Autorenportrait
Konrad Lorenz
»Freuds Aggressionslehre und die Verhaltensforschung von Lorenz werden neuerdings immer häufiger für die Entwicklung einer konservativen
Gesellschaftstheorie herangezogen«, konstatierte Der Spiegel im Jahr
1971 irritiert. Damals, als in der BRD der Siegeszug des Vulgärmarxismus durch die Institutionen anhub, hätten eigentlich »die Ergebnisse der
Verhaltensforschung (Ethologie) eine gründliche Verunsicherung all jener
bewirkt haben« müssen, »deren Vorstellungen sich noch immer in den
überkommenen Denkschemata des 19. Jahrhunderts bewegen.«
Diese Hoffnung äußerten hier nicht Konservative, sondern die jungen Vertreter eines akademischen »Neuen Nationalismus«: Mit den biologischen Wissenschaften sollte den auftrumpfenden Neomarxisten gesellschaftstheoretisch der Wind aus den Segeln genommen werden. Das Vertrauen auf eine ernüchternde Wirkung der Verhaltensbiologie auf die westdeutsche Linke, auf entsprechende Lernprozesse und damit auch die Aufwertung der eigenen Position war illusorisch, was im Rückblick nicht überrascht. Der Ansatz, sich im geteilten Deutschland gleichermaßen von einer
»alten«, konservativen Rechten und einer theoretisch überholten Linken als
blockfreier »neuer« Nationalismus mittels Rekurs auf jüngste naturwissenschaftliche Erkenntnisse abzusetzen, erschien unzeitgemäß. Die politische
Gesäßgeographie des 19. Jahrhunderts ist, weil herrschaftstechnisch bislang bewährt, in Deutschland stabil, die Linke blieb in ihrem Menschenbild
einem ideologischen Behaviorismus verhaftet, sie bewegte sich geistig nicht.
Dabei sind Überlegungen und Motive jener nationalistischen Intellektuellen
bedenkenswert, zumal sie sich mit Konrad Lorenz eines Kronzeugen versicherten, den der Spiegel (das »Sturmgeschütz der Demokratie«) damals
nicht abschoß, sondern vielmehr zum »Einstein der Tierseele« adelte.
von Adolph Przybyszewski
Gert Waldmann: Verhaltensforschung und Politik,
in: Junge Kritik 3: Europäischer Nationalismus
ist Fortschritt, Hamburg
1973, S. 17-47.
Thema | Sezession 28 · Februar 20093
Daß Lorenz 1973 zusammen mit seinen Kollegen Nikolaas Tinbergen und Karl von Frisch der Nobelpreis für Medizin oder Physiologie verliehen wurde, belegte die wissenschaftliche Bedeutung der Verhaltensbiologie gleichsam amtlich. Es war keineswegs ein Mißverständnis, daß die
unorthodoxen Nationalisten meinten, auf Lorenz und die Verhaltensforschung setzen zu können, denn der seinerzeit ungemein populäre Ethologe selbst vertrat ohne Scheu politische Ansichten, die er mit seinen Forschungen begründete und dem zunehmend linksliberalen Zeitgeist entgegenstellte. Wenn er gegen die »pseudodemokratische Doktrin« wetterte,
»daß der Mensch ein unbegrenzt modifizierbares Erzeugnis seiner Umgebung sei«, wenn er beklagte, daß diese Doktrin »eine überragende politische Bedeutung erlangt« habe, liegt angesichts gegenwärtiger Debatten um gender mainstreaming und die Deformation des Bildungswesens
sein anhaltender Provokationswert auf der Hand. »Begreiflicherweise«,
so Lorenz 1971, müsse »diese Lehre allen jenen höchst willkommen sein,
in deren Interesse und Absicht es liegt, große Menschenmassen gezielt
zu manipulieren, und deshalb ist die pseudodemokratische Doktrin, von
amerikanischen, russischen und chinesischen Machthabern in merkwürdiger Einmütigkeit vertreten, beinahe zur Weltreligion geworden.« In
