LEBENSBILD VON
PFARRER ROBERT MÄDER
Von P. Walther Diethelm, 1954
Imprimatur Monte Angelorum, die 28 Februarii 1954. +Leodegarius, Abbas., Solodori, die 30 Martii 1954. Dr. G. Lisibach, vic. generalis
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Robert Mäder wurde am 7. Dezember des Jahres 1875 im solothurnischen Wolfwil geboren. Ein bezeichnendes Datum: Ambrosiustag! Etwas von der Unbeugsamkeit und Orthodoxie des grossen Mailänderbischofs hat ihn als Wiegengeschenk durchs ganze Leben begleitet. Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen und verlebte eine einfache, fast harte Jugend. Was ihm aber Jugendzeit und Elternhaus notgedrungen auferlegten, das führte er später in einer herben, asketischen Lebensführung freiwillig weiter. Als der Knabe zehnjährig war, zogen die Eltern aus dem wohlbehüteten katholischen Dorf nach Basel, also hinaus in die Diaspora. Dort verdiente der Vater — übrigens ein linksgerichteter Mann — als Kutscher sich den Lebensunterhalt.
Gleich in seinen ersten Diasporajahren erlebte der Knabe Mäder Kulturkampfstimmung. Im Jahre 1884 war die blühende katholische Schule Basels mit 1500 Kindern gewaltsam unterdrückt worden, ein Schlag, an dem die Gemeinde lange blutete. Pfarrer Mäder sollte fünfzig Jahre später den erfolgreichen Schritt unternehmen, die konfessionelle Schule wieder einzuführen.
Bestimmend für die Entwicklung des jungen Menschen wurde die Begegnung mit Dr. Beck, dem späteren Universitätsprofessor von Freiburg i./Ue., der damals Vikar in Basel war. Der edle Priester nahm sich des Knaben an, er kannte dessen Talente und ebente ihm den Weg zum Studium. In Engelberg und Luzern besuchte Mäder das Gymnasium, in Schwyz schloss er es mit der Matura ab. Bezeichend für die Geisteshaltung des Studenten ist die Tatsache, dass er bei der Matura von zwei Themata das schwierigere wählte, ein Thema, das ihn auch später reichlich beschäftigte: Der Liberalismus und sein Zusammenhang mit der Reformation und seine wissenschaftliche Begründung durch die Encyklopädisten des 18. Jahrhunderts, und die praktische Auswirkung auf die französische Revolution.
Der Maturus wandte sich dann dem Theologiestudium zu. Innsbruck, Freiburg i./Ue. und Tübingen öffneten dem Lernbegierigen ihre Tore. Doch Weiterstudium liess er sich bei aller Arbeitsfülle später nicht nehmen, wobei er sich immer an die Besten hielt. P. Alb. M. Weiss war sein Lieblingsschriftsteller deutscher Sprache. Daneben fanden auch die Grossen französischer und spanischer Zunge Hausrecht in seiner Bibliothek, ein De Maistre und Donoso Cortés vor allen.
Am 16. Juli 1899 legte Bischof Haas in Luzern Robert Mäder die Hände auf und salbte ihn zum Priester des Herrn. In der Basler Marienkirche brachte der Neupriester sein Erstlingsopfer dar. Dann finden wir ihn zwei Jahre als Vikar in Biberist. Sein Prinzipal war Prälat Ludwig Schmidlin, ein bekannter Historiker. Der spätere Weltüberblicker Mäder mag von ihm manches gelernt haben. Es wird aber auch umgekehrt gewesen sein; denn bei seinem Wegzug erzählte er vom Gerede der Leute: Der Vikar habe dem Pfarrer und der Pfarrei ein grosses Fass Weihwasser zurückgelassen. Vorher sei man ohne das ausgekommen.
Dem jungen, tatkräftigen Priester wurde schon im Jahre 1901 die Bauern- und Industriepfarrei Mümliswil (Kt. Solothurn) anvertraut. Die aufstrebende Gemeinde war damals einheitlich katholisch, wurde aber freisinnig regiert. Der neue Pfarrer brachte neuen Geist in die Gemeinde. Das merkte vor allem die Männerwelt, die er in Vereinen zu fassen verstand. Das erfuhren Sonntag für Sonntag jene, die unter seiner Kanzel sassen. Da stimmte, was er einmal forderte: „Eine Sonntagspredigt, von der man nachher nicht am Biertisch und Familientisch redet, hat ihre Wirkung nicht erreicht!“ Als Pfarrer Mäder elf Jahre später seine liebe Pfarrei verliess, war aus Mümliswil eine Feste konservativen Geistes und Lebens geworden. Und mit Recht konnte er sagen, dass von den wenigen liberalen Katholiken kein einziger bona fide sein könne, „denn ein Katholik kann so wenig freisinnig sein wie ein Kreis ein Quadrat.“ Dass der seeleneifrige Priester auch sein Blutgeld zahlen musste, versteht sich. Eingeschlagene Fenster im Pfarrhaus zeugten davon. Aber es muss wohl so sein. „Das Samenkorn der Wahrheit wird erst fruchtbar, wenn es getränkt wird mit Weihwasser der Tränen oder mit Blutstropfen.“
Schon in der Mümliswilerzeit hat Pfarrer Mäders Tätigkeit weitere Wellen geschlagen. Durch die solothurnische Männerwelt ging ein Erwachen, ein Besinnen auf katholische Grundsätzlichkeit und zeitgemässe Aufgaben. Feuerköpfe wie Dr. Beck, Prof. Decurtins, Otto Walter und J. B. Rusch fanden sich mit ihm zu treuer Gesinnungsgemeinschaft zusammen. Kaum eine Tagung ging vorbei, an der nicht der Mümliswilerpfarrer ein flammendes Referat gehalten hätte. In jener Zeit wurde das zündende Wort wohl zum erstenmal gesprochen: „Ich bin katholisch! Offen und rückhaltlos sei’s wieder gesagt und geschrieben. Erstens, weil es uns selber Freude macht, es zu hören und zu lesen. Sodann, weil wir den Eigenen und den Aussenstehenden keinen grösseren Dienst erweisen können, als wenn wir sie zum Zeugen unseres Glücks machen.“ (SW 1921).
