Grausam und gemütlich – Ernst Jüngers
Freundschaft mit Friedrich Hielscher
Müller – Grausam und gemütlich
In seiner Autobiographie Fünfzig Jahre unter
Deutschen schildert Friedrich Hielscher, wie eine
Tagung politisch buntgemischter Publizisten
1929 zu einer recht handfesten, dabei zumindest
nach Hielschers Auffassung spaßigen Auseinandersetzung geriet: „Ich war nun erst richtig in
Fahrt, klomm die Leiter wieder hoch, gelangte
glücklich aufs Dach und durchs Fenster in meine Stube, ergriff den Wassereimer, füllte ihn
vollends … und goß ihn über die Häupter der
unten Sitzenden durch das Strohdach hindurch,
welches den Wassersturz nicht aufhielt. Unten
erhob sich die Menge. Ich verriegelte die Tür,
füllte in rasender Eile den Eimer wieder, ergriff
die bereits randvolle Karaffe und war entschlossen, sie dem Ersten, der über dem Strohdache
sich zeigen würde, aufs Haupt zu schmettern. …
Der Erste, welcher erschien, war Ernst Jünger;
mit beschwörenden Gebärden winkte er Frieden
und legte den Zeigefinger auf den Mund. Ich verstand.“
Nicht immer verstanden sich Jünger und
Hielscher so gut wie auf dem Eichhof von Werner Kreitz, wo sie in wortlosem Einvernehmen
gemeinsam zu randalieren begannen und das
Mobiliar zu Wurfgeschossen umfunktionierten;
ihr von Stefan Breuer und Ina Schmidt edierter
Briefwechsel (Ernst Jünger – Friedrich Hielscher.
Briefe 1927–1985, Stuttgart 2004) zeugt mehr
als einmal von einem – offenbar aber für beide
Seiten fruchtbaren – Aneinandervorbeireden.
Sechs Jahrzehnte hindurch standen der große
Schriftsteller und der am 31. Mai 1902 in Plauen geborene Publizist, Jurist und Gründer einer
heidnisch-esoterischen Freikirche in brieflichem
Austausch; mehr als ein Drittel der erhaltenen
Korrespondenz stammt allerdings aus der kurzen Zeitspanne von 1927 bis 1933, in der beide
Autoren eine umtriebige Agitation in denselben
Organen der Rechten entfalteten, insbesondere in der dem Stahlhelm nahestehenden Standarte, dem von Kapitän Ehrhardt finanzierten,
von Jünger mitherausgegebenen Arminius sowie dem Vormarsch, der ebenfalls zunächst von
Jünger (mit Werner Laß), seit 1928 dann von
Hielscher herausgegeben wurde. Entsprechend
handeln viele Briefe dieser Zeit von Querelen
und Richtungskämpfen innerhalb des FreikorpsMilieus, und beide wissen sich einig in ihrem
Bestreben, eine Radikalisierung der nationalen
Bewegung herbeizuführen. Die Unterschiede in
Stil, Thematik und politischer Zielsetzung sind
gleichwohl offenkundig: Zunächst fällt auf, daß
Jüngers Briefe meist die kürzeren und „pragmatischeren“ sind; während sie sich zum Beispiel mit
publizistischen Projekten befassen, drängt Hielscher immer wieder zu einer Diskussion ideologischer Grundfragen, der Jünger eher ausweicht.
Geht er doch darauf ein, zeigt er sich – bei aller
Höflichkeit und Wertschätzung – etwas befremdet von Hielschers Dogmatismus. In einem Brief
an seinen Bruder Friedrich Georg nennt er ihn
„den schärfsten Kopf unter den Nationalisten“,
jedoch sei er „bizarr“, und seine Intelligenz habe
„etwas Antithetisches, scherenartig Schneidendes“; dennoch verkehre er am meisten mit ihm,
der seinerseits vor allem „mit Exoten“ Umgang
habe, etwa „chinesischen Studenten, Zionisten
und Arabern“.
Zwölf Jahre später, am 9. August 1939,
schreibt Jünger in sein Tagebuch über „Bogo“
(Hielscher zeichnete oft mit seinem Pseudonym
„Bogumil“), dieser sei „noch immer von der alten geistigen Sicherheit“, die ihn „oft an Manie“
gemahne. Auffallend sei „die Verbindung des
scharfen und stets wachen Intellektes mit der
von Baal Müller
Kurzbeiträge Sezession 22 · Februar 200843
sonderbaren, an Punkten das Skurrile streifenden
Person“; er erinnere „an begabte Kantianer“,
trage aber auch „hoffmanneske Züge“, und es
lebe etwas „gänzlich Fremdes, Tamurlanisches
in ihm, wie es auch physiognomisch sichtbar
werde“, woraus sein Denken „in weiten Räumen
und Züge abstrakter Grausamkeit“ resultierten.
Gleichzeitig habe er etwas durchaus Gemütliches; und Jünger besann sich „sehr angenehmer
Nächte, die wir beim Punsch zubrachten“.