Konrad Lorenz begegnet also nicht nur ein Klassiker der modernen Biologie, sondern auch ein streitbarer Geist, dem es wie wenigen anderen gegeben war, wesentliche Einsichten seiner Forschung einer breiteren Öffentlichkeit fesselnd darzubieten. Da der Verhaltensbiologe von der Bedeutung seiner Wissenschaft für eine adäquate Erkenntnis der eigenen Lage
durchdrungen war und er diese Lage für ernst hielt, wollte er über den Elfenbeinturm reiner Forschung hinaus wirken: Er werde deshalb langsam
zum »Prediger«, schrieb er damals dem befreundeten Schriftsteller Carl
Zuckmayer. Es ging ihm nicht nur um die Benennung konkreter Miß-
stände, sondern stets auch um eine grundlegende Aufklärung im kantischen Sinn, die vor allem die Fähigkeit und den Mut fordert, den eigenen
Verstand zu gebrauchen. Auch deshalb wurde Lorenz einer der Väter jener modernen evolutionären Erkenntnistheorie, die die menschliche Kognition evolutionstheoretisch zu verstehen und dabei diverse Disziplinen
zu integrieren sucht. Wenn auch manche Forschungspositionen und -konzepte inzwischen fachwissenschaftlich überholt sind, bleibt Konrad Lorenz mit seinem geistigen Habitus, aber auch mit zentralen seiner Befunde
neben Arnold Gehlen der wohl bedeutendste anthropologische Denker
jenes »realistischen« Spektrums, das man in Deutschland seit jeher eher
»rechts« denn »links« verortet hat.
Geboren wurde Lorenz 1903 in Altenberg bei Wien, nahe dem imperialen Zentrum der k.u.k. Doppelmonarchie, und ebendort, nahe der
Hauptstadt der zweiten österreichischen Republik, starb er 1989. Dazwischen wurde Geschichte gemacht, der auch er sich nicht entziehen konnte
und wollte. Als zweiter Sohn des international renommierten Arztes Adolf
Lorenz, eines Pioniers der modernen chirurgischen Orthopädie, wuchs
Konrad Lorenz im großbürgerlichen Wiener Milieu auf, zu dem nicht nur
ein mondäner Kosmopolitismus, sondern auch eine einzigartige Verdichtung künstlerischer wie wissenschaftlicher Intelligenz gehörte. Spielkamerad in Kindheitstagen etwa war Karl Popper, der spätere Begründer eines »kritischen Rationalismus«, mit dem er erst ein Lebensalter später als
Wissenschaftler wieder zusammentreffen sollte. Ein Studium der Medizin
beendete Lorenz 1928 mit Promotion in Wien, inzwischen Hauptstadt
der ersten österreichischen Republik, war dann als Assistent an einem der
dortigen anatomischen Institute tätig, während er sich nebenher vor allem mit zoologischen Forschungen beschäftigte. Entscheidend für seine
weitere Entwicklung wurde die Begegnung mit dem Ornithologen Oskar
Heinroth, einem Verhaltensforscher avant la lettre, den Lorenz zeitlebens
als seinen »großen Lehrer« verehrte. 1933 promovierte der Mediziner als
Zoologe und habilitierte sich bald: Schon 1937 erhielt er die Venia legendi
für Zoologie mit besonderer Berücksichtigung der vergleichenden Anatomie und Tierpsychologie an der Wiener Universität.
Lorenz, der sich in den 1920er Jahren auch als Motorradrennfahrer versucht hatte, lebte jetzt ganz seiner ethologischen Forschung, die
indessen auf wenig Gegenliebe stieß. Nach einem heftigen Bürgerkrieg
zwischen austrofaschistischen Heimwehren auf der einen, Sozialdemokraten und Kommunisten auf der anderen Seite hatte sich in Österreich
Konrad Lorenz: Ein Biologe
widerlegt moderne
politische Schulen, in:
Das Tier 11 (1971), Nr. 7.