Im Jahre 1912 wurde in Basel die Heilig-Geist-Kirche fertig. Als erster Pfarrer wurde Robert Mäder berufen, der ja das Milieu aus der Jugendzeit kannte. In einem rührenden Testament, das an anderer Stelle angeführt ist, nahm er Abschied von seinen Mümliswilern, bei denen er so viel Gut-Hirten-Freude hatte erleben dürfen. Basel war für ihn Neuland. Wie herrlich musste es für einen Priester seines Formates sein, diesen neuen Boden zu bebauen! Er hat es mit unerschütterlicher Treue durch dreissig Jahre getan, auch wenn er mitunter schmerzhafte Enttäuschungen erleben musste. Gross-Stadt ist nicht das gleiche wie eine Landpfarrei, wo man alles im Auge behält, das Echo hört und den Erfolg beobachten kann. Gross-Stadt kann ein Moloch sein, der verschlingt. Da kann jahrzehntelanges Schaffen sich verlaufen und verlieren wie eine Welle im weiten Ozean. Gross-Stadt kann den Priester zum Pessimisten machen, weil er die kleinen Seelsorgsfreuden nicht mehr so persönlich erleben darf, dafür aber die Grenzen seiner Reichweite tagtäglich erfährt.
Man hat Pfarrer Mäder mitunter als Pessimisten bezeichnet. Mag sein, dass er in Wort und Schrift eine gewisse Herbheit aufweist und seine Verschlossenheit dann und wann diese Deutung nahelegte. Vielleicht wollte man ihn damit zum vornherein erledigen. „Pessimismus ist das einfachste Wort, um allem Unangenehmen ein Ende zu bereiten, um jede ernste Nutzanwendung zu hintertreiben. (P. A.M. Weiss). Aber Mäder war keineswegs Pessimist. Er hatte auch keinen Grund dazu. Denn reicher Gottessegen ruhte auf seinen Werken. Seine Werke! In rascher Reihenfolge sind sie entstanden. Pessimisten gründen und bauen nicht wie er es getan hat. Pessimisten legen die Hände in den Schoss und schauen ratlos und untätig dem Geschehen zu. Das tat Mäder nie. Man denke nur an sein grösstes Werk, die Theresienschule für Mädchen, welche 1933 eingeweiht wurde. Sie wurde gebaut im Glauben an das Kind und in der Liebe zum Kind. Ihr wurden später die Kleinkinderschule und die Mütterschule hinzugefügt. Man denke an den Verlag Nazareth, der ihm sein Entstehen verdankt, an das „Basler Pfarrblatt“, das auf ihn zurückgeht. Man denke an die Helferinnen vom Heiligen Geist, eine Schar hilfsbereiter Seelen, die in Mädergeist apostolisch in der Pfarrei mitarbeiten. Wohlverstanden, das waren nicht Werke, die später eine Last bedeuteten, er konnte sie schuldenfrei seinem Nachfolger hinterlassen. Eines freilich hat Pfarrer Mäder nicht getan. Er hat seine Werke nicht durch Fonds sichergestellt. Er ging in die Cottolengoschule und hat bezeichnenderweise eine seiner Gründungen „Providentia“ genannt. „Ich glaube nicht an die Menschen. Ich glaube an Gott. Weil ich nicht an den Menschen glaube, neige ich zum Pessimismus. Weil ich an Gott glaube, predige ich kühn allen Wetterzeichen zum Trotz den Optimismus.“ (SW 1926). Giovanni Papini sagt einmal vom heiligen Augustinus, die banale Praxis habe sein Genie aufgezehrt. Ob dieser Ausspruch auf den vielbeschäftigten Bischof von Hippo zutrifft, bleibe dahingestellt. Auf Pfarrer Mäder darf er nicht angewandt werden. Er ist der sprechende Beweis, dass der echte Priester durch alle Notwendigkeit des Lebens in seinem Schaffen eher angeregt wird und dass der priesterliche Zölibat nicht unfruchtbar macht, sondern zu einer wunderbar reichen Produktivität des Geistes, der Seele und des Lebens führt.
Wer Pfarrer Mäders Pfarrei kennt, weiss, dass sein Wirken nicht umsonst gewesen ist. Er hat ihr ein Gepräge gegeben, das auffällt. Sie zeichnet sich durch ein gewisses Etwas aus, mag man es nun Grundsätzlichkeit oder katholischen Stolz, religiöse Tiefe oder „Freude am Christ-sein-dürfen“ nennen. Es versteht sich von selbst, dass diesem reichen Priesterleben auch eine gewisse äussere Anerkennung zuteil geworden ist. 1931 wurde Mäder Hausprälat, 1942 erkor ihn das Vertrauen des Bischofs und der Mitbrüder zum Dekan des Kapitels Basel-Stadt. Und im Jahre 1939 verlieh ihm die Universtität Freiburg i. Ue. den Doktor ehrenhalber.
