Verdammte dieser Erde – zur Problematik
des Tierrechts
An der Liebe zum Tier kann man sich erwärmen. Mit ihr ist aber nichts getan – Milliarden von Tieren befinden sich in der Gewalt von
Menschen, führen ein Leben unter Umständen
und in einer Umgebung, welche die Dantesche
Hölle locker in den Schatten stellen. Der australische Moralphilosoph Peter Singer diagnostizierte in seinem 1975 erschienenen Buch Animal Liberation eine der Ausbeutung und Vernutzung zugrundeliegende Diskriminierung der
Tiere durch den Menschen, aufgrund der Spezieszugehörigkeit, den »Speziesismus«, und verglich dies mit Rassismus und Sexismus. Der
Skandal war ihm sicher. Sein von Aufklärung
und Utilitarismus geprägter Ansatz – daß Tiere
in unsere ethischen Überlegungen eingeschlossen werden müssen, da sie wie wir zu Lust und
Unlust fähig sind und ihre Befreiung daher einen
moralischen Fortschritt darstellt – ist bis heute
einer der wichtigsten in der sogenannten Tierethik. Ähnlich argumentiert der Amerikaner Tom
Regan: Bestimmte Tiere besäßen einen Wert an
sich, sollten also auch Rechte genießen, da sie
autonome Wesen mit auf die Zukunft zielenden
Wünschen seien. Beide Autoren werden in den
öffentlichen Debatten in Deutschland, wenn es
um die problematische Behandlung und die Bewertung von Tieren geht, noch immer relativ selten genannt. Selbst in einer gehobenen Sachbuchpublikation wie der von Markus Wild (Tierphilosophie zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag 2008. 232 S., 14.90 €) sind Singer und Regan in nur wenigen Absätzen vertreten – Derrida
und Heidegger scheinen für Tiere mehr zu bieten
zu haben. In vielen Redaktionen und Studierzimmern ist der Begriff »Tierrechte« nicht angekommen. Es wird hartnäckig von Tierschutz gesprochen, was einen an aufopferungsvolle Rentnerinnen denken läßt, die für dringend benötigte Tierheime werbend durch die Straßen ziehen. Tierliebe ist bei uns durchaus gut beleumundet, Tierrechte sind es nicht – ebenso das ernsthafte und
konsequente Nachdenken über das Mensch-TierVerhältnis. Bei Singer und Regan beinhaltet es
politische Konsequenzen, gar juristische, denen
man lieber aus dem Weg geht. Auch auf seiten
der extremen und neueren Linken haben die dort
zum Großteil angesiedelten Tierrechtler und veganen (also unter Verzicht auf jegliche tierische
Produkte lebenden) Aktivisten einen schlechten
Stand: Regelmäßig wird ihnen ein latenter »Faschismus« unterstellt. Erschwerend hinzu kommt
z. B. Peter Singers Nähe zum Gedanken der Euthanasie. Seine hiesigen Veranstaltungen wurden
massiv gestört. Seitdem meidet er Deutschland –
ein Land, das einmal, neben England und den
USA, das fortschrittlichste Land in Sachen Tierethik war. Diskussionen um Tierversuche wurden hitzig geführt, der Vegetarismus war, vor allem durch die Lebensreformbewegung, in weite
Teile der deutschen Gesellschaft vorgedrungen.
Und Deutschland besaß für kurze Zeit das fortschrittlichste Tierschutzgesetz, am 24. November 1933 vom gleichgeschalteten Reichstag verabschiedet. Dieser problematischen Konstellation widmet Daniel Heintz eine interessante
Studie (Tierschutz im Dritten Reich, Müllheim:
Wâra Verlag 2008. 317 S., 19.95 €), die sich erstmals in dieser Breite mit dem Thema beschäftigt – vielleicht weniger kritisch als das heute,
wo die damalige Nähe von Nationalsozialismus
und Tierschutz als Totschlagargument taugt,
sonst der Fall sein dürfte. Bekannt ist, daß Hitler
die Tiere am Herzen lagen, auch wenn das mancher als obszön empfinden mag. Treibende Kraft
auf höchster Ebene für die Sache des Tierschutzes war Hermann Göring. Dabei ging es bei dem
von ihm vorangetriebenen »Reichstierschutzgesetz« nicht allein um ein Verbot des Schächtens
und um eine verstärkte Ausgrenzung der Juden.
Das Gesetz schützte »erstmals und laut amtlicher
Begründung gewollt das Tier nur um seiner selbst
Willen … und nicht aus auf Menschen bezogenen
sittlichen Gründen«. Doch gerade die starke Einschränkung von Tierversuchen durch das Gesetz
wurde bald zurückgenommen. Man befürchtete
internationale Nachteile beim Wettlauf um den
wissenschaftlich-technischen Fortschritt.