Hanna-Maria Zippelius:
Die vermessene Theorie.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der
Instinkttheorie von
Konrad Lorenz und
verhaltenskundlicher
Forschungspraxis,
Braunschweig 1992.
Klaus Taschwer, Benedikt
Föger: Konrad Lorenz.
Biographie, Wien 2003.
Przybyszewski – Lorenz4
ein von Mussolini unterstütztes autoritäres System als »Bundesstaat« an
Stelle der Republik fest etabliert. Da
dieser Austrofaschismus die Bemü-
hungen der römisch-katholischen Kirche um eine Rekatholisierung der Gesellschaft unterstützte, waren die Aussichten für eine Forschung, die Charles
Darwin verpflichtet war, in Österreich
nicht allzu rosig. Im nationalsozialistischen Deutschen Reich dagegen schien
man biologischen Forschungen offenkundig aufgeschlossen, wenn auch
zum Teil aus ideologischen Mißverständnissen heraus. Als der Kleinstaat
1938 durch Hitler mit dem Reich fusioniert wurde, in der Folge mancher
jüdische und politisch nicht konforme
Kollege entlassen wurde, versuchte
Konrad Lorenz sogleich, die für ihn
und seine Forschungsrichtung günstige neue Konstellation bedenkenlos
und zielstrebig zu nutzen. Schon seine
Pläne in Wien, aber auch alle späteren
Unternehmungen zeigen einen stets
»sehr ehrgeizigen, ebenso anpassungsbereiten, politisch eher naiven, wissenschaftspolitisch aber geschickt agierenden Forscher«. So bemühte er sich
nach dem »Anschluß« schnell um Aufnahme in die NSDAP und eine entsprechende rhetorische Aufrüstung seiner
Forschungspräsentation. Daß er sich dabei als »Deutschdenkenden« bezeichnete und den österreichischen Klerikalfaschismus verdammte, war
gewiß nicht karriere- und antragstechnischen Erwägungen, sondern konkreten historischen Erfahrungen geschuldet, also ernst gemeint. Den im
Friedensvertrag von St. Germain ausdrücklich verbotenen Zusammenschluß Deutschösterreichs, wie es anfangs hieß, mit dem Reich hatte die
Mehrzahl gewollt; bekanntlich war dies, bis 1933, ein Anliegen gerade
der österreichischen Sozialdemokratie gewesen. Auch an eine gewisse
wissenschaftsfreundliche Modernität des nationalen Sozialismus wird
Lorenz wie weltweit viele Naturwissenschaftler tatsächlich geglaubt haben. Jedenfalls sicherten ihm seine Studien über die Haus- und Wildgänse schnell einen exzellenten wissenschaftlichen Ruf: Aufsätze wie die
schon 1935 im Journal für Ornithologie publizierte Studie Der Kumpan in der Umwelt des Vogels oder die 1937 in den Folia Biotheoretica
erschienene Abhandlung Über den Begriff der Instinkthandlung sollten
Marksteine der neuen Verhaltensbiologie bilden. Die Gründung des ersten ethologischen Fachorgans, der Zeitschrift für Tierpsychologie, mit
seinem Kollegen und Förderer Otto Koehler zusammen bewies organisatorische Rührigkeit und sorgte für eine gute Vernetzung in Fachkreisen.
So erhielt er 1940 einen Ruf an die philosophische Fakultät der Königsberger Albertina, auf Betreiben unter anderem Otto Koehlers, aber auch
Arnold Gehlens, dessen Nachfolger auf dem Lehrstuhl Immanuel Kants
er de jure nun wurde.
