Die Hölle – Beschreibung nach Ratzinger
“Alles Deuteln nützt nichts: Der Gedanke ewiger Verdammnis, der sich im Judentum der beiden letzten vorchristlichen Jahrhunderte zusehends ausgebildet hatte (Material LThK V 445 f), hat seinen festen Platz sowohl in der Lehre Jesu (Mt 25,41; 5,29 par; 13,42.50; 22,13; 18,8 par; 5,22; 18,9; 8,12; 24,51; 25,30; Lk 13,28) wie in den Schriften der Apostel (2 Thess 1,9; 2 Thess 2,10; 1 Thess 5,3; Rom 9,22; Phil 3,19; 1 Kor 1,18; 2 Kor 2,15; 4,3; 1 Tim 6,9; Offb 14,10; 19,20; 20,10-15; 21,8). Insofern steht das Dogma auf festem Grund, wenn es von der Existenz der Hölle (DS 72; 76; 801; 858; 1351) und von der Ewigkeit ihrer Strafen (DS 411) spricht.
Freilich konnte die Aufnahme einer solchen Aussage, die so sehr allen unseren Vorstellungen von Gott und vom Menschen zuwiderläuft, nicht ohne große Erschütterungen vor sich gehen. Origenes war es, der (gemäß Fragmenten, die bei Justinian und Ps.-Leontius überliefert sind) in seinem großen Versuch einer Systematisierung des Christlichen (Ile-pidp/cöv) zuerst den Gedanken vortrug, am Ende müsse es aus der Logik Gottes mit seiner Geschichte heraus zu einer Allversöhnung kommen; freilich hatte er wohl diesen ganzen Entwurf unter die Klammer des Hypothetischen stellen wollen; er wollte Anlauf sein zu einer Gesamtschau, der nicht einfach beansprucht, die Wirklichkeit selbst wiederzugeben. Wenn hier das neuplatonische Denken die Vorstellung überakzentuiert hatte, daß das Böse eigentlich nichtig, ein Nichts sei und Gott allein die Wirklichkeit, so hat der große Alexandriner später die unheimliche Realität des Bösen, die Gott leiden machen, ja, töten kann, viel tiefer verspürt, aber doch auch die Hoffnung nicht gänzlich aufgeben können, daß eben in diesem Leiden Gottes die Realität des Bösen aufgefangen, aufgearbeitet sei und ihre Endgültigkeit verloren habe. Eine Reihe von Großen aus der Väterzeit ist ihm in dieser Hoffnung gefolgt: Gregor von Nyssa, Didymus, Diodor von Tarsus, Theodor von Mopsuestia, Evagrius Ponticus, zeitweise auch Hieronymus. Die großkirchliche Tradition hat einen anderen Weg genommen; sie mußte zugeben, daß die Erwartung der Allversöhnung aus dem System folgt, aber nicht aus dem biblischen Zeugnis. Ein immer leiser werdender Nachklang der Gedanken des Origenes ist dennoch über Jahrhunderte hin verblieben in den vielfältigen Variationen der sog. Miseri-cordia-Lehre, die entweder die Christen ganz von der Möglichkeit der Verdammnis ausnehmen oder allen Verlorenen aufgrund der Barmherzigkeit Gottes in irgendeiner Form Erleichterung gegenüber dem eigentlich Verdienten zusprechen möchte.
Was bleibt? Zunächst die Tatsache einer unbedingten Achtung Gottes vor der Freiheit seines Geschöpfes. Die Liebe kann ihm geschenkt werden und damit die Verwandlung aller Dürftigkeit, die in ihm selber ist; auch das Ja zu solcher Liebe muß nicht der Mensch “schaffen”, sie selbst ruft es mit ihrer eigenen Kraft hervor. Aber die Freiheit, auch die Erschaffung dieses Ja zu verweigern, es nicht als Eigenes anzunehmen, die bleibt. Darin liegt der Unterschied zwischen dem schönen Traum vom Bodhisattva (vgl. § 6 I 3) und seiner Verwirklichung: Der wahre Bodhisattva, Christus, geht in die Hölle und leidet sie leer; aber er behandelt die Menschen nicht als unmündige Wesen, die letztlich ihr eigenes Geschick nicht verantworten können, sondern sein Himmel beruht auf der Freiheit, die auch dem Verdammten das Recht läßt, seine Verdammnis zu wollen. Das Besondere des Christlichen zeigt sich hier in seiner Überzeugung von der Größe des Menschen: Sein Leben ist ein Ernstfall; es wird nicht alles durch die List der Idee zuletzt zu einem Moment von Gottes Plänen umgebaut; es gibt das Unwiderrufliche, auch die unwiderrufliche Zerstörung – mit diesem Ernstfall und mit diesem Bewußtsein des Ernstfalls hat der Christ zu leben. Diese Ernsthaftigkeit des menschlichen Seins und Tuns erhält ihre greifbare Gestalt in Christi Kreuz, das nun freilich auf unser Thema doch nach zwei verschiedenen Seiten Licht wirft. Gott leidet und stirbt – das Böse ist für ihn nicht das Unwirkliche; für ihn, der Liebe ist, ist der Haß kein Nichts. Er überwindet das Böse nicht in der Dialektik der universalen Vernunft, die alle Verneinungen in Bejahungen umsetzen kann; er