PDF drucken SendenMerken 02.10.1957

LEPPICH
Das Weib muß weg

Der Jesuitenpater Johannes Leppich, der seinen Ruhm als Westentaschen-Savonarola vornehmlich seinem vulgären Vokabular („Komm her, du Schweinehund“) verdankt, hat jüngst erneut bewiesen, daß in seinen Augen ein heiliger Zweck, so wie er ihn versteht, jedwedes Mittel rechtfertigt: Der Pater und seine Ordensbrüder hielten es für richtig, eine Lehrerin von ihren Schülern bespitzeln zu lassen.

Objekt dieser christlich-pädagogischen Geheimdienstelei war die Oberstudiendirektorin Dr. Philumene Lehner, die Leiterin des Deutschen Gymnasiums in Aschaffenburg. Dr. Lehner hatte es gewagt, an Pater Leppich Kritik zu üben.

Anlaß dazu boten des stimmstarken Paters Auslassungen über die Lepra-Kranken, die Leppich in seinem bewährten Brutal-Stil auf die Glaubenden Aschaffenburgs niederprasseln ließ: „Die heidnischen Priester lassen die Kranken verrecken … Wir Christen müssen helfen … Indien schreit nach euch … Schwester, was tust du hier? Melde dich nach Indien, anstatt blasierte höhere Töchter zu erziehen!“

Zu solchen und ähnlichen Verkündungen Leppichs meinte die Oberstudiendirektorin einige Anmerkungen machen zu sollen, und zwar gegenüber den Schülerinnen und Schülern der neunten Klasse des Deutschen Gymnasiums, die gerade ihr Abitur bestanden hatten und bis zu den Ferien noch zur Schule kommen mußten.

In ihrer letzten Geschichtsstunde legte also die Oberstudiendirektorin der Abiturienten-Klasse dar, daß beispielsweise Leppichs Behauptung, „die heidnischen Priester lassen die (Lepra-)Kranken verrecken“, insofern nicht zutreffend sei, als die indischen Bettelmönche mangels finanzieller Mittel in der Regel nicht einmal den einen Dollar aufbringen könnten, den der Jesuit als ausreichend für die Heilung eines Lepra-Kranken bezeichnet hatte.

Dr. Philumene Lehner nannte den Lepra-Leppich deshalb einen Demagogen und, mit einem Hinweis auf seine vulgären Formulierungen, einen Redner der Gosse. Die Oberstudiendirektorin verhehlte der Klasse auch nicht, daß weder der ganze Jesuiten-Orden, noch die höhere katholische Geistlichkeit die Praktiken des Johannes Leppich uneingeschränkt billigen. An Hand von Beispielen erklärte Dr. Lehner schließlich einzelne Leppichsche Behauptungen für unlogisch, irreal oder gar unwahr.

Daß diese Qualifizierung Leppichscher Tiraden viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, bewies der Pater noch während seiner Vortragsabende in Aschaffenburg. Er hatte nämlich – wie stets blindwütig nach allen Selten um sich schlagend – in seinem Vortrag auch einige Dinge hinausgeschrien, die vermutlich seinen Gesinnungsfreunden nicht gut in den Ohren klangen, zum Beispiel: „Der Mann (nämlich der Bundeskanzler) steht vor dem Tode …“ Oder: „Da sind auch die großen Kanonen, die in Bonn sitzen und etwas von der Unfehlbarkeit des Papstes für ihr politisches Blindgängertum profitieren möchten.“

Als der Pater seine Sprüche anderntags wörtlich In der „Aschaffenburger Zeitung“ nachlesen konnte, schien es ihm doch besser, seine Äußerungen rundweg abzustreiten und den Berichterstatter damit der Unwahrheit zu bezichtigen. Was davon zu halten war, stand wiederum in der Zeitung: Die Redaktion teilte mit, daß sie die ganze Rede auf Tonband aufgenommen habe und bereit sei, jeden beliebigen Abschnitt der Rede wörtlich vom Tonband nachzudrucken.