Es ist menschlicherweise zu bedauern, dass ein so reiches Priesterleben zu früh seinen irdischen Abschluss fand. An Weihnachten 1945 befiel Prälat Mäder eine Angina, deren Nachwirkungen auch durch eine Kur im Tessin nicht mehr ganz behoben werden konnten. Am Tage des Bombenabwurfes auf Basel hielt er dort seine letzte Sonntagspredigt. Dann nahm den Erschöpften für Wochen der Klaraspital auf. Doch seine letzten Lebenstage verbrachte er im Pfarrhaus daheim. Er dachte aber noch gar nicht ans Sterben. Sah er doch so vieles vor sich, so vieles nicht vollendet, so manches nicht erreicht. Er erwartete den Schluss des zweiten Weltkrieges und damit den Anbruch einer neuen Zeit, in die hinein er so gerne den rechten Weg gewiesen hätte. Es muss hart sein, wenn man wie Moses aus der Ferne Ziele sieht, die man persönlich nicht erreichen darf. Aber hatte er nicht gerade für diesen Fall jenen tiefen Gedanken niedergeschrieben: „Die Sämänner gelten so viel wie die Schnitter, eher mehr! Das ist der Trost aller, die im Frühling sterben müssen und den Herbst des Erfolges nicht erleben dürfen. Sie sollen das gottlose Wort umsonst nicht auf ihre sterbenden Lippen nehmen.“ (11. S. 161). Am 26. Juni 1945 wurde er von seinen Leiden erlöst.
Feldherren kehren gerne an die Stätten ihrer ersten Schlachten zurück! So wollte Pfarrer Mäder, trotz seiner Anhänglichkeit an Basel, in Mümliswil begraben sein. In katholischer Erde, im Schatten einer Kirche! Im Tode wie ein Kind bei der Mutter daheim. Auch im Grab noch grundsätzlich durch und durch.
Pfarrer Mäders Persönlichkeit
Wenn man die Eigenart dieses hervorragenden Mannes schildert, sollte man eigentlich nach dem Meissel greifen. Maschinentypen sind zu schwach, um diese markante Gestalt, die wie aus Granit gehauen war, zu zeichnen. Prof. Dr. Beck, der ihn von Anfang an kannte, Mäder, den idealen Jüngling, den heisspornigen Neupriester und erfolgreichen Eiferer Gottes, hat einmal von ihm gesagt: „Er hätte einen fanatischen sozialistischen Volkstribun abgeben können!“ Zum Glück hat sein Leben eine andere Richtung genommen und ist er Herold Christi, des Königs, geworden.
Er brachte vieles mit, das ihn zu diesem Beruf befähigte. Vor allem seine mächtige Gestalt, die Verkörperung dessen, was er vertrat, den athletischen und asketischen Katholizismus. Da war seine Stimme und die entschiedene, allen Widerspruch erledigende Geste. Nicht umsonst hat man ihn den Donnerer des Heiligen Geistes genannt. Sonntag für Sonntag hielt er in seiner Pfarrkirche die Hauptpredigt. Sie war das Erlebnis seiner Pfarrgemeinde, die sich am liebsten zu diesem Gottesdienst einfand. Was er sagte, war Licht. Noch mehr, es war Pfeil und Schwert. Zuerst in seiner Hand, dann in der Hand jener, die seinen Worten gelauscht und nun wieder für eine Woche Rüst- und Werkzeug christlichen Lebens in der Hand hatten. De Maistre schreibt einmal: „Ich wünschte, und wenn es mich vieles kosten sollte, eine Wahrheit aufzufinden, die geeignet wäre, alle Menschen zu entrüsten. Ich würde sie ihnen dennoch ins Gesicht schleudern.“ Pfarrer Mäder hat eine solche Wahrheit gefunden. Es war die Botschaft von Christus und seinem Reich, der Kirche, in der allein Rettung in dieser schweren Zeit zu finden ist. Diese Wahrheit hat er hinausgerufen, gelegen oder ungelegen, in der Überzeugung: „Wahrheit ist Liebesdienst!“ Dieser Kirche zu dienen, war seine grosse Leidenschaft. „Eines soll und darf man uns nie aufs Sündenregister setzen: Kälte gegen die Kirche. Wir wären Narren, wenn wir eine einzige Zeile schrieben aus einem andern Grunde als weil allein die Liebe zur Kirche uns treibt und drängt. Irdisch gesprochen ist es doch wahrhaft ein undankbar und unrentabel Geschäft, was wir treiben, und ungesund dazu!“
Was Pfarrer Mäder forderte, ging über das gewöhnliche Christentum hinaus. Aber man leistete ihm willig Gefolgschaft, denn er predigte und wirkte nicht nur durch sein Wort, er tat es noch mehr durch sein makelloses Leben. „Vorbild ist mehr als Vorschrift“, sagt Langbehn einmal, den er so gerne zitierte. Der Pfarrer von Heilig-Geist konnte es wagen, vor jemanden hinzustehen und zu erklären: „Der Herrgott will dich dort haben!“ Mit einer einzigen solchen Bemerkung war er imstande, einem Menschenleben einen ganz neuen Kurs zu geben. Man folgte ihm, ja war bereit, „mit ihm in die Wüste zu gehen“ (Mgr. Dr. v. Hornstein). Der Grund dieser Gewalt über die Herzen ist wohl der: Er war ein Priester, dem man nicht nur zuhören, sondern auch zuschauen durfte. In seinem Nachlass fanden sich Geissel und Bussgürtel, aber nicht etwa in einer Schachtel und Schublade sicher versorgt, sondern in täglicher Reichweite. Ein Beweis wie echt sein eigenes Christentum war und wie sein priesterliches Wirken immer wieder frisch durch Gebet und Opfer gesegnet wurde.
Pfarrer Mäder war in seiner Selbstlosigkeit ein rechter Christusjünger. Jahrelang leitete er die Redaktion der „Schildwache“ um Gotteslohn. Und erst als er den Bau seiner geliebten Theresienschule begann, hat er als Bettler an die Türen seiner vielen Leser geklopft. In seinem persönlichen Leben war er von franziskanischer Einfachheit. „Seitdem ich anfing, am Schluss des Monats, was ich im Haushalt erübrigte, in die Armenkasse zu legen, fühle ich mich frei und froh wie ein König“, gestand er einmal. Sein Besitz reichte nicht einmal so weit, nach dem Tode die Unkosten der Krankheit und der Beerdigung zu decken.