Schon ein Jahr später, nach Beginn des deutschen Angriffs auf Stalins
Sowjetunion, wurde Konrad Lorenz gezogen und als Heerespsychiater
eingesetzt, bis er 1944 an die Ostfront kam und bei Witebsk verwundet
für vier Jahre in russische Kriegsgefangenschaft geriet. Nach seiner Entlassung kehrte er ins heimatliche Altenberg zurück, wo er 1949 sein erstes
ethologisches Institut gründete. Bemühungen um eine Professur in Österreich scheiterten, doch nahm Tinbergen von Oxford aus Verbindung auf,
während die Max-Planck-Gesellschaft ihm eigens eine Forschungsstelle
für Vergleichende Verhaltensforschung im westfälischen Buldern einrichtete. 1953 folgte eine Honorarprofessur an der Universität Münster, 1957
dasselbe in München; ein Jahr später übernahm er mit Erich von Holst
Przybyszewski – Lorenz
Christian Tilitzki:
Die deutsche Universitätsphilosophie in der
Weimarer Republik
und im Dritten Reich,
Berlin 2002.
Stefan Kühl: Die Internationale der Rassisten. Aufstieg und Niedergang der
internationalen Bewegung
für Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert,
Frankfurt a.M./New York
1997.5
zusammen als dessen Stellvertreter das neue Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie im oberbayerischen Seewiesen, das er schließlich von
1961 an bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1973 leitete.
Wissenschaftshistorisch war eine wesentliche Leistung von Lorenz,
daß er die Tierbeobachtungen zeitgenössischer Zoologen weiter- und zusammengeführt hatte. Dabei entwickelte er eine physiologische Instinkttheorie, die es ihm ermöglichte, das Verhalten unterschiedlicher Tierarten
zu vergleichen und daraufhin zu befragen, ob und welche Verhaltensweisen auf angeborenen, also vererblichen Dispositionen beruhten. Lorenz
übertrug damit einen in der vergleichenden Anatomie geläufigen Zugriff
auf den »psychologischen« Bereich. Gegen die seinerzeit dominierende
Annahme, die komplexen Verhaltensabläufe der Tiere wären reizgesteuert, also rein reaktiv etwa an Umwelteinflüssen ausgerichtet, kam Lorenz
zum Ergebnis, daß es angeborene Verhaltensweisen gab, die dem einzelnen Tier schon vor dem ersten Gebrauch komplett ausgebildet zur Verfügung standen. Solche Verhaltenssequenzen werden nach Lorenz durch
spezifische, in der Wahrnehmungsfähigkeit genetisch verankerte Schlüsselreize ausgelöst und über nervöse Schaltungen zu sinnvollen Abläufen
mit funktionalem Abschluß koordiniert. Mit diesen Theoremen verband
sich sein später gern belächeltes, inzwischen überholtes Denkmodell einer
Triebhydraulik, nach dem eine spontan produzierte Triebenergie so lange
zunimmt, bis sie durch einen per Schlüsselreiz ausgelösten Handlungsablauf abgebaut wird, sobald eine spezifische Reizschwelle überschritten
ist. Lorenz war sich freilich stets des Modellcharakters und der Hypothetik solcher Konzepte bewußt; sein Denkhabitus entsprach ganz dem
Pragmatismus des Kindheitsfreundes Popper, für den Hypothesen – sofern fruchtbar – so lange galten, bis sie theoretisch oder empirisch »falsifiziert«, dann aber auch leidenschaftslos preiszugeben waren. Im Vergleich
exakter Verhaltensprotokolle verwandter und unterschiedlicher Tierarten
wollte Lorenz nun belegen, daß nicht nur körperliche Eigenschaften Ergebnisse stammesgeschichtlicher Prozesse sind, sondern analog auch die
angeborenen Verhaltensweisen, die er stets auf ihre Funktion, ihre konkreten evolutionären Anpassungsleistungen befragte.
