Ernst Jüngers „Gläserne Bienen“
Nach Jahrzehnten sind mir jüngst wieder Ernst Jüngers Gläserne Bienen in
die Hände gefallen und haben mich fasziniert. Dreierlei fand ich an dieser
Erzählung besonders beeindruckend: Die Gestaltung des „Helden“, eines
unzeitgemäßen Konservativen und Anhängers einer weitgehend „verlorenen Generation“; gedankentiefe und aphoristisch zugespitzte Betrachtungen
zum epochalen Zustand, die gleichwohl eine geschickt komponierte fesselnde Story erlaubten; und schließlich Jüngers Hellsicht in künftige technologische und daraus folgende gesellschaftliche Entwicklungen, die uns 50 Jahre
nach Erscheinen der Erstausgabe von 1957 beinahe prophetisch anmuten.
Jüngers Intuition zeigt sich besonders darin, daß er offenbar die
Bedeutung der Mikroelektronik und die dominante Stellung der Unterhaltungsindustrie vorausgesehen hat, durch die vor allem die Jugend bezaubert und die Play-Generation vorbereitet wurde. Daß der auf solche
Technik spezialisierte Konzernchef Zapparoni ausgerechnet in einem verfallenen Zisterzienserkloster residiert, hat seine tiefere Bedeutung. Auch
die heutigen Filmproduzenten der Tolkien-, Rowling-, Lucas- oder Herbert-Welten ersetzen in einem säkularisierten Zeitalter für viele die traditionellen Vertreter der Religion.
In Jüngers Erzählung fertigt man bereits Nano-Roboter, wie sie erst
gegenwärtig konstruiert werden und in ihre Laborphase gelangen. Ähnliches gilt für Fortschritte im Bereich des aktuellen Animationsfilms. Zielvorstellungen wie der Cyberspace oder intelligente Maschinen, die selbständig eine neue Robotergeneration kreieren, werden bereits konzipiert.
Und die professionellen Deformationen spielsüchtiger Kommunikationskünstler wirken ebenso heutig wie manche Verfolgungsängste psychisch
gestörter Hochbegabter, die den filmischen Angstträumen von „Matrix“
entsprechen.
von Günter Scholdt*
*Meines Erachtens ist die
Erstausgabe von 1957 im
Klett Verlag den späteren
um einen Epilog ergänzten
Fassungen der beiden Werkausgaben vorzuziehen.
Ein Mann wie Zapparoni
mochte sagen, was er wollte, es war wohltönend. Es
war in Ordnung nicht nur,
weil er die Presse besolden
konnte, die ihm im Leitartikel, im Feuilleton und in
der Reklame huldigte, sondern noch mehr in Ordnung,
weil er den Zeitgeist verkörperte. Die Huldigungen hatten daher das Angenehme,
daß sie nicht nur bezahlt,
sondern zugleich tief empfunden waren – daß sie
weder der Intelligenz noch
der Moral der Publizisten
mehr zumuteten als freudige Zustimmung.
Grundlagen Sezession 22 · Februar 200827
Erhellt werden auch die Zusammenhänge zwischen immer aufwendigerer Forschung und der Notwendigkeit von Geheimhaltung wie Überwachung, was wiederum individuelle Freiheiten generell einschränkt. Alarmiert zeigte sich Jünger offenbar damals schon vom sich anbahnenden
Triumph eines ausschließlich ökonomischen Rationalismus, der etwa Apparaturen wie die Gläsernen Bienen schafft: Sie saugen ihre Blüten noch
gründlicher aus, machen sie dadurch über kurz oder lang aber auch unfruchtbar.
Erfaßt wird die Tendenz, ausschließlich normierte, rechnerisch erklü-
gelte „geschlechtslose Arbeitswesen“ zu produzieren. Und wer sich etwa
die heutige an technisierter Skrupellosigkeit kaum noch überbietbare Tierhaltung ansieht, weiß, wie umfassend wir bereits solchen rationalistischen
Epochen-„Idealen“ gefolgt sind. Das gilt teilweise auch in Sachen „Lebensmittelchemie“, gemäß Jüngers Sarkasmus, man müsse „schon ungewöhnlich reich sein, wenn man heute Vergiftungen vermeiden will“. Zudem lassen sich – worauf Jünger hinweist – all diese scheinbar harmlosen
Erleichterungen des alltäglichen Komforts recht schnell auch militärisch
nutzen. Aber seine Pointe ist noch subtiler. Schildert er doch eine ganz
andere, aber nicht weniger wirksame Variante der totalen Mobilmachung:
diejenige, die über Kinderherzen führt.
Angesichts solcher diagnostischer Qualitäten erscheint es paradox,
daß ausgerechnet dieser Text in der Jünger-Rezeption weitgehend marginalisiert wurde. Dies hängt wohl in erster Linie mit einer auch sonst zu
beobachtenden verzerrten Wahrnehmung seiner Autorschaft zusammen.