Der mit dem Mongolenherrscher Timur
Lenk oder Tamerlan Verglichene konstatiert in
seiner Autobiographie eine ähnliche Ambivalenz
und führt das „Mißbehagen“, das sich „durch
Jahre zwischen uns mit Wohlgefallen verband“,
darauf zurück, daß jeder im anderen gesucht
habe, was dieser nicht habe sein können: „Jünger
den magisch Mitschwingenden und ich den mystisch Mitdenkenden. Aber Jünger denkt nicht,
sondern er sieht; und ich sehe nicht, sondern
begreife.“ Beide hätten sie ihre „Schubfächer“,
doch diejenigen des Augenmenschen Jünger
seien solche, in denen er seine Insekten ablege,
während er als Begriffsmensch mit abstrakten
Kategorien operiere.
Insgesamt erscheint Hielscher in ihrer Korrespondenz eher als der Gebende; er tritt – nicht
nur in diesem Disput – von Beginn an forsch
und offensiv auf und zeigt ein Selbstbewußtsein, dessen Selbstverständlichkeit im Umgang
mit dem sieben Jahre älteren, berühmten Autor aus heutiger Sicht erstaunen mag, vor dem
zeitgeschichtlichen Hintergrund aber nicht so
verwunderlich ist, sind doch, wie Jünger 1943
schreibt, „viele, ja vielleicht die meisten der
geistig bewegten jungen Leute der Generation,
die nach dem Weltkrieg in Deutschland heranMüller – Grausam und gemütlich
wuchs, durch seinen Einfluß und oft durch seine
Schule hindurchgegangen“.
Diese „Schule“, die durch Hielschers charismatische Persönlichkeit sowie die in seinem
Hauptwerk Das Reich 1931 dargelegte „heidnische Reichstheologie“ zusammengehalten
wurde, umfaßte zunächst etwa gleichaltrige Autoren, von denen einige – wie Ernst von
Salomon – auch heute noch bekannt sind, mit
der Zeit aber wird der Kreis, dessen Mitglieder
Hielscher durch Vortragsveranstaltungen im
Rahmen bündischer und studentischer Organisationen rekrutiert, jünger, und die religiösen
Ambitionen, die von Anfang an den eigentlichen
Antrieb seiner vordergründig politischen Texte
ausmachten, treten stärker hervor. Zudem rückt
Hielscher (der stets Persönlichkeiten aus allen
politischen Lagern zu seinen Freunden zählte) –
jedenfalls nach seiner Selbsteinschätzung – nach
links, während er die Rechte jetzt insgesamt
(und nicht mehr nur ihren großbürgerlich-reaktionären Flügel) als Partei des Kapitalismus auffaßt, seine tribale und regionalistische Ausrichtung forciert und selbstkritisch vermerkt, daß er
sein „Reich“ irrtümlich mit dem der Deutschen
identifiziert habe.
Während des Dritten Reiches ermutigt er
seine Anhänger, Schlüsselpositionen einzunehmen, um aus diesen heraus, mit dem langfristigen Ziel eines gewaltsamen Umsturzes, „Sand in
das Getriebe zu werfen“. Zwar blieb das Fernziel völlig illusorisch, doch gelang es ihm mit
seiner Unterwanderungsstrategie, durch die ihm
eigene Verbindung der von Jünger hervorgehobenen Weiträumigkeit des Denkens mit realistischen Einschätzungen im Detail, etwa jüdischen
Freunden die Flucht zu ermöglichen oder eine
Unabkömmlichkeitsstellung zu verschaffen, die
ihr Leben rettete. Besonders tragisch war der
Fall Wolfram Sievers’, dem Jünger in Heliopolis ein – wie er sagt – „bescheidenes Denkmal“
gesetzt hat: Der enge Freund Hielschers wurde
auf dessen Anraten hin Geschäftsführer von
Himmlers „Ahnenerbe“ und deckte in dieser
Position zahlreiche oppositionelle Aktivitäten
des Kreises; da Himmler aber 1942 das „Institut
für wehrwissenschaftliche Zweckforschung“, in
dem Menschenversuche durchgeführt wurden,
dem Ahnenerbe angegliedert hat, wurde Sievers
– trotz der Milderungen, die er für einzelne Opfer erreichen konnte – vom amerikanischen Militärgerichtshof zum Tode verurteilt und 1948
hingerichtet.
Hielscher zog sich nach Kriegsende weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück und
widmete sich religionsphilosophischen Forschungen, literarischer Arbeiten und der Ausgestaltung seiner „Unabhängigen Freikirche“,
die sich nach wiederholten Abspaltungen in den
achtziger Jahren auflöste.
Ernst Jünger, der die religiösen Erneuerungsversuche des am 6. März 1990 Verstorbenen immer mit einer gewissen Distanz (und
gelegentlicher Ironie) beobachtet hat, nennt dessen Ansatz im Rückblick „nicht unzeitgemäß,
sondern vorzeitig“.
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