Jünger und Mohler
Die Beziehung zwischen Ernst Jünger und Armin Mohler hat sich über
mehr als fünf Jahrzehnte erstreckt. Sie wird – wenn in der Literatur erwähnt – als Teil der Biographie Jüngers behandelt. Man hebt auf Mohlers
Arbeit als Jüngers Sekretär ab und gelegentlich auf das Zerwürfnis zwischen beiden. Mit den Wilflinger Jahren hatte dieser Streit nichts zu tun.
Seine Ursache waren Meinungsverschiedenheiten über die erste Ausgabe
der Werke Jüngers. Der Konflikt beendete für lange das Gespräch der beiden, das mit einer Korrespondenz begonnen hatte, im direkten Austausch
und dann wieder im – manchmal täglichen – Briefwechsel zwischen der
Oberförsterei und dem neuen französischen Domizil Mohlers in Bourg-laReine fortgesetzt wurde. Von 1949, als Mohler seinen Posten in Ravensburg antrat, bis 1955, als Jünger seinen 60. Geburtstag feierte, war ihre
Verbindung am intensivsten, aber es gab auch eine Vor- und eine Nachgeschichte von Bedeutung.
Die Vorgeschichte hängt zusammen mit Mohlers abenteuerlichem
Grenzübertritt vom Februar 1942. Er selbst hat für den Entschluß, aus
der Schweizer Heimat ins Reich zu gehen und sich freiwillig zur WaffenSS zu melden, zwei Motive angegeben: die Nachrichten von der Ostfront,
damit verknüpft das Empfinden, hier gehe es um das Schicksal Deutschlands, und die Lektüre von Jüngers Arbeiter. Die Verknüpfung mag heute
irritieren, der Eindruck würde sich aber bei genauerer Untersuchung der
Wirkungsgeschichte Jüngers verlieren. Denn, was er im Schlußkapitel des
Arbeiters über den „Eintritt in den imperialen Raum“ gesagt hatte, war
mit einem Imperativ verknüpft gewesen: „Nicht anders als mit Ergriffenheit kann man den Menschen betrachten, wie er inmitten chaotischer
Zonen an der Stählung der Waffen und Herzen beschäftigt ist, und wie
von Karlheinz Weißmann
Armin Mohler:
Der Nasenring.
Die Vergangenheitsbewältigung vor und nach dem
Fall der Mauer, München
1991 (Neue Fassung).11
er auf den Ausweg des Glückes zu verzichten weiß. Hier Anteil
und Dienst zu nehmen: das ist die Aufgabe, die von uns erwartet
wird.“
Mohlers Absicht war eben: „Anteil und Dienst zu nehmen“.
Es ging ihm nicht um „deutsche Spiele“, nicht um eine Wiederholung von Jüngers Abenteuer in der Fremdenlegion, sondern darum, in einer für ihn bezeichnenden Weise, Ernst zu machen. Daß
daraus nichts wurde, hatte dann – auch in einer für ihn bezeichnenden Weise – mit romantischen Impulsen zu tun: der Sehnsucht
nach intensiver Erfahrung, nach großen Gefühlen, dem „Bedürfnis nach Monumentalität“, ein Diktum des Architekturtheoretikers Sigfried Giedion, das Mohler häufig zitierte. Daß der nationalsozialistische „Kommissarstaat“ kein Interesse hatte, solches
Bedürfnis abzusättigen, mußte Mohler rasch erkennen. Er zog
sein Gesuch zurück und ging bis Dezember 1942 zum Studium
nach Berlin. Dort saß er im Seminar von Wilhelm Pinder und
hörte Kunstgeschichte. Vor allem aber verbrachte er Stunde um
Stunde in der Staatsbibliothek, wo er seltene Schriften der „Konservativen Revolution“ exzerpierte oder abschrieb, darunter die
von ihm als „Manifeste“ bezeichneten Aufsätze Jüngers aus den
nationalrevolutionären Blättern. Dieser Textkorpus bildete neben
dem Arbeiter, der ersten Fassung des Abenteuerlichen Herzens
sowie Blätter und Steine die Grundlage für Mohlers Faszination
an Jünger.
