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Posted in Hubert Brune on April 22, 2012 by androsch

Herbst / Abend
18 Uhr 24 Uhr
Spätkultur & Zivilisation

18-20 Uhr
Ehe oder Napoleonismus

Die geistige Keimlegung einer später werdenden Kultur erfolgt bereits im Herbst zweier älterer Kulturkreise, also zweier Zivilisationen. Sie sind die Erwachsenen, die Vollendeten, aber auch die werdendenEltern, die Älteren, die ihr Dasein und Sosein offenbar auf einen Nenner gebracht haben und sich deshalb vom oberen Zähler nicht mehr geprägt fühlen, weil sie sich selbst dazu rechnen, trotz der Gefahr, daß auch Zähler gelegentlich ins Unendliche wachsen. Etwas zu prägen liegt ihnen am Herzen, sich prägen zu lassen dagegen nicht. Sie sind Kulturen am Abend, wiedie Spätkulturen des Herbstes: eine Weinlesekultur und Abenddämmerung zugleich. Sie sind romantisch – gar keine Frage. Eigenes zustande bringen wollen sie und vergessen dabei leicht, daß sie einmal Kinder waren, geprägt wurden. Sie sind demokratisch – gar keine Frage. Das müssen werdende Eltern sein. Als Ehepartner und Selbständige ersinnen sie Planungen für den Lebensabend, bauen Häuser, gehen einer Arbeit und einem Berufsziel nach. Sie sind Industrialisierte – gar keine Frage. Als Klassiker unter den Menschen haben sie die Reife, die nötig ist, um für alles Folgende die eigene Verantwortung und Leistung immer wieder repräsentiert zu bekommen. Sie sind die Vertreter der diplomatischen Kritik, weil sie nörgelnde Kritik nicht mögen. Ihre Liebe zur Partnerschaft ist fast grenzenlos und deshalb gefährlich. Dieser Idealismus führt oft zu Ungleichgewichten, weil die Gleichheit ständig angestrebt wird. Allen wollen sie es recht machen, weshalb für sie juristische Fragen nur demokratisch zu lösen sind. Abgesehen davon, daß ihnen das Geld immer wichtiger zu werden hat, weil die Hypothekenzinsen für ihr Eigenheim gestiegen sind, befinden sie sich in einer Phase der Konsolidierung und Routine. Wären da nur nicht immer die schlechten Nachrichten, die ihnen, wie eine andere Presse, die Gefühle der Einengung vermitteln. Aber sie lieben die Medien – gar keine Frage.
In der Kulturgeschichte stellt eine Partnerschaft im frühen Erwachsenenalter einer Kultur die kaum bewußte Anziehung zu einer anderen Kultur, aber auch die sehr bewußte Gefährdung einer solchen Vermählung dar: den masochistischen oder den sadistischen Kulturtransfer. Eine Kultur kommt wegen der anderen nicht in Form, weil diese jene aushöhlt. Dieser Prozeß beginnt mit einer scheinbar allen alles versprechenden Hochzeit, in tiefer Wirklichkeit jedoch mit einer Pseudomorphose, die zunächst die eine, dann die andere Partnerkultur erfassen kann. So wie Ägypter und Sumerer für die Antike, so waren Antike und die magische Kultur die Eltern des Abendlandes. Das Abendland nennt sie Antike und Christentum, liebevoller: römisch-katholisch. Ob und wessen Eltern das Abendland und seine Partnerin – vielleicht eine Kultur, die mit sich selbst schwanger geht, also „als Kultur“ noch gar nicht geboren, noch gar nicht zur Welt gekommen ist wie Rußland, das man dann eher Nordasien nennen müßte – einmal sein werden, ist noch nicht zu erkennen, aber deren Kind könnte später wohl vom Wesen eines global-kosmischen und tiefebenen Charakters sein. Eine Ehe ist gewöhnlich zunächst einmal eine reine Partnerangelegenheit. Kulturpartner sprechen nun auf sehr eigenartige Weise über ihre Kinderwünsche; meistens sind sie reine Ideen, z.B. die Alexanders des Großen (356-323), Griechen und Perser verschmelzen zu wollen, oder die Idee Napoleons (1769-1821), die Welteinwohner mit den Revolutionsideen der Franzosen zu vermählen. (). Kulturtransfer meint tiefensoziologisch immer Eroberung und Verzicht zugleich.
Über den Verlust der Freiheit oder der jugendlichen Unbekümmertheit klagen Verheiratete erst, nachdem die Heirat vollzogen worden ist. Deshalb beginnt die Ehe in der Phase des Übergangs von der Kultur zur Zivilisation. Dies ist nicht wertend gemeint, sondern der Versuch zur Beschreibung einer Ehesituation, die ja bekanntlich auch von real existierenden Erwachsenen meistens nicht wehleidig oder anklagend geäußert wird. Aber, und das ist entscheidend, sie wird zu spät bemerkt. Erst wird die Ehe fast bedingungslos angestrebt, um danach durch Krisen überstanden werden zu müssen. Genau auf diese Weise verläuft auch das dritte Quartal, das herbstliche Kulturquartal.
Eine Ehe ist nur zwischen zwei verschiedenen Kulturen möglich, ansonsten heißt sie Verwandtschaft. Die Zeit der Jugendliebe ist vobei, vorbei die Zeit der ersten Welteroberer, als die abendländischen Kolonialmächte Portugal, Spanien, Holland und England den überseeischen Kolonien den ersten Kuß gaben. Auch Schwedens Liebesspiel mit Rußland, der Nordische Krieg (1700-1721), gab dem Partner einen ersten Geschmack für Gelüste nach Ostseegroßmacht (1721). Die Ehen aber sind etwas aggressiver und gelten in der Regel „ewig“ (ahd. „ewa“ = ewig geltendes Gesetz, Ehe). Sie äußern sich durch besonders aggressive Eroberungskriege. Der Ring des Krieges beginnt. Diesen Ehering ergriffen 334 bis 323 Makedonien und das noch nicht zur Welt gekommene Vorderasien (magisch) und 1812 bis 1814 Frankreich und das noch nicht zur Welt gekommene Rußland (nordasiatisch), ohne zu wissen, auf wen oder was sie sich da eingelassen hatten und wer sich dazu später als Krisenmanager herausstellen sollte. (20-22). War der mit der Trauung beauftragte Standesbeamte vielleicht auch der Eheberater? Trauzeugen waren ja genug vorhanden. Die eine Ehe hieß fortan Hellenismus, die andere Europäismus. Der Beginn dieser Ehen ist tatsächlichder Status nascendi einer Pseudomorphose: eine Formgebung durch Dominanz und eine Formübernahme durch Anpassung. Durch Kristallisation bleibt die vorher schon vorhandene Form erhalten, während die inhaltliche Substanz verändert wird. Die Frage ist nur, wer in wessen Haut steckt. Es entstehen gefälschte Formen, z.B. Haßgeliebte und Liebgehaßte. Wenn wir die Chemie auf die Soziologie übertragen, bedeutet dieser Vorgang, daß sich in einer Partnerschaft immer ein gewisses Dominanzverhältnis herauskristallisiert und daß sich dieses Verhältnis auch umkehren kann. Das ist im Falle der Antike und dem Morgenland auch so gewesen, als sich das Verhältnis zwischen der dominaten antiken Kultur und der unterlegenen magischen Kultur (bis dahin noch nicht zu Atem, noch nicht zur Welt gekommen) sich umdrehte. (Vgl. 0-2).
Eine Ehe zeichnet sich zudem bekanntlich dadurch aus, daß Nachkommen erwartet werden. Für eine Kultur bedeutet das, daß die zu ihr gehörenden erwachsenen Menschen anfangen, immer weniger Kinder zu bekommen – zuerst Geburtenrückgang, dann Geburtendefizit, zuletzt Tod des Volkes -, während die Kultur selbst Nachkommen erwartet, nämlich aus Angst davor, selbst unterzugehen und in Zukunft einer neuen Kultur Platz machen zu müssen. Da nicht vorhersehbar ist, ob und, wenn ja, wann das wirklich eintreten wird, kommt es immer häufiger zum „Aufschub“.
Schon Ende des 18. Jahrhunderts zeigten sich die ersten Anzeichen des abendländischen Geburtenrückgangs in Frankreich. Die große Revolution von 1789, die hier den Übergang zur Zivilisation vermittelte, bedeutet gewissermaßen auch den Wendepunkt von der Fruchtbarkeit zur Unfruchtbarkeit des französischen Volkes.
Geburtenrückgang in Frankreich
1783 / 1789 1801 / 1810 1811 / 1820 1821 / 1830 1831 / 1840 1841 / 1850 1851 / 1860 1861 / 1870 1871 / 1880 1881 / 1890 1891 / 1900 1901 / 1910 1911 / 1913

38,4 32,2 31,6 30,8 29,0 27,4 26,3 26,3 25,4 23,9 22,1 20,7 18,8

Geburtenrückgang in Frankreich
1921 1924 1925 2003 * Prozentualer Geburtenrückgang 1783/1789 – 1871/1880 1871/1880 – 1925 1925 – 2003 *

20,7 19,2 19,6 13,0 * 1783/1789 – 2003: 66% * 34% 23% 34% *
Quellen: Richard Korherr, Geburtenrückgang, a.a.O., 1927, S. 164; * Fischer Weltalmanach, 2006, S. 504.

Beispiele für Eheversprechen: „Bürgerliche Revolutionen“
Eroberungen führen zur Ehe, die immer wieder bestätigt werden will und muß. Vielleicht sind ja auch darum Zivilisation und Expansion nicht voneinander zu trennen. In unserem Kulturkreis haben wir eine Phase, wenn nicht sogar ein ganzes Kulturquartal mit dem Begriff Imperialismus belegt. Der Beginn solcher Imperien, wie es sie so zuvor in den Kulturen nicht gegeben hatte, ist mit eindeutigen Daten zu belegen: 358 v. Chr. begann unter Phillip II. (359-336) die Einigung Makedoniens, 1792 die Uneinigkeit in Frankreich, d.h. die Schreckensherrschaft der Revolutionäre; beide, antike Einigung und abendländische Uneinigkeit, führten jeweils zu einer Persönlichkeit, die die Herrschaft nicht ohne Gewaltanwendung an sich riß. Alexander der Große (356-323) kam nach der Ermordung Phillips II., 336 v. Chr., Napoleon (1769-1821) durch unterschätzte Popularität mit dem Staatsstreich vom 18. Brumaire des Jahre VIII (09.11.1799) an die Macht. (). Beide Imperien waren von kurzer Dauer, aber beide haben Kulturwerte über den eigenen geographischen Kulturkreis hinaus verbreitet und in ihm alte Systeme beseitigt, z.B. die polisartige Einzelstädterei in Griechenland oder die kirchendynastische Fürstlichkeit in Europa. Aber beide haben es nicht vermocht, den (Nord-) Westen ihres Kulturkreises zu bezwingen. Sie konnten ihn nicht überzeugen. Dabei gab es schon vor dieser Phase des 2. Tyrannis (Napoleonismus), nämlich in der Phase der 1. Tyrannis (Absolutismus), kluge Köpfe, die man jetzt hätte brauchen können: Napoleon z.B. hätte von Leibniz lernen können. (Vgl. 14-16).
Daß z.B. die abendländische „Bürgerliche Revolution“ ausgerechnet in Frankreich und nicht etwa in einem anderen abendländischen Land stattfinden konnte, ist ausschließlich durch die Tatsache zu begründen, daß in Frankreich der Adel zu sadistisch, zu gierig und insbesondere zu dumm war. Der Sadismus und die Gier des französischen Adels führte zum Verhungern seiner Untertanen, die Dummheit des französischen Adels führte zur Wissensüberlegenheit seiner Gegner. In allen anderen abendländischen Ländern war der Adel nicht so sadistisch und nicht so gierig und – vor allem – nicht so dumm wie der Adel in Frankreich. In allen anderen abendländischen Ländern ging es den Untertanen relativ gut, weil der Adel bescheidener und – vor allem – über das Wissen seiner Gegner viel besser informiert war. Und gerade das Wissen über das Wissen der Gegner gehört ganz wesentlich zu einer »aufgekärten« Herrschaftsform. Daß eine bestimmte Nation für eine „Bürgerliche Revolution“ mehr geeignet sei als eine andere, wie immer behauptet wird, sagt nichts über „Zivilcourage“ o.ä. aus, sondern nur darüber, ob die Dummheit der Herrschenden die Hauptbedingung für eine erfolgreiche „Bürgerliche Revolution“ ist.
Kurz vor den Umwälzungen, die von Makedonien (358 v. Chr.) und Frankreich (1789) ausgingen, etablierten sich weiter westlich, aber ebenfalls über die „Bürgerliche Revolution“ zwei neue, zukünftige Mächte: die Vereinigten Stadtstaaten von Latinien (Rom) und die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort waren es die Ständekämpfe, die zu den licinisch-sextischen Gesetzen (367/366) und damit zur Etablierung des römischen Amtsadels, der Nobilität (Patrizier und Plebejer) führten, hier war es der Unabhängigkeitskrieg (1775-1783), der zur Unabhängigkeitserklärung (1776) und letztlich zur Unabhängigkeit der USA von England führte. Dort stand man noch unter den Eindrücken der Etrusker-Hegemonie und der Gallier-Gefahr, hier unter denen der England-Hegemonie und der mal französisch und mal englisch unterstützten Indianer-Gefahr. Tatsächlich waren diese Prozesse inzestuöse Vermählungen unter homoerotischem Vorzeichen. Die Partner des Einflusses waren zu verwandt. Sie konnten inzuchtartig nicht funktionieren, denn die Scheidung von England und die Scheidung vom griechisch-etruskisch beeinflußten Teil Italiens bedeuten in Wirklichkeit eine Fortsetzung der Gepflogenheiten der früheren Vormächte unter neuen Bedingungen der zukünftigen. Daß dort die alt-etrsuksischen und hier die alt-englischen Herrschaften besiegt wurden, das aber war schon „revolutionär“.

Entwicklungen im 18. und 19. Jahrhundert bzw. im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr.

Nach Alexanders Tod (323 v. Chr.) begannen die Kämpfe um seine Nachfolge, die Diadochenkriege. Nach dem 3. Diadochenkrieg (315-301) sollten vier und nach dem letzten Diadochenkampf (281 v. Chr.) nur noch drei große monarchische Reiche übrig bleiben: Makedonien unter den Antigonen, Vorderasien unter den Seleukiden und Ägypten unter den Ptolemaiern. In der westlichen Antike, die zuvor nur als Kolonie bedeutend gewesen war, entstand in Rom nach dem Ständekampf durch die Licinisch-sextischen Gesetze von 367/366 ein Amtsadel aus Plebejern und Patriziern. Rom steigerte seine Erfolge nach und nach im 1. Samnitenkrieg (343-341), im Latinerkrieg (340-338), im 2. Samnitenkrieg (326-304), im 3. Samnitenkrieg (298-290) und in den Kämpfen mit den Kelten (285-282), deren Gebiet Rom eroberte und sich damit die Herrschaft in Mittelitalien sicherte. Und auch im alten Griechenland kam Neues auf: es gab dort seit 367 v. Chr. z.B einen Ätolischen Bund, aber seit 357-355 keinen Seebund mehr: Chios, Kos, Rhodos, Byzanz waren vom 2. Attischen Seebund abgefallen, wogegen Athen im sogenannten Bundesgenossenkrieg (357-355) vergeblich angekämpft hatte. Die von Makedonien ausgehende Revolution drängte in Griechenland die Idee der Polis immer mehr zurück, ließ u.a. auch den Achaischen Bund (280 v. Chr.) entstehen und nahm dadurch vielen Polis die Selbständigkeit. Hatte die 1. Tyrannis mit Hilfe des Nichtadels die Polis noch vollendet (vgl. 14-16), so begann jetzt der Nichtadel mit Hilfe der 2. Tyrannis, sie zu zerstören. „Bürgerliche Revolutionen“ sind eben der Beginn der Zivilisation und demontieren mit immer expansiverem Drang nicht nur alte Ideen, sondern oftmals auch alte Formen. Herbst ist Pflückzeit. Herbst ist Ernte durch Schnitt (Schneiden). In der Antike wurde die Polis, im Abendland der dynastische Staat zum Negativ-Symbol; aber auch das ist ein Teil der gesamten Kultursymbolik. (Vgl. Ursymbol).
Auch nach Napoleons Niederlage (1814/1815) traten Nachfolgekämpfe, also Analogien zur Antike offen zutage. Die Restaurationspolitik, hinter der vor allem die englische Gleichgewichtspolitik stand, um selber freie Hand in Übersee zu haben, garantierte in Europa eine Pentarchie der Großmächte England, Preußen, Österreich, Frankreich und Rußland. (). Genau wie in der Antike, so legten sich auch im Abendland die Diadochenkämpfe, hier Revolutionen genannt, erst nach etwa 40 Jahren, bis Napoleon III. (1808-1873) durch Putschversuche (1836 und 1840) und Präsidentschaftswahlen (1848) das Parlament auflöste (1851), diktatorische Befugnisse übertragen bekam und 1852 erblicher Kaiser wurde, aber am Ende (1870/1871) scheiterte, weil Preußen ihn nach dem gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg gefangen nahm, Frankreich wieder Republik und Deutschland in Frankreich (Spiegelsaal von Versailles) wieder zum Deutschen Reich wurde (Zweites Deutsches Reich). Im fernen westlichen Abendland, das zuvor nur als Kolonie bedeutend gewesen war, wurden die USA ebenfalls nach einem Ständekampf, nach dem Unabhängigkeitskrieg durch die Unabhängigkeitserklärung von 1783 und durch die Eroberungen im Westen Herrscher in der Mitte Nordamerikas. Gleichzeitig erreichte dort die erste große Einwanderungswelle ihren Abschluß. Deutsche (38%) und Iren (33%) übertrafen dabei die zur Minderheit herabgerutschten Angelsachsen (16%), die dennoch herrschend blieben. Ein Omen! (Deutsch wäre fast National- und Amtssprache der USA gworden, doch mit den Iren zusammen konnten die Englisch-Sprechenden die Abstimmung gewinnen, wenn auch nur knapp!).
Der Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein (1757-1831) wurde von Preußen zum leitenden Minister berufen und führte ab 1807 umfangreiche liberale Reformen durch, die nach seiner Entlassung 1808 von Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822) in einem etwas anderen Geist fortgesetzt wurden. Und dieses gesamte Reformwerk, die Stein-Hardenberg-Reformen also, wirkte mehr oder weniger auf das gesamte Deutschland und bedeutet mehr als in den meisten Geschichtsbüchern steht. Stein war ein Gegenspieler Napoleons, hat ihm getrotzt, aber auch dem preußischen König Friedrich-Wilhelm III., der ihn mehrmals entlassen wollte und einmal auch ließ. „Der Freiherr vom Stein … war einer von denen, die zwischen dem Gestern und dem Morgen standen, er hatte gleichzeitig die große Vergangenheit und die große Zukunft in Blick. Er hat die französischen mit den englischen Reformideen vereint, die Bauern befreit, die städtische Selbstverwaltung vorangetrieben, Napoleon wie auch seinem König die Stirn geboten. Er war Praktiker und Visionär – was für eine Gestalt!“ (Hagen Schulze auf die Frage, welche geschichtliche Figur für ihn exemplarisch verkörpere, was deutsch sei, in: Matthias Matussek, Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können, 2006, S. 163). Derartige moderne Reformen für Bauern, Städte und Verwaltung sind eine Voraussetzung für einen (oft „fortschrittlich“ genannten) modernen Staat mit rasch wachsendem Wohlstand. Und am unblutigsten erreicht man sie über Verträge und Reformen, wie die Beispiele England und Deutschland zeigen. In Frankreich, wo die Leibeigenschaft auf den königlichen Domänen 1779 beseitigt worden war, wurden die persönlichen Lasten im Zuge der Bürgerlichen Revolution von 1789 ohne Ablösung aufgehoben. In Frankreich wurde eben nicht unblutig reformiert, sonder blutig revolutioniert.
„Das ganze Deutschland soll es sein!
// O Gott vom Himmel, sieh darein!
// Und gib uns rechten deutschen Mut,
// Daß wir es lieben treu und gut.
// Das soll es sein!
// Das ganze Deutschland soll es sein!“
(Ernst Moritz Arndt).
„Jahrelang hatte Arndt, den Jahn den »Deutschen Lehrer, Schreiber, Sänger und Spieler« nannte, die Deustchen beschworen, die staatliche Einheit der Nation herzustellen: »Das ganze Deutschland soll es sein!« schrieb er …. »Wir ringen«, erklärte er im April 1813, »um die Wiedererschaffung eines deutschen Volkes aus den Völkchen. Unsere Fürsten und Herren (aber) bekehren sich nicht wieder zur Treue – der Teufel hole sie.« (Ernst Moritz Arndt). Trotz der Warnung des Königs blieb der Bonner Professor bei seiner scharfen Kritik an den Fürsten, was ihm 1819 nach der Ermordung Kotzebues schließlich die Verhaftung und zahlreiche Verhöre eintrug. Seinen Fall ließen die Behörden 1821 ohne Urteil, ohne Begründung und ohne Freispruch einschlafen. Nachdem Napoleon, den er schonungslos bekämpft hatte, endgültig geschlagen war, warf Arndt den Deutschen, die sich zur Restauration bekannten, ungeduldig und bissig vor, Kosmopoliten, philosophierende Kritikaster und weltfremde (»den stinkenden Mist der Politik« verachtende) Schwärmer geworden zu sein, die »die elende Eitelkeit, ein Volk zu sein«, verachteten. In der Paulskirchen-Versammlung stand er neben den großen Geistern der Nation, neben Jacob Grimm, Ludwig Uhland und Friedrich Theodor Vischer.“ (Werner Maser, Deutschland, 1984, S. 22- 23).
Der Wiener Kongreß, die von Ende September 1814 bis Juni 1815 erfolgte Zusammenkunft der europäischen Monarchen und Staatsmänner zum Zweck der politischen Neuordnung Europas nach dem Sturz Napoleons I., erarbeitete – ein verhandlungstechnisches Novum – seine Ergebnisse in Kommissionen und trat formell erst durch seinen Schlußakt ins Leben. Eine herausragende Rolle spielte vor allem der österreichsiche Staatskanzler Klemens W. von Metternich (1773-1859), aber auch der britische Außenminister R. S. Viscount Castlereagh (1769-1822), der preußische Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822), der russische Zar Alexander I. (1777-1825) und (wie erstaunlich!) der französische Vertreter C. M. de Talleyrand (1754-1838), dessen diplomatisches Geschick seinem Land eine nahezu gleichberechtigte Position zurückgewann (!). Der Wiener Kongreß war besonders gekennzeichnet durch das Spannungsverhältnis zwischen der grundlegenden Zielvorstellung des Gleichgewichts europäischer Mächte, das auf einer Restauration vorrevolutionärer Zustände und dem Grundsatz dynastischer Legitimität beruhen sollte, und den Großmachtrivalitäten sowie den faktischen Beharrungskräften der politischen Veränderungen im Gefolge der Napoleon(ist)ischen Herrschaft. Im 1. Pariser Frieden (1814) wirkte Metternich im Sinne der europäischen Gleichgewichtspolitik (also im Interesse der Engländer !) auf die Schonung Frankreichs hin. Auf dem unter Metternichs Vorsitz tagenden Wiener Kongreß betrieb er erfolgreich die Wiederherstellung der politischen und sozialen Ordnung in Europa nach den Grundsätzen der Legitimität. Die „Heilige Allianz“ (Österreich-Preußen-Rußland) formte Metternich zu einem Bund der Fürsten gegen die nationalen und liberalen Regungen der Völker. Als führender europäischer Staatsmann trat Metternich auch auf den Kongressen der Jahre 1820-22 auf, die er zum Instrument legitimistischer Interventionspolitik machte. Im Deutschen Bund (1815-1866) setzte er in Zusammenarbeit mit Preußen die rücksichtslose Unterdrückung der freiheitlichen und nationalen Bewegung – vor allem durch die Karlsbader Beschlüsse (1819) – sowie die Festschreibung des monarchischen Prinzips (1820) durch. Als Verfechter dieses Prinzips war Metternich zu keinem Zugeständnis bereit. Das „System Metternich“ war ausgerichtet auf die Erhaltung der politischen und sozialen Ordnung, die auf dem Wiener Kongreß im vorrevolutionären Sinne restauriert worden war. Die Stabilität dieser auf monarchischer Legitimität gegründeten Friedensordnung sah Metternich am besten im Gleichgewicht der 5 Großmächte gesichert, wobei er der Zusammenarbeit der 3 konservativen Großmächte (Österreich, Preußen, Rußland) einen besonderen Wert beimaß. Metternichs politisches Denken war geprägt von kompromißloser Ablehnung der „französischen Revolution“. Die Mittel seiner Politik waren vor allem Kongreßdiplomatie und militärische Interventionen, Polizeimaßnahmen und Zensur!
„Auf dem Wiener Kongreß siegte noch einmal das 18. Jahrhundert über die neue Zeit. Das hieß seitdem »konservativ«. Es war nur ein scheinbarer Sieg, dessen Erfolge das ganze Jahrhundert hindurch beständig in Frage gestellt war. Metternich, dessen politischer Blick – was man auch gegen seine Person sagen mag – tiefer in die Zukunft drang als der irgendeines Staatsmannes nach Bismarck, sah das mit unerbitterlicher Klarheit:
»Mein geheimster Gedanke ist, daß das alte Europa am Anfang seines Endes ist.
Ich werde, entschlossen mit ihm unterzugehen, meine Pflicht zu tun wissen.
Das neue Europa ist anderseits noch im Werden;
zwischen Ende und Anfang wird es ein Chaos geben.«
Nur um dieses Chaos zu verhindern, entstand das System des Gleichgewichts der großen Mächte, beginnend mit der Heiligen Allianz zwischen Österreich, Preußen und Rußland. Verträge wurden geschlossen, Bündnisse gesucht, Kongresse abgehalten, um nach Möglichkeit jede Erschütterung des politischen »Europa« zu verhindern …
Was Metternich unter dem Chaos verstand, das er durch seine entsagungsvolle, unschöpferische, nur auf die Erhaltung des Bestehenden gerichtete Tätigkeit solange als möglich von Europa fernhalten wollte, war aber weniger der Verfall dieses Staatensystems mit seinem Gleichgewicht der Mächte als der daneben hergehende Verfall der Staatshoheit selbst in den einzelnen Ländern, die uns seitdem selbst als Begriff so gut wie verloren gegangen ist. Was wir heute als »Ordnung« anerkennen und in »liberalen« Verfassungen festlegen, ist nichts als eine zur Gewohnheit gewordene Anarchie. Wir nennen das Demokratie, Parlamentarismus, Selbstregierung des Volkes, aber es ist tatsächlich das bloße Nichtvorhandensein einer ihrer Verantwortung bewußten Autorität, einer Regierung und damit eines wirklichen Staates.
Am verhängnisvollsten ist das Ideal der Regierung des Volkes »durch sich selbst«. Aber ein Volk kann sich nicht selbst regieren, so wenig eine Armee sich selber führen kann. Es muß regiert werden und es will das auch, solange es gesunde Instinkte besitzt. Aber es ist etwas ganz anderes gemeint: der Begriff der Volksvertretung spielt in jeder solchen Bewegung sofort die erste Rolle. Da kommen die Leute, die sich selbst zu »Vertretern« des Volkes ernennen und als solche empfehlen. Sie wollen gar nicht »dem Volke dienen«; sich des Volkes bedienen wollen sie, zu eigenen, mehr oder weniger schmutzigen Zwecken, unter denen die Befriedigung der Eitelkeit der harmloseste ist. Sie bekämpfen die Mächte der Tradition, um sich an ihre Stelle zu setzen. Sie bekämpfen die Staatsordnung, weil sie ihre Art von Tätigkeit hindert. Sie bekämpfen jede Art von Autorität, weil sie niemandem verantwortlich sein wollen und selbst jeder Verantwortung aus dem Wege gehen. Keine Verfassung enthält eine Instanz, vor welcher die Parteien sich zu rechtfertigen hätten. Sie bekämpfen vor allem die langsam herangewachsene und gereifte Kulturform des Staates, weil sie sie nicht in sich haben wie die gute Gesellschaft, die society des 18. Jahrhunderts, und sie deshalb als Zwang empfinden, was sie für Kulturmenschen nicht ist. So entsteht die »Demokratie« des Jahrhunderts, keine Form, sondern die Formlosigkeit in jedem Sinne als Prinzip, der Parlamentarismus als verfassungsmäßige Anarchie, die Republik als Verneinung jeder Art von Autorität.
So gerieten die europäischen Staaten außer Form, je »fortschrittlicher« sie regiert wurden. Das war das Chaos, das Metternich bewog, die Demokratie ohne Unterschied der Richtung zu bekämpfen – die romantische der Befreiungskriege wie die rationalistische der Bastillestürmer, die sich dann 1848 vereinigten – und allen Reformen gegenüber gleich konservativ zu sein. In allen Ländern bildeten sich seitdem Parteien, das heißt neben einzelnen Idealisten Gruppen von Geschäftspolitikern zweifelhafter Herkunft und mehr als zweifelhafter Moral: Journalisten, Advokaten, Börsianer, Literaten, Parteifunktionäre. Sie regierten, indem sie ihre Interessen vertraten. Monarchen und Minister waren stets irgendwem verantwortlich gewesen, zum mindesten der öffentlichen Meinung. Nur diese Gruppen waren niemand Rechenschaft schuldig. Die Presse, entstanden als Organ der öffentlichen Meinung, diente längst dem, der sie bezahlte; die Wahlen, einst Ausdruck dieser Meinung, führten die Partei zum Siege, hinter der die stärksten Geldgeber standen. Wenn es trotzdem noch eine Art von staatlicher Ordnung, von gewissenhaftem Regieren, von Autorität gab, so waren es die Reste der Form des 18. Jahrhunderts, die sich in Gestalt der wenn auch noch so konstitutionellen Monarchie, des Offizierkorps, der diplomatischen Tradition, in England in den uralten Bräuchen des Parlaments, vor allem des Oberhauses, und seiner zwei Parteien erhalten hatten. Ihnen verdankt man alles, was an staatlichen Leistungen trotz der Parlamente zustande kam. Hätte Bismarck sich nicht auf seinen König stützen können, so wäre er sofort der Demokratie erlegen. Der politische Dilettantismus, dessen Tummelplatz die Parlamente waren, betrachtete diese Mächte der Tradition denn auch mit Mißtrauen und Haß. Er bekämpfte sie grundsätzlich und hemmungslos ohne Rücksicht auf die äußeren Folgen. So wird die Innenpolitik überall ein Gebiet, das weit über seine eigentliche Bedeutung hinaus die Tätigkeit aller erfahrenen Staatsmänner notgedrungen an sich zog, ihre Zeit und Kraft vergeudete, und über dem man den ursprünglichen Sinn der Staatsleitung, die Führung der Außenpolitik, vergaß und vergessen wollte. Das ist der anarchische Zwischenzustand, der heute als Demokratie bezeichnet wird und der von der Zerstörung der monarchischen Staatshoheit durch den politischen, plebejischen Rationalismus zum Cäsarismus der Zukunft hinüberführt, der heute mit diktatorischen Tendenzen sich leise zu melden beginnt und bestimmt ist, das Trümmerfeld geschichtlicher Traditionen unumschränkt zu beherrschen.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung – Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 19, 23-24, 26-28).
Über den „notwendigen Verfall“, den Untergang, die Vollendung der abendländischen Kultur wurde schon geschrieben, als dieser Prozeß noch in seinen Anfängen steckte. So schrieb z.B. Karl Vollgraff (1792-1863), den man zu den Vorläufern Spenglers zählen kann, ein immerhin zweitausend Seiten umfassendes Werk – Die Systeme der praktischen Politik im Abendland -, das 1829 erschien, nie abgeschlossen wurde und die Zeitgenossen dennoch stark beeindruckte, wozu vor allem eine drei Jahre später erschienene Kampfschrift gegen die liberalen Ideen beitrug: Die Täuschungen des Repräsentativsystems (1832). Diese Schrift fand so viel Aufmerksamkeit, daß sie von den aufgebrachten Marburger Burschenschaften auf dem Marktplatz der Stadt verbrannt wurde. Viele spätere Autoren übernahmen Vollgraffs Gedanken, waren zumindst von ihnen wesentlich beeinflußt. (). Zu diesen Gedanken gehörte vor allem ein „Organismus“-Begriff im Sinne der Spätromantik, der es ermöglichte, den natürlichen Prozessen analoge Vorgänge in der Geschichte zu beobachten. Auf entsprechende Vorstellungen waren zwar auch schon frühere Autoren gekommen, doch keiner hatte versucht, diese Idee so konsequent anzuwenden wie Vollgraff. Nach dessen Ansicht war sogar die Menscheit insgesamt in einem seit 6000 Jahren andauernden Prozeß der Kultivierung begriffen und stand am Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeiten; auch die erst neu hinzugetretenen Völker hätten längst den Höhepunkt überschritten und gingen in Verfall über. (). Vollgraff hat sich vor allem dieser Dekadenz mit großer Akribie und unbestechlichem Blick zugewandt und auf diese Weise viel vorweggenommen, was heute noch am Werk Spenglers fasziniert. (). Vollgraffs Erster Versuch einer wissenschaftlichen Begründung sowohl der allgemeinen Ethnologie durch die Anthropologie wie auch der Staats- und Rechtsphilosophie durch die Ethnologie oder Nationalität der Völker in drei Teilen – ein dreibändiges Werk, daß erst ab 1851 erschien – wirkte schon auf die Zeitgenossen wie eine Spätgeburt des Vormärz. Der Vormärz bezeichntet, wie bereits angedeutet, die Zeit zwischen Wiener Kongreß (1814/15) und Märzrevolution (1848), also die nationalen und liberalen Kräfte, die schließlich die Märzrevolution herbeiführten, und ist gekennzeichnet durch äußeren Frieden und gewaltsam erzwungene innere Ruhe, durch Zersplitterung des Deutschen Reiches in 38 (39 ) Einzelstaaten – im Deutschen Bund zwar de jure einheitlich, aber de facto nur locker verbunden -, durch eine reaktionäre Knebelung aller nationalen und liberalen Bewegungen im „System Metternich“ mit Hilfe von Bundesbeschlüssen und durch ein primär von der Industrialisierung ausgelöstes Massenelend (Pauperismus).
Auf Karl Vollgraff berief sich auch Ernst von Lasaulx (1805-1861), Professor der Altertumswissenschaft in Würzburg und München, z.B. in seinem kulturmorphologisch höchst interessanten Buch: Neuer Versuch einer alten auf die Wahrheit der Tatsachen gegründeten Philosophie der Geschichte. Während Vollgraff sich zumeist darauf spezialisierte, die Symptome des Verfalls (von Kulturen, Völkern, Staaten u.ä.) zu sammeln, um herauszufindenen, wie weit die einzelnen Völker schon in die Todeszone, die das unabwendbare Ende aller Geschichte ist, hineingeraten sind, so stellte Lasaulx zwar die gleiche Verfallsdiagnose, versuchte diese aber künstlich mit der christlichen Heilslehre in Einklang zu bringen. Doch das war nicht nur inkonsequent, sondern auch fatal insofern, als er sich mit seiner eigenwilligen These zwischen alle Stühle setzte, besonders zwischen zwei, denn einerseits wurde er für die Kirche zum Häretiker wegen des Versuchs, die griechische Antike und das christliche Zeitalter in Analogie zu setzen und Sokrates mit Jesus Christus zu vergleichen (Lasaulx‘ Schriften standen zeitweilig sogar auf dem Index), und andererseits für die Wissenschaft wegen seines ausgeprägten Katholizismus zum Reaktionär. Tragisch daran ist nur, daß Lasaulx‘ Neuer Versuch nicht richtig zu Ende gedacht wurde. Interessant ist er trotzdem. Die Kulturen sterben laut Lasaulx nach Vollendung ihrer Entwicklung, nachdem sie hervorgebracht haben, wozu sie bestimmt waren. (Vgl. ebd., S. 24). Ihre „innere productive Zeugungskraft“ (ebd., S. 147) nehme ab, „Erschlaffung, Verweichlichung, Luxus“ trete ein, und danach „ein Zurücksinken in Barbarei“ (ebd., S. 28), „bis der ganze Organismus, nur auf die Befriedigung der materiellen Bedürfniss reducirt, seelenlos auseinanderfällt“ (ebd., S. 147). Man findet bei Lasaulx überwiegend biologisches (bzw. biographisches) Denken, das naturwissenschaftlich fundiert ist und auf eine Morphologie kultureller Weltgeschichte sowie eine lebensphilosophische Logik der Geschichte hinaus will. „Wenn ich es daher unternehme, mit mässigen Gaben ausgerüstet, nicht nur die Geschichte der alten Völker deren Leben vollendet ist, sondern auch jene der heutigen Völker Europas deren Schicksale noch schwebend sind, philosophisch zu beurtheilen, so kann dies nur unter mehrfachen Voraussetzungen geschehen …, dass der Gang der grossen Schicksale der Menschheit, wie die Folge der Naturerscheinungen durch feste ewige Gesetze bestimmt ist … und dass, nach den Gesetzen der Analogie im Leben der Völker des Alterthums, aus dem Bisherigen auf das Zukünftige ein wahrscheinlicher Schluss gezogen werden könne“ (ebd., S. 5-10). Per Analogie zur Prognose.
Das Lehrbuch der Weltgeschichte in organischer Darstellung vom Sprach- und Geschichtswissenschaftler Heinrich Rückert (1823-1875), dem Sohn des berühmten Dichters Friedrich Rückert (1788-1866), ist für die Kulturmorphologie ebenfalls sehr bedeutsam, stellt es doch den Versuch dar, eine „Weltgeschichte“ eben auch von Anfang an zu schreiben. In Rückerts Lehrbuch wird die Kulturmenschheit in drei (statt vier) Entwicklungsstufen eingeteilt, wobei zehn „Culturwelten“ bzw. „Culturkreise“ (= „Kulturkreise“) unterschieden werden (babylonisch, ägyptisch, chinesisch, indisch griechisch, römisch, phönizisch, semitisch, kaukasisch, islamisch), von denen eine einzige Kultur, nämlich die westeuropäische, sich wirklich lebendig erhalten hat. (Vgl. ebd., Bd. II, S. 911). Kultur bzw. ihre erste Stufe beginne, so Rückert, sobald der Mensch sich „außerhalb oder im Gegensatz zu der Natur gestellt“ (ebd., S. 20) wähne und erstmals „zum geschichtllichen Selbstbewußtsein“ (ebd., S. 78) gekommen sei. In der zweiten Stufe erkenne der Mensch die Vorteile, die der Zusammenschluß in Verbände mit sich bringe, weshalb sie bei Rückert „die sociale“ (ebd., S. 80) heißt. In der dritten Stufe schließlich entwickle sich aus dem Bedürfnis, die Welt und ihre Phänomene verstehen zu wollen, „das übersinnliche oder geistige Moment“ (ebd., S. 84), das bald zum religiösen werde. Es folge die zwangsläufige Auflösung der Kultur durch Säkularisation und Wissenschaft; sie wird aber nicht als eine eigene Stufe (oder doch als eine heimliche 4. Stufe?) gesehen, sondern nur als allmählicher Verfall. Nachdem die westeuropäische Kultur als die einzige sich wirklich lebendig erhaltene Kultur alle anderen Kulturen, ohnehin bereits abgesunken, durch Eroberung und Ausbeutung endgültig zerstört habe, komme ihr die Rolle (oder gar die Pflicht?) zu, durch Rückbesinnung auf ihr christliches Ideal der Menschheit das Heil zu bringen – doch Skepsis sei angebracht, so Rückert, ob ihr das gelinge. „Die Gegenwart und die Zukunft der europäischen Cultur, die selbst nichts weiter vermögen als das negative Werk, die Zerstörung gegen sich selbst als Vorbereitung für eine bessere Zukunft weiter fortzuführen, sind nicht dazu geschaffen, um die Regeneration jener noch mehr zerstörten eigenthümlichen Culturgebilde zu vollziehen“ (ebd., S. 919). Als leidenschaftlicher Patriot und später Romantiker glaubte Rückert zwar an eine „germanische Mission“ (vor allem der Deutschen), verurteilte aber, wie sehr viele deutsche Denker zu dieser Zeit, die Kolonialpolitik der Europäer, insbesondere der Engländer. Und als Idealist, der Rückert sicherlich auch war, schien er zu hoffen, das sich in Zukunft für die Menschheit eine „wahre Humanität“ durchsetzen werde, ganz in der Tradition des Neuhumanismus.
Der Deutsche Bund (1815-1866), ein Zusammenschluß der souveränen deutschen Fürsten und freien Städte zu einem Staatenbund, wurde 1815 auf dem Wiener Kongreß (1814-15) gegründet und bestand anfangs aus 38, seit 1817 aus 39 und zuletzt aus 33 Mitgliedern, die nach innen souverän, jedoch (logischerweise) an die Mehrheitsbeschlüsse des Deutschen Bundes gebunden waren. Organ des Bundes war die in Frankfurt (Main) unter österreichischem Vorsitz tagende Bundesversammlung aller Gesandten, deren Arbeitsfähigkeit in der Praxis von der österreichisch-preußischen Zusammenarbeit abhängig war. Unter dem Einfluß Metternichs und mit preußischer Zustimmung wurde der Deutsche Bund seit 1819 (z.B. durch die Karlsbader Beschlüsse) und verstärkt nach 1830, ein Instrument zur Unterdrückung der Einheits- und Verfassungsbewegung. Als Institution von der Revolution 1848 überrollt, wurde der Deutsche Bund 1850 wiederhergestellt. Nach Ausbruch der „Revolution“ mußte z.B. Metternich als verhaßter Exponent der Reaktion am 13.03.1848 zurücktreten und ins Ausland fliehen, bevor er im September 1851 nach Wien zurückkehrte. Doch der sich seit 1850 verschärfende österreichisch-preußische Gegensatz (Deutscher Dualismus) führte zum Ende des Deutschen Bundes. Nach dem Deutschen Krieg (1866) wurde er aufgelöst. Mit dem Sieg über Österreich im Deutschen Krieg erreichte Otto von Bismarck (1815-1898) die Gründung des Norddeutschen Bundes (1866), eines Bundestaates von 22 Mittel- und Kleinstaaten sowie freien Städten, der eine Zwischenstufe im Prozeß der Entstehung des 2. Deutschen Reiches bildete. Wirtschaftlich und militärisch stand der Norddeutsche Bund unter preußischer Vorherrschaft. Über Zollparlament und Zollbundesrat (Deutscher Zollverein) waren auch die süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bund verbunden. Er war als Provisorium gedacht, da französischer Widerstand 1866 den Weg zu einer formellen nationalstaatlichen Lösung der deutschen Frage versperrte. Die liberalen und föderalistischen Elemente des Norddeutschen Bundes waren ein Entgegenkommen an die süddeutschen Staaten, seine dahinter sichtbare Tendenz zur Absicherung der preußischen Vorherrschaft Ausdruck der Reichsgründung von oben. Zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges (1870-71) schlossen sich die süddeutschen Staaten dem Norddeutschen Bund an, der im Dezember 1870 den Namen Deutsches Reich annahm. Der Sieg über Frankreich vollendete die kleindeutsche Reichsbildung (weil ohne Österreich) als das 2. Deutsche Reich – mit der Kaiserproklamation am 18.01.1871 in Versailles.
Der „Romantiker auf dem Thron“ war Preußens König Friedrich Wilhelm IV., geboren am 15.10.1795, regierend von 1840 bis 1861, gestorben am 02.01.1861. Er war von der deutschen Romantik so stark geprägt wie kein anderer Monarch, war einem christlich-germanischen Staatsideal verhaftet, wollte die Erneuerung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Seine Vorstellungen vom Gottesgnadentum und vom „mittelalterlichen“ Ständestaat verhinderten einen preußischen Übergang zum Konstitutionalismus. Durch den Ausbruch der Märzrevolution 1848 wurde er zwar zum Nachgeben gezwungen, lehnte aber 1849 die von der Nationalversammlung in Frankfurt (Paulskirche) angebotene Erbkaiserwürde ab. Er strebte die nationale Einigung durch eine Union auf der Basis des Dreikönigsbündnisses und mit Hilfe des Erfurter Unionsparlaments an, scheiterte aber am Widerstand aus dem Ausland. Wegen einer durch eine körperliche Krankheit hervorgerufene schweren geistigen Behinderung übertrug Friedrich Wilhelm IV. 1858 die Stellvertretung an seinen Bruder Wilhelm I., geboren am 22.03.1797, regierend von 1861 bis 1888 (als Kaiser von 1871 bis 1888), gestorben am 09.03.1888. In Friedrich Wilhelm IV. einen Träumer zu sehen, wäre völlig abwegig; er wußte, was er wollte und was nicht, was möglich war und was nicht; er entschied und handelte klug; wäre er wirklich nur ein Träumer gewesen, hätte sein Bruder die Regentschaft 1858 nicht überommen.
„Friedrich Wilhelm IV., ein am Beginn seiner Regierungszeit mit besonderen Erwartungen begrüßter, hochbegabter christlich-deutscher Romantiker, erschein vielen als der Monarch, der möglichst bald auch eine deutsche Kaiserkrone tragen sollte. Hatte er doch 1843 prunkhaft-feierlich des 1000jährigen Bestehens des Deutschen Reiches gedenken lassen und unter anderem auch Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn, den in Mißkredit geratenen liberalen Dichter der Lieder für Deutsche und den als Demagogen vorübergehend inhaftierten nationalen »Turnvater« rehabilitieren lassen. (). So sprach für viele nicht nur, daß er Hohenzoller und Nachfolger des Großen Kurfürsten und Friedrich des Großen war. Doch als ihm im November 1848 von Heinrich von Gagern, dem Präsidenten der seit dem 18. Mai in der Frankfurter Paulskirche tagenden Nationalversammlung, die Kaiserkrone und das erbliche Kaisertum angetragen wurde, lehnte er ab. Einen »aus Dreck und Letten (Lehm) gebackenen Reif«, wie er die ihm ohne Zustimmung der Fürsten angebotene Krone verächtlich nannte, meinte er von sich weisen zu müssen. Die von sechshundert vornehmlich bürgerlichen Abgeordneten ausgearbeitete demokratische Verfassung, an deren Schöpfung der in dieser Zeit ganz besonders undurchschaubare und zwiespältig handelnde König keinen Anteil gehabt hatte, trat trotz nationalbetonter Euphorie, Revolution und revolutionärem Druck von unten nicht in Kraft, der deutsche Nationalstaat blieb weiterhin ein Traum. Der designierte Kaiser, Friedrich Wilhelm IV., der trotz aller »huldvollen« Freundlichkeit stets darauf bedacht war, als einer der »Fürsten in Deutschland« respektiert zu werden, wollte von einem »Handelsvertreter«, wie Heinrich von Gagern ihm – nach einer späteren Äußerung – 1848 erschienen war, ebensowenig eine Krone annehmen wie von der Nationalversammlung, die keine Krone zu verschenken hätte. Preußens König, der die nach seiner Auffassung vom Ausland her in Berlin vorbereitete »infamste Revolte, die jemals eine Stadt entehrt hat«, mehr fürchtete als die Macht Österreichs, die er keineswegs als Hindernis bei der Begründung eines Deutschen Reiches ohne Habsburg ansah, war nicht bereit, dem Wunsch jenes Parlaments zu entsprechen, das mit Ernst Moritz Arndts Parole »Das ganze Deutschland soll es sein!« () zur Schaffung einer Verfassung und eines deutschen Nationalstaates angetreten war. Die von rechten und linken Verfechtern des Nationalismus (der 1848 noch ebenso ein linkes Phänomen war wie nach dem Wiener Kongreß und zur Zeit Kurt Schumachers) gleichermaßen getragene Nationalversammlung wollte – trotz mancher rhetorischer »Bekundungen« – kein Imperium, sondern einen realistisch programmierten deutschen Nationalstaat. Zwar wollte die Versammlung nicht einmal alte Reichs- und Bundesgebiete preisgeben, die nicht deutsch waren, und es fehlte in ihr auch an Träumen von einem von der Nord- und Ostseeküste bis zur Adria und zum Schwarzen Meer reichenden deutschen Nationalstaat nicht (wie ihn rund sechs Jahrzehnte später etwa der Alldeutsche Heinrich Claß forderte); aber das eigentliche Ziel war dies nicht. Nicht einmal auf die Deutschen im Elsaß, in Lothringen und im Baltikum wurde ernsthaft Anspruch erhoben.“ (Werner Maser, Deutschland, 1984, S. 22-24).
„Bismarck meinte während der Paulskirche (1848 bis 1849), wenn es den Linken gelingt, ein großdeutsches System, also Preußen und Österreich zusammen, zu organisieren, dann gibt es einen großen europäischen Krieg. Also war er dagegen. Und das war ja schon 1815 so, nach dem deutschen Sieg über Napoleon, den die Briten zwar für sich in Anspruch nehmen, aber letztlich die Deutschen erfochten hatten. Auch damals wurde alles getan, um ein geeintes starkes Deutsches Reich eben nicht zuzulassen.“ (Klaus von Dohnanyi, in: Matthias Matussek, Wir Deutschen, 2006, S. 124). Vielleicht hätte Bismarck mit Gewalt viel mehr erreichen können, doch er war eben ein rechter, kluger Politiker: ein Taktierer, ein Pragmatiker, ein Realpolitiker.
Papst Pius IX., der vom 6. Juni 1846 bis zum 7. Februar 1878 herrschte – diese Regierungszeit (46,67 Jahre) ist bis heute der längste Pontifikat der Geschichte -, sah das rapid sich entfaltende Risorgimento in Italien nur durch eine offenbar von dem Erzreaktionär Antonelli ausgeliehene Brille, wodurch er gezwungen zu sein schien, „alle seiner konzilianten Natur entsprechenden liberalen Neigungen in ihr Gegenteil zu verkehren. Anachronistisch und hartnäckig kehrte er zu den verfehlten Mitteln Leos XII. und Gregors XVI. zurück, anstatt auf seiner anfänglichen Linie fortzuschreiten, als er seine große Amnestie für politische Vergehen erließ, so daß Österreich aus Furcht vor den Auswirkungen dieses Liberalismus Ferrara besetzte, – eines Liberalismus, dessentwegen die Häupter des Risorgimento, Giuseppe Mazzani und Vincenzo Gioberti, ihm begeistert geschrieben hatten, Grillparzer ihn ein Gedicht gewidmet hatte. Der Papst zerstörte bald alle Hoffnungen, er werde sich an die Spitze der Strömungen stellen, die Italien von den Österreichern befreien würden. …. Es kam sogar zu Attentatsversuchen gegen den Papst und Antonelli, die letzterer mit Todesurteilen und Galeerenstrafen beantwortete. Der zum Ministerpräsidenten von Sardinien-Piemont berufene Staatsmann des Risorgimento, Graf Camillo Benso di Cavour, erklärte die Guerra Santa der Einigung Italiens. Die Papstherrschaft stagnierte mehr und mehr, keine einzige der dringend notwendig gewordenen Reformen im Kirchenstaat, nach der Türkei dem rückständigsten, korruptesten Staatsgebilde der Welt, wurde durchgeführt. Nachdem Napoleon III. Kaiser geworden war (02.12.1852), verbündete er sich mit Cavour. Der Krieg gegen Österreich im Sinne der italienischen Einigung war beschlossen (21.07.1858, Geheimbündnis), die Österreicher unterlagen bei Magenta (04.06.1859) und Solferino (24.06.1859). Die Fürstentümer Toskana, Modena und Parma endeten, Nationalversammlungen dieser Bereiche beschlossen – zusammen mit dem kirchenstaatlichen Bologna – die Vereinigung mit Sardinien-Piemont (11.09.1859). Bald darauf ließ Viktor Emanuel II. den nördlichen Kirchenstaat besetzen (11.12.1860), worauf der Papst ihn exkommunizierte. Und als nach der Kapitulation Franz‘ II. Beider Sizilien und dem Ende der Bourbonen-Herrschaft – gleichfalls einer der rückständigsten der Welt – der König den Titel König von Italien annahm (26.02.1861), protestierte der Papst erneut. Der Papst, der inzwischen die Welt mit einem neuen Dogma, dem der Unbefleckten Empfängnis, überrascht hatte (08.12.1854), unternahm über Jahre hin monatelange Reisen durch seinen sich auflösenden Staat und ließ sich bejubeln. Antonelli verbot die Überreichung von Petitionen und Reformvorschlägen, und aus Angst vor Diskussionen wurden sogar Gemeindesitzungen streng untersagt. So rollte die Zeit über den Papst hinweg. Ohne sein Wissen wurde die September-Konvention abgeschlossen (15.09.1864), in der Napoleon III. sich verpflichtete, seine Truppen aus Rom zurückzuziehen. Während der Papst seinen verhängnisvollen Syllabus erließ (08.12.1864), folgten die kriegerischen und politischen Ereignisse in rascher Folge. Österreich siegte noch einmal über Viktor Emanuel II. bei Custozza/Verona (24.06.1866), päpstliche und französische Truppen schlugen Giuseppe Garibaldi bei Mentana nicht weit von Rom (03.11.1867). Der Papst hielt das zwanzigste allgemeine Konzil im Vatikan ab (seit 08.12.1869) und verkündete das Unfehlbarkeitsdogma (18.07.1870), Frankreich erklärte Deutschland den Krieg (19.07.1870), der Papst kapitulierte vor den Truppen Viktor Emanuels II. (20.09.1870), die weltliche Herrschaft der Päpste war zu Ende, der Kirchenstaat hatte aufgehört zu existieren (vgl. „Vatikanstadt“), Wilhelm I. wurde in Versailles zum Kaiser proklamiert (18.01.1871), der Papst lehnte das sogenannte Garantiegesetz der neuen italienischen Regierung ab (13.05.1871), Bismarck leitete mit dem Kanzelparagraphen den Kulturkampf ein (10.12.1871), und der Papst verweigerte wie dem Vater, so dem Sohn und neuen König Umberto I. den Titel König von Italien (09.01.1878). So ging der dramatischste Pontifikat der Neuzeit zu Ende.“ (Hans Kühner, Das Imperium der Päpste, 1977, S. 363-365). Mit dem Papsthistoriker Kühner bleibt festzuhalten, daß die Verkündigung des Dogmas von der Unfehlbarkeit der Päpste – einen Tag vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges – für den gefühlsseligen Papst Pius IX. offenbar der Höhepunkt seines Pontifikates war.