Der Prediger von Heilig-Geist war ein einsamer Mann. Zum Teil mochte es selbstgewähltes Los sein. Denn er übte bewusst die Kunst, mitten in der Stadt für sich zu sein. Als Grübler, der ständig irgendwelchen Problemen nachging, konnte er sich im Lärm und Gedränge des Alltags nicht wohl fühlen. Er war imstande, mit einem Vikar nach dem Essen einen Spaziergang zu unternehmen, aber dabei eine Stunde lang kein eiziges Wort zu sprechen so sehr war er in seine Gedanken versunken. Dann wieder konnte er zur Überraschung des Gefährten plötzlich eine Freude und Kindlichkeit an den Tag legen, die man von ihm nicht erwartet hätte. So einmal, als man bei pfeifenden Vögeln vorbeikam: „Ei, Hansi! du kannst aber schön pfeifen. Lass dich nicht stören. Mach weiter, und sing dem Herrgott ein Gloria!“ Ein andermal kommen die beiden Spaziergänger an einem Baum vorbei, auf dem wohl an die hundert Spatzen sitzen, die gleich ein fürchterliches Konzert beginnen. Pfarrer Mäder freut sich, wie die Meute so einhellig zusammenhält und lacht aus vollem Hals, wie sein Begleiter meint: „Die halten da droben Katholikentag!“ Er versteht ihn. „Ja, so sollten wir auch zusammenhalten! Nicht immer schweigen, sondern auch einmal zeigen, dass wir da sind! Nicht immer sich verbeugen und vor den andern entschuldigen. Gestatten Sie, dass ich katholisch bin.“
Zum Teil war Mäders Einsamkeit Prophetenschicksal und damit das Los grundsätzlicher Menschen. Was er andern als bittere Konsequenz wahren Christentums auferlegte, musste er zuerst an sich selber erfahren: „Wir sind keine Sonderlinge, aber doch Abgesonderte. Wir gehen eigene Wege in der Literatur und Presse. Wir haben eigene Bücher, eigene Zeitschriften und Blätter. Wir lesen nicht, was alle andern. Wir gehen eigene Schulwege. Wir lehnen die religionslose Schule der Halbheit und Charakterlosigkeit entschieden ab. Wir gehen eigene Wege in der Politik und in der Gschäftsmoral, in der Kunst, auch in der Mode. Wir folgen in allem und jedem den Wegweisungen, welche die Kirche aufgepflanzt hat“ (SW 1925). Wer so spricht und vor allem, wer so handelt, kann bei einer gewissen Elite auf treue und feste Gefolgschaft zählen, muss aber anderseits damit rechnen, beim grossen Haufen als exzentrisch, als Rigorist verschrieen zu werden, sogar in den eigenen Reihen. Es ist wahr, auch auf katholischer Seite ist Pfarrer Mäder oft nicht verstanden worden. Und er muss diesen Abstand schwer empfunden haben, der sich zwischen Priester und Priester, zwischen Seelsorger und Volk mitunter zeigte. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie furchtbar ich darunter leide, dass mich die Menschen nicht verstehen wollen. Ich werde so oft nicht verstanden und kann nur mit ganz wenigen reden!“ So klagte er einmal jemandem, der ihm nahestand. In seiner Feinfühligkeit spürte er es deutlich, dass ihm von Gross und Klein für gewöhnlich mehr Ehrfurcht als Liebe entgegengebracht wurde. Aber das hielt ihn von der als recht erkannten Linie nicht ab. Was er einmal von den Heiligen schrieb, galt auch für ihn: „Gott will, dass die Heiligen gewisse Dinge bis zum Extrem üben, damit wir die Wichtigkeit derselben erkennen und wenigstens das tun, was Pflicht ist.“
Wohl hatte Pfarrer Mäder Herz und Gemüt, aber in der Gesellschaft spielte er besser und lieber den stillen Zuhörer, der allerdings Sinn für Humor und Gemütlichkeit hatte. Man musste bei ihm wie Moses dreimal an den Felsen klopfen, bis die Wasser kamen, schreibt Pfr. R. Pfyffer von seinem Mitbruder Mäder. Dann allerdings fand man das lautere Wasser einer treuen Seele und eines grundgütigen Menschen.
Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Türme misst man nach ihrem Schatten, grosse Menschen nach ihren Hassern.“ Ich weiss nicht, ob Prälat Mäder persönliche Gegner hatte. Ich glaube nicht. Auf jeden Fall hat er nie objektiven Anlass dazu geboten. „Adel ist Kampf ohne Hass!“, meint Newman einmal. Gewiss war Mäder eine Kampfnatur, aber dabei von einer Vornehmheit, die auch seine Gegner anerkennen mussten. Man hat ihm, dem Vertreter des integralen Katholizismus, wohl des öftern Intoleranz vorgeworfen. Sicher mit Unrecht, sonst wäre er kein echter Heilandsjünger gewesen. Mit Langbehn konnte er sagen: „Ich freue mich über jedes Herz, das für Christus schlägt.“ Seine Devise aber lautete: „Persönlich liebenswürdig mit allen, aber dogmatisch intolerant denken!“ (SW 1937). In seiner Basler Pfarrkiche wird heute noch am Schluss jeder Abendandacht ein Stossgebet verrichtet, das anderswo kaum zu hören ist und das aus seiner Zeit und seinem Geiste stammt: „Heiligstes Herz Jesu, erbarme dich unser und unserer irrenden Brüder!“ Er nennt den Andersgläubigen das, was er ist, ein Irrender, dem er so gern den rechten Weg zeigen möchte. Er nennt ihn aber auch Bruder, dem er das Liebesgeschenk der Wahrheit anbieten will, auch auf die Gefahr hin, von ihm missverstanden zu werden.