Zehn Jahre später schrieb er über die Wirkung des Autors
Jünger auf den Leser Mohler: „Sein Stil könnte mit seiner Oberfläche auf mathematische Genauigkeit schließen lassen. Aber diese Gestanztheit ist Notwehr. Durch sie hindurch spiegelt sich im
Ineinander von Begriff und Bild eine Vieldeutigkeit, welche den
verwirrt, der nur die Eingleisigkeit einer universalistisch verankerten Welt kennt. In Jüngers Werk … ist die Welt nominalistisch
wieder zum Wunder geworden.“ Wer das Denken Mohlers etwas
genauer kennt, weiß, welche Bedeutung das Stichwort „Nominalismus“ für ihn hatte, wie er sich bis zum Schluß auf immer neuen
Wegen eine eigenartige, den Phänomenen zugewandte Weltsicht,
zu erschließen suchte. Er hatte dafür als „Augenmensch“ bei dem
„Augenmenschen“ Jünger eine Anregung gefunden, wie sonst nur in der
Kunst.
Es wäre deshalb ein Mißverständnis, anzunehmen, daß Mohler Jünger auf Grund der besonderen Bedeutung, die er den Arbeiten zwischen
den Kriegsbüchern und der zweiten Fassung des Abenteuerlichen Herzens
beimaß, keine Weiterentwicklung zugestanden hätte. Ihm war durchaus
bewußt, daß Gärten und Straßen das Alterswerk einleitete und zu einer
deutlichen – und aus seiner Sicht legitimen – Veränderung des Stils geführt
hatte. Es ging ihm auch nicht darum, Jünger auf die Weltanschauung der
zwanziger Jahre festzulegen, wenngleich das Politische für seine Zuwendung eine entscheidende Rolle gespielt und zum Bruch mit der Linken
geführte hatte. Sein Freund Werner Schmalenbach schilderte die Verblüffung des Basler Milieus aus Intellektuellen und Emigranten, in dem sich
Mohler bis dahin bewegte, als dessen Begeisterung für Deutschland und
für Jünger klarer erkennbar wurde. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz
und dem Bekanntwerden seines Abenteuers wurde er in diesen Kreisen
selbstverständlich als „Nazi“ gemieden. Beirrt hat Mohler das aber nicht,
weder in seinem Interesse an der Konservativen Revolution, noch in seiner
Verehrung für Jünger.
Die persönliche Begegnung zwischen beiden wurde dadurch angebahnt, daß Mohler 1946 in der Zeitung Weltwoche einen Aufsatz über
Jünger veröffentlichte, der weit von den üblichen Verurteilungen entfernt
war. Es folgte ein Briefwechsel und dann die Aufforderung Jüngers, Mohler solle nach Abschluß seiner Dissertation eine Stelle als Sekretär bei ihm
antreten. Als Mohler dann nach Ravensburg kam, wo Jünger vorläufig
Quartier genommen hatte, war die Atmosphäre noch ganz vom Nachkrieg
geprägt. Man bewegte sich wie in der Waffenstillstandszeit von 1918/19
in einer Art Traumland – zwischen Zusammenbruch und Währungsreform –, und alle möglichen politischen Kombinationen schienen denkbar.
Der Korrespondenz zwischen Mohler und seinem engsten Freund Hans
Weißmann – Jünger und Mohler
Armin Mohler: Ravensburger Tagebuch. Meine Jahre
mit Ernst Jünger 1949/50,
Wien 1999.