Dem abendländischen Klassizismus in Baustil, Kunst, Malerei und Musik entspricht in der Antike die „Attika-Klassik“ bzw. der Früh-Hellenismus. Zu nennen sind die Bildhauer Praxiteles (4. Jh. v. Chr.), Skopas (4. Jh. v. Chr.) und Lysippos (ca. 380-310; Schöpfer des hellenistischen Menschentyps) sowie die Musiktheoretiker, z.B. Platon (427-347), Aristoteles (383-322), Aristoxenos (um 354/350) und Euklid (ca. 370-300).
Die römische Kunst war von Beginn an von der etruskischen und griechischen Kunst beeinflußt. Die Griechen nahmen insbesondere durch die unteritalienischen und sizilianischen Kolonien Einfluß auf die Römer. (Vgl. 10-12, 12-14 und 14-16). Infolge der späteren Siege über die östlichen Mittelmeerländer sollten auch hellenistische Formelemente in die römische Kunst eindringen. Die Säulenordnung wurde der griechischen immer ähnlicher. (Vgl. 20-22 und 22-24). Die römische Ordnung, eine Mischung oder Zusammenstellung aus ionischen und korinthischen Elementen, entwickelte auch das Kompositkapitell, das sich später als Erbe im Abendland großer Beliebtheit erfreuen sollte. Beispielsweise übernahm die spätere karolingisch-ottonische Kunst die römischen Kapitelle in stark vereinfachter Form, während Romanik und Gotik eigenwilligere abendländische Formen fanden und erst die Renaissance, der Barock und das Rokoko die antiken Formen wieder reintegrierten, bevor sie in der jetzigen Phase in aller Klarheit veredelt werden konnten: im Klassizismus und in der Romantik.
Klassisch heißt vollkommener, idealer Ausgleich von Inhalt und Form, den der deutsche Archäologe und Kunstgelehrte Johann Joachim Winckelmann (1717-1768), Begründer der klassischen Archäologie und der neueren Kunstwissenschaft, in erster Linie der antiken Kunst zuschrieb. Daraus entstand der Begriff der Wiener Klassik (Haydn, Mozart, Beethoven) und der Weimarer Klassik (Goethe, Schiller). Goethe und Beethoven waren diejenigen, die die Klassik zu einer unübertreffbaren Reife führten. Nicht zufällig war die Klassik die Zeit des erwachsenen Goethe und endete mit seinem Tod (1832); nicht zufällig kann man an Beethovens Lebensdaten die Zeit der Klassik ablesen: 1770-1827. Er war der Vollender der deutschen musikalischen Klassik und Kronzeuge der europäischen Musikromantiker. Fast gleichzeitig mit der Klassik begann die (Früh-) Romantik in Instrumentalmusik, Oper und Lied, z.B. durch Franz Schubert (1797-1828). Bloße Nachahmung des klassischen Stils ohne dessen Geist nennt man dagegen klassizistisch, doch ist dieser Ausdruck nicht immer als Tadel zu verstehen. Das ist jedoch der Fall, wenn er für einen leeren Formalismus steht. Der nicht zu tadelnde Klassizismus umfaßt in etwa die Zeit von 1770 bis 1830 und trat damals in allen künstlerischen Erscheinungsformen auf. Er war auch eine Gegenbewegung zu Barock und Rokoko: ein Umschlagen ins Gegenteil von solcher Schroffheit, wie sie in der abendländischen Kunst noch nicht vorgekommen war. Die Neuentdeckung der Größe der antiken Kunst war nicht so sehr Ausgangspunkt als vielmehr Folge der schon seit der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts da und dort spürbaren klassizistischen Neigungen, zu edler und klarer Form zurückzukehren. (Vgl. 16-18). Man fand dieses Ideal verwirklicht in der antiken Kunst, wandte sich dieser mit neuer Liebe zu und suchte im eigenen künstlerischen Schaffen auf gleichen und ähnlichen Wegen das Ziel zu erreichen, das in der antiken Kunst erreicht worden war. Die gelehrten Vertreter der klassizistischen Bewegung waren in Deutschland vor allem der bereits erwähnte J. J. Winckelmann und G. E. Lessing (1729-1781) sowie die zu Beginn dieser Zeit noch jungen J. W. Goethe (1749-1832) und F. Schiller (1759-1805). Die Baukunst zeigt deutlich, daß nicht bloße Nachahmung einer als vergangen empfundenen Kunst gewollt wurde – wie z.B. in den späteren Neo-Stilen des Hoch-Historismus als Eklektizismus (vgl. 20-22) -, sondern eine Erneuerung im Sinne der Antike, die in dieser Zeit ein lebendiges Gegenwartserlebnis darstellte. In Deutschland waren die ersten Vertreter Erdmannsdorf (Schloß Wörlitz, 1769-1773), Langhans (Brandenburger Tor in Berlin, 1788-1791), F. Gilly (Entwürfe zu Nationaldenkmal für Friedrich d. Gr., 1796, und Nationaltheater, 1800), Weinbrenner (Bauplan für Karlruhe, 1807-1825), Klenze (Glyptothek, Pinakothek, Propyläen u. a. in München; Walhalla bei Regensburg, 1830-1847) und vor allem K. Fr. Schinkel (in Berlin und anderen Orten Deutschlands, seit 1803).

Die Hauptleistungen des Klassizismus fallen in die Zeit der Romantik. Eine der Formen des Früh-Historismus ist die Neugotik, die aus der Liebe der Romantik zum Mittelalter (Höhepunkt: Gotik) entstand und vom Eklektizismus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und teilweise darüber hinaus beibehalten sowie auf andere Stile ausgeweitet wurde. (Vgl. 20-22 und 22-24). Doch trägt auch sie klassizistische Merkmale. Aus der romantischen Empathie des Menschen mit der Natur, aus dem romantischen Sinn für gleitende Übergänge, für Kontinuität, für Verbindung aller Erscheinungen untereinander ergab sich auch eine innige Einordnung des Bauwerks in die Landschaft. Neben dieser bauwerklichen Natureinschmiegung gelten die Malerei und die Dichtkunst als eigentliche Domäne der Romantik als bildende Kunst, weil sie es ermöglichten, die neuen Inhalte romantischen Erlebens zu gestalten. Dieses Zusammengehen von Dichtkunst und Malerei war in der Geschichte der abendländischen Kunst bis dahin noch nie vorgekommen. Mit besonderer Stärke trat romantische Haltung und Stimmung in der Landschaftsmalerei hervor. Menschen und Natur wurden zu einander in innige Beziehung gesetzt, Schwebungen landschaftlicher Stimmungen erfaßt, wie sie Maler zuvor nie beachtet hatten. Nicht die klare statische Ordnung alles Seienden, sondern das beziehungsreiche Ineinanderweben der Erscheinungen wurde darstellungswert. Gelehrte und Dichter bemühten sich, den vergessenen Schatz deutscher Sagen, Märchen und Volkslieder wieder zu heben und zugänglich zu machen. Zu lebenden Symbolen auf diesem Gebiet wurden die Gebrüder Grimm (1785-1863 bzw. 1786-1863). Die Hauptmeister der romantischen Illustration, die übrigens zugleich den Unterschied zwischen der ernsten norddeutschen und der heiteren süddeutschen Romantik verkörpern, waren C. D. Friedrich (1774-1840) und Ph. O. Runge (1777-1810) einerseits und M. von Schwind (1804-1871) andererseits. Weil die Romantik ihren schöpferischsten Ausdruck in Deutschland fand, darf man sie als eine Deutsche Bewegung bezeichnen. Sturm und Drang , Klassik, Romantik heißen die stilistischen Merkmale dieser ersten Phase der Zivilisation. Die Romantik war der Erfinder der modernen Tiefenpsychologie. Sie stellte die Seele und das Ich in den Zusammenhang mit der Natur. Der eben erwähnten Fühlweise entspricht eine Denkweise idealistisch-pantheistischer Art. (Vgl. Geist der Romantik).
Die führenden abendländischen Bauherrn, Bildhauer und Maler des Klassizismus sollen hier noch einmal erwähnt werden, um anzudeuten, wie umfangreich die Regungen dieser Zeit waren: Winckelman (1717-1768) als theoretischer Wegbereiter, von Erdmannsdorff (1736-1800), Langhans (1732-1808), J. L. David (1748-1825), J. H. W. Tischbein (1751-1829), Carstens (1754-1798), Dannecker (1758-1841), Gilly (1772-1800), Weinbrenner (1766-1826), von Klenze (1784-1864), K. Fr. Schinkel (1781-1841), Schadow (1764-1850), Rauch (1777-1857), J. A. Koch (1768-1839); bekannt sind als Romantiker C. D. Friedrich (1774-1840), Runge (1777-1810), von Schwind (1804-1871), der Nazarener Overbeck (1789-1869) sowie Garten- und Landschaftsbaumeister wie z.B. Sckell (1750-1823), Lenné (1789-1866) u.v.a.. In der Dichtung glänzten Wegbereiter wie Gottsched (1700-1766) und der pietistische Klopstock (1724-1803), der sich vom Pietismus lösende und dem Klassizismus sich nähernde Wieland (1733-1813), J. G. Herder (1744-1803), J. W. Goethe (1749-1832), F. Schiller (1759-1805), romantisch dann: Hölderlin (1770-1843), Wackenroder (1773-1798), Tieck (1773-1853), Novalis (1772-1801), F. Schlegel (1772-1829), A. W. Schlegel (1767-1845), Schleiermacher (1768-1834), H. von Kleist (1777-1811), C. Brentano (1778-1842), A. von Arnim (1782-1831), B. von Arnim (1785-1859), von Eichendorff (1788-1857), Görres (1776-1848), Creuzer (1771-1858), die Naturwissenschaftler J. W. Ritter (1776-1810) und C. Ritter (1779-1859), weiterhin J. Grimm (1785-1863), W. Grimm (1786-1859), Uhland (1787-1862), K. Lachmann (1793-1851), Heine, (1797-1856), Mörike (1804-1875) und außerdem z.B. die in der Übersicht angegebenen Denker.

– Musik –
Viele der Söhne des Barock-Meisters Johann Sebastian Bach (1685-1750), z.B. Wilhelm Friedemann Bach (1710-1784), Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), Johann Christoph Friedrich Bach (1732-1795) Johann Christian Bach (1735-1795), gelten neben Christoph Willibald Ritter von Gluck (1714-1784), Johann Stamitz (1717-1757), Johann A. Hiller (1728-1804) und anderen bedeutenden Musikern des Rokoko, auch z.B. noch dem jungen Franz Joseph Haydn (1732-1809), dem jungen Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und dem noch sehr jungen Ludwig van Beethoven (1770-1827) zu den Hauptpersonen, die die Phase der Wiener Klassik (bzw. Klassizismus) vorbereiteten, und als sie ihre Hochform erreicht hatten, wurden Haydn, Mozart und vor allem Beethoven zu den Hauptvertretern dieser Phase. Sie bedürfen hier wohl keiner näheren Erläuterung. Sie waren das für die Musik, was andere Künstler dieser Phase für Bau, Kunst und Dichtung waren: Klassizisten, Idealisten, Romantiker. Das galt und gilt insbesondere für den grandiosen Beethoven, der Unterricht nahm bei C. G. Neefe (1748-1798), einem „Vorläufer“ von Mozart. Auch Haydn, J. Schenk (1753-1836) und J. G. Albrechtsberger (1736-1809) waren Beethovens Lehrer. Beethoven war der erste frei schaffende Musiker, der in keinem Abhängigkeitsverhältnis – wie noch Mozart – stand. Zur Frühromantik zählen Carl Maria Weber (1786-1826), G. Meyerbeer (1791-1864), Gioacchino Rossini (1792-1868), Heinrich Marschner (1795-1861), Karl Loewe (1796-1869), Franz Peter Schubert (1797-1828), Vincenzo Bellini (1801-1835), Albert Lortzing (1801-1851), Felix Mendelssohn (1809-1847), Otto Nicolai (1810-1849), Robert Schumann (1810-1856), Frédéric Chopin (1810-1849) und Hector Berlioz (1803-1869), während Franz Liszt (1811-1886), Richard Wagner (1813-1883), Giuseppe Verdi (1813-1901), Jacques Offenbach (1819-1880), Clara Schumann (1819-1896), César Franck (1822-1890), Friedrich Smetana (1824-1884), Anton Bruckner (1824-1896), Johann Strauß (1825-1899), Joseph Strauß (1827-1870), Johannes Brahms (1833-1897), Georges Bizet (1838-1875) zur Spätromantik zählen. (Vgl. 20-22).

Ludwig van Beethoven – der erste frei schaffende Musiker !
Der am 17.12.1770 in Bonn geborenen Ludwig van Beethoven, Sohn des Tenoristen Johann van Beethoven und Enkel des aus Mechelen zugewanderten Hofkapellmeisters Ludwig van Beethoven, wurde zum Vollender der deutschen musikalischen Klassik und „Kronzeuge“ der europäischen Musik-Romantiker. 1786 war er an der neu errichteten Universität Bonn immatrikuliert und 1787 auf Studienurlaub in Wien, den er wegen des Todes seiner Mutter abbrach. Als kurfürstlicher Musikstipendiat war er 1792 erneut nach Wien beurlabt, nahm hier ungeregelten Kompositionsunterricht bei Haydn, Salieri, Schenk, Albechtberger und wurde als Klaviervirtuose und Kammerkomponist rasch berühmt.
Seit 1800 litt Beethoven an Gehörstörungen, die 1819 zu völliger Taubheit führten. 1812 begegneten sich Beethoven und Goethe in Teplitz (sudet. Erzgebirge) und in Karlsbad, es sollte nicht die letzten Treffen bleiben: Beethoven war noch mehrfach Abendgast bei Goethe, der insbesondere von seinem Klavierspiel stark beeindruckt war. „Ich begreife recht gut, wie er gegen die Welt wunderlich stehen muß“, schrieb Goethe am 19.07.1812 an Christine von Goethe. Beethovens Grundlage des Schaffens war ein ausgeprägter Individualismus und entsprang allein dem seelischen Erlebnis und (faustischen) Gestaltungswillen. Sind so seine Werke zutiefst Bekenntnisse, sind sie deshalb noch nicht Einzelfall; vielmehr spiegelt sich in ihnen Erlebnis und Schicksal des Menschen schlechthin. Was Beethoven in Tönen sagt, ist Menschheitsausdruck. So tritt zur ästhetischen die ethische Wirkung im weitesten Sinne der Katharsis (vgl. Aristoteles) und des Kantschen Pflichtgefühls (vgl. Kant). Von Beethovens unermüdlicher Arbeit am Werk zeugen die Skizzenbücher. Die Wandlung seines Stils vom Rokoko der Bonner Zeit über die Ausprägung der Eigensprache bis zur letzten Vergeistigung und Transzendenz der Spätwerke ist einzigartig in der Musikgeschichte. Beethovens Größe offenbart sich in der ungeheuren Fülle der Formen, in der Meisterschaft der thematischen Arbeit, in der lebendigen Ausdruckskraft seiner Rhythmik und Dynamik in der polyphonen Auflockerung der Mittelstimmen und nicht zuletzt in dem unerschöpflichen Reichtum seiner alle Ausdruckssphären umfassenden Melodik. Die Werke sind ebensosehr ein Sieg der Logik wie der seelischen Verkündigung, in der Synthese der rationalen und psychischen Kräfte liegt ihre Einmaligkeit.
Beethoven war nie musikalischer Angestellter an Höfen, bei Musikinstitutionen oder kirchlichen Einrichtungen. Die Zeit war damals reif geworden, den schaffenden und ausübenden Musiker aus eigener Kraft frei wirken zu lassen. Dazu kam Beethovens stark betonte Eigenpersönlichkeit und sein Sinn für Unabhängigkeit. Er sah in seiner Kunst eine Sendung und war nicht gewillt, sie hinter andere Dinge zurücktreten zu lassen. Wenn er auf einem Kurspaziergang mit Goethe hochgestellten Persönlichkeiten keine Reverenz erwies, wenn er auf dem Wiener Kongreß der Hocharistokratie selbstbewußt gegenübertrat, wenn er die dem Revolutiosnhelden Napoleon Bonaparte zugedachte Widmung einer Sinfonie zerriß, als dieser sich zum Kaiser krönte, wenn er sich durch den fürstlichen Jahressold in keiner Weise beinflussen ließ, wenn er seine Forderungen an Verleger stellte, so geschah dies alles im stolzen Bewußtsein seines Künstlertums. Diese Eigentümlichkeit seines Charakters spiegelt sich auch in seinem Werk. In Beethovens großen Kompositionen tritt zudem eine besondere Art der Subjektivität zutage. In ihnen WILL Beethoven etwas, will Erlebtes, Erfahrenes, Erfühltes, Gedachtes in Tönen und Klängen ausdrücken – ja, er will davon künden, anderen mitteilen, sie aufrütteln, trösten, beflügeln. Dieses bewußte Kündenwollen einer einzelnen Komponistenpersönlichkeit steht in deutlichem Gegensatz zu der gesellschaftsgebundenen Musik des 18. Jahrhunderts und bahnt den Weg zu der das Ich als Ausgangspunkt wählenden Romantik des 19. Jahrhunderts. Das Rüstzeug, solch subjektives Wollen musikalisch zu gestalten, lag um 1800 ausgebildet vor. Alle künstlerischen Möglichkeiten hatten sich dank Beethovens Vorgänger bereits einander genähert, sich durchdrungen auf dem Boden einer geistigen Aufklärung. Beethoven brauchte daher nicht wie Haydn lange Jahrzehnte der künstlerischen Entwicklung, er konnte vielmehr sogleich zugreifen, die sich ihm anbietenden kompositorischen Möglichkeiten unmittelbar umsetzen. Bei Beethoven mußten jedoch Pläne oft lange liegen bleiben, bevor er sie für gestaltungswürdig hielt – ein Vorteil des frei schaffenden gegenüber dem Amtspflichten unterliegenden Komponisten!
Für Beethoven hatten die Teile nur eine beschränkte Eigenbedeutung und sollten vom Ganzen her begreifbar werden, Durch Beethovens Kompositionen gewann die Gesamtkonzeption bestimmenden Einfluß auf die Gestaltung jedes Details. Anders als seine Vorgänger arbeitete Beethoven nicht mehr nach verbindlichen Gattungsvorstellungen. Seine Werke sind ausgeprägte Individualitäten von unverwechselbarerer Charakteristik. Von den Zeitgenossen wurden schon die bedeutenden Werke aus den ersten Wiener Jahren als kühn, neuartig, oft auch als bizarr empfunden. Die unverwechselbare Künstlerpersönlichkeit ist von den Ideen des Deutschen Idealismus bestimmt. (Vgl auch: Idealismus). Seine Musik strebt über das Individuelle hinaus zur Allgemeingültigkeit. In dieser Bedeutung verwendete Beethoven in seinen letzten Werken einen kontrapunktischen Stil, der in seiner für die Zeit unerhörten Ausprägung die Überwindung der früheren dualistischen Gestaltungsformen darstellt. Dieser „objektive“ Stil bleibt letztlich persönliche Aussage des von der sinnlichen Erscheinungsform seiner Kunst und von der Welt isolierten Musikers.
Das kompositorische Lebenswerk des einzigartigen Beethoven spiegelt den Wandel von zeitstilistisch bestimmter Gebrauchsmusik (Bläser-Divertimenti u.a.) zu personalistisch geprägter Bekenntnismusik („Ideensinfonik“). Sein Schaffensprozeß entwickelte sich zunehmnend mikrostrukturell („Skizzenbücher“). Klassische und romantische, statische und dynamische Prinzipien durchdringen einander idealistisch zu „Beethovenscher Universalität“. (Vgl. Klassizismus, Idealismus, Romantik). Themendualismus oder Themenpluralismus, rhythmische Kontrapunktik, Flächenharmonik, Finalschichtungen, Klangfarbmixturen, Klangraumaufrisse und vieles mehr sind durch alle Werk- und Werdestufen Beethovens erkennbar. Seine Fernwirkungen reichen über die „Opernsinfonik“ von Richard Wagner (1813-1883; ) bis zu der „Variationsatomisierung“ von Arnold Schönberg (1874-1971; ) und darüber hinaus den „elektronischen Raumkompositionen“ von Karlheinz Stockhausen (1928-2007; ), ja bis in alle Richtungen der eigentlich nun erst mit dem Wort „Moderne“ belegten Musik.

Auf geistiger Ebene der Kulturkreise tummeln sich in dieser frühen Erwachsenenphase viele Denkrichtungen, als wären sie die frühen Kurse einer Abendschule auf dem zweiten Bildungsweg. Waren es in der Antike in der vorletzten Phase (14-16) 8 und in der letztenPhase(16-18) 10, so waren es jetzt 17 Schulen, die als aktuell galten, wobei 6 davon in der vorletzten und 3 davon in der letzten Phase entstanden waren. In der jetzigen Phase entstanden also nach Platon 8 weitere neue Schulen. Diese 9 Schulen überdauerten fast alle, mehr oder weniger erfolgreich, mindestens das nächste halbes Jahrtausend. Das ist eine ganze Jahreszeit, ein ganzes Quartal. Den Auslöser für den erneuten Prestigegewinn der antiken Philosophie gaben die Attiker.
Analoge Philosophien
(18-20): 390-280 und 1760-1870
(12-14, 14-16, 16-18, 18-20, 20-22, 22-24)

3) Pythagoräer Rel.-pol.-arist. Rationalismus seit -550
4) Subjektivisten Elemenekinetik; Heraklit u.a. seit -520
5) Atomisten Naturph.; Leukipp/Demokrit, .. seit -490/-460
6) Sophisten Anthropologie/Aufklärung seit -475/-450
7) Sokratiker Sokrates, Maieutiker seit -440
8) Megariker Eristiker (Streiter) Euklid v. Megara seit -430
9) Kyrenäiker Aristippos von Kyrene, Hedoniker seit -400
10) Kyniker (Autarkisten) Antisthenes, Diogenes seit -400
11) Platoniker Platon, Alte Akademiker seit -385
12) Aristoteliker Aristoteles, Peripatetiker seit -335
13) 2. Kyniker Älterer Diogenes seit -330
14) Skeptizisten Pyrrhon, Zweifler/Pyrrhonisten seit -315
15) Stoizisten Stoizismus (Stoa poikile) Zenon seit -300
16) Epikuräer Epikur seit -300
17) 3. Kyniker seit -300
18) 2. Aristoteliker Jüngere Peripatetiker seit -287
19) 2. Platoniker Mittlere Akademie seit -270 3) Pol.-rel. Empirismus Polit. Rationalismus seit 1600
4) Subjektivismus Rationalismus; Descartes u.a. seit 1630
5) Atomismus Monaden/Infinitesimal., Leibniz seit 1660-90
6) Aufklärung seit 1685 (1700)
7) Naturalismus-Subjektivismus seit 1710
8) Naturalismus/Deismus Freidenker seit 1720
9) Sensualismus Positivisten/Materialisten seit 1750
10) Früh-Romantik Sturm-und-Drang seit 1760
11) Kantianer Transzendental-Idealismus, Kant seit 1770
12) Hegelianer Idealismus, Hegel, Alt-Hegelianer seit 1800
13) Hoch-Romantik „Klassische“ Romantik seit 1800
14) Lebensphilosophen Existentialisten seit 1820
15) Soziologisten seit 1820
16) Psychologisten seit 1820
17) Spät-Romantik seit 1840
18) Jung-Hegelianer Jüngerer Idealismus seit 1850
19) Neu-Kantianer Neu-Idealismus seit 1860/1870

Analoge Theologien
26) Dionysos-Kult zu: Rationalismus; seit Pythagoräer
27) Theogonie geht auf in Platonismus/Aristotelismus **
28) Gegenreformation (6) Zeus-Götterwelt seit – 7. / – 6. Jh. 26) Neuscholastik (5) zu: Rationalismus; seit Leibniz – Wolff
27) Neumystik (4) geht auf in Idealismus/Romantik **
28) Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.

Nur die Zeus-Welt (Rom: Jupiter-Welt) bleibt: Gegenreformation und deren Neuscholastik.

Zwei philosophische Schulen sollten sogar den kulturellenWinter überdauern und in der neuen Kultur des christlichen Abendlandes auf Linie gebracht werden: Platon (427-347) und Aristoteles (383-322) waren deren Begründer. Sie verhalten sich zueinander wie Kant und Hegel (oder Goethe). Aber man muß zwei zeitlich gegeneinander austauschen, um auch die inhaltliche Übereinstimmung zu bekommen. Der Grund dafür liegt in der Tiefe der Seelen beider Kulturen, im Seelenbild. Wer einzelkörperlich und punktuell denkt, der bringt auch die großen politischen Visionen in eine entsprechende Körperordnung (Platon) und erst danach bezüglich der Einzelheiten in eine Epistemologie (Aristoteles). Wer hingegen vom unendlichen Raum ausgeht, agnostizierend und indem er jedem wahrnehmungslosen, bloß spekulativ-konstruktiven Denken die Fähigkeit zu irgendeiner Wirklichkeitserkenntnis abspricht (Kant), der läßt das Göttliche als Transzendenz außen vor und konzentriert sich zunächst auf das Wesentliche und die Erfahrungen, die ihm eine faustische Kultur bereits als Grundlage liefert; erst danach widmet sich der Nachfolger den Ideen () und dem All-Einen, abendländisch ausgedrückt: der Phänomenologie des Geistes und dem Panlogismus (Hegel). Deshalb folgten in der Antike die Einzelwissenschaften den Ideen und im Abendland die Ideen den Einzelwissenschaften. Auch hierdurch wird der Gegensatz Antike-Abendland deutlich erkennbar: die Antike ging in ihrer Kindheit und Jugend durch die familiäre und schulische Lehre der Kosmos-Idee und verpaßte die eigene experimentelle Erfahrungswissenschaft, das Abendland ging in seiner Kindheit und Jugend durch die familiäre und schulische Lehre der experimentellen Erfahrungswissenschaft und verpaßte die eigene Kosmos-Idee. Jetzt versuchten beide deshalb über den zweiten Bildungsweg das nachzuholen, was sie zuvor verpaßt hatten. Das Schicksal hatte ihnen zuvor via Seelenbild andere Wege vorgezeichnet. Man kann sich das auch klar machen, wenn man sich die Begriffe Kosmos und Universum auf der Zunge zergehen läßt: in der Antike bedeutete kosmos Ordnung, während wir unter Universum eher Chaos als Ordnung verstehen, jedenfalls assoziativ. (Vgl. Kosmos). Den Kosmos experimentell- wissenschaftlich zu untersuchen, kam den antiken Menschen gar nicht in den Sinn, und wenn doch, dann nur über eben diesen zweiten Bildungsweg. Der fällt aber, wie erwähnt, in den meisten Fällen so aus, daß er das Seelenbild einer Kultur eher bestätigt als verändert. Der faustische Abendländer weiß schon aus Erfahrung der klösterlichen und wissenschaftlichen Vergangenheit heraus, was ihm zu tun übrig bleibt. Die Dinge, die wahrnehmbar sind, werden verändert, und erst in Reaktion darauf wird über den Rest der Dinge spekuliert. Wenn also die Antike wie das Abendland gewesen wäre, dann wäre aus Platon ein Kant und aus Aristoteles ein Hegel geworden. Weil sie aber kulturell sozialisiert waren – die Enkulturation und primäre Sozialisation (6-12) lagen längst hinter ihnen -, verliefen die Dinge auf umgekehrte Weise. Ein Antike-Abendland-Tausch sähe dann Kant, der platonisch erschienen wäre, und Hegel, der aristotelisch um die Säulen gewandert wäre. Analog gesehen kommt Platon natürlich eher Hegel und Aristoteles eher Kant gleich. Elterliches Erbgut sowie primäre und sekundäre Sozialisation sind also nicht nur für sogenannte Individuen das alles Entscheidende, sondern auch für Kulturen.
Der transzendentale Idealismus Kants besagt, daß nicht die Dinge an sich, sondern die Dinge nur als Erscheinungen erfaßbar sind. Transzendent bedeutet demzufolge, daß Erfahrungen bzw. Erkenntnisse überstiegen werden, wenn sie jenseits des Bewußtseins liegen, dieses also überschreiten. Transzendental dagegen bedeutet nicht etwas, was über alle Erfahrung hinübersteigt (= transzendent), sondern was vor ihr (a priori) zwar hervorgeht, aber doch zu nichts weiterem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis möglich zu machen. Der Begriff des Transzendentalen bezeichnet somit offenbar das Problem der Erkenntnislehre, aber auch die Erkenntnislehre selbst und ihrer Methoden. Die transzendentale Idee ist nach Kant ein Vernunftbegriff, ein Begriff, der nur in der Sehnsucht des Verstandes, das ihm Gegebene zu überschreiten, seinen Ursprung hat und die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, aber für die formale Anordnung der Begriffe und Erkenntnisse in einer vollständigen Wissenschaft unentbehrlich ist. Die 3 Ideen der Metaphysik sind nach Kant: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. Platons Begriff der Ideen ist dagegen ein urtypischer (vorgeburtlicher), weil er methodisch in genau die andere Richtung zeigt: Ideen sind aufgrund vorgeburtlicher Erinnerung erfaßbare, Realität besitzende Urbilder der Dinge. Nach Platon sind sie nicht sinnlich, sondern nur geistig erfaßbar, und zwar mit eben jener Anamnese: der vorgeburtlichen Erinnerung. Anamnese sei, so Platon, eine Wiedererinnerung als Erkenntnis, weil jede Erkenntnis ein Sicherinnern der Seele an die Ideen sei, in deren Nähe sie vor ihrer Verbindung mit dem Körper weilte. Ideen sind nach Platon ewige und unveränderliche Urbilder. Das Ding bildet die Ideen ab und hat an der Idee teil. Somit ist die Idee in ihm gegenwärtig und demzufolge das Eigentlich-Seiende. Das Abendland hatte sich mit der platonischen Ideenlehre seit ihrem Bekanntwerden immer schon auseinandergesetzt, und mit Fichte, Schelling und Hegel erhielt sie jetzt erneut Bedeutung, aber an die eigentliche platonisch-antike Bedeutung kamen selbst diese 3 Hauptvertreter des Deutschen Idealismus und auch Goethes Urphänomene nicht heran. Keinem Menschen ist es möglich, kulturell gegensätzliche Seelenbilder und Ursymbole zu überwinden. Auch eine Synthese muß aufheben, wenn auch auf erhöhter Ebene. (Vgl. Aufheben und Dialektik).
Immanuel Kant (1724-1804)
4 Entwicklungsstufen
(2 vorkritische und 2 kritische) Platon (427-347)
4 Entwicklungsstufen
(2 vorakademische und 2 akademische)
Natur-
wissen-
schaft-
liche Stufe

1747

1758
Meta-
physi-
sche
Stufe

1758

1781
Kritisch-
philoso-
phische Stufe

1781

1793
Nach-
kritische Stufe

1793

1804
Sokrates-
Schüler

407

399
Studien
bei den Eleaten-Megarikern
(Synthese aus eleat. und sokrat. Lehren)

Reisen
nach Sizilien
und Unteritalien:
Pythagoräer -Studien
Akademie

Gründung:
385 v. Chr.

Kritik der
Sophistik
Systematik
Erkenntnis-
theorie
Metaphysik
Ethik & Politik
Ideenlehre
Spätzeit

Weiter-
führung
der
Ideen-
lehre
&
Natur-
philosophie
Gesetz gebung

Idealismus
——————————————————————————–

Transzendal:
z.B.
Kant Subjektiv:
z.B.
Fichte
Objektiv:
z.B.
Platon
Schelling
Hegel Magisch:
z.B.
Schlegel
Schelling
(Romantik)
Abslout:
Hegel
Platon (eigentlich: Aristokles), Sohn des Ariston und der Periktione, stammte mütterlicherseits aus reicher und vornehmer Familie Athens. Nach dem Tod des Sokrates (399), dessen Schüler Platon 8 Jahre lang war und dessen Prozeß er erlebte, hielt er sich eine Zeitlang bei dem Eleaten Eukleides von Megara auf, der ebenfalls ehemaliger Schüler des Sokrates war. Eukleides‘ megarische Schule war eine der an Sokrates orientierten Philosophenschulen, die eine Synthese zwischen dem sokratischen Begriff des Guten und dem unbeweglichen, unveränderlichen Sein der eleatischen Philosophie zum Ziel hatte. Auf Reisen nach Unteritalien und Sizilien lernte Platon auch die Denkweise der Pythagoräer kennen. 385 v. Chr. gründete er die Platonische Akademie. Hier wurde der Platonismus geprägt, die Lehre Platons durch mittelbare und unmittelbare Schüler augebaut und die platonische Philosophie, insbesondere die Ideenlehre, auf andere philosophische Systeme übertragen. (Vgl. auch: Platonisches Denken ).

Aristoteles
(383-322)
Trichotomie Georg Wilhelm Friedrich Hegel
(1770-1831)
Dialektik

Begriff (e)
(Außen- & Mittel-)
Urteil (e)
(Prämisse (n))
Schluß
(Konklusion)
These
(Gesetztes)
Antithese
(Negation)
Synthese
(Negat. Negation)

Metaphysik
(1. Theoretische Philosophie)
Mathematik
(2. Theoretische Philosophie)
Physik
(3. Theoretische Philosophie)
Natur-Seele
(Anthropologie)
Bewußtsein
(Phänomenologie)
Identität
(Subjektiver Geist)

Politik
(1. Praktische Philosophie)
Ökonomik
(2. Praktische Philosophie)
Ethik
(3. Praktische Philosophie)
Familie

Gesellschaft

Staat
(Objektiver Geist)

Technik
(1. Poietische Philosophie)
Ästhetik
(2. Poietische Philosophie)
Rhetorik
(3. Poietische Philosophie)
Subjekt
(Objekt)
Objekt
(Subjekt)
Gott
(Subj. -Obj.-Einheit)

Pflanzenhaft.
Mensch
Tierhafter
Mensch
Intellektueller
Mensch
Anschauen
(Kunst)
Vorstellen
(Religion)
Wissen
(Unendliche Einheit)

Monarchie
(Tyrannis)
Aristokratie
(Oligarchie)
Demokratie
(Ochlokratie)
These
(wird gesetzt)
Antithese
(hebt auf)
Synthese
(hebt erhöht auf )

Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) ging von Kants ethischem Rigorismus und Aktivismus aus. Fichtes Philosophie ist die wissentliche Selbstbeobachtung der schöpferisch-ethischen Aktivität der Persönlichkeit, des Ich. Seine Philosophie heißt darum Wissenschaftslehre (1794). Fichte stellte in diesem Sinne 3 Tathandlungen des Ich fest: 1.) Das Ich setzt sich selbst; 2.) Das Ich setzt sich einem Nicht-Ich entgegen; 3.) Das Ich setzt sich im Ich einem Nicht-Ich entgegen. Das Ich war für Fichte der Inbegriff des gegen die Trägheit ringenden Willens der Menschen. Demnach gäbe es ursprünglich nur eine absolute Tätigkeit: das Ich. So betrachtet stellen wir uns Dinge außer uns dadurch vor, daß das Ich eine Realität in sich aufhebt (außer sich setzt) und diese aufgehobene Realität in ein Nicht-Ich setzt, das ja auch eine Tathandlung des Ich ist. Ich-Idealismus
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1.)
Ich
setzt Ich 2.)
Ich
setzt Nicht-Ich
3.) Ich setzt im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen

Fichte, für die meisten Romantiker der bedeutendste Philosoph, hatte zunächst die französische Revolution gefeiert (später aber nicht mehr!), galt als „Philosoph der Freiheit“, ja er wurde selbst zum „Napoleon der Philosophie“. Die 1788 erschienene Kritik der praktischen Vernunft von Kant hatte Fichte aus seinem „dogmatischen Schlummer“ erweckt. Fichtes Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) war zunächst als ein Werk Kants angesehen worden war, nämlich als die lange erwartete, jedoch erst 1793 tatsächlich erschienene Religionsschrift Kants (); nachdem aber Kant Fichte für den doch 1792 erschienen Versuch einer Kritik aller Offenbarung als Verfasser genannt hatte, wurde Fichte schlagartig berühmt. Fichte bekam auf Betreiben Goethes in Jena eine Professur und verkündete dort 1794 sein „System der Freiheit“, seine Wissenschaftslehre; er erklärte: „Mein System ist das erste System der Freiheit; wie jene Nation von den äußeren Ketten den Menschen losreißt, reißt mein System ihn von den Fesseln der Dinge an sich, des äußeren Einflusses los, … und stellt ihn in seinem ersten Grundsatz als selbständiges Wesen hin.“ Der Grundsatz lautet: „Das Ich setzt sich selbst.“ In diesem Grundsatz hängen alle Sätze des Systems zusammen. Sie bilden die systematische Form allen möglichen Wissens. Daher das Wort Wissenschaftslehre für dieses System. Fundament und Prinzip des Wissens ist demnach nicht etwas Vorgefundenes, keine Tatsache, auch nicht das Ich als Tatsache, sondern eine Tathandlung, schöpferische Tätigkeit, nämlich die, in der das Ich zu sich kommt und sich, wie sonst nur Gott, selbst erzeugt. Also gehört dazu, daß sich das Ich unterscheidet, von allem unterscheidet, was es nicht ist. Der zweite Grundsatz der Wissenschaftslehre lautet also: „Das Ich setzt sich einem Nicht-Ich entgegen.“ Da nun die entgegengesetzten Gegenstände im Bewußtsein sind, lautet der dritte Grundsatz, der die beiden anderen verbindet und umfaßt: „Das Ich setzt sich im Ich einem Nicht-Ich entgegen.“ Die drei Grundsätze bilden als These, Antithese und Synthese die Grundfigur der Dialektik. Alles, was im menschlichen Geiste vorkommen kann, muß sich, so Fichtes Forderung, aus den aufgestellten Grundsätzen ableiten lassen.
Die Überzeugung, daß das Bewußtsein einer dinglichen Welt außer uns absolut nichts weiter sein soll als das Produkt unseres eigenen Vorstellungsvermögens, soll uns zugleich die Gewißheit unserer Freiheit geben. Nicht als bestimmt durch die Dinge, sondern als die Dinge bestimmend ist das Ich zu denken. Für Fichte war die Welt nichts anderes als das Material unserer Tätigkeit, das versinnlichte Material unserer Pflicht. Alles, was zur Tätigkeit gefordert ist, ist auch sittlich gefordert. Dahin gehört vor allem die Ausbildung des Körpers und des Geistes und die Eingliederung in die menschliche Gemeinschaft, denn die Arbeit an der Sinnenwelt, die Kulturarbeit, kann nur eine gemeinsame sein. Andererseits haben alle Staatsbürger das Recht sowohl auf formale Freiheit und Schutz vor Vergewaltigung als auch auf Eigentum, Arbeitsgelegenheit und Teilnahme an den Erträgen der Staatswirtschaft, wie Fichte in seinem Geschlossenen Handelsstaat (1800) dargelegt hat.
Weil seit Fichtes Wissenschaftslehre (1794) von Gott nicht mehr die Rede war, kam es zum Atheismusstreit – Fichte verlor dadurch auf ungeschickte Weise seine Professur in Jena und wurde 1810 Rektor der Berliner Universität -, obwohl Fichte sich schon in der 1800 erschienen Bestimmung des Menschen auf Gott besonnen hatte, als ein durch ihn hindurch fließendes und wirkendes und nur mystisch erfahrbares All-Leben. Das Ich war also hier schon wieder durch das Absolute oder Gott ersetzt, das im Ich erscheint. Gott war nämlich für Fichte in den blinden Fleck des Bewußtseins, in eine Art schwarzes Loch, geraten; seine geistige Erweckung hatte Fichte laut eigener Auskunft dem Berliner Domprobst Spalding zu verdanken, und seitdem sah Fichte vieles wieder anders: Die Bestimmung des Menschen besteht aus den drei Teilen Zweifel, Wissen, Glaube. Wie, wenn ich selbst nur geträumt bin? – „Es erscheint der Gedanke, daß ich empfinde, anschaue, denke; keineswegs aber: ich empfinde, schaue an, denke, Nur das erstere ist Factum; das zweite ist hinzu erdichtet. … Ich selbst weiß überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind: sie sind das Einzige, was da ist, und sie wissen von sich, nach Weise der Bilder. … Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird …, das Denken … ist der Traum von jenem Traum.“ Fichte schaute also in den Abgrund der negativen Selbstreferenz, stieß ans unvorstellbare Nichtsein, an den Tod. Etwas „außer der bloßen Vorstellung Liegendes“ heißt das, nach dem Fichte von da an verlangte und fand, daß zumindest sittliches Tun Bestimmung des Menschen sei, denn: „unser Bürgerrecht ist im Himmel“, und die ganze Bestimmung kenne nur er, der „Vater der Geister“. Der Welt absterben, sich von der Welt lösen, um wiedergeboren zu werden in einem anderen Leben – das war von da an die die religiös-platonistische Devise des Idealisten Fichte. Er wurde weiterhin bekannt durch seine Reden an die deutsche Nation (1807-1808).
Der Unterschied zwischen Form und Inhalt zeigt ebenfalls den Gegensatz zwischen apollinischer und faustischer Kultur an. Für derartige Gegenpole gilt, daß hier Inhalt ist, wenn dort Form war und daß hier Form ist, wenn dort Inhalt war. Wahrscheinlich ist diese Polarität der Grund dafür, daß wir uns jede antike Form zum Inhalt und jeden antiken Inhalt zur Form machen. Da aber in der Antike auch der Inhalt förmlich gedacht wurde, als Substanz oder Urstoff (arch), so kann man zu der Vermutung gelangen, daß es im Abendland eigentlich kein Formdenken geben könne. Und in der Tat wird hier jede Form so lange analysiert oder ins Grenzenlose idealisiert, bis man auf jene mathematischen Formen trifft, die Gauß (1777-1855) geometrisch begründet hat und später auf andere Weise durch Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation in der Physik wieder auftauchen sollten. (20-22). Über lange wissenschaftliche Wege ist man also zu einem Gedanken gelangt, den Platon auf ähnliche Weise schon vertreten hatte, ohne naturwissenschaftlich zu experimentieren. Er experimentierte nur mit seinen Gedanken und denen seiner Akademieschüler. Als Platon seine Akademie betrieb, d.h. sich und seine Schüler aus der athenischen Grausamkeit nahm, sollte eine Philosophieschule in Gang gesetzt werden, die die Antike bis dahin nicht gekannt hatte. Als Kant im fernen Königsberg, das er nie verließ, wirkte, geschah durch die idealistisch-romantischen Bewegungen Ähnliches auf abendländische Weise.
Nach Platons Gründung der Akademie (385 v. Chr.) entstanden Aristoteles‘ Peripatetiker-Schule (335 v. Chr.), Pyrrhons Skeptiker-Schule (312 v. Chr.), Zenons Stoiker-Schule (um 300 v. Chr.), Epikurs Schule (um 300 v. Chr.) und die bereits erwähnten 13-bändigen Elemente des Mathematikers Euklid (um 312/300), dessen Parallelenaxiom genau einen Weltmonat lang Gültigkeit haben sollte, bis Gauß (um 1800) die erste nicht-euklidische Geometrie entwickelte. (). Ebenfalls einen Weltmonat nach den antiken sehen wir neue abendländische Denkschulen, wobei man hier immer wieder auf den apollinisch-austischen Gegensatz zurückkommen muß, um zu verstehen, weshalb Form und Inhalt dieser Schulen Oppositionen darstellen, in der Genetik einer Kultur aber immer wieder analoge Kriterien der Evolution am Werk sind. Im Vergleich zu Platon, der seinen Idealismus auch politisch zu verwirklichen suchte (im Reich des Tyrannen Dionysios I. in Sizilien), blieb Kant praktisch ziemlich apolitisch und entwickelte statt dessen seinen kategorischen Imperativ. Auch Aristoteles kann in praktischer Hinsicht als apolitisch gelten, auch und gerade wegen der Tatsache, daß er Alexander den Großen erzogen hatte, denn seine Beweggründe waren nicht das, was man ihm nach Alexanders Tod zu unterstellen versucht hat: Gottlosigkeit. Für Hegel und (sein eigentliches Analogon) Platon bedeutete erkennen sich erinnern und begreifen rekonstruieren; diese beiden großen Idealisten hatten auch ähnliche Staatsideen. Hegel sah im Staat den erscheinenden Gott, weil die Einheit rechtlichen Verhaltens und moderner Gesinnung das Entscheidende und im Staat höchste Form Erreichende sei – das Ideal schlechthin, weil es allgemeiner Natur sei. Diese allgemeine Form sollte Inhalt werden. Ob sie es dann wurde, war eine andere Frage. Man hatte die Idee, und das war entscheidend. In einer antiken körperlichen Polis war die Idee anderer Natur. Man ertrug hier keinen Inhalt, weil er nur Chaos zu bedeuten schien, und ging gleich zur Form über. Die Antike war stets populär, was wir populistisch nennen würden, weil wir die Antike nicht wirklich verstehen können und wollen. Das Abendland war stets unpopulär, was die Antike unfertig oder nicht vorhanden genannt hätte, weil sie uns nicht wirklich hätte verstehen können und wollen. Das liegt an der antiken arch.
Hegels System besteht aus 3 Teilen (): der Logik (Ontologie), die das Sein Gottes vor Erschaffung der Welt nachvollzieht, der Naturphilosophie, die Gottes Entäußerung in die materielle Welt zum Inhalt hat, und der Philosophie des Geistes, die die Rückkehr Gottes aus seiner Schöpfung zu sich selbst (zu seinem Selbstdenken) im menschlichen Geiste schildert (mit anderen Worten: die Philosophie des Geistes als Idee, die aus ihrem „Anderssein“ in sich zurückkehrt). Am Ende steht wiederum die Logik – diesmal jedoch die von Gott im Menschen vollzogene, die sich aber inhaltlich von der ersten nicht unterscheidet. Das Prinzip der dialekischen Entwicklung (Dialektik) ist die aus dem Widerspruch resultierende Bewegung. Schon in der Natur findet ein allmähliches „Insichgehen“ der Äußerlichkeit statt, aber die eigentliche „Rückkehr“ des Geistes aus seinem „Anderssein“ (= Natur) vollzieht sich erst im Menschen. Der Mensch, der zunächst naturhaft seelenhaft (Anthropologie) existiert, trennt sich auf der Stufe des „erscheinenden Bewußtseins“ (Phänomenologie) von seinem unmittelbaren Dasein und tritt in Gegensatz zu ihm, bis er als Geistwesen (subjektiver Geist) seine eigene geistige Substanz als identisch mit seinem bewußten Verhalten erkennt. Die gleiche Entwicklung machen die von der menschlichen Gemeinschaft geschaffenen Formen wie Recht, Moralität, Sittlichkeit durch, bis hin zum Staat (objektiver Geist). Auch hier ist die 3. Stufe wiederum die Synthese der beiden ersten, die sich antithetisch zueinander verhalten. In der konkreten Sittlichlkeit (von Familie, Gesellschaft und Staat) ist eine Einheit von rechtlichen Verhalten und moralischer Gesinnung das Entscheidende. Diese Einheit erreicht im Staat ihre höchste, weil allgemeinste Form. Daher ist der Staat für Hegel der erscheinende Gott, denn Gott ist die Einheit von Subjektivität und Objektivität absolut (). Über den Gebilden des objektiven Geistes stehen die 3 Gestalten des Anschauens, Vorstellens und Wissens (diese 3 als absoluter Geist) der absoluten Identität von Substanz und Subjekt. In der Kunst wird diese Einheit nur erst „angeschaut“, das Gedankenhafte (Ideelle) scheint durch die Materie hindurch, in der Religion wird sie in einer jenseitigen Person „vorgestellt“, die zugleich Gott (Denken des Denkens) und Mensch (im sittlichen Dasein) ist, und erst im absoluten Wissen wird diese Einheit als vollkommene Identität von subjektivem (menschlichem) und absolutem (göttlichem) Geist gewußt, erst hier erreicht die Erhebung des endlichen Wesens Mensch zum Unendlichen ihr Ziel.

Laut Hegel steht über den Staaten nur noch der Weltgeist,
der sich durch den dialektischen Kampf der Volksgeister hindurch entwickelt.
Die gesamte Weltgeschichte wird als Prozeß der Selbstbewußtwerdung des Weltgeistes
aufgefaßt und zugleich damit als „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“.

Hegels Freiheit besteht aber darin, daß der Mensch seine Wesensidentität mit dem Absoluten erkennt und sich mit den letztlich auch vom Absoluten geschaffenen Gebilden des objektiven Geistes und ihrem Wollen – Staat und Recht – identifiziert. Kein deutscher Denker, selbst Kant nicht, hat so nachhaltig auch auf fremde Nationen gewirkt wie Hegel. So wie Alexander von Humboldt (1769-1859) als „wissenschaftlicher Entdecker Amerikas“ gilt, so gilt Hegel als der „universalierende Weltgeist der Weltgeschichte“. Sein bekanntestes und genialstes erstes größeres Werk, die „Phänomenologie des Geistes“, ging um die ganze Welt. Der Hegelianismus (Gegenteil: Aristotelismus?), der sich in eine Rechte (theistische), eine Mitte (Gans, Michelet u.a.) und eine radikale Linke aufspaltete, also Althegelianer (Gegenteil: 1. Aristoteliker?) und Junghegelianer (Gegenteil: 2. Aristoteliker?) und damit die folgenreichsten Hegel-Nachfolger – auch Marx und Engels waren Hegelianer – hervorbrachte, verbreitete sich weltweit und mündete in den Neu-Hegelianismus (Gegenteil: Aristarchos‘ Neu-Aristotelismus ?). Könnte es deshalb in Zukunft nicht auch einen Hegelianischen Soziologismus (Gegenteil: Aristotelische Stoa?) geben? Auch der Kantianismus (Gegenteil: Platonismus), der Altkantianer (Gegenteil: Alte Akademie?), Neu-Kantianer (Gegenteil: Mittlere Akademie?) und Neu-Neu-Kantianer (Gegenteil: Neuere Akademie?) hervorbrachte, könnte in Zukunft weitere Kantianismen entwickeln und auch Mittlerer Kant(?)ismus (Gegenteil: Mittlerer Platonismus?) und Neuerer Kant(?)ismus heißen, wobei letzterer dann tatsächlich ein Neukantianismus (Gegenteil: Neuplatonismus?) wäre. Überhaupt entwickelte sich ja der gesamte Idealismus über bestimmte Neoismen zum Neu-Idealismus (vgl. 20-22) und über weitere neue Ismen (Neo-Neoismen) zum Neu-Neu-Idealismus. (Vgl. 22-24). Die über die eigene Kultur hinausreichende Wirkung, die Platon und Aristoteles erreichten, könnte auf abendländische Weise auch für Kant und Hegel gelten. Eine Wirkung bis ins Unendliche ? ().
IDEALISMUS

Kantianismus
Altkantianer

Hegelianismus
Althegelianer (Rechte)
Hegelsches Zentrum (Mitte)
Junghegelianer (Linke)

Neu-Idealismus

Neu-Kantianer
(Lange, Mach, Cohen u.a.)
(Kant-Gesellschaft)

Neu-Hegelianer
(Dilthey, Fischer u.a.)
(Hegel-Bund)
(Hegel-Gesellschaft)

Neu-Neu-Idealismus

Neu-Neu-Kantianer

„Nach Hegel heißt philosophisch denken
die Ernte des Seienden nach Hause bringen; …
der Wein der Wahrheit wird aus Spätlesen gewonnen.
Hegels typische Zeiten sind darum Herbst und Abend;
seine bevorzugte Denkfigur ist der Schluß,
seine innerste Farbe das nachtnahe Grau. …
Bedeutet das Werden eine Schule,
muß diese doch zu einem Abschluß führen;
ist es Prozeß, so kann in ihm
der Moment des Urteils nicht ausbleiben.
In diesem Sinne ist Hegel der Denker der Reife …
Hegel hätte, im Traum wie in Wirklichkeit,
Napoleon gegenübertreten können mit dem Satz:
Ich bin der Gedanke zu deiner Tat.