Ein Charakterzug ist am Menschen, Christen und Priester Mäder hervorstechend: Die Liebe zur Kirche, der er kindlich und doch wieder mit der ganzen Manneskraft zugetan ist. Um sie kreisen all seine Gedanken und Pläne. Der Ablauf aller Ereignisse wird in göttliche Pläne und Weiten hineingstellt und dient nur dem einen Ziel, alles zur einen, wahren Kirche hinzuführen. „Ich bin katholisch! Und nichts Katholisches soll mir fern sein. Für alles, was ich denke, rede und tue, ist mir allein massgebend, was meine Mutter, die Kirche, macht. Besteht zwischen dem, was katholisch und dem, was modern ist, ein Widerspruch, so werde ich mich unbedingt immer für das entscheiden, was katholisch ist.“ (SW 1929). Für diese Kirche, seine Kirche hat er sich aufgerieben und Undank in Kauf genommen. In der Liebe zu ihr hatte er wie Pius X. den Mut, der unpopulärste Mann des Jahrhunderts zu sein. Wie er, setzte er dem modernen Nein das katholische Ja, dem Fragezeichen den Punkt, der Gesetzlosigkeit den unabänderlichen Grundsatz gegenüber. Sollte er dabei je einmal zu weit gegangen sein, was noch zu untersuchen wäre, so müsste man es seiner tiefen Kindesliebe zuschreiben. „Es ist wohl die kleinere Sünde, einmal zuviel Holz ins Feuer zu legen, als mit Löschhorn und Wassereimer überall drein zu fahren, wo unbequeme Wahrheit lodert.“ (6. S. 3) Die Sünde der Katholiken besteht gewöhnlich im Gegenteil, was gerade Mäder so scharf gegeisselt und als grosse Gefahr unserer Zeit hingestellt hat: „Dreiviertel alles Bösen, das in der Welt getan wird, geschieht aus Furchtsamkeit. Es ist eine spezifisch modern-katholische Erscheinung, die man in allen Kasernen, Werkstätten, Büros, Schulen, auch vielen Redaktionen beobachten kann. In der Form der Massenkrankheit finden wir sie sonst nirgends. Es gibt keine protestantische Angst. Es gibt keine jüdische Angst. Es gibt keine altkatholische Angst. Es gibt nur eine katholische Angst.“ (SW 1913).
Eines fällt auf, wenn man Mäders Schrifttum überblickt, auch wenn man die Bücher seiner Bibliothek mustert: Seine Liebe zu Privatoffenbarungen und modernen Erscheinungen. Mäder sieht überall apokalyptische Zeit, und darum liegt ihm die Bitte der Urchristen im Herzen und auf den Lippen: „Komm, Herr Jesu!“ Er möchte Gott, den Allmächtigen, noch etwas mehr in der Wirklichkeit sehen. Er kann es nicht fassen, dass Gott so unbeteiligt einer entscheidenden Zeit nur so aus der Ferne zuschauen sollte. Darum hört er gerne auf die mannigfaltigen Berichte, die von da und dort Ausserodentliches zu melden wissen. Mag er dabei mitunter daneben gegriffen haben, so möge ihm das gerne verziehen sein. Er gehörte übrigens nicht zu jenen, die sich nicht belehren liessen. Auf der andern Seite hat er manche Andacht eingeführt und gefördert, die heute allgemein von der Kirche anerkannt wird; erwähnt seien in diesem Zusammenhang nur Fátima und La Salette.
Abschliessend darf von Prälat Mäder wohl geschrieben werden, was seinerzeit ein Biograph vom edlen Konvertiten Graf Fr. L. zu Stolberg (+1819) sagte: „Es war Mark in seinem Gebein, und sein Herz war gut!“
Mäder, der Schriftsteller
„Wir kennen unsere Kraft noch nicht. Die Christen von heute sind im allgemeinen furchtsam und feig. Wie der Lehm, den der Töpfer noch nicht geformt und gebrannt. Nachgiebig und weich. Wir warten noch auf den Mann, der uns zu Helden gestaltet. Zu Welteroberern und Welterneuerern. Wenn dieser Mann kommt, dann wird er uns die starke katholische Sprache lehren. Die Credosprache des unbesiegbaren Glaubens und der unüberwindlichen Hoffnung. Wenn wir sie einmal gelernt haben, diese Sprache, die Sprache der Urkirche, dann werden wir so laut am Sonntag unser Credo singen, dass die Burgen der Gottlosigkeit in Trümmer fallen. Und auf ihren Trümmern bauen wir dann die neue Welt, das Gottesreich.“ (SW 1939). Als Pfarrer Mäder diese Sätze schrieb, hat er wehmütig nach jenem starken Manne Ausschau gehalten und in seiner Demut nicht gedacht, wie viel er selber von diesem Erretter in sich verkörperte. Stil und Feuer dieser wenigen Sätze beweisen es!
Mit Otto Walter und Red. Rusch zusammen hat Mäder im Jahre 1913 die alte „Schildwache“ zu neuem Leben erweckt. Als Wochenschrift der religiösen Erneuerung ging sie hinaus in die Welt, auch zu einer grossen Zahl ausländischer Abonnenten, besonders im Elsass und in Deutschland. Als Alleinredaktor hat Prälat Mäder durch drei Jahrzehnte den Hauptartikel geschrieben, der zu Berühmtheit gelangte. Sein Programm lautete: „Tagesneuigkeiten bringen wir keine. Was nützt es, vor kindlich gaffendem Publikum Seifenblasen aufzulassen. Das Aktuellste ist jetzt das Alte, das Apostolische, das ewige Wort des Meisters.“ Auszugsweise sind diese Mäderartikel zu Büchern zusammengefasst worden, die jeweils im Verlag Nazareth, Basel, erschienen, 26 grössere und 15 kleinere an der Zahl.
