Zertrümmerung – 100 Jahre Futurismus
Röcke – Futurismus
Als Gottfried Benn mit seiner 1951 in Marburg
gehaltenen Rede Probleme der Lyrik die poetologische Summe seines dichterischen Schaffens zieht, läßt er zu Beginn in einer knappen
Epochenschau die Stadien der literarischen Moderne Revue passieren. Beim Avantgardismus
angelangt heißt es: »Das Gründungsereignis der
modernen Kunst in Europa war die Herausgabe
des Futuristischen Manifestes von Marinetti,
das am 20.02.1909 in Paris im Figaro erschien.
›Nous allons a sister à la naissance du Centaure
– wir werden der Geburt des Zentauren beiwohnen‹ – schrieb er und: ›ein brüllendes Automobil
ist schöner als die Nike von Samothrake.‹ Dies
waren die Avantgardisten, sie waren aber im
einzelnen auch schon die Vollender.« Benn rechnet dem Futurismus die Stellung des Gründungsmythos moderner Kunst zu und unterstreicht damit eine Sichtweise, die er in ähnlicher Situation,
gleichwohl unter anderen politischen Rahmenbedingungen, 17 Jahre zuvor schon einmal artikuliert hat: Im Gruß an Marinetti, vorgetragen am
Abend des 29. März 1934, anläßlich eines Empfangs der Union Nationaler Schriftsteller zu Ehren des Futuristen Filippo Tommaso Marinetti.
Diese Rede stellt ein auch noch heute bemerkenswertes Plädoyer für die moderne Kunst
in Deutschland dar, als deren literarischer Vorkämpfer sich Benn zu präsentieren sucht, um nur
wenige Monate später – man weiß es – Gewiß-
heit über sein gnadenloses Scheitern zu erlangen. Die Zeiten sind faschistisch, darin erkennt
Benn die historische Chance, dem gliedernden
Machtstaat die Weiterentwicklung der avantgardistischen Periode, das Massieren ihrer durch
permanente Sprach-Zertrümmerung freigesetzten poetischen Kräfte zu übertragen. Und diese
Phase des Aufstiegs ist unverzüglich zu nutzen,
soll sich die tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung realisieren, jene gesteigerte Lebenskultur als Voraussetzung der Übermenschen–Existenz, der finalen Austreibung des europäischen
Nihilismus. Diese Moderne Kunst ist grundsätzlich, da eben modern, also ohne Einbettung in
ein harmonisches Weltbild, der Zersplitterung
anheimgegeben. Diesen Zustand nun abstellen
zu können ist die Angelegenheit der Stunde, die
Torso gewordene Kunst, wenn schon nicht gänzlich zurück in eine vormoderne »All–Einheit« zu
führen, so doch an das mit eiserner Hand ordnende Regime zu binden – freilich als metaphysisches Gestirn, der rein funktionalen Betriebsamkeit des Staates übergeordnet.
Benn sieht in der Modernität des (runderneuerten) Expressionismus alles angelegt, um
die mythenschwere Dichtung des Gestern mit
den Ansprüchen diverser zeitgenössischer Wissenschaftsdiskurse zu versöhnen. »In diesem Fall
ist die Kunst nicht der manipulierte, sondern der
manipulierende Wirt, der den implementierten
Keimlingen, sprich: Sprachmaterialien unterschiedlichster Herkunft erst Form und Gestalt
verleiht« (Wegmann). Oder anders ausgedrückt:
Das technische Zeitalter erfährt seine ästhetische Disziplinierung.
Doch immer noch zu deutlich droht Nietzsches artistischer Größenwahn aus den Untiefen des 19. Jahrhunderts, sein Untergang im rein
Geistigen, als daß Benn dieses Menetekel ignorieren kann. Seine moderne Vision braucht also
einen Kronzeugen, einen, der Deutschland zum
Vorbild dienen kann, einen, der möglichst das
gleiche Ansinnen unter gleichen Umständen
durchzusetzen gewußt hat. Es braucht einen wie
Marinetti, den »Hersteller und Direktor des Futurismus« (Benn). Doch was hat es auf sich mit
dem Futurismus in Italien? Was bewirkt seine
Kunst, was stellt er überhaupt dar?