Durchbruch zum vollbrachten Verfassungsstaat.“
(Peter Sloterdijk; )

Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854) war theologischer Mitstudent von Hegel und Hölderlin, schloß sich der Philosophie von Kant und Fichte an, erweiterte sie naturphilosophisch und gelangte schließlich zu einer Philosophie der Offenbarung. Mit Fichte und Hegel zusammen gilt Schelling als Hauptvertreter des Deutschen Idealismus bzw. des Übergangs zur Romantik. Wegen seiner steten Wandlung wurde Schelling auch der „Proteus der Philosophie“ genannt. Nach Schelling ist das Absolute (Ideal-Real-Identität) direkt erfaßbar durch die intellektuelle Anschauung und in der Kunst, die gleichberechtigt neben, grundsätzlich sogar über der Philosophie steht und alles Trennende vereinigt. In den Gegenständen der empirischen Wirklichkeit ist je nach der Stufe die Natur oder der Geist stärker vertreten. Infolgedessen bildet das Reich der Natur wie das Reich des Geistes (die Geschichte) eine (Entwicklungs-) Reihe, deren einzelne Stufen Schelling als „Potenzen“ bezeichnete. Verwandt sind diese Potenzen nur durch ihren gemeinschaftlichen Urgrund, das Absolute; insofern entsteht nicht eine Stufe aus der anderen, sondern das Absolute läßt sie direkt aus sich hervorgehen, um so zu seiner völligen Entfaltung zu gelangen. (). Die Entwicklungslehre Schellings ist idealistisch wie diejenige Hegels. Seit 1807 wandte sich Schelling dem Problem der Freiheit des Menschen und seines in seinem Willen begründeten Verhältnisses zu Gott zu. Anschließend entwickelte Schelling in seiner Metaphysik der Religionsgeschichte Grundlagen zur späteren Religionswissenschaft. Das letzte Stadium seiner Philosophie ist besonders tiefsinnig, aber schwer zugänglich – vielleicht ein Versuch, die Neumystik wieder zum Leben zu erwecken (?!).
Wenn wir also Parallelen zwischen Platon und Hegel (oder Goethe) einerseits und zwischen Aristoteles und Kant andererseits feststellen, dann können wir auch welche zwischen den antiken und abendländischen Richtungen annehmen, die auf die Klassiker folgten, auf sie reagierten. Für die Antike (rot gefärbt) und für das Abendland, insbesondere für Deutschland, das hier absolut führend war, sind das:

Musik und andere Kunst sind hier aus
Platzgründen nicht berücksichtigt
(Vgl. 16-18) – 390/380) Demokrit (Atomismus) erklärt alles Geschehen
aus dem Atomaufbau (Atomismus-Lehre)
(Vgl. 16-18) Einzelgänger-Philosophen (u.a. Hippokrates)
(Vgl. 16-18) -390/370) Späte Sophisten (Gorgias, Hippias)
(Vgl. 16-18) -390/350) Späte Pythagoräer (Archytas von Tarent)
bis 1760/78) Rousseauismus (Alter Rousseau und Anhänger). (Vgl. 16-18) -390/350) Sokratiker (Xenophon)
1760/80) Rousseau-pietist. bew. Sturm & Drang. (Vgl. 16-18) -390/350) Kyniker (Antisthenes, Diogenes)
(Herder, jungerGoethe, junger Schiller). (Vgl. 16-18) -390/350) Kyrenäiker (Hedon.: Aristippos)
Sensualismus (Condillac) und Früh-Positivismus (Hume, d‘ Alembert)
-387) GallierKatastrophe: Kelten unter Brennus, zerstören Rom
1761) Musik: Joseph Haydn wird Kapellmeister in Eisenstadt
1762) Philosophie: Contrat social (Gesellschaftsvertrag; Rousseau)
Musik: Der 6jährige Wolfgang Amadeus Mozart spielt auf einer
Konzertreise vor der Kaiserin Maria Theresia
Archäologie, neuere Kunstwissenschaft und Wegbereitung des Klassizismus (Winckelmann))
1763) Ende des 3. Schlesischen Krieges und des Britisch-Französischen Kolonialkrieges
Friede zu Hubertusburg (Preußen gewinnt gegenüber Österreich und Sachsen)
Friede zu Paris (England gewinnt gegenüber Frankreich und Spanien)
1764) Musik: Der 8jährige Wolfgang Amadeus Mozart schreibt seine 1. Symphonie
Ende der Aufklärung bis Kritizismus (wolffscher bis kritischer Kant)
-385) Gründung der Akademie (Platon)
1764/65) Spinnmaschine (Hargreaves) / Wattsche Dampfmaschine (Watt)
Beginn der Industriellen Revolution in England
1765) Bergakademie Freiberg – älteste Technische Universität der Welt
1765) Deutsche Siedler gründen in Rußland die Wolga-Kolonie
1766) Lothringen kommt durch Erbfall an Frankreich
1766) Entdeckung: Wasserstoff (Cavendish)
1767) Spanien weist alle Jesuiten wegen Hochverrats aus
1766) Entdeckung: Wasserstoff (Cavendish)
1768) Frankreich kauft von Genua die Insel Korsika:
Napoleon wird dadurch als Franzose geboren (*15.08.1769)
Physiokratische Volkswirtschaftslehre (Turgot und Quesnay)
1770) Philosophie: Immanuel Kant wird als Professor an die Universität Königsberg berufen
James Cook nimmt für England Australien in Besitz
Entdeckung: Sauerstoff (Carl Wilhelm Scheele)
-379) Platon lehrt in seinem Phaidon die Unsterblichkeit der
Seele und die Kugelgestalt der Erde
1772) Entdeckung: Stickstoff (Rutherford)
1. Teilung Polens zwischen Preußen, Österreich und Rußland
(2. Teilung Polens zwischen Preußen und Rußland, 1793,
3. Teilung Polens zwischen Preußen, Österreich und Rußland, 1795)
Dichterbund (Hainbund) in Göttingen
1. ausgebaute Alpenstraße: die Brennerstraße
1772-1775) Auf seiner 2. Reise beweist J. Cook die Nichtexistenz der Terra australis und überquert
1773) Teaparty of Boston: Kolonisten in Nordamerika verlangen Vertretung im englischen Parlament
1773/1774) zweimal den südlichen Polarkreis: Entdeckung der Antarktis

-377) 2. Attischer Seebund (Kampfinstrument Athens gegen Sparta)

1775) Nordamerikanischer Unabhängigkeitskrieg (bis 1783)
Beginn der Weimarer Zeit für Goethe (frühe Weimarer Klassik)

um -375) Athen beherbergt 10mal soviel Sklaven wie Bürger (Vergleich)

1776)Unabhängikeitserklärung der 13 nordamerikanischen Kolonien Englands:
Sie proklamieren die unveräußerlichen Menschenrechte
Liberale Nationalökonomie (Adam Smith)
1778/80) Taucherglocke (zum Bau unter Wasser) / Verbrennungstheorie (Smeaton / Lavoisier)
1780/92) Neuhumanismus (Lessing, Herder, Goethe, Schiller, W. Humboldt)
1781/83) Entdeckung: Uranus (Herschel) / Eigenbewegung des Sonnensystems (Herschel)
1781-1793) Kants kritische Entwicklung (kritische Philosophie)
Kritizismus (Transzendental-Idealismus, -Erkenntnistheorie: Kant)
1782) „Letzte Hexe Europas“ wird in Glarus (Schweiz) geköpft
1783/85) Heißluftballon / Mechanischer Webstuhl (Mongolfier / Cartwright)
1788) Nach Goethes Italien-Reise: Beginn der Weimarer Klassik
1789) Beginn der „französischen Revolution“
1790) Berührungselektrizität (Galvani)
1790) Morphologie (Ganzheitliche Gestaltlehre, Struktur-Idealismus: Goethe)
1792) Änesidemus, Skeptizismus-Verteidigung gegen Vernunftkritik-Anmaßung (G. E. Schulze)
1793-1804) Kants nachkritische Phase (Bindeglied zwischen Kants Kritizismus und Deutschem Idealismus)
1794) Ethik-Idealismus (Fichte)
1795) Menschenbildungs-Idealismus (Schiller)
1795/99) Individuell-ästhetischer Idealismus (Schlegel)
1799) Ästhetisch-religiöser Idealismus (Kant)
1799/1801) Absoluter Idealismus (Identitätsphilosophie: Schelling)
1799) Alexander von Humboldt beginnt mit seinen weltweiten Expeditionen und Entdeckungen (bis 1859),
bereichert u.a. die botanische Systematik um 5000 neue Arten zu den bisher 8000 bekannten Arten,
begründet u.a. die Pflanzengeographie (Geobotanik); er ist also der wahre, der wissenschaftliche
Entdecker Amerikas
um 1800) 83% der Erde (60% ihrer Landfläche) sind bekannt (vgl. 10-12, 14-16, 22-24)
um 1800) Hochklassisches Neuhochdeutsch (Höhepunkt der deutschen Sprache):
Deutsch als Wissenschaftssprache der Welt, die Weltsprache der Wissenden.
(Vgl. AHD, Früh-MHD, Klassik-MHD, Spät-MHD, Früh-NHD, Klassik-NHD, Spät-NHD)
1800) Logischer Idealismus (Panlogismus: Hegel) -335) Peripatetiker (Aristoteles)
-325) Pytheas (aus Massilia), griechischer Seefahrer und Geograph,
befährt die Nordsee (1. Nachricht über Germanen)
1800) Nicht-euklidische Geometrie (Gauß)
um -315) Euklidische Geometrie (Euklid)
1800) Papiermaschine (Robert)
1800) 1. Dampflokomotive (Trewithick)
1802) Erste erfolgreiche Keilschrift-Entzifferung: Georg Friedrich Grotefend
1800/04/07) Drehbank / Netzstrickmaschine / Dampfschiff (Maudsley / Jayquard / Fulton)
1804) Weltbevölkerung (**|**|**): 1 000 000 000
1806) Franz II. legt die Kaiserkrone nieder (06.08.): Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation
1807) Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein führt als Minister liberale Formen durch
1807/11) Neue Nomenklatur und Symbole in der Chemie (Berzelius)
1808) Vergleichende Sprachwissenschaft (Wegbereiter: Schlegel, Begr.: Bopp, Gebr. Grimm)
um 1810) Vitalismus (u.a. Louis Dumas)
1812) Germanische Altertumswissenschaft, Germanische Sprachwissenschaft, Deutsche Philologie (Grimm)
ab 1812) Begründung der „Vergleichenden Sprachwissenschaft“: Franz Bopp
(Beweis für die Verwandtschaft indogermanischer Sprachen); Hauptwerk: „Vergleichende
Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und
Deutschen“ (6 Bände, 1816 bzw. 1833-55).
1812) Schnelldruckpresse (König, Bauer)
1813) 16. Oktober: Völkerschlacht bei Leipzig (Niederlage Napoleons)
1814) 31. März: Einzug der Verbündeten in Paris und Absetzung Napoleons
1814) Spektroskop (Fraunhofer)
1814) Fraunhofer-Linien, Absorptions- und Emissionslinien im Sonnenspektrum (Fraunhofer)
1814/15) Wiener Kongreß (Beginn der „Restauration“), Deutscher Bund
1815) Der dem schon so gut wie besiegten englischen Feldmarschall Wellington zur Hilfe kommende
Generalfeldmarschall Blücher besiegt Napoleon am 18. Juni bei Waterloo
1815) Polarisation des Lichts / Wellentheorie des Lichts (Malus / Fresnell)
1818) Atom-Gewichte (Berzelius)
1819) Lebensphilosophie (Willensmetaphysik: Schopenhauer) um -315) Skeptiker (Pyrrhon)
Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtskunde (Karl v. u. z. Stein)
„Deutsche Grammatik“ (Ablautgesetze: Deutsch, Germanisch, Indogermanisch): J. Grimm
1822) Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen: Jean-François Champollion
1824) Realismus-Philosophie (Psychologie: Herbart)
1827) Ohmsches Gesetz (Ohm)
1827) Schiffsschraube (Ressel)
1828) Organische Chemie (Organische Substanzen auch ohne Lebenskraft: Wöhler, Liebig)
1828) Positivismus (Atheismus: Feuerbach; Comte, St. Mill). Vgl. auch (16-18)
1829) Expedition ins asiatische Rußland (A. von Humboldt). Eines der wichtigsten Resultate:
Globales Netz magnetischer Beobachtungsstationen (Zusammenarbeit: A. von Humboldt und Gauß)
1830) Darstellung des gesamten Wissens über die Erde (A. von Humboldt)
1830) Erste (brauchbare) Nähmaschine (Madersperger)
1831/33) Elektrisches Induktionsgesetz, Elektrolyse (Faraday)
1833) Elektromagnetischer Telegraf (Gauß und Weber)
1833) Periodische Eifurchung (Bischoff)
1834) Elektromotor (Jacobi)
1836) Amerikanischer Transzendentalismus als Neu-Idealismus (Emerson)
1837) Telegraph (Morse)
1838) Photographie (mit lichtempfindlichen Silbersalzen; Daguerre)
1838) Hallische Jahrbücher von Ruge und Echtermeyer (Hegelianer)
1839) Energetik (Energetismus), Gesetz von der Erhaltung der Energie:
1. Hauptsatz der Wärmelehre (Thermodynamik) / (J. Robert Mayer / Helmholtz)
1839-1841) A. von Humboldt und Gauß fördern Erforschung der Antarktis (d’Ueville, Wilkes, Ross)
1840) Mineraldünger (Liebig)
1841/42) Samenfäden / Periodische Eireifung (Kölliker / Bischoff)
1842) Doppler-Effekt, Veränderung von Frequenz und Länge einer Lichtwelle oder Schallwelle (Doppler)
1843) Absoluter Existenz-Subjektivismus (Kierkegaard)
1845) Radikal-Individualismus bzw. Anarchismus (Stirner)
1845) Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung (1. Ausgabe) von A. von Humboldt
1845/46) Anarchismus (Proudhon)
1846) Entdeckung des Neptun (Galle)
1846/48) Äther-Narkose / Blinddarm-Operation (Morton / Haucook)
1847) Algebraische Logik (Boole)
1847) Guttapercha-Isolierung für Kabel (Werner Siemens)
1847/54) „Geschichte der deutschen Sprache“ / Germanisch-deutsches Wörterbuch (Gebr. Grimm)
1848) Kommunismus/Marxismus (Marx, Engels)
1850) 2. Hauptsatz der Wärmelehre (Thermodynamik), Entropie (Rudolf Clausius)
1851/54) Soziologie (Comte) um -300) Stoiker (Zenon der Stoiker)
1852) Zellteilung (Remak)
1853/55) Rassen-Ideologie (Gobineau)
1854) 1. elektrische Glühlampe – mit Batterie-Stromzufuhr (Heinrich Goebel)
1854) Vierdimensionales Kontinuum von Raum und Zeit (Riemann)
1855) Bunsenbrenner (Robert Wilhelm Bunsen)
1855) Sinnespsychologie (Helmholtz)
1855) Materialismus (Materialismus-Bibel „Kraft und Stoff“: Büchner). Vgl. auch (16-18)
1855/64) Vereinigung Mechanik-Theorie mit Idealismus (Lotze)
1856) Erdöl-Bohrungen in der Lüneburger Heide: Beginn der sytematische Erschließung von Erdöl
1856) Regenerativ-Flammofen (Friedrich Siemens)
1857) 4. Januar („Schwarzer Sonntag“): Beginn der 1. „Weltwirtschaftskrise“
1857) Erstes Tiefseekabel (Werner Siemens)
1859) Historischer Materialismus (Marx)
1859) Spektral-Analyse (Kirchhoff / Bunsen) / Kirchhoff’sches Gesetz, – Strahlungsgesetz (Kirchhoff)
1859) Darwinismus (Entstehung der Arten: Darwin)
1860) Vereinigung Mechanik-Theorie mit Idealismus (Lotze)
1860) Psychophysik (Fechner) um -300) Epikuräer (Epikur)
1860) Kindbettfieber (Semmelweis)
1861) 1. Telefon bzw. Fernsprecher (Reis) -287) Gründung der Bibliothek in Alexandria
1861-64) Vollendete Theorie des Elektromagnetismus (Maxwell und Boltzmann)
1861-96) Evolutionismus (Spencer) -287) Neu-Peripatos (Jüngere Aristoteliker: Straton)
1862) Viertakt-Motor, auch „Ottomotor“ genannt (N. Otto) / Tuberkelbazillus (Robert Koch)
1863) Ferdinand Lassalle gründet in Leipzig den ADAV (1869: SDAP, 1875: SAP, 1890: SPD)
1864) 1. Internationale (internationale Arbeiterassozisation) aus 13 europäischen Ländern und USA
1864 bis 1873) Moderne Zukunftsromane. Beginn der Science-fiction (Reise zum Mittelpunkt der Erde,
Von der Erde zum Mond, Reise zum Mond, In 80 Tagen um die Welt: Jules Verne)
1865) Vererbungslehre (Mendelsche Gesetze: Mendel) / Milieutheorie (Taine)
1865/66) Keimplasmatheorie (Erbsubstanz in Form von Determinanten im Keimplasma; Weismann)
1866/67) Torpedo (Whitehead) / Dynamit, Eisenbeton (Nobel, Monier)
1866) Dynamo-Maschine (Werner Siemens)
1868) „Schliemannsche“ Archäologie-Methode: Troja wird entdeckt (Heinrich Schliemann)
1869) Periodensystem der Elemente (J. L. Meyer, D. Mendelejew) / Lichtdruck (Albert)
1869) DNS (DNA): Desoxyribonukleinsäure (Miescher, Hoppe-Seyler)
1869) A. Bebel und W. Liebknecht günden in Eisenach die SDAP (1863-69: ADAV, 1875: SAP, 1890: SPD)
1869-1870) (08.12.1869-20.10.1870) Konzil (20) von Rom (Vatikan I) :
Definition des Primats und der Unfehlbarkeit des Papstes
– (!) Vor 306 Jahren endete das letzte Ökumenische Konzil (!) – (Vgl. 12-14)
seit -270 ) Neu-Akademie: 2. oder Mittlere Akademie (akademische Skepsis); Arkesilaos
1870) Neu-Kantianismus (Mach, Riehl, Helmholtz; Marburger Schule: Cohen, Nartorp; Rickert, u.a.)
1870/71) Deutsch-Französischer Krieg (Frankreich kapituliert im Januar 1871): 2. Deutsches Reich
1871) Versailler (Vor-) Friede (26.02.) und Frankfurter Friede (10.05.)

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In der obigen Übersicht fehlen einige Einzelwissenschaftler, insbesondere die antiken, die häufig auch Aristoteles-Anhänger waren wie der Botaniker und Charakerologe Theophrast (372-287), der Musiktheoretiker Aristoxenos (um -350) und der Historiker und Politiker Dikaiarchos (um -320), um einige Beispiele zu nennen. Sie gehörten dem älteren Peripatos (Peripatetiker seit -335; siehe oben) an, der für diese Phase sehr entscheidend werden sollte. Der Philosophie-Einzelgänger Demokrit (460-371), erklärte um 372 v. Chr. alles Geschehen aus dem Atomaufbau der Materie. Das ist typisch antik. Aus der Übersicht wird aber auch ersichtlich, daß die Akademie Platons, wenn man von einer Totalanalogie ausgehen wollte, den gesamten abendländischen Idealismus umfaßt. Die Platon-Anhänger laufen unter der Bezeichnung alte (348-270) und mittlere Akademie (270-241), während die neue Akademie und auch die Fortsetzung der mittleren Akademie bereits in spätere Zeiten bzw. Phasen fällt. (20-22) und (22-24). Die neue Akademie wird dann mittlerer Platonismus, der dritte und folgenreichste Platonismus Neuplatonismus genannt werden. Platons Neffe Speusippos (405-334) war auch Platons Nachfolger, also Leiter der Akademie (348/347-339/338). Er entwarf, unabhängig von Aristoteles, eine eigene Systematik der Pflanzen und Tiere. Xenokrates (396-314), seit 339/338 Vorsteher der Akademie, begründete die Dreiteilung der Philosophie in Dialektik (Logik), Physik (Naturphilosophie) und Ethik. Über diesen Dreien throntedie höchste Gottheit, zugleich als Zeus und als Nous (Geist). Arkesilaos (315-241) war von 270 bis 241 Scholarch der zweiten (mittleren) Akademie, der der Schule durch Einführung der Urteilsenthaltung (epoch) eine skeptische Richtung gab. Er meinte, daß nur Wahrscheinlichkeit erreichbar sei und diese zum Leben genüge. In der Zeit von 287 bis 270 war der Physiker Straton (um 340-270) Vorsteher der peripatetischen Schule, der zweiten, die auch jüngerer Peripatos heißt. Er bildete Aristoteles‘ Weltanschauung zu einem naturalistischen Pantheismus um – antik-positivistisch. (Vgl. 20-22)

Seit Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) sich von dem Geschmackskanon des Rokoko losgelöst hatte, beherrschte ein starkes Naturgefühl, das aus dem unmittelbaren Erleben der Natur hervorging, seine sämtlichen Dichtungen. Dieses Naturgefühl umfaßte den religiösen Charakter von Goethes Naturerlebnis (vgl. Pantheismus) sowie das ganzheitliche Erkennen in den Naturwissenschaften; es berührte auch das denkerische Ergebnis von Goethes Naturanschauung, seine Naturphilosophie. Das Problem Natur und Kunst ist spezieller Gegenstand von Goethes philosophischer Ästhetik. Bei wechselnder Kritik an den positiven Formen geoffenbarter Religionen und einer nur vorübergehenden Annäherung an den Pietismus entwickelte Goethe zum Verhältnis von Gott und Welt eine Vorstellung, die ihn das „Dasein“ und die „Göttlichkeit“ (vgl. „leitendes Wesen“, „Vollkommenheit“) als Einheit begreifen ließ. Im Zusammenhang mit der von Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) verfaßten Schrift Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (1811) spricht Goethe von seiner „reinen, tiefen, angeborenen und geübten Anschauungsweise, die mich Gott in der Natur, die Natur in Gott zu sehen unverbrüchlich gelehrt hatte, so daß diese Vorstellungsart den Grund meiner ganzen Existenz machte“ (Annalen, 1811). Schon in seiner ersten Naturforscher-Zeit sah sich Goethe als Pantheisten. „Man sieht die Neigung zu einer Art von Pantheismus, indem den Welterscheinungen ein unerforschliches, unbedingtes, humoristisches, sich selbst widersprechendes Wesen zum Grunde gedacht ist, und mag als Spiel, dem es bitterer Ernst ist, gar wohl gelten.“ (Erläuterung zu dem aphoristischen Aufsatz: Die Natur, 1828). Goethe betrachtete Religion als eine den Verkehr der Menschen untereinander ordnende Macht. „Die allgemeine, die natürliche Religion bedarf eigentlich keines Glaubens; denn die Überzeugung, daß ein großes, hervorbringendes, ordnendes und leitendes Wesen sich gleichsam hinter der Natur verberge, um sich uns faßlich zu machen, eine solche Überzeugung drängt sich einem jeden auf.“ (Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit, 4. Buch, 1811-1822). Nur einmal in seinem Leben näherte sich Goethe vorübergehend dem der Amtskirche fernstehenden Pietismus, mit dessen Theologie er sich jedoch nicht befreunden konnte. Er bildete seine natürliche Religion mehr und mehr in Richtung auf einen Pantheismus hin aus, wobei ihn sein Naturgefühl und seine naturkundlichen Interessen anleiteten.
Johann Wolfgang Goethe
(1749-1832)
– 10 Entwicklungsstufen –
1) Frankfurter Zeit
(bis 1765)

Jugendzeit und Frühwerke
2) Leipziger Zeit
(1765-1768)

Jura-Studium
Lyrik im Stil des Rokoko
3) Frankfurter Zeit
(1768-1770)

Pietistischer
und mystischer Einfluß
4) Straßburger Zeit
(1770-1771)

Jura-Studium
Freundschhaft mit Herder
führt zum
Sturm und Drang
5) Frankfurter Zeit
(1771-1772)

Advokat
Rezensent der kritischen Zeitschrift „Frankfurter gelehrte Anzeigen“
Hymnische Dichtung

6) Wetzlarer Zeit
(1772-1775)

Praktikant am Reichskammergericht
Weitere Lyrik im Stil des
Sturm und Drang
und Vollendung des „Urfaust“
7) Weimarer Zeit
(1775-1786)

Erzieher und Minister
Werke der Reifezeit
Naturwissenschaft, Autobiographie
Entdeckung des menschlichen Zwischenkieferknochens
8) Italien-Reise
(1786-1788)

Umorientierung der früheren Elementen zum Klassischen
Vertiefungen in Dichtung, Naturwissenschaft, Ästhetik; Idee der „Urpflanze“, Spiraltendenz
9) Weimar-Klassik
(1788-1805)

Leiter des Hoftheaters Weimar. Beziehungen zur Universität Jena Freundschaft mit Schiller: Hochklassik und Morphologie bzw. Metamorphose
10) Romantik
(1805-1832)

Nach dem Tod Herders, Schillers und Wielands
Beziehungen zum Kreis der Romantik in Jena
Freundschaft mit Schelling

Was im Abendland mit dem Sturm und Drang, dem freien Gefühl gegenüber der Vernunft begann (16-18), das begann in der Antike mit Platons periagoge. Beide Bewegungen sind Umdrehungen, d.h. Revolutionen der Seele, was ich Erwachsenwerden nenne. Platons Höhlengleichnis und seine Abwendung von der immer schrecklicher werdenden griechischen Tragödie, die ihn die Akademie zu gründen veranlaßte (385 v. Chr.), ist zu vergleichen mit dem räumlichen Pendant der Deutschen Bewegung, die durch die Vergangenheit in das Innerste schaut. Fast gleichzeitig mit ihr begann die Industrialisierung; die „Industrielle Revolution“, die zuerst um 1760/1770 in England eingesetzt hatte, griff nämlich rasch auf die bedeutenden Staaten in Europa und Nordamerika über und hatte kaum vergleichbare Auswirkungen. (). Eine dieser vielen Auswirkungen der Industrialisierung war z.B. die Bevölkerungsexplosion:
Ruhrpott und Romantik gehören doch irgendwie zusammen.
Deutsche Klassik bzw. Idealismus-Romantik und Athenische Klassik bzw. Attische Philosophie ähneln sich sehr. Dem Sturm-und-Drang bzw. der Frühromantik vergleichbar sind die frühen Kyniker, während die „transzendentalen“, „subjektiven“ und „objektiven“ Idealisten eher Platon und seinen Akademikern bzw. Aristoteles und seinen Peripatetikern ähneln, wobei die Reihenfolge jedoch ein Problem zu sein scheint, denn für die abendländische Klassik könnte nämlich gelten, daß einerseits („inhaltlich“) Hegel und Hegelianer zu Platon und Platoniker passen wie Kant und Kantianer zu Aristoteles und Aristoteliker (oder auch wie wissenschaftliche Einzelgänger des Abendlandes zu denen der Antike), daß andererseits („kulturspezifisch“) dieses Verhältnis aber genau umgekehrt sein muß, damit die zeitliche Reihenfolge zwischen beiden Kulturen doch übereinstimmt:
Durch Platon wurde die antike Philosophie, durch Kant die abendländische Philosophie erwachsen.
Aus dieser zivil-modernen Reife machte Aristoteles antik, Hegel abendländisch eine Spätlese (1. Herbsternte).

Die Romantik kann man auch als idealistischen Universalismus und Enzyklopädismus bezeichnen, vor allem den Jenaer Romantik-Kreis um die Brüder Schlegel. In Friedrich Schlegel (1772-1829) hat sich das Schicksal der Romantik philiosophisch am deutlichsten ausgedrückt. Der gebürtige Hannoveraner begann nach seiner Kaufmannslehre in Leipzig ein geisteswissenschaftliches Studium in Göttingen und Leipzig und war mit Schleiermacher (1768-1834) befreundet. Er arbeitete mit Fichte (1762-1814), Schelling (1775-1854), Novalis (1772-1801) und Tieck (1773-1853) zusammen. Von 1820 bis 1823 gab Schlegel die konservative Zeitschrift Concordia heraus. Als Ästhetiker, Literaturtheoretiker, Literaturhistoriker, Dichter und Kritiker war er geistiger Mittelpunkt der Frühromantik.
Friedrich Schlegel (1772-1829)
– Schicksal der Romantik –
1788-1798
Dunkles Sehnen und Suchen
1798-1808
Künstlerischer und philosophischer Gestaltungstrieb
Philosophie des allumfassenden Ich
1808-1818
Übertritt zum Katholizismus
Gehorsam und Unterwerfung der Vernunft unter die kirchlichen Wahrheiten
1818-1828
Mystisches Eigenleben
bei kirchlichem Gehorsam

Schlegel begründete mit seinen Schriften die Theorie der romantischen Dichtkunst (1825) und verstand die Romantik als progressive Universalpoesie, d.h. als Erschließung der transzendental-poetischen Struktur der Schöpfungswirklichkeit. Goethe und Schlegel lernten sich 1797 in Jena kennen und trafen sich auch später des öfteren. Goethe las Schlegels Aufsätze (z.B. Die Griechen und die Römer), seine Geschichte der Poesie und seinen Roman Lucinde; Schlegel stellte in seinen Fragmenten, vornehmlich in der Zeitschrift Athenäum veröffentlicht, die Goethesche Dichtung als musterhaft hin. Vor allem erschien ihm Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795) und nicht mehr die Tragödie als Höhepunkt der Dichtung überhaupt. Er nannte ihn neben der Französischen Revolutuion und Fichtes Wissenschaftslehre eine der 3 größten Tendenzen des Zeitalters. Mit der Charakteristik des Wilhelm Meister (1798) und dem Gespräch über die Poesie (1800) setzte Schlegel den Beginn einer wissenschaftlichen Literaturgeschichtsschreibung. 1802 brachte Goethe Schlegels Tragödie Alarcos (1802) in Weimar zur Aufführung und las ohne Zustimmung Schlegels Schrift Über die Sprache und Weisheit der Inder (1808). Schlegel war der Begründer des Sanskrit-Studiums und Wegbereiter der vergleichenden Sprachwissenschaft. (Vgl. Schlegel/Grimm und ).
Die abendländische Romantik kann als Versuch einer Nationalisierung des humanistisch-idealistischen Universalismus und als eine Verknüpfung des schon erwähnten Neuplatonismus mit dem Germanischen bezeichnet werden, in der eine idealistisch-pantheistische Denkweise vorherrschend ist. Sie war eine Deutsche Bewegung. Die Vertreter ihrer Entwicklungsstufen – aus Sturm und Drang, Klassik und Romantik – kennt wohl jeder. Eine Romantisierung des von der humanistischen Generation geschaffenen Werkes (10-12 und 12-14) sowie die Erfahrung des Ich und der Tiefen der menschlichen Seele ist ihr Wesenszug. In Goethe und Schelling trat der stoffgläubig-mechanistischen Naturwissenschaft des Westens eine schöpferische Naturlehre gegenüber. Auf diesen Wesensgegensätzen beruht auch die starrdogmatische Ablehnung der Newton’schen Farbenlehre durch Goethe. Im Mittelpunkt der Naturauffassung Goethes stehen die Begriffe Urphänomen, Typus, Metamorphose und Polarität. Nüchtern und realistisch dachte Goethe über die Möglichkeit gegenständlicher Erkenntnis: „Man suche nur nichts hinter den Phänomenen; sie selbst sind die Lehre“. Zusammengefaßt ist dies das erste erwachsene, frühherbstliche oder frühabendliche Projekt zum Selbstverständnis und zur Feststellung der eigenen (Kultur-) Geschichte. Nicht umsonst hat die historische Methodik durch Leopold von (1795-1866) und hat die sprachwissenschaftliche Methodik durch Franz Bopp (1791-1867) und die Märchen sammelnden Gebrüder Grimm (1785-1863 und 1786-1859) gerade in dieser Zeit ganz entscheidende Impulse erhalten. Und während sich Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Verkehrstechnik, Nachrichtentechnik, Drucktechnik, Kriegstechnik und die Photographie rasant weiter entwickelten und das Licht angeknipst wurde, ging den Menschen jenes Licht noch nicht auf, welches die mit Geld und Geist gerüstete Technik benutzt, wenn sie Massenmeinungen unter Kontrolle bringen will. Und sie wollte schon damals.Analog dazu kann man für die Antike die Errungenschaften nennen, die seit der Gründung der Bibliothek in Alexandria (287 v. Chr.) zu deren Geistesblitze führten. Der Geist denkt und Gott lenkt, hatte es früher geheißen. Jetzt hieß es: der Geist denkt und das Geld lenkt. Die Menschen mußten jetzt immer mehr das denken, was die freie Meinungsäußerung ihnen vorgab. Sie ahnten, aber wußten noch nicht so recht, wer der Lenker sein sollte. Die klassisch-romantische Eisenbahn fuhr noch eingleisig.

Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) war der Philosophielehrer der Romantiker und der Verkünder des modernen Individualismus. Er leitete die Philosophie der Menschen aus ihren Handlungen ab. Nicht nur alle Personen, sondern auch alle Dinge sind „im Leben“, das „Gott“ ist, behauptete er. Bei Jacobi finden sich sowohl lebens- als auch existenzphilosophische Ansätze. (). Großes Aufsehen erregte seine Schrift „Über die Lehre des Spinoza in Briefen an Moses Mendelssohn“ (1785), in der ein Bekenntnis Lessings zum Spinozismus () mitteilte, den Atheismus für eine Folge des Spinozismus wie aller Verstandesphilosophie erklärte, während die wahre Philosophie auf Gefühl und Glauben beruhe und erst anfange, wo der Spinozismus aufhöre. In diesem Sinne bezeichnete sich Jacobi als „Heiden mit dem Verstande, Christen mit dem Gemüte.“ In seiner Jugend war Jacobi mit Lessing und Goethe befreundet, von 1807 bis 1813 war er Präsident der bayrischen Akademie der Wissenschaften in München. Jacobi führte den Nihilismus als Terminus bereits 1799 in seinem „Sendschreiben an Fichte“ ein.
Ein Verteidiger des Skeptizismus war Schopenhauers Lehrer Gottlob Ernst Schulze (1761-1833), der sich selbst nach Ainesidemos (Änesidemus) benannte und den skeptizistischen Standpunkt besonders in seinem Hauptwerk Änesidemus oder … Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßung der Vernunftkritik (1792) begründete. Schulze wandte sich in seiner Erkenntnislehre mit grundlegenden Argumenten gegen die alte Verwechslung des Wahrnehmens mit dem Vorstellen. Schopenhauers Lehrer Schulze wurde auch als Änesidemus-Schulze bekannt.
Aus der Übersicht geht klar hervor, daß, analog zu Pyrrhon (360-270) und seiner Skeptiker-Schule, ein abendländischer Skeptizist ein dem Abendland gegenüber eher pessimistisch eingestellter Lebensphilosoph wie der Willensmetaphysiker Schopenhauer (1788-1860) wäre und einer seiner Schüler, der es mit dem Pessimismus besonders ernst nimmt, beispielsweise der Existenzsubjektivist namens Kierkegaard (1813-1855). In einer abendländischen Stoa dieser erwähnten Zeit hätte man dann die zum ersten Mal von Comte (1798-1857) so bezeichnete Soziologie zu sehen. Abendländische Kyrenäiker wären dann aber die das allgemeine Wohl fördernden sensumotorischen Material-Positivisten, zu denen ich, neben Sensualismus (Condillac, 1715-1780) und Positivismus (d‘ Alembert, 1717-1783) – beide als eine ältere Richtung (16-18) -, auch Materialismus, Anarchismus, Sozialismus (nicht soziologisch!) und Kommunismus rechne. „Über Vergangenes soll man nicht klagen, vor Zukünftigem nicht bangen“ – das ist z.B. ein Satz, den Aristippos von Kyrene (435-355) prägte und den seine hedonistischen Schüler, die Kyrenäiker, aber auch jene abendländischen doppelt unterstrichen hätten und vielleicht auch haben, insbesondere die letzteren (jüngeren). Epikuräisch auf abendländisch wäre z.B. die Philosophie von Johann Friedrich Herbart (1776-1841); er hat die Psychologie als Wissenschaft begründet, weil er sie auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik zurück- und an die Naturwissenschaft so nah wie möglich heranführte, während Comte, der stoische Positivist, sie auf Soziologie und Biologie verteilte. Fechner (1801-1887) gehört jedoch sicherlich in die Reihe der epikuräischen Abendländer. Zwecks Naturerkenntnis und zur Glückseligkeit und zum zurückgezogenen Leben (ataraxia) von Staat und Kultur zu kommen, riet Epikur (342/341-271/270); und so hat sich auch die abendländische Psychologie entwickelt. In Übereinstimmung mit der Natur leben, das allgemeine Wohl fördern und Gentleman bleiben, lautete in etwa die Devise der Stoiker. Ihr Begründer Zenon (354-264) war zunächst Schüler der Kyniker. (Vgl. 16-18). Der heute wohl bekannteste Kyniker ist Diogenes von Sinope (412-323), obwohl nicht er, sondern Antisthenes (444-368) der Gründer der Kyniker-Schule war. (). Antisthenes predigte Bedürfnislosigkeit (autarkie) und Charakterstärke; er forderte Rückkehr zur Einfachheit des Naturzustandes, während Diogenes den Begriff der sokratischen Selbstgenügsamkeit zur inneren Askese, die äußerste Bedürfnislosigkeizt zur Pflicht machte, jeder verfeinerten Lebensart abhold. Er erkannte die geltenden Sittengesetze nicht an und wurde zum Urbild der kynischen Schamlosigkeit, der unser Ausdruck für Zynismus geworden ist. Diogenes ließ sich gehen. Anfänglich aber zählen die ersten Sokratiker, Kyniker und Kyrenäiker noch zu der letzten Phase der Sophistik bzw. Aufklärung. (Vgl. 16-18). Abendländisch gilt das für Rousseau (1712-1778), den Sturm und Drang und die Sensualisten (um Condillac bzw. Protopositivisten um Hume). Der auf Gefühle statt Vernunft setzende Sturm und Drang war allerdings für den Übergang zur (Weimarer) Klassik, damit zu Idealismus und Romantik eine fast unentbehrliche Voraussetzung, die ansonsten Kant allein hätte meistern müssen. (Vgl. „Übersicht“ und „Schulen“).
Die Schule des Skeptizismus, der sachlich auch viele Akademiker angehörten, vertrat in praktischer Hinsicht eine relativistische Ethik, die auch Pyrrhonismus genannt wird. Pyrrhon war der Ansicht, daß nichts in Wirklichkeit schön oder häßlich, gerecht oder ungerecht sei, denn an sich sei alles gleichgültig (ununterschieden), weil es ebensosehr und ebensowenig das eine wie das andere sei. Alles Nichtgleichgültige, Unterschiedliche nämlich sei willkürliche menschliche Satzung und Sitte. Die Dinge seien unserer Erkenntnis unzugänglich, darum gezieme dem Weisen Urteilsenthaltung (epoch). Als praktisch-sittliches Ideal des Weisen aber folge daraus die Unerschütterlichkeit (ataraxia). Der Skeptizismus erhebt den Zweifel zum Prinzip des Denkens, besonders den Zweifel an einer sicheren Wahrheit. Der gemäßigte Skeptizismus beschränkt sich auf die Erkenntnis der Tatsachen, während er sich gegenüber allen Hypothesen und Theorien Zurückhaltung auferlegt. Dieser antike Skeptizismus enstand als Rückschlag auf den metaphysischen Dogmatismus der vorhergehenden philosophischen Schulen. Man sieht also leicht ein, daß der Skeptizismus, wie die anderen neuen Schulen, als Reaktion auf die beiden großen von Platon und Aristoteles, einen Mittelweg darstellte, der als Ausweg gedacht war. Demzufolge müßte es im Abendland auch eine oder mehrere Alternativen zu Transzendental-Idealimus und Romantik-Idealismus gegeben haben, die sich als überlebensfähig herausstellen sollten. Tatsächlich wurde die von Arthur Schopenhauer begründete Lebensphilosophie und seine Willensmetaphysik nicht nur zur Modephilosophie des 19. Jahrhunderts, sondern auch ein Wegbereiter für Nachfolgerund Nachahmer. (20-22 und 22-24). Solch einer war wohl tendenziell bereits Kierkegaard mit seinem Existenz-Subjektivismus. Noch später sollten Nietzsche und Spengler, die Existenzphilosophen Heidegger, Jaspers und Sartre, tendenziell auch Sloterdijk, um nur einige Beispiele zu nennen, dieser ersten abendländischen Lebensphilosophie, dem Skeptizismus treu bleiben. Schopenhauers „Gesellschaft“ sollte also eine Schule von langer Dauer sein, wird es wohl auch in Zukunft bleiben, denn ebenso verlief in der Antike die Weiterentwicklung des Pyrrhonismus (Pyrrhons Skeptizismus). Doch auch die Schulen der Stoa und der Epikuräer hielten sich lange, was man aus Sicht der Zukunft für die abendländischen Soziologie- und Psychologie-Schulen sicherkich auch annehmen darf. Auch nicht zu vergessen sind die Schulen aus längst vergangenen Phasen, die reanimiert worden sind. Die klassische (attische) Philosophie jedenfalls, die schon durch Sokrates berühmt, aber durch Platon und Aristoteles berühmter denn je wurde, wirkte erfolgreich, wie ihre abendländische Entsprechung, auf ihre Anhänger, auf ihre Skeptiker und auf ihre Gegner.

„Sokrates ist so gut der Erbe der Sophisten wie der Ahnherr
der kynischen Wanderprediger und der pyrrhonischen Skepsis.“
(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 939).
„Der antike Skeptizismus ist ahistorisch: er zweifelt, indem er einfach nein sagt.
Der des Abendlandes muß, wenn er innere Notwendigkeit besitzen … soll, durch und durch historisch sein.“
(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917, S. 63f.).

„Es besteht die Möglichkeit einer dritten und letzten Stufe
westeuropäischer Philosophie: die eines physiognomischen Skeptizismus.“
(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917, S. 481f. ).

„Skepsis ist der Habitus, das Überzogene am Gewöhnlichen auflaufen zu lassen und
endgültige Ergebnisse stets als vorläufige hinzustellen. …. Anders als der Kritizismus,
der an Herabsetzungen interessiert bleibt, hegt die Skepsis Sympathien für
Übertreibungen aller Art, im Bewußtsein, ihnen nicht erliegen zu müssen.“
(Peter Sloterdijk, Nicht gerettet – Versuche nach Heidegger, 2001, S. 263, 273).
„In der Beängstigung und Verwirrung die plötzliche Ruhe im Gedanken an den Fötus, der man war.“
(Emile Cioran, De l’inconvénient d’être né, „Vom Nachteil geboren zu sein“, 1973, S. 20).
„In der Nachbarschaft dieser Sätze, die ausreichen würden, um Ciorans Stellung als
zweiter Patriarch des Eurobuddhismus zu festigen – der erste war Schopenhauer -,
schreibt der Autor eine Bemerkung nieder, von der es mir undenkbar erscheint,
daß sie nicht eines Tages als Axiom einer philosophischen Psychologie anerkannt würde.“
(Peter Sloterdijk, Zur Welt kommen – Zur Sprache kommen, 1988, S. 107).

Für Schopenhauer war der Tod der Musaget der Philosophie,
ein Musenanführer, Freund, Förderer, d.h. rettende Verneinung des
Willens zum Leben, die zur Aufhebung des Individuationsprinzips führt,
also zum Übergang ins Nichtsein (Nirwana). Diese radikale Skepsis – ein
Nihilismus – ist eine Reaktion auf die Ideale bzw. auf den Idealismus.
Der faustische Nihilist flüchtet vor den (alten) Idealen bis ins Unendliche,
der apollinische Nihilist enthält sich ihnen bis zur Unerschütterlichkeit:
auch der Philosophie als das Einüben ins Sterben, wie Platon sie bestimmte.
(Vgl. Schopenhauers „Nichtsein“ und Pyrrhons „epoch“ und „ataraxia“).
Alle Kulturen folgen der Notwendigkeit eines Skeptizismus (radikal: Nihilismus).
Die Richtungen des „Entgegengesetzten“ in Antike und Abendland sind jedoch
ebenfalls gegensätzlich, weil auch diese beiden Kulturen gegensätzlich sind:
Faustisch versus apollinisch und Unendlichkeitsraum versus Einzelkörper
kommen auch in der „Selbstverneinung“ deutlich zum Ausdruck.

Schopenhauer bestand darauf, die gegenwärtige erfahrbare Welt mit einem einzigen Satz erklären zu können: Die Welt ist Wille und Vorstellung. Schopenhauer begann mit der Vorstellung und einer Negation. Kant hatte gelehrt, daß die von unseren Sinnen aufgenommene Welt nur Erscheinung ist, und daß die Erscheinung nichts aussagen kann von dem eigentlichen Seienden, dem Ding an sich; daß dies also unerkennbar bleibt. Schopenhauer gibt dies zu: die ganze Körperwelt ist ideal, d.h. unsere Wahrnehmung ist dem Denkgesetz unseres Intellekts unterworfen, ist nur innerlich dieses Gesetzes möglich. Subjekt und Objekt bedingen einander. Ohne das Subjekt kann das Objekt nicht gedacht werden. Mit dem Subjekt muß es fallen. Der Intellekt vermag nur aufzunehmen unter der Vorstellung von Zeit und Raum, und in kausalen Verbindungen, undurchbrechlichen Relationen. Zeit und Raum bedingen Nacheinander und Nebeneinander, also die Vielfalt der Erscheinungen; sie sind darum das principium individuationis, Grund des Einzelnen. Schopenhauer schrieb 1813 „Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“. Unberührt von den Stürmen dieses Befreiungsjahres schrieb er im Hotel „Ritter“ in Rudolstadt diese Abhandlung als Grundlegung seiner Erkenntniskritik, ja seiner ganzen Philosophie. Der Satz vom Grunde (principium rationis sufficientis, Satz vom zureichenden Grunde) besagt: „Nichts ist ohne Grund warum es sei“. Für alles Bestehende stellt der Satz des Grundes einen Grund fest, aus dem es rechtmäßigerweise abgeleitet oder gefolgert werden kann. In allen seinen Gestalten ist der Satz vom Grunde das alleinige Prinzip und der alleinige Träger aller und jeder Notwendigkeit. „Die Notwendigkeit kommt also nicht dem Dinge an sich zu, sondern der Vorstellung. Nur Notwendiges kann vorgestellt werden.“ Der Satz, daß nichts ist ohne zureichenden Grund seines Seins, wurzelt in folgenden 4 Bereichen: 1) den anschaulichen empirischen Vorstellungen; 2) den Begriffen, also abstrakten Vorstellungen; 3) der a priori gegebenen Anschauung von Raum und Zeit (die also für Schopenhauer nicht absolut sind); 4) im menschlichen Willen, der, innerhalb der Erscheinungswelt, streng kausal unter der Wirkung der Motive handelt. Eine jede Handlung ist die unausbleibliche Folge des Zusammentreffens eines Motivs mit einem bestimmten Willen. Der Intellekt also baut die ganze Vorstellungswelt auf. Sie ist an die Vergänglichkeit des Subjekts gebunden. Über das eigentlich Seiende, das Unveränderliche, Ungeteilte, Unbedingte, Freie sagt sie nichts. Bis dahin glaubte Schopenhauer mit Kant einig zu sein. Nun aber machte er die Entdeckung des Dinges an sich, und zwar in seinem eigenen Wollen. Ein jeder hat die Erfahrung, die Erkenntnis seines eigenen Wollens. Sie ist unmittelbare Realität, nicht Anschauung, nicht leere Form, nicht als Gesetz der Vorstellung a priori gegeben. Der Wille ist das unmittelbar Bekannte; und von ihm ausgehend – nicht umgekehrt – ist der Weg zu suchen zum mittelbar Bekannten, der in der Vorstellung erscheinenden Körperwelt. Der Wille ist der „Schlüssel zu allem Andern“, die „enge Pforte zur Wahrheit“. Die ganze vom Intellekt aufgebaute Welt ist Objektivierung des Willens in ihm. Das ist die kühne Verknotung höchst verschiedener Erfahrungen, Schopenhauers einziger Gedanke, absurd für die Einen, genial für die Anderen, vielleicht eine geniale Absurdität. Diese Verknotung ist nicht zu erklären: er verzichtet darauf. Sie ist eben der „Weltknoten“, die Tatsache, die angenommen werden muß. Nach Schopenhauer ist der Wille das Seiende, unabhängig von Raum, Zeit, Kausalität, jeglicher Relation. Er ist das Wesen des Subjekts und der Welt, in der und mit der wir sind. Der Wille hat den Intellekt als sein Instrument geschaffen, aufnehmendes, vergängliches, dem principium individuationis (als dem Grund des Einzelnen) unterworfenes Bewußtsein – während der Wille unsterblich ist und, als Absolutum, unteilbar, das unauslöschliche Feuer, in das alle Erscheinungen zurückstürzen; aus dem neue in Ewigkeit aufsteigen werden. Die Individuen sind für den Willen nichts. Innerhalb der Erscheinungswelt zerteilt er sich in sie ohne Unterlaß, opfert er sie rücksichtslos. Tod ist ja nicht Tod, ist nur eine Phase sich fortgebärenden, unersättlichen Lebens.

Unglücklich war das Leben des Philosophen Sören Kierkegaard (1813-1855), und wohl auch deshalb darf man gerade ihn einen Existenzphilosophen nennen. Wie später Nietzsche, vermochte er es nicht, „ein Mädchen glücklich zu machen“. Das schrieb er 1841 an seine Braut Regine Olsen und löste damit die Verlobung. Kierkegaards einziger Gegenstand war sein Leben, seine Existenz. Seine Philosophie ist Autobiographie – wie bei Nietzsche auch. Kierkegaard war der Meinung, daß man auch durch eine lebenslange Beschäftigung mit Logik nicht selbst zur Logik wird, sondern man „existiert selbst in anderen Kategorien“. Kierkegaard unterschied drei Existenzweisen: die ästhetische, die ethische und die religiöse, je nachdem man nach Genuß strebe, oder unabhängig vom Äußeren nach moralischen Maßstäben lebe, oder im Glauben. – Später sollte Heidegger in seiner Existenzphilosophie solche Kategorien des Existierens „Existentiale“ nennen und sein Denken dann bereits „Hermeneutik“ des Daseins heißen. (). Kiergegaard schrieb, daß der Denker, der vergißt, ein Existierender zu sein, den Versuch mache, mit dem Menschsein aufzuhören und selbst zu einem Buch oder einem objektiven Etwas zu werden. Das Dasein spottet dessen, der im Begriff ist, rein objektiv werden zu wollen. Die einzige Wirklichkeit, um die ein Existierender nicht bloß weiß, ist seine eigene Wirklichkeit, daß er da ist.
Typische Züge des Skeptizismus sind das Mißtrauen gegen die Sinneswahrnehmnug, die überlieferten Denkgewohnheiten sowie gegen ethische und politische Wertvorstellungen und Vorurteile. Die völlige „Enthaltung“ (epoch) des Urteils, für die Pyrrhon sich so stark gemacht hatte, ließ natürlich nur noch aporetische Argumente zu, aber genauso ausweglos oder ratlos (aporetisch) stand man mit dem Begriff der Wahrscheinlichkeit da, den die mittlere, vor allem aber die neuere Akademie favorisierte. Da die Unerschütterlichkeit und Unverwirrtheit (ataraxia), die Pyrrhon als das praktisch-sittliche Ideal ansah, für die praktische Orientierung des Handelns gelten sollten, resultierte daraus, zusammen mit der theoretischen Orientierung des Denkens – der epoch – eine nur noch von den Indern zu übertreffende Gelassenheit. Während die abendländische Kultur die energischste Art einer Inhaltsdynamik ist, forderte die antike Kultur genau gegenüber dieser Art die Zurückhaltung. epoch geisterte durch alle Schriften der Antike und deshalb wahrscheinlich auch durch die gesamte Lebensart dieser statischen Kultur. Aber gerade diese Gegensätze erlauben es uns, unsere eigenen Fehler im Spiegel der Antike zu erkennen und von dieser verstorbenen Kultur zu lernen, denn ihre Geschichte ist uns ziemlich gut bekannt. Die Möglichkeit, von uns auf diese Weise zu lernen, hatte die Antike nicht. Die Analogien von Akademie und Idealismus einerseits sowie Skeptizismus und Lebensphilosophie andererseits lehren uns z.B., daß der Skeptizismus (radikal auch: der Nihilismus) in jeder zivilisierten Kultur einer Notwendigkeit folgt.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts, spätestens aber seit Beginn des 19. Jahrhunderts ist „Dekadenz“ bei den Kulturhistorikern „ein ›geschichtlicher Perspektivbegriff‹, der zur Bezeichnung eines Gesamtprozesses des sozialen oder kulturellen ›Niedergangs‹ einer Kultur dient. … Im Unterschied zur ›optimistischen‹ Fortschrittsgeschichtsschreibung wird die Dekadenzhistorie z.T. als die ›pessimistische‹ Schule der Historiographie bezeichnet. Wo es für die einen immerzu ›vorwärts‹ und gleichzeitig ›aufwärts‹ geht, geht es für die anderen ›abwärts‹, allerdings nicht unbedingt ›rückwärts‹, im Gegenteil: der ›Niedergang‹ wird als Abfall von einem Zustand höherer Kultur interpretiert, der meist in die Vergangenheit verlegt wird. Die meisten Dekadenzhistoriker treffen sich mit den Fortschrittshistorikern in der Vorstellung eines ›gesetzmäßigen‹ und irreversiblen Ablaufs der Geschichte, den sie freilich unterschiedlich ›bewerten‹. Es ist trotzdem zweifelhaft, ob man den Begriff der Dekadenz generell als ›Gegenbegriff‹ zu ›Fortschritt‹ bezeichnen kann. Im Unterschied zum Fortschrittsparadigma wird nämlich im Dekadenzbegriff die ›Altersmetaphorik‹ nicht ›denaturalisiert‹. Auch die Dekadenztheoretiker der Nachaufklärung knüpfen bewußt an die lebensweltlichen Erfahrungen des ›Alterns‹ und der ›Vergänglichkeit‹ alles Irdischen an. Die Folge ist, daß sie das ›Ende‹ der ›Welt‹ oder einer ›Kultur‹, im Unterschied zu den klassischen Fortschrittshistorikern, nicht in eine unendliche, offene Zukunft verschieben. Das Ende bleibt endllich. Wie im Kosmos oder in der ›Natur‹ dieselben Ereignisse nach einem festen Gesetz stets in derselben ›Reihenfolge‹ ablaufen, so auch in der ›Geschichte‹. … Da die ›komparatistischen‹ Dekadenzhistoriker die ›bessere Zeit‹ (›Goldenes Zeitalter‹, ›Zeit der Götter‹, ›Klassik‹ u.s.w.) immer in der Vergangenheit suchen, gerät aus ihrer Sicht eher ›der Fortschritt‹ in den Verdacht der Dekadenz als der ›Rückschritt‹. Bei den Zyklentheoretikern unter ihnen fällt die ›fortschrittliche‹ Entwicklung allerdings insofern mit einem ›Rückschritt‹ zusammen, als sie die einmal erreichte ›Bestform‹ hinter sich läßt; dieser ›Rückschritt‹ kann jedoch auch als ›Fortschritt‹ verstanden werden, weil er im Zyklus der Wiederkehr die Voraussetzung für einen neuen Anfang ist.“ (Robert Hepp, Der Aufstieg in die Dekadenz, in: Armin Mohler, Wirklichkeit als Tabu, 1986, S. 229-230). So schreiten also die Menschheit aus der Barbarei der ›Wilden‹ durch die an sich verschiedenen, aber miteinander vergleichbaren, weil analogen Phasen der Kultur und Zivilisation vorwärts in die „Barbarei der Reflexion“, die zugleich der Höhepunkt des „Fortschritts“ und der Tiefpunkt seiner „Dekadenz“ ist. Hier wird die ewige Wiederkehr der Barbarei zur Garantie.
„Die Vorstellung eines linearen Prozesses, der endlos in dieselbe Richtung läuft, ist selbst denjenigen Dekadenztheoretikern fremd, die die Geschichte als ›Entwicklung‹ begreifen.. Irgendwann kommt immer ein Punkt, wo die ›Entwicklung‹ abbricht oder eine Wende vollzieht. Wo die ›Dekadenz‹ als progressive Paralyse verstanden wird, steht am Ende der Tod … Niemand dat je im Ernst die Ansicht von einer unendlichen Steigerung der Dekadenz vertreten. Im Unterschied zu den Fortschrittsphilosophen der Aufklärung setzen ihre ›Gegner‹ immer stillschweigend voraus, daß der Verfall seine Grenzen hat. Einmal ist Schluß. Was man bei den Dekadenztheoretikern der Vergangenheit vergeblich sucht, ist die Einsicht in die Partikularität und Relativität des Niedergangs. Es ist immer gleich die ganze Kultur, die ihrem Ende entgegentreibt.“ (Robert Hepp, Der Aufstieg in die Dekadenz, in: Armin Mohler, Wirklichkeit als Tabu, 1986, S. 230). In einigen Bereichen geht es während des Untergangs tatsächlich eher aufwärts, jedenfalls sehr blühend zu, weshalb dennoch (oder: gerade deswegen) die ganze Kultur untergehen kann. Deshalb gibt es für Kultur ja auch zwei Begriffe: Kultur und Zivilisation. Beide haben „Aufs“ und „Abs“. Beide sind Teil einer Gemeinsamkeit (Gemeinschaft), die – „oberbegrifflich“ – Kultur genannt wird.