Wird Jünger doch von der Mehrheit der Germanisten offenbar immer
noch vornehmlich auf die Stahlgewitter oder seine Auseinandersetzung
und Stellung im Dritten Reich reduziert. Man ignoriert dabei fast unisono, daß er bei Kriegsende 1945 noch mehr als die Hälfte seines biologischen und mehr als zwei Drittel seines schriftstellerischen Lebens vor sich
hatte.
Damit zum Inhalt: Für seinen mächtig ins gesellschaftliche Leben
ausgreifenden Technologiekonzern braucht der geheimnisvolle Monopolist Giacomo Zapparoni einen „Mann fürs Grobe“. Gesucht wird ein von
Legalitätszweifeln unbehelligter Sicherheitschef, der abwanderungswillige
Erfinder daran hindert, das Know-how der Firma der Konkurrenz preiszugeben. Die Wahl fällt auf den stellungslosen, durch Welt(bürger)kriege
desorientierten Rittmeister Richard, dessen persönliche soziale Misere
wenig berufliche Alternativen bietet. Wie er von Zapparoni geprüft, zunächst verworfen und letztlich in anderer Funktion dann doch akzeptiert
wird, bildet den Handlungs- und Reflektionskern dieser Erzählung. Hö-
hepunkt seines geistigen Duells mit Zapparoni ist eine Entdeckung, die
Richard Grauen einflößt und ihm den Eindruck vermittelt, Zeuge einer
schamlosen inhumanen „Herausforderung“ zu sein. Auf welche Weise er
sie annimmt, wie also Jünger diesen Handlungsfaden spinnt, zeigt den
gewaltigen Niveauunterschied zwischen einem traditionellen Wortkunstwerk und den zahlreichen Produkten einer aktuell so hoch gehandelten
Horrorliteratur.
Die Figur des Rittmeisters, der sich in einer geschichtlichen Situation
wie die römische Welt vor Actium wähnt, ist mit großem psychologischem
Einfühlungsvermögen gezeichnet. Das Profil dieses vermeintlich vom
„Hundsstern“ betroffenen Mannes erwächst aus dem Gegensatz zu seinen
erfolgreicheren ehemaligen Kameraden aus der Kriegsschule. Marschall
Fillmor verkörpert dabei den jederzeit entschlossenen pragmatischen Typus disponierender Intelligenz, Twinnings denjenigen des von allen Systemen herangezogenen Brauchbaren. Von besonderer Art ist schließlich der
Leiter der Kriegsschule, Monteron, Vertreter einer traditionellen soldatischen Redlichkeit, in alten Werten und Denkweisen befangen, gutgläubig
und etwas beschränkt, was ihm jedoch auch als ethisches Plus zugerechnet wird.
Richard hingegen ist trotz fragloser Qualitäten (nicht zuletzt als
technischer Spezialist) ein seiner selbst unsicherer Charakter. Seine Wertvorstellungen entstammen einer früheren, geordneten Welt, die persönlich
beglaubigt werden muß. Deren Zerfall hat er ebensowenig verwunden wie
die militärische Niederlage, die er als Fortsetzung früherer Demütigungen und schmerzlicher Lernprozesse begreift. Ihn kennzeichnen Orientierungslosigkeit, ein gleichgültig-fatalistisches Treiben und gelegentliches
Was da ununterbrochen
ersonnen, gebaut und in
Serie gefertigt wurde,
erleichterte das Leben sehr.
Zum guten Ton gehörte
zu verschweigen, daß es
zugleich gefährdete. Es
ließ sich jedoch schwer
ableugnen. In Krisenzeiten
wurde sichtbar, daß alle
diese Liliputroboter und
Luxusautomaten nicht
nur zur Verschönerung,
sondern auch zur Abkürzung des Lebens beitragen
konnten, ohne daß sich
an ihrer Konstruktion viel
änderte. Dann zeigten sie
ihre Nachtseite.
Alle Systeme, die genau
erklären, warum die Welt
so ist und gar nicht anders
sein kann, hatten in mir
von jeher die Art Unbehagen hervorgerufen, mit dem
man in einer grell beleuchteten Gefängniszelle das
Reglement studiert. Auch
wenn man dort geboren
wäre und weder Sterne
noch Meere und Wälder je
gesehen hätte, sollte man
eine Ahnung haben von
zeitloser Freiheit im unbegrenzten Raum.
Daß es bei Zapparoni an
Überraschungen nicht fehlen würde, geht wohl aus
dem Bericht hervor. Er war
ein rätselhafter Mensch,
ein Meister der Masken,
der aus dem Urwald kam.
Als er sich mir im Garten
näherte, hatte mich sogar
Ehrfurcht vor ihm ergriffen, als ob Liktoren vor
ihm herschritten. Hinter
ihm löschten die Spuren
aus. Ich fühlte die Tiefe,
auf der er gründete. Fast
alle werden heute durch
die Mittel beherrscht. Für
ihn war das ein Spiel. Er
hatte die Kinder eingefangen, sie träumten von ihm.
Hinter dem Feuerwerk der
Propaganda, dem Rühmen
bezahlter Schreiber stand
etwas anderes. Auch als
Scharlatan war er groß.
