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Die Piraten und das rechte Gespenst
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All dies hat mit wünschenswerter Deutlichkeit Piraten-Fräulein Julia Schramm in einem im „poststrukturalistischen“ Jargon abgefaßten Artikel zum Ausdruck gebracht. Der „Diskurs“, der angeblich „den Holocaust ermöglichte und uns auch geprägt hat“, habe etwa folgende Bestandteile:

•Dass es eine natürliche Ordnung gibt, die Menschen befolgen sollten (Hierarchien, etc.)
•Dass es ein deutsches Volk gibt, was eine Art Einheit darstellt/darstellen soll, welche auf der Sprache und der Kultur basiert (Angeschlossen daran: die Nation retten, erneuern, wiederbeleben; deutsches Volk als unterdrücktes Volk, das sich befreien muss, etc.)
•Dass es menschliche Rassen gibt und das Menschen auf Grund ihrer “Rassenzugehörigkeit” gewisse Eigenschaften haben und dass es “überlegene Rassen” gibt
•Dass es Menschen gibt, die überflüssig sind, zB Arbeitslose
•Dass es “gesunde” und “ungesunde” Menschen gibt, die, im Sinne der “Volksgesundheit” eine gewisse Behandlung erfordern (Fettleibigkeit und psychische Abweichungen vom Normzustand zB)
•Dass es einen richtigen Lebensentwurf gibt, an den sich Menschen anzupassen haben
•Dass Homosexuelle “krank”, “komisch”, “unnatürlich”, etc. sind
•Dass Intelligenz genetisch bedingt ist und über den Status in der Gesellschaft entscheiden soll
•Dass Frauen und Männer binär zu trennen sind, gewisse Eigenschaften auf Grund ihres biologischen Geschlechts haben und diese Eigenschaften ihnen einen definierten Platz in der Gesellschaft geben
•Dass es “die da oben” gibt – seien es nun “Bankster”, Juden (meist ja eh das gleiche in den Köpfen derer -.-), etc. die es zu “beseitigen” gilt
•Metapunkt: Gewalt als legitime Form der Durchsetzung dieser Haltungen bzw. Notwendigkeit
Jeder dieser Punkte sei nun „für sich eine hochproblematische Haltung“ und bedeutete einen „Baustein im ‚Nazi-denken’‘“, das auch aus den Köpfen der Piraten gründlich geputzt werden müsse. Da gibt es viel zu tun für die Neopuritaner, denn es gibt wohl nur sehr wenige Menschen mit allen Tassen im Schrank, die nicht mindestens einen dieser Punkte für richtig halten. Manche der angeführten Punkte gar haben mit bloßen Meinungen nichts zu tun; sie beschreiben empirische Tatsachen und wissenschaftlich gesicherte Fakten. Andere wiederum würden schon ganz anders aussehen, wenn man sie ergänzt und differenzierter und präziser formuliert (wer bitte behauptet etwa, daß Männer und Frauen „binär zu trennen sind“? Und was soll das eigentlich bedeuten?) . Aber die Dummen können sich zum Holzschnitt, den sie im Kopf tragen, eben immer nur einen komplementären Holschnitt vorstellen, nicht aber eine Federzeichnung.

Wenn es nun nach Julia Schramm ginge, dann wäre es ein „Mißbrauch“ der Meinungsfreiheit, „auch nur einen dieser obigen Punkte als validen Diskussionsaspekt zu adeln.“ Nun, dann bleibt freilich nicht mehr vieles übrig, worüber man geteilter Meinung sein kann. Langweilig muß einem dabei trotzdem nicht werden, denn dann bleibt immer noch das Vergnügen übrig, die Abweichler von der reinen Lehre zu verfolgen und mundtot zu machen. Man sollte aber nicht vergessen, sich selbst in unaufhörlicher Gewissensprüfung von der Sünde „diskriminierender“ Gedanken zu reinigen. Im Jargon von Julia Schramm könnte ich nun genauso sagen, das sei „ein Diskurs, der die stalinistischen Säuberungen und den Gulag ermöglichte“ und damit „zu dem größten Verbrechen aller Zeiten“ (GRÖVAZ?) führte, und das wäre nicht einmal ganz falsch.

Wir können es aber auch eine Nummer kleiner haben. Schramms Punktekatalog spitzt im Grunde nur das Weltbild der herrschenden gesellschaftlichen Ideologie zu, und die Piraten sind weit entfernt davon, eine echte Opposition oder Gegenkraft zu sein, ganz im Gegenteil. Solange diese Ideologie aber herrscht, wird sie die Wirklichkeit als schlechtes Gewissen, als Gespenst und als Schatten verfolgen.

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