Was Alexander der Große und Napoleon auf politischer Seite personifiziert symbolisieren, das sind das Parallelenaxiom von Euklid und die nicht-euklidische Geometrie von Gauß auf geistiger Seite, denn sie vertreten das jeweilige Ursymbol auf zivilgeistiger Ebene. Sie repräsentieren das jeweilige erwachsene, zivile Ursymbol am ehesten, weil sie es aus der rein kulturellen in die Ebene der Zivilisation brachten und durch die Ehe mit einer anderen Kultur transferierten. Sie haben die antike begrenzte Körperlichkeit bzw. den abendländischen unbegrenzten Endlosraum der geistigen Nachwelt erst verdeutlicht, Euklid auf typisch antik-populäre Weise, Gauß auf typisch abendländisch-esoterische Weise, denn er veröffentlichte seine nicht-euklidischen Erkenntnisse nicht; seine Ergebnisse waren offenbar für ihn selbst bestimmt. Er hat dreißig Jahre lang seine Entdeckung der nicht-euklidischen Geometrie verschwiegen, weil er das Geschrei der Böoter fürchtete (). Die Antike nannte sich schließlich seit ihrer Ehe mit dem Osten hellenistisch, das Abendland seit seiner europäisch. Neben der politischen gab es also auch eine geistige Heirat – durch Euklid mit antik-hellenistischem Geist um 312 v. Chr. und mit Gauß und abendländisch-europäischem Geist um 1800. Vielleicht ist ein geistiger Napoleonismus (Alexandrinismus) immer auch die ideale, idealistisch-romantische Version einer Heirat mit gutem Geschmack.
Wenn ein etwa 30jähriger Mensch beginnt, sich über sein bis dahin verlaufenes Leben kritisch Rechenschaft abzulegen und ungeliebte Gewohnheiten eventuell abzuändern oder in die Lebensleitlinien positiv einzugliedern, dann ist das so, als wenn sich eine Kultur über die Vergangenheit eine im erwachsenen Sinne verstandene Rechenschaft abzulegen beginnt. Es ist wie eine durch die herabfallenden herbstlichen Blätter auftretende Erinnerung an den Frühling, als diese Blätter sich herausbildeten, oder an den Sommer, als sie mit jener oft als Normalfall angesehen grünen Blattfarbe die ersten Hitze-Proben zu bestehen hatten. Warum nur mußte dieses oder jenes gerade auf diese oder jene Art passieren? könnte die historische Generalfrage nicht nur der einzelnen Erwachsenen, sondern auch der erwachsenen Kulturen lauten. Aus diesem Grunde gab es in dieser Phase eine sehr intensive Auseinandersetzung der Nationen mit der eigenen Geschichte. Der abendländische Nationalismus war wie der antike Hellenismus auch ein Versuch, sich und der gesamten dazugehörigen Kultur mittels einer Rückbesinnung eine zivilisierte Identität zu geben und eine Eigenbilanz zu erstellen, die nicht von der eigenen Kultur wegführen sollte, wie es die Renaissance versucht hatte, sondern zu ihr hin. Deshalb mußten solche Entwicklungsvertreter stark historisierend vorgehen. Sie leiteten und läuteten damit den Historismus ein. Um 1800 entstand eine Historische Schule, die zunächst eher als Kritik an der Rechtswissenschaft durch sie selbst zu verstehen war und die Lehrmeinung vertrat, das Recht könne nicht nur aus allgemein gültigen abstrakten Prinzipien (Naturrecht) deduziert werden, sondern entstehe als Produkt des kollektiven Unbewußten in einem historischen Prozeß (Volksgeist) und könne daher nur historisch verstanden werden. Einer der Wegbereiter dieser Schule war Johann Gottfried Herder (1744-1803), ihr Begründer jedoch Friedrich Karl von Savigny (1779-1861). Wilhelm von Humboldt (1767-1835), Reformator des preußischen Bildungswesen, u.a. Gründer der Berliner Universität (1811) und seit 1810 Gesandter in Wien (Teilnahme am Wiener Kongreß), meinte, die Erforschung der Geschichte ebenso wie die der Sprache sei nicht eine Sache des bloßen Intellekts, sondern habe die Mitwirkung der Gesamtheit der menschlichen Seelenkräfte zur Voraussetzung; der Historiker müsse sich in das Innere der Personen und Epochen hineinversetzen, wenn er mehr als eine zusammenhanglose Aufzählung äußerer Ereignisse bieten wolle. Humboldts sprachtheoretischen Untersuchungen dienten ihm zur Grundlegung einer philosophischen Anthropologie. Drei Grundideen beherrschten Humboldts Weltanschauung: Universalität, Individualität, Totalität (= Formung des Lebens zu einem Kunstwerk). Leopold von Ranke (1795-1886) begründete die mit hohen Objektivitätsansprüchen zu Werke gehende moderne Geschichtswissenschaft, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts dem von ihm geprägten Historismus stark verpflichtet blieb. brachte die methodischen Grundsätze der Quellenforschung und -kritik im akademsichen Lehrbetrieb zu allgemeiner Geltung über Deutschland hinaus, besonders groß war der Einfluß auf Großbritannien und die USA. Eine andere Folge war die allmähliche Politisierung der Historiker. 1851 wurde z.B. Theodor Mommsen (1817-1903) wegen seines Engagements für die 1848er Märzrevolution amtsenthoben. Er machte dennoch eine grandiose Karriere und saß von 1863 bis 1866 im Preußischen Abgeordnetenhaus für die Deutsche Fortschrittspartei, von 1873 bis 1879 für die Nationalliberalen und im Deutschen Reichstag als Sezessionist. (Vgl. 20-22).

HERBST
(ahd. herbist, engl. harvest, german. harbista, indogerman. *(s)ker „schneiden“)

„Herbst“ hat sich etymologisch vom „Schneiden“, vom „Schnitter“ zum „Ertrag“, zur „Pflückzeit“, zur „Ernte“ entwickelt. In der Tat, bis hin zur „Ernte“ (ar(a)n; ahd. arnoti, engl. autumn). Mit Beginn dieser Jahreszeit, mit der Wendung von der Hoch- zur Spätkultur, wird der „Schnitt“ gemacht, den wir Zivilisation nennen. Der Herbst zeigt uns 3 Gesichter: der Frühherbst wird als ertragreich, mit seinen schönen Farben als romantisch, oft als Spät- und Schönsommer erlebt (Indian Summer u.s.w.), in der Herbstmitte verblassen die Farben allmählich, doch gerade gegenüber Sturm, Regen und Nebel zeigt das spätromantisch-impressionistische Braun, Gelbbraun oder Gelb seinen Liebreiz, während der Spätherbst sowohl von jenem Liebreiz als auch von der zu erwartenden, der nächsten Jahreszeit kündet. „Optimistisch“ ist man im Spätherbst, weil eine bevorstehende „Ankunft“ (Advent) bejaht wird, im Frühherbst, weil sie entweder mit „Zukunft“ verwechselt oder als „Vollendete Vergangenheit“ (Perfekt), als angekommen gilt, so daß die Gegenwart wie eine Art ewige Vergangenheits-Zukunft, wie eine Ehe (ahd. „ewa“ = ewig geltendes Gesetz, Ehe) verteidigt oder bekämpft wird, aber oft unentschieden und ungeschieden bleibt, weshalb in der „pessimistischen“ Herbstmitte durch die alles entscheidende Schlacht die Blätter, die Gefallenen, die Geschiedenen zur Mehrheit werden. Das amerikanische Wort für Herbst, „fall“, deutet auf die gefallenen Blätter ebenso wie auf das Fallen, auf die fallenden Soldaten. Blätterfall bedeutet Scheidung. In der Sturmzeit des Herbstes wird geschieden, und nur wenige bleiben davon unberührt. „So arbeitet nun mal die Demokratie, mögen manche sagen. Aber leider arbeitet so das Geld. Hier handelt es sich um die Macht der Plutokratie, nicht um die Macht des Volkes ….“ (Scholl-Latour). Wenn der Herbst beginnt und die Sonne noch langsam sinkt, die frühherbstliche Ernte noch genauso ertragreich zu sein scheint wie die letzte, die im Gedächtnis verhaftete Sommerernte, dann will man noch nicht daran denken, daß dieser Erntedank-Optimismus gebremst wird durch eine Entscheidung, die aus der Not(wendigkeit) heraus fallen muß und spätestens im letzten Herbstdrittel auch als solche reflektierbar, die Bilanz sichtbar, der Herbst vollendet wird und Optimismus wieder siegt – ganz „adventisch“ (die Ankunft erwartend). Kulturhistorisch richtig verstanden ist der Herbst also durchaus ein Weg von der Täuschung bis zur Endtäuschung (Enttäuschung). Das Ende einer Täuschung wirkt reinigend und befreiend. Deshalb ist auch eine Enttäuschung eine reine Angelegenheit, eine Katharsis. Täuschung, Konflikt und Katharsis bilden wie Ehe (Napoleonismus), Krise (Kampf ums Ei), Befruchtung (Cäsarismus) eine Einheit: den „Herbst“ als schneidende Menge, als bürgerliche Schnittmenge der demokratisch getarnten, plutokratisch regierten und mediokratisch privatisierten Zivilisation. Dies alles geschieht „epochal“, nach der inneren Logik eines Zeitalters, nach der Notwendigkeit der Tiefe. Während ein Ereignis sich als jeweilige Oberfläche nach der äußeren Logik eines Zeitalters, nach dem Zufall richtet, zeigt die Epoche (vgl. Phase) periodisch wiederkehrende Natur- und Kulturphänome an, die universal und kosmischen Ursprungs sind. Sie treten notwendigerweise auf und können als Tatsachen deutlich (gemacht) werden, wie z.B. die Erscheinungen der „Jahreszeiten“. Das Klima ist eine Tatsache, das Wetter ein Ereignis. Das Ereignis verhält sich zur Notwendigkeit wie der Zufall zum Schicksal.
Notwendigkeit und Ereignis arbeiten zusammen und werden dadurch zur Geschichte, nämlich so, als wollten sie den Wert einer Münze bestimmen. Es gehört zum Wesen aller Kulturen, daß in jedem Stadium zunächst die gleiche Möglichkeit vorhanden ist. Die „Idee“, z.B. der Übergang von der Kultur zur Zivilisation, ist notwendig, aber ob sie in Deutschland, in Frankreich oder sonstwo entsteht und zur Tatsache wird, ist eine Frage der Ereignisse, denn die (Französische) Revolution hätte auch durch ein Ereignis anderer Gestalt und an anderer Stelle des Abendlandes vertreten werden können. Auch hätte Napoleon mit seiner Absicht, an die Stelle eines englischen ein französisches Kolonialreich zu setzen, erfolgreich sein können. Daß er es nicht wurde, hing einerseits mit den Ereignissen im Britisch-Französischen Kolonialkrieg (1754/55-1763) zusammen, andererseits wurde im Pariser Frieden (1763) zugunsten Englands eine Notwendigkeit deutlich, die sich nur mit dem intuitiven Wissen oder dem Unterbewußten, jedenfalls mit der Tiefe einer inneren Logik erklären läßt: dem Willen zur Macht, gepaart mit dem Glauben an das Schicksal. (Nietzsche). Jede Phase will und soll vollendet werden. Unter welchen Umständen hätte England oder ein anderes Land, wenn es in der englischen Lage gewesen wäre, auf sein Kolonialreich verzichten sollen? So etwas hat es in der Geschichte noch nie gegeben, und wenn es doch einmal passieren sollte, dann wären dennoch dieselben energetischen Kräfte am Werk. Wenn Menschen über geschichtliche Phänome urteilen, finden sie nur Daten.
„Geschichte ist die Verwirklichung einer Seele.“
(Oswald Spengler, Zufall und Stil des Daseins, in: Der Untergang des Abendlandes, 1917, S. 188ff, bes. S. 192ff).
„Der bedeutendste Historiker seit Ranke, Eduard Meyer, sagt: »Historisch ist, was wirksam ist oder gewesen ist … Erst durch die historische Betrachtung wird der Einzelvorgang, den sie aus der unendlichen Masse gleichzeitiger Vorgänge heraushebt, zu einem historischen Ereignis«. Das ist ganz im Geschmack und Geiste Hegels gesagt. Es kommt erstens auf die Tatsachen an und nicht auf unser zufälliges Wissen davon.“
(Oswald Spengler, Welthistorische Perspektiven, in: Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 557ff, bes. S. 611).
Der Historiker muß alt werden, da man große Veränderungen nur verstehen kann,
wenn man persönlich welche erlebt hat, urteilte Leopold von Ranke.
Er wurde sehr alt und starb 5 Tage vor Spenglers 8. Geburtstag.
Erst 29 Jahre später durfte Spengler als einen
„Meister der kunstvollen Analogie“ loben.
(Vgl. Oswald Spengler, a.a.O. S. 5).

Und die Weltgeschichte?
Die Geschichtsforscher hatten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, also bis zum Beginn dieser Phase (18-20), überwiegend Geschichtswerke hervorgebracht, die sich entweder auf die europäischen (antiken und abendländischen) und westasiatischen (magischen) Kulturvölker beschränken oder die Geschichte der übrigen Länder vom abendländischen (europäischen) Standpunkt aus behandeln. Das galt vor allem für den Standpunkt der europäischen Machtausbreitung. Diese aber wuchs ab jetzt noch viel mehr! Der Europäismus (heute sagt man: Eurozentrismus) nahm also nicht ab, sondern zu. Der Europäismus ist ein Inbegriff der abendländischen Moderne: je mehr er sich durchsetzt, desto mehr abendländische Moderne gibt es. Das Wort „Europa“ ist ein gutes Beispiel dafür. Je häufiger dieses Wort desto europäistischer (eurozentrischer) die Weltgeschichte. Spengler: „Vor allem läßt sich der Umstand nicht länger verhehlen, daß diese angebliche Geschichte der Welt sich anfangs tatsächlich auf die Region des östlichen Mittelmeeres und später, seit der Völkerwanderung (), einem nur für uns wichtigen und deshalb stark überschätzten Ereignis, das eine rein abendländische Bedeutung besitzt und schon die arabische Kultur nichts angeht, mit einem plötzlichen Wechsel des Schauplatzes auf das mittlere Westeuropa beschränkt. Hegel hatte in aller Naivität erklärt, daß er die Völker, die in sein System der Geschichte nicht paßten, ignorieren werde. Aber das war nur ein ehrliches Eingeständnis von methodischen Voraussetzungen, ohne die kein Historiker zum Ziele kam. Man kann die Disposition sämtlicher Geschichtswerke daraufhin prüfen. Es ist heute in der Tat eine Frage des wissenschaftlichen Taktes, welche der historischen Entwicklungen man ernsthaft mitzählt und welche nicht. ist ein gutes Beispiel dafür.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 30). Spenglers „Meister der kunstvollen Analogie“ zur Weltgeschichte: „Eine Sammlung der Völkergeschichten in engerem oder weiterem Rahmen würde den Zusammenhang der Dinge aus den Augen verlieren. Eben darin aber besteht die Aufgabe der welthistorischen Wissenschaft, diesen Zusammenhang zu erkennen, den Gang der großen Begebenheiten, welcher alle Völker verbindet und beherrscht, nachzuweisen (* und erst dann daraus den Begriff einer auf Einheit hin tendierende Menschheit abzuleiten). „Daß eine solche Gemeinschaft stattfindet, lehrt der Augenschein.“ (Leopold von Ranke, Vorrede zu seiner Weltgeschichte, 1881).

Und die Geschichtswissenschaft?
Diese Phase – Klassizismus und Romantik – bedeutet für das Abendland auch die Etablierung der Geschichte als „Wissenschaft“. Zur fachspezifischen Methode gehören u.a die überprüfbaren Belege („Quellen“), die „kritische Quellenanalyse“, die „verfeinerte hermeneutische Textauslegung“, das „forschende Verstehen“, die Berücksichtigung der „historischen Hilfswissenschaften“. „Damit wird zwar keine Exaktheit im mathematisch-naturwissenschaftlichen Sinne möglich, wohl aber sind jetzt, in Verbindung mit dem unbedingten Willen zur wahrheitsgetreuen Darstellung und der ständig fortschreitenden wissenschaftlichen Diskussion – die Voraussetzungen für eine allmähliche asymptotische Annäherung an die objektive Realität gegeben, die zwar nie erreicht wird, der man im Laufe der Zeit aber immer näherkommt.“ (Ulrich March, Dauer und Wiederkehr – Historisch-politische Konstanten, 2005, S. 123). Wir wissen ja: Der abendländische Historismus begann am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. „Anfang des 19. Jahrhunderts forderten Barthold Georg Niebuhr (1776-1831) und Leopold von Ranke (1795-1886) nachprüfbare Belege für die zu schildernden Begebenheiten. Es hat sich eingebürgert, diese Belege als Quellen zu bezeichnen. Seitdem gehört zu den Grundforderungen einer seriösen Historiographie die persönliche Distanz des Historikers zu seinem Stoff.“ (Ehrhardt Bödecker, Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2004, S. 41). „Damals setzt sich auch in der Geschichte das Bestreben zur sachgerechten Analyse durch, wie es für alle Wissenschaft kennzeichnend ist. Ranke wollte sein »Selbst gleichsam auslöschen« und »nur die Dinge reden lassen«. Niebuhr fordert, »daß wir auch nicht das allergeringste als gewiß schreiben, wovon wir nicht völlig überzeugt sind«, und möchte gar dereinst »vor Gottes Angesicht« sagen können: »Ich habe wissentlich und nach strenger Prüfung nichts geschrieben, was nicht wahr ist.« Man treibt Geschichte nicht im Hinblick auf außerhistorische Ziele, sondern als zweckfreie Wissenschaft; man möchte wissen, »wie es eigentlich gewesen ist« (Ranke). Die aufblühende Geschichtswissenschaft hat die Tatsache der Standortgebundenheit des Historikers zwar nicht beseitigt, aber doch deutlich entschärft. Dies gilt freilich nur unter entsprechenden Rahmenbedingungen. Wenn freier wissenschaftlicher Austausch nicht möglich ist, wenn politisch-gesellschaftliche Vorgaben den fortgesetzten Diskurs einschränken, wenn laufend politisch motivierte Paradigmenwechsel die wissenschaftlich-didaktische Entwicklung der Disziplin stören, behindern oder unmöglich machen, tritt trotz aller Verfeinerung der fachlichen Methodik sofort wieder der alte Zustand ein: Die Geschichte wird zur Magd der Politik.“ (Ulrich March, ebd., 2005, S. 123-124).
„Geschichte wissenschaftlich behandeln wollen ist im letzten Grunde immer etwas Widerspruchsvolles. Die echte Wissenschaft reicht so weit, als die Begriffe richtig und falsch Geltung haben. Das gilt von der Mathematik, das gilt also auch von der historischen Vorwissenschaft der Sammlung, Ordnung und Sichtung des Stoffes. Der eigentlich geschichtliche Blick aber, der von hier erst ausgeht, gehört ins Reich der Bedeutungen, wo nicht richtig und falsch, sondern flach und tief die maßgebenden Worte sind. Der echte Physiker ist nicht tief, sondern »scharfsinnig«. Erst wenn er das Gebiet der Arbeitshypothesen verläßt und an die letzten Dinge streift, kann er tief sein – dann aber ist er auch schon Metaphysiker geworden. Natur soll man wissenschaftlich behandeln, über Geschichte soll man dichten. Der alte Leopold von Ranke soll einmal gesagt haben, daß der »Quentin Durward« von Scott doch eigentlich die wahre Geschichtsschreibung darstelle. So ist es auch; ein gutes Geschichtswerk hat seinen Vorzug darin, daß der Leser sein eigner Walter Scott zu sein vermag.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917, S. 129). Für alle und jede Kulturgeschichte gilt, auch nach dem Übergang der Kultur in ihre Zivilisation (zivile Kultur), daß der Zufall „wählt“, also ein zufälliges Ereignis starten läßt, und daß trotzdem das Schicksal „(zu)trifft“, ähnlich wie ein Gesetz (Gesetztes, nur ohne erkennbare Kausalität) – zielsicher und: regelmäßig, notwendig, zwanghaft oder gar nach dem Willen Gottes (). Ein Beispiel:„Die französische Revolution konnte durch ein Ereignis von anderer Gestalt und an anderer Stelle, in England oder Deutschland etwa, vertreten werden. Ihre »Idee«, der Übergang der Kultur in die Zivilisation, der Sieg der anorganischen Weltstadt über das organische Land, das nun »Provinz« in geistigem Sinne wird, war notwendig, und zwar in diesem Augenblick. … Ein Ereignis macht Epoche, das heißt: es bezeichnet im Ablauf einer Kultur eine notwendige, schicksalshafte Wendung. Das zufällige Ereignis selbst, ein Kristallisationsgebilde der historischen Oberfläche, konnte durch entsprechende andre Zufälle vertreten werden; die Epoche ist notwendig und vorbestimmt. Ob ein Ereignis den Rang einer Epoche oder einer Episode in bezug auf eine Kultur und deren Gang einnimmt, das hängt … mit den Ideen vom Schicksal und Zufall () … zusammen“ (Oswald Spengler, ebd., 1917, S. 193-194). „Es gibt also keine Wissenschaft der Geschichte, aber eine Vorwissenschaft für sie, welche das Dagewesene ermittelt.“ (Oswald Spengler, ebd., 1917, S. 201). „»Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«. Hier liegen Lösungen und Fernblicke verborgen, welche noch nicht einmal geahnt worden sind. Dunkle Fragen, die den tiefsten aller menschlichen Urgefühle, aller Angst und Sehnsucht zugrunde liegen und vom Verstehenwollen in die Probleme der Zeit, der Notwendigkeit, des Raumes, der Liebe, des Todes, der ersten Ursachen verkleidet worden sind, werden aufgehellt. Es gibt eine ungeheure Musik der Sphären, die gehört sein will, die einige unsrer tiefsten Geister hören werden. Die Physiognomik des Weltgeschehens wird zur letzten faustischen Philosophie.“ (Oswald Spengler, ebd., 1917, S. 209). So wie Zeit und Raum sich scheinbar einander einordnen wollen – wie Schicksal und Wunder oder (andersherum) Gesetz und Zufall sich einander erzwingen, kurz: wie Ordnung und Chaos sich einander erzwingen -, so wollen auch Adel und Priesterschaft sich scheinbar einander einordnen, weil sie sich seit ihren Ursprüngen einander erzwingen. Ob aber der Adel (bzw. der Kenner, der Täter, die Tatsache, die Geschichte, das Dasein, das Wann u.s.w.) über die Priesterschaft (bzw. den Erkenner, der Denker, die Wahrheit, die Natur das Wachsein, das Wo u.s.w.) herrscht oder aber die priesterlichen Wahrheiten (also auch alle [Natur-]Wissenschaft) über die adeligen Tatsachen (also auch alle Geschichte), das hängt stark vom Alter bzw. vom Entwicklungsstand der betreffenden Menschen bzw. der betreffenden Kultur ab. ()
Solange nur zwei Stände, die Urstände Adel und Priestertum, herrschen, gibt es auch nur zwei bedeutende Konfliktparteien, nämlich die des Daseins und die des Wachseins, wie Spengler sich ausdrückt; sobald aber durch die Bürgerliche Revolution der 3. Stand seine Macht bekommen hat, gibt es drei und sogleich vier bedeutende Konfliktparteien, weil der 3. Stand einen ihm angemesseneneren Gegenspieler braucht, den 4. Stand: dieser Nicht-Stand wird im wahrsten Sinne des Wortes „in den Stand gehoben“ (befördert). Schon allein rechnerisch läßt sich zeigen, daß hier aus Ordnung Chaos entstehen muß und es lange dauern wird, bis aus Chaos wieder Ordnung entsteht: aus dem ungünstigstenfalls einen möglichen bedeutsamen Konflikt bzw. dem günstigstenfalls einen möglichen bedeutsamen Bündnis zwischen den zwei Urständen sind seit der Bürgerlichen Revolution 15 mögliche Konflikte bzw. Bündnisse geworden! Die beiden Urstände – Adel und Priestertum – werden nicht gestürzt, wie geglaubt wird, sondern ersetzt durch die Geldritter, die den Aufstieg in den medialen Geldadel und in das geldmediale Priestertum schaffen und sich von nun an mit dem so genannten Proletariat sowie mit den Resten des alten Adels und den Resten des alten Priestertums herumschlagen müssen, alle möglichen Bündnisse und Koalitionen ausnutzend. Wegen dieser Konstellationen ist die Bürgerliche Revolution sogleich auch eine „Weltrevolution“, das heißt: dazu verurteilt, internationale Bündnisse mit Gleichgesinnten aus den unterschiedlichsten Ländern zu schließen oder mit ihnen Konflikte und Kriege auszutragen.
„Die radikal gefaßte Idee der Geschichtlichkeit zerstört jeden universalistischen Geltungsanspruch. Sie stellt in der Selbstauffassung des Menschen vielleicht den größten Bruch in der abendländischen Geschichte dar.“ (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland, 1994, S. 169-170). Beispielsweise sieht seit seinem Beginn der Deutsche Idealismus die (metaphysischen) Kräfte und Ideen der Geschichte in dieser selbst walten und den Menschen in das empirische wie transzendente Geschehen der Geschichte verflochten – mit Hegel sieht man sogar die ganze Wirklichkeit als stets weltvernunftbeherrschte Geschichte. Wenn die Idee oder Einsicht, daß Sinn und Bedeutung für den Menschen erst durch die Geschichte entstehen, stärker ist als alle anderen Ideen oder Einsichten, dann herrscht der Historismus.
Und auch die Frage, „was nun in der Geschichte das eigentlich Geschichtliche in seiner Erfüllung aus dem Ewigen sei, treibt uns zwar an, seiner ansichtig zu werden, aber es bleibt doch unmöglich, daß wir über eine geschichtliche Erscheinung im Ganzen und endgültig urteilen. Denn wir sind nicht die Gottheit, die richtet, sondern Menschen, die ihren Sinn öffnen, um Anteil zu gewinnen am Geschichtlichen, das wir daher, je mehr wir es begreifen, um so betroffener immer noch suchen.“ (Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949). Wenn laut Jaspers Geschichtlichkeit die Einheit der bloßen Vorhandenheit des Menschen und der in seinem Dasein enthaltenen Entwicklungsmöglichkeiten zu eigener Existenz (d.h. zum Seienden, das sich zu sich selbst und seiner Transzendenz verhält) sein sollte, dann kann man die Geschichtlichkeit der Existenz als Einheit von Zeit und Ewigkeit auffassen und sie (gleichzeitig) auch Augenblick nennen. Dann würde die Geschichtlichkeit verwirklicht in der Treue des Selbst zu seinem Grunde. Man würde die Geschichtlichkeit (z.B. einer Sache u.s.w.) betonen, wenn daran erinnert werden soll, daß sie eine Geschichte hat, die man kennen muß, um das Wesen der Sache zu erfassen. Das Unvollendetsein des Menschen und das Geschichtliche wären demnach dasselbe!
Wenn also unter Historismus verstanden werden darf, daß er die kulturellen Erscheinungen unter dem leitenden Gesichtspunkt ihrer Gewordenheit (Geschichtlichkeit) betrachtet und die Einmaligkeit und Besonderheit betont, dann gilt für ihn wie für seine Opposition, den Antihistorismus (2. Seite dieser Münze) die Formel:
Die Geschichtlichkeit scheint aus sich selbst heraus nicht abschließbar zu sein.
Sie kann nur zu Ende gehen durch inneres Versagen oder kosmische Katastrophen.

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Anmerkungen:

Die metaphysische Ideenlehre gewann erneut Bedeutung durch den Deutschen Idealismus. Beispiele zur „Idee“ (Definition): „Eine Idee ist nichts anderes als ein Begriff von einer Vollkommenheit, die sich in der Erfahrung noch nicht findet, z.B. die Idee eines vollkommenen, nach Regeln der Gerechtigkeit regierten Staates. Erst muß unsere Idee nur richtig sein, dann ist sie bei allen Hindernissen, die ihrer Ausführung im Wege stehen, gar nicht unmöglich“, so Kant. Er bezeichnete als die 3 Ideen der Metaphysik (transzendentale Ideen): Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. Goethe fand das Ideelle „im Geist des Wirklichen“. Und Fichte meinte: „Die Idee, wo sie zum Leben durchdringt, gibt eine unermeßliche Kraft und Stärke, und nur aus der Idee quillt Kraft“. Für Hegel war die Idee das objektiv Wahre und zugleich das wahrhafte Sein. Sie ist das im dialektischen Prozeß sich entfaltende Denken, die Wirklichkeit ist die entwickelte Idee. Hegel definitierte die Idee als Einheit von Begriff und Realität, Subjektivem und Objektivem. Die „absolute Idee“ ist das, was durch seine Selbstverwirklichung das Sein hervorbringt. Und Schelling löste in seiner Identitätsphilosophie die Gegensätze von Subjekt und Objekt, von Realem und Idealem, Natur und Geist im Absoluten auf, als Identität von Idealem und Realem. Nach Schelling ist dieses Absolute unmittelbar erfaßbar durch die intellektuelle Anschauung und in der Kunst. Auch die idealistische Geschichtsauffassung (vgl. z.B. Ranke) sucht die treibenden Kräfte des hsitorischen Geschehens in den Ideen. (Vgl. Tabelle [Idealismus]).
Urphänomen ist nach Goethe das empirische Phänomen, das jeder Mensch in der Natur erkennen kann und das durch Versuche zum wissenschaftlichen Phänomen erhoben wird, indem man es unter anderen Umständen und Bedingungen und in einer mehr oder weniger glücklichen Folge darstellt, so daß zuletzt das reine Phänomen als Resultat aller Erfahrungen und Versuche dasteht. Es ist ideal als das letzte Erkennbare, real als erkannt, symbolisch identisch mit allen Fällen, weil es alle Fälle begreift. (Vgl. Urpflanze).
Urpflanze ist ein Begriff aus der Naturbetrachtung Goethes für das Urbild (Idee, begriffliche Urgestalt), nach dem alle anderen Pflanzenarten durch Abwandlungen entstanden sein sollen. Goethe suchte die Urpflanze in der Natur als eine noch unbekannte Art, oder auch etwa in der Grundgestalt eines Blattes oder eines Stammes zu finden, während Schiller in einem Gespräch mit ihm darüber auf den platonischen Ideencharakter der Urpflanze hinwies. (Vgl. Urphänomen).
Den „Urfaust“ vollendete Goethe 1772 bis 1775, das Fragment zum „Faust“ veröffentlichte er 1790, und die Arbeit am I. Teil des Faust schloß er 1806 ab (in diesem Jahr heiratete er Christiane Vulpius). Den „Sturm und Drang“-Entwurf des „Urfaust“ erweiterte Goethe wesentlich. Als Idealfigur des genialisch strebenden Menschen mußte den „Stürmern und Drängern“ die Figur erscheinen, die zudem durch ihre Überlieferung der Suche nach volkstümlich-urwüchsigen Quellen der Kultur in der eigenen Vergangenheit sich entgegenkam (vgl. Früh-Romantik): Faust, der Held aus dem 1587 erschienenen „Volksbuch“. Die „Stürmer und Dränger“ spürten in der Faust-Geschichte das Dämonisch-Titanische auf. Goethe erwarb den Stoff durch Spätformen der Faust-Tradition: durch Jahrmarktsdrucke auf der Basis der letzten „Volksbuch“-Bearbeitung durch den Anonymus „Christlich Meynender“ und durch Puppenspiele, die die Tradition der Wandertruppen nach den einschneidenden Theaterreformen weiterführten. Erhalten ist Goethes „Urfaust“ als Abschrift des Fräuleins von Göchhausen. Die geistige Brücke zu Goethes Jugendwerk schlägt die „Zuneigung“ (Faust I: S. 9ff.), das „Vorspiel“ (Faust I: S. 11ff.) bezeichnet den gesellschaftlichen Rahmen, in dem Goethe sein Drama wirken lassen wollte, erst der „Prolog“ (Faust I: S. 17ff.) bietet die Exposition dse Werks: die Wette zwischen Mephisto und Gott um Faust. Der „Osterspaziergang“ (Faust I: S. 43ff.) markiert die Gespaltenheit Fausts, dem die naiv feiernde Bürgerwelt fremd geworden ist, die (romantische) „Walpurgisnacht“ (Faust I: S. 170ff.), in der Faust verjüngt wird, bietet die nicht zuletzt für den II. Teil bedeutsame Helena-Vision, die sich für Faust aber zunächst in der Begegnung mit Gretchen konkretisiert. In die Gretchen-Tragödie hat Goethe die „romantische Walpurgisnacht“ eingefügt, der im II. Teil die (zahlreiche Gestalten der griechischen Mythologie einbeziehende) „klassische Walpurgisnacht“ gegenübergestellt wird. Der II. Teil, dessen Bearbeitung Goethe ab 1825 intensivierte (Abschluß des „Helena-Aktes“ 1826), zeigt im 1. Akt einen von tiefer Erschütterung zu tätigem Leben aufsteigenden Faust, der gleichwohl dem Drang nach absoluter Erkenntnis und Vereinigung von Ideal und Wirklichkeit, Kunst und Leben verpflichtet geblieben ist (Beschwörung der Urbilder, aber auch Einsicht in die Unmöglichkeit, die Vollkommenheit der antiken Ideale in der Gegenwart neu zu beleben). (Vgl auch: Idealismus; ). Im 2. Akt gelingt Fausts früherem Famulus die Erschaffung des Homunculus, der Faust den Weg zur „klassischen Walpurgisnacht“ zeigt. Die Erscheinung griechischer Mythengestalten gipfelt in der Rückkehr Helenas nach Griechenland (3. Akt). In der Begegnung Fausts mit ihr vereinigen sich „romantischer Norden“ und „klassicher Süden“ dieser Vereinigung entspringt Euphorion als Genius der Poesie, dem aber nur ein kurzes Leben beschieden ist. Helena folgt ihrem Kind in den Tod. Faust kehrt, von Tatendrang erfüllt, in die reale Welt zurück, verhilft, von dämonischen Gestalten unterstützt, dem rechtmäßigen Kaiser über einen Gegenkaiser zum Sieg (die zeitgenössische politische Geschichte tritt hier in allegorischer Gestalt deutlich zutage). Das ihm zum Lohn geschenkte Land will er kolonisieren, wird aber erneut schuldig (Tötung von Philemon und Baucis), sein eigener Tod jedoch gerät ihm nicht zu ewiger Verdammnis: „Wer immer strebend sich bemüht / Den können wir erlösen“, so spricht in der Schlußszene der Chor der Engel, der Faust aus Mephistos Händen befreit.
„Historische Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde Kultur so mächtig über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen, sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 784). Auch eine junge Kultur kann so mächtig sein, daß sie eine alte dort, wo sie zu Hause ist, überlagert. Das Beispiel zwischen der (alten) apollinischen Kultur, auch kurz „Antike“ genannt, und der (jungen) magischen Kultur, auch „Persien/Arabien“ genannt, macht es deutlich: „Solange die Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß alle östlichen Kirchen zu Kulten westlichen Stils wurden. Dies ist eine wesentliche Seite des Synkretismus. … Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens, die zu einer neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum als magische Nation.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 800-801).
Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen – wie unzählige andere Beispiele auch – für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.
Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Spengler, 1922, S. 847f.).
„Jede Kultur hat ihren ganz bestimmten Grad von Esoterik und Popularität, der ihren gesamten Leistungen innewohnt, soweit sie symbolische Bedeutung haben.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917, S. 419). Die Antike war populär, weil nicht esoterisch. Das Abendland ist esoterisch, weil nicht populär.
Vorderasien oder Morgenland: diese Begriffe sind nicht ganz zutreffend, weil zum magischen Kulturkreis (Spengler nennt ihn „arabisch“) auch der ehemalige (griechische) Osten der Antike gehört, wenn auch nur pseudomorph. Mit Vorderasien bzw. Morgenland meine ich die Kultur der späteren Religionskulturformen, z.B. des altiranisch-parsistischen (mazdaistischen) Persertums, des manichäischen Babyloniens, des Judentums, des Arabertums, des Urchristentums, des griechisch-orthodoxen Christentums, des Islam u.a. magischer Elemente.
Nordasien wäre demnach eine durch die orthodox-islamische Opposition gekennzeichnete Mentalität, die, wenn man sie sich einen Moment lang geeint vorstellt, einen gemeinsamen Feind(Ehepartner) hätte. Sie bedeutet, obwohl „als Kultur“ noch gar nicht zur Welt gekommen, eine Mischung aus morgenländischer (magischer) und abendländischer (faustischer) Weltseele, somit eine auf ihre Geburt wartende Kultur, die sich, falls sie nicht doch eine „Fehlgeburt“ sein sollte, im Dualismus zwischen Orthodoxie und Islam ausdrücken würde. Jede Kultur trägt in sich Oppositionen, wie auch jeder menschliche Körper aus typisch männlichen und typisch weiblichen Kreisläufen (Nerven- und Blutkreislauf) und hormonellen Androgynen (Androgene und Östrogene) besteht. Durch sie wird der Mensch ein Mensch, die Kultur eine Junktur. Konflikte aus früheren und heutigen Zeiten auf dem Balkan und in Randgebieten zu Asien sind Indizien für die Existenz einer vom Vor-/Urkulturellen (Schwangeren, hier: Intrauterin-Pseudomorphen) ins Frühkulturelle strebenden halbmagischen (morgenländischen) und halbfaustischen (abendländischen) jungen Kulturform, die sich von den rein morgen- und abendländischen Kulturteilen unterscheidet. Trotzdem müßte sie erst einmal wirklich zur Welt kommen (dürfen?).
Das Abendland (Alt-Europa / West-Europa) hat seit seinem Ursprung, seit seinem von Kontrollgenen (Germanen) gesteuerten Keim, einen „Kern“, ein „Herz“ (Deutschland), aber auch Grenzen! „Die Grenze der abendländischen Kultur lag immer dort, wo die deutsche Kolonisation zum Stillstand gekommen war.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 17). Das Abendland bzw. „Europa“ muß auch heute (als „EU“ !) zu seinen Grenzen stehen, denn es kommt nicht einseitig darauf an, unsere „Nachbarn“ zu verstehen; noch mehr kommt es nämlich darauf an, daß wir wieder lernen, uns selbst zu definieren, z.B. auch um zu verhindern, daß wir uns gar nicht mehr begreifen – wie sie uns (!). „Nur ein Dummkopf kann sich heute schämen, ein »alter Europäer« zu sein.“ (Peter Scholl-Latour, Rumsfeld gegen das »Alte Europa«, in: Weltmacht im Treibsand, 2004, S. 14 ).
Das Wort „Europa“ war im Abendland anfangs selten zu hören, danach lediglich ein gelehrter Ausdruck der geographischen Wissenschaft, die sich seit der Entdeckung Amerikas (1492) „am Entwerfen von Landkarten entwickelt hatte“, bevor es später allmählich immer mehr und „unvermerkt auch in das praktische politische Denken und die geschichtliche Tendenz“ eindrang. (Vgl. Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 17; vgl. auch meine Definition für „Europäismus“).
Je häufiger „Europa“ zu hören war (ist), desto moderner wurde (wird) die Moderne. Der Begriff „Europäismus“, für mich ein Synonym für die abendländische Moderne, betrifft alles, was die abendländische Kultur aus einem Selbstverständnis heraus in Verbindung mit Europa brachte, bringt und bringen wird. Eines der frühen Beispiele hierfür ist Karl der Große (747-814; 754 Königssalbung, 768 König, 800 Kaiser), der „Vater Europas“ genannt wurde. Der Begriff „Europa“ war im Abendland von Beginn an präsent, wurde aber erst später häufiger (vor allem auch im geographischen Sinne) verwendet, z.B. seit der „Neuzeit“ und besonders seit der „Industrielle Revolution“ (bzw.seit der „Bürgerlich-Napoleonischen-Revolution“ ).
Europa, Europäismus oder Eurozentrismus sind komplexe Begriffe für den Versuch, aus der Welt eine europäische zu machen. Daß nicht Frankreich oder Deutschland, sondern England bzw. die USA die treibenden Kräfte dieses Prozesses sein würden, nämlich durch die Ausschaltung der Konkurrenten, war zum Zeitpunkt dieser Phase noch nicht entschieden, ändert aber nichts an der Tatsache, daß Frankreich und (später) Deutschland in Wirklichkeit mit ihrem wütenden Anstürmen für den Anglismus kämpften. Letzten Endes haben sich nämlich die Angelsachsen durchgesetzt, mit den wichtigen Kulturelementen Volk (Puritanismus) und Sprache (Anglizismus). (Vgl.. 20-22).
Die Beziehungen zwischen Platon und Aristoteles einerseits und Kant und Hegel andererseits muß man sowohl analog als auch homolog betrachten! (Vgl. den Unterschied zwischen Homologie und Analogie!).
Phase ist, in Anlehnung an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes (Aufgang eines Gestirns) und der physikalischen Bedeutung (Zustand eines schwingenden Systems) für mich der Inbegriff einer wohltemperierten Abrundung durch geistig-politische Tätigkeiten in einer bestimmten Zeitspanne, oft ausgedrückt durch technische und künstlerische Richtungen, aber auch durch ökonomisch-politische und geistig-metaphysische Richtungen. Sie ist in etwa identisch mit dem Begriff „Epoche“ (Innehalten, Haltepunkt in der Zeitrechnung, bedeutsamer Zeitpunkt). Eine Phase kann nur 60-80 Jahre andauern, wie im Falle des Rokoko, oder 200-300 Jahre, die etwa jeweils Karolingik, Romanik und Gotik ausmachten. Eine Phase umfaßt im Mittel etwa 180 Jahre. Ein Kulturquartal umfaßt 3 Phasen und damit durchschnittlich 500-600 Jahre, manchmal auch nur 300-350 Jahre, wie im Falle der abendländischen Jugend (Renaissance, Barock und Rokoko). Ein Kulturquartal ist eine Jahreszeit in dem Sinne, daß an ihr erkennbar wird, was sie ist, wenn sie gewissermaßen innehält. Winter, Frühling, Sommer und Herbst sind wie unterirdisches Wachstum, zarte Blüten, Hochblüte und Verfall, wie die pflanzliche Welt immer wieder bezeugt, aber nicht nur sie: die 4 Jahreszeiten sind wie uterines, kindliches, jugendliches und erwachsenes Leben, z.B. auch vergleichbar mit dem der Säugetiere. Das erwachsene Leben kann mehrere Quartale umfassen; in dem Falle teilen die Älteren (Elter[e]n) ihr Leben mit den Kindern, Enkelkindern oder gar Urenkelkindern. In Kulturen war und ist dies auch möglich: China, Indien und die magische Kultur existieren als Zivilisationen (Erwachsene) schon länger als das Abendland.
Quartal meint eine Jahreszeit (= 3 Phasen) oder ein Viertel der Uhrzeit (z.B. 0-6, 6-12, 12-18, 18-24 Uhr).
Im frühen Erwachsenenalter ist man von der Chance, über den zweiten Bildungsweg die Karriere auszubauen, noch überzeugter als im mittleren oder späten Erwachsenenalter. Das heißt aber nicht, daß diese Chancen tatsächlich immer zu besseren oder effektiveren Ergebnissen führen, sondern als eine Art Orientierungssinn Wahrnehmungen der sich jetzt häufenden Möglichkeiten erlauben: man weiß jetzt, daß der jugendliche Gedanke nicht in jedem Fall der richtige war und drängt zu neuen Ideen (Idealismus). Es ist die klassizistische Zeit, die Zeit der letzten Experimente, wie der frühe Herbst die Zeit der letzten Früchte und Ernte ist. Auf gewöhnliche Tageszeit übertragen ist jetzt die Zeit des Abendmahls (18-20 Uhr) und der Beginn von Trinkgelagen. Wegen zu starker Belastung der Leber und Nieren sollte von späteren Mahlzeiten abgesehen werden (Ausnahmen bestätigen natürlich diese Regel). Dagegen ist gute Lektüre oder andere Unterhaltung sowie Sex und andere Spielarten von jetzt an von größtem Interesse. Die Tiere draußen wissen das auch. Der Herbst und der Abend gleichen sich in diesen Dingen. Beide sind Ausdrücke für ein vorerst letztes Beisammensein, meistens verbunden mit Genuß und Mahlzeit, der letzten Ernte vor dem Winter, der Nacht.
Dualismus ist die historische Bezeichnung für eine Doppelherrschaft, ein koordiniertes Nebeneinander von 2 Machtfaktoren oder Institutionen in einem politischen System. Hier ist (mit dem Deutschen Dualismus) die Rivalität im Deutschen Reich zwischen Österreich und Preußen gemeint, die v.a. in der 2. Hälfte des 18 Jahrhunderts und zwischen 1850 und 1866 vorherrschend war. Allerdings gab es zwischen den beiden deutschen Großmächten von 1814/15 bis 1848/50 auch die oben angesprochene Interessensidentität, nämlich als österreichisch-preußische Zusammenwirkung im Deutschen Bund (1815-1866). Erstmals offenbarte sich der Deutsche Dualismus jedoch schon, und zwar als Ständestaat-Dualismus zwischen Kaiser und Reich (Reichsfürsten), im Interregnum (1254-1273) und durch die Goldene Bulle von 1356; fortgeführt wurde er während der Reformation und der Gegenreformation unter der Oberfläche des konfessionellen Dualismus zwischen Katholiken und Protestanten, bis er seinen Höhepunkt (für Deutschland: Tiefpunkt) im „30jährigen Krieg“ (1618-1648) erreichte und im „Westfälischen Frieden“ (1648), seinem Ergebnis, verstärkte Bestätigung fand. Insbesondere das Ausland erkannte seit dem 30jährigen Krieg Deutschlands Kleinstaaterei als riesige Chance und war seitdem natürlich stets bestrebt, eine andere Entwicklung vehement zu bekämpfen. Der Deutsche Dualismus steht also auch im Zusammenhang mit dem Ausland. Aber begrifflich steht er stets für zwei deutsche Rivalen. Man kann sich leicht vorstellen, welches Glück vor allem Frankreich und England durch den Deutschen Dualismus beschert wurde und welches Unglück sie nur empfinden konnten, als der eine Schwächung erfahren sollte. Dennoch sollte besonders Frankreich in diesem Unglück zunächst noch Glück haben (vgl. Pentarchie und Wiener Kongreß, 1814-1815).
Klemens Wenzel von Metternich (1773-1859), in Koblenz geboren, war Graf und Fürst (seit 1813) von Metternich-Winneburg sowie Herzog von Portella (seit 1818). Er studierte Rechts- und Staatswissenschaft sowie Geschichte in Straßburg und Mainz, später Naturwissenschaft und Medizin in Wien. Als Gesandter der westfälischen Grafenbank nahm er 1797-99 am Kongreß von Rastatt teil. 1801-03 war er Gesandter in Dresden, 1803-06 in Berlin, 1806-09 Botschafter in Paris. Nach der österreichischen Niederlage gegen Frankreich (1809) zum österreichischen Außenminister ernannt, verschaffte er seinem Land durch Anlehnung an Napoleon I., dessen Heirat mit der österreichischen Kaisertochter Marie Louise er unterstützte, eine Ruhepause. Nachdem Metternich mit Napoleon für dessen Rußlandfeldzug 1812 österreichische Hilfe vereinbart hatte, vollzog er, mit Rußland laufend in Kontakt geblieben, den Anschluß Österreichs an die Koalition gegen Frankreich; seitdem unterstützte er also (insgeheim) die Befreiungskriege, die bis dahin hauptsächlich von Preußen und Spanien betrieben worden war. Im Sinne der europäischen Gleichgewichtspolitik (also im Interesse der Engländer!) wirkte Metternich im 1. Pariser Frieden (1814) auf die Schonung Frankreichs hin. Auf dem unter Metternichs Vorsitz tagenden Wiener Kongreß (1814-15) betrieb er erfolgreich die Wiederherstellung der politischen und sozialen Ordnung in Europa nach den Grundsätzen der Legitimität. (Vgl. Politik der „Restauration“). Die „Heilige Allianz“ (Österreich-Preußen-Rußland) formte er zu einem Bund der Fürsten gegen die nationalen und liberalen Regungen der Völker. Als führender europäischer Staatsmann trat Metternich auf den Kongressen der Jahre 1820-22 auf, die er zum Instrument seiner legitimistischen Interventionspolitik machte. Im Deutschen Bund setzte er in Zusammenarbeit mit Preußen die rücksichtslose Unterdrückung der freiheitlichen und nationalen Bewegung (z.B. durch die Karlsbader Beschlüsse, 1819) sowie die Festschreibung des monarchischen Prinzips (1820) durch. In Österreich, wo er 1821 zum Haus-, Hof- und Staatskanzler ernannt worden war, wurde sein Einfluß ab 1826 geschwächt und später sogar weitgehend auf die Außenpolitik beschränkt. Nach Ausbruch der „Revolution“ mußte Metternich als verhaßter Exponent der Reaktion am 13. März 1848 zurücktreten und ins Ausland fliehen; im September 1851 kehrte er jedoch nach Wien zurück. Metternichs politisches Denken war geprägt von kompromißloser Ablehnung der „französischen Revolution“. Als Verfechter des monarchischen Prinzips war er zu keinem Zugeständnis bereit. Das „System Metternich“ war ausgerichtet auf die Erhaltung der politischen und sozialen Ordnung, die auf dem Wiener Kongreß im vorrevolutionären Sinne restauriert worden war. Die Stabilität dieser auf monarchischer Legitimität gegründeten Friedensordnung sah Metternich am besten im Gleichgewicht der 5 Großmächte gesichert, wobei er der Zusammenarbeit der 3 konservativen Großmächte (Österreich, Preußen, Rußland) einen besonderen Wert beimaß. Die Mittel seiner Politik waren u.a. Kongreßdiplomatie und militärische Interventionen, Polizeimaßnahmen und Zensur!
Kein Zufall, daß die „Kongreßdiplomatie“ ein von R. S. Castlereagh – also für England (!) – im Jahre 1815 (Wiener Kongreß) organisiertes Verfahren war, denn sie diente der Außenpolitik (Zusammenkünfte der Monarchen und ihrer Minister) zur sozialkonservativen europäischen Friedenssicherung – nach den Befreiungskriegen (!) -, und deshalb diente sie vor allem der englischen Außenpolitik.
Genau wie der heutige „Bund“.
Die Restauration, die von 1814/15 (Wiener Kongreß) bis etwa 1848/52 andauerte, wollte zu vorrevolutionären Verhältnissen zurückkehren, aber ohne die sozialen, rechtlichen und territorialen Veränderungen, die die französische Revolution und die Napoleonische Neuordnung Europas hinterlassen hatten, in vollem Umfang rückgängig zu machen. Hinter der Restaurationspolitik stand die Gleichgewichtspolitik – als Ablenkungspolitik eine Politik der Engländer !
„Mein geheimster Gedanke ist, daß das alte Europa am Anfang seines Endes ist. Ich werde, entschlossen mit ihm unterzugehen, meine Pflicht zu tun wissen. Das neue Europa ist anderseits noch im Werden; zwischen Ende und Anfang wird es ein Chaos geben“ (Metternich).
Platon (eigtl. Aristokles, 427-347); vgl. Platons Philosophie der Weltverabschiedung und Einübung ins Sterben (), besonders seine Lehre von der Umkehr durch Ausstieg aus der Höhle („Höhlengleichnis“). Platon war zuerst Dichter, wandte sich von der Dichtung jedoch ab, weil sie seit 387 v. Chr. (Gesetz) ziemlich grausame Theaterstücke aufführen durfte (Götter-Blasphemie u.s.w.). Er gründete wahrscheinlich deshalb 385 v. Chr. eine Schule, die (dem altattischen Heros) Akademos gewidmet war. Die Ältere Akademie war stark pythagoräisch beeinflußt: das Problem von „Idee“ und „Zahl“ spielte erkenntnistheoretisch eine große Rolle. Später folgten die Mittlere Akademie (seit 270 v. Chr.) und die Neuere Akademie (seit 160 v. Chr.); vgl. die Akademien im Altplatonismus, den Mittleren Platonismus, die Auswirkungen auf die Gnosis, den Neuplatonismus, die Patristik. Alle Philosophie nach Platon scheint aus Fußnoten zu der seinigen zu bestehen. Er schrieb Dialoge, tatsächliche und fiktive Gespräche mit Sokrates (470-399), seinem Lehrer. Platon lehrte die Scheinhaftigkeit und Abkünftigkeit der Sinnenwelt von archetypischen Urbildern oder Ideen. Mit der Ideenlehre setzte er sich von Sokrates ab, obwohl er sie in den (mittleren und späteren) Dialogen seinem Dialoghelden Sokrates in den Mund legte. Für Platon waren die unveränderlichen Ideen die Urbilder der veränderlichen Dinge, ihr Programm, ihr Ziel und Zweck. Platon nahm bei seiner Ideenlehre die Mathematik (Geometrie) zum Vorbild aller anderen Wirklichkeit, wie schon vor ihm Pythagoras (580-500) und seine Schüler. (Vgl. Tabelle).
Das „Höhlengleichnis“ ist laut Platons „Staat“ (7.Buch) ein Vergleich des menschlichen Daseins mit dem Aufenthalt in einer unterirdischen Behausung. Gefesselt, mit dem Rücken gegen den Höhleneingang, erblickt der Mensch nur die Schatten der Dinge, die er für die alleinige Wirklichkeit hält. Löste man seine Fesseln und führte ihn aus der Höhle in die lichte Welt mit ihren wirklichen Dingen, so würden ihm zuerst die Augen wehtun, und er würde seine Schattenwelt für wahr, die wahre Welt für unwirklich halten. Erst allmählich, Schritt für Schritt, würde er sich an die Wahrheit gewöhnen. Kehrte er aber in die Höhle zurück, um die anderen Menschen aus ihrer Haft zu befreien und von ihrem Wahn zu erlösen, so würden sie ihm nicht glauben, ihm heftig zürnen und ihn vielleicht sogar töten. Vgl. Platon (427-347).
Aristoteles (383-322); vgl. Ältere und Jüngere Aristoteliker (Peripatetiker) und Aristotelische Stoa. Dieser antike Universalgelehrte bestimmte mit seinen Klassifikationen und Begriffsprägungen die gesamte nachfolgende Philosophie, dominierte insbesondere die Scholastik. Die sich auf Aristoteles stützende Art des Philosophierens, der Aristotelismus, wurde später auch von den Arabern (z.B. Averroes, 1126-1198) und Juden (z.B. Maimonides, 1135-1204) gepflegt und beherrschte insbesondere seit dem 13. Jh. das philosophische Denken des Abendlandes, vermittelt vor allem durch Albert dem Deutschen (den Großen, 1193-1280) und Thomas von Aquino (1225-1274), allerdings mit wesentlichen, durch das Christentum bedingten Änderungen. Dieser auch „Thomismus“ genannte Aristotelismus wurde (als Neuthomismus) die Grundlage der katholischen Neuscholastik (bis heute!). In der Zeit der Renaissance wurde der Aristotelismus in unscholastisch-humanistischer Art von nach Italien gelangten byzantinischen Gelehrten neu belebt: in Deutschland fußten also sowohl die protestantische Neuscholastik (z.B. durch Melanchthon, 1497-1560) als auch die katholische Neuscholastik (z.B. durch Suarez, 1548-1617) auf dem Aristotelismus. Aristoteles, der für seinen Sohn Nikomachos die „Nikomachische Ethik“ geschrieben hatte, blieb für die Entwicklung der abendländischen philosophischen Ethik richtungsweisend bis Kant (!). (). (Vgl. Tabelle).
Attische Philosophie meint die Philosophie der in Athen (Zentrumspolis in Attika) lebenden und lehrenden Philosophen Sokrates (470-399), Platon (427-347) und Aristoteles (383-322) sowie ihre Schulen und Zeitgenossen im Unterschied z.B. zu der ionischen, vorsokratischen und hellenistisch-römischen Philosophie.
Euklid faßte um 312 v. Chr. in seinen „Elementen“ das damalige mathematische Wissen zusammen und sein Parallelenaxiom galt bis zu Gauß (1777-1855) als das „Vollendete“, dem man nichts mehr hinzufügen konnte. Einen „platonischen Monat“ lang (= 2150 Jahre ) galt dieser mathematische Satz, der unbeweisbar war und ist, als konkurrenzlos. Um 1800 entwickelte Gauß die erste nicht-euklidische Geometrie. Damit war der körperliche Sinn des Ausgedehnten, den Euklid durch seinen Grundsatz heilig gesprochen hatte, endlich durch die als antieuklidische Gruppe aufzufassenden Geometrien aufgehoben. Antik war durch einen Punkt zu einer Geraden nur eine Parallele möglich, abendländisch sind durch einen Punkt zu einer Geraden keine, zwei oder unzählige Parallelen möglich. Dem euklidischen Axiom wurde ein „gaußisches“, der antiken Anschauung des Körperhaften ein abendländisches der Räumlichkeit genau gegenüber gestellt. Die Antike forderte Körper und verneinte Raum; das Abendland fordert Raum und verneint Körper. Wenn die Kultur Zivilisation wird, ist sie erwachsen und fängt an, sich selbst gegenüber Rechenschaft abzulegen. Euklid einerseits und Gauß andererseits sind für diesen Prozeß ein „personifizierter Beweis“. Dieser betrifft nicht nur die Mathematik – aber sie zuerst -, sondern auch die gesamte Kultur. Die antike Metaphysik konzentriete sich auf die Dinge, die in der abendländischen Metaphysik ins Gegenteil verkehrt wurden, wenn diese jene überhaupt je verstanden hat.
Diadochen (Nachfolger) von Alexander d. Gr. waren dessen Feldherren, z.B. (in alphabetischer Reihenfolge) Antigonos, Antipater, Demetrios Poliorketes, Eumenes, Kassander, Lysimachos, Perdikkas, Ptolemaios, Seleukos. Die Absicht, nach Aufteilung der gewonnenen Territorien als Statthalter des Reiches eine mehr oder weniger selbständige Herrschaft zu errichten, führte ab 323 v. Chr. zu den Diadochenkriegen und zur Schaffung voneinander unabhängigen Monarchien (seit 306), der Didaochenreiche. Die Diadochen waren Nachfolger – im Unterschied zu den folgemden Epigonen (Nachkommen).
Polyphonie ist die Vielstimmigkeit, eine musikalische Setzweise, in der die Stimmen ein melodisches Eigenleben führen (linear), das den Zusammenklang (vertikal) übergeordnet ist. Der Gegensatz dazu ist die Homophonie (der einheitliche Klang): der Kompositionsstil, der einer Hauptstimme alle anderen Stimmen unterordnet. Die Hauptzeit der Homophonie beginnt im 17. Jahrhundert, mit Monodie und Generalbaß. Es ist irreführend, die Musik des 19. Jahrhunderts homophon zu nennen, weil ihr Schwerpunkt im Harmonischen liegt; vielmehr zeigen die Werke der großen Meister von Franz Joseph Haydn und Ludwig v. Beethoven bis zu Richard Strauss das Streben nach einem Ausgleich zwischen Homophonie und Polyphonie, wie er vorbildlich von Johann Sebastian Bach erreicht worden war. Seit dem 14. Jahrhundert haben alle großen Komponisten neben der kontrapunktischen Selbständigkeit der Stimmen dem Zusammenklang Beachtung geschenkt, und der vollkommene Ausgleich von linearen und vertikalen Rücksichten (Bach) muß als Ideal bezeichnet werden. Bei heutigen linearen Versuchen wird oft vergessen, daß das Ohr des Hörers seit dem 17. Jahrhundert ebensosehr (wenn nicht mehr!) auf das harmonische wie auf das polyphone Hören eingestellt ist. (Vgl. 22-24). Schlicht volkstümliches Singen, das sich in Terzen und Sextenfolgen abspielt, ist nicht kontrapunktisch, sondern harmonisch ergänzend. Für den Kontrapunkt sind strenge Regeln aufgesetzt (reiner Satz), die die Stimmführung betreffen und Gattungen aufstellen.
Der Kontrapunkt (lat. punctus contra punctum = Note gegen Note) stellt ein Verfahren dar, mehrere selbständige und doch aufeinander bezogene Stimmlinien zu übergeordneter künstlerischer Einheit zu binden. Er ist die Kunst, ein mehrstimmiges Tonstück aus melodisch selbständigen Stimmen aufzubauen. Dabei wird praktisch von einem c. f. ausgegangen, indem man die anderen Stimmen nach und nach hinzufügt, obwohl auch gleichzeiges Entwerfen möglich, künstlerisch wertvoller, aber auch wesentlich schwieriger ist. Man spricht bei kontrapunktischen (polyphonen) Werken auch von linearem (horizontal zu hörendem) Stil im Gegensatz zum harmonischen (vertikal zu hörendem), jedoch muß eine rigorose Linearität zur Atonalität bzw. zu einer Art Heterophonie führen. Im übrigen ist es keine Kunst, mehrere Stimmen so zu kontrapunktieren, daß es schlecht klingt. Seit dem 14. Jahrhundert haben alle großen Komponisten neben der kontrapunktischen Selbständigkeit der Stimmen dem Zusammenklang Beachtung geschenkt, und der vollkommene Ausgleich von linearen und vertikalen Rücksichten (Bach) muß als Ideal bezeichnet werden. Die Kontrapunktlehre entwickelte sich aus der ursprünglich improvisierten Erfindung einer überwiegend in Gegenbewegung verlaufenden Stimme, die seit dem beginnenden 14. Jahrhundert in Anweisungen zum Discantus in feste Regeln gefaßt wurde. Seine beherrschende Stellung gewann der Kontrapunkt in der (süd-) niederländischen Musik des 15. und 16. Jahrhunderts bis zu seiner Vollendung (im 16. Jh.) bei Palestrina und Orlando di Lasso , die für mehre Jahrhunderte in Kontrapunkt- und Kompositionslehren maßgebend wurden. Seit dem Frühbarock galt er jedoch als konservative Praxis gegenüber der moderneren, an der Sprache orientierten Ausdruckskunst der Monodie. Als strenge Schreibart blieb er bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts verbindlich. Bei heutigen linearen Versuchen wird oft vergessen, daß das Ohr des Hörers seit dem 17. Jahrhundert ebensosehr (wenn nicht mehr!) auf das harmonische wie auf das polyphone Hören eingestellt ist. (Vgl. 22-24). Schlicht volkstümliches Singen, das sich in Terzen und Sextenfolgen abspielt, ist nicht kontrapunktisch, sondern harmonisch ergänzend. Für den Kontrapunkt sind strenge Regeln aufgesetzt (reiner Satz), die die Stimmführung betreffen und Gattungen aufstellen. Die Anzahl der Stimmen im kontrapunktischen Satz ist theoretisch nicht begrenzt, praktisch sind jedoch nur wenige Ohren fähig, einen mehr als 4stimmigen Satz wirklich linear aufzunehmen. Unter doppeltem Kontrapunkt versteht man einen Satz, in dem sich die Stimmen vertauschen lassen, ohne daß dadurch schlechte Stimmführung (Parallelen) entsteht. Er ist eines der wichtigsten Mittel der thematischen Arbeit und ist in neuerer Zeit besonders genial von Johannes Brahms und Anton Bruckner angewandt worden (innerhalb eines an sich harmonisch-vertikalen Satzes). Die Hauptformen des kontrapunktischen Stils sind Fuge und Kanon, die Haupttechnik die der Nachahmung.
Fuge (lat. fuga = Flucht). Die Fuge ist die wichtigste Form der kontrapunktisch-polyphonen Setzweise. (Vgl. Kontrapunkt und Polyphonie) Erste echte Fuge mit Zwischenspielen und formgerechter Antwort sind bei A. Gabrieli (1580) vorhanden, höchste Ausbildung bei Johann Sebastian Bach im Wohltemperierten Klavier und in der Kunst der Fuge. Das Interesse an der Fuge ist nie erlahmt und ist jüngst neu belebt worden. Das Wesen der Fuge liegt in ihrer Einthemigkeit, die eine strenge ästhetische Einheit verleiht. Das Charakteristische des Fugenthemas ist seine Fortspringungstendenz, d. h. es trägt in sich den Keim zur Weiterbildung seiner melodischen Linie. Das Fugenthema ist dynamisch – im Gegensatz zum statischen Thema der Sonate. Die Eigenart der Fuge liegt darin, daß sich in ihr das Dynamische (Thema) mit dem Statischen (Gesamtaufbau) verbindet. Das Thema (auch Dux oder Führer genannt) wird in der 2. Stimme im Quintabstand beantwortet (d. h. wiederholt). Die Antwort heißt auch Comes oder Gefährte. Mit ihr zusammen erklingt die kontrapunktische Fortspinnung des Themas.
Kanon (griech. =Vorschrift) ist eine kontrapunktische Form auf der Grundlage strenger Nachahmung. Jede Folgestimme nimmt das Thema notengetreu auf, in wechselnden Abständen (Kanon im Einklang, in der Sekunde u.s.w.). Historisch geht diese Form bis ins 13. Jahrhundert (Sommerkanon) zurück, erlebt ihre erste Blüte in der Caccia(Jagd) der Ars nova und ihren Höhepunkt in der Zeit der Niederländer (z.B. bei Okeghem). Hier wurde der Gipfel kunstvoller, aber auch überkünstelter Kanonkompositionen erreicht. Es gab nicht nur Kanons in Vergrößerung und Verkleinerung, Umkehrung und Rücklauf (Krebskanon), sondern auch sogenannte Rätselkanons, bei denen zuweilen nur eine Stimme notiert wurde und eine kryptische Überschrift den Scharfsinn anspornte, die Art der Ausführung zu finden. So muß z.B. ein Kanon mit der Überschrift in more hebraeorum von hinten nach vorn gelesen und gesungen werden. Das hat natürlich kaum noch etwas mit mit wirklicher Kunst zu tun, wie überhaupt der Kanon besonders bei denen beliebt ist, die in der Musik weniger ein seelisches Erlebnis als eine mathematische Tonkonstruktion rationaler Art sehen.
Katharsis (griech. Reinigung) ist die Läuterung, besonders die mystische Reinigung der Seele von den Schlacken der Sinnlichkeit bzw. Leiblichkeit; nach Aristoteles (383-322) ist es Zweck der Tragödie, eine Katharsis der Seele, eine Läuterung der Leidenschaften bzw. eine Läuterung von den Leidenschaften (und zwar durch Erregung von Mitleid unf Furcht) herbeizuführen. Methoden der Katharsis werden in der modernen Psychotherapie angewandt, wodurch Abreaktionen und Befreiung von verdrängten traumatischen Erlebnissen bewirkt werden.
Begriff wird in der Logik verstanden als einfachster Denkakt im Gegensatz zu Urteil und Schluß. Urteil meint einen Akt der Bejahung oder Verneinung, in dem 2 Begriffe (Subjekt und Prädikat) in Beziehung zueinander gesetzt werden. Im Urteil bezieht das Denken einen Begriff auf einen Gegenstand und setzt diesen zugleich mitsamt seinen Prädikaten, und zwar durch die Kopula „ist“, die stets auf absolute Geltung des behaupteten Sachverhalts abzielt. Der Schluß (conclusio) ist das formale logische Verfahren, aus mehreren Urteilen (als Voraussetzungen oder Prämissen) ein einziges Urteil, die Schlußfolgerung, begrifflich abzuleiten. (Vgl. Syllogismus bei Aristoteles).
Spinozismus ist die Lehre und die philosophische Weiterbildung der Lehre Spinozas (1632-1677). In Deutschland entwickelten besonders im 18. Jahrhundert Lessing (1729-1781), Herder (1744-1803), Goethe (1749-1832), Jacobi (1743-1819), Schleiermacher (1768-1834) u.a. einen Spinozismus, dessen „Gott-Natur“-Symbol viel weniger rationalistisch gestaltet war, als Spinozas Deus-sive natura. Ähnliche Witerbildungen in emotional-voluntaristischer Richtung erfuhr der Spinozismus bei Fichte (1762-1814), Schelling (1775-1854), Schopenhauer (1788-1860), Fechner (1801-1887), Wundt (1879-1963) u.a.. Der Spinozismus war eine der wirkungsvollsten Strömungen in der zeit der Deutschen Bewegung. Lichtenberg (1742-1799) sagte damals: „Wenn die Welt noch eine unzählbare Zahl vonJjahren steht, so wird die Universal-Religion geläuterter Spinozismus sein“, womit er vornehmlich Spinozas Pantheismus meinte. Der Pantheismus war z.B. für Schleiermacher „die heimliche Religion der Deutschen.“
Johann Joachim Winckelmann (09.12.1717 – 08.06.1768).
Pflicht ist die (verbindliche Pflege, für etwas zu sorgen) als inneres Erlebnis auftretende Nötigung, den von den ethischen Werten ausgehenden Forderungen zu entsprechen und das eigene Dasein diesen Forderungen gemäß zu gestalten. Kant (1724-1804) kam in seiner Kritik der praktischen Vernunft (1788) zu einer autonomen Pflicht-Ethik, die als eine bedeutende philosophische Leistung gelten kann. (Vgl. Ethik). Kants Gedankengang ist in etwa folgender: Der Vernunft ist es zwar unmöglich, Gegenstände rein apriori, d.h. ohne Erfahrung theoretisch zu erkennen, wohl aber den Willen des Menschen und sein praktisches Verhalten zu bestimmen. Seinem empirischen Charakter nach, d.h. als Person, steht der Mensch unter dem Naturgesetz, folgt er den Einflüssen der Außenwelt, ist er unfrei. Seinem intelligiblen Charakter gemäß, d.h. als Persönlichkeit, ist er frei und nur nach seiner (praktischen) Vernunft ausgerichtet. Das Sittengesetz, dem er dabei folgt, ist ein kategorischer Imperativ. D.h. konkret: Nicht auf äußere Güter gerichtetes Streben nach Glück, nicht Liebe oder Neigung machen ein Tun moralisch, sondern allein die Achtung vor dem Sittengesetz und die Befolgung der Pflicht. Getragen ist diese Ethik der Pflicht von der nicht theoretischen, sondern praktischen Überzeugung von der Freiheit des sittlichen Tuns, von der Unsterblichkeit des sittlich Handelnden, da dieser in diesem Leben den Lohn seiner Sittlichkeit zu ernten nicht befugt ist, von Gott als dem Bürgen der Sittlichkeit und ihres Lohnes. Diese 3 Überzeugungen sind nach Kant die praktischen Postulate von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Nach Fichte (1762-1814), dem die ganze Welt das Material der Pflichterfüllung ist, gibt es nur einen Endzweck: die Pflicht.
Ethik meint hier die Sittenlehre als praktische Philosophie, die nach einer Antwort sucht auf die Frage: was sollen wir tun? Beide Kulturen – Antike und Abendland – suchen die Antwort zunächst im Selbst bzw. in der Selbsterkenntnis. Aber dieser Subjektivismus hatte in der Antike wegen des Seelenbildes (und Ursymbols) eine andere, entgegengesetzte, Richtung als im Abendland. Die Antike suchte auch ethisch die Antwort am Außen des Körpers (in der begrenzten Äußerung), weil es für sie kein Geheimnis im Innen geben durfte; das Abendland suchte im Innen des faustischen Willens und kategorischen Imperativs (im Raum der unendlichen Verinnerlichung), weil es hier nur Geheimnisse gab. In beiden Fällen stelle man sich in den Dienst einer sozialanthropologischen Ethik. Ein Angebot, das man auch Hilfe zur Selbsthilfe (Selbsterkenntnis) nennen könnte. Wie kann ich dienen? ist eine typische Frage der letzten (dienerischen) Phase. (16-18).
Der kategorische Imperativ oder Imperativ der Sittlichkeit wurde von Kant folgendermaßen formuliert: Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. 1785 schrieb Kant in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: 1.) „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.“ 2.) „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ Ob ein Mensch als Persönlichkeit das prinzipiell wollen kann oder nicht auch (oder vielleicht eher) etwas Eigenes in seinem Verhalten liegt, sollten später die Kritikpunkte an Kants Imperativ sein, z.B. von N. Hartmann (1882-1950; vgl. 20-22).
Ding an sich ist das Ding, wie es unabhängig von einem erkennenden Subjekt für sich selbst besteht, das wahre Sein, dessen Erscheinungen die empirischen Dinge sind, auf welches eben die Erscheinungen hinweisen. Wir erkennen ein Ding als Gegenstand unserer Wahrnehmung nur so, wie es uns – eingekleidet in den Ausbauungsformen von raum und Zeit, in den Kategorien und Verstandesgesetzen – so erscheint. Wie es an sich beschaffen ist, werden wir niemals erfahren. (Frei nach: Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781).
Immanuel Kant (1724-1804), Werke ():
1) 1747-1758: Dominanz der Naturwissenschaften ():

– Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (1747)
– Untersuchung der Frage, ob die Erde in ihrer Umdrehung um die Achse einige
Veränderungen seit den ersten Zeiten ihres Ursprungs erlitten habe (1754)
– Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels (1755)

– Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens (1756)
– Von den Ursachen der Erderschütterungen (1756)
– Entwurf und Ankündigung eines Collegii über die physische Geographie
nebst … Betrachtung über die Frage, ob die Westwinde in unseren Gegenden
darum feucht sind, weil sie über ein großes Meer streichen (1757)
– Neuer Lehrbegriff der Bewegung und Ruhe (1758)

2) 1758-1781: Von der Wollfschen zur kritischen Metaphysik ():
– Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus (1759)
– Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren (1762)
– Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763)
– Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen (1763)
– Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764)
– Versuch über die Krankheiten des Kopfes (1764)
– Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (1764)
– Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (1766)
– Von dem ersten Grunde des Unterschieds der Gegenden im Raume (1768)
– Über Form und Grundlagen der Wahrnehmungs- und der Vernunftwelt (1770)
– De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (1770)
– Rezension der Schrift von Moscati über den Unterschied der Struktur der Tiere und Menschen (1771)
– Von den verschiedenen Rassen der Menschen (1775)

3) 1781-1793: Kants kritische Philosophie (Kritizismus []):
– Kritik der reinen Vernunft (1781)
– Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (1783)
– Über Schulz‘ Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre (1783)
– Ideen zur einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784)
– Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784)
– Rezension von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1785)
– Über die Bestimmung des Begriffes einer Menschenrasse (1785)
– Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785)
– Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786)
– Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786)
– Über Hufelands Grundsatz des Naturrechts (1786)
– Was heißt: sich im Denken orientieren? (1786)
– Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788)
– Kritik der praktischen Vernunft (1788)
– Kritik der Urteilskraft (1790)
– Über Schwärmerei und die Mittel dagegen (1790)
– Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche der Theodizee (1791)
– Über die von der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisaufgabe:
Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibniz‘ und Wolffs Zeiten gemacht hat? (1791)
– Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793)
– Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793)

4) 1793-1804: Kants nachkritische Phase (Bindeglied zwischen vollendetem Kritizismus [] und Deutschem Idealismus)
– Über Philosophie überhaupt (1794)
– Etwas über den Einfluß des Mondes auf die Witterung (1794)
– Das Ende aller Dinge (1794)
– Zum ewigen Frieden (1795)
– Zu Sömmering über das Organ der Seele (1796)
– Ausgleichung eines auf Mißverstand beruhenden mathematischen Streits (1796)
– Metaphysik der Sitten (1797):
I) Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre
II) Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre
– Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen (1797)
– Der Streit der Fakultäten (1798)
– Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798)
– Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre (1799)
u.a.
Dialektik bezeichnete im Abendland bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die übliche (Schul-)Logik, und hier heißt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts: bis zum Deutschen Idealismus. Laut Kant ist Dialektik ein Pseudophilosophieren beziehungsweise eine „Dialektik des Scheins“, weil sie allein durch die Vernunft, ohne die notwendige Stützung auf die Erfahrung, zu Erkenntnissen (metaphysischer Art) kommen will. Kants „transzendentale Dialektik“ ist also eine „Kritik des dialektischen Scheins“, eine „Kritik des Verstandes und der Vernunft in Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs“, sofern sie sich übernatürlicher Erkenntnisse rühmen. „Wissenschaftlich“ ist die Dialektik von Fichte und Hegel. Kants Dialektik ist transzendental, Fichtes Dialektik ist subjektiv (später auch objektiv), Hegels Dialektik ist objektiv, Schellings Dialektik ist zunächst objektiv und dann magisch bzw. romantisch (wie bei den Brüdern Schlegel, vgl. Romantik). Laut Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften ist die Dialektik „die wissenschaftliche Anwendung der in der Natur des Denkens liegenden Gesetzmäßigkeit und zugleich diese Gesetzmäßigkeit selbst“, als die Bewegung, die als eigentlich geistige Wirklichkeit allem zugrunde liegt, und zugleich die des menschlichen Denkens, das als Spekulation an dieser Bewegung allumfassenden. absoluten Anteil hat.
Deutscher Idealismus () meint die Entwicklung der deutschen Philosophie von Kant (um 1780) bis Hegel (um 1830), aber auch die philosophische Grundhaltung der deutschen Romantik (Jenaer Frühromantik-Kreis um die Brüder Schlegel und Heidelberger Romantik um Brentano, Görres, Grimm u.a.). Bei Schiller strahlte z.B. der Menschenbildungs-Idealismus ganz besonders – wie ein Stern. Schelling z.B. stand auf dem Boden des Deutschen Idealismus, war mit Fichte und Hegel zusammen dessen Hauptvertreter und bildete den Übergang des Idealismus zur Romantik. Er wurde wegen seiner steten Wandlung auch der Proteus der Philosophie genannt. Im Anschluß an Kant und Fichte entwarf Schelling eine spekulative Naturphilosophie der Hierarchie der Naturkräfte (Potenzen), die schließlich in eine Identitätsphilosophie mündete: Die Gegensätze von Subjekt und Objekt, von Realem und Idealem, Natur und Geist lösen sich für ihn im Absoluten auf als Identität von Idealem und Realem. Nach Schelling ist dieses Absolute unmittelbar erfaßbar durch die intellektuelle Anschauung und in der Kunst. (Vgl. Tabelle [Idealismus]).
– Hegelsche Rechte (Rechts- / Althegelianer): Carl Friedrich Göschel, G. A. Gabler, K. Daub, E. T. Echtermeyer u.a..
– Hegelsches Zentrum (Mittlere Hegelianer): E. Gans, K. L. Michelet, J. K. F. Rosenkranz, E. Kapp, J. E. Erdmann u.a..
– Hegelsche Linke (Links- / Junghegelianer): A. Ruge, L. Feuerbach, D. F. Strauß, M. Stirner, B. Bauer, K. Marx, F. Engels u.a.. Aus dem Links- oder Junghegelianismus entwickelte sich der Radikalismus des Vormärz.
Aufheben bedeutet in der Dialektik Hegels, der Mehrdeutigkeit des Wortes entsprechend, sowohl emporheben als auch bewahren, als auch vernichten (negieren). Das in der Thesis Gesetzte wird in der Antithesis aufgehoben, d.h. negiert, und dann durch Negation der Negation von neuem gesetzt, jetzt aber auf einem erhöhten, über den Ausgangspunkt der dialektischen Bewegung emporgehobenen Niveau. Daraus ergibt sich die Synthesis, die die Thesis in erhöhter Form in sich bewahrt, d.h. aufhebt. (Vgl. Dialektik).
Zu Hegel (1770-1831) – analog zu Platon (427-347) – heißt es bei Rüdiger Safranski u.a.: „Wie schon bei Platon das Wissen der Grenze die Einsicht in die Unvermeidlichkeit des Krieges bedeutete, so führt auch bei Hegel die Lebensnotwendigkeit der Grenze zur Realdialektik der miteinander kämpfenden Gegensätze, deren abstrakte Form als These und Antithese harmlos klingt. In Wirklichkeit aber verbirgt sich dahinter der Kampf um Tod und Leben. Im Krieg der Dialektik ist die Synthese zumeist der schlecht verhüllte Triumph jeweils einer Partei, die durch Versöhnung zur Herrschaft kommt. Doch der Sieger bleibt nicht, was er vorher war, er nimmt vom Unterlegenen etwas in sich auf, er verwandelt es und wird selbst dadurch verwandelt. Weltgeschichte ist eine Geschichte von Widersprüchen, die sich nicht auflösen lassen, sondern so lange ausgefochten werden, bis es Sieger und Verlierer gibt.“ (Rüdiger Safranski, Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?, 2003, S. 40-41). Zu Platon und Hegel vgl. auch den Unterschied zwischen Homologie und Analogie!).
Alexander von Humboldt (1769-1859) bereiste nach Beendigung vorwiegend technologischer und naturhistorischer Studien in Frankfurt (Oder), Berlin und Göttingen Westeuropa – seit 1790 mit dem Reiseschriftsteller Johann Georg Forster (1754-1794). Von 1799 bis 1804 führte Humboldt in Lateinamerika genaue Ortsbestimmungen und Höhenmessungen durch (u. a. die Bestimmung des Verlaufs des Rio Casiquare, Besteigung des Chimbarazo) und maß die Temperaturen des später nach ihm benannten Humboldtstroms – eine kalte, nordwärts gerichtete Meeresströmung vor der Westküste Südamerikas mit großem klimatischen Einfluß auf die Küstengebiete Nord-Chiles und Perus. Von 1807 bis 1827 lebte Humboldt in Paris und wertete in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus den verschiedensten Ländern der Welt seine Amerikareise aus. Das 30bändige Werk „Reise in die Äquinoktial-Gegenden des neuen Kontinents: 1799, 1800, 1801, 1802, 1803 und 1804“ (1805-1834) ist seine bedeutendste wissenschaftliche Leistung. 1827 kehrte Humboldt nach Berlin zurück und hielt hier seine berühmten Vorlesungen über die physische Weltbeschreibung. 1829 unternahm er eine Expedition ins asiatische Rußland, deren wichtigstes Resultat die in Zusammenarbeit mit Carl Friedrich Gauß (1777-1855) erfolgte Organisation eines weltweiten Netzes magnetischer Beobachtungstationen war. Seit 1830 wieder in Berlin, begann Humboldt mit der Darstellung des gesamten Wissens über die Erde („Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“, hrsg. seit 1845). Humboldt hatte auf seinen Reisen riesige Mengen botanischen (über 60 000 Pflanzen) und geologischen Materials gesammelt; er hatte die Abnahme der magnetischen Feldstärke vom Pol zum Äquator registriert und Meteoritenschwärme beobachtet; er zeichnete Isothermen und berichtete über Sprachen, Kultur und Kunst der Indianer. (Zur Sprache vgl. auch seinen Bruder Wilhelm von Humboldt). Alexander von Humboldt widmete sein Werk Ideen zu einer Geographie der Pflanzen, nebst einem Naturgemälde der Tropenländer (1807) Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), dem Autor des Versuchs, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären (1790) denn Humboldt nahm an Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten regen Anteil. Goethe, in seinen Wahlverwandtschaften (2. Teil, 8. Kapitel; 1809) ganz besonders auch Alexander von Humboldt erwähnend, urteilte über den Universalgelehrten: „Man könnte sagen, er hat an Kenntnissen und lebendigem Wissen nicht seinesgleichen. Und eine Vielseitigkeit, wie es mir gleichfalls noch nicht vorgekommen ist.“ (Goethe zu Eckermann; 11.12.1826). Alexander von Humboldt war schon in jungen Jahren die Personifikation dessen, was Goethe im doch eher provinziellen Weimar empfand, „wenn Männer wie Alexander von Humboldt hier durchkommen, und mich in dem, was ich suche und mir zu wissen nötig, in einem einzigen Tage weiter bringen, als ich sonst auf meinem einsamen Wege in Jahren nicht erreicht hätte.“ (Goethe zu Eckermann; 03.05.1829). Alexander von Humboldt leistete durch seine Reisen und Berichte, seine Forschungem und Entdeckungen unter anderem wesentliche Beiträge zur Meeres-, Wetter-, Klima- und Lanschaftskunde. Er förderte durch eigene Forschungen fast alle Naturwissenschaften der damaligen Zeit.
Der Universalgelehrte Alexander von Humboldt (1769-1859) hatte sich natürlich dazu entschlossen, nicht mehr von der Erde auszugehen, um von ihr aus in den unendlichen Raum zu blicken, sondern – (ganz modern!) dem Geist seiner und unserer Zeit gemäß – einen beliebigen Standort im äußeren (!) Raum – also: die Unendlichkeit als Standort (!) – gewählt, um von dort her, wie ein Besucher von einem fremden Stern, sich der Erde zu nähern: „Wir beginnen mit den Tiefen des Weltraums und der Region der fernsten Nebelflecke, stufenweise herabsteigend durch die Sternschicht, der unser Sonnensystem angehört, zu dem luft- und meerumflossenen Erdsphäroid, seiner Gestaltung, Temperatur und magnetischen Spannung, zu der Lebensfülle, welche vom Licht angeregt sich an seiner Oberfläche entfaltet … Hier wird nicht mehr von dem subjektiven Standpunkt, von dem menschlichen Interesse ausgegangen. Das Irdische darf nur als Teil des Ganzen, als diesem untergeordnet erscheinen. Die Natursicht soll allgemein, sie soll groß und frei, nicht durch Motive der Nähe, des gemütlichen Anteils … beengt sein. Eine physische Weltbeschreibung, ein Weltgemälde beginnt daher nicht mit dem Tellurischen, sie beginnt mit dem, was die Himmelsräume erfüllt. Aber indem sich die Sphären der Anschauung räumlich verengen, vermehrt sich der individuelle Reichtum des Unterscheidbaren, die Fülle physischer Erscheinungen … Aus den Regionen, in denen wir nur die Herrschaft der Gravitationsgesetze erkennen, steigen wir dann zu unserem Planeten … herab.“ (Alexander von Humboldt, Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, 1845, in der Neubearbeitung: S. 38-40).
„In seinem »Kosmos« sah Humboldt einen universellen Bauplan, in dem das Ganze und der Mensch in steter Wechselwirkung stehen. Er hatte den Ehrgeiz, in allen Einzeldisziplinen das damals Beste aufzubieten …. Was Humboldt in seinem »Kosmos« vorgeschwebt haben muß, war das Gedicht der Welt. Und das ist, was dieser große Deutsche heute noch in uns entzünden kann, nämlich die Begeisterung über die Poesie des Wissens.“ (Matthias Matussek, Wir Deutschen, 2006, S. 287).
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) verschwieg dreißig Jahre lang seine Entdeckungen der nichteuklidischen Geometrien, weil er das Geschrei der denkfaulen, schwerfälligen und unkultivierten Menschen fürchtete. Er nannte sie Böoter, weil die Einwohner dieser antiken Landschaft (Hauptstadt: Theben) von den Einwohnern anderer Griechenstädte als denkfaul und schwerfällig beschrieben worden waren. Gauß meinte zu Recht, daß man die Menschen nicht wirklich würde überzeugen können. (). Die erste der nichteuklidischen Geometrien entdeckte Gauß nach Vollendung seines Hauptwerkes Disquisitiones Arithmeticae (1801), durch deren in sich widerspruchslose Existenz bewiesen wurde, daß es mehrere streng mathematische Arten einer dreidimensionalen Ausgedehntheit gibt, die sämtlich a priori gewiß sind, ohne daß es möglich wäre, eine von ihnen als die eigentliche Form der Anschauung herauszuheben. (Vgl. 20-22). – Nach Gauß benannt sind u.a.:
– G (Gauß) = Einheitszeichen der magnetischen Flußdichte (magnetische Induktion).
– Gauß-Krüger-Abbildung (Projektion): eine konforme Abbildung eines auf dem Erdellipsoid liegenden geographischen Koordiantensystems in ein ebenes kartesisches Koordinatensystem. Wurde in Deutschland, später auch in zahlreichen anderen Ländern eingeführt.
– Gaußsche Abbildung (Projektion): die idealisierte optische Abbildung, bei der durch die Abbildungsgleichungen alle Geraden und Ebenen des Dingraumes in Geraden bzw. Ebenen des Bildraumes abgebildet werden.
– Gaußsche Gleichung: die bei einer optischen Abbildung durch eine einzelne brechende Kugelfläche (Radius r) zwischen den Schnittweiten (s, s‘) und Brennweiten (f, f‘) geltende Beziehung: n‘ / s‘ + n / s = (n‘ – n) / r = n‘ / f‘ = n / f, wobei n und n‘ die Brechungsindizes im Dingraum bzw. Bildraum sind.
– Gaußsche Glockenkurve: Graph der Wahrscheinlichkeitsdichte (siehe: Gaußsche Normalverteilung bzw. Gauß-Verteilung).
– Gaußsche Koordinaten: Koordinaten auf gekrümmten Flächen (krummlinige Flächen), z.B. geographische Länge und Breite auf einer Kugel.
– Gaußsche Krümmung: Krümmungsmaß; in der Theorie der Flächen im dreidimensionalen Raum der wichtigste Krümmungsbegriff neben der mittleren Krümmung.
– Gaußsche Normalverteilung: siehe: Gauß-Verteilung.
– Gaußsche Zahlenebene: eine Ebene mit einem kartesischen Koordinatensystem zur Darstellung der komplexen Zahlen; die Abzisse (x-Achse) liefert den Realteil, die Ordinate (y-Achse) den Imaginärteil. Jedem Punkt der Gaußschen Zahlenebene ist genau eine komplexe Zahl zugeordnet und umgekehrt.
– Gauß-Typ: photographische Objektive vom Gauß-Typ, d.h. durch symmetrische Verdoppelung des von Gauß angegebenen Fernrohrobjektivs geschaffene Doppelanastigmate (Doppel-Gauß-Varianten), z.B. Gauß-Typ 1. Art (innere Linsenglieder zerstreuend, äußere sammelnd), Gauß-Typ 2. Art (innere Glieder sammelnd, äußere zersteuend).
– Gauß-Verteilung: Wahrscheinlichkeitsverteilung (bzw. Normalverteilung), die die Fehlerverteilung bei unendlich vielen Einzelmessungen einer Größe (Zufallsvariable) angibt, wenn bei diesen (abgesehen von einem stets gleichen systematischen Fehler) nur zufällige Fehler auftreten.
Die internationale „Schopenhauer-Gesellschaft“ wurde von einem der vielen Schopenhauer-Anhängern, dem Nietzsche-Freund Paul Deussen (1845-1919) und die beiden Schüler Gwinner und Kohler, am 30.11.1911 gegründet mit dem Ziel, „das Studium und das Verständnis der Schopenhauerschen Philosophie zu fördern“. Diesem Ziel dienen das Schopenhauer-Archiv, als Zentralstelle der Schopenhauer-Forschung, die seit 1912 erscheinenden Jahrbücher der Gesellschaft und ihre internationalen „wissenschaftlichen“ Tagungen. Deussen war übrigens auch Übersetzer und Darsteller der indischen Philosophie, deren Gedanken er mit der Philosophie Schopenhauers zu einer Metaphysik vereinigte. (Vgl. Schopenhauer und Übersicht).
Zum Unfehlbarkeitsdogma von Papst Pius IX. (reg. 1846-1878): „Die Unfehlbarkeits-Konstitution besteht aus vier Kapiteln, deren erstes den Jurisdiktionsprimat des Papstes als ein unmittelbar von Jesus verliehenes Privileg bezeichnet, obwohl Jesus gar nichts davon gewußt hat. Das vierte Kapitel definiert die Unfehlbarkeit im Sinne eines absolutistischen Machtanspruchs in bis dahin nicht gekannter Ausschließlichkeit. Der Papst leitete daraus das Recht ab, sich als absoluten Mittelpunkt der Kirche zu sehen. Die Proteste und Vorbehalte vor, während und nach dem Konzil; die Abspaltung der von Ignaz von Döllinger sich herleitenden altkatholischen Kirche (vgl. Altkatholiken); die heute wieder aufgeworfenen Fragen nach der Essenz dieser Unfehlbarkeit im Zusammenhang mit der kircheninternen Verabsolutierung der Machtstellung des Papstes erweisen, daß das Dogma über hundert Jahre später nicht mehr kritiklos hingenommen werden kann und sein zum Teil höchst irdisches Zustandekommen theologiekritisch untersucht werden muß. … Der Unfehlbarkeits-Papst ging noch einmal rücksichtslos gegen die Juden vor. Es kam zu zahllosen Schikanen und, unter zweifelhaftesten Umständen, zu Kinderraub und Zwangstaufen, bis hin zu dem ganz Europa tief erregenden Raub des Knaben Edgar Mortara aus Bologna, einer Untat, gegen die, neben den größten Organisationen und Persönlichkeiten höchsten Ranges, Napoleon III. und Kaiser Franz Joseph vergebens protestiert haben. So ist dieser Papst als eine der zwiespältigsten Erscheinungen in die Geschichte der Neuzeit eingegangen.“ (Hans Kühner, Das Imperium der Päpste, 1977, S. 365-366). Wie Kühner meinen auch wir, daß die Verkündigung des Dogmas von der Unfehlbarkeit der Päpste (18.07.1870) – einen Tag vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges (19.07.1870) – für den gefühlsseligen Papst Pius IX. den Höhepunkt seines Pontifikates bedeutete.
Ignaz von Döllinger (1799-1890), deutscher katholischer Theologe und Kirchenhistoriker, war seit 1823 Professor in Aschaffenburg und seit 1826 in München – wesentlich beeinflußt von der von Frankreich nach Deutschland übergreifenden kirchlichen Erneuerung und deren Verbindung mit der katholischen Romantik. Als ultraKonservativer Publizist umstritten, als Kirchenhistoriker von Rang ausgewiesen, erreichte er den Höhepunkt seines Einflusses als Berater der deutschen Bischöfe (vgl. Bischofskonferenz in Würzburg, 1848) und als Wortführer der katholischen Rechten in der Paulskirche (1848/49). Döllinger geriet seit den 1860er Jahren in wachsenden Gegensatz zur römischen Kurie. Er erklärte nach dem 1. Vatikanischen Konzil (1869-1870), das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes nicht akzeptieren zu können. (Vgl. das auf dem 20. Konzil verkündete Unfehlbarkeitsdogma). Damit gab Döllinger der Kirche der Altkatholiken (unter Döllingers Führung entstanden) ihre theologische Grundlage. Döllinger wurde 1871 exkommuniziert. – Werke u.a: Die Reformation (1846-1848); Christentum und Kirche (1860); Kirche und Kirchen, Papsttum und Kirchenstaat (1861).
Altkatholiken (Alt-Katholiken), Angehörige einer katholischen Reformkirche, gingen hervor aus der Ablehnung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes (vgl. Unfehlbarkeitsdogma) in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre auf dem 20. Konzil (1869-1870; 1. Vatikan. Konzil). Unter Führung des Kirchenhistorikers Ignaz von Döllinger (1799-1890) schlossen sich die Altkatholiken zusammen – eintretend für: Einführung der Volksprache, Aufhebung der Ablässe, der Zölibatsverpflichtung, des Verbotes der Feuerbestattung und der Verpflichtung zur jährlichen Einzelbeichte. Vor allem wurde die Stellung der Laien in der Kirche gestärkt. Als erster Bischof wurde der Breslauer Theologieprofessor Joseph Hubert Reinkens (1821-1896) 1873 geweiht (den der Papst 1872 exkommuniziert hatte). 1889 vereinigten sich die deutschen Altkatholiken mit östereichischen, schweizerischen und niederländischen Verwandten.
Vom Kirchenstaat übrig blieb nur ein Kern: „Vatikanstadt“ – 1929 durch die sogenannten „Lateranverträge“ als souveräner Staat anerkannt (Unterzeichnung des Vertrages: 11.02.1929), wodurch das italienische „Garantiegesetz“ (13.05.1871; vom Papst abgelehnt) aufgehoben und somit die „Römische Frage“ für gelöst erklärt wurde (sie war also 58 Jahre lang, von 1871 bis 1929, offen geblieben). Nach diesem Staatsgrundgesetz ist Vatikanstadt eine absolute Monarchie mit dem Papst als Staatsoberhaupt. Er hat zugleich die höchste legislative, exekutive und judikative Gewalt inne und regiert mit Hilfe von ihm abhängiger Organe (vgl. Kurie). Im internationalen Bereich bezeichnet „Heiliger Stuhl“ (Apostolischer Stuhl; lat. Sedes Apostolica oder Sancta Sedes) den Papst als die rechtliche Vertretung der gesamten römisch-katholischen Kirche. Dem „Heiliger Stuhl“ ist also die Souveranität in internationalen Beziehungen garantiert. Zwar wird von „geistlicher“ Souveränität gesprochen, doch in Wirklichkeit umhüllt dieser „Euphemismus“ die tatsächlich weiterhin existierende Macht des Papstums. Und diesen Trick beherrscht das Papsttum schon seit seiner ersten Phase (0-2) ! (Vgl. auch: Primat).
Barthold Georg Niebuhr (27.08.1776 – 02.01.1831) hielt grundlegende Vorlesungen besonders in römischer Geschichte, aus denen später auch sein Hauptwerk hervorging („Römische Geschichte“) hervorging. Niebuhrs Bedeutung beruht vor allem auf seiner quellenkritischen Methode, mit der er wesentlich zum Aufstieg der deutschen Geschichtswissenschaft beitrug.
Vgl. Oswald Spengler (29.05.1880 – 08.05.1936), Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 224, S. 880, S. 971, S. 996.
Vgl. Karl Jaspers (23.02.1883 – 26.02.1969), Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949.
Peter Scholl-Latour: Die Macht der Plutokratie, in: Kampf dem Terror – Kampf dem Islam?, 2002, S. 41-44, hier besonders: S. 44.. ().
Diese Anmerkung stammt von mir und nicht vom „Meister“ selbst, der genau 161 Jahre vor mir geboren wurde: Leopold von Ranke !
„Aufs Ganze gesehen hat sich aber das Wissen um Geschichte seit den Zeiten Niebuhrs und Rankes beträchtlich vermehrt. In zweihundertjähriger Forschungsarbeit sind wesentliche Epochen, Fakten und Vorgänge mit immer verfeinerteren Methoden rekonstruiert worden. Diese Entwicklung blieb nicht auf die Fachwelt beschränkt. Der Geschichtsunterricht bemühte sich um die Weitergabe der gewonnenen Erkenntnisse, historische Stätten wurden restauriert, historische Gegenstände in Museen und Ausstellungen dem interessierten Publikum zugänglich gemacht, die populäre Geschichtsliteratur schwoll stetig an. »Wer Verschwundenes wieder ins Dasein zurückruft, genießt die Seligkeit des Schaffens«, heißt es bei Niebuhr. Er verweist damit auf die schöpferische, konstruktive Kraft der Geschichtswissenschaft, der es gelungen ist, längst Entschwundenes zu verlebendigen. Sie hat somit die Voraussetzungen für eine neue und eigentümliche Form historischer Konstanz geschaffen. Die sich real vollziehende Geschichte wird seit zwei Jahrhunderten nicht mehr nur von punktuellen Reminiszenzen, von mehr oder weniger schemenhaften Erinnerungen begleitet, sondern gleichsam von einem ständigen ideellen Pendant: dem wachsenden Wissen vieler Menschen um ihre Vergangenheit. Damit ist neben die eigentliche Geschichte gewissermaßen eine virtuelle historische Welt getreten: Geschichte ist nicht mehr lediglich abgelaufenes Geschehen, sondern zugleich »Wille und Vorstellung« im weitesten Sinne.“ (Ulrich March, Geschichte als »Wille und Vorstellung«, in: Dauer und Wiederkehr – Historisch-politische Konstanten, 2005, S. 124).
Zufall und Schicksal (also ohne Kausalität [?]): Was Gesetz, Regel, Ordnung, Schicksal, Notwendigkeit, Zwang oder gar der Wille Gottes genannt wird, ist nicht denkbar ohne die andere Seite: Zufall, Ausnahme, Chaos, Kontingenz, Freiheit, Glück oder der Wille Satans, also der Wille des Teufels, der Wille eines Verbrechers – und auch deshalb sagt Mephistopheles: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, // Die stets das Böse will und stets das Gute schafft. // … Ich bin der Geist, der stets verneint ! // Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, // Ist wert, daß es zugrunde geht; // Drum besser wärs, daß nichts entstünde. // So ist denn alles, was ihr Sünde, // Zerstörung, kurz das Böse nennt, // Mein eigentliches Element.“ (Johann Wolfgang Goethe, Faust, 1790 [1808], S. 64-67): Faust wundert sich, daß Mephistopheles, da er sich doch nur einen Teil nennt, trotzdem ganz vor ihm steht. Darauf antwortet Mephistopheles: „Bescheidne Wahrheit sprech ich dir. // Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt, // Gewöhnlich für ein Ganzes hält – // Ich bin eine Teil des Teils, der anfangs alles war, // Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, // Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht // Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht.“ (ebd., S. 67). Gewöhnlich – so halten unter den Menschen auch die Wissenschaftler sich und ihre kleine Narenwelt für ein Ganzes und suchen in ihren Phänomenen das Gesetzte, das Gesetz – aus ihnen spricht also immer noch der große Theologe, der, wenn er von Gottes Gesetz spricht, dasselbe meint wie der Theoretiker, der von den Naturgesetzen spricht. In Wahrheit ist es so, daß der Zufall das Gesetz und das Gesetz den Zufall erzwingt. Es lauert im Zufall das Gesetz und im Gesetz der Zufall. Praktisch jedoch wollen die meisten der faustischen Abendländer – ob sie Wissenschaftler oder Intellektuelle, Juristen oder Politiker, Päpste oder Kritiker heißen – dieser Einsicht nicht folgen, denn für sie gilt, was der oberste Gesetzgeber gesetzt hat: das Gesetz. Der eine Gott für die Abendland-Christen läßt das „Wunder“ zu (und das ist kein Zufall!), auf der weltlichen Bühne gehen die Päpste des Abendlandes für ihre Christen von der menschlichen „Sünde“ aus (auch das ist kein Zufall!), gehen die juristischen Richter des Abendlandes für ihre Verbrecher vom menschlichen „Fehler“ aus (auch das ist kein Zufall!), gehen die intellektuellen Richter des Abendlandes für ihre Wissenschaftler u.s.w. vom technischen „Unfall“ aus (auch das ist kein Zufall!). Zwar haben immerhin einige Intellektuelle, zuerst die Philosophen und Juristen, es aus methodischen Interessen heraus geschafft, Handlungen von Ereignissen zu unterscheiden und überhaupt die Ereignisse ganz scharf zu trennen, nämlich das scheinbar willkürliche Ereignis (vgl. Vis maior, Höhere Gewalt, Act of God u.s.w.) von der Koinzidenz als dem Zusammenfall zweier Ereignisse, doch der Zufall selbst konnte dadurch und eben wegen jener methodischen Interessen lediglich ausgegrenzt werden. Und: Unsere Gesetzgeber kennen und unterstellen zwar eine Gewaltspirale, aber keine Geschichtsspirale, zudem akzeptieren die weltlichen Gesetzgeber zwar einen Wirtschaftszyklus, aber keinen Kulturzyklus. Vgl. auch: Zyklisches Geschichtsmodell der Kulturmorphologie.
Nihilismius (lat. nihil, „nichts“), Standpunkt der absoluten Negation, ist ein von Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) in seinem „Sendschreiben an Fichte“ (1799) eingeführter Terminus. Der theoretische Nihilismus verneint die Möglichkeit einer Erkenntnis der Wahrheit (wie der Agnostizismus die Erkennbarkeit des wahren Seins), der ethische die Werte und Normen des Handelns, der politische jede irgendwie geartete Gesellschaftsordnung. Vielfach ist der Nihilismus nur ein radikaler Skeptizismus. Vgl. z.B. Schopenhauer (1788-1860), Nietzsche (1844-1900) u.a.. Man muß sich nur bestimmte Namen (z.B. Platon, Aristoteles, Kant, Hegel, Goethe u.s.w.) in Erinnerung rufen, um festzustellen, daß es natürlich kein Zufall ist, wenn der Nihilismus in allen Kulturen in der Phase des Idealismus entsteht. Er stellt eine Reaktion auf die klassische (auch „klassizistisch“ genannte), auf die („napoleonisch“) unumschränkt herrschende idealistische Allmacht dar. Er entwickelt sich also als unmittelbare Folge auf den Idealismus und erreicht seinen Höhepunkt – eher sollte man von „Tiefpunkt“ sprechen -, wenn die „Klassiker“ endgültig von der Bühne abgetreten sind und sich das Gefühl durchsetzt, daß die obersten Werte sich entwerten, jene Werte, die allem Tun und Leiden der Menschen erst Sinn geben, daß es nichts mehr gibt, wofür es sich zu leben oder zu sterben lohnt, daß das Bewußtsein aufkommt, es sei alles nst. Alles, was ist, auch das menschliche Erkennen, ist ab jetzt Erscheinungsform des Willens zur Macht; hier gibt es kein absolutes Sein mehr, denn Sein ist ab jetzt Werden, aber kein endloses Neuwerden, sondern „ewige Wiederkehr“ dessen, was schon unendlich oft dagewesen ist. „Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht“. (Nietzsche). So sehr Wahres in Nietzsches Aussagen steckt, so sehr sind bestimmte spätere Folgen, die sich daraus für Menschen ergeben können (nicht müssen!), als ein wohl kaum noch zu therapierendes Symptom zu bezeichnen, das sich in einer „180°-Drehung“ (Negation der Negation, Hegel) und schließlich in einer absoluten Selbst-Negation ausdrücken kann. Überwinden sollte Nietzsches „Sei du selbst“ () den „Scheinmenschen“, den Heidegger (1889-1976) später als „Man“ bezeichnete, aber nach dem alles entscheidenden Weltmachtskrieg sollte es besonders auf der Seite der Kriegsverlierer einen Seitenwechsel geben, zwar kein Aufheben des „Sei du selbst“, aber eine neo-nihilistische Uminterpretation in ein „Sei du selbst der alliierte Sieger“ (auch als Verlierer!?). Später, im „Postnihilismus“ gelang die „180°-Drehung“ mit dem Slogan „Sei du selbst der Fremde“ („Sei du selbst der Ausländer“). Also war man spätestens seit etwa 1968 Sieger statt Verlierer und später auch Ausländer(In) statt Inländer(In). Man war immer nur der gute Mensch, zwar ein selbstbewußtloser, aber gut. „Und das ist auch gut so“, wurde zu einer ernst gemeinten Rechtfertigung der völlig Verunsicherten. Die Tatsachen wurden verdreht, man machte die ältere Generation einfach zum Buhmann, die entweder abzutreibende oder abzuschreibende jüngste Generation zum Scheidungsproblem und wähnte sich dennoch als der ewig gute, stets moralisch die Grundstellung einnehmende Missionar. Ohne Geschichte wirklich (!) zu bedenken, bestand die nach dem 2. Weltkrieg erfolgte „Geschichtsverarbeitung“ also darin, sich selbst zu verleugnen. Heute ist es nicht mehr nur die elterliche Herkunft, sondern sogar die eigene Sprache, die verleugnet wird: „Wir können alles, außer Hochdeutsch“ (!). Hochdeutsch entwickelte sich primär aus dem Oberdeutschen (Alemannisch, Bairisch). (Vgl. DEUTSCH: AHD, Früh-MHD, Klassisches MHD, Spät-MHD, Früh-NHD, Klassisches NHD, Hochklassik des NHD und Spät-NHD).

Posted in Hubert Brune on April 22, 2012 by androsch

Sommer / Nachmittag
12 Uhr 18 Uhr
Hochkultur

16-18 Uhr
Adoleszenz oder Konvenienz

Die nachpubertäre Jugend, auch Adoleszenz genannt, zeichnet sich bekanntlich durch aufklärerische Orientierung und die am Ende zu gewinnenden Lebensleitlinien aus. Der Noch-Jugendliche oder Fast-Erwachsene – je nach Fall – läßt sich weiter ausbilden oder bringt die noch geringen Mengen an verdientem Geld nach Hause. Bevor er aber voll zur Erwachsenenwelt gerechnet werden kann, muß er gedient haben. Dienen und erstes verdientes Geld sind Synonyme für die jetzt in den Kulturen auftauchenden Verdienste für ihren Kulturfleiß. Industrielle Revolution wird deshalb auch die abendländische Industrialisierung genannt, die in England um 1760/’70 begann, bald auf die bedeutenden Staaten in Europa und Nordamerika übergriff und mit dem eben erwähnten Verdienst vergleichbar ist, weil auch eine Kultur sich in einer für sie zunächst fremden Berufswelt (Kulturberufung) ausbilden läßt und für den neuartigen Fleiß (lat. industria) auf neue Art belohnt wird. So wie in der späten Jugend und im frühen Erwachsenenleben das Kapital immer wichtiger wird, so beginnt auch in den entsprechenden Phasen einer Kultur der Kapitalismus eine immer wichtigere Rolle zu spielen. In der Antike nahm während dieser Phase die Anzahl der Sklaven sprunghaft zu, denn in der Antike waren Sklaven lebende Geldmünzen. Nach dem antiken Recht war ein Sklave eine körperliche Sache und keine Person. Als lebendiges Geld wechselten Sklaven natürlich schnell den Besitzer. Abendländer hingegen sahen in den Sklaven kein körperliches Geld, sondern räumliches Kapital. Als fleißig (lat. industrius) wurden sie solange eingestuft, wie sie industriell wertvoll waren. Demzufolge war die neuzeitliche Sklaverei von Beginn an eine Vorstufe zur Maschinenindustrie und wurde deshalb auch erst durch die Industrialisierung abgeschafft: Kohle und Maschinen sollten sich am Ende als fleißiger erweisen. (Vgl. 20-22). Die in dieser Phase noch zaghaft ausfallende Industrialisierung war eine notwendige Vorbereitung auf die erwachsene Zivilisation. Dienerisch perfekt, pedantisch bis ins letzte Detail war auch die Kunst dieser Phase, die den pompösen, prunkvollen und allmächtig wirkenden Barock zwar nicht verdrängen, aber dienerisch zu einer Dekoration und Ornamentik verhelfen konnte. Im positiven Licht betrachtet sollte man als sehr dienlich, als ein Verdienst des Rokoko ansehen. Und genau diese Funktion hatte in der antiken Kultur die Korinthik inne. Dienlich waren auch die in dieser Phase zur Höchstform auflaufenden Ethiken. Die Ethiker boten ihre Dienste an mit den Fragen: Wie kann ich mich nützlich machen? Wie kann ich dienen? Wem soll ich dienen? Für die Antike war Sokrates (470-399) das alles überragende Beispiel, für das Abendland vor allem Rousseau (1712-1778), aber auch Kant (1724-1804) oder Friederich II. von Preußen (1712-1786), der als Monarch erster Dienerdes Staates sein wollte. Dieser aufklärerische Philosophenkönig beherbergte in seinem selbst entworfenen und 1745 bis 1747 erbauten Schloß Sanssouci zeitweise seinen Freund Voltaire (1694-1778), den wohl berühmtesten französischen Schriftsteller und Philosophen der Aufklärung. In dieser Phase stellte sich alles in den sozialen Dienst der Vereinbarkeit oder Verträglichkeit, je nachdem, ob die Fragen ethisch oder politisch gestellt wurden, ob nach Kompatibilität oder Konvenienz. Sicher waren sie sich einig darüber, daß der perfekte Sozialdienst bzw. Staatsdienst allein schon deswegen zu bewerkstelligen wäre, weil er auf Aufklärung beruhte. Wie Spätjugendliche fühlten sie sich als Aufgeklärte und Mündige, also als Früherwachsene, aber waren sie das auch? Waren sie (zu) früh Erwachsene? Beschmückten sie sich nicht selbst wie das dekorative Rokoko die Innenräume der Barockbauten? Waren sie im Innern nicht noch Kinder oder Jugendliche? Gehört zu einer früh erwachsenen Kultur mehr als Aufklärung, Mündigwerdung und anfängliche industrielle Revolution? Nach Kant ist Aufklärung ein Erwachen des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Auch parallelisiert Kant das Kindesalter mit dem Dogmatismus, das Jünglingsalter mit dem Skeptizismus und das Erwachsenenalter mit dem Kritizismus, der für ihn den Ursprung und die Grenzen des menschlichen Erkennens erst festzustellen fähig ist. Er mußte das doch wissen, hatte er doch selbst den Sprung vom Skeptizismus zum Kritizismus vollzogen, gehörte also sowohl in die von ihm so genannte spätskeptizistische Jünglingsphase als auch in die darauf folgende frühkritizistische Erwachsenenphase (vgl. 18-20). Kritizismus ist nach Kant die gegen den metaphysischen Dogmatismus und Skeptizismus gerichtete Forderung, daß vor dem Aufbau theoretischer Systeme die Möglichkeit der benutzten und vorgetragenen Erkenntnisse untersucht und deren methodische Prinzipien und Mittel bereitgestellt werden. In der Tat: Untersuchung und Bereitstellung sollten in dieser Phase, der Aufbau theoretischer Systeme aber in der nächsten Phase geschehen. (Vgl. 18-20).
Philosophisch bekämpfte die Aufklärung jede echte Metaphysik. Sie beförderte jede Art des Rationalismus, also auch die Naturwissenschaft. Mit dem Rationalismus zusammen teilt die Aufklärung den Glauben an eine unbegrenzte Erkenntniskraft und ihre über kurz oder lang sich vollziehende Bemächtigung alles Seienden. Der alte Glaube wurde hier abgelöst vom Glauben an Wissenschaft und Fortschritt. Für Rationalismus und Aufklärung gab es nur vorläufige Probleme, nicht aber grundsätzlich unlösbare Probleme. Sie vertraten ethisch-pädagogisch humanitäre Ideale, ein jugendgemäßes Erziehungswesen, politisch-juristisch und gesellschaftlich-wirtschaftlich die Freiheit des Menschen aus ungerechten Bindungen (Individualismus), die Gleichheit aller Bürger desselben Staates vor dem Gesetz und schließlich die Gleichheit all dessen, was Menschenantlitz trägt.
Alles in allem waren das Vorbereitungen auf die nächste Phase bzw. das gesamte Kulturquartal der herbstlichen Erwachsenenkultur. (Vgl. 18-20, 20-22, 22-24). Überhaupt zeigen alle 4 Phasen, die sich am Ende eines Kulturquartals befinden, diesen Vorbereitungscharakter auf die jeweils nächste Kulturjahreszeit. Und dies trifft eben auch auf die Aufklärungsphase zu. In der Antike bereitete sie die klassische attische Philosophie vor, im Abendland den klassisch-romantischen Idealismus, und erst diese beiden Klassiken sollten, einer Weinernte gleich, die Kulturauslese darstellen. (Vgl. 18-20).