Bezeichnend ist die Nähe zur politischen Praxis, der die Strömungen der Avantgarde, freilich
in unterschiedlicher Ausprägung, wie nie zuvor in
der Geschichte der schönen Künste huldigen. In
Rußland inspiriert der Futurismus Majakowski
und Tretjakow, in England den Vortizismus. Das
deutsche Pendant, der Expressionismus, verliert
hingegen nie eine gesunde Skepsis vor dem allzu
Geharnischten aus dem Süden, zudem gesellt sich
die Tatsache einer eigenständigen Entwicklung in
Literatur und bildender Kunst, die deutlicher in
der Tradition des 19. Jahrhunderts steht oder sich
von Till Röcke
Theorie | Sezession 28 · Februar 2009Röcke – Futurismus 53
an deren Einflüssen abarbeitet. Dennoch: Die
Gesellschaft, das öffentliche Leben des noch jungen technischen Zeitalters mit dem Stimulans des
Ästhetischen, also der Anschauung als scharfem
Kontrast zur systematischen Prozedur der Aufklärung, in irgendeiner Weise zu durchdringen,
zu verändern – dieser heutigen Lesern mitunter
kurios anmutende Aktionismus findet sich in allen Schulen; im italienischen Futurismus am heftigsten und in seiner ganzen Absurdität.
Die Literaturwissenschaft hat drei Phasen
des Futurismus herausgestellt: Die erste Phase
(1909 – 1915) ist ohne ernstzunehmende parteipolitische Vorstellungen, dafür um so reichhaltiger gesegnet mit einer metapolitischen Brisanz,
die ganz avantgardistisch der Auflösung von
Traditionen gewidmet ist. Nichts geringeres als
das Ende der Geschichte stehe bevor, ein Ausbruch aus dem »Käfig der Logik« und die Etablierung eines zukünftigen Lebensgefühls, dem
Gestus der puren Bewegung. Der futuristisch erleuchtete Mensch ahne bereits das befreite Gefühl der umfassend mobilisierten Gesellschaft,
vorerst nur räumlich begrenzt, doch stehe er
hierarchisch bereits über jenen noch geschichtlichen Individuen, deren Dasein sich noch ganz
im Rückständigen sammle. Gefordert wird ein
Hang zur Zerstörung, der als Katalysator im
Krieg als »einzige Hygiene der Welt« auftrete,
und keinesfalls imperialistische Ziele, sondern
einzig den Krieg als reinsten »Dinamismo«, als
Beschleunigungsritual begreife. Der Nationalstaat, der, dem Berichterstatter Marinetti folgend, schon 1911 im Krieg gegen das Osmanische Reich als Träger der futuristischen Ideen
fungierte; ja der ganze, sich wenig später im
Ersten Weltkrieg erneut leidenschaftlich entfaltende Panitalianismus habe nur eine Existenzberechtigung: die Errichtung einer Weltordnung,
die getragen werde von einem »begeisterten Ja
des Menschen zu der Form der Zivilisation, die
sich unter unseren Augen gestaltet.« (Boccioni)
Was hier Raum greift, ist die »Schaffung eines
a-humanen Typus«, dessen Überlegenheit keine
Fragen offenlasse: »Gewissenspein, Güte, Gefühl und Liebe stellen nichts als zerfressende
Gifte der unerschöpflichen vitalen Energie dar,
bloße Barrieren für den Fluß unserer mächtigen
physiologischen Elektrizität.« (Marinetti). Der
Futurismus, so ist er sich sicher, werde den Menschen als riskiertes, auf Ordnung angewiesenes
und sich in seiner Existenz als historisch verstehendes Wesen endgültig eliminieren. Er schaffe
eine maximale Todesnähe durch die ewige Wiederkehr der Hochgeschwindigkeit, des permanenten Überholvorgangs via Standstreifen. So
ist denn jene »literarisch-weltanschauliche Erneuerungsbewegung« (Christa Baumgarth: Geschichte des Futurismus, Reinbek 1966) im Kern
die Übertragung einer bedingungslosen Affirmation des technischen Fortschritts in die Kunst.
Die zweite Phase (1918 – 1920) zeichnet sich
durch einen pragmatischen Zug aus. In der Nachkriegszeit nimmt sich Marinetti gesellschaftlicher Probleme an und geht auf Distanz zu seiner
höchsten Tugend, der Destruktion. Sein Gastspiel im Parteiensektor soll jedoch nicht lange
währen. Die 1918/19 regional entstehenden fasci und deren Zusammenschließung zur Futuristischen Politischen Partei auf der einen sowie
der 1919 ins Leben gerufene Frontkämpferverband der – zum Teil auch aus Futuristen bestehenden – Eliteeinheit der Arditi auf der anderen
Seite sind noch im selben Jahr das Zünglein an
der Waage, als Mussolini die fasci di combattimento aus der Taufe hebt. Marinetti wird in
das Zentralkomitee gewählt und ist begeistert.
