Eine Sprachregulierung: Was ist „faschistisch“?
von Cautes Marinetti, Freitag, 19. November 2010 um 15:18 ·
Von Erik Ritter von Kuehnelt-Leddihn

Der Faschismus ist die auf eine totale Staatsautorität zielende italienische Bewegung, die ihren Namen von einer ursprünglich mittelitalienischen linken Bauernbewegung des 19. Jahr-hundert bezog. Mussolini hatte in Trient wahrscheinlich durch den später hingerichteten sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Cesare Battisti von der Ideologie der in Wien parlamentarisch vertretenen tschechischen Nationalsozialisten erfahren. Diese Schilderung hatte ihn dann zur Niederschrift seines Buches über den Inspirator dieser Partei, Jan Hus, verleitet. Es sei vermerkt, die fasces, die Liktorenbündel, ein republikanisches Symbol sind, das auch im großen Wappen der Vereinigten Staaten und der Französischen Republik aufscheint. Die Wendung Mussolinis zur Monarchie kam sehr halbherzig erst im letzten Augenblick vor der Machtergreifung, also knapp vor dem legendären „Marsch auf Rom“.
Zweifellos hat der Faschismus einen nationalsozialistischen Aspekt, doch ist der dem tschechischen nachfolgende deutsche Nationalsozialismus die ältere Bewegung. Kein Zweifel: Die tschechische Wurzel ist eine gemeinsame, aber dennoch ist es völlig unzulässig, den Ausdruck „Faschismus“ für den deutschen Nationalsozialismus zu verwenden. Dies aber dennoch zu tun folgt einer sowjetischen Sprachverordnung – wer sich dieser beugt, sollte uns allen höchst verdächtig sein. Der Unterschied zwischen Faschismus und Nationalsozialismus ist so groß wie der zwischen SPD und Roten Khmer, und dies obwohl beide ohne gemeinsame Vaterschaft von Karl Marx nicht denkbar sind. Helmut Schmidt würde sich bedanken, ein Bolschewik oder Pol Pot ein Sozialdemokrat genannt zu werden – ungeachtet des Umstands, daß sich Lenin nur in seinen letzten sechs Lebensjahren nicht mehr als Sozialdemokraten bezeichnete.
„Nationalsozialist“ ist ein bedeutend längeres Wort als „Faschist“, daher unhandlicher, während das Wort „Nazi“, ursprünglich die austro-bajuwarische Abkürzung für Ignaz von den Nationalsozialisten selbst verwendet wurde. Die Auseinandersetzung des Weltkommunismus mit den totalitären Konkurrenzsystemen begann mit dem italienischen Faschismus, der zwar später als der Nationalsozialismus geboren wurde, jedoch schon früher zur Macht gekommen war, als man in Verkennung der geistigen Qualitäten des lieben Volkes den Nationalsozialismus noch für einen üblen Scherz hielt.
Die offizielle kommunistische Definiton des Faschismus lautete: „Der Faschismus ist die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ So das Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale im Dezember 1933. In der Zwangsjacke der marxistischen Primitivität mußte man dem neuen, sehr unangenehmen und unvorhergesehenen Phänomen eine materialistische Deutung geben. Sie war so falsch, daß sie fast augenblicklich einleuchtete und Erfolg hatte.
Es sind natürlich zahlreiche Parallelen zwischen dem Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus vorhanden, wie zwischen allen linken Parteiungen und Ideologien wie ja schließlich auch zwischen dem Nationalsozialismus und dem Internationalsozialismus . Da ist der Haß der beiden Diktatoren auf das „bourgeoise“ Element und auf den Adel. Dieser beruhte allerdings auf Gegenseitigkeit. Da ist die Ablehnung der Plutokratie, verbunden mit dem Proletarismus, die Betonung des Sozialen, die selbst der Kommunistenführer Palmiro Togliatti gelobt hatte, vor allem aber der linke Charakter der beiden Parteien, den besonders der Biograph des Duce, Renzo de Felice, zur Wut der heutigen italienischen Linken scharf herausgearbeitet hat. Beide, Hitler und Mussolini, waren selbstverständlich auch Feinde der Monarchie, jeder auf seine Weise. Doch war Hitler ein wirklicher Führer und Vollblutdemagoge. Mussolini hingegen ein typischer italienischer Politiker und, anders als Hitler, ein echter Revoluzzer. Mussolini war wie Hitler ein Sozialist im weiteren Sinne des Wortes und eben nicht nur „sozial denkend“. Als ihn die Partisanen bei Dongo faßten, schrien sie ihm, dem Gründer der Republica Sociale Italiana, zu: „Warum hast du den Sozialismus verraten?“ Einem scharfen Beobachter fiel die Dyarchie von Krone und Liktorenbündel der Jahre 1922-1943 doch nur als Zwischenspiel im Leben Mussolinis auf.