Alle Gelehrten dieser Zeit, die solche Brücken zu schlagen vermochten, bereiteten die nahende Zivilisation vor. Vico (1668-1744), Wolff (1679-1754), Montesquieu (1689-1755), Voltaire (1694-1778), Friedrich II. (1712-1786), Rousseau (1712-1778), Baumgarten (1714-1762), Hume (1711-1776), Condillac (1715-1780), Lamettrie (1709-1751), Diderot (1713-1784), d’Alembert (1717-1783), Holbach (1723-1789), Kant (1724-1804), Lessing (1729-1781), Mendelssohn (1729-1786) waren Aufklärer in diesem Sinne, wobei Kant ab etwa 1781 die Aufklärung bereits überwinden konnte. Hume vertrat einen erkenntniskritischen und moralischen Skeptizismus, während Lamettrie, Diderot, d’Alembert und Holbach dem Materialismus, dem frühen Positivismus zuneigten. Condillac und Hume standen dem Sensualismus nahe, dessen Entsprechung in der Antike bei den Kyrenäikern (Hedonikern) zu finden ist. Arstippos von Kyrene (435-355), Schüler und Freund des Sokrates (469-399), gründete diese Schule. Platon (427-347), Xenophon (450-354), die ebenfalls Schüler des Sokrates waren, und Antisthenes (444-368), Stifter der kynischen Philosophenschule, der bald auch Diogenes von Sinope (412-323) angehören sollte, überschritten bereits die Grenze zur attischen Klassik – analog zu Kant, Goethe, Herder und Schiller zur deutschen Klassik. Dagegen muß man beispielsweise den abendländischen Wolff und die Hauptvertreter der antiken Sophistik auch noch der vorhergegangenen Phase zurechnen. (Vgl. 14-16 und Tafel).
Sophisten nannten sich die antiken Aufklärer: Protagoras (485-410), Gorgias (ca. 480-380) Hippias (um 400), Prodikos (um 400) und die anderen Sophisten galten zunächst als die Denker und Weisen, dann als Lehrer der gewandten Rede- und Unterredungskunst, schließlich jedoch als Vertreter der geschwätzigen und spitzfindigen Scheinweisheit, weil sie eine Tendenz entwickelt hatten, in Diskussionen um jeden Preis zu obsiegen. Trotzdem waren sie bedeutend, besonders im Hinblick auf ihre aufklärerische Verbreitung des philosophischen Gedankenguts und auf die praktische Pädagogik. Sophistisch im positiven Sinne war auch die Tatsache, daß die praktische Beschäftgung mit philosophischer Argumentation durch die Sophistik zu einem größeren Interesse am Philosophieren und am kritischen Denken führte. Die Sophisten trugen die Lehren der Vorsokratiker in die Öffentlichkeit und wirkten dadurch aufklärerisch. Die Zeit der Vorsokratiker war, wie der Name schon verrät, mit Sokrates (470-399) vorbei: die kosmologische Naturphilosophie der Griechen wurde durch ihn und seine anthropologische Ethik abgelöst, zugleich aber der ethische Relativismus der Sophisten widerlegt. Menschenbildung, Jugendbildung und Seelenführung war der Zweck seines Philosophierens; geistige Maieutik und Ironie der Weg dazu. Sokrates‘ Philosophie beruhte auf seiner Grundüberzeugung, daß das Sittliche erkennbar und lehrbar sei und aus dem Wissen um Sittlichkeit stets das Handeln gemäß der Sittlichkeit folge. In diesem Sinne versuchte Sokrates zunächst jedesmal vom Einzelfall aus die Menschen zu einer klaren Begriffsbildung hinsichtlich des sittlich Richtigen hinzuführen. Für ihn war dasjenige Handeln richtig, das den wahren Nutzen des Menschen und damit seine Glückseligkeit bewirkt. Nach Sokrates ist deshalb die Selbsterkenntnis die Bedingung der praktischen Tüchtigkeit: weiß ich, was ich bin, so weiß ich auch, was ich soll. In sich selbst fand Sokrates aber auch ein göttliches Daimonion, das ihm als innere Stimme zur Verfügung stand und ihm mitteilte, was er tun oder unterlassen sollte. Die höchste Tugend war für Sokrates die Genügsamkeit: wer am wenigsten bedarf, ist der Gottheit am nächsten; nur wer sich selbst zu beherrschen gelernt hat und in allen Dingen ausschließlich der richtigen Einsicht folgt, ist imstande, andere zu beherrschen, und berechtigt, als Staatsmann zu wirken. Sokrates gilt mit Platon und Aristoteles zusammen als bedeutendster Philosoph der Antike, blieb aber vielumstritten. Von einigen wurde er als erster großer Ethiker gepriesen, von anderen als Aufklärer und Auflöser verworfen. Auch die Aufklärung hatte ihre zwei Seiten, und ihre Schattenseite war die eben erwähnte negative Sophistik.

Die ganze Universalgeschichte des Rechtes und die Ethnologie vorausgeahnt haben soll Giovanni Battista Vico (1668-1744). Er führte die vergleichende Methode in die abendländische Geschichtswissenschaft bzw. Geschichtsphilosophie ein und nahm an, daß alle Völker sich „parallel“ entwickeln, daß der „corso“ (Lauf, Kurs als Aufstieg) der Völker drei Zeitalter durchläuft: das der Götter, das der Heroen, das der Menschen; die Aufeinanderfolge eines göttlichen, eines heroischen und eines menschlichen Zeitalters kann man also als ein Drei-Stadien-Gesetz auffassen. Später sollten jedenfalls nicht wenige ein ähnliches Drei-Stadien-Gesetz und/oder eine ähnliche Parallelität zwischen Völkern oder sogar Kulturen annehmen. (). Vico war seiner Zeit sehr weit voraus und lehnte den Cartesianismus ab, genauer: er setzte gegen Descartes‘ an Mathematik und Physik orientierten naturalistischen Rationalismus in De antiquissima Italorum sapienta … (1710) den erkenntnistheoretischen Grundsatz: „Nur das kann erkannt werden, was einer selbst hervorgebracht hat“. Deshalb ist eine universale Erkenntnis nur Gott möglich, der in seiner Schöpfung alles geschaffen hat; weil die Geschichte aber andererseits das ist, was der Mensch in der Welt geschaffen hat, ist die Geschichte sein vornehmliches Erkenntnisobjekt. Ausgehend von diesem Grundsatz entdeckte Vico in seinem Werk Von dem einen Ursprung und Ziel allen Rechtes (1720) die Geschichtlichkeit des Rechts und entwickelte das für die gesamte Menschheitsgeschichte als gültig erachtete geschichtsphilosophische Modell der gesetzmäßigen Wiederkehr je eines theokratischen, heroischen und menschlichen Zeitalters in einem Zyklus von Aufstieg, Verfall und ständiger Wiederkehr. (). Wie gesagt: Vico erklärte die Geschichte zum eigentlichen Feld der menschlichen Erkenntnis, weil der menschliche Geist am besten das verstehen könne, was er selbst gemacht habe: „Tat-Sachen“. Daß Vico seiner Zeit weit voraus war, läßt sich schon allein daran erkennen, daß er als Wegbereiter des Historismus und als Systematiker der Geschichtswissenschaften gilt. Und das sind gerade nicht die „positiv“ erkennbaren physikalischen Phänomene, denn sie können nur von außen erklärt werden und nicht, wie in der Geschichtswissenschaft, von innen verstanden werden. Das ist im wesentlichen schon die These der Hermeneutik, denn die Gegenüberstellung von Erklären und Verstehen ist typisch für diese Denkrichtung, und zu Vicos Zeiten gab es die Hermeneutik als wissenschaftliche Disziplin noch gar nicht: Vico war eben seiner Zeit weit voraus. Was jedoch die Kulturzyklen-Theorie angeht, so hatte schon lange vor Vico Francis Bacon (1561-1626) festgestellt, daß Kulturen altern wie Menschen und Phasen bzw. Auf-und-Ab-Stufen durchleben: „In der Jugend der Völker und Staaten blühen die Waffen und die Künste des Krieges; im reifen männlichen Alter der Völker und Staaten Künste und Wissenschaften; dann eine Zeit lang beide zusammen, Waffenkunst und Musenkünste; endlich im Greisenalter der Völker und Staaten Handel und Industrie, Luxus und Mode.“ (Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum, 1605; IV, 2, 114).
„Es gibt kein besseres Mittel, sich in eine richtige und genaue Vorstellung von den Weltbegebenheiten zu machen,
als sie durch Vergleichungen zu beurteilen, Beispiele aus der Geschichte zu wählen, sie neben die Ereignisse unserer Tage
zu stellen und auf die Ähnlichkeiten zwischen ihnen zu achten. Nichts ist mehr imstande, unsere Erkenntnis zu erweitern.“
(Friedrich II. [der Große] als Kronprinz von Preußen, 1738).

Schon seit der 2. Hälfte des 17. Jahrunderts hatte man u.a. eine Vorliebe für alles Exotische aus dem Osten und ganz besonders aus China entwickelt. Und „1742 setzte Papst Benedikt XIV. mit seinem kategorischen Edikt einen Schlußstrich unter diese fernöstliche Akkulturation und verbaute damit möglicherweise eine einmalige Missionierungschance der Geschichte. Paradoxerweise fanden die frommen Patres eifrige, begeisterte Lehrer unter ihren schärfsten ideologischen Gegnern, den kirchenfeindlichen Philosophen und Dichtem der Aufklärung. In ihrem Bemühen, abendländisches Interesse für das Reich der Mitte zu wecken, Subventionen und Anerkennung für ihre entsagungsvolle Tätigkeit in Peking zu gewinnen, war das Reich der Mandschu-Kaiser, das bereits im achtzehnten Jahrhundert mit vielen Kennzeichen des Verfalls und der geistigen Sklerose behaftet war, von den europäischen Geistlichen als eine ideale Gelehrtenrepublik platonischen Zuschnitts beschrieben worden. Der Kaiser thronte lediglich als wohlwollendes Symbol erdentrückter Despotie über ihr, während der Stand der Krieger, der im spätfeudalen Europa hohes, fast exklusives Ansehen genoß, bei den Söhnen des Himmels auf der untersten Gesellschaftsstufe rangierte und sich keinerlei Achtung bei jenen Gebildeten erfreute, die die höchste Autorität innehatten. Daß in Peking das Erlangen mandarinaler Würden an das Bestehen von philosophischen, ja literarischen Examina gebunden war, die – theoretisch zumindest – jedem begabten Untertan des Kaisers offenstanden, daß die Rangordnung der hohen Verwaltung einer »Meritokratie« entsprach, von der im damaligen Europa kaum jemand zu träumen wagte, schürte zusätzliche Begeisterung. Die Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts entdeckte ein utopisches Spiegelbild ihrer eigenen Wunschvorstellungen in jenem femen Imperium des Ostens, das Europa bereits mit seinen Porzellanfiguren entzückte. Die Mode der »Chinoiseries« erfreute die Höfe des Abendlandes. Friedrich der Große ließ im Park von Sanssouci einen chinesischen Pavillon errichten, und die Philosophen – Leibniz, Voltaire und Fénelon an der Spitze – waren des Lobes voll für eine asiatische Staatsform, die Friedfertigkeit, Toleranz, geistige Harmonie und vor allem die Priorität der Gebildeten zu garantieren schien. Konfuzius, der alte Lehrmeister, der fünfuundert Jahre vor Christus den Söhnen des Drachen den Weg des Einklangs zwischen Himmel und Erde gewiesen hatte, wurde an hervorragender Stelle in das Pantheon der »Lumieres« eingereiht.“ (Peter Scholl-Latour, Die Angst des weißen Mannes, 2009, S. 289-290).

Zurück zur Natur?
Als der Schweizer Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) seinen Freund Denis Diderot (1713-1784) im Gefängnis aufsuchen wollte, soll er seine große Inspiration unter einem Baum erlebt haben: „O hätte ich jemals nur einen Bruchteil dessen schildern können, was ich unter diesem Baum gesehen und gefühlt habe! Mit welcher Klarheit hätte ich alsdann all die Widersprüche unserer sozialen Ordnung aufzeigen können; mit welcher Kraft hätte ich alle Mißbräuche unserer Einrichtungen darlegen, mit welcher Deutlichkeit hätte ich beweisen können, daß der Mensch von Natur gut ist, und daß nur die Einrichtungen es sind, die ihn schlecht machen.“ In diesem Augenblick überwältigte Rousseau angeblich eine berauschende Gewißheit; so glaubte er zu wissen: „das Individuum mit seinem potentiellen Reichtum ist die Wahrheit – dort draußen, in der Gesellschaft, herrscht ein Mechanismus der Lüge. Die Gesellschaft raubt dem Individuum seine Wahrheit und seine Lebendigkeit. ….“ (). Laut Kant ist Rousseau sogar einer der bedeutedsten humanistischen Denker; das einzige Gemälde in Kants Haus soll ein Bild von Rousseau gewesen sein. Rousseau wirkte stark auf die französische Revolution: „Maximilian Robespierre war nichts als die Hand von Jean-Jacques Rousseau, die blutige Hand, die aus dem Schoße der Zeit den Leib hervorzog, dessen Seele Rousseau geschaffen“, so Heinrich Heine: „Man erzeigt wirklich dem Maximilian Robespierre zu viel Ehre, wenn man ihn mit dem Immanuel Kant vergleicht. …. Robespierre, der große Spießbürger von der Rue Saint-Honoré …. Wenn aber Immanuel Kant, dieser große Zerstörer im Reiche der Gedanken, an Terrorismus den Maximilian Robespierre weit übertraf, so hat er doch mit diesem manche Ähnlichkeiten, die zur Vergleichung beider Männer auffordern.“ (). Eine Parallele verdeutlicht die Ähnlichkeit zwischen Rousseau und Sokrates – laut Spengler sind sie „gleichzeitig“ () -, die überzeugt, wenn dabei berücksichtigt wird, daß das Apollinische der Antike und das Faustische des Abendandes zwei gegensätzliche Seelenbilder sind. Die aufklärerische Sophistik der Antike wurde zuerst von Sokrates, die sophistische Aufklärung des Abendlandes zuerst von Rousseau der Überwindung zugeführt, doch wurde jene erst durch Platon und diese erst durch Kant wirklich überwunden. (). Zwar setzte Rousseau auf Versöhnung mit der Natur und auf die Naturalisierung der Kultur und deutete so schon auf die kommende Zivilisation, doch erst Kant gelang es, die Aufklärung wirklich zu überwinden, wodurch die abendländische Philosophie erwachsen werden konnte. Kant steht zuerst und dann gemeinsam mit Herder und vor allem mit Goethe und Schiller für den Übergang in die nächste Phase (vgl. 18-20).
Rousseau leitete aus dem Dogma des einmütigen Volkswillens, den er den „allgemeinen Willen“ („volonté générale“) nannte, die demokratische Identität von Regierenden und Regierten ab. Rousseau zufolge gibt es daher in der Demokratie nur die Gleichheit der Gleichen, die mit dem Volkswillen übereinstimmen, und es gilt nur der Wille derer, die zu diesem Glauben gehören. Bemerkt ein Einzelner nach einer Abstimmung, daß er anders als die Mehrheit gestimmt hat, so hat er sich – Rousseau zufolge – über den wirklichen Inhalt des Gemeinwillens eben getäuscht, und weil, so Rousseau ausdrücklich, dieser Gemeinwille der wahren Freiheit entspricht, war der Überstimmte nicht frei. „Diesem eigentlich demokratischen Denkansatz ist der Gedanke gegen den Staat gerichteter Abwehr-, Bürger- oder Menschenrechte völlig fremd; Minderheitenschutz ist nicht vorgesehen. Einem gegen den Generalwillen gerichteten Handeln einer Minderheit würde jede innere Legitimation fehlen.“ (). Rousseau selbst hat sich getäuscht; jedenfalls ist seine Theorie fragwürdig und problematisch.
Eine der bekanntesten Anekdoten über berühmte Philosophen ist die von Kant, der seine Gewohnheit, täglich um 7 Uhr abends durch Königsberg zu spazieren, in 25 Jahren nur ein Mal durchbrochen haben soll – ergriffen von der Lektüre des »Emile«. Und in der Tat ist Rousseau der Schlüssel zum Verständnis unseres Denkens über den Menschen, das Verhältnis von Kultur und Natur und die Gründe der Ungleichheit. Hier ist es besonders lehrreich, sich an eine weitere Trivialität zu erinnern, daß nämlich die berühmteste Formel Rousseaus, Zurück zur Natur!, gar nicht von Rousseau stammt. Kant hat dazu den entscheidenden Satz gesagt: »Rousseau will nicht, daß man in den Naturzustand zurückgehen, sondern dahin zurücksehen soll.« (Vgl. Immanuel Kant, Werke, Band XV, S. 890). Unter entgegengesetzten Vorzeichen hat dann Nietzsche Kants Hochachtung für Rousseau bestätigt und ihn als Verkörperung des Geists der Moderne bekämpft. Rousseau war der erste moderne Mensch und seine Lehre von der Gleichheit die moderne Idee par excellence – darin sind sich Kant und Nietzsche einig. Der politische Philosoph Leo Strauss ist dann noch einen Schritt weiter gegangen und hat Rousseau als Denker der ersten Krise der Moderne gefeiert. Sein Zurück zur Natur und zur Antike war aber nicht reaktionär, sondern selbst modern. Hier vollzieht sich der Fortschritt der Moderne gerade als Rückkehr zur Antike.“ (Norbert Bolz, Diskurs über die Ungleichheit, 2009, S. 38 ).
Der Lehrer und Zeitgenosse des Demokrit (460-371) war Leukipp (5. Jh. v. Chr.). Beide gelten als Begründer der Atomistik; wegen der mangelnden Quellen über Leukipp kann man jedoch eher dazu neigen, Demokrit als den eigentlichen Begründer des Atomismus zu bezeichnen. Die Atomistik ist die naturphilosophische Lehre, die besagt, daß alle Dinge aus selbständigen Elementen bestehen und alles Geschehen auf Umlagerung, Vereinigung und Trennung dieser Elemente beruhe. Auch diese Lehre gehört zu den das antike Ursymbol körperlicher Abgegrenztheit immer wieder neu bestätigenden Bildern, die zusammen das antike Seelenbild ergeben und rechtfertigen (sollen). Mit Daniel Sennert (1572-1637) lebte der Atomismus im Abendland wieder auf. Er entwickelte anschaulich-gestalthaft ein umfassendes System der Atomistik. Nach ihm erneuerte auch Pierre Gassendi (1592-1655) die atomistisch-mechanistische Physik Demokrits. Überhaupt sollte gerade der antike Atomismus eine solch starke, erbschaftliche Wirkung erzielen, daß er noch heute in den abendländischen kausal-mechanischen Natur- und Weltauffassungen mitregiert und erst durch Heisenberg und die moderne ganzheitliche Betrachtungsweise erschüttert worden ist. Demokrit lehrte, daß alles Geschehen Mechanik der Atome sei, die, verschieden an Gestalt und Größe, Lage und Anordnung, sich im leeren Raum in ewiger Bewegung befänden und durch ihre Verbindung und Trennung die Dinge und Welten entstehen und vergehen ließen. Die Seele, identisch mit dem Element des Feuers, besteht nach ihm aus kleinsten glattrunden Atomen, die im ganzen Leib verbreitet sind. Organ des Denkens ist für ihn allein das Gehirn. Die Empfindungen sollen dadurch zustande kommen, daß von den Dingen ausgehende Ausflüsse, sich loslösende Abbilder in die Sinnensorgane eindringen und die Seelenatome in Bewegung setzen. Das höchste Gut sei die Glückseligkeit, so Demokrit, und sie bestehe wesentlich in der Ruhe und Heiterkeit der Seele, die am sichersten durch Mäßigung der Begierden zu erreichen sei. Demokrit selbst hieß schon in antiken Zeiten wegen der Befolgung dieser Lehre der lachende Philosoph. Leukipp und Demokrit vollbrachten auf typisch antike Weise das, was Newton und Leibniz auf typisch abendländische Weise vollbrachten. Auf ihre Art waren die Atomisten Nachfolger der ionischen und eleatischen Naturphilosophen weiter, die abendländischen Naturwissenschaftler und Mathematiker Nachfolger der sie fordernden Naturphilosophen. (Vgl. 12-14 und 14-16).
Es wurde bereits erwähnt, daß der Philosoph und Mathematiker Christian Wolff (1679-1754) führend in der deutschen Aufklärung geworden war. Er hatte das System des deutschen Rationalismus unter Verwendung aristotelischer, stoischer und auch scholastischer Gedanken zur höchsten Entfaltung gebracht und dadurch die von ihm umgestaltete Leibnizsche Philosophie zur herrschenden Philosophie seiner Zeit gemacht. Seine Schüler, die Wolffianer, hatten an fast allen deutschen Universitäten die philosophischen Lehrstühle inne.
Analoge Philosophien
(16-18): 450-370 und 1700-1780
(12-14, 14-16, 16-18, 18-20, 20-22, 22-24)
2) Eleaten Seinsphilosophie/Rationalismus seit -550
3) Pythagoräer Rel.-pol.-arist. Rationalismus seit -550
4) Subjektivisten Elemenekinetik; Heraklit u.a. seit -520
5) Atomisten Naturph.; Leukipp/Demokrit, .. seit -490/-460
6) Sophisten Anthropologie/Aufklärung seit -475/-450
7) Sokratiker Sokrates, Maieutiker seit -440
8) Megariker Eristiker (Streiter) Euklid v. Megara seit -430
9) Kyrenäiker Aristippos von Kyrene, Hedoniker seit -400
10) Kyniker (Autarkisten) Antisthenes, Diogenes seit -400
11) Platoniker Platon, Alte Akademiker seit -385 2)Empirismus/Rationalismus Mechanik seit 1600
3) Pol.-rel. Empirismus Polit. Rationalismus seit 1600
4) Subjektivismus Rationalismus; Descartes u.a. seit 1630
5) Atomismus Monaden/Infinitesimal., Leibniz seit 1660-90
6) Aufklärung seit 1685 (1700)
7) Naturalismus-Subjektivismus seit 1710
8) Naturalismus/Deismus Freidenker seit 1720
9) Sensualismus Positivisten/Materialisten seit 1750
10) Früh-Romantik Sturm-und-Drang seit 1760
11) Kantianer Transzendental-Idealismus, Kant seit 1770

Analoge Theologien
– PURITANISMUS –
26) Dionysos-Kult zu: Rationalismus; seit Pythagoräer
27) Zeus-Götterwelt; Theogonie von Hesiod; seit – 7. Jh.
28) Gegenreformation (6) Zeus-Götterwelt seit – 7. / – 6. Jh. 26) Neuscholastik (5) zu: Rationalismus; seit Leibniz – Wolff
27) Neumystik (4) seit 16. Jh.
28) Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.

Zu Wolffs Schülern zählte in seinen jungen Jahren auch Kant. Später nannte er Wolff den gewaltigsten Vertreter des rationalen Dogmatismus: des Standpunktes des reinen ungebrochenen Vertrauens in die Macht der Vernunft. Die Titel der Schriften Wolffs beginnen fast alle mit „Vernünftige Gedanken … „, gewachsen waren sie in Leibniz. Beide wirkten außer auf die Leibniz-Wolffsche Schule u.a. auf Herder, Goethe, Schiller und den Deutschen Idealismus, später u.a. auf Herbart und Lotze, ja sogar noch auf die analytische Philosophie des 20. Jahrhunderts, auf die Logistik der Sprachphilosophie, wie überhaupt auf die Linguistische Wende und den Nativismus. (u.a. Chomsky).
Immanuel Kant (1724-1804) stammte aus einer Handwerkerfamilie mit 12 Kindern, studierte in Königsberg Mathematik und Naturwissenschaften, Philosophie bei dem Wolff-Schüler Martin Knutzen. Kant verbrachte sein ganzes Leben in Königsberg, wirkte ab 1756 als Privatdozent, ab 1770 als ordentlicher Professor der Logik und Metaphysik mit großem Lehrerfolg, und er lehrte auch Naturwissenschaften, insbesondere Geographie.
Immanuel Kant (1724-1804)
4 Entwicklungsstufen
(2 vorkritische und 2 kritische) Platon (427-347)
4 Entwicklungsstufen
(2 vorakademische und 2 akademische)
Natur-
wissen-
schaft-
liche Stufe

1747

1758
Meta-
physi-
sche
Stufe

1758

1781
Kritisch-
philoso-
phische Stufe

1781

1793
Nach-
kritische Stufe

1793

1804
Sokrates-
Schüler

407

399
Studien
bei den Eleaten-Megarikern
(Synthese aus eleat. und sokrat. Lehren)

Reisen
nach Sizilien
und Unteritalien:
Pythagoräer -Studien
Akademie

Gründung:
385 v. Chr.

Kritik der
Sophistik
Systematik
Erkenntnis-
theorie
Metaphysik
Ethik & Politik
Ideenlehre
Spätzeit

Weiter-
führung
der
Ideen-
lehre
&
Natur-
philosophie
Gesetz gebung

1794 wurde der Begründer des Kritizismus bzw. der Transzendentalphilosophie durch eine königliche Kabinettorder verwarnt: wegen Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der Heiligen Schrift und des Christentums. Kant hat den Begriff der Metaphysik geändert, den der Erkenntnistheorie neu geschaffen, beides in der Kritik der reinen Vernunft (1781). Er sah in der Metaphysik nicht mehr die Wissenschaft vom Absoluten, wie noch die dogmatischen Philosophen, besonders die Wolff-Schule, sondern die Grenzen der menschlichen Vernunft. Die Erkenntnistheorie sollte die Grenzpolizei gegen alle Anmaßungen und Grenzüberschreitungen über das Erfahrbare hinaus sein. Erkenntnisse beruhen nach Kant einzig und allein auf Erfahrung, auf Sinneswahrnehmung. Die Sinne allein geben Kunde von einer realen Außenwelt. Kant begründet das in etwa so: Erkenntnis entspringt nicht vollständig aus der Erfahrung, vielmehr wird sie geformt durch die apriori bereitliegenden Anschauungsformen des Raumes und der Zeit und die Denk- bzw. Verstandesformen der Kategorien. Die Kategorien sind einerseits die allgemeinsten Wirklichkeits-, Aussage- und Begriffsformen, also die Stammbegriffe, von denen die übrigen Begriffe ableitbar sind (Erkenntniskategorien), andererseits die Ur- und Grundformen des Seins der Erkenntnisgegenstände (Seins- oder Realkategorien). Die Erforschung der Kategorien nannte Kant transzendental. Die Erkenntnistheorie als spezialisierte Untersuchung der Erkenntnis gliedert sich in Erkenntniskritik, die von einem vorher bestehenden Erkenntnistypus ausgeht, an dem sie die vorhandenen Kenntnisse kritisch mißt, so Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft (1781), und die Erkenntnismetaphysik, die das Wesen der Erkenntnis erforscht. Kant erschütterte aber eine Art von Metaphysik, die wahrnehmungslos und bloß spekulativ-konstruktiv vorgeht, indem er ihr die Fähigkeit zu irgendeiner Wirklichkeitserkenntnis absprach. Freilich räumte er ein, daß auch die durch Erfahrung gegründete Erkenntnis nicht auf die Dinge an sich, sondern nur auf deren Erscheinungen (Phänomene) zurückgeht. Reine Gedankenkonstruktionen hinsichtlich der Dinge an sich aber sind nach Kant erst recht keine Erkenntnisse. Dies versuchte er zu beweisen an der psychologischen, kosmologischen und theologischen Idee der bisherigen scholastischen, ontologischen, rationalistischen, damit als dogmatische Scheinwissenschaft entlarvten Metaphysik und natürlichen Theologie: der Unsterblichkeit der Seele, der Entstehung der Welt, der Existenz Gottes. (Vgl. 18-20).
Kant äußerte sich natürlich auch, und zwar pflichtgemäß, zur Ethik, einem in dieser Phase zur Höchstform auflaufenden Charakteristikum (antik wie abendländisch). Pflicht ist die verbindliche Pflege, für etwas zu sorgen. Diese als inneres Erlebnis auftretende Nötigung muß er vor Augen gehabt haben, um den von ethischen Werten ausgehenden Forderungen entsprechen und das eigene Dasein diesen Forderungen gemäß gestalten zu können. Kant kam in seiner Kritik der praktischen Vernunft (1788) zu einer autonomen Pflicht-Ethik, die als eine bedeutende philosophische Leistung gelten kann. Kants Gedankengang ist in etwa folgender: Der Vernunft ist es zwar unmöglich, Gegenstände rein apriori, d.h. ohne Erfahrung theoretisch zu erkennen, wohl aber den Willen des Menschen und sein praktisches Verhalten zu bestimmen. Seinem empirischen Charakter nach, d.h. als Person, steht der Mensch unter dem Naturgesetz, folgt er den Einflüssen der Außenwelt, ist er unfrei. Seinem intelligiblen Charakter gemäß, d.h. als Persönlichkeit, ist er frei und nur nach seiner (praktischen) Vernunft ausgerichtet. Das Sittengesetz, dem er dabei folgt, ist ein kategorischer Imperativ. Nicht auf äußere Güter gerichtetes Streben nach Glück, nicht Liebe oder Neigung machen ein Tun moralisch, sondern allein die Achtung vor dem Sittengesetz und die Befolgung der Pflicht. Getragen ist diese Ethik der Pflicht von der nicht theoretischen, sondern praktischen Überzeugung von der Freiheit des sittlichen Tuns, von der Unsterblichkeit des sittlich Handelnden, da dieser in diesem Leben den Lohn seiner Sittlichkeit zu ernten nicht befugt ist, von Gott als dem Bürgen der Sittlichkeit und ihres Lohnes. Diese 3 Überzeugungen sind nach Kant die praktischen Postulate von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Von religiöser Heteronomie – Fremdbestimmung u.s.w. – ist nach Kant die Sittlichkeit frei, weil sie autonom ist. In diesem Zusammenhang sah Kant seine Auffassungen über Recht, Staat, Politik und Geschichte, deren Wirklichkeit er sehr skeptisch gegenüberstand, besonders der des von ihm als ethisch-politisches Ideal anerkannten Ewigen Friedens.
Die Mystik lebte auch in der Aufklärung fort: Friedrich Oetinger (1702-1782) suchte die Narturmystik Jakob Böhmes mit der Gravitationstheorie Newtons zu verbinden. (Vgl. 14-16). Johann Georg Hamann (1730-1788) war ein Gegner der Aufklärung und wies gegenüber Kants rein verstandesmäßiger Erkenntnis auf die Schöpferkraft des Gefühls und des Gemüts hin, die er besonders in der Sprache am Werk sah und die sich in der Dichtung der Muttersprachedes Menschengeschlechts offenbare. Hamann wirkte über die Sturm-und-Drang-Zeit und den Klassizismus bis weit in die Romantik und die moderne Sprachphilosophie hinein. (Vgl. 18-20). Aber Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) war ein Gegner des Geniekults und des Mystizismus der Philosophie seiner Zeit. Er war ein geistvoller Vertreter der Aufklärung, in dessen Denken sich schon Züge des Deutschen Idealismus abzeichneten. (Vgl. 18-20). Als Kritiker Kants zog er aus dessen Philosophie besonders ethisch und pädagogisch weitgehende, auch praktische Folgerungen. Lichtenberg bekämpfte geistige Zuchtlosigkeit (Relativismus) und Pedanterie (Rationalismus), ebenso die konfessionelle Orthodoxie. Vermischte Schriften und Aphorismen, die viele satirische, ironische, geistvoll formulierte Aussprüche über alle Lebensgebiete enthalten, kann man ohne weiteres als geniale Qualität Lichtenbergs bezeichnen. Die Zeit des Sturm und Dranggalt damals als Geniezeit – wahrscheinlich weil deren Vertreter auf die später noch mehr zu beneidende Deutsche Klassik zu wirken vermochten. Der Sturm und Drang erhielt Anregungen durch die Kulturkritik Rousseaus und das Genieverständnis E. Youngs sowie durch die pietistische und empfindsame Tradition. Unmittelbarer Wegbereiter der antirationalen und religiösen Komponente war der eben erwähnte Hamann, die eigentlichen Grundideen entwickelte aber Herder. Der literarische Sturm und Drang begann mit Begegnung zwischen Herder und Goethe 1770 in Straßburg. Von Herders ästhetischen Ideen beeinflußt, verfaßte Goethe im lyrischen, dramatischen und epischen Bereich die initiierenden Werke Sesenheimer Lieder (1771), Götz von Berlichingen (1773), Die Leiden des jungen Werther (1774) u.a.. Goethe, Schiller, F. M. Klinger, J. A. Leisewitz, H. L. Wagner, J. M. R. Lenz und andere Dichter des Sturm und Drang verfolgten folgende Themen und Motive: Selbstverwirklichung des genialen Menschen, den tragischen Zusammenstoß des einzelnen mit der Geschichte, den notwendigen Gang des Ganzen, Bruderzwist bis zum Brudermord, Konflikte zwischen Moralkodex und Leidenschaft, soziale Anklage gegen die Korruption der herrschenden Stände und gegen Standesschranken überhaupt. Guter Stoff war für die Dichter natürlich auch das Drama um Faust, das es spätestens seit 1746 auch als Puppenspiel gab. G. E. Lessing konzipierte ein Faustdrama in ganz neuem Verständnis. Dem Dichter der Aufklärung bedeutete Fausts Streben nach Wissen nicht Vermessenheit und Aufbegehren gegen Gott. Nach ihm wurde der Stoff von Dichtern des Sturm und Drang aufgegriffen: Faust wird als titanische Persönlichkeit aufgefaßt, so bei Friedrich Müller (genannt Maler Müller), bei F. M. Klinger und auch bei Goethe im sogenannten Urfaust, der 1772-1775 entstand und als Abschrift des Fräuleins von Göchhausen erhalten ist. In einer stark veränderten und von Goethe 1790 veröffentlichten Fassung war die Goethesche Konzeption, in der das Faustdrama zum Menschheitsdrama wird, bereits so angelegt, wie in der Endfassung des Werkes verwirklicht (Teil I, 1806; Teil II, 1831). Den Rahmen bildet eine doppelte Wette des Mephistopheles mit dem Herrn und mit Faust, in der es um das Streben des Menschen nach Selbstverwirklichung geht, das für den Nihilisten Mephistopheles nur Selbsttäuschung ist und daher in dumpfem Genuß enden muß. Goethes philosophischer Werdegang führte ihn von der Abneigung gegen die Schulphilosophie (das Collegium logicum) in der Leipziger Zeit (1765-1768), wo seine erste Lyrik im Stil des Rokoko entstanden. Zur Erweckung eigenen philosophischen Denkens kam es in der Straßburger Zeit (1770-1771), wo Goethe in der Freundschaft mit Herder seinen Durchbruch zum Sturm und Drang fand. Goethes naturphilosophische Studien der ersten Weimarer Zeit (1775-1786) gründeten auf Auseinandersetzung mit Platon, Neuplatonismus, Giordano Bruno und vor allem mit Spinoza. Nach seiner italienischen Reise (1786-1788) begann nicht nur die Weimarer Klassik, sondern auch Goethes Sachinteresse an der Farbenlehre und an der vergleichenden Gestaltlehre, der Morphologie (niedergelegt in der Metamorphose der Pflanzen, 1790; vgl. Metamorphose).
Die Literatur des deutschen Rokoko (1740-1780) übernahm die Grundtendenzen der Aufklärung und Züge der Empfindsamkeit. Oberstes Prinzip war für ihre Vertreter die Grazie als das moralisch Schöne. Neues Lebensgefühl, heitere, weltimmanente Lebensfreude wurden ebenso propagiert wie ein verfeinerter Sinnengenuß, der in ästhetischem Spiel und graziöser Form Leben und Kunst harmonisch vereinen sollte. Man bevorzugte Kurzformen wie Lyrik, Verserzählung, Dramolett, Singspiel und Idylle. Während des deutschen Rokoko wirkten hauptsächlich C. M. Wieland (1733-1813), der junge J. W. Goethe (1749-1832), der junge G. E. Lessing (1729-1781), F. von Hagedorn (1708-1754), J. W. L. Gleim (1719-1803), H. W. von Gerstenberg (1737-1823), C. F. Gellert (1715-1769), S. Geßner (1730-1788), J. P. Uz (1720-1796), F. G. Klopstock (1724-1803), E. C. von Kleist (1715-1759) J. C. Gottsched (1700-1766). (Vgl. 18-20). Einen Vorgriff auf die nächste Phase unternahmen die gelehrten Vertreter der klassizistischen Bewegung in Deutschland, und zwar J. J. Winckelmann (1717-1768) und G. E. Lessing sowie die zu Beginn dieser Zeit noch jungen J. W. Goethe und F. Schiller. (Vgl. 18-20).
Johann Gottfried Herder (1744-1803) stand von 1762 bis 1764, als er in Königsberg Theologie studierte, unter Einfluß Kants und Hamanns. 1764 bis 1769 war er Lehrer in Riga, 1771 Hofprediger in Bückeburg. Die Philosophie Herders ist vor allem von Giordano Bruno, Spinoza, Leibniz und Hamann, mit dem er befreundet war, geprägt. Den späteren Kant lehnte er schroff ab, seine Untersuchungen nannte er öde Wüsten voll leerer Hirngeburten und im anmaßenden Wortnebel. Gegen den Aphorismus Kants führte er den Entwicklungsgang der Sprache ins Feld. Erst mit dem Sprechen entsteht Vernunft, war seine Antwort. Herders Sprachphilosophie und seine Volksliedersammlung lenkten seine Aufmerksamkeit besonders auf jene Völker, die ihre urtypischen Sitten und Bräuche und ihre urwüchsige Sprachkraft noch nicht verloren hatten. So wurde Herder zum Bewunderer der Lieder der Slawen, von deren Volkstum West-Europa bis dahin so gut wie nichts wußte. Herder ist der Vater der europäischen Slawistik. Er bahnte den slawischen Völkern den Weg zu den eigenen, von ihnen selbst vernachlässigten Volksgütern. Sie haben es Herder zu verdanken, daß sie in den Bereich der europäischen Kulturinteressen treten konnten. Nach Herder ist Geschichte fortschreitende Entwicklung zur Humanität: Kritik der Vernunft bedarf es nicht, sondern einer Physiologie der menschlichen Erkenntniskräfte. In der Geschichte wie in der Natur entwickelt sich alles aus gewissen natürlichen Bedingungen nach festen Gesetzen. Das Fortschrittsgesetz der Geschichte beruht auf einem Fortschrittsgesetz der Natur, das schon in den Wirkungen der anorganischen Naturkräften verborgen tätig ist, in der aufsteigenden Reihe der organischen Wesen vom Naturforscher bereits erkannt wird und sich für den Geschichtsforscher in den geistigen Bestrebungen des Menschengeschlechts zeigt.
Rokoko bezeichnet die Stilstufe der europäischen Kunst von etwa 1720 bis 1780. Das Wort ist abgeleitet aus dem französischen rocaille, Muschel- und Grottenwerk, nach einem immer wieder hervortretenden Ornamentmotiv. Diese Ableitung läßt vermuten, daß es sich hierbei um einen Dekorationsstil handeln könnte. Aus diesem Grunde pflegt man auch hinsichtlich der monumentalen Baukunst und Bildnerei jener Zeit nur in sehr bedingtem Maße von Rokoko zu sprechen.
Eigentlich wird das Rokoko nur auf dem Gebiete des Kunstgewerbes gegen den Barock einigermaßen scharf abgegrenzt. Ansonsten ist das Rokoko eher als eine Endphase des Barock zu bezeichnen. Allerdings ist die Reaktion auf das Pathos und die Monumentalität des Barock als eine Art Gegenwirkung und Hinwendung zum Intimen, Wohnlichen und Spielerischen deutlich zu erkennen. Die künstlerischen Akzente verlagerten sich vom Außenbau auf den Innenraum, der von einem lockeren Schmuckwerk übersponnen und in Bewegung gesetzt wurde. Das Schwere, Üppige, Großformige und Volltönende des Barock wurde im Rokoko zu Leichtigkeit, Zierlichkeit, Kleinteiligkeit und beschwingter Grazie gewandelt. Die Farbe hellte sich auf, und so konnte erst im Rokoko die zartfarbige Pastellmalerei zu wirklicher Geltung gelangen. Barockes Pathos schlug in spielerisches Gebaren um, dem das kleine Format gemäßer war.
Das Kleinbildwerk aus Porzellan wurde so zum Träger dieser spielerischen Haltung, die sich besonders deutlich auch in den Chinoiserien ausdrückt. Seine höchsten Triumphe feierte das Rokoko im Dienst einer raffinierten Wohnkultur, bei der Dekoration des Innenraums und seiner Ausstattung mit Möbeln und Tapeten. Rokoko ist verfeinerte Wohnkultur. Dem intimen Charakter des Rokoko entspricht eine Blüte des Kunstgewerbes und der Kleinkunst, die damals zu einer neuen Gattung, der Porzellanplastik, führte. Die Porzellanplastik erlebte im Rokoko ihren Höhepunkt und spiegelte sich in der Gesellschaft durch galante Schäferspiele und gebildeter Weltläufigkeit wider (J. J. Kändler, F. A. Bustelli). Galante und pastorale Themen bestimmen auch die Malerei (Watteau, J. H. Fragonard, F. Boucher), Stilleben (J.-B. S. Chardin) und Porträtkunst wurden gepflegt. Hauptländer des Rokoko sind Frankreich und Deutschland. In Süddeutschland fand das Rokoko gerade im Kirchenbau höchste Vollendung und das Rokokoornament umfassende Wirksamkeit, und zwar sowohl im Grund- wie im Aufriß. Im Innenraum überspielen Stuck, Plastik und Malerei, Licht und Farbigkeit die räumlichen Grenzen (D. Zimmermann, Wies, Brüder Asam, Abteikirche Weltenburg; J. M. Fischer, Rott am Inn, Plastik von I. Günther; Wallfahrtskirche Birnau, Plastik von J. A. Feuchtmayer). Wichtige Aufgaben der Bildhauer waren Figuren für Park- und Gartenanlagen. (F. Dietz u.a.). Der westfälische Baustil dieser Zeit war typischerweise gekennzeichnet durch besonders kraftvolle bodenständige Elemente, und nicht selten benutzten dessen Vertreter, wie etwa Johann Conrad Schlaun, eine Kombination von rotem Backstein und gelbem Haustein: Erbdrostenhof in Münster (1753-57); weitere Werke von Schlaun sind Schloß Augustusburg in Brühl (1724-28), Schloß Nordkirchen (1724ff.), Jagdschloß Clemenswerth bei Sögel (1737-44), Clemenskirche (1744-54) und die fürstbischöfliche Residenz in Münster (1767-73).
Was für das Abendland das Rokoko war, das war für die Antike die Korinthik. Das korinthische Kapitell, viel dekorativer als andere Formen und seine Vorläufer (vgl. 12-14 und 14-16), enstand um 400 v. Chr. und war, laut Überlieferung, eine Erfindung des attischen Bilhauers Kallimachos (um 400). Seine Kunst neigte ebenfalls zu übergroßer Zierlichkeit und überfeinerter Ausführung.
Korinthische Ordnung bedeutet, daß die ionischen Säulen und Kapitellen zum Teil noch höher, aber vor allem dekorativer sind als ihre Vorläufer. Die Säulen waren fast nur noch Schmuck und genaugenommen gar keine Säulen mehr, sondern nur noch eine Verkleidung der Mauerzungenenden. Die Dekoration trat an die Stelle der Betonung der Konstruktion. Korinthische Ordnung heißt also Dekoration und ist so tatsächlich als ein Analogon zum abendländischen Rokoko zu sehen. Die korinthische Säule wurde zum ausgeschmücktesten antiken Kapitell überhaupt, wenn man von den späteren Nachahmungen und Neostilen absieht. (Vgl. Kompositkapitell). Das korinthische Kapitell, allseitig mit Akanthus (-Blättern) geschmückt und stilisiert, verschleiert die Funktion des Tragens vollständig.

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Korinthische Säulenordnung. Das Kapitell ist ein Zwischenglied zwischen Stütze und Last.

Galanter und empfindsamer Stil prägte die Musik des Rokoko als die Zeit des Übergangs vom Barock zur sogenannten „Wiener Klassik“ (bzw. Klassizismus). Die allgemeine künstlerische Tendenz dieser Zeit prägte also auch die Musik: kleine Formen, gesangliche Bildungen, empfindungsreiche Melodik und einfache Harmonik, teilweise in reicher Verzierungstechnik bei einem insgesamt feinsinnigeren und differenzierteren Klangideal als im mehr großflächig ausgreifenden, jeden Affekt einheitlich präsentierenden Barockstil. Der Barockmeister Johann Sebastian Bach (1685-1750) brachte den Barock zur Vollendung und leitete zugleich auch den Übergang zum Rokoko ein. Seine Söhne Wilhelm Friedemann Bach (1710-1784), Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), Johann Christoph Friedrich Bach (1732-1795) Johann Christian Bach (1735-1795) sowie Christoph Willibald Ritter von Gluck (1714-1784), Johann Stamitz (1717-1757), Johann A. Hiller (1728-1804) sind dann die bedeutendsten Vertreter des Rokoko, obwohl auch noch der junge Franz Joseph Haydn (1732-1809), der junge Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und der noch sehr junge Ludwig van Beethoven (1770-1827) noch zum Rokoko zu zählen sind, bevor sie ihre Hochform erreichten und endgültig zu den Hauptvertretern der „Wiener Klassik“ wurden. (Vgl. 18-20).

Entwicklungen im 18. Jahrhundert bzw. vom 5. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr.