Dies führte den Biologen schnell zu philosophischen Fragen und zur
Auseinandersetzung mit einschlägigen Abschnitten von Kants Kritik der
reinen Vernunft. Darin hatte er Raum, Zeit und Kausalität als Anschauungs- und Denkweisen gefaßt, die vor aller Erfahrung – a priori – im
Menschen gegeben seien und diese allererst ermöglichten. Noch in Kö-
nigsberg begann Lorenz 1941 mit der Abhandlung über »Kants Lehre vom
Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie« einen eigenen erkenntnistheoretischen Ansatz zu entwickeln, den er in seinem »Russischen Manuskript« während der Kriegsgefangenschaft fortführte. Ausgangspunkt
war wieder die Annahme, daß der stammesgeschichtlich ausgeformten
Anatomie und ihren Körperfunktionen bei allen Lebewesen angeborene
Dispositionen entsprechen mußten, die individuelle Lernleistungen überhaupt ermöglichten. Demzufolge ist auch das Hirn erst in äonenlanger
Wechselwirkung mit den Umgebungen zu jenem komplexesten menschlichen Organ geworden, das die von Kant analysierten Denkprozesse zuließ. Für Lorenz wurde damit der »apriorische Apparat« Kants zu einem
per Selektion optimal an die entsprechende Umwelt angepaßten stammesgeschichtlichen »a posteriori«.
1973 veröffentlichte er in dem Buch Die Rückseite des Spiegels
eine von diesen frühen Überlegungen ausgehende evolutionäre Erkenntnistheorie und philosophische Anthropologie, die sich auch für neuere
Ansätze offen zeigte, damit selbst anschluß- und ausbaufähig blieb. In
Anlehnung an die Ontologie des heute nur noch Spezialisten bekannten Philosophen Nicolai Hartmann postulierte Konrad Lorenz die »Einheit der realen Welt« als evolutionär entstandenes, in sich geschichtetes
System. Die »Schichtenfolge« Hartmanns, der »das Anorganische, das
Organische, das Seelische und das Geistige« unterschied, stimme, so die
Pointe von Lorenz, »schlicht und einfach mit der Reihenfolge ihrer erdgeschichtlichen Entstehung überein«. Die naturgeschichtlichen Sprünge
zwischen diesen Schichten führte Lorenz systemtheoretisch auf Kombinationseffekte zurück, die er als »Fulgurationen«, als blitzartige Neubildungen, bezeichnete: Wenn sich zwei Systeme mit ihren spezifischen Eigenschaften zu einem neuen zusammenschließen, kann dieses plötzlich
Bernhard Irrgang: Lehrbuch der evolutionären
Erkenntnistheorie. Thesen,
Konzeptionen und Kritik,
München 2001.
Przybyszewski – Lorenz6
Eigenschaften aufweisen, die sich aus den ursprünglich einzeln gegebenen nicht ableiten lassen, wobei deren Systemeigenschaften unverändert
und modifiziert weiterwirken können. So vereint auch der Mensch als
komplexes System und Folge diverser Fulgurationen die Eigenschaften
der naturgeschichtlich früheren Schichten, im Kognitionsapparat ebenso
wie in den stammesgeschichtlich selektierten Verhaltensdispositionen:
»Von Natur ein Kulturwesen« (Eibl-Eibesfeldt), ist er der Reflexion und
symbolischen Kommunikation, der Selbst- und Fremdsteuerung in höchster Abstraktion fähig, doch west in ihm eben auch das territoriale »Thier
Mensch« (Nietzsche), dessen »Aggressionstrieb«, so Lorenz in Das sogenannte Böse (1963), ihm einst das Überleben in feindlicher Umwelt
sicherte, heute aber unter Zivilisationsbedingungen primär schadet. In
seiner Philippika Die acht Todsünden der Menschheit (1973) bewertete
Konrad Lorenz neuere kulturell erzeugte Effekte wie Überbevölkerung,
Umweltschäden, Massenvernichtung von Mensch und Tier, die Zerstö-
rung indigener Kulturen, den drohenden Rückfall hinter die europäische
Aufklärung und die Schrumpfung von Leistungseliten generell als negative Folgen einer »positiven Rückkoppelung« evolutionär ursprünglich
erfolgreicher Dispositionen. Angesichts dessen forderte er um so dringlicher »eine auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen sich aufbauende
Selbsterkenntnis der Kulturmenschheit«. Bereits 1972 hatte er daher
als Sprecher einer »Gruppe Ökologie«, der neben anderen sein Schüler
Irenäus Eibl-Eibesfeldt und der bekannte Zoologe Bernhard Grzimek angehörten, ein »Ökologisches Manifest« veröffentlicht, das lokale Fragen
mit globalen Zusammenhängen wie der Überbevölkerung verband. So
wurde er zu einer – auch aktiven – Symbolfigur der grünen Bewegung in
Österreich: Hier darf man von Lorenz tatsächlich als einem Konservativen sprechen, dem es um die Bewahrung unersetzlicher natürlicher und
kultureller Bestände ging.