Um die ethische und wissenschaftliche Bewertung von Tierversuchen ging es auch im Novon Konrad Roenne
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vember 2008 bei der Debatte um die experimentellen Forschungen an Affen durch den Bremer Hirnforscher Andreas Kreiter, dem kurzzeitig dafür die Erlaubnis verweigert wurde.
Gerade die sogenannte Grundlagenforschung
an Tieren – mit oft qualvollen Experimenten – ist
aufgrund neuerer Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung immer schwerer zu rechtfertigen.
Viele Tiere scheinen, was ihre Empfindungen betrifft, uns Menschen näher zu sein, als bisher
angenommen. Zudem verfälschen die unfreiwilligen Probanden immer öfter die erwarteten
Forschungsergebnisse – die nur für die Wissenschaft gezüchteten Tiere können ihre Autonomie nicht zügeln.
Frans de Waal, einer der wichtigsten Primatenforscher, beschreibt in seinem aktuellen Buch
(Primaten und Philosophen. Wie die Evolution
die Moral hervorbrachte, München: Carl Hanser Verlag 2008. 224 S., 19.90 €) moralisches
Verhalten bei Menschenaffen, verschiedene Formen des Altruismus beispielsweise. Die Ergebnisse seiner Forschung nutzt er allerdings, um –
unter dem Primat der Evolutionstheorie – dem
Menschen einen natürlichen, entwickelten Besitz von Moral und die innewohnende Möglichkeit zum moralisch guten Handeln zu unterstellen. Kurz: Hobbes könnte sich geirrt haben, der Naturzustand des Menschen bedurfte
des Gesellschaftsvertrags gar nicht. Verbrechen
und andere Entgleisungen seien möglicherweise
nur krankhafte Abweichungen. Dahinter steckt
auch ein innerdarwinistischer Diskurs, eine Gegenposition zur sogenannten Fassadentheorie
(Moral und Gesellschaft als bloße Fassade vor
dem Bösen des Naturzustandes) und zu Richard
Dawkins »egoistischem Gen«. Im zweiten Teil
des Buches wird de Waals Theorie von diversen
Kommentatoren zerpflückt, auch von Peter Singer. Diesem gegenüber hält de Waal eine Art paternalistisches Prinzip Verantwortung – in etwa:
Tiere sind Schutzbefohlene, ähnlich Kindern
und Behinderten – für sinnvoller als den rationalistischen Tierrechtsgedanken.
Marc Bekoffs Das Gefühlsleben der Tiere
(Ein führender Wissenschaftler untersucht
Freude, Kummer und Empathie bei Tieren,
Bernau: animal learn Verlag 2008. 231 S., 20 €)
hat eine ähnliche Tendenz wie de Waals Buch,
was das Faktische betrifft. Nämlich: neu gewonnene Erkenntnisse über das Verhalten von Tieren und wie dieses fundiert ist. Wie nah, ähnlich oder fern sind uns Tiere? Dabei ist Bekoff
wesentlich stärker als de Waal von Verhaltensforschern wie Lorenz und Tinbergen beeinflußt,
indem er deren Konzept zu einer »kognitiven
Ethologie« erweitert, die »vergleichende, evolutionäre und ökologische Erforschung des Verstandes von Tieren«. Das Buch hat das Zeug zu
einem populären Standardwerk. Bekoff fragt
nach den ethischen Konsequenzen, die sich aus
dem Wissen über die Tiere ergeben – ist es legitim, sie zu Nahrung und Bekleidung zu verarbeiten, sie als Versuchs-, Vergnügungs- und Sportgeräte zu nutzen?
Um die Frage der Nahrung geht es in dem
Buch Gewissens-Bissen (Tierethik und Esskultur, Innsbruck: Löwenzahn Verlag 2008. 238
S., 19.95 €). Ein Veterinär, eine Rechtsphilosophin und ein Gourmet kommen zu Wort. Von
Hermann Nitsch, dem für seine tierblutlastigen
Happenings bekannten Künstler, stammt das
Vorwort. Das sollte aber nicht von der Lektüre
abhalten, die für interessierte Laien eine gute
Einführung ins Thema bietet. Allerdings wird
beim Werben der Autoren um Sensibilisierung
eine der wichtigsten Antworten auf den Überfluß an billigen und qualvoll produzierten Lebensmitteln vergessen: Verzicht. Als fanatisch
oder radikal möchte man hier halt auf keinen
Fall gelten, und sollten die tierischen Verhältnisse erkanntermaßen noch so im argen liegen. Dahinter steckt auch eine geistige Trägheit, wenn nicht gar uneingestandene Ignoranz,
die sich gern mit dem Verweis auf wichtigere zu
lösende Probleme herausredet. Doch so etwas
darf kein Argument sein, weder bei den Interessen der Tiere noch sonst. Mit Robert Spaemann
gesprochen: »Zweitwichtigstes so lange zu unterlassen, bis alles Wichtigste sich erledigt hat,
wäre das Ende aller Kultur.«

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