Doch das wünschte der Pater nun auch wieder nicht. Er war mit wichtigeren Dingen beschäftigt, nämlich mit Dr. Philumene Lehner, deren kritische Äußerungen vor der Abiturienten-Klasse ihm sofort hinterbracht worden waren.

Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Am Abend desselben Tages gellte Johannes Leppich vor 15 000 Zuhörern auf der Großmutterwiese im Zentrum der Stadt: „Wenn sie das gesagt hat, muß sie weg. Kommt her, ihr Mädchen, das nächste Jahr macht ihr bei mir Abitur.“ Und am nächsten Morgen tobte der Jesuitenpater von der Kanzel der Stiftskirche: „Ich betrete Aschaffenburg nicht mehr, solange dieses Weib hier ist. Die Aschaffenburger können sich berühmt machen, wenn sie dieses Weib wegbringen.“

Nun hätte es Philumene Lehner, die den Johannes Leppich kritisiert hatte, nicht sonderlich gestört, daß der Pater seinerseits auch an ihr Kritik übte, wären nicht Quelle und Ausgangspunkt der Leppichschen Attacken Anlaß zu einiger Besorgnis gewesen. Leppich hatte nämlich behaupttet, die Oberstudiendirektorin habe zu den Abiturienten gesagt: „Was gehen uns die Inder an, die können alle verrecken.“

Dr. Philumene Lehner erinnert sich genau daran, daß ihr ein solches Ausgleiten in Leppichsche Terminologie nicht unterlaufen ist. Bei ihren Nachforschungen, wer dem Pater Leppich ihre Bettelmönchtheorie in so entstellter Form hinterbracht haben könnte, stieß sie auf den Abiturienten Rüdiger Kleine, 21, der jedoch an jener Geschichtsstunde überhaupt nicht teilgenommen hatte. Kleine, der im Schülerbogen als „labil in seinem sittlichen Verhalten“ charakterisiert wird, hatte unter seinen Klassenkameraden herumgehorcht, das Erlauschte schriftlich fixiert und es dem Pater Leppich noch am gleichen Tage zugestellt.

Während Johannes Leppich von der Kanzel der Stiftskirche gegen die Oberstudiendirektorin wetterte, flatterten auf die Straßen der Stadt hektographierte Flugblätter nieder. Der Schulleiterin wurde darin nicht nur das Wort von den Indern, die verrecken könnten, unterschoben, es hieß auch, sie habe den Pater einen „großen Lügner“ genannt. Das Pamphlet schloß: „Weg mit solch‘ unmöglichen Erziehern! Weg mit Dr. Lehner!“ Die Unterschrift: „Junge Aschaffenburger.“

Philumene Lehner, die den Leppich nie einen großen Lügner genannt hat zweifelt daran, daß hinter dem Flugblatt-Unternehmen wirklich nur junge Aschaffenburger stecken. Die Oberstudiendirektorin weiß sehr wohl, daß ihr auch erwachsene Aschaffenburger wegen ihres gegenwartsbezogenen Geschichtsunterrichts wenig gewogen sind – sie hatte vor der Abiturienten-Klasse wiederholt beanstandet, daß die Religion zu Zwecken der Wahlpropaganda mißbraucht wird; auch die Verbindung von Kirchentagungen oder Pilgerwallfahrten mit CSU-Kundgebungen war von der Lehrerin mehrfach gerügt worden.

Damals hatte sich der Jesuiten-Orden veranlaßt gesehen, die Lehrerin auf seine Weise bespitzeln zu lassen. Philumene Lehner erfuhr davon durch den Oberprimaner Leodegar Heck, 23, der eines Tages zu ihr kam und berichtete: „Die Jesuiten können Sie nicht leiden. Pater Schulz hat mich schon vor längerer Zeit beauftragt, Sie im Unterricht zu bespitzeln, worauf ich sagte, daß ich kein Verräter sei. Ich ging von da ab nicht mehr in die Marianische Kongregation.“

Leodegar Heck meldete sich bei Dr. Lehner nach Pater Leppichs Kanzelpredigt erneut: Jesuiten-Superior Heinrich Schulz habe ihn zu sich kommen lassen, damit er eine Erklärung gegen die Oberstudiendirektorin unterschreibe. Schulz: „Bist du nicht der Meinung, daß sie weg muß?“ Heck: „Nein.“ Schulz: „Du bist doch Abiturient, du bist frei und brauchst nicht mehr aufzupassen.“ Heck entwich bedrückt zu seiner Geschichtslehrerin.