Die Kritik der egalitaristischen Linken wiederum entzündete sich an
seiner Überzeugung, daß »auch im sozialen Verhalten des Menschen Instinkthaftes enthalten sei, das durch kulturelle Einwirkungen nicht ver-
ändert werden kann«. Zudem hielt er lebenslang daran fest, daß es eine
gruppenspezifische Erhaltungs- und Fortpflanzungslogik gebe, das Prinzip der »Arterhaltung«, womit auch altruistische Verhaltensweisen plausibel werden sollten. Fachwissenschaftlich wurde dieser frühe evolutionsbiologische Ansatz schon zu seinen Lebzeiten entkräftet: etwa durch
Richard Dawkins The selfish gene (1976) und das Konzept der Verwandtenselektion, das auch Altruismus zu erklären vermag.
Obschon sich Lorenz etwa in seiner Kritik an der »Verhaustierung«
als zivilisatorischer Dekadenzerscheinung immer korrekt auf die ganze
Menschheit als zu erhaltende Art bezog, stellten ihn ehrenamtliche Gedankenpolizisten gern in einschlägige »Kontinuitäten«. Unter Verzicht
auf jede historische Diskursanalyse, die ihren Namen verdiente, operiert man dabei gern mit einschlägigem Reizvokabular der Eugenik, das
aus Lorenz’ frühen Texten exzerpiert und mit Passagen späterer Arbeiten verglichen wird. Eugenische Überlegungen sind zwar durch die moderne Gentechnik unter der Hand längst wieder »Gemeingut« geworden,
was aber deswegen kaum skandalisiert wird, weil deren Begriffe längst
nicht mehr naiv-martialisch wie einst klingen. Gerade deshalb ist hier
darauf hinzuweisen, daß sich Lorenz geistig seinerzeit keineswegs in einem spezifisch nationalsozialistischen Kontext bewegte. Eher stand er in
der Tradition sozialdemokratischen Fortschrittsglaubens: Im Kampf gegen »Lumpenproletariat« und »Lumpenbourgeoisie« zielte dieser darauf,
zum Heil der Menschheit die Fortpflanzung genetisch Belasteter zu unterbinden – bis hin zur »Unfruchtbarmachung der geistig Minderwertigen«. Nach den USA waren es damals ja gerade die sozialdemokratischen
Länder Skandinaviens gewesen, die als erste überhaupt eugenische Gesetze und (Zwangs-)Sterilisation eingeführt und umgesetzt hatten. Die
gelegentlichen Versuche, die Humanethologie in historische Sippenhaft
zu nehmen, haben damit nach allem also teil an jener von Lorenz benannten siebten »Todsünde«, der Indoktrinierbarkeit; sie offenbaren zudem aber auch die Notwendigkeit, das abgebrochene Projekt der europä-
ischen Aufklärung genau hier, mit der Ethologie und den aus ihr erwachsenen neueren Forschungszweigen der Verhaltensökologie und Soziobiologie, wieder aufzunehmen.
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