Nun beschäftigen ihn die Reform des Beamtentums oder die Durchsetzung des Achtstundentages. Doch noch im selben Jahr kriselt es, bei den
Wahlen im November fährt Mussolinis Partei
eine herbe Niederlage ein, und im Jahr darauf ist
endgültig Schluß: Eine zu große Distanz gegen-
über sozialpolitischen Ansätzen und ein sträfliches laisser-faire im Umgang mit der verhaßten
Monarchie sowie dem Klerus. Die Antithese ist
offensichtlich, Marinetti sieht sich als individuellen Anarchisten, Mussolini hingegen beginnt
unverhohlen sein Streben nach größtmöglicher
Machtfülle, die durch einen restriktiven Einparteienstaat erreicht werden soll. Ab 1920 mutiert der radikale und revolutionäre Faschismus
zu einer durch taktisches Geplänkel und Kompromißbereitschaft geprägten Bewegung. Es
entsteht eine »charismatische Patronagepartei
der politischen Rechten« (Stefan Breuer).
Wer mit dem »Physiognomischen Zugriff«
Armin Mohlers (Der faschistische Stil, zuletzt
Schnellroda 2001) vertraut ist, wird an jener
Sollbruchstelle zudem mehr als nur ein Ränkespiel unter Polit-Hasardeuren erkennen. Es findet eine Akzentverschiebung statt, weg vom tonangebenden faschistischen Stil der Tatmenschen,
hin zum etatistischen der Verwaltungscharaktere
und deren Status-quo-Prinzip. Dieser Stil bleibt
denn auch vorherrschend, bis zum Herbst 1943
in der Republik von Salò, nach vorangegangeRougena Zatkova »Portrait von
Marinetti«, 191454 Röcke – Futurismus
nem Bruch Mussolinis mit dem König, die Abwicklung des totalitären Apparates auch jenen
ihn stützenden, funktionalen Typus wieder ins
zweite Glied treten läßt. Die nun »alle Verbürgerlichung, alle Verfilzung mit dem italienischen
Establishment« (Mohler) abwerfende Nomenklatura degeneriert auf ein Mindestmaß, und
es vollzieht sich die Rückkehr des faschistischen
Tatmenschen auf die Bühne der Öffentlichkeit.
Doch zuvor, mit Beginn der dritten Phase
(1923/24 – 1944), geschieht nach drei Jahren der
Abstinenz die Kehrtwende; Marinetti nähert sich
der Partei an und versucht, dem nunmehr zahnlosen Futurismus wieder politisches Gewicht zu
verleihen. Er erteilt politischen Alternativen, etwa
dem Kommunismus, als einer »alten Formel für
Mittelmäßigkeit« eine klare Absage und deklamiert den sich durchsetzenden Faschismus als der
futuristischen Anschauung am dienlichsten. Unbeirrt hält er bis zu seinem Tod 1944 am Glauben
fest, daß sich die »wunderbare, uneigennützige,
kühne, antisozialistische, antiklerikale und antimonarchistische Seele von 1919« letzten Endes
doch im Faschismus verwirklichen lassen könne.
Aber vergebens – Mussolini festigt die 20er Jahre
hindurch seine Macht, hofiert die Eliten und gibt
der klassisch orientierten Kunst den Vorzug. Die
avantgardistische Kunst steht als politischer Faktor fortan im Abseits, wenn auch in ihrer Existenz keinesfalls von Zensur bedroht und sich im
Geistesleben durchaus behauptend.
Die Gretchenfrage der Literaturwissenschaft in bezug auf Marinetti ist seit jeher der
faschistische Lackmustest. Hat er oder hat er
nicht? Ist der Futurismus ein Trabant Mussolinis, oder dessen Kraftquelle? Läßt man die mä-
andernde Landschaft der Totalitarismustheorien
vergangener Jahrzehnte in den Hintergrund treten, so leuchtet die Analyse ein, daß es sich beim
Faschismus um mehr als einen irgendwie vom
Bürgertum gesteuerten Abwehrkampf gegen wen
auch immer, sondern um ein Phänomen handelt,
dessen Erscheinung eine Gleichzeitigkeit zweier
Prinzipien unbedingt voraussetzt: Idee und Affekt. Abstrakter: eine Melange aus Ideologien
und Interessen. Dabei verblaßt die handelsübliche Erscheinung des Nationalismus als Ahnherr
des Faschismus, und es wird ein Widerstreit beider deutlich. Ersterer bewegt sich von einer geistigen Idee getragen in Richtung Politik, um dort
ohne Zugeständnisse an vorhandene Gegner
dieselbige umzusetzen. Zweiter wurzelt partiell
ebenfalls im Intellektuellen, setzt seinen Schwerpunkt aber im politischen Bereich, indem dieser
den Rahmen der oben aufgeführten Melange bildet und so einer ideologischen Starre wie einem
Sektierertum die Grundlage entzieht. Denn immer ist in Bewegung, was nach vorne geht.