Die Schildwache war ein Kampfblatt und wollte es sein. „Ein Schrifttum, das nicht mehr zürnen kann gegen das Gemeine und Schlechte, ist krank. Ich gehe darum mit der Axt duch die Gassen und zerschlage die Götzenbilder und verbrenne, was der Haufe anbetet und bete an, was ihr verbrannt habt. Ich bin Reaktionär in jeder Zeile!“ Das spürten nicht nur die Gegner, das sollte auch der Redaktor selber zu fühlen bekommen! Einmal brauchte es die starke Hand des Churer Bischofs Georgius Schmid von Grüneck, um die Zeitschrift vor Unterdrückung zu retten. An einem St. Gallischen Katholikentag war ihr Verkauf staatlich untersagt. Dass die Schildwache durch das Hitlerregime für das ganze Dritte Reich verboten wurde und damit auf einen Schlag 5000 Abonnenten verlor, gereicht ihr freilich nur zum Ruhme.
Der Schriftsteller Mäder ist von einer einmaligen Eigenart und Eigenwilligkeit. Volkstümlich wie kaum einer, scharf in der Formulierung und von einer farbenfroh-bildhaften Sprache. Seinen Stil werden freilich nicht alle Deutschprofessoren als einwandfrei und vorbildlich taxieren. Und auch das einfache Volk konnte sich mitunter nicht damit versöhnen. „Ich und meine Tante“, heisst es in einer refüsierten Ansichtssendung, „können diese moderne Sprache nicht verdauen. Wenn’s Knödel wären, liessen wir uns noch verschiedenes gefallen. Aber das ist voll von Granit und Kiselsteinen!“ Auf jeden Fall ist Mäders Stil von einer Originalität, die ihm nicht so leicht jemand nachmachen wird. Da folgt sich Schlag auf Schlag. Mit einer Prägnanz und Präzision, die an einen Meisterschützen erinnert, der pausenlos sein Pensum erledigt, wobei Schuss für Schuss ins Schwarze, ins Zentrum trifft. Jeder Satz ist ein Baustein. Und so kurz sind diese Sätze! Wohl damit der Gegner keine Zeit zum innern Widerspruch findet. Von solch kurzen Sätzen meint Chesterton einmal, sie seien schwieriger und zwingen den Gegner mitzugehen. Bei Pfarrer Mäder finden sich keine toten Stellen, wo selbst der interessierte Zuhörer ein wenig einnicken oder der Gegner von den Hieben, die er erhalten, sich erholen könnte. Mäders Schreibart erinnert unwillkürlich an den sprachgewaltigen Görres. Auch mit Nietzsche hat man ihn schon verglichen. „Warum auch nicht? Soll nur der Unglaube einen Nietzsche haben, der mit seiner Bildhaftigkeit, der Glut, dem Rhythmus, der Musik der Sprache eine ganze Welt bezaubert? Ich meine, wir sollten dem Himmel danken, dass er uns in Mäder einen katholischen Nietzsche geschenkt hat.“ (L. Rogger).
Pfarrer Mäder stand mitten im modernen Leben und bekam aus seiner Gross-Stadt-Pastoration einen eigenen Blick für die Notwendigkeit und Gefahren des katholischen Lebens. Die brennendsten Fragen in Kirche und Welt, in Familie und Seele werden darum von ihm besprochen. Man staunt über den Reichtum seiner Ideen.“ Sie passten in die heutige Zeit, sie gingen mit der Zeit, sie bewegten die Zeit.“ (Mgr. Dr. v. Hornstein). Gewiss hatte er seine Lieblings-Themata, die wie ein Glockengeläute in Predigt und Schrifttum immer wieder aufklingen. Der Heilige Geist, das Königtum Christi, Maria, die Mutter des Herrn, das Mysterium der heiligen Messe, die Katholische Aktion sind, um nur einiges zu nennen, Lieblingsgedanken, auf die wir immer wieder bei ihm stossen. Aber sie zielen, wie wir sehen, auf das Wesentliche, auf die Hauptsache. „Das Kennzeichen unserer Zeit ist das überaus rasche Vergessen“, sagt P. A.M. Weiss. Man muss immer wieder auf den Nagel schlagen, bis er ins Holz eindringt. Das Kennzeichen unserer Zeit ist aber auch das Schlagwort, das die Gegner der Kirche so raffiniert gebrauchen. Ihm setzt Pfarrer Mäder das katholische Schlagwort entgegen, das einen Gedanken nimmermüde wiederholt, bis er sich unvergesslich eingeprägt hat.
Es ist typisch für die Weitsicht von Pfarrer Mäder, dass er lange Zeit einen eigenen katholischen Sender plante und dafür Geld sammelte. Was die Wellen des Aethers nicht taten, das hat er durch Jahrzehnte in seinem Schrifttum besorgt. Nicht umsonst nannte man ihn den Lautsprecher der Päpste. Auf Veröffentlichungen und Verlautbarungen von Rom reagierte er jeweils sehr schnell. Man kann das leicht anhand der Enzykliken feststellen, die in den drei Jahrzehnten seiner Redaktortätigkeit erschienen. Das Echo von Basel kam sofort. Gewöhnlich schon in der nächsten Schildwachnummer setzte er sich für einen neuen Gedanken der Päpste ein. Seine Pfarrei feierte als erste das neue Christkönigsfest und zwar in feierlichster Form, mit Triduum und nächtlicher Anbetung. Was er andern verkündete, suchte er auch im eigenen Leben und Lebenskreis zu verwirklichen. Erst das gibt seinem Wirken den Stempel der Echtheit und solider Gediegenheit.