Obwohl wahrscheinlich schon die Portugiesen im 16. Jahrhundert Australien entdeckt hatten, gilt der Holländer W. Janszoon offiziell als Entdecker dieses Kontinents (1605). (Vgl. 14-16). Aber dessen Ostküste wurde erst 1770 erreicht: James Cook befuhr sie von Süden nach Norden, überwand das große Barriereriff und fand erneut die Meeresstraße zwischen Australien und Neuguinea, deren Entdeckung (1606) die Spanier geheimgehalten hatten. Bis auf einige Abschnitte der Süd- und Südostküste war nun der Umriß Australiens bekannt. Bis 1800 sollten Engländer die noch unbekannten Küsten erforschen. Die Besiedlung Australiens erfolgte ausschließlich von Großbritannien aus. Die australische Ostküste wurde anstelle der durch den nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) verlorenen Kolonien zum neuen Platz für die Anlage von Sträflingskolonien. 1788 landete eine Flotte mit etwa 1000 Sträflingen in Port Jackson. Dort wurde die Siedlung Sydney gegründet. Freie Siedler kamen erst ab 1793. Sie führten die Schafzucht ein und wurden zu den eigentlichen Pionieren der Kolonisation. (Vgl. Karten).
Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1713/14), der zur Gleichgewichtspolitik und damit zum Schiedsrichter Großbritannien geführt hatte, war das Ruhebedürfnis groß. (Vgl. 14-16). Es kam zunächst zum Ausgleich der britisch-französischen bzw. französisch-österreichischen Gegensätze, so daß das europäische Gleichgewicht durch Konvenienz (Übereinkunft der Kabinette) gehalten werden konnte. Kongresse, Bündnisse, Teilungen und Ländertausch im Interesse der Staatsräson fanden ohne Rücksicht auf die betreffende Bevölkerung statt. In dieser Zeit (1713-1740) baute Friedrich Wilhem I., der größte innere König Preußens, den preußischen Staat zu einem Beamtenstaat aus und ließ weitere Emigranten, z.B. Salzburger Protestanten, ansiedeln. (Vgl. 14-16). Mit dem Edikt von 1717 wurde das Volksschulwesen angehoben und das adelige Offizierskorps zum ersten Stand im Staate befördert. Der Soldatenkönig trug als erster europäischer Monarch ständig Uniform, steigerte das Berufsheer auf 83000 Mann (bei 2,5 Mio. Einwohnern!) und machte den Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau (1683-1747) zum Zuchtmeister der Infanterie. Unter Friedrich Wilhelm I. gab es Drill, eisernen Ladestock und Gleichschritt, ab 1733 auch eine Dienstpflicht für die bäuerliche Bevölkerung, aber auch starke Spannungen zwischen ihm und seinen Sohn, dem Kronprinzen Friedrich (1712-1786). 1730 mußte dieser nach mißglückter Flucht der Hinrichtung seines Freundes Katte zusehen. Am Ende unterwarf sich der spätere König Friedrich II. seinem Vater. Er wurde im Staatsdienst ausgebildet und hatte ab 1736 seine eigene Hofhaltung in Rheinsberg, wo G. W. Knobelsdorf (1699-1753) von 1734 bis 1739 das barocke Schloß mit Schloßpark und Kavaliershaus für ihn baute. In dieser Zeit betrieb Friedrich II. literarische und philosophische Studien. In Rheinsberg entwarf er auch seinen Antimachiavell, bevor er 1740 das Reformwerk seines verstorbenen Vaters Friedrich-Wilhelm I. fortsetzte, innere Kolonie betrieb, Oder-, Warthe- und Netzebrüche trockenlegte, Straßen und Kanäle baute, 900 Dörfer für über 300000 Neusiedler errichten ließ und die Landwirtschaft durch Fruchtwechsel, Kartoffelanbau, Verbesserung der Viehzucht, Baum- und Forstpflege förderte. In Preußen hatten alle Stände dem Staat zu dienen und er, der König, wollte mit bestem Beispiel vorangehen. Daß er neben seiner tätigen Fürsorge auch Inspektionen und Kontrollen durchführen mußte, liegt in der Natur der Sache, denn er war, trotz aller Dienlichkeit, Dienstlickeit und Dienbarkeit, der preußische Monarch, wenn auch der aufgeklärteste und philosophischste. Friedrich II. war, wie seine Vorgänger, ein bedeutender Förderer von Wissenschaft und Kunst. Er selbst war Flötenspieler und Komponist (Fredericus Rex). Mit Knobelsdorf erhielt das friderizianische Rokoko seine Ausprägung, nicht nur durch den Bau des Schlosses Sanssouci (1745-1747). Die Preußische Akademie der Wissenschaften wurde mit neuem Leben erfüllt. Die Tafelrunde von Sanssouci und Friedrichs Freundschaft mit Voltaire machten Preußen zu einem Zentrum der deutschen Aufklärung. Der aufgeklärte Absolutismus entzog durch Teilrevolution von oben der sich geistig schon ankündigenden (französischen) Revolution von unten den Boden. Friedrich II. sah sich als erster Diener dieses in Europa viel bewunderten Obrigkeitsstaates. Der Adel, d.h. der Großgrundbesitz und die Gutsherrschaft, stellte die Offiziere und die höheren Beamten, die Bürger aus Handel und Gewerbe trugen die Steuerlasten, obwohl sie auch durch den Ausbau des Seiden-, Glas- und Porzellangewerbes unterstützt wurden. Nur die Bauern blieben weiterhin eruntertan, obwohl auch sie Meinungs- und Religionsfreiheit genossen. In dieser Zeit wandelte sich Preußen von einem Polizei- zum Rechtsstaat. Die Folter, der königliche Eingriff in Rechtsverfahren und der Ämterverkauf wurden abgeschafft, die Rechtsgleichheit und Unabhängigkeit der Rechtsprechung durch Gewaltenteilung eingeführt. Juristen wurden staatlich geprüft und besoldet, die Rechtsinstanzen vereinheitlicht durch Prozeß-, Straf- und Gefängnisordnungen. Dem Beispiel Friedrichs II. folgten viele Monarchen, auch Maria Theresia (1717-1780), die nach dem Tode des deutschen Kaisers Karl VI. von 1740 bis 1780 österreichische Königin und gleichzeitig Gemahlin des nächsten deutschen Kaisers Franz I. Stephan war. Dessen Kaiserwahl (1745) konnte den Deutschen Dualismus zwischen Österreich und Preußen aber auch nicht mehr verhindern. Maria Theresia führte, wie Friedrich II., eine innere Kolonisation durch und ließ seit 1748 verstärkte Züge der Schwaben in die südöstlichen Reichsgebiete zu: Schwäbische Türkei, Banat, Batschka, Bukowina, Siebenbürgen und viele ander Gebiete in Ost- und Südosteuropa wurden neu oder durch Zuzug besiedelt. Weil aber die Kaiserfrage im Deutschen Reich noch nicht geklärt war und der sogenannte Österreichische Erbfolgekrieg (1740-1748) durch den Angriff Preußens auf Schlesien begann, war die zuvor erreichte Ruhephase vorbei: Frankreich verbündte sich mit Preußen, Kursachsen und den wittelsbacher Kurfürsten von Bayern, Köln und der Pfalz, weil es darauf hoffte, Österreich aufteilen zu können. Erreicht wurde zunächst die Wahl des bayrischen Kurfürsten als Karl VII. zum Kaiser gegen Franz I. Stephan. Der Kriegseintritt Großbritanniens, Sardiniens und der Generalstaaten (habsburg. Niederlande) auf seiten des bis dahin isolierten Österreich führte zur Beendigung des 1. Schlesischen Krieges und zum Verzicht Österreichs auf Schlesien im Sonderfrieden von Breslau (1742), doch weitete sich der Kriegsschauplatz von Bayern, Böhmen und Mähren nach Oberitalien, ins Elsaß und in die habsburgischen Niederlande aus. 1745, nach dem Ausscheiden Bayerns im Frieden von Füssen und der Wahl Franz I. Stephan, verschlechterte sich die Lage für Preußen, obwohl Friedrich II. mit dem Ende des 2. Schlesischen Krieges im Frieden von Dresden Schlesien behauptet und Österreich dessen Abtretung bestätigt hatte. Mit der französischen Offensive in Oberitalien und in den Niederlanden verlagerte sich der Konflikt: Frankreich und Großbritannien traten als Hauptgegner hervor, unterstützt von Spanien einerseits und Österreich, Sardinien und den Generalstaaten andererseits. Der Aachener Friede (1748) bestätigte die Großmachtstellung Österreichs und unterstrich damit die politische Niederlage Frankreichs. Dieser Friede brachte jedoch keine Entspannung. Der Anstoß zur Entscheidung der weltpolitischen Konflikte ging jetzt von den Kolonialmächten und Österreich aus. Im britischen Interesse wurde der Krieg zugleich in Europa und in Übersee geführt. Es folgten der Britisch-Französische Kolonialkrieg (1754/55-1763) und der 3. Schlesiche Krieg (1756-1763). Auf diese Weise wurde Kanada in Schlesien und Schlesien in Nordamerika und Indien gewonnen. Weil es seine Kriegsziele in Übersee erreicht hatte, stellte Großbritannien 1761 die Subsidien an Preußen ein. Preußen mußte den Krieg alleine und gegen eine 20fache Übermacht (der Einwohnertzahl nach) gewinnen. 1763 waren beide Kriege zu Ende, und die Sieger standen fest: Preußen und Großbritannien. Für künftge Haupt- und Staatsaktionen ließ Friedrich II. die Bauherrn Büring, Gontard und Manger nach diesem 7jährigen Krieg das Neue Palais in Potsdam bauen (1763-1769): ein holländisch-westfälisch inspirierter Prachtbau und ein Macht demonstrierender Gegenpol zum vergleichbar kleinen, feinen und intimen Sanssouci. Friedichs II. letztes Bauwerk in Sanssouci, das Belvedere, war ein zweigeschossiger Rundbau mit Ausblick und je einem einzigen runden Saal, offenen Säulenumgängen sowie Freitreppe und wurde 1770 bis 1772 nach altrömischen Vorbild von Unger erbaut. Dieser schöne Ausblick war für spezielle Festlichkeiten gedacht, und Feste zu feiern gab es jetzt ja, jedenfalls für Preußen und Großbritannien. Letzteres, weil es Kanada, Lousiana, Kap Breton, Senegambien von Frankreich und Florida von Spanien erhalten hatte. Ganz Nordamerika wurde englisch, während der Deutsche Dualismus zwischen Österreich und Preußen weiterging und dem Deutschen Reich eine weitere klaffende Wunde bescherte. Dennoch: Die Friedensorte Paris und Hubertusburg bestätigten eine neue Weltmacht und eine neue Großmacht. (Vgl. Karten).
Auch in der Antike gab es einen Dualismus, und zwar in erster Linie den zwischen Sparta und Athen. Hier spielte Persien die Rolle des begünstigt Außenstehenden. Diese Tatsache erwies sich auch durch den Peloponnesischen Krieg (431-404), aus dem Sparta als Hegemonialmacht hervorging, Persien aber der eigentliche Sieger war. Der folgende Krieg Spartas gegen Persien (399-394) weitete sich zum Korinthischen Krieg (395-387) aus, in dem Athen, Korinth und Argos gegen Sparta von Persien unterstützt wurden, dann aber, weil Athen die Erneuerung des Attischen Seebundes und die Wiedererrichtung der Festung Athen-Piräus anstrebte, Persien und Sparta in ein Bündnis getrieben wurden. Spartaner und Perser sperrten den Bosporus und damit die Getreidezufuhr aus den skythischen Gebieten. Der Königsfriede zwischen Athen und Sparta (387), die Gründung des 2. Attischen Seebundes (377) gegen spartanische Übergriffe und der Landfriede zwischen Athen und Sparta folgten. Doch während der Friede zwischen Sparta und Athen trotz des Risikos, das mit dem erneuten Seebund heraufbeschworen wurde, halbwegs gesichert schien, ging der Kampf des demokratischen Theben gegen das aristokratische Sparta weiter. Theben siegte 371 unter Epameinondas (420-362) bei Leuktra aufgrund der schiefen Schlachtornung und befreite Messenien von der spartanischen Herrschaft. Diese erste Niederlage eines spartanischen Heeres in offener Feldschlacht war der Beginn des Niedergangs Spartas. 369 verbündeten sich Sparta und Athen gegen Theben, das eine eigene Flotte aufbaute und mit Zustimmung Persiens zur neuen Hegemonialmacht in Griechenland wurde. 362 besiegten die Thebaner Sparta und Athen in der Schlacht bei Mantineia, aber ihr großer Führer Epameinondas wurde verwundet und starb, so daß mit dem Ende des Thebanischen Krieges, den Theben gewann, die Hegemonie Thebens zu Ende war.
Eine typisch antike Erfindung war die Demokratie, die allerdings nicht im abendländischen Sinne verstanden werden darf. Volksherrschaft bzw. Demokratie, wie wir sie verstehen, war in der Antike nicht nur als Ochlokratie verpönt, sondern auch auch dem antiken Seelenbild entsprechend verfaßt. Aber abendländisch betrachtet ist der Begriff genauso irreführend wie die allgemein verbreitete Ansicht, daß Kleisthenes durch seine Reformen der Jahre 509 und 508 (507) zum Urheber der Demokratie geworden oder Perikles (500-429) der Vollender der Demokratie gewesen sei. Wort und Begriff wurden erst später in der griechischen Philosophie entwickelt. Entsprechend der Anzahl derer, die Herrschaftsgewalt ausübten, wurde im Gegensatz zur Monarchie und zur Aristokratie als Demokratie diejenige Herrschaftsform bezeichnet, in der die Macht bei allen Bürgern lag. Handelte es sich aber auch später wirklich um eine Demokratie im Sinne einer Volksherrschaft, wenn seit der Entmachtung des Adels (458) in Athen das Volk herrschte oder zu herrschen schien, laut Bürgerrechtsgesetz (451) das Volk aus Bürgern bestand, die Anzahl der Sklaven seit 375 aber 10mal so hoch war wie die der Bürger, bürgerliche Eltern aus Attika stammen mußten und kein Bürgerrecht bestand, wenn die Mutter Ausländerin war? (Vergleich). Bei allen antiken Philosophen wurde die Demokratie überwiegend zu den entarteten Regierungsformen gezählt. Der seit 458 durch die Zulassung der 3. Klasse zum Archontat vollendeten Demokratie verlieh Perikles schon ab 443 monarchistischen Charakter. Diese typisch antik-athenische Vollendung der Demokratie ist am ehesten zu vergleichen mit der typisch abendländisch-englischen Glorreichen Revolution von 1688, der Vollendung der Aristokratie, verstanden als Stärkung des Ständestaates (Oligarchie) wegen der Bindung des Königs an das Parlament (konstitutionelle Monarchie). England und andere abendländische Staaten machten genau die positiven Erfahrungen mit der konstitutionellen Monarchie wie die Athener und andere antike Poleis mit der konstitutionellen Demokratie. Das Strategenamt war die rechtliche Grundlage für die Herrschaftsstellung des Perikles, der der bedeutendste Redner seiner Zeit war und nach Beseitigung der Opposition als Volksführer (Demagoge) jährlich zum Strategen gewählt wurde. Das Perikleische Zeitalter (443-429) galt und gilt als Glanzzeit Athens sowie als ein Höhepunkt klassisch-griechischer Kultur: die aus mykenischer Zeit stammende Akropolis – mit ihrem Skulpturenschmuck – entstand neu in dieser Zeit unter Leitung des Phidias. Perikles pflegte Kontakte mit Phidias und seiner Gattin Aspasia, mit Sophokles, Anaxagoras, Herodot, Hippodamos, Protagoras u.a. wichtigen Personen. Doch damit wuchs gleichzeitig die Opposition, zu der auch der Geschichtsschreiber Thukydides gehörte: Athen war „dem Namen nach eine Demokratie, in Wirklichkeit aber die Monarchie des ersten Mannes“ (Thukydides). Dieser erste Mann, der autoritäre Perikles, wurde 430 abgesetzt und starb an der Pest, die 429 in Athen ausbrach und der in 4 Jahren ein Drittel der attischen Bevölkerung zum Opfer fiel.
Um 430 v.Chr gab es in Athen 90000 Einwohner, davon waren 30000 Einwohner Bürger, 35000 Einwohner Sklaven und der Rest Nicht-Bürger. Nur 50 bis 60 Jahre später, um 375 v. Chr., gab es 10mal soviel Sklaven wie Bürger. So gesehen ist die antike Demokratie vergleichbar mit der abendländischen ständestaatlichen Ordnung, verstanden als Aristokratie bzw. Oligarchie. Denn wenn nur Bürger die Politik demokratisch beeinflussen dürfen – Sklaven, Unfreie und andere Nicht-Bürger ausgenommen -, dann ist das vergleichbar mit einer Demokratie, die z.B. Österreich über das politische Schicksal ganz Deutschlands (10mal soviel Einwohner) abstimmen ließe. Abendländische Demokratietheoretiker wie Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) oder Thomas Jefferson (1743-1826) befürworteten, die weitere Entwicklung sozialer Unterschiede zu verhindern, aber durch Industrialisierung und Ausbreitung des Kapitalismus sollten die natürlich noch verstärkt werden. Überhaupt sollten soziale Ungerechtigkeiten, insbesondere die Sklaverei, noch andauern und die bedeutenden Zeiten der Industrialisierung und des Kapitalismus erst noch kommen. (Vgl. 18-20, 20-22, 22-24).
Weil in einer Zeit der Aufklärung die Staatsdinge auch für einen Herrscher nicht wie im Handumdrehen zu erledigen sind, der Anspruch auf Perfektionismus aber aufrechterhalten bleiben soll, gibt es viel Dienst und mühsame Arbeit für die pflichtbewußten Staatsdiener. Das gilt auch z.B. für Staatstheoretiker und Historiker. Thukydides (460-396) und Xenophon (430-354) hatten also wie Charles de Montesquieu (1689-1755) und Justus Möser (1720-1794) viel Material zu bearbeiten. Nicht ganz so pedantisch gehalten ist die folgende Tabelle, in der die antiken Daten rot gefärbt sind:
um -460/450) Leukipp, Lehrer des Demokrit (Atomist)
-458) Athen läßt die 3. Klasse (Zeugiten) zum Archontat zu
(Entmachtung des Adels führt zur
politischen Verantwortung des Volkes im Sinne des
Bürgerrechtsgesetzes: Bürger müssen aus Attika sein;
Verlust des Bürgerrechts für Athener mit ausländischer Mutter)
(Vgl. Demokratie)
1700) Seit Ende des 2. Türkenkrieges (1683-1699) ist Österreich Großmacht (Held: Prinz Eugen).
Wien wird politischer, wirtschaftlicher und kultureller Mittelpunkt des Deutschen Reiches
– 450) Zwölftafelgesetze schaffen das öffentliche und private römische Recht
(gegen den Widerstand der Patrizier)
Römische Plebejerversammlung erzwingt Aufhebung des
Verbots der Heirat zwischen Plebejern und Patriziern
Bauvollendung: Tempel des Theseus (Thesion) in Athen
Bauvollendung: Tempel des Poseidon in Paestum
um -450) Sophistik gewinnt immer mehr an Bedeutung (Protagoras, Gorgias u.a.):
Der (einzelne) Mensch ist das Maß aller Dinge (Protagoras)
Es ist nichts. und wenn doch, dann nicht mitteilbar (Gorgias)
um 1700) Musik: Hamburger Oper
(Johann Wolfgang Franck, Johann S. Kusser, Kohann Theile, Reinhard Keiser)
1700) Wahrscheinlichkeitsrechnung (Jakob Bernoulli)
Der Gregorianische Kalender (von 1582) gilt ab jetzt auch in protestantischen Ländern
Beginn des Nordischen Krieges (Dänemark, Rußland und Polen gegen Schweden). Ende: 1721
Aussterben der Habsburger in Spanien. Nachfolger in Spanien wird ein frz. Bourbone. Deshalb:
1701) Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges (Spanien, Frankreich, Köln, Bayern gegen
England, Niederlande, Preußen, Potugal, Deutsches Reich) Ende: 1714
Friedrich III., seit 1688 Nachfolger des Großen Kurfürsten, krönt sich selbst in Königsberg zum
König in Preußen (Friedrich I.). Er wird höfischer Barockkönig
Gründung der preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin (Gottfried Wilhelm Leibniz)
Neubaubeginn: Kloster Melk
1702) Universität Breslau
1703) Baubeginn: Buckingham Palace
Baubeginn: Langhaus der Nikolauskirche auf der Prager Kleinseite (Christoph Dientzenhofer)
1704) Musik: Almira. Die Oper wird 1705 in Hamburg aufgeführt (Georg Friedrich Händel)
Neubaubeginn: Dom in Fulda (Johann Dientzenhofer)
– 449) Doppelschlacht von Salamis: Athen besiegt (mit Bundesgenossen)
Heer und Flotte der Perser und Phönizier
– 448) Wiederaufbau-Beginn: Akropolis, Parthenontempel (im zeitgemäßen
dorischen Stil) mit 160m langem Fries (Phidias)
Ende der Perserkriege
-446) Athen und Sparta schließen einen 30jährigen Frieden
– 445) Herodot (Vater der Geschichtsschreibung) hält in Athen eine öffentliche Vorlesung
1705) Philosophische und juristische Klagen gegen Hexenprozesse und Folter (Christian Thomasius)
1706) Bauvollendung: Invalidendom (Jules Hardouin Mansart)
1707) England und Schottland werden zum Königreich Großbritannien vereinigt
Neubaubeginn: Fürstäbtliches Residenzschloß (Johann Dientzenhofer)
Böttgersteinzeug und (1717) 1. europäisches Porzellan (Johann Friedrich Böttger [Böttiger], Meißen)
1708) In Rußland wird die heutige Schrift eingeführt
1709) Rußland besiegt die Schweden bei Poltawa (Nordischer Krieg, 1700-1721)
Baubeginn: St. Paul’s Cathedral (Christopher Wren)
– 443) Dichtung (Trgödie). Antigone (Sophokles)
– 443- 429) Perikleisches Zeitalter(Athen): Perikles wird für
15 Jahre zum Feldherrn gewählt (jedes Jahr neu)
In Athen (90000 Einwohner) sind 30000 Einwohner Bürger,
35000 Einwohner Sklaven und der Rest Nicht-Bürger
Wirken des Statuen- und Bronzebildners Polyklet (Werk u.a.: Speerwerfer)
Wirken des Philosophen Anaxagoras: Grundlage des Seins sind die vom
Weltverstand (Nous) geordnete Urteilchen (unendlich kleine Elemente)
-441) Hippodamos von Milet entwirft erste abstrakte, planmäßig angelegte Städte (z.B. Thurioi)
um 1710) Musik: Instrumentalmusik: 6 Suiten, 6 Brandenburgische Konzerte, 6 Konzerte für 1-3 Violinen
4 Ouvertüren, Konzerte für 1-4 Klaviere, weitere Konzerte, … u.v.m. (Johann Sebastian Bach)
Kammermusik, Klaviermusik, Orgelwerke (Präludien, Fugen, Tokkaten, Fantasien u.s.w.),
Vokalwerke (kirchliche weltliche Kantaten), Passionen, Oratorien, … (Johann Sebastian Bach)
Opern, Oratorien, sonstige Vokalwerke, Passionen, Kantaten, … u.v.m.,
Instrumentalmusik, Konzerte, Orgelkonzerte, Sonaten, Klaviersuiten (Georg Friedrich Händel)
1710) 1. Ausgrabungen in Pompeji und Herculaneum (Vgl. 22-24)
G. W. Leibniz‘ Bestrebungen, die christlichen Kirchen zu vereinigen, scheitern
Musik: Oper: Ludwig der Fromme, Heinrich der Löwe (Georg K. Schürmann)
1711) Baubeginn: Zwinger im Elbflorenz Dresden (Matthäus Daniel Pöppelmann)
Baubeginn: Schloß Weißenstein in Pommersfelden, bei Höchstadt an der Aisch
(Plan: J . L. Hildebrandt; Plan und Werk: Johann Dientzenhofer)
1712) Letzte Hinrichtung einer Hexe in England
Dreifarbendruck (Le Blond)
Zar Peter I. reformiert Rußlands Wirtschaft und Verwaltung nach westlichem Muster
Der Alte Dessauer, Leopold von Anhalt-Dessau, wird preußischer Feldmarschall
Musik: 12 Concerti grossi (Arcangelo Corelli)
1713) Friede von Utrecht (Spanischer Erbfolgekrieg). Er stellt ein europäisches Gleichgewicht her:
Preußen wird als Königreich, Philipp V. (Bourbone) als König von Spanien anerkannt
Ergebnis: Sieg der englischen (britischen) Gleichgewichtspolitik. England wird Schiedsrichter,
Frankreich geschwächt, Österreich gestärkt. England erhält frz. Gebiete in Nordamerika
England schließt einen Handelsvertrag mit Spanien. Es beliefert, wie früher Frankreich,die
spanischen Kolonien mit Negersklaven.
In England entstehen die erste Koks-Hochöfen.
Erweiterungsbau: Westportal des Berliner Schlosses (Johann Friedrich von Eosander (Göthe))

– 439) Aufstand der Plebejer in Rom
Lucius Quinctius Cinncinatus wird in Rom zum Diktator ernannt
1714) Friede von Rastatt: Ende des Spanischen Erbfolgekrieges.
Österreich erhält Neapel, Mailand. Sardinien und die spanischen Niederlande,
Stärkung Österreichs und Schwächung Frankreich. Englands Gleichgewichtspolitik
Georg I. aus dem Hause Hannover wird König von England (Großbritannien)
Großbritannien und Hannover bleiben bis 1837 durch Personalunion vereinigt.
Monadaenlehre bzw. Monadologie (Gottfried Wilhelm Leibniz)
Leibniz schlägt auch ein System von Pavillons für Krankenhäuser vor
Preußen verbietet Hexenprozesse
Deutsche Aufklärung: umfassende Begriffsbestimmung auf rationalistischer Grundlage:
Vernünfige Gedanken von Gott, Welt und der Seele (Christian Wolff)
Englischer Deismus. Natürliche Religion gegen kirchliche Religion:
A discorse of freethinking. Abhandlung über Freidenkertum(Collins)
Musik: Wassermusik (Georg Friedrich Händel)
Musik: Violinkonzerte (Antonio Vivaldi)
1716-1718) 3. Türkenkrieg. Siege Prinz Eugens: Österreichs (Habsburgs) größte Ausdehnung
1716) Baubeginn: Karlkirche in Wien (Johann Bernhard Fischer von Erlach)
1717) Schulpflicht in Preußen

um -430) Demokrit gründet die Demokritische Schule (Atomisten)
1718) Franzosen gründen New Orleans
Die Neuberin, die Schauspielerin Friederike Karoline Neuber, tritt erstmalig auf. Als Leiterin
einer Schauspieltruppe, verbannt sie den Hanswurst von der Bühne
1718) Zar Peter I. läßt seinen reformfeindlichen Sohn zu Tode foltern
In Rußland werden Dörfer samt Einwohner verkauft
1719) Literatur: Robinson Crusoe (Daniel Defoe)
– 432) Sparta verbündet sich mit Korinth gegen Athen
Bauvollendung: Torweg (Propyläen) der Akropolis (Mnesikles)
– 431) Beginn des Peloponnesischen Krieges (bis 404) zwischen dem
aristokratisch regierten Sparta und dem demokratischen Athen,
zwischen Landmacht und Seemacht
Dichtung (Tragödie): Medea (Euripides)
– 430) Friedensangebot der Athener wird von Sparta abgelehnt
Rom: Tempel zu Ehren des griechischen Gottes Apollon
– 429) Kleon wird Nachfolger des im belagerten Athen gestorbenen Perikles (Pest)
Pest in Athen: Tod eines Drittels der attischen Bevölkerung in 4 Jahren
1720) Baubeginn: Residenz in Würzburg (Balthasar Neumann)
Staatsbankrott in Frankreich
1721) Friede von Stockholm, Frederiksborg und Nystad. Ende des Nordischen Krieges
Ergebnis: Rußland löst Schweden als (Ostsee-) Großmacht ab
1722)Musik: Wohltemperiertes Klavier (Johann Sebastian Bach)
1723) Musik: Johann Sebastian Bach wird Thomaskantor in Leipzig
Musik: Magnificat (Johann Sebastian Bach)
1724) Musik: Johannespassion (Johann Sebastian Bach)
1724-1749) Musik: h-moll-Messe (Johann Sebastian Bach)
– 425) Nach einem Sieg über Sparta lehnt Kleon das Friedensangebot der Spartaner ab
Prostitution derHierodulen (Heilige Sklavinnen) im Aphrodite-Tempel zu Korinth
– 424) Kleon fällt in deer Schlacht bei Amphipolis, in der Sparta Athen besiegt
Hippokrates (griechischer Arzt) von Kos erkennt die Heilkraft der Natur
Sokrates lehrt die (sokratische) Methode: Der Schüler soll im Zwiegespräch
durch Fragen angeregt werden und dadurch selbst die Wahrheit finden
1725) Philosophischer Nationalismus. Neuere Geschichtsphilosophie und Völkerpsychologie:
Prinzipien einer neuen Wissenschaft (Giovanni Battista Vico)
1726) Baubeginn: Dresdner Frauenkirche (Georg Bähr)
François-Marie Arouet Voltaire (Philosoph der französischen Aufklärung),
zweimal in der Bastille eingekerkert, emigriert nach England
Literatur: Gullivers Reisen (Jonathan Swift)
1727) Lichtempfindlichkeit der Silbersalze – Grundlage der Photographie (Johann Heinrich Schulze)
Bauvollendung: Schloß Mirabell in Salzburg (Johann von Hildebrandt)
1728) Aberration des Lichtes (Grimaldi)
1729) Musik: Matthäuspassion (Johann Sebastian Bach)
– 421) Der Peloponnesische Krieg wird für 3 Jahre unterbrochen
(Friede des Nikias, der Führer der Oligarchen ist),
der Peloponnesische Bund (Sparta stützend) wird aufgelöst,
der Attische Seebund (Athen stützend) bleibt bestehen
Baukunst: Nike-Tempel auf der Akropolis (dorisch-ionischer Mischstil)
– 418) Fortgang des Peloponnesischen Krieges (bis -404)
um 1730) Musik: Die Pilger (Oratorium), Opern (Johann Adolf Hasse)
Musik: Violinkonzerte, Sinfonien, Kammermusik (Johann G. Graun)
1731) Musik: Markuspassion (Johann Sebastian Bach)
1732) Ansiedlung von 20000 Salzburger Protestanten in Preußen
1733) Musik: Die Magd als Herrin (Giovanni Battista Pergolesi)
Baubeginn: Johann-Nepomuk-Kirche in München (Gebrüder Asam)
1734) Musik: Weihnachtsoratorium(Johann Sebastian Bach)
1735) Natürliches System der Lebewesen (Carl von Linné)
Gußstahl (Huntsman)

– 415) Auf Veranlassung des Alkibiades (Gegner des Nikias) unternimmt
Athen unter Leitung des Nikias einen Feldzug gegen Sizilien,
– 413) Nikias wird wegen mangelnden Kriegsglücks hingerichtet
– 412) Eingreifen Persiens (Hilfgsgelder) zugunsten Spartas
1738) Spinnmaschine (Wyatt)
Kinetische Gastheorie (Bernoulli)
Philosophie: Antimachiavell (verfaßt vom
preußischen Kronprinzen Friedrich II.,
veröffentlicht von F. A. Voltaire)
1740) Friedrich II. wird König von Preußen:
Abschaffung der Folter, Verwirklichung
religiöser Toleranz, Orden pour le mérite
Die Mathematiker Leonhard Euler und
Pierre Louis Maupertius werden nach Berlin berufen
1. Schlesischer Krieg (1740-1742) und:
Österreichischer Erbfolgekrieg (1740-1748)
(Deutscher Dualismus: Preußen-Österreich)

– 411) Einführung der Oligarchie in Athen (Rat der 400):
Volksversammlung von nur 500 besitzenden Bürgern
Thukydides, griechischer Historiker, beschreibt den Peloponnesischen Krieg;
gilt deshalb als Vater der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung
Der Dichter Aristophanes beschreibt den Widersinn des
griechischen Bruderkampfes in: Lysistrata
1741) Gründung des Wiener Burgtheaters
1742) Thermometereinteilung (Anders Celsius)
1744/1745) 2. Schlesischer Krieg
1745) Baubeginn: Schloß Sanssouci (Georg von Knobelsdorf) – 405) Sieg der Spartaner unter Lysander
Elektrischer Kondensator (Ewald Jürgen von Kleist)
1746) Literatur: Geschichte meiner Zeit (Friedrich II.)
1747) Zuckergehalt der Rübe (Andreas Sigismund Marggraf)
1748) Friede von Aachen: Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges
Staatsphilosophie: Geist der Gesetze (Charles de Montesqieu)

– 405) Sieg der Spartaner unter Lysander
404) Belagerung und Übergabe Athens
Friedensbedingung: Schleifung der Langen Mauern, Auflösung des Attischen Seebundes,
Verpflichtung zur Heeresfolge. Einführung der Oligarchie (30 Tyrannen) in Athen
Hegemonie Spartas. Endgültiger Sieger ist jedoch Persien
403) Die von den Spartanern in Athen errichtete Herrschaft der
30 Tyrannen wird durch die Demokratie abgelöst
-401) Xenophon, Geschichtsschreiber aus Athen und Schüler des Sokrates, führt die
griechischen Söldner des Kyros d.J. zurück und beschreibt diesen Zug
in seinem Werk Anabasis (Der Weg zurück)
1747-1758) Kants naturwissenschaftliche Entwicklung
1750-1752) Voltaire lebt bei Friedrich II. auf Schloß Sanssouci

um -400) Kyniker (Antisthenes, zuvor Schüler des Sophisten Gorgias)
Kyrenäiker (Hedoniker: Aristippos, zuvor Schüler des Sokrates)
Korinthisches Kapitell erfunden (Kallimachos)
Beginn der korinthischen Säulenordnung (Korinthik)
Einfall der Kelten in Italien und Ansiedlung in der Po-Ebenes
-399) Sokrates, als Religionsfrevler und Verderber der Jugend verurteilt,
muß den Giftbecher nehmen
1751) Hinterladergewehr (Chaumette)
1752) Blitzableiter (Franklin)
1754) Eisenwalzwerk (Cort)
-396) Platon, Schüler des Sokrates, verfaßt zu dessen Verteidigung seine Apologie
Dionysos, Tyrann auf Sizilein, bewirtet Samokles unter einem
an einem Pferdehaar aufgehängten Schwert
Die etruskische Hauptstadt Veji wird von den Römern zerstört
– 395-393) Im Sizilianischen Krieg zerstören die Karthager Messina,
werden aber danach mit Flotte und Heer von Syrakus geschlagen
-395-387) Korinthischer Krieg (Korinth, Athen und Theben kämpfen
gegen die Vorherrschaft Spartas)
1754-1763) Britisch-Französischer Kolonialkrieg
1750/60) Beginn des Sturm & Drang.
Sensualismus (Condillac) und Früh-Positivismus (Hume, d‘ Alembert)
1755) Nähmaschinen-Vorform: Masch. Vorrichtung zum Zusammennähen von Webwaren (Weisenthal)
1756) Kant wird Privatdozent in Königsberg (Ostpreußen)
1756-1763) 3. Schlesischer Krieg (7jähriger Krieg)
1757) Englische Aufklärung: Naturgeschichte der Religion (David Hume)
Deutsche Aufklärung: Oden und Lieder (Christian F. Gellert)
Französische Aufklärung: Der natürliche Sohn (Denis Diderot)
1758-1781) Kants metaphysische Entwicklung (von Wollfs Lehre zur kritischen Metaphysik)
1758) Malkunst: Die Parlamentswahlen (William Hogarth)
1759) Musik: 1. Symphonie D-Dur (Joseph Haydn)

-390/380) Demokrit (Atomismus) erklärt alles Geschehen aus dem
Atomaufbau (Atomismus-Lehre) (Vgl. 18-20)
Einzelgänger-Philosophen (u.a. Hippokrates) (Vgl. 18-20)
-390/370) Späte Sophisten (Gorgias, Hippias) (Vgl. 18-20)
-390/350) Sokratiker (Xenophon) (Vgl. 18-20)
-390/350) Kyniker (Antisthenes, Diogenes) (Vgl. 18-20)
bis 1760/78) Rousseauismus (Alter Rousseau und Anhänger)
1760/80) Rousseau-pietist. bew. Sturm & Drang
1761) Musik: Joseph Haydn wird Kapellmeister in Eisenstadt
1762) Philosophie: Contrat social (Gesellschaftsvertrag; Rousseau)
Musik: Der 6jährige Wolfgang Amadeus Mozart spielt auf einer
Konzertreise vor der Kaiserin Maria Theresia
Archäologie, neuere Kunstwissenschaft und Wegbereitung des Klassizismus (Winckelmann)

-387) GallierKatastrophe: Kelten unter Brennus, zerstören Rom

1763) Ende des 3. Schlesischen Krieges und des Britisch-Französischen Kolonialkrieges
Friede zu Hubertusburg (Preußen gewinnt gegenüber Österreich und Sachsen)
Friede zu Paris (England gewinnt gegenüber Frankreich und Spanien)
1764) Musik: Der 8jährige Wolfgang Amadeus Mozart schreibt seine 1. Symphonie
Ende der Aufklärung bis Kritizismus (wolffscher bis kritischer Kant)
1764/65) Spinnmaschine (Hargreaves) / Wattsche Dampfmaschine (Watt)
Beginn der Industriellen Revolution in England -385) Akademie (Platon) (Vgl. 18-20)
1765) Bergakademie Freiberg – älteste Technische Universität der Welt
1765) Deutsche Siedler gründen in Rußland die Wolga-Kolonie
1766) Lothringen kommt durch Erbfall an Frankreich
1766) Entdeckung: Wasserstoff (Cavendish)
1767) Spanien weist alle Jesuiten wegen Hochverrats aus
1768) Musik: Der 12jährige Mozart komponiert das Singspiel Bastien und Bastienne
Frankreich kauft von Genua die Insel Korsika:
Napoleon wird dadurch als Franzose geboren (*15.08.1769)
Physiokratische Volkswirtschaftslehre (Turgot und Quesnay)
1770) Beginn der Wiener Klassik
Philosophie: Immanuel Kant wird als Professor an die Universität Königsberg berufen
James Cook nimmt für England Australien in Besitz
Entdeckung: Sauerstoff (Carl Wilhelm Scheele)

-379) Platon lehrt in seinem Phaidon die Unsterblichkeit der
Seele und die Kugelgestalt der Erde

Herder und Goethe als junge Dichter und Schriftsteller (Vgl. 18-20)
1772) Entdeckung: Stickstoff (Rutherford)
1. Teilung Polens zwischen Preußen, Österreich und Rußland
(2. Teilung Polens zwischen Preußen und Rußland, 1793,
3. Teilung Polens zwischen Preußen, Österreich und Rußland, 1795)
Dichterbund (Hainbund) in Göttingen
1. ausgebaute Alpenstraße: die Brennerstraße
1772-1775) Auf seiner 2. Reise beweist J. Cook die Nichtexistenz der Terra australis und überquert
1773) Teaparty of Boston: Kolonisten in Nordamerika verlangen Vertretung im englischen Parlament
1773/1774) zweimal den südlichen Polarkreis: Entdeckung der Antarktis

-377) 2. Attischer Seebund (Kampfinstrument Athens gegen Sparta)

1775) Nordamerikanischer Unabhängigkeitskrieg
Beginn der Weimarer Zeit für Goethe (frühe Weimarer Klassik)

um -375) Athen beherbergt 10mal soviel Sklaven wie Bürger (Vergleich)
1776)Unabhängikeitserklärung der 13 nordamerikanischen Kolonien Englands:
Sie proklamieren die unveräußerlichen Menschenrechte
Liberale Nationalökonomie (Adam Smith)
1778/80) Taucherglocke (zum Bau unter Wasser) / Verbrennungstheorie (Smeaton / Lavoisier)
-390/350) Späte Pythagoräer (Archytas von Tarent) (Vgl. 18-20)
um -390/350) Kyniker (Antisthenes/Diogenes von Sinope) (Vgl. 18-20)
-390/350) Kyrenäiker (Hedon.: Aristippos) (Vgl. 18-20)
1780/92) Neuhumanismus (Lessing, Herder, Goethe, Schiller, Humboldt)
1781-1793) Kants kritische Entwicklung (kritische Philosophie)
Kritizismus (Transzendental-Idealismus, -Erkenntnistheorie: Kant)
1782) „Letzte Hexe Europas“ wird in Glarus (Schweiz) geköpft
1783/85) Heißluftballon / Mechanischer Webstuhl (Mongolfier / Cartwright)
1788) Nach Goethes Italien-Reise: Beginn der Weimarer Klassik
1789) Beginn der „französischen Revolution“
1793-1804) Kants nachkritische Phase (Bindeglied zwischen Kants Kritizismus und Deutschem Idealismus)
1794) Musik: Beethoven beginnt mit seinen größten Werken (bis 1827)
1794) Ethik-Idealismus (Fichte)
1795) Menschenbildungs-Idealismus (Schiller)
1795/99) Individuell-ästhetischer Idealismus (Schlegel)
1799) Ästhetisch-religiöser Idealismus (Kant)
1799/1801) Absoluter Idealismus (Identitätsphilosophie: Schelling)
1799) Alexander von Humboldt beginnt mit seinen weltweiten Expeditionen und Entdeckungen (bis 1859),
bereichert u.a. die botanische Systematik um 5000 neue Arten zu den bisher 8000 bekannten Arten,
begründet u.a. die Pflanzengeographie (Geobotanik); er ist also der wahre, der wissenschaftliche
Entdecker Amerikas
um 1800) 83% der Erde (60% ihrer Landfläche) sind bekannt (vgl. 10-12, 14-16, 22-24)
um 1800) Hochklassisches Neuhochdeutsch (Höhepunkt der deutschen Sprache)
(Vgl. AHD, Früh-MHD, Klassisches MHD, Spät-MHD, Früh-NHD, Klassisches NHD, Spät-NHD)
1800) Logischer Idealismus (Panlogismus: Hegel) -335) Peripatetiker (Aristoteles)
-325) Pytheas (aus Massilia), griechischer Seefahrer und Geograph,
befährt die Nordsee (1. Nachricht über Germanen)
1800) Nicht-euklidische Geometrie (Gauß)
um -315) Euklidische Geometrie (Euklid)
1800) Papiermaschine (Robert)
1800) 1. Dampflokomotive (Trewithick)
1802) Erste erfolgreiche Keilschrift-Entzifferung: Georg Friedrich Grotefend
1800/04/07) Drehbank / Netzstrickmaschine / Dampfschiff (Maudsley / Jayquard / Fulton)
1806) Franz II. legt die Kaiserkrone nieder (06.08.): Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation
1807) Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein führt als Minister liberale Formen durch
1807/11) Neue Nomenklatur und Symbole in der Chemie (Berzelius)
um 1810) Vitalismus (u.a. Louis Dumas)
1808) Vergleichende Sprachwissenschaft (Wegbereiter: Schlegel, Begr.: Bopp, Gebr. Grimm)
1812) Germanische Altertumswissenschaft, Germanische Sprachwissenschaft, Deutsche Philologie (Grimm)
ab 1812) Begründung der „Vergleichenden Sprachwissenschaft“: Franz Bopp
(Beweis für die Verwandtschaft indogermanischer Sprachen); Hauptwerk: „Vergleichende
Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und
Deutschen“ (6 Bände, 1816 bzw. 1833-55).

1812) Schnelldruckpresse (König, Bauer)
1813) 16. Oktober: Völkerschlacht bei Leipzig (Niederlage Napoleons)
1814) 31. März: Einzug der Verbündeten in Paris und Absetzung Napoleons
1814) Spektroskop (Fraunhofer)
1814) Fraunhofer-Linien, Absorptions- und Emissionslinien im Sonnenspektrum (Fraunhofer)
1814/15) Wiener Kongreß (Beginn der „Restauration“), Deutscher Bund
1815) Der dem schon so gut wie besiegten englischen Feldmarschall Wellington zur Hilfe kommende
Generalfeldmarschall Blücher besiegt Napoleon am 18. Juni bei Waterloo
1815) Polarisation des Lichts / Wellentheorie des Lichts (Malus / Fresnell)

Letzte Tabelle Nächste Tabelle

Aus der Tabelle gehen trotz der gehäuften Daten die Gegensätzlichkeit und die Nicht-Gegensätzlichkeit der beiden Kulturen Antike und Abendland hervor. Für diese Aufklärungsphase kann man grob folgendes feststellen: Antik werden Demokratien die Regel und konstitutionelle Monarchien bleiben die Ausnahme; im Abendland werden konstitutionelle Monarchien die Regel und Demokratien bleiben die Ausnahme. Aufgrund des Ursymbols wären antik verstandene Demokratien im Abendland und abendländisch verstandene Konstitutionsmonarchien in der Antike ein kultureller Todesstoß gewesen . Beide Kulturen brachten auch in dieser Phase ihre je spezifische Verfassungsart zustande, die ihnen eigentlich schon von Beginn an innewohnten. In der Tiefe aber entwickelten beide Kulturen auch in dieser Phase nichts Unterschiedliches, sondern (Tiefen-) Gleiches wie z.B. Konvenienz, Aufklärung, Oligarchien, wobei es egal ist, ob sie diese als Demokratien oder sonstwie bezeichneten. Der unendliche Raum als Ursymbol des Abendlandes war und ist für demokratische Formen antiker Art nicht so geeignet wie die Polis, die als Einzelkörper, als Ursymbol der Antike, zu verstehen ist. Im Abendland herrschten deshalb vornehmlich oligarchische Landesoberhäupter, die ihre Territorilapolitik über die Kabinette regelten und die Stände mehr oder weniger mitbestimmen ließen. In der Antike hingegen gab es kaum Territorialstaaten, sondern fast ausschließlich punktförmige Stadtstaaten. Auch Rom verstand sich als Stadtstaat. Sogar die in entfernteren Orten lebenden Einwohner des von uns so bezeichneten Römischen Reiches waren, wenn sie römisches Recht besaßen, römische Bürger in ihren Stadtstaaten, weil alles punktuell auf die Polis Rom zugeschnitten war. Der Polisgedanke kann als der politische Ausdruck für das einzelkörperliche Ursymbol, der Territorialgedanke eher als derjenige für das räumliche Ursymbol angesehen werden. Dahingehen unterscheiden sich beide Kulturen wie Gegensätze. Wenn man aber auf die Tatsachen und Wirkungen blickt, zeigt sich ein nahezu identisches Bild. Die politischen Verfassungen waren in dieser Phase in beiden Kulturen sowohl demokratischer als auch monarchistischer Art, und unterm Strich kann man sie als oligarchisch oder ständestaatlich bezeichnen. In beiden Kulturen blieb prozentual die gleiche Anzahl an Menschen von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Weil aber beide Verfassungen aufgrund ihrer oppositionellen Ursymbole und der damit verwandten Seelenbilder als unterschiedlich zu verstehen sind, werden ihre oberflächlichen Phänomene von vielen sogenannten Experten auch ganzheitlich als unterschiedlich angesehen. Da folgen sie aber einem Trugschluß. Beispiel: Wenn 2 Jugendliche 2 unterschiedliche Musikrichtungen favorisieren, dann sind sie gleich hinsichtlich der Tatsache, daß beide überhaupt einen Musikgeschmack haben – weil nämlich das Interesse an Musik als solches betroffen ist. Auch Kulturen sind in ihrer Tiefe und Wirklichkeit gleicher Art, äußern sich aber unterschiedlich. In der kulturellen Seelentiefe handelt es sich immer um psychologische Urphänomene, die am Ende doch als Phänomene erkannt werden können. Mit strengster Naturwissenschaft lassen sie sich zwar nicht beweisen, aber sie dienen dem geisteswissenschaftlichen Indizienprozeß. Sie sind Angelegenheiten für den geistigen Richter.

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Anmerkungen:

Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen – wie unzählige andere Beispiele auch – für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.
Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 155, S. 227ff., S. 234, S. 390, S. 847f.).
Der Geniekult und die Geniezeit waren ein typischer Ausdruck dieser Phase, des Perfektionismus und der Pedanterie, und zwar in dem schon oben beschriebenen Sinne, daß eine spätjugendliche Kultur endlich erwachsen sein will, aber, um es zu sein, noch ein wenig warten muß. (Vgl. 18-20)).
Dualismus ist die historische Bezeichnung für eine Doppelherrschaft, ein koordiniertes Nebeneinander von 2 Machtfaktoren oder Institutionen in einem politischen System. Hier ist (mit dem Deutschen Dualismus) die Rivalität im Deutschen Reich zwischen Österreich und Preußen gemeint, die v.a. in der 2. Hälfte des 18 Jahrhunderts und zwischen 1850 und 1866 vorherrschend war. Allerdings gab es zwischen den beiden deutschen Großmächten von 1814/15 bis 1848/50 auch die oben angesprochene Interessensidentität, nämlich als österreichisch-preußische Zusammenwirkung im Deutschen Bund (1815-1866). Erstmals offenbarte sich der Deutsche Dualismus jedoch schon, und zwar als Ständestaat-Dualismus zwischen Kaiser und Reich (Reichsfürsten), im Interregnum (1254-1273) und durch die Goldene Bulle von 1356; fortgeführt wurde er während der Reformation und der Gegenreformation unter der Oberfläche des konfessionellen Dualismus zwischen Katholiken und Protestanten, bis er seinen Höhepunkt (für Deutschland: Tiefpunkt) im „30jährigen Krieg“ (1618-1648) erreichte und im „Westfälischen Frieden“ (1648), seinem Ergebnis, verstärkte Bestätigung fand. Insbesondere das Ausland erkannte seit dem 30jährigen Krieg Deutschlands Kleinstaaterei als riesige Chance und war seitdem natürlich stets bestrebt, eine andere Entwicklung vehement zu bekämpfen. Der Deutsche Dualismus steht also auch im Zusammenhang mit dem Ausland. Aber begrifflich steht er stets für zwei deutsche Rivalen. Man kann sich leicht vorstellen, welches Glück vor allem Frankreich und England durch den Deutschen Dualismus beschert wurde und welches Unglück sie nur empfinden konnten, als der eine Schwächung erfahren sollte. Dennoch sollte besonders Frankreich in diesem Unglück zunächst noch Glück haben (vgl. Pentarchie und Wiener Kongreß, 1814-1815).
Die Pentarchie, ein Fünfmächtesystem der Großmächte England, Preußen, Österreich, Rußland und Frankreich, kam im 18. Jh. auf, besonders nach dem Frieden von Hubertusburg (15.02.1763), und diente an erster Stelle England, weil es durch die „Balance of Power“ eine freie Hand in Übersee bekam, die auf dem Wiener Kongreß (1814-1815) durch das garantierte Gleichgewicht auch noch rechtlich abgesichert werden sollte.
Fürst (zu althochdeutsch furisto, der Vorderste)ist seit dem Mittelalter die Bezeichnung für die höchste Schicht des hohen Adels, die durch ihre besondere Königsnähe an der Herrschaft über das Reich, besonders in seiner territiorialen Gliederung, teilhatte (Reichsadel), v.a. Herzöge und Herzogsgleiche sowie Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte der Reichsabteien. Ihnen stand das Recht der Königswahl zu und die Pflicht, bei Entscheidungen in Reichssachen mitzuwirken. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation konnten zunächst alle freien, dann alle Reichsfürsten den König wählen. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts kristallisierten sich bei der Wahl des Königs immer mehr entscheidende Fürsten heraus. Spätestens aber im 13. Jahrhundert ergab sich aus den Fürsten heraus der engere Kreis der Königswähler, die Kurfürsten, deren Sonderstellung in der Goldenen Bulle von 1356 festgelegt wurde. Weltliche und geistliche Reichsfürsten hatten Sitz und Stimme im Reichstag. Seit dem staufisch-welfischen Thronstreit (1198) mußten die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie der Pfalzgraf bei Rhein (die Rheinpfalz) an einer gültigen Wahl beteiligt sein. Der Sachsenspiegel (1224-1231) zählt 2 weitere Kurfürsten als Vorwähler oder Erstwähler auf: den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg. Mit der Doppelwahl von 1527 traten zum ersten mal die 7 Kurfürsten (einschließlich des vom Sachsenspiegel abgelehnten Königs von Böhmen) als alleinige Wähler auf. Bei der Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) war das Kurfürstenkollegium (Kurkollegium) ein geschlossener Wahlkörper. Seine Entstehung – vom Sachsenspiegel aus dem Besitz der Erzämter erklärt – war also letztlich ein Ergebnis des Interregnums: eine Verhinderung der erblichen Thronfolge, ein Erwerb von Reichsgut und wichtigen Reichsrechten durch die Kurfürsten. Das Wahlrecht schränkte sich auf 3 geistliche und 4 weltliche Kurfürsten ein, die vom Kandidaten Sonderrechte (Kapitulationen) und politisches Mitspracherecht (Willebriefe) forderten, ein schwaches Königtum wünschten und deshalb die Krondynastie wechselten. Die Kurfürsten wurden häufig zu Gegenspielern des Königtums. Zur Gültigkeit der Wahl mußten mindestens 4 Kurfürsten anwesend sein. Die Mehrheitswahl wurde zuerst im Kurverein von Rhense (1338) für rechtsmäßig erklärt und 1356 in der Goldenen Bulle als Reichsgrundgesetz festgelegt, die auch die Beratung von Reichsangelegenheiten durch die Kurfürsten auf Kurfürstentagen verbriefte. Im 15. Jahrhundert wurde das Kurfürstenkollegium zur 1., vom Reichsfürstenrat getrennten Kurie des Reichstages. Die böhmische Kurwürde ruhte 1519 bis 1708 mit Ausnahme der Beteiligung an der Königswahl; die Kur des geächteten Pfalzgrafen bei Rhein wurde 1623 Bayern übertragen, der Pfalz aber 1648 eine 8. Kurwürde zugestanden. Braunschweig-Lüneburg (Hannover) hatte seit 1692 eine 9. (1708 vom Reichstag bestätigt), nach der Vereinigung Bayerns mit der Kurpfalz 1777 die 8. Kurwürde inne (seit 1778). 1803 wurden die Kurstimmen von Trier und Köln aufgehoben, die Mainzer Kur auf Regensburg-Aschaffenburg übertragen. Neugeschaffen wurden die Kurfürstentümer Salzburg (1805 auf Würzburg übertragen), Württemberg, Baden und Hessen-Kassel. Am Ende des 1. Deutschen Reiches gab es 10 Kurfürsten. (Vgl dazu die entsprechenden Phasen 6-8, 8-10, 10-12, 12-14, 14-16, 16-18, 18-20).
Kurverein von Rhense war der Zusammenschluß der Kurfürsten (ohne Böhmen) am 16.07.1338 in Rhense (Rhens, Rhein-Lahn-Kreis) zur Verteidigung des Reichsrechts und ihrer Kurrechte besonders gegen päpstliche Ansprüche. Die Kurfürsten setzten in einem Rechtsspruch fest, daß der von ihnen oder ihrer Mehrheit zum Römisch-Deutschen König gewählte nicht der päpstlichen Anerkennung bedürfe.
Römisch-katholische Interpretationen attestieren dem Abendland zumeist, daß in ihm die Dominanz des Christlichen überwiege. Diese Meinung teilen vor allem kirchliche und vornehmlich christlich orientierte Vertreter. Theodor Heuss (31.01.1884 – 12.12.1963) soll einmal gesagt haben, daß Europa von 3 Hügeln ausgegangen sei: von der Akropolis, von Golgatha und vom Kapitol. Diese Sichtweise würde eher, wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, auf eine Dominanz der Antike verweisen. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß aus einem antik-apollinischen Einzelkörper und einer magisch-seelengeistigen Welthöhle ein abendländisch-faustischer Unendlichkeitsraum entstehen kann, dann muß unbedingt ein dritter Faktor hinzukommen, den ich die Kulturpersönlichkeit nenne: das Germanentum. Ohne das Germanentum versteht man die Willensdynamik eines Faust nicht, und ohne das germanische Element ist die Raumtiefe, aber auch die in jeder Hinsicht sowohl ins Mikrokosmische als auch ins Makrokosmische gehende Unendlichkeit nicht als distinktives Merkmal der abendländischen Kultur zu identifizieren. Diese Merkmale treffen auf keinen antiken Menschen zu, aber insbesondere auf die Abendländer, die germanischen Ursprungs sind. Scharfe Gegensätze, wie die zwischen Antike und Abendland, sind zwar unbedingt ein Indiz für Verwandtschaft, weil beide Kulturen so auffallend gegensätzlich sind: aktiv und reaktiv. Offenbar hat die Antike auf das Abendland aber nicht persönlichkeitsstiftend gewirkt und konnte auch erzieherisch nicht tätig werden, weil sie so früh verstarb. Die Biogenetik und Sozialisation geraten nicht selten so weit auseinander, wenn ein Elternteil früh verstirbt, d.h. nicht wirklich erlebt wird. Dem Abendland scheint es auch so ergangen zu sein. Die Auseinandersetzungen mit der magischen Mutter hat beim Kind jedoch zu einer enormen, fast schon verdächtigen Erinnerung bis hin zur Vergötterung des antiken Vaters Beitrag geleistet. Aber liegt deshalb immer auch schon ein Vaterkomplex vor? Es bleibt zunächst festzuhalten, daß auch kulturell zwischen Genetik und Sozialisation, zwischen Anlage und Umwelt, zwischen angeboren und anerzogen ganz klar unterschieden werden muß. Dazwischen bewegt sich die Persönlichkeit. Man kann sie nicht isolieren, folglich auch nicht isoliert betrachten, aber man kann sie beschreiben, und ich beschreibe die Kulturpersönlichkeit des Abendlandes als germanisch, weil dieser Raum zwischen Anlage und Umwelt für die Kulturpersönlichkeit zwanghaft unendlich werden muß, wenn sie die verlorene Vaterkultur zurückholen will. Der unendliche Raum und Wille sind auch deshalb Ursymbol und Urwort des Abendlandes. Wenn der Mensch eine Grundlage von etwa 60 Billionen Zellen hat und einer Umwelt von praktisch unendlicher Vielfalt ausgesetzt ist, so gilt für eine Kultur, daß sie Völker, Staaten oder Nationen zur Grundlage hat und einer Umwelt von unendlichen Möglichkeiten, aber auch gähnender Leere gegenübersteht. Mit dem Germanentum fiel eine faustische Entscheidung zugunsten der unendlichen Möglichkeiten. Die Eltern des Abendlandes waren also antik-magisch, ihre gentragenden Chromosomen römisch-christlich, aber die Kontrollgene germanisch. (Vgl. 22-24).
Johann Wolfgang Goethe (28.08.1749 – 22.03.1832): Urfaust (1772-1775), Faust (Fragment, 1790), Teil I, 1806, Teil II, 1831.
Urphänomen ist nach Goethe das empirische Phänomen, das jeder Mensch in der Natur erkennen kann und das durch Versuche zum wissenschaftlichen Phänomen erhoben wird, indem man es unter anderen Umständen und Bedingungen und in einer mehr oder weniger glücklichen Folge darstellt, so daß zuletzt das reine Phänomen als Resultat aller Erfahrungen und Versuche dasteht. Es ist ideal als das letzte Erkennbare, real als erkannt, symbolisch identisch mit allen Fällen, weil es alle Fälle begreift.
Rationalismus ist der Verstandes- bzw. Vernunftsstandpunkt, die Gesamtheit der philosophischen Richtungen, die irgendwie die Vernunft (lat. ratio), das Denken, den Verstand subjektiv, die Vernünftigkeit, die logische Ordnung der Dinge objektiv in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellen. Sowohl die Antike als auch das Abendland durchliefen eine Phase der Rationalisierung, des Rationalismus und der ihm völlig dienenden Aufklärung. Eine Systematisierung erfuhr der abendländische Rationalismus im 17. und 18. Jahrhundert durch Descartes (1596-1650), Spinoza (1632-1677), Leibniz (1646-1716) und Wolff (1679-1754). Für Rationalismus und Aufklärung gab es nur vorläufige Probleme, nicht aber grundsätzlich unlösbare Probleme. In der abendländischen Phase des Rationalismus entstand der neue Begriff der Wissenschaft, der gleichbedeutend wurde mit dem der Mathematik und der Naturwissenschaften. Wissenschaftlich heißt seither: in mathematisch-naturwissenschaftlicher Sprache darstellbar. Ferner entstand der Begriff der wertfreien Wissenschaft, der besagt, daß die Wissenschaft sich nicht darum zu kümmern habe, ob die Gegensätze und namentlich auch die Ergebnisse ihres Forschens ethisch wertvoll oder wertwidrig sind, ob sie Heil oder Unheil in sich tragen. Der Platz für die Metaphysik wurde durch den Rationalismus immer enger. Deshalb rief der Rationalismus auch Gegner auf den Plan. Pascal (1623-1662) und die Empiristen Locke (1632-1704), Hume (1711-1776), Condillac (1715-1780) bekämpften ihn. Kant (1724-1804) hob den Gegensatz von Empirismus und Rationalismus in der höheren Einheit seines Kritizismus auf; Fichte (1762-1814), Schelling (1775-1854), Hegel (1770-1831) kehrten teilweise zu einem objektivistischen Rationalismus zurück. Völlig rationalistisch sollten dann der Positivismus, der historische Materialismus, der Pragmatismus sowie Marxismus, Neupositivismus, Logizismus, Physikalismus werden. (Vgl. dazu die Tafeln 14-16, 16-18, 18-20, 20-22, 22-24).
Giovanni Battista Vico (1668-1744), Geschichts- und Rechtsphilosoph, war ab 1697 Professor der Rhetorik in Neapel und ab 1734 Historiograph des Königs Karl von Neapel. Das von ihm entworfene „Drei-Stadien-Gesetz“, die Aufeinanderfolge der drei Zeitalter – der Götter, der Heroen, der Menschen -, hat Ähnlichkeit mit vielen später entwickelten Modellen oder Theorien, z.B. mit den von Auguste Comte (1798-1857) behaupteten drei Stadien: der Theologie, der Metaphysik, des Positiven (Positivistischen, Erfahrungswissenschaftlichen). Die von Vico behauptete „Parallele“ zwischen Völkern spiegelt sich auch in der später von Comte angenommenen „Parallele“ zwischen den „Gesellschaften“ und den „Erkenntnissen“ wider, noch mehr jedoch in der von Oswald Spengler (1880-1936) behaupteten „Parallele“ zwischen den Kulturen. (). Man könnte auch ein „Drei-Stadien-Gesetz“ annehmen (wie ich es vorschlage), das die Entwicklung zum Leben meint und etwa aus den folgenden drei Zeitaltern besteht: Universum ohne Leben (meinetwegen auch Zeitalter der Götter genannt), Leben ohne Menschen (meinetwegen auch Zeitalter der Heroen genannt) und Leben mit Menschen (das einem „Vier-Stadien-Gesetz“ folgt: Prähominisierung bzw. Vor-/Urmenschen; Hominisierung bzw. Frühmenschen; Sapientisierung bzw. Altmenschen; Historisierung bzw. Jetztmenschen). Was die Zukunft bringen wird, ist nicht gewiß, aber es wird in Zusammenhang stehen mit der Frage, ob die Menschwerdung, die ja noch nicht beendet ist, auch zukünftig in verschiedenen Kulturen (ich nenne sie „Historienkulturen“) gespalten sein wird oder nicht. (). Was Vico wohl dazu gesagt hätte? Vier Vorbilder bestimmten sein Denken: „Mit Plato erkennt er in der Idee den Maßstab. Mit Tacitus schildert er in den beschränkten Zwecken des menschlichen Eigennutzes die Wirklichkeit. Mit Bacon besinnt er sich auf die Einheit der wissenschaftlichen Welt. Mit Grotius faßt er die gesamte Philosophie und Theologie in das System eines allgemeinen Rechtes, in eine Überphilosophie, in die »Neue Wissenschaft«: d.h. Bestand der reinen Idee und geschichtlicher Wandel verbunden im Ziel der Wahrheit und begriffen in einem System.“ (R. Wisser). Vico beeinflußte auch Herder, seinen Entdecker, Goethe und überhaupt die weitere Geschichtsphilosophie. Schon um 1600, also lange vor Vico, hatte schon Bacon festgestellt, daß Kulturen altern wie Menschen und Phasen bzw. Auf-und-Ab-Stufen durchleben: „In der Jugend der Völker und Staaten blühen die Waffen und die Künste des Krieges; im reifen männlichen Alter der Völker und Staaten Künste und Wissenschaften; dann eine Zeit lang beide zusammen, Waffenkunst und Musenkünste; endlich im Greisenalter der Völker und Staaten Handel und Industrie, Luxus und Mode.“ (Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum, 1605; IV, 2, 114).
Zum Zyklus von Aufstieg und Verfall sowie ewiger Wiederkehr vgl. darum auch: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), Karl Vollgraff (1792-1863), Ernst von Lasaulx (1805-1861), Heinrich Rückert (1823-1875), Friedrich Nietzsche (1844-1900), Oswald Spengler (1880-1936) und die „Spenglerianer“ – z.B. Arnold Joseph Toynbee (1889-1975), August Winnig (1878-1956), Fritz Schachermeyr (1895-1987), Henry Kissinger (*1923), Samuel Phillips Huntington (*1927), Patrick Buchanan (*1938) – sowie Peter Sloterdijk (*1947).
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) veröffentlichte seine nicht-euklidischen Geometrien nicht, weil er das Geschrei der denkfaulen, schwerfälligen und unkultivierten Menschen fürchtete. Er nannte sie Böoter, weil die Einwohner dieser antiken Landschaft (Hauptstadt: Theben) von den Einwohnern anderer Griechenstädte als denkfaul und schwerfällig beschrieben worden waren. Gauß meinte zu recht, daß man die Menschen nicht wirklich würde überzeugen können. Die erste der nichteuklidischen Geometrien entdeckte Gauß nach Vollendung seines Hauptwerkes Disquisitiones arithmeticae (1801), durch deren in sich widerspruchslose Existenz bewiesen wurde, daß es mehrere streng mathematische Arten einer dreidimensionalen Ausgedehntheit gibt, die sämtlich a priori gewiß sind, ohne daß es möglich wäre, eine von ihnen als die eigentliche Form der Anschauung herauszuheben. (Vgl. 18-20).
Maieutik (Geburtshilfe) ist die Hebammenkunst des Sokrates (470-399), durch geschicktes Fragen und Antworten die in einem Menschen liegende richtige Erkenntnis herauszuholen.
Jean-Jacques Rousseau (1712-1778). Vgl. seine Werke:
„Seit Rousseau sind wir davon überzeugt, daß eine bestimmte Art der Vergesellschaftung den Menschen verstümmelt und in die Unwahrheit geraten läßt. Dieses philosophisch versierte Unbehagen an der Gesellschaft blickt zurück und entdeckt eine lange Vorgeschichte. Für Rousseau beginnt sie damit, daß die Menschen sich durch das Streben nach Besitz und Eigentum voneinander abgrenzen. Die Eigentumsverhältnisse verursachen Konkurrenz, Hierarchien, Verfeindungen, wechselseitiges Mißtrauen, Maskierungen und Täuschungen. Kurz, die ganze kritikwürdige Kultur einer Gesellschaft, die Rousseau verwirft. … Rousseau hat die Konstellation von Innen und Außen neu konfiguriert. Das Innen erfährt eine ungeheure Aufwertung: dort darf man seitdem das wahre Leben vermuten; das gesellschaftliche Äußere demgegenüber erscheint als seelenloser Mechanismus. … Rousseau spricht von einem Selbst wie von einem verborgenen Schatz voller Verheißungen und Glücksversprechen … Aber vergessen wir nicht das Drama, das sich aus der Erfahrung der eigenen Freiheit ergeben kann und bei Rousseau ergeben hat. Wer, wie Rousseau, mit der Freiheit und ihrer schöpferischen Unberechenbarkeit bekannt geworden ist, dem kann nicht verborgen bleiben, daß sich dort draußen, wo es die vielen Freiheiten der Anderen gibt, ein riesiges Feld von Unberechenbarkeiten auftut. Aus der Lust an der eigenen Freiheit wird die Angst vor den vielen Freiheiten der Anderen. Rousseau geriet darüber in Panik.“ (Rüdiger Safranski, Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?, 2003, S. 101-104). Zu dieser Problematik vgl. „Individuum“.
Das Thema „Individuum“ ist eines der typischen Symptome des Abendlandes, und schon früh hatte sich abgezeichnet, daß das „Individuelle“ – das „Unteibare“ – als „Individualismus“ zum riesigen Problem werden kann. Der theoretische Individualismus akzeptiert überhaupt nur die Wirklichkeit des Individuellen (vgl. Nominalismus) bzw. des eigenen Bewußtseins bzw. des Ichs (vgl. Solipsismus) und leugnet darum die Möglichkeit allgemein verbindlicher Aussagen bzw. Einsichten (vgl. Subjektivismus). Der ethisch-politische Individualismus betrachtet das Individuum als Selbstzweck und sieht im Glück und in der allseitigen Entfaltung der Einzelpersönlichkeit das letzte Ziel, insbesondere betrachtet er Gesellschaft und Staat nur als Hilfsmittel zu Erreichung der Zwecke des Individuums (vgl. Anarchie, Egoismus, Liberalismus u.s.w.). Jeder wie auch immer geartete Individualismus ist nur von einer Seite her begründet, zu „künstlich“ (bzw. „künstlerisch“, z.B. „genial“ u.s.w.), als Konzept für ein Allgemeinwohl untauglich, kurz gesagt: schon vom Ansatz her falsch! Gleiches gilt für den ebenfalls zu „künstlich“ (bzw. „künstlerisch“, z.B. „genial“ u.s.w.) ausgerichteten Begriff „Gesellschaft“, denn er meint eben nicht den tieferen Begriff Gemeinschaft als das tiefere Prinzip des Allgemeinwohls, sondern das lockere, oberflächliche Zusammenhaltlose. Dieses ist mit dem Individualismus durchaus vereinbar, bleibt doch der Individualismus so an seiner Unteilbarkeit kleben, weil seine Individuen in einer lockeren Gesellschaft immer noch individueller bleiben können als in einer mehr oder weniger geeinten Gemeinschaft. Gemeinschaft ist, im metaphysischen Sinne, die Kategorie des Zusammenseins () bzw. der Wechselwirkung (lat. commercium), im Gegnsatz zu der nur rational-zweckgebundenen Gesellschaft; in der Gesellschaft wird die Individualität weit weniger verändert als in einer Gemeinschaft; Gesellschaft beruht auf Konvention, Vertrag, Interessen (angeblich sollen sie „gleichberechtigt“ sein) und „schwebt“ als „menschlicher Bereich“ im wahrsten Sinne des Wortes zwischen Individuum und Staat irgendwie in der „Luft“ herum. Dabei ist es sogar völlig egal, ob durch die „Bürgerliche Revolution“, z.B. durch die französische Revolution, die Gesellschaft als société oder corps social auf das ganze Menschengeschlecht übertargen wurde oder nicht, denn bisher hat die so genannte „Weltrevolution“ noch keine derartige Monokultur hervorgebracht. Und: Wenn die „Alleinstehenden“ nur noch für sich selbst „sorgen“, dann „entsteht kein Leistungswille und kein Verantwortungsgefühl für andere und für die Gemeinschaft. Eine autistische Gesellschaft, die sich nur noch um sich selbst dreht, ist wirtschaftlich nicht erfolgreich.“ (Ehrhardt Bödecker, Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2004, S. 203). Deswegen heißt es z.B. bei Peter Sloterdijk auch: Nicht Vertrag, nicht Gewächs – Annäherung an die Raum-Vielheiten, die bedauerlicherweise Gesellschaften genannt werden (). „Will man die sinnvollen soziologischen Intuitionen des Holismus retten“, so Sloterdijk, so gilt es, das „Beieinandersein, das Kommunizieren und das Kooperieren der vom Koexistenzstreß zusammengespannten Eigenraum-Vielheiten, die leider noch immer Gesellschaften genannt werden, aus deren eigenen Bedingungen herzuleiten, ohne dabei die anti-holistischen Krücken zu benutzen, an denen sich Individualisten und Kontraktualisten übers Gelände schwingen.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III – Schäume, 2004, S. 293). Das Ich ist viel zu schwach. Die Sicherheit des Ich ist logisch erschlichen; sicher aber ist, daß ich keine bloße Vorstellung bin und daß nicht alles Vorstellung ist; also können auch Gedanken an sich sein (und nicht bloß vorgestellt). Wäre ich meine eigene Vorstellung, so wäre ich das, was sich vorstellt als das, was sich vorstellt als das, was … Ich wäre eine rekursive Funktion f(x), eine Funktion f mit sich selbst als Argument x, also f(f(f(…))), Hülle ohne Fülle (?).