Schutzumschläge der ersten
Fassung von Das abenteuerliche Herz (1929) und
Blätter und Steine (1934)12 Weißmann – Jünger und Mohler
Fleig kann man entnehmen, daß damals
beide die Wiederbelebung der „Konservativen Revolution“ erwarteten: die
„antikapitalistische Sehnsucht“ des
deutschen Volkes, von der Gregor Strasser 1932 gesprochen hatte, war in der
neuen Not ungestillt, ein „heroischer
Realismus“ konnte angesichts der verzweifelten Lage als Forderung des Tages
erscheinen, auch die intellektuelle Linke
glaubte, daß die „Frontgeneration“ ein
besonderes Recht auf Mitsprache besitze, und das Ausreizen der geopolitischen
Situation mochte als Chance gelten, die
Teilung Deutschlands zwischen den
Blöcken zu verhindern. Wie man Mohlers Ravensburger Tagebuch, aber auch
anderen Dokumenten entnehmen kann,
waren Jünger solche Gedanken nicht
fremd, wenngleich die Erwägungen
– bis hin zu nationalbolschewistischen
Projekten – eher spielerischen Charakter hatten.
Differenzen zwischen beiden ergaben sich auf literarischem Feld. Mohler
hatte Schwierigkeiten mit den letzten
Veröffentlichungen Jüngers. Ihn irritierten die Friedensschrift (1945) und der
große Essay Über die Linie (1951), und
den Roman Heliopolis (1949) hielt er
für mißlungen. Die Sorge, daß Jünger sich untreu werden könnte, schwand
erst nach dem Erscheinen von Der Waldgang (1951). Mohler begrüßte das
Buch enthusiastisch und als Bestätigung seiner Auffassung, daß man angesichts der Lage den Einzelgänger stärken müsse. Was sonst zu sagen sei,
sollte getarnt werden, wegen der „ausgesprochenen Bürgerkriegssituation“,
in der man schreibe. Er erwartete zwar, daß der „Antifa-Komplex“ bald
erledigt sei, aber noch wirkte die Gefährdung erheblich und der „Waldgänger“ war eine geeignetere Leitfigur als „Soldat“ oder „Arbeiter“.
Mohler betrachtete den Waldgang vor allem als erste politische Stellungnahme Jüngers nach dem Zusammenbruch, eine notwendige Stellungnahme auch deshalb, weil die Strahlungen und die darin enthaltene Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit viele Leser Jüngers befremdet
hatte. In der aufgeheizten Atmosphäre der Schulddebatten fürchteten sie,
Jünger habe die Seiten gewechselt und wolle sich den Siegern andienen;
Mohler vermerkte, daß in Wilflingen kartonweise Briefe standen, deren
Absender Unverständnis und Ablehnung zum Ausdruck brachten.
Mohler schloß sich dieser Kritik ausdrücklich nicht an und hielt ihr
entgegen, daß sie am Kern der Sache vorbeigehe. „Der deutsche ‚Nationalismus’ oder das ‚nationale Lager’ oder die ‚Rechte’ … wirkt heute oft
erschreckend verstaubt und antiquiert – und dies gerade in einem Augenblick, wo [ein] bestes nationales Lager nötiger denn je wäre. Die Verstaubtheit scheint mir daher zu kommen, daß man glaubt, man könne einfach
wieder da anknüpfen, wo 1933 oder 1945 der Faden abgerissen war.“
Einige arbeiteten an einer neuen „Dolchstoß-Legende“, andere suchten die
Schlachten des Krieges noch einmal zu führen und nun zu gewinnen, wieder andere setzten auf einen „positiven Nationalsozialismus“ oder auf eine
Wiederbelebung sonstiger Formen, die längst überholt und abgestorben
waren. In der Überzeugung, daß eine Restauration nicht möglich und auch
nicht wünschenswert sei, trafen sich Mohler und Jünger.
Die Stellung Mohlers als „Zerberus“ des „Chefs“ war nie auf Dauer
gedacht. Mohler plante eine akademische Karriere und betrachtete seine
Tätigkeit als Zeitungskorrespondent, die er 1953 aufnahm, auch nur als
Vorbereitung. Der Kontakt zu Jünger riß trotz der Entfernung nie ab. interessanterweise bemühten sich in dieser Phase beide um eine Neufassung
des Begriffs „konservativ“, die ausdrücklich dem Ziel dienen sollte, einen
weltanschaulichen Bezugspunkt zu schaffen.