Abschliessend möge ein Satz zitiert werden, den er 1926 schrieb: „Mit Furcht und Zittern gehe ich meiner Stunde entgegen und nicht grundlos werde ich das letzte Confiteor beten. Denn ich habe gar viel gesündigt. Aber eines, Herr, wollest Du mir in Huld anrechnen. Ich habe Deine Kirche geliebt. Sie war meine Leidenschaft. Wie duftende Rosen waren mir die Steine, die ich ihretwegen empfangen.“
Sendung und Bedeutung
Briand schrieb im Jahre 1905: „Die Kirche ist heute eine schlafende Festung. Die Wälle sind ohne Kanonen. Die Zeughäuser leer. Die Heere zerstreut. Die Führer eingeschlummert. Wir werden, wenn wir es richtig anstellen, diese schlafende Festung überfallen und sie ohne Schwertstreich einnehmen.“ Pfarrer Mäder zitiert selber diesen Ausspruch, wohl in der Not seines Herzens und mit Schamröte im Gesicht. Er fühlte sich beleidigt. Aber der Grund seiner Empörung war weniger der, dass über die Kirche Christi so abschätzig geurteilt wrude. Mehr wurmte ihn die Tatsache, dass der Kirchenfeind Briand weitgehend Recht hatte. „Die traurigste Erscheinung der Gegenwart ist die Einflusslosigkeit des Christentums auf das grosse Weltgeschehen. Ich klage nicht das Christentum an. Die Christenheit, das Katholikentum hat versagt, weil seine Initiative, seine Offensivkraft und sein Enthusiasmus schwächer waren als die seiner Gegner. Hier ist eine Massenbeichte nötig!“ (SW 1943). Und ein andermal klagt er: „Das Zeichen des Menschensohnes ist wohl noch in den Kirchen und an den Wänden christlicher Familien, auf den Friedhöfen und auf der Brust einiger frommer Seelen. Aber es ist nicht mehr wie ehemals die Sonne des Tages, die das gesamte öffentliche Denken, Sinnen und Schaffen der Menschen bestimmt.“ (SW 1924).
Schauen wir uns Europa um die Jahrhundertwende etwas an. Gut fünfzehnhundert Jahre Christentum hatten die meisten Länder hinter sich. Aber man spürte so wenig von diesem Christentum, von seinen Segnungen, seinen Ideen, seinem Einfluss im öffentlichen und privaten Leben. Man nenne uns das Land, welches damals in christlichem Geist regiert worden wäre! Man wird keines finden. Auch in rein katholischen Ländern herrschte der Liberalismus und diktierte geheim oder offen die Freimaurerei. Dann kam der erste Weltkrieg, den Mäder klar als ein Strafgericht, aber auch als eine Entscheidung erkannte. „Alle Kartenhäuser fallen, alle Brücken brechen. Alle künstlichen Dämme gegen Umsturz sind unterwühlt und nun gibt es nur noch zwei Mächte in der Welt: die Kirche als Grossmacht der Geister und die Revolution, die ihr gegenübersteht. Wehe der Kirche, wenn sie ihre Stunde nicht erkennen, wehe den Christen, wenn die Gefahr sie nicht an ihrem Posten finden sollte!“
Wenn man die ersten Schildwachbände durchblättert, fällt es auf, in welcher Richtung alle Mäderartikel hinarbeiten. Sie wollen wecken, aufrütteln, das katholische Selbstgefühl wecken, das erstorben war oder doch bei vielen einen Dauerschlaf schlief. „Wir sind auch da und lassen uns nicht alles gefallen! Wir Katholiken haben Klöster verloren, auch das ist nicht das Schlimmste. Wir haben Kirchen verloren, auch das ist nicht das Ärgste. Das Schlimmste ist, dass wir den Glauben an den Reichtum unserer Geschichte, an den Reichtum unserer Wahrheit, unserer Kultur verloren haben. Dass wir die eigenen Goldbergwerke verschütten lassen. Dass wir uns selbst für Arme halten. Dass uns der katholische Stolz fehlt, der nicht bettelt.“ (SW 1932). Zu gleicher Zeit wie der Rufer Mäder hat es R. Kralik in seinem Kreis gesagt: „Wir allein haben eine Weltanschauung, die andern haben eine Winkelanschauung.“
Pfarrer Mäder hat rastlos diesem Minderwertigkeitsgefühl der Katholiken entgegengearbeitet und in Wort und Schrift das frohe, aber auch wache Christentum verkündet. Das war seine grösste Tat, sein Lebenswerk, war seine Gottessendung, die er zuversichtlich und unermüdlich erfüllt hat. Diese Predigt tat not und gut. Den Katholiken in den Stammlanden, damit sie sich nicht gar zu ruhig und sicher ihres Besitzes erfreuten. Den Katholiken der Diaspora, die Rückendeckung durch die Weltkirche brauchten. Mäder schenkte ihnen jene katholischen Grundsätze, auf denen lebendiges Christentum aufbauen muss. Er lebte ihnen allen den rücksichtslosen Katholizismus vor.
So wurde Mäder das lebendige Gewissen seiner Gemeinde und eines grossen Leserkreises. Damit hat er ungezählten Priestern in seinen Schriften Stoff und Feuer für die Verkündigung des Wortes Gottes geboten. Prediger dieser Art sind wichtiger als Dampfmaschinen, weil sie jene Bewegung bringen, die vor dem Weltuntergang retten kann. Verkünder des Wortes Gottes wie er sind segensvoller als das elektrische Licht, weil sie hineinleuchten in Katakombenstimmungen, in seelische Finsternis.
„Die ganze Welt muss Kirchenbauplatz werden!“ Das ist ein Mädergedanke, der uns heute selbstverständlich ist. Als er ihn 1919 verkündete, war in Rom das Wort von der Katholischen Aktion noch nicht gesprochen, noch weniger war er Tat geworden. Mäders Scharfblick hat früh erkannt, dass in Verteidigungstellung nichts erobert wird, ja eher altes Besitztum noch verloren geht. „Das Wahre und Gute muss eine Reise durch die Welt machen, nicht nur die Lüge.“ (3. S. 77). Was er in diesem Geiste geschrieben, ist etwas vom Besten, das je geschrieben und gesagt worden ist. Möge es in diesem Buch nochmals eine Reise durch die Welt unternehmen!
