten kennen die Geschichte nicht! Sie kennen sie nicht, um Christi Willen. Sie wissen nicht, wer Churchill war! In Italien wissen sie nicht einmal, wer Cavour war!“ – eine Bezugnahme auf Graf Camillo Benso di Cavour, der neben dem radikalen Garibaldi der konservative Vater des modernen Italien war. Frau Fallaci, die selten ehrfurchtsvoll ist, pausiert hier, um über den Mann nachzudenken und über die Frage, wohin all die Konservativen in Europa verschwunden sind. „Am Anfang war ich bestürzt, und ich fragte, wie ist es möglich, daß wir keinen Cavour haben… nur einen Cavour, uno? Er war ein Revolutionär, und ja, er war nicht von der Linken. Italien braucht einen Cavour – Europa braucht einen Cavour.” Frau Fallaci beschreibt sich selbst auch als „Revolutionärin“ – „weil ich tue, was die Konservativen in Europa nicht tun, was heißt, daß ich es nicht hinnehme, wie eine Verbrecherin behandelt zu werden.” Sie bekennt, daß sie weint, „manchmal, weil ich nicht 20 Jahre jünger bin, und ich nicht gesund bin. Aber wenn ich es wäre, würde ich sogar meine Schriftstellerei opfern, um irgendwie in die Politik einzutreten.“
Hier pausiert sie, um sich einen dünnen schwarzen Zigarillo anzuzünden und dann am Champagner zu nippen. Dessen Kälte veranlaßt sie zu einer Grimasse, aber bestärkt kehrt sie dann zu vehementer Rede zurück, wobei sie klarer als irgendwann sonst in unserem Interview an Oswald Spengler erinnert. „Man kann nicht überleben, wenn man die Vergangenheit nicht kennt. Wir wissen, warum all die anderen Zivilisationen zusammengebrochen sind – wegen eines Übermaßes an Wohlfahrt, an Reichtum, und wegen Mangels an Moralität, an Spiritualität“ (Sie verwendet „Wohlfahrt“ hier im Sinne von Wohlbefinden, daher spricht sie in Wirklichkeit von Dekadenz.) „In dem Moment, wo Sie Ihre Prinzipien aufgeben, und Ihre Werte… in dem Moment, wo Sie über diese Prinzipien lachen, und über diese Werte, sind Sie tot, ist Ihre Kultur tot, ist Ihre Zivilisation tot. Punkt.“ Die Kraft, mit der sie das Wort „tot“ hier äußert, ist aufrüttelnd. Ich lange nach meiner Champagnerflöte wie nach einer Krücke.
“Ich fühle mich weniger allein, wenn ich die Bücher von Ratzinger lese.” Ich hatte Frau Fallaci gefragt, ob es irgendeinen zeitgenössischen Führer gäbe, den sie bewundert, und Papst Benedikt XVI war offensichtlich ein Mann, in den sie einiges Vertrauen setzte. “Ich bin Atheistin, und wenn eine Atheistin und ein Papst dasselbe denken, dann muß da etwas Wahres daran sein. So einfach ist es! Es muß hier eine menschliche Wahrheit geben, die jenseits der Religion liegt.”
Frau Fallaci, die sich einen Namen damit gemacht hat, daß sie zahlreiche Staatsmänner interviewt hat (und nicht wenige Tyrannen), glaubt, „daß unser Zeitalter eines ohne Führer ist. Wir haben am Ende des 20. Jahrhunderts aufgehört, Führer zu haben.” George Bush will sie nur zugestehen, daß er „Stärke“ hat, und daß er „eigensinnig“ ist (in ihrem Buch ein Kompliment) und „mutig… Niemand hat ihn dazu verpflichtet, etwas wegen Terri Schiavo zu unternehmen, oder wegen der Stammzellen Stellung zu beziehen. Aber er hat es getan.”
Aber es ist „Ratzinger“ (wie sie den Papst zu nennen beharrt), der ihr Seelengefährte ist. Johannes Paul II – “Wojtyla” – war ein „Krieger, der mehr zum Ende der Sowjetunion beigetragen hat als selbst Amerika“, aber sie will ihm seine „Schwäche gegenüber der islamischen Welt nicht verzeihen. Warum, warum war er so schwach?”
Die dürftige Hoffnung, die sie für den Westen hat, legt sie in seinen Nachfolger. Als Kardinal hat Papst Benedikt XVI häufig über den Zustand Europas (und des Westens) geschrieben. Letztes Jahr hat er einen Essay mit dem Titel „Wenn Europa sich selber hasst“ geschrieben, aus dem Frau Fallaci mir dies vorliest: „Der Westen offenbart… einen Hass auf sich selbst, was seltsam ist und nur als krankhaft betrachtet werden kann; der Westen… liebt sich selbst nicht mehr; in seiner eigenen Geschichte sieht er jetzt nur, was bedauernswert und destruktiv ist, während er nicht mehr in der Lage ist, das wahrzunehmen, was großartig und rein ist.”
“Ecco! (Siehe!)” sagt sie. Ein Mann nach ihrem Herzen. “Ecco!” Aber ich kann mir nicht sicher sein, ob ich Triumph in ihren Augen sehe, oder Schmerz.
Was die „vilipendio“ gegen den Islam betrifft, so weigert sie sich, zur Gerichtsverhandlung in Bergamo zu erscheinen, die für Juni 2006 angesetzt ist. “Ich weiß nicht einmal, ob es mich nächstes Jahr noch geben wird. Mein Krebs ist so schlimm, daß ich glaube, daß ich am Ende der Straße angekommen bin. Wie schade. Ich würde gerne noch leben, nicht nur, weil ich das Leben so sehr liebe, sondern auch weil ich das Ergebnis des Gerichtsverfahrens gern sehen würde. Ich glaube, daß ich schuldig gesprochen werde.”
An diesem Punkt lacht sie. Bitter, natürlich, aber sie lacht.
[Anm. d. Ü.: Oriana Fallaci ist am 15. September 2006 in ihrer Geburtsstadt Florenz im Alter von 77 Jahren an ihrem langjährigen Krebsleiden gestorben]
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Kommentare (4)
4 Kommentare »
[…] Prophetin des Niedergangs: Interview mit Oriana Fallaci Dieser Artikel wurde veröffentlicht in Islamisierung, Islamkritiker und mit Dhimmis, […]
Pingback von Die Herrschenden behandeln den Feind als Freund | Etzel’s Blog — 23. September 2010 @ 21:41
Der Infokrieg geht in die nächste Runde:
http://kairostheos.blogspot.com/2010/09/infowars-vi-faust.html
Vielen Dank für die Fallaci- Texte, Deep Roots!!!
Kommentar von Kairos — 23. September 2010 @ 23:13
Eine heisse Frau, mit der hätte ich Kinder gemacht..
Sie ist eine Frau, Benedikt ist ein alter Mann. Um den Mut zur Kultur zu haben, um die Liebe zur Kultur zu tragen braucht es junge starke Männer. Männer sind die, welche die Zivilisation tragen, wir sind es die diese schützen und “in” machen.
Templarii
Kommentar von templarii — 26. September 2010 @ 17:25
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