Mohler mit Gretha
und Ernst Jünger,
Anfang der fünfziger Jahre13
Wie optimistisch Jünger diesbezüglich war, ist einer Bemerkung in
einem Brief an Carl Schmitt zu entnehmen, dem er am 8. Januar 1954
schrieb, er beobachte „an der gesamten Elite“ eine „entschiedene Wendung
zu konservativen Gedanken“, und im Vorwort zu seinem Rivarol – ein
Text, der in der neueren Jünger-Literatur regelmäßig übergangen wird –
geht es an zentraler Stelle um die „Schwierigkeit, ein neues, glaubwürdiges
Wort für ‚konservativ’ zu finden“. Jünger hatte ursprünglich vor, gegen ältere Versuche eines Ersatzes zu polemisieren, verzichtete aber darauf, weil
er dann auch den Terminus „Konservative Revolution“ hätte einbeziehen
müssen, was er aus Rücksicht auf Mohler nicht tat. Daß ihn seine intensive Beschäftigung mit den Maximen des französischen Gegenrevolutionärs
„stark in die politische Materie“ führte, war Jünger klar. Wenn dagegen
so wenig Vorbehalte zu erkennen sind, dann hing das auch mit dem Erfolg
und der wachsenden Anerkennung zusammen, die er in der ersten Hälfte
der fünfziger Jahre erfuhr. Zeitgenössische Beobachter glaubten, daß er
zum wichtigsten Autor der deutschen Nachkriegszeit werde.
Dieser „Boom“ erreichte einen Höhepunkt mit Jüngers sechzigstem
Geburtstag. Es gab zwar auch heftige Kritik am „Militaristen“ und „Antidemokraten“, aber die positiven Stimmen überwogen. Mohler hatte für diesen
Anlaß nicht nur eine Festschrift vorbereitet, sondern auch eine Anthologie
zusammengestellt, die unter dem Titel Die Schleife erschien. Der notwendige
Aufwand an Zeit und Energie war sehr groß gewesen, die prominentesten
Beiträger für die Festschrift, Martin Heidegger, Gottfried Benn, Carl Schmitt,
bei Laune zu halten, ein schwieriges Unterfangen – Heidegger zog seinen Beitrag aus nichtigen Gründen zweimal zurück. Ganz zufrieden war der Jubilar
aber nicht; Jünger mißfiel die geringe Zahl ausländischer Autoren, und bei
der Schleife hatte er den Verdacht, daß hier suggeriert werde, es handele sich
um ein Buch aus seiner Feder. Die Ursache dieser Verstimmung war eine
kleine Manipulation des schweizerischen Arche-Verlags, in dem Die Schleife
erschienen war, und der auf den Umschlag eine Titelei gesetzt hatte, die einen
solchen Irrtum möglich machte.
Im Hintergrund spielte außerdem der Wettbewerb verschiedener Häuser um das Werk Jüngers mit, dessen Bücher in der Nachkriegszeit zuerst
im Furche-, den man ihm zu Ehren in Heliopolis-Verlag umbenannt hatte,
dann bei Neske und bei Klostermann erschienen waren. Außerdem versuchte ihn Ernst Klett für sich zu gewinnen. Wenn Klostermann die Festschrift
herausbrachte, obwohl er davon kaum finanziellen Gewinn erwarten durfte,
hatte das mit der Absicht zu tun, die Bindung Jüngers zu festigen. Deshalb
korrespondierte der Verleger mit Mohler nicht nur wegen der Ehrengabe,
sondern gleichzeitig auch wegen einer Edition des Gesamtwerks, die Jünger
dringend wünschte.
Klostermann und Mohler waren einig, daß eine solche Sammlung nach
„Wachstumsringen“ geordnet werden müsse, jedenfalls der Chronologie zu
folgen und die ursprünglichen Fassungen zu bringen beziehungsweise Änderungen kenntlich zu machen habe. Bekanntermaßen ist dieser Plan nicht
in die Tat umgesetzt worden. Rivarol war das letzte Buch, das Jünger bei
Klostermann veröffentlichte, danach wechselte er zu Klett, dem er gleichzeitig die Verantwortung für die „Werke“ übertrug. In einem Brief vom 15.