überwindet es nicht in einem spekulativen, sondern in einem ganz realen Karfreitag. Er tritt selbst in die Freiheit der Sündigenden ein und überbietet sie durch die Freiheit seiner in den Abgrund gehenden Liebe. Aber wenn hier der Realitätscharakter des Bösen und seiner Folgen ganz anschaulich wird, so entsteht doch die Frage, ob darin nicht auch eine göttliche Antwort sichtbar wird, die die Freiheit als Freiheit zu sich zu wandeln vermag. Die Antwort liegt im Dunkel von Jesu Scheol-Abstieg verborgen, in der durchlittenen Nacht seiner Seele, in die kein Mensch hineinzublicken vermag – höchstens soweit er im leidenden Glauben mit in dieses Dunkel geht. So hat in der Geschichte der Heiligen vor allem der letzten Jahrhunderte, bei Johannes vom Kreuz, in der Frömmigkeit des Karmel und besonders wieder bei Therese von Lisieux das Wort von der Hölle eine ganz neue Bedeutung und eine ganz neue Form gewonnen. Es ist für sie weniger eine Drohung, die sie gegen die anderen schleudern, denn eine Aufforderung, in der dunklen Nacht des Glaubens die Gemeinschaft mit Christus gerade als Gemeinschaft mit dem Dunkel seines Abstiegs in die Nacht zu erleiden; dem Licht des Herrn dadurch nahe zu kommen, daß sie sein Dunkel teilen und dem Heil der Welt dienen, indem sie ihr Heil zurücklassen für die anderen. In solcher Frömmigkeit ist nichts von der furchtbaren Wirklichkeit der Hölle aufgehoben; sie ist so real, daß sie ins eigene Dasein hereinreicht. Hoffnung kann ihr nur entgegengehalten werden im Miterleiden ihrer Nacht an der Seite dessen, der unser aller Nacht umzuleiden gekommen ist. Hoffnung kommt nicht aus der neutralen Logik des Systems, aus der Verharmlosung des Menschen, sondern aus der Preisgabe der Harmlosigkeit und dem Bestehen der Realität an der Seite Jesu Christi. Solche Hoffnung aber wird nicht zu eigenmächtiger Behauptung; sie legt ihre Bitte in die Hände des Herrn hinein und läßt sie dort. Das Dogma behält seinen realen Gehalt; der Gedanke der Barmherzigkeit, der es in der einen und anderen Form während der ganzen Geschichte begleitete, wird nicht zur Theorie, sondern zum Gebet des leidenden und hoffenden Glaubens.”
Aus: J. Ratzinger. ESCHATOLOGIE – TOD UND EWIGES LEBEN
Es ist langsam Ahnbar inwieweit das Christliche in die Höhe und Tiefe geht – nicht das ausblenden des Leids, sondern das Mitleiden des Leids, das erschaudern am Bösen und das ablehnen des Bösen in dem Sinne das es Böse ist, das es Leid verursacht, das es real ist, auch wenn die Ursachen Illusionen sind (auch ein Perpetuum Mobile…) das weitet den Blick auf die Welt aus. Da ist das Spiel “Dantes Inferno” wohl ein weiterer Blick in die Hölle – wir selbst sind der, welcher schaut was schlecht und schmerzhaft ist. Womöglich war die Betonung der Hölle und der Leiden zu den Zeiten eine Entwicklungsstufe zur Bewusstwerdung des Menschen, auch in dieser Sicht, nach Unten hin. In den Abgrund hinein. Doch diesmal waren sie nicht alleine, sondern die “kosmische Wahrheit” war dabei und leidete mit.
Womöglich sind die Death Metaller, die Gothics und all die anderen “düsteren” genau das – die Suche nach dieser Wahrheit die uns schon bekannt ist, wir aber vergessen haben.
Templarii – glaubt
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3 Antworten zu “Die Hölle – Beschreibung nach Ratzinger”
Mollari Sagt:
17. Juni 2011 um 20:46
Alles Deuteln nützt nichts:Da het er recht. Das Leiden in der Dunkelheit. Jeder Leidet und empfindet Reue für irgendetwas. Jeder möchte heraustreten ins Licht und Sehen. Aber ich Glaube das ist nicht so einfach. Das Problem ist nicht das wir gesündigt haben und bereuen, sondern das wir nichts anderes tun als Sündigen. Und da das unser Denken verzerrt können wir andere auch nicht richtig betrachten und verstehen. Das wäre nicht schlimm aber wer Liebt muß auch Hassen. Ich weiß klingt komisch aber wer Mäuse liebt hasst Katzen. Und deshalb weil die Welt ist wie sie ist die Hölle kein Konstrukt.
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templarii Sagt:
21. Juni 2011 um 08:59
Das ist schlimmer als ich es je formulieren könnte. Man kann ja versuchen die Mäuse als Lebewesen nicht zu sehr zu lieben.. Aber ich weiss worauf Du hinaus willst.
gruss
Templarii
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