Philumene Lehner rief den Superior Schulz an, der seine Praktiken offenbar für ganz normal hielt. Jedenfalls gab er ohne Scheu zu, er habe den Schüler beauftragt, sich während des Unterrichts Notizen zu machen, falls Dr. Lehner „etwas Ungehöriges“ sagen sollte.

Im Aschaffenburger Jesuiten-Haus, dem der Pater Schulz vorsteht, erreichte die Direktorin fernmündlich auch den Johannes Leppich. Noch ehe sie ihm mitteilen konnte, daß ihm Unwahrheiten hinterbracht worden seien, brüllte der Pater ins Telephon: „Ich werde dafür sorgen, daß Sie keine Minute mehr Ruhe haben.“

Das tat er dann auch: Wenige Tage später traf im bayerischen Kultusministerium eine von 17 Personen signierte Beschwerde gegen die Direktorin ein, in der von Katheder-Mißbrauch die Rede war Ihr Unterricht sei einseitig gefärbt und reiße die Kinder „fortwährend in Gewissenskonflikte und innere Zwiespältigkeiten hinein“. Philumene Lehner: „Wie soll ich die Jugend zur Selbständigkeit und Unterscheidung erziehen, wenn ich nur das doziere, was augenblicklich die gemachte Meinung ist? Dann sind wir wieder bei der Methode des Nationalsozialismus angelangt.“

Dr. Lehner hat in dieser Hinsicht durchaus Erfahrung. In den Jahren zwischen 1933 und 1945 war sie der Obrigkeit mehrfach aufgefallen, weil sie Ansichten vertrat, die nicht der erwünschten Meinung entsprachen. Schließlich wurde ihr sogar untersagt, Geschichtsunterricht zu erteilen.

Während die Aschaffenburger Stadtpolizei noch nach den Verfertigern des gegen Dr. Lehner gerichteten Flugblattes fahndete, ließen die Schüler der angefeindeten Lehrerin in der örtlichen Zeitung wissen, was sie von den Angriffen auf Dr. Lehner halten: „Wir finden es durchaus in der Ordnung, daß ein Geschichtslehrer zu politischen und Tagesproblemen Stellung nimmt, und wir begrüßen es sogar, daß ein Lehrer seine persönliche Meinung zu den verschiedensten Streitfragen freimütig äußert … Was der größte Teil der Klasse ablehnt, ist jede Bespitzelung, ganz gleich, ob sie von Einzelpersonen oder organisierten Kreisen ausgeht. Wir sind der Meinung, daß dadurch die Atmosphäre einer Schule in unheilvoller Weise vergiftet wird.

„Nachdem die Indien-Aktion Pater Leppichs wiederum erwähnt wurde, wollen wir richtigstellen, daß überhaupt keine abfällige Bemerkung darüber gefallen ist … Der Großteil der Klasse sieht auch die Art und Weise für unfair an, wie kritische Äußerungen von Frau Oberstudiendirektor Dr. Lehner auf bloßes Hörensagen hin in die Öffentlichkeit getragen und wie sie dort teilweise stark entstellt weiterverbreitet wurden.“

Philumene Lehner wundert sich nicht sehr, daß die geheimen und offenen Angriffe gegen sie erst aus den letzten Jahren datieren. Bis in das Jahr 1952 hinein hatte niemand etwas an ihrem Unterricht auszusetzen gehabt. Damals gehörte die Lehrerin allerdings noch der CSU an, in die sie 1945 eingetreten war und die sie sieben Jahre später verließ.

Wanderprediger Leppich, Zuhörer: „Schwester, was tust du hier?“

Leppich-Verfolgte Philumene Lehner Spitzel in der Klasse

DER SPIEGEL 40/1957

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