Auch Julius Evola, ein brillianter, wenn auch perverser Denker der heidnischen Rechten, betrachtete den Faschismus als eine Bewegung der Linken, die nichts mit der wahren Rechten zu tun hatte. Schließlich bekräftigte Mussolini in seinem Artikel, den er eigens für die Enciclopedia Italiana geschrieben hatte, daß er für den Konservativismus nichts übrig habe. Seine Lehrmeister waren nach eigener Aussage Sorel, Péguy, Lagardelle, Nietzsche, aber mit Betonung nicht de Maistre. Im Zentrum seiner Ideologie befand sich jedoch nicht das Volk, nicht eine Rasse oder Klasse, sondern der Staat. Darin unterschied sich der Faschismus radikal vom Nationalsozialismus. Und nicht Mussolini, sondern Hitler hatte ein fürchterliches Blatt in der Weltgeschichte umgeschlagen.
Schon daher fragt man sich, ob man sehr allgemein von einem faschistischen Phänomen „global“ sprechen darf. Weder die rumänische „Eiserne Garde“ noch die spanische Phalange oder gar der Nationalsozialismus sind „Faschismen“. Professor Gregor bezweifelt übrigens, daß der Faschismus wirklich definierbar sei. Gerade deshalb bestünde die Gefahr, daß er je nach Laune als Gummiwort verwendet wird. Renzo de Felice, der große, den italienischen Sozialdemokraten nahestehende Fachmann, sieht zwischen dem Faschismus und dem Nationalsozialismus radikale Unterschiede. Auch Hanna Ahrend war derselben Meinung. Brüning bekräftigte Pius XI. gegenüber, daß beide Bewegungen völlig verschieden seien.
Sicherlich spielte dabei der Umstand eine Rolle, daß der Faschismus eben nicht deutsch, sondern italienisch geprägt war: Die italienische und katholische Humanitas dämpfte diesen totalitären Etatismus. Nicht unbeteiligt am Aufstieg des Faschismus war auch ein südliches Minderwertigkeitsgefühl dem Norden gegenüber: Militärisch, industriell, organisatorisch, finanziell und auch disziplinär empfindet sich der Süden in der Regel dem Norden unterlegen. Das gilt nicht nur für Europa, sondern auch für andere Erdteile, wobei in der südlichen Hemisphäre diese Sachlage umgekehrt ist.
Auch ein anderer Faktor muß erwähnt werden: die langanhaltende innere Krise des italienischen Charakters. Die „Schattenseiten“ des italienischen Charakters sind keineswegs so dunkel wie man oft glaubt. Auschwitz wäre in Italien undenkbar gewesen. Als Italiens Eintritt in den Zweiten Weltkrieg drohte, schrieb der Liberale Francesco Nitti Mussolini scharfe Briefe aus dem Exil. Wer könnte sich vorstellen, daß sich im August 1939 Thomas Mann oder Bert Brecht schriftlich an Hitler gewandt hätten?
Lange Zeit hindurch war der Faschismus in Europa keineswegs verfemt: Bis zum Kriegsausbruch wurde in Italien, wo die Todesstrafe praktisch abgeschafft war, fast niemand hingerichtet. In den politischen Prozessen wurden immer wieder Freisprüche gefällt. Und Mussolini? Ein politischer Condottiere, aber kein Ungeheuer. Seine Bindung zur Kirche hatte der einmal wild antiklerikale Mussolini nie ganz aufgegeben: Der Papst blieb für ihn der Papst und im Schatten des Todes betete er für die Seinen und bekräftigte in einem Brief an seine Frau seinen Glauben an das Ewige Leben. Man darf sich also gar nicht wundern, daß sich sowohl Liberale wie auch Sozialisten voll Bewunderung für den Faschismus aussprachen – Männer wie der liberale Leader Lloyd George, der auch Hitler anhimmelte, wie auch Shaw, der daraufhin von Friedrich Adler wütend angegriffen wurde. Die Züge in Italien waren wieder pünktlich, die Mafia lebte im Untergrund nur recht prekär weiter, die faschistische Partei erwies sich als eine noch nie dagewesene Aufsteigeleiter für die unteren Volksschichten, die Frauen wurden emanzipiert, die Modernität zog mit dem Faschismus in Italien ein.
Und heute ist es doch tatsächlich so, daß durch Terror und Kriminalität in Italien jährlich viel mehr Menschen zugrunde gehen, als in den Jahren 1922-1940. Die Korruption, nie sehr gering, ist ins Unermeßliche gestiegen. Manche vermissen einen König, der dereinst den Diktator in einer Ambulanz abserviert hatte. Die Krone? Sie wurde durch ein Plebiszit mit knapper Mehrheit abgeschafft: Selbstverständlich mit den Stimmen der Kommunisten und gegen die Stimmen der meisten Liberalen.
Doch in deutschen Landen wird das Schimpfwort „Faschismus“ in der Regel im Sinne einer sowjetischen Vorschrift gebraucht, die den Terminus „Nationalsozialismus“ tabuisiert. Hier gilt die Warnung des Konfuzius: Staat und Gesellschaft gehen zugrunde, wenn der Sinn der Worte entstellt wird.
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