Jeder kennt diese Südländer,
über deren Wiege ein guter
Jupiter stand. Oft ändern sie
die Welt.
Gleichviel, ich habe ihm
Lehrgeld gezahlt. Als er
mich prüfte und dann an
meinen Platz stellte, fühlte
ich Liebe aufkeimen. Es ist
schön, wenn einer kommt
und zu uns sagt: „Wir wollen die Partie spielen – ich
werde sie ausrichten“, und
wenn wir es ihm zutrauen.
Das nimmt uns viel ab. Es
ist schön, wenn einer, und
wäre es auch ein Böser,
noch in die Rolle des Vaters
eintreten kann.
Scholdt – Gläserne Bienen28 Scholdt – Gläserne Bienen
Absinken in soziale Niederungen ebenso wie
Gewissensskrupel und „Defaitismus“, worunter sich allerdings nicht zuletzt Reste einer unveräußerlichen Moralität verbergen.
Desungeachtet müht er sich ständig, mehr
oder weniger vergeblich, alte Normen als karriereschädliche Hemmnisse zu überwinden und
im Sinne der neuen Zeit auch moralisch vom
„Pferd“ in den „Panzer“ umzusteigen. Zeitweilige Rettung erfährt er durch die Liebe seiner
Frau, die ihn zu seinem Vorteil überschätzt und
dadurch seelisch stützt. Seine Wünsche zielen
daher am Schluß nur mehr auf ein kleines, einfaches Glück persönlicher menschlicher Solidarität: auf ein Lächeln, „das stärker war als alle
Automaten“ und zugleich „strahlende Wirklichkeit“ verhieß.
In diese subtile Personenzeichnung flicht
der Autor bedeutsame Beobachtungen ein zum
Verhalten von Individuum und Masse sowie
zur Anziehungskraft von Führer- und Vaterfiguren. Er exemplifiziert sie in Jugendepisoden,
die ihn zur jähen Erkenntnis führen, daß Moral
letztlich nicht im Verbund der Masse zu haben,
sondern vom Einzelnen selbst zu verantworten
ist. Hier deutet sich das an, was bei aller (teils
provokativen) Infragestellung eines offenbar
grundlegend zerstörten Wertekanons einem
zweifelnden Erzähler als einzige moralische
Lehre bleibt: daß der Einzelne nur noch sein
Menschentum wahrt, wenn er zuweilen auch
einmal bereit ist, aus dem Mechanismus des
Bloß-noch-Funktionierens auszusteigen. Die symbolische Szene, in der
Richard in reflexhaftem Ekel einen Mikro-Roboter zerschlägt, bestätigt
ihn jenseits politischer Tageskonstellationen als ewigen Außenseiter und
unangepaßten Charakter. Gleichzeitig relativiert der Autor aber auch diese vorbildliche Haltung, indem er Richard, den Nicht-Brauchbaren und
Schwer-Kompatiblen, dann auf andere Weise (in vermittelnder Position)
dienstbar werden läßt. In einer aus den Fugen geratenen Welt entkommt
man den ethischen Konfliktlagen eben allenfalls scheinbar oder temporär.
Verglichen mit anderen Jüngerschen Epochenmodellen wie Auf den
Marmorklippen oder Heliopolis kennzeichnet diesen Text eine größere
erzählerische Leichtigkeit. Selbst Relikte nostalgischer Melancholie werden meist in sachlicher Beiläufigkeit präsentiert. Das war in den zuvor
genannten Romanen gewiß nicht so, in denen sich der hohe Ton durch die
weitgehende Identifikation mit dem jeweiligen Protagonisten ergab. Die
Gläsernen Bienen hingegen vermitteln phasenweise sogar eine (fast ironische) Distanz des Autors zum Ich-Erzähler. Zweifellos weiterhin enthaltene autobiographische Tendenzen hat er spielerisch oder gar augenzwinkernd verschleiert. So werden dem mittellosen „Helden“ beispielsweise
ausdrücklich Söhne versagt, Abneigung gegen Schlangen unterschoben
oder zoologische Kenntnisse abgesprochen, was für Jünger nun wirklich
nicht zutraf.
Andererseits enthält der Text eine persönliche Bilanz der ideellen
Umbrüche der letzten Jahrzehnte sowie – verschlüsselt, doch im Kern sehr
aufrichtig – wichtige biographische Details, die teilweise auf ein Spätwerk
wie Die Zwille vorausweisen. Zur Bilanz seines bisherigen Lebens gehört
nicht zuletzt das Eingeständnis einer starken intellektuellen Neugier, die
ihn im Gegensatz zum Typus Monteron immer mal wieder auch in Anrüchiges verstrickt hat. Bereits in Blätter und Steine hatte er formuliert:
„Für den Autor gibt es keinen schlechten Verkehr.“ Nun, bei solchen literarischen Ergebnissen eines imponierenden Œuvres spricht einiges für
diesen Aphorismus. Zumindest hält der moralische Beckmesser dagegen
schlechte Karten.
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