Diese Darstellung ist als eine Erweiterung
der Mohlerschen Physiognomie zu verstehen,
die den faschistischen Stil als eine unter mehreren, immer gleichzeitig auftretenden Verhaltensweisen ausweist. Zwar später mit eindeutig geschwächter Position im Machtkampf innerhalb
des italienischen Regimes, doch von grundsätzlicher Tätigkeit. Dies durchgeführt als »typologische Erörterung« vom Soziologen und Kenner
der Materie Stefan Breuer (Nationalismus und
Faschismus, Darmstadt 2005), bietet den plausibelsten Zugriff, eben auch auf das Verständnis des Futurismus, der unter allen Umständen
Zukunft sein will, also Anti-Stillstandspolitik,
bei Vernachlässigung ideologischer Elaborate.
Er will global ausgerichtet agieren und betrachtet den Nationalstaat, wie erwähnt, als eine Art
Individuen-Beschleuniger, dessen Form selbstredend der Überwindung anheimfallen wird,
wenn das »mechanische Nomadentum« (Ciotti)
erst einmal die Lebenswirklichkeit bestimmt.
Folgerichtig bezeichnet Marinetti die Beziehung von Futurismus und Faschismus als das
Verhältnis zwischen Maximal- und Minimalprogramm – globales Endziel versus nationalstaatliche Sicherung. Der Faschismus ist die politische Filiale des Futurismus, das Komplement
einer sich genuin als wirklichkeitsgestaltend verstehenden Avantgarde, die sich einer notwendigen Bindung an den Bezirk außerhalb der Ateliers und Lesesäle – also den politischen Raum –
ohne Zweifel und zu jeder Zeit bewußt ist. Zwar
gerät dieser schon bald zu einem Dickicht, das
den Radius erheblich einschränkt, doch schmä-
lert das die Absicht nicht.
Es sei noch einmal an das ästhetische Prinzip erinnert, dessen Geist die »nominalistische
Wendung der Neuzeit« gebar und das so charakteristisch für die Moderne eine Konzentration
auf das Besondere, Einzelne zur Folge hat, das
als »Gestalt vom Gestaltlosen abgehoben wird«
(Mohler). Jene Gestalt entsteht im Formungsprozeß, der keinen angestammten Platz mehr innerhalb eines Systems benötigt, geschweige denn
eine egalitaristische Planung oder ideologisch
ausgetüftelte Agenda.
Zum Reaktionären neigt, wer hier einen Widerspruch erkennen möchte. Denn mit der nationalen Formgebung entsteht erst das Trapez als
Gerät der zukünftigen Aufgabe, des Hinaufkatapultierens der Menschheit und dessen Gestaltung als ein weltweites Kollektiv, einer »Neukonstruktion des Universums« (Balla). Freilich,
ein kühner Plan. Bemerkenswert ist vor allem,
daß der in avantgardistischen Zusammenhängen gerne apostrophierte Friedrich Nietzsche unter diesem Eindruck lediglich als moderner Souffleur erscheint, vergegenwärtigt man sich dessen
Idee einer antik beseelten Züchtigung des neuzeitlichen Gedränges. Nicht den Nihilismus, also
das gesellschaftlich-kulturelle Klima sollte der
gründlichen Revision unterzogen werden, sondern gleich der ganze Mensch mitsamt seines angestammten Areals, der Erde. Das versteht Marinetti ganz über den Schreibtisch hinaus, wenn
er »Lamarcks transformistische Hypothese« erwähnt und das Organische wie selbstverständlich zur Konkursmasse erklärt. Und Rettung
naht nur in Form der Ersatzteillager-Welt. So findet die Theorie ihre Verwirklichung im Praktischen; Nietzsche scheiterte bekanntermaßen an
genau dieser Umsetzung.