Dezember 1960 schrieb Klostermann voller Bitterkeit an Mohler, daß er die
Ausgabe im Grunde für unbenutzbar halte und mit Bedauern feststelle, daß
Jünger gegen Kritik immer unduldsamer werde. Zwei Wochen später veröffentlichte Mohler einen Artikel über die Werkausgabe in der Züricher Tat.
Jüngers „Übergang in das Lager der ‚Universalisten’“ wurde nur konstatiert,
aber die Eingriffe in die früheren Texte scharf getadelt.
Noch grundsätzlicher faßte Mohler seine Kritik für einen großen Aufsatz zusammen, der im Dezember 1961 in der konservativen Wochenzeitung Christ und Welt erschien und von vielen als Absage an Jünger gelesen wurde. Mohler verurteilte hier nicht nur die Änderung der Texte,
er mutmaßte auch, sie folgten dem Prinzip der Anbiederung, man habe
„ad usum democratorum frisiert“, es gebe außerdem ein immer deutlicher
werdendes „Gefälle“ im Hinblick auf die Qualität der Diagnostik, was bei
den letzten Veröffentlichungen Jüngers wie An der Zeitmauer (1959) und
Der Weltstaat (1960) zu einer Beliebigkeit geführt habe, die wieder zusammenpasse mit anderen Konzessionen Jüngers, um „sich mit der bis dahin
gemiedenen Öffentlichkeit auszugleichen“. Mohler deutete diese Tendenz
nicht einfach als Schwäche oder Verrat, sondern als negativen Aspekt jener
Armin Mohler (Hrsg.):
Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift
für Ernst Jünger zum 60.
Geburtstag, Frankfurt a.
M. 1955.
Armin Mohler (Hrsg.):
Die Schleife. Dokumente
zum Weg von Ernst Jünger,
Neudruck der Ausgabe von
1955, Bad Vilbel 2001.
Armin Mohler: Der Dichter: Ernst Jünger, in: Christ
und Welt vom 29. Dezember 1961.
Weißmann – Jünger und Mohler
Ernst Jünger: Rivarol,
Frankfurt a. M. 1956.14 Weißmann – Jünger und Mohler
„osmotischen“ Verfassung, die Jünger früher so sensibel für kommende
Veränderungen gemacht habe.
Jünger brach nach Erscheinen des Textes den Kontakt ab. Daß Mohler
das beabsichtigte, ist unwahrscheinlich. Noch im Juni 1960 hatte Jünger ihn
in Paris besucht, kurz bevor Mohler nach Deutschland zurückkehrte, und
im Gästebuch stand der Eintrag: „Wenige sind wert, daß man ihnen widerspricht. Bei Armin Mohler mache ich eine Ausnahme. Ihm widerspreche ich
gerne.“ Jetzt warf Jünger Mohler vor, ihn ideologisch mißzuverstehen und
äußerte in einem Brief an Curt Hohoff: „Das Politische hat mich nur an
den Säumen beschäftigt und mir nicht gerade die beste Klientel zugeführt.
Würden Mohlers Bemühungen dazu beitragen, daß ich diese Gesellschaft
gründlich loswürde, so wäre immerhin ein Gutes dabei. Aber solche Geister
haben ein starkes Beharrungsvermögen; sie verwandeln sich von lästigen
Anhängern in unverschämte Gläubiger.“
Sollte Jünger Mohlers Text tatsächlich nicht gelesen haben, wie er hier
behauptete, wäre ihm auch der Schlußpassus entgangen, in dem Mohler
zwar nicht zurücknahm, was er gesagt hatte, aber festhielt, daß ein einziges
der großen Bücher Jüngers genügt hätte, um diesen „für immer in den Himmel der Schriftsteller“ eingehen zu lassen: „An dessen Scheiben wir Kritiker
uns die Nase plattdrücken.“ Die Ursache für Mohlers Schärfe war Enttäuschung, eine Enttäuschung trotz bleibender Bewunderung. Mohler warf Jünger mit gutem Grund vor, daß dieser in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre ohne Erklärung den Kurs geändert hatte und sich in einer Weise stilisierte,
die ihn nicht mehr als „großen Beunruhiger“ erkennen ließ. Man konnte das
wahlweise auf Jüngers „Platonismus“ oder sein Bemühen um Klassizität zurückführen. Tendenzen, mit denen Mohler schon aus Temperamentsgründen
wenig anzufangen wußte.