Zu Vertrag (und Vertragstheorien bzw.Kontraktualismus) oder Gewächs (und Organizismen bzw. Holismen) vgl. z.B. Peter Sloterdijk, Nicht Vertrag, nicht Gewächs – Annäherung an die Raum-Vielheiten, die bedauerlicherweise Gesellschaften genannt werden, in: Sphären III – Schäume, 2004, S. 261-308 (), und dessen Theorie des Zusammenseins () sowie: Dividuum statt Individuum.
„Für den Parlamentarismus sind demgegenüber Freiheitsrechte der Bürger gegen den Staat grundlegend; jedoch nicht als Ausdruck einer vorgegebenen höheren Ordnung oder der allgemeinen oder unveränderlichen Natur des Menschen, sondern rein funktional auf das parlamentarische System bezogen.“ (Klaus Kunze, Der totale Parteienstaat, 1994, S. 85). Das bedarf einer Erklärung! „Der primäre Sinn des ganzen Systems von Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit hatte darin bestanden, den für das Funktionieren des Parlamentarismus nach der liberalen Idee konstitutiven Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung zu gewährleisten, in dem durch den freien Kampf der Meinungen die »Wahrheit« entstehen soll als die sich aus dem Wettbewerb von selbst ergebende Harmonie. Diese ursprüngliche Funktion haben sie im real existierenden Parlamentarismus vollständig eingebüßt.“ (Ebd., S. 85-86). Mit dem „real existierenden Parlamentarismus“ ist der totale Parteienstaat gemeint. „Wie bereits nachgewiesen worden ist, ist das parlamentarische Formprinzip der Entscheidungsfindung aufgrund öffentlicher Diskussion schon längst zur inhaltsleeren Formalie degeneriert. Tatsächlich fallen die wesentlichen Entscheidungen nicht mehr im Parlament, und auch die wünschenswerte demokratische Willensbildung im Volke aufgrund freier geistiger Auseinandersetzung, die Willensbildung »von unten nach oben«, führt ihren Reigen allenfalls noch über dem Sternenzelt des Ideenhimmels, nicht aber hienieden im allgegenwärtigen Medienstaat. Wenn auch die heutigen Grund- und Menschenrechte also weder unverzichtbare Funktionselemente des Parlamentarismus noch Begriffsmerkmale der Demokratie sind, wird sich doch so leicht niemand finden, der freiwillig für seine Person auf sie verzichten möchte. Da Systeme für Menschen da zu sein haben, verfehlen sie ihren Zweck schon im Ansatz und sind inhuman, wenn sie dem Freiheitsbedürfnis des Menschen nicht genügen. So wäre eine konsequente Demokratie unter Herrschaft des Rousseauschen Generalwiltens totalitär, Freiheit des Abweichlers in ihr nicht möglich. Die parlamentarische Demokratie macht erhebliche Abstriche von demokratischen Utopien durch den Vorrang der Individualrechte und verleiht dem an sich totalitären Demokratiekonzept ein »menschliches Antlitz«. Im heutigen Parlamentarismus gewinnen die Grundrechte zunehmend Bedeutung als Abwehrrechte gegen als staatliche Macht kostümierte Parteiwillkür. Nur ein neutraler Rechtsstaat mit garantierten Bürgerrechten kann uns heute noch vor dem Jakobinismus des richtigen Bewußtseins und den Herrschaftstechniken der an die Macht gekommenen früheren Apologeten des herrschaftsfreien Diskurses schützen. Wenn also die Menschenrechte weder Begriffsmerkmal der Demokratie noch des Parlamentarismus, sondern diesen nur aufgepfropft sind: Warum sollen sie nicht auch andere Staatsformel und darüber hinaus jede organisierte Macht erst veredeln und erträglich machen können? So bereitet weder begrifflich noch tatsächlich die Vorstellung einer reinen Monarchie, einer Aristokratie oder einer nicht durch ein Parlament beherrschten Republik mit Bürger- und Freiheitsrechten gedankliche Schwierigkeiten. Die Notwendigkeit dieser Rechte folgt nämlich aus vorstaatlicher Wertentscheidungen, deren Richtigkeit in jedem System gültig bleibt: Sie sind unter anderem auch objektive Ordnungsprinzipien für die von ihnen geschützten Lebensbereiche wie Ehe, Familien, Presse und Eigentum () und als solche ein notwendiges Element und Mittel zur Integration des Staates. In diesem Sinne ist Freiheit nicht als schrankenlose Libertinage (Zügellosigkeit) zu verstehen, sondern als »Freiheit zur Realisierung der durch die Grundrechte ausgedrückten Wertvorstellungen.« (). Diese in den Grundrechten verkörperte Wertordnung kann in jeder Staatsform gelten, ob die Staatsmacht sich nun nach einem numerischen Auszählverfahren durch Abstimmung konstituiert oder in einem Erbprinzen verkörpert; ob ein ganzes Parlament voller kleiner Könige das Volk repräsentiert oder ein einzelner Monarch. — In einem absolut monarchischen Duodezfürstentum des 18. Jahrhunderts konnte man als Bürger ebenso frei von staatlicher Repression leben wie in einer zeitgenössischen Stadtrepublik ….“ (Ebd., S. 86-87). — Außerdem haben wir nicht vergessen: „Schon die alten Athener hatten sich durch ihre »Demokratie« nicht gehindert gefühlt, Sokrates in demokratischer Abstimmung zum Tode zu verurteilen, und Ludwig XVI. wurde von Parlamentariern der französischen Nationalversammlung zur Guillotine geschickt. …. Das Register kleiner und großer Sünden parlamentarisch regierter Staaten ließe sich beliebig verlängern. Demgegenüber ist es mit dem Entschwinden praktischer, in einer absoluten Monarchie gewonnener Lebenserfahrung hinter dem Horizont vergangener Epochen fast unmöglich geworden, eine lebensnahe Vorstellung davon zu gewinnen, welches Maß an Freiheit im monarchischen Absolutismus gegenüber der Republik möglich war.“ (Ebd., 1994, S. 83-84).
„Institutionelle Grundrechte“; vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 170f.; Erwin Stein, Verfassungsgerichtliche Interpretation der Grundrechte als Konkretisierung des Rechtsstaats, in: Herder-Initiative, Hrsg: Gerd-Klaus Kaltenbrunner, 1979, Band 33, S. 89.
„Werttheorie der Grundrechte“ des Bundesverfassungsgerichts unter dem Einfluß Rudolf Smends; vgl. Erwin Stein, Verfassungsgerichtliche Interpretation der Grundrechte als Konkretisierung des Rechtsstaats, in: Herder-Initiative, Hrsg: Gerd-Klaus Kaltenbrunner, 1979, Band 33, S. 83.
Ding an sich ist das Ding, wie es unabhängig von einem erkennenden Subjekt für sich selbst besteht, das wahre Sein, dessen Erscheinungen die empirischen Dinge sind, auf welches eben die Erscheinungen hinweisen. Wir erkennen ein Ding als Gegenstand unserer Wahrnehmung nur so, wie es uns – eingekleidet in den Ausbauungsformen von Raum und Zeit, in den Kategorien und Verstandesgesetzen – so erscheint. Wie es an sich beschaffen ist, werden wir niemals erfahren. (Frei nach: Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781).
Ethik meint hier die Sittenlehre als praktische Philosophie, die nach einer Antwort sucht auf die Frage: was sollen wir tun? Beide Kulturen – Antike und Abendland – suchten die Antwort zunächst im Selbst bzw. in der Selbsterkenntnis. Aber dieser Subjektivismus hatte in der Antike wegen des Seelenbildes (und Ursymbols) eine andere, entgegengesetzte, Richtung als im Abendland. Die Antike suchte auch ethisch die Antwort am Außen des Körpers (in der begrenzten Äußerung), weil es für sie kein Geheimnis im Innen geben durfte; das Abendland suchte im Innen des faustischen Willens und kategorischen Imperativs (im Raum der unendlichen Verinnerlichung), weil es hier nur Geheimnisse gab. In beiden Fällen stelle man sich in den Dienst einer sozialanthropologischen Ethik. Ein Angebot, das man auch Hilfe zur Selbsthilfe (Selbsterkenntnis) nennen könnte. Wie kann ich dienen? ist eine typische Frage dieser (dienerischen) Phase.
Der kategorische Imperativ oder Imperativ der Sittlichkeit wurde von Kant folgendermaßen formuliert: Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. 1785 schrieb Kant in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: 1.) „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.“ 2.) „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ Ob ein Mensch als Persönlichkeit das prinzipiell wollen kann oder nicht auch (oder vielleicht eher) etwas Eigenes in seinem Verhalten liegt, sollten später die Kritikpunkte an Kants Imperativ sein, z.B. von N. Hartmann (1882-1950; vgl. 20-22).
Immanuel Kant (1724-1804), Werke ():
1) 1747-1758: Dominanz der Naturwissenschaften:

– Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (1747)
– Untersuchung der Frage, ob die Erde in ihrer Umdrehung um die Achse einige
Veränderungen seit den ersten Zeiten ihres Ursprungs erlitten habe (1754)
– Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels (1755)

– Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens (1756)
– Von den Ursachen der Erderschütterungen (1756)
– Entwurf und Ankündigung eines Collegii über die physische Geographie
nebst … Betrachtung über die Frage, ob die Westwinde in unseren Gegenden
darum feucht sind, weil sie über ein großes Meer streichen (1757)
– Neuer Lehrbegriff der Bewegung und Ruhe (1758)

2)1758-1781: Von der Wollfschen zur kritischen Metaphysik:
– Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus (1759)
– Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren (1762)
– Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763)
– Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen (1763)
– Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764)
– Versuch über die Krankheiten des Kopfes (1764)
– Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (1764)
– Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (1766)
– Von dem ersten Grunde des Unterschieds der Gegenden im Raume (1768)
– Über Form und Grundlagen der Wahrnehmungs- und der Vernunftwelt (1770)
– De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (1770)
– Rezension der Schrift von Moscati über den Unterschied der Struktur der Tiere und Menschen (1771)
– Von den verschiedenen Rassen der Menschen (1775)

3) 1781-1793: Kants kritische Philosophie:
– Kritik der reinen Vernunft (1781)
– Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (1783)
– Über Schulz‘ Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre (1783)
– Ideen zur einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784)
– Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784)
– Rezension von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1785)
– Über die Bestimmung des Begriffes einer Menschenrasse (1785)
– Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785)
– Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786)
– Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786)
– Über Hufelands Grundsatz des Naturrechts (1786)
– Was heißt: sich im Denken orientieren ? (1786)
– Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788)
– Kritik der praktischen Vernunft (1788)
– Kritik der Urteilskraft (1790)
– Über Schwärmerei und die Mittel dagegen (1790)
– Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche der Theodizee (1791)
– Über die von der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisaufgabe:
Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibniz‘ und Wolffs Zeiten gemacht hat? (1791)
– Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793)
– Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793)

4) 1793-1804: Kants nachkritische Phase (Bindeglied zwischen vollendetem Kritizismus [] und Deutschem Idealismus)
– Über Philosophie überhaupt (1794)
– Etwas über den Einfluß des Mondes auf die Witterung (1794)
– Das Ende aller Dinge (1794)
– Zum ewigen Frieden (1795)
– Zu Sömmering über das Organ der Seele (1796)
– Ausgleichung eines auf Mißverstand beruhenden mathematischen Streits (1796)
– Metaphysik der Sitten (1797):
I) Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre
II) Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre
– Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen (1797)
– Der Streit der Fakultäten (1798)
– Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798)
– Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre (1799)
u.a.

Posted in Hubert Brune on April 22, 2012 by androsch

Sommer / Nachmittag
12 Uhr 18 Uhr
Hochkultur

14-16 Uhr
Wissensschulung oder absoluter Rationalismus

Eine reife Kindheit oder Jugend zeichnet sich im Idealfall durch konzentriertes und experimentelles Lernen aus, und zwar über einen relativ langen Zeitraum hinweg. Das ist wichtig und neu, wenn man diese Art des Lernens mit denen der vergangenen Phasen eines Kindes vergleicht, die in erster Linie die Grundbausteine der Weltteilhabe darstellen. Jetzt geht es aber nicht mehr primär um möglichst effektives Lernen bei minimalem Zeitinput und maximalem konventionellen Symboloutput, sondern um ein rationiertes Lernen bei konventionell vorgegebenem Zeitinput und maximalem Wissensoutput. Es geht also um das schulisch zu erwerbende Wissen, um Wissensschulung oder pure Rationalisierung. Gemeint ist nicht nur die „Schule“ der Menschen, sondern auch die der Tiere, insbesondere die der Säugetiere. Sie lernen alle, um später im Wettbewerb und im Überlebenskampf bestehen und ihre Gene weitergeben zu können. Die Streitfrage, ob man eher für die Schule oder für das Leben lernt, ist deshalb auch nur relativ zu beantworten.
Die Zirbeldrüse (Epiphyse) verhindert mittels ihrer Hormone die Reifung der Geschlechtsmerkmale, damit sich die Kinder auf das Lernen voll konzentrieren können. Sie können sich ungestört auf das zukünftig zu meisternde Erwachsenenleben vorbereiten. Doch dann setzt die Pubertät ein, und die Hormone scheinen plötzlich verrückt zu spielen. Diese Reifezeit bewirkt beim Menschen eine biologische Veränderung mit weitreichenden Folgen. Aus einem Mädchen wird eine Frau, aus einem Jungen ein Mann.
Regelkreis

„Barocke Eindrücke“
Die sekundären Geschlechtsmerkmale entwickeln sich, der kindliche Körper nimmt in den folgenden Jahren durch schnelles Wachstum die Gestalt des Erwachsenen an. Schweiß- und Talgdrüsen arbeiten verstärkt. Auch das seelische Leben erfährt eine Veränderung. Die Veränderungen während der Pubertät werden durch Hormone ausgelöst und vom Gehirn eingeleitet: ein Teil des Zwischenhirns wirkt über die Hormone auf die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) ein. Diese Hypophyse gibt daraufhin verstärkt Hormone ab, die die Keimdrüsen – Hoden und Eierstöcke – zur Bildung von Sexualhormonen anregen. Beim Jungen werden in den Hoden nun vermehrt männliche Geschlechtshormone gebildet, hauptsächlich das Testosteron. Sie bewirken die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale und die Bildung von Samenzellen. Beim Mädchen werden jetzt in den Eierstöcken vermehrt weibliche Geschlechtshormone gebildet, wobei die Östrogene (Follikelhormone) die Ausbildung der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale bewirken und die Gebärmutterschleimhaut anwachsen lassen. Die Sexualhormone wirken wiederum auf Zwischenhirn und Hypophyse ein und können die Hormonproduktion der Hypophyse hemmen. Schließlich stellt sich eine fein abgestimmte Wechselwirkung zwischen Hypophyse und Keimdrüsen ein. Unter gleich bleibenden äußeren Bedingungen hält der Körper den Stoffwechsel auf konstantem Wert. Auftretende Abweichungen der Außeneinflüsse werden ausgeglichen: geregelt. Diese Regelung wird über Nerven und Hormone vorgenommen. (Vgl. Regelkreis []) .
Es sollte hier jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß mit der biologischen Reife noch nicht die soziokulturelle Reife erreicht ist, denn diese wird nicht primär wie jene von einem inneren, sondern von einem äußeren Prozeß bestimmt. Der Jugendliche muß erst noch Erfahrungen in Auseinandersetzung mit der soziokulturellen Umwelt und ihren Erfahrungen sammeln, bevor er als ein Erwachsener gelten kann. Je weiter sich eine Kultur in Richtung Zivilisation entwickelt hat, desto intensiver muß sich ein Jugendlicher mit ihr auseinandersetzen und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß er das Ziel einer solchen soziokulturellen Reife gar nicht erreichen wird. Um die intellektuelle und emotionale Auseinandersetzung mit den kulturellen Normen und Werten kommt er jedenfalls nicht herum. Erst durch diesbezügliche Erfahrungen rückt die Möglichkeit näher, eine soziokulturelle Reife zu erlangen und fähig zu werden für eine Ehe, die bekanntlich für ewig geschlossen wird (ahd. „ewa“ = ewig geltendes Gesetz, Ehe). Aber die biologischen Voraussetzungen sind hierfür jetzt schon gegeben. An dem Interesse für das eigene und der ersten Hinwendung zum anderen Geschlecht werden die Feldzüge der Gefühle erkennbar. Mit Eintritt in die jugendliche Reife findet zum ersten Mal eineMeiose statt, auch wenn es noch nicht zu dem evolutionären Fortpflanzungszweck, der Befruchtung, kommt. Bei Mädchen ist es die Eizelle, bei Jungen die Samenzelle, die erstmalig reift. Also kommt es bei der Bildung der Gameten, besser bekannt als Keim- oder Geschlechtszellen, auch zu Zellteilungsvorgängen, den Reifeteilungen.
In einer Kultur zeichnen sich Reifeteilungen durch einen agonalen Wettbewerb aus. Aus diesem Wettbewerb gehen immer wieder Verlierer und Sieger hervor. Die Machtverhältnisse wechseln. Diese Phase begann sowohl in der Antike als auch im Abendland mit dem Wechsel der Seevorherrschaft: hier von einer griechischen zu einer karthagischen und dort von einer spanisch-portugiesischen zu einer englisch-niederländischen. Im Abendland wurde diese Phase eingeleitet durch den Sieg der Engländer über die Spanier bzw. deren Armada (1588), durch berühmte Geister wie Francis Bacon (1561-1626), Galileo Galilei (1564-1642), Johannes Kepler (1571-1630), Jakob Böhme (1575-1624), Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616) und William Shakespear (1564-1616), aber auch durch die von Papst Gregor XIII. eingeführte Kalenderreform (1582) und durch die das Deutsche Reich unmittelbar betreffende Gegenreformation in Bayern (1563) und Österreich (1579). In dieser Zeit wurde in Italien der für den barocken Stil prägende Kirchenbau von Vagnoli begonnen (1564) und vollendet (1584): Il Gesù in Rom. Im Barock sah die durch die Gegenreformation gestärkte katholische Kirche ihre offizielle Kunst und damit auch wohl ihren Sieg über die Reformation. Weltweit setzte die Gegenreformation allerdings schon mit der Gründung des Jesuitenordens durch Ignatius von Loyola ein. (Vgl. 12-14). In der Antike begann sie mit dem Ende der griechischen Kolonisation (um 540 v. Chr.), die Karthago und Etrurien durch die Vertreibung der Griechen aus Korsika und Sardinien herbeiführten, aber auch mit der sich durch die Spartaner über den gesamten antiken Raum verbreitenden Knabenliebe und mit der Einführung öffentlich aufgeführter Tragödien in Athen durch Thepsis (534 v. Chr.). Beide Kulturen hatten in der letzten Phase die Kulturschriftlichkeit bis zur nötigen Sicherheit zu beherrschen gelernt und konnten jetzt ihr Wissen, ihre rationalen und empirischen Erkenntnisse unter Beweis stellen, ja: sich ein erstes Zeugnis ausstellen lassen.
Auch Kulturen erleben eine Zeit der reifen Kindheit oder Jugend, eine lernintensive Phase der Ruhe und der sie plötzlich ablösenden Unruhe. Diese kreative Phase macht sie souverän, aber auch eitel. Wissenserwerb und Rationalisierungen können zu Macht, Pracht und Stolz, aber auch zu Tyrannei, Überheblichkeit, und Prahlerei führen. Wenn im Kindesalter die Ruhe des Lernens durch die Hormone jäh unterbrochen wird, erhält das Kind einerseits einen enormen Entwicklungsschub, andererseits die allseits bekannten pubertären Probleme. Einer großartigen intellektuellen und kreativen Fähigkeit steht hier plötzlich eine neue Problematik gegenüber. Eine Kultur entwickelt vergleichbare Phänome, wenn sie dabei ist, intellektuelle und künstlerische Grandiosität zu erreichen, aber fast gleichzeitig feststellen muß, daß durch Tyrannei oder andere absolute Machtansprüche grausame und bis zur Pest sich ausartende Kriege hervorgerufen werden, die man eben aufgrund der erreichten hohen Intellektualität, auf der Spitze der Hochkultur, schon gar nicht mehr für möglich gehalten hätte.

In vielen Staaten des Abendlandes siegte in dieser Phase der Absolutismus gegenüber seinen oligarchischen Konkurrenten, die in Frankreich unter dem Namen Fronde bekannt wurden. Der Ausbau des absoluten Staates in Frankreich, theoretisch begründet durch Jean Bodin (1530-1596) und Thomas Hobbes (1588-1679), vollzog sich unter Ludwig XIII. (1601-1643), der von 1610 bis 1643 regierte. In den Jahren von 1624 bis 1642 bekämpfte Richelieu (1585-1642) als leitender Minister die Opposition des Hochadels und die politischen Sonderrechte der Hugenotten. Zum Symbol des Absolutismus sollte sich das Prunkschloß Versailles entwickeln. Louis Le Vau übernahm 1661 die Bauleitung dieser Barockarchitektur. Ihm folgten François de Vau und Jules Hardouin Mansart (vgl. Mansarde, Mansardendach). Um die Innendekoration kümmerte sich Charles Le Brun. Der Schöpfer des Parkes war André Le Nôtre. In den Jahren von 1700 bis 1710 erhielt die Anlage, die 1708 vollendet war, auch eine Schloßkapelle. Diese repräsentative Anlage wurde umgeben von einer grünen Archtitktur geometrischer Parkanlagen mit Wasserkünsten und Radialachsen zur Schloßmitte: zum Schlafzimmer des Königs. Seit etwa 1676 war Versailles die eigentliche Residenz der französischen absoluten Monarchie – und blieb es bis 1789. Le Brun sorgte, im Material verschwenderisch, für eine luxuriöse Ausstattung. Seine geschaffene Innendekoration ist quasi der Material gewordene Ausspruch des absoluten Königs: L‘ état c’est moi! Ludwig XIV. (1638-1715) war bereits im Jahre 1643 König geworden. Alles Französische wurde plötzlich zur europäischen Mode: Schloß, Park, Sprache, Sitte, höfische Kultur mit Paraden, Oper, Ballett, mit Allonge-Perücke und Kniehose. Das Bildungsideal dieser Zeit war der galante Kavalier. Das spanische Zeitalter wurde durch das französische abgelöst. (Vgl. 12-14).
Der Sonnenkönig war majestätisch im Auftreten und durchdrungen von der Würde seines Amtes. Er fühlte sich zur Mehrung des Ruhmes und zur Repräsentation des Staates verpflichtet. Die Regierung wurde durch Verordnungen allein vom König ausgeübt. Er ließ sich von einem geheimen Staatsrat und Fachministern beraten und griff auch in die Justiz ein durch königliche Haftbefehle, Geheimpolizei und politische Sicherheitsverwaltung. Der König ernannte und besoldete die adeligen Offiziere selbst. In den Provinzen wurden die königlichen Intendanturen, in den Städten die königlichen Magistrate ausgebaut, und nur auf dem Land verblieben den adeligen Grundherren die Verwaltungs- und Polizeirechte. Als Finanzminister entwickelte Jean Baptiste Colbert (1619-1683), seit 1661 Oberintendant der Finanzen, die erste staatlich gelenkte Nationalwirtschaft der Neuzeit mit statistischer Haushaltsplanung und geregelter Buchführung.
Regelkreise
Der Merkantilismus (auch Colbertismus) schuf die finanziellen Voraussetzungen zur Entfaltung des Abslolutismus, da der Staat Gewinne durch Zölle, direkte und indirekte Steuern zur Erhaltung des Heeres, der Verwaltung und des Hofes abschöpfen konnte. Da nach Auffassung dieser kulturellen Phase Reichtum im Geldbesitz bestand, zielte der Merkantilismus auf eine aktive Handelsbilanz durch Ausfuhr hochwertiger Güter (Luxcus-, Mode-, Glaswaren, Parfums, Porzellan u.s.w.). Deshalb wurden Binnenzölle beseitigt, Land- und Wasserstraßen ausgebaut, staatliche Monopole errichtet, gewerbliche Manufakturen subventioniert, die Seefahrt und die Handelsgesellschaften, somit die Kolonialpolitik, gefördert.
Es gab Schutzzölle und landwirtschaftliche Festpreise. Während der Merkantilismus Handel und Gewerbe förderte und dadurch den Wohlstand des Bürgertums hob, erhielten die Bauern keinen Anreiz zur Steigerung ihrer Produktion. Die ständische Gliederung blieb erhalten, aber ohne politische Bevorrechtung. Klerus und Adel waren durch Grundbesitz, Steuerfreiheit und Sondergerichtsbarkeit privilegiert. Das höhere Bürgertum nahm am wirtschaftlichen Aufstieg teil und konnte durch Ämterkauf zum (Dienst-) Adel aufsteigen. Kleinbürger und Bauern trugen durch hohe Besteuerung die Staatslasten. Die 1685 erfolgte Aufhebung des Edikts von Nantes veranlaßte etwa eine halbe Million Hugenotten zur Massenflucht, wodurch die Merkantilwirtschaft schwer geschädigt wurde. Dies führte wiederum zu mehr Kritik am französischen Absolutismus. Die sogenannten Réfugiés wurden vor allem in Holland und Brandenburg (Preußen), den Vororten der Aufklärung, aufgenommen. (Vgl. 16-18 ).

Als höfische Stilepoche steht der Barock für das Lebensgefühl der Gegenreformation und des Absolutismus. Er verbreitete sich auch in Europas Kolonien und entwickelte sich zum ersten Weltstil. Weil er es vermochte, die schöpferischen Kräfte zu durchwalten, alle Kunstäußerungen seiner Zeit zu durchdringen und zu tragen, gilt er heute als der letzte großartige abendländische Kunststil, was antik auf die Ionik zutrifft. Auf Ionik und Barock folgten jeweils dekorative Stile: Korinthik und Rokoko.

4 Kulturjahreszeiten: Im weitesten Sinne umfaßt der Barock eine ganze Jahreszeit: den Sommer. Dem Barock-Absolutismus (14-16) gegenüber liegt die Germanik-Völkerwanderung (2-4)
Der Barock umfaßt in etwa die Zeit von 1600 bis 1750, obwohl zu berücksichtigen ist, daß sein letzter Entwicklungsabschnitt mit gewissen Einschränkungen bereits als Rokoko bezeichnet wird. Diese unregelmäßige Perle, wie die Portugiesen ihn nannten (barocco), wirkte länger und nachhaltiger als seine Epoche verrät. Aus dem Grunde ist der Barock ähnlich zu bewerten wie die Gotik. Nach Spengler umfaßt die Gotik die Zeit von 900 bis 1500, inklusive Ottonik und Romanik, der Barock die Zeit von 1500 bis 1800, inklusive Renaissance und Rokoko. Wenn also Gotik und Barock zusammen ganze 900 Jahre ausmachen, dann sind das etwa 2 Kulturquartale, also 6 Phasen oder anders audgedrückt: 2 Jahreszeiten (Frühling und Sommer). Bezogen auf einen 24-Stunden-Tag machen sie fast eine Tageshälfte, 12 Stunden, aus: den Morgen und den Nachmittag (6 Uhr bis 18 Uhr), wobei 2 Stunden einer Kulturphase entsprechen.
24-Stunden-Kultur:: Im weitesten Sinne umfaßt der Barock den ganzen Nachmittag (Uhrzeit 12-18). Barock-Absolutismus (14-16) und Germanik-Völkerwanderung (2-4) zeigen gleiche Uhrzeit an

Als allgemeine Merkmale des Barock können gelten: schwellende Bewegung aller Formen, die nicht Ausdruck von Harmonie sind, sondern von Kraft. Die Formen drängen danach, ineinander überzugehen, sogar unter Aufhebung der Grenzen zwischen Baukunst, Bildnerei und Malerei. Aus dem Bauwerk scheinen plastische Kräfte zu dringen. Plastik verbindet sich mühelos mit Architektur, und wenn im barocken Innenraum noch die Malerei hinzukommt, so entsteht ein Gesamtkunstwerk, das die Künste nicht im Beieinander, sondern im Ineinander zeigt. Alle Barockkunst hat eine Haltung, die sich als repräsentativ bezeichnen läßt; denn alles Schlichte und Zurückhaltende ist das Gegenteil des Barock. Pracht, Pathos, rauschende Fülle, Steigerung der Dimensionen sind die verschiedenen Erscheinungsweisen des Repräsentativen. Es eignet sich gleichermaßen für die kirchliche wie für die weltliche Kunst, die sich im Barock einander angeglichen haben, wie es niemals vorher und nachher der Fall war. In Italien entstand der Barock nicht als Reaktion auf die Hochrenaissance, auch nicht durch die Aufstellung eines gänzlich neuen Formprinzips, sondern in Weiterentwicklung von Keimen, die in der Hochrenaissance selbst schon angelegt waren. (Vgl. 12-14). Im Kirchenbau prägte Vignolas Il Gesù in Rom(1564-1584) die Kuppelbasilika als Typus der katholischen Gemeindekirche. Allerdings gab es in der Malerei noch die Zwischenstufe des Manierismus. In Deutschland traten barocke Elemente bereits in der Bildnerei und im Ornament der Spätgotik auf, wenn auch noch das barocke Merkmal des plastisch Schwellenden fehlt. (Vgl. 10-12). Dieser spätgotische Barock ist nicht bloß die Parallele zu dem eigentlichen Barock des 17. Jahrhunderts, sondern dessen unmittelbare Vorbereitung. Dazu kommt dann allerdings noch der Einstrom der italienischen Barockelemente. Weitere Hauptländer des Barock sind Spanien, Frankreich und die südlichen Niederlande. Da der Barock die offizielle Kunst der durch die Gegenreformation gestärkten katholischen Kirche war, hat er sich am mächtigsten und eigentümlichsten in den katholischen Ländern entfaltet. Die protestantische zentralräumliche Kirche gewann in der Dresdner Frauenkirche Monumentalität (Bähr, 1726ff.). Die römischen Modelle erfüllte Fischer von Erlach mit der Reichssymbolik, erkennbar z. B. an der Karlskirche in Wien (1716-1722). Der Palastbau fand in Versailles seinen Höhepunkt. Den deutschen Palastbau zeichnen insbesondere die Treppenhäuser aus, so in Pommersfelden (bei Höchstadt an der Aisch), in der Residenz von Würzburg, ebenso seine Festbauten wie der Dresdner Zwinger, der aus Pöppelmanns Bau und Permosers Skulptur als Einheit bervorgeht. Beherrschende Akzente in der Landschaft sind die Stifts- und Klosteranlagen wie Melk oder Banz (am Main). Das Schloß Belvedere in Wien wurde von 1714 bis 1721 vom Baumeister Johann Lukas von Hildebrandt (1668-1745) für Prinz Eugen (1663-1736), den grandiosen Feldherrn und Staatsmann der Habsburger, erbaut. Auch deshalb wurde dieses Untere und Obere Belverdere für Hildebrandt zum Hauptwerk. Das Lustschloß war gewissermaßen ein Geschenk für Prinz Eugens erfolgreiche Siege in den 3 Türkenkriegen (1663/64, 1683-89, 1716-18) und im Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714) sowie seine Fähigkeiten als weitschauender Politiker, der die Idee der Staatsräson an die Stelle dynastischer Überlegungen setzte. Was Prinz Eugen in Sachen Politik erreichte, das erreichte der Kaiserliche Hofingenieur von Hildebrandt mit seinen spätbarocken Schlössern: die Einleitung der Reihe großer deutscher Architekten der spätbarocken Fürstenschlösser. Andreas Schlüter (1660-1714) gab dem werdenden Königtum in Preußen mit dem Stil des preußischen Barock eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung (Ausstattung des Zeughauses, Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Bronzestandbild des Kurfürst Friedrich III. u.v.m.).
Auch musikalisch umfaßt der Barockstil die Zeit zwischen 1600 und 1720 (bzw. 1750). In dieser Zeit bildete sich in Deutschland die Linie von Michael Schultheiß (Praetorius; 1571-1621) und Heinrich Schütz (1585-1672) über Dietrich Buxtehude (1637-1707), H. I. Franz Biber (1644-1704) und Johann Pachelbel (1653-1706) zu Georg Friedrich Händel (1685-1759) und Johann Sebastian Bach (1685-1750). Sein Ende muß man deshalb mit dem Jahr 1750 ansetzen, weil Johann Sebastian Bach den Barockstil zum krönenden Abschluß und, das ist besonders wichtig, zur Überwindung brachte. In Italien (Venedig) wirkten Claudio Monteverdi (1567-1643), Arcangelo Corelli (1653-1713), Antonio Vivaldi (1680-1743), Domenico Scarlatti (1685-1757) und Agostino Stéffani (1654-1728). Letzterer war als Musiker und Staatsmann in München, Düsseldorf und vor allem in Hannover tätig. Er starb in Frankfurt. Frankreich brachte Jean Baptiste Lully (1632-1687), England Henry Purcell (1658-1695) hervor.
Im Sinne einer überstilistischen Synthese der einzelnen Elemente wurde mit Bach der Barockstil zur Spitze gebracht, vollendet und überwunden. Die Verniedlichung des Barock im Rokoko war vor allem in Frankreich bedeutsam, in Deutschland jedoch nur eine Episode vor dem Hochgipfel der Wiener Klassik. Das lag am Barockmeister: Bach faßte vor dieser Stilwende die Musikstile der Vergangenheit, von den Niederländern (Gotik) über Schütz zu Buxtehude und Vivaldi in einzigartiger Synthese zusammen, die das Ideal einer völligen Verschmelzung von Polyphonie und Generalbaß, von Kontrapunkt und Harmonie, von Zeichnung und Fläche darstellt. Die geistige Grundlage seines Schaffens war seine tiefe Religiosität, die im Grunde auch seine nichtkirchlichen Werke trägt, obwohl in ihnen oft eine gesunde Lebensfreude durchbricht. Aus dem religiösen Erlebnis wuchs in Bachs Musik das Gotisch-Mystische: immer wieder bricht es durch das barocke Zeitgewand (Arie, Affektdarstellung, Madrigalismen, Ornamentik, Dynamik). Die Keimzelle, aus der Bachs Kunst sich formte und formt, ist der Choral. Als größter Erfüller der Zeit hat er diese gleichzeitig überwunden und in der geistigen Bindung der Epochen Ewigkeitswerte geschaffen. Für die Generation nach 1750, die neuen Zielen zustrebte, war er bald ein vergessener Unzeitgemäßer – nicht so für Beethoven. Die erste Aufführung der Matthäus-Passion durch Mendelssohn (1829) war der Beginn einer Bach-Renaissance, die bis heute keineswegs abgeschlossen ist und weit über Deutschlands Grenzen hinausgegriffen hat. (Vgl. 18-20, 20-22 und 22-24).

Stammbaum der Musikerfamilie Bach des 17. und 18. Jahrhunderts
Hans Bach († 1626)
Johann Bach
(1604-1673)
Heinrich Bach
(1615-1692)
Christoph Bach
(1613-1661)

Johann Ägidius Bach
(1645-1717)
Johann Michael Bach
(1648-1694)
Johann Christoph Bach
(1642-1703)
Johann Ambrosius Bach
(1645-1695)

Johann Bernhard Bach
(1676-1777)

Maria Barbara Bach
(1684-1720)
Johann Sebastian Bach
(1685-1750)
Heirat (Maria): 1707 Heirat (Anna): 1721
Anna Magdalena, geb. Wilcken
Johann Christoph Bach
(1671-1721)

Johann Ernst Bach
(1722-1777)
Wilhelm Friedemann Bach (1710-1784)

Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788)

Johann Gottfried Bernhard Bach
(1715-1739)
Johann Christoph Friedrich Bach (1732-1795)

Johann Christian Bach
(1735-1795)
Johann Bernhard Bach
(1735-1782)

Die Kunst, ein mehrstimmiges Tonstück aus melodisch selbständigen Stimmen aufzubauen, ist ein nur für die abendländische Kultur charakteristisches Streben. (Vgl. Kontrapunkt und Polyphonie). Seit dem 14. Jahrhundert haben alle großen Komponisten neben der kontrapunktischen Selbständigkeit der Stimmen dem Zusammenklang Beachtung geschenkt, und der vollkommene Ausgleich von linearen und vertikalen Rücksichten (Bach) muß als Ideal bezeichnet werden. Bei heutigen linearen Versuchen wird oft vergessen, daß das Ohr des Hörers seit dem 17. Jahrhundert ebensosehr (wenn nicht mehr!) auf das harmonische wie auf das polyphone Hören eingestellt ist. (Vgl. 22-24). Schlicht volkstümliches Singen, das sich in Terzen und Sextenfolgen abspielt, ist nicht kontrapunktisch, sondern harmonisch ergänzend. Für den Kontrapunkt sind strenge Regeln aufgesetzt. Der Ausgleich zwischen Polyphonie und Homophonie wurde von Bach vorbildlich erreicht, und auch alle Musiker, die nach ihm kamen, strebten ihn an.
Literarisch beginnt die Phase des Barock mit Namen wie Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616) und William Shakespear (1564-1616). Am bekanntesten sind Werke wie Numancia (1584), Galathea (1585), Don Quijote de la Mancha (um 1605), Die Reise zum Parnaß (1614), Die Leiden des Persiles und der Sigismunda (1617) und Romeo und Julia (1595), Hamlet (1601), Othello (1604), König Lear (1605), Macbeth (1608) und andere berühmte Werke. Den Beginn der Barockliteratur in Deutschland markiert das Buch von der deutschen Poeterey (1624) von Martin Opitz (1597-1639), der sich stark an französischen, italienischen und antiken Vorbildern orientierte. Bedeutende Poetiken stammen auch von G. P. Harsdörffer (1607-1658) und D. G. Morhof (1639-1691). Einen bedeutenden Beitrag zum Barock lieferte die Lyrik. Neben dem schon erwähnten Opitz sollen hier, stellvertretend für viele andere Lyriker, J. Rist (1607-1667), P. Gerhardt (1607-1676), S. Dach (1605-1659), P. Fleming (1609-1640) und A. Greif (Gryphius; 1616-1664) genannt werden. Beiträge zur Spruchdichtung lieferten u. a. F. Logau (1604-1655) und J. Scheffler (Angelus Silesius; 1624-1677). Zum eigentlich literarischen Dokument der Barockzeit wurden aber die Werke des Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622-1676). Dieser deutsche Dichter stand 1648 noch im Kriegsdienst, war 1667 Schultheiß (dörflicher Amtsträger) in Renchen und konvertierte zum katholischen Glauben. Seine schriftstellerische Tätigkeit begann er 1658 unter verschiedenen Decknamen. Sein Hauptwerk erschien 1667 in mundartlich gefärbter Sprache: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch, ein Roman in 5 Büchern. 1669 erschien die sprachlich gereinigte 2. Auflage und die Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi … als 6. Buch, das bedeutendste literarische Dokument der Barockzeit, deren nationale und internationale Literatur Grimmelshausen vielfach verarbeitete. Er schuf die erste realistische Darstellung der Zeit- und Sittengeschichte, zugleich aber auch eine moralisch-satirische Allegorie vom Leben des Menschen in dieser Welt. Grimmelshausen fand zu dem großartigen Mittel satirischen Erzählens, zu der Perspektive eines tumben Toren, der Erfahrungen mit der Welt macht, die sich im 30jährigen Krieg in ihrem elementaren Zustand zeigte. Immer wieder variierte er das Thema der Unbeständigkeit und des Wahns der Welt sowie der Hoffnung auf Erlösung im Jenseits, auch in den sogenannten simplizianischen Schriften, u. a.: Trutz Simplex: Oder Ausführliche und wunderseltzame Lebensbeschreibung Der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courache (1670) oder Das wunderbarliche Vogel-Nest (1672). Die Gestaltung barocker Thematik in der Literatur Frankreichs begann um 1580 mit Michel de Montaignes (1533-1592) Betonung der Wechselhaftigkeit des Individuellen und endet um 1665, als Jean Racine (1639-1699) und Jean-Baptiste Molière (1622-1673) mit ihren Werken Verwandlung und Überwindung dieser Phase signalisieren. In dem genannten Zeitraum waren indessen Lyrik und Drama intensiv vom Genie des Barock geprägt worden.
Diese Phase brachte in beiden Kulturen – Antike und Abendland – nicht nur einen enormen Wissensschub durch Erkenntnisdrang, Reise und Kolonisationsdrang, verbunden mit Erfindungen und Entdeckungen, sondern auch eine durch die politisch Mächtigen heraufbeschworene Auswanderungswelle, weil ja durch die Kolonisation und Entdeckungen Alternativen gegeben waren. Obwohl die Portugiesen wahrscheinlich schon im 16. Jahrhundert Australien entdeckt hatten, gilt der Holländer W. Janszoon offiziell als der Entdecker Australiens (1605). A. Tasman umsegelte 1642 West- und Südaustralien bis zur Insel Tasmanien. Neben Australien stand für die Abendländer aber eine andere neue und besonders interessante Jenseitsheimat zur Verfügung: Nordamerika. Gerade diese kolonialen Gebiete sollte sich für viele Menschen als das gelobte Land herausstellen, denn in Europa waren viele Andersgläubige Verfolgte und vor die Alternative des Exodus gestellt. Die Gegenreformation, die sehr bald einen 30 Jahre dauernden Krieg gegen die Protestanten bestreiten sollte (1618-1648), und die Unruhen in England am Vorabend des Bürgerkrieges zwischen Krone und Parlament (1642-1648) ließen viele Menschen daran zweifeln, ihre Lebens- und Religionsvorstellungen in Europa zu verwirklichen: sie wanderten aus und versuchten ihr Glück in Amerika. 1584 besiedelten Engländer Virginia in Nordamerika, und bereits 1607 wurde die erste englische Kolonie namens Virginia gegründet. Die englischen Kolonisten betrieben Tabakanbau mit Hilfe von Negersklaven. Die Pilgerväter, 102 englische Puritaner, wanderten 1620 auf der Mayflower nach Nordamerika aus und gründeten die Kolonie Neu-England. Auf dem ganzen Erdglobus gab es zu dieser Zeit Kolonialgründungen und Auswanderungswellen. 1623 begann die deutsche Auswanderung nach Amerika – 5 Jahre nach Beginn des 30jährigen Krieges. Die Kolonisation war eine andere und hatte andere Beweggründe als die der vorigen Phase, als Portugiesen und Spanier ein Weltreich aufbauten. (Vgl. Karte und 12-14). Abgesehen davon, was sie sonst noch waren, waren die Portugiesen und Spanier religiöse Verfolger, aber viele der jetzigen protestantisch-puritanischen Kolonialherren und Siedler religiös Verfolgte. Abenteuerer mußten sie ohnehin sein, denn sie konnten sich nicht sicher sein, daß ihr Vorhaben, ihr Glaube und ihre Zukunft Bestand haben würde. Sklavenhändler hätten sie nicht sein müssen, waren aber die meisten unter ihnen.
Die Ionier waren ebenfalls Benachteiligte, nachdem Dareios 546 v. Chr. für Persien ganz Kleinasien erobert hatte. Die persische Herrschaft bedeutete für viele Griechen in Kleinasien das, was für viele Europäer die religiösen Verfolgungen bedeuteten, denen sie sich selbst ausgesetzt hatten. Die ionischen Naturphilosophen wanderten nach Unteritalien aus und gründeten dort die beiden ersten Philosophenschulen der Antike: Xenophanes (580/577-485/480) in Elea (Eleaten) und Pythagoras (580/570-500/480) in Kroton (Pythagoräer). Die Eleaten, deren Schule sich bis ca. 430 v. Chr. hielt, und die Pythagoräer, die bis ins 4. Jh. v. Chr. aktiv blieben, aber auch die Einzelgänger-Philosophen, z.B. Heraklit (544-483), Anaxagoras (500-428), Empedokles (483-424) und Leukipp (5. Jh. v. Chr.) u.a. sind in etwa zu vergleichen mit den barocken Philosophen und Naturforschern des Abendlandes, von denen die meisten auch großartige Mathematiker waren. (). Die Pythagoräer waren Mathematiker, aber auch religiös motivierte Politiker. Die Anhänger der Philosophie des Pythagoras waren nämlich im engeren Sinne Mitglieder der von diesem gegründeten religiös-politischen Gemeinschaft in Kroton. Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. wurden die der Aristokratie nahestehenden Pythagoräer aus Unteritalien mit Ausnahme von Tarent vertrieben, und bald nach 350 v. Chr. gab es in Unteritalien keinen Bund der Pythagoräer mehr. (Vgl. 18-20). Pythagoras kann man aufgrund der politischen Motive durchaus mit Oliver Cromwell (1599-1658) vergleichen, vom geistigen Standpunkt her gesehen mit Francis Bacon (1561-1626) und Thomas Hobbes (1588-1679). Wenn er aber auch mit Leibniz zu vergleichen ist, dann hätte er Philosoph, Mathematiker, Physiker, Diplomat und Historiker sein müssen. Leibniz war wohl der universalste und schöpferischste Gelehrte des 17. Jahrhunderts, wahrscheinlich sogar des Abendlandes überhaupt. Irgendwie hatte er doch auch etwas Einzelgängerisches oder Monadologisches. (). Auch Heraklit (544-483) war einzelgängerischer Philosoph und Politiker, für den es nur einen Urgrund gab: das Feuer als die Weltvernunft schlechthin. Das Feuer war für ihn der Urstoff, der Logos als das Urfeuer, das sogar über den Göttern thronte. Heraklit wirkte weit über seine Zeit hinaus und war in etwa das für die Antike, was Descartes für das Abendland war: ein von der Souveränität der Vernunft Überzeugter. Descartes begründete den Rationalismus und erzielte eine fast an Leibniz heranreichende Wirkung. Was Heraklit für die Geschichte des Logos war, waren die Eleaten Xenophanes und Parmenides (540-480) für das All-Eine. Die Eleaten Zenon (490-430) und Melissos (5. Jh.) versuchten, das All-Eine zu beweisen, und der Einzelgänger Empedokles (483-424) versuchte, das All-Eine zu sein. Was Galilei für die Geschichte der naturwissenschaftlichen Methodik war, war Descartes für deren theoretische Grundlagen, weil die moderne Technik auch nur dadurch entstehen konnte, daß Descartes die Menschen in eine Position gegenüber der Natur brachte, von wo aus eine durchgreifende Naturbeherrschung überhaupt erst möglich wurde. Er hat die Menschen so denken gelehrt, daß sie die Technik erschaffen konnten. Kepler erfand das astronomische Fernrohr (Teleskop) um 1600, während er mit der Begründung der Planetengesetze (1600-1609) beschäftigt war. Pascal (1623-1662) begründete die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Leibniz und Newton begründeten unabhängig voneinander die Infinitesimalrechnung (1665/1672). Leibniz erfand eine Multipliziermaschine (1673), Newton das Spiegelteleskop (1669). Außerdem begründete Newton die Gravitationsgesetze (1666).
Grundsätzlich waren die Eleaten Vertreter des Rationalismus und des Agnostizismus, aber im Gegensatz zum faustischen Abendland fehlte der apollinischen Antike dieser gesamte Zug zur wissenschaftlichen Praxis, zur Trennung von Geist und Natur, zur Bejahung der Zeit und des unendlichen Raums. Der unendliche Raum wurde und wird im Abendland nicht denkerisch übersprungen, sondern willentlich erforscht und untersucht, selbst auf die Gefahr hin, daß man sich in ihm verliert, wie es die gotischen Dome symbolisch verraten und wie die Seefahrer anfangs auch ohne Kenntnis der Ozeanwinde darauf hofften, daß es dort einen Wind geben könne, der sie wieder zurück