Das Testament eines grossen Mannes
Als Pfarrer Mäder seine Pfarrei Mümliswil im Herbst 1912 verliess, hinterliess er folgendes Testament:
Da es würdig und recht ist, billig und heilsam, Gott immer und überall dankzusagen, so danke ich Dir, Allmächtiger, dass Du mich von Ewigkeit her zum Seelsorger dieses Volkes auserwählt hast. Wie tief hinab meine Wurzel gereicht in die oft harte, nie undankbare Solothurner Erde, das weisst Du, Allwissender. Keine Hand wird sie je ausreissen.
Es war Frühling, Zeit der Aussaat im Sturmwind. Aber es wurde auch Herbst. Frohlockend habe ich die Garben des Herbstes heimgetragen in Deine Scheune, o Herr. Dir singe ich heute das Schnitterlied mit heissem Te Deum. Feuer vom Himmel fiel auf den Altar Deiner Jugend, und mit Stolz tragen sie den Namen Deiner Kirche auf den Stirnen. — Deine Männer und Jungmänner, Deine Kinder, Jungfrauen und Mütter hungern nach dem Brot des Lebens. Deine Väter und Mütter ahnen die heilige Grösse ihres Berufes.
Ich will Dein Volk nicht heiligsprechen, o Herr. Aber preisen will ich Dich für jede Blume, die ich hüten durfte und für jede Frucht, die ich pflücken durfte.
Du verteilst die Menschenlose, wie es Dir gefällt. Mir hast Du das Leben zum Kriegsdienst auf Erden gemacht. Auch dafür sage ich Dir Dank. Denn der Kampf ist nicht nur aufregend, sondern auch anregend. Kein Boden ist fruchtbarer als der tränen- und schweissgedüngte. Darum verzeihe ich jede Beschimpfung und Verleumdung. Denn ohne sie wäre mein Arm erlahmt und mein Geist vertrocknet. Du kennst mich. Darum will ich alle Beleidigungen in flüchtigen Sand schreiben. Vergesslich ist für mich mein Gedächtnis. Ich galt als Vertreter der allerstrengsten Richtung. Aber ich glaube, dass jedes meiner Pfarrkinder auch unter dem Gewande des Ernstes den Pulsschlag der Liebe gefühlt hat. Und die grösste Liebe ist die Wahrheit. Ich scheide mit dem Bewusstsein, nie ein einziges meiner Pfarrkinder gehasst zu haben, auch wenn es mir nicht vergönnt war, jedem meine Liebe auf gleiche Weise zu zeigen. Habe ich trotzdem jemand durch meine Schuld beleidigt, so bitte ich ihn im Sinne der fünften Vater-Unser-Bitte um Vergebung. Denn auch Priester sind Menschen. Und alle Menschen fehlen.
Habe ich Gott gedankt, so sei auch Dank gesagt meinen geistlichen Mitarbeitern, den Behörden und den Vereinen für ihre treue Mitwirkung. Ein inniges „Vergelts-Gott“ vor allem jener übergrossen Liebe, deren nur ein treu katholisches Volk fähig ist. Wie gerne hätte ich jedem dafür zum Abschied die Hand gedrückt. Es war mir leider nicht möglich. — Ich glaube an die Zukunft dieser schönen Pfarrei. Sie wird in dem Mass gross und glücklich sein, als katholischer Glaube alle ihre Unternehmungen erfüllt. Ich hoffe, dass das Band der Eintracht immer fester alle umschlinge. Seid einig und ihr seid stark.
Das schwerste Opfer muss ich nun bringen und den Lieblingsplatz im Herzen eines treuen Volkes einem andern überlassen. Ich tue es und wünsche, dass ihr euer volles Vertrauen und eure Ergebenheit ohne Zaudern auf meinen Nachfolger übertraget. Es muss so sein. Ich will mich fortan begnügen mit den Brosamen, die vom Tische eurer Liebe fallen. Es behüten euch die heiligen Engel, Unsere Liebe Frau, die Braut des Heiligen Geistes. Es segne euch der alllmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Verzeichnis der Mäder-Schriften
1. Feuer vom Himmel 1912
2. Der katholische Radikalismus 1916
3. Wenn Paulus wieder käme 1917
4. Rom oder Wittenberg 1917
5. Die Ganzen 1919
6. Gedanken eines Reaktionärs 1921
7. Ich bin katholisch 1923
8. Im Angesicht des Allerhöchsten 1926
9. Es lebe Jesus 1925
10. Es lebe Jesus der König (Erweiterung von Nr. 9) 1926
11. Katholische Aktion 1927
12. Ein grosses Geheimnis 1931
13. Johannes Bosco, der Führer 1934
14. Christus, der grosse Monarch 1934
15. Maria siegt 1935
16. Nicht kommunistisch, aber katholisch 1937
17. Zurück zur Messe 1937
18. Die Zeit ist nahe 1939
19. Blut und Rasse 1939
20. Mit Maria in die neue Zeit 1939
21. Der schwarze Punkt im Weltall 1940
22. Diasporabilder 1941
23. Die Wiedergeburt des Abendlandes 1941
24. Warum bleibe ich katholisch 1944
25. Stalin oder Franziskus 1944
26. Wenn die Kommunisten kommen 1945
27. Kleinschriften, entstanden 1941-1944
a) Hier ist loderndes Feuer
b) An euch ists, Dämme aufzurichten
c) Milliarden von Gottesbeweisen
d) Dynamit unter dem Schweizerhaus
e) Die neue Eidgenossenschaft
f) Zur Kommunionkrise
g) Vom Apostolat der Liebe
h) Der Mann mit dem halben Mantel
i) Die letzte Messe des Christen
k) Das neue Gebet
l) Das letzte Wort
m) Die vierte Armee
n) Die Mutter ist schön
o) Im Kampf um Gottesrecht
p) Das Geheimnis vom menschlichen Leibe
28. Bernadot-Mäder (Aus dem Französischen übersetzt):
Maria und ich
29. „Die Schildwache“ (zitiert SW)
Jahrgang 1913/14 bis 1944/45 (1925/1940)
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