Daß sich diese Perspektive eher mit Ernst
Jüngers Arbeiter oder Oswald Spenglers Unter-55
Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen,
die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit.
Mut, Kühnheit und Auflehnung werden die
Wesenselemente unserer Dichtung sein.
Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere
Unbeweglichkeit, die Ekstase und den Schlaf gepriesen.
Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige
Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige
und den Faustschlag.
Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen
Idealachse die Erde durchquert, die selbst auf ihrer Bahn dahinjagt.
Der Dichter muß sich glühend, glanzvoll und freigebig verschwenden, um die leidenschaftliche Inbrunst der Urelemente zu vermehren.
Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann
kein Meisterwerk sein. Die Dichtung muß aufgefaßt werden als ein heftiger Angriff
auf die unbekannten Kräfte, um sie zu zwingen, sich vor den Menschen zu beugen.
Wir wollen den Krieg verherrlichen –
diese einzige Hygiene der Welt –
den Militarismus, den Patriotismus,
die Vernichtungstat der Anarchisten,
die schönen Ideen, für die man stirbt,
und die Verachtung des Weibes.
Wir wollen die Museen,
die Bibliotheken und die Akademien
jeder Art zerstören und gegen
den Moralismus, den Feminismus
und jede Feigheit kämpfen,
die auf Zweckmäßigkeit und
Eigennutz beruht.
gang des Abendlandes verträgt, also das historische zugunsten eines globalen Bewußtseins zurückdrängend, ist der interessanteste Ansatz Stefan Breuers (Anatomie der Konservativen Revolution, zuletzt Darmstadt 2009). Die Differenzen des ästhetisch unterlegten romanischen Modells gegenüber dem eher militärisch orientierten
deutscher Machart sehr wohl erkennend, sieht er
in der Kategorie der bedingungslosen Überwindung abgelebter Kategorien eine gewichtige Gemeinsamkeit. Bei alledem bleibt irgendwann die
Kunst auf der Strecke, was Marinetti und Entourage nicht weiter stört – sie wird eines Tages ihren
Dienst getan haben. Dann, wenn gegen alle Klassenschranken das Genie quer durch das Volk aufgestiegen ist, das am technisch-zeitgenössischen
Alltag, nicht am traditionellen Ideal der metaphysischen Formgebung geschult, unerbittlich Kunst
betreiben wird. Das Kunstwerk ist dann Realität,
sich ganz aus sich selbst heraus erklärend, sagen
wir: aus einer flambierten Ölpumpe. Eine »Verleugnung der traditionellen Statthalterfunktion
der Kunst« (Manfred Hinz: Die Zukunft der Katastrophe, New York und Berlin 1985) degradiert
alles Ästhetische zum Dinglichen, und es fallen
Naturalismus und Formalismus zusammen.
Diese Konsequenz muß sehen, wer im Futurismus eine Inspirationsquelle ausmacht – unter welchem Eindruck auch immer. Das soll den
Stellenwert der Avantgarde nicht schmälern, im
Gegenteil: Unersetzlich ist sie für die, deren wacher Geist die Verwerfungen der
Zeit wahrnimmt, die ihre Bilder
aber weder in Weimar bestellen,
noch im kommenden Jahrtausend
aufhängen. Die Neue Sachlichkeit
etwa, und besonders die kommunistischen Parteigänger der Literatur wie Johannes R. Becher, wissen nur zu gut, woher sie gekommen sind, welches Anliegen das
dringendste ist. Im Rückblick faßt
es Benn 1955 zusammen: »Form und Zucht
steigt als Forderung von
ganz besonderer Wucht
aus jenem triebhaften, gewalttätigen und
rauschhaften Sein, das
in uns lag und das wir
auslebten, in die Gegenwart auf. Gerade der
Expressionist erfuhr die sachliche Notwendigkeit, die die Handhabung der Kunst erfordert,
ihr handwerkliches Ethos, die Moral der Form.«
Ein Eindruck, der stellvertretend für viele gilt.
Auch für Marinetti, aber bei ihm einen gewaltigen Schritt zu weit gedacht. Genau dagegen
stellt sich Benn, den Weg in die Aporie ahnend
und daher die transzendente Reißleine ziehend:
Er klammert die krude Poetik des Futurismus
aus und setzt auf dessen gesellschaftspolitisches
Prinzip der Form – den Faschismus. Ihm stellt
er seine abendländische Dichtung zur Seite, auf
den Neuanfang des Kulturkreises hoffend: »Die
ganze Zukunft, die wir haben, ist dies: der Staat

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