Die Wiederannäherung kam deshalb erst nach langer Zeit und angesichts der Wahrnehmung zustande, daß Jünger eine weitere Kehre vollzog.
Das Interview, das der Schriftsteller am 22. Februar 1973 Le Monde gab,
wirkte auf Mohler elektrisierend, was vor allem mit jenen Schlüsselzitaten
zusammenhing, die von der deutschen Presse regelmäßig unterschlagen wurden: Zwar hatte man mit einer gewissen Irritation Jüngers Äußerung gemeldet, er könne weder Wilhelm II. noch Hitler verzeihen, „ein so wundervolles
Instrument wie unsere Armee vergeudet zu haben“, aber niemand wagte sein
Diktum hinzuzufügen: „Wie hat der deutsche Soldat zweimal hintereinander
unter einer unfähigen politischen Führung gegen die ganze wider ihn verbündete Welt sich halten können? Das ist die einzige Frage, die man meiner
Ansicht nach in 100 Jahren stellen wird.“ Und nirgends zu finden war die
Prophetie über das Schicksal, das den Deutschen im Geistigen bevorstand:
„Alles, was sie heute von sich weisen, wird eines schönen Tages zur Hintertüre wieder hereinkommen.“
Mohler stellte die Rückkehr zum Konkret-Politischen mit der Wirkung
von Jüngers Roman Die Zwille zusammen, ein „erzreaktionäres Buch“, so
sein Urteil, das in seinen besten Passagen jene Fähigkeit zum „stereoskopischen“ Blick zeigte, die von Mohler bewunderte Fähigkeit, das Besondere
und das Typische – nicht das Allgemeine! – gleichzeitig zu erkennen. Obwohl Mohler an seiner Auffassung vom „Bruch“ im Werk festhielt, hat der
Aufsatz Ernst Jüngers Wiederkehr wesentlich dazu beigetragen, den alten
Streit zu beenden. Die Verbindung gewann allmählich ihre alte Herzlichkeit
zurück, und seinen Beitrag in der Festschrift zu Mohlers 75. Geburtstag versah Jünger mit der Zeile „Für Armin Mohler in alter Freundschaft“; beide
telefonierten häufig und ausführlich miteinander, und wenige Monate vor
dem Tod Jüngers, im Herbst 1997, kam es zu einer letzten persönlichen Begegnung in Wilflingen.
Nachdem Jünger gestorben war, gab ihm Mohler, obwohl selbst betagt
und krank, das letzte Geleit. Er empfand das mit besonderer Genugtuung,
weil es ihm nicht möglich gewesen war, Carl Schmitt diese letzte Ehre zu
erweisen. Jünger und Schmitt hatten nach Mohlers Meinung den größten
Einfluß auf sein Denken, mit beiden war er enge Verbindungen eingegangen,
die von Schwankungen, Mißverständnissen und intellektuellen Eitelkeiten
nicht frei waren, zuletzt aber Bestand hatten. Den Unterschied zwischen ihnen hat Mohler auf die Begriffe „Idol“ und „Lehrer“ gebracht: Schmitt war
der „Lehrer“, Jünger das „Idol“. Wenn man „Idol“ zum Nennwert nimmt,
dann war Mohlers Verehrung eine besondere – von manchen Heiden sagt
man, daß sie ihre Götter züchtigen, wenn sie nicht tun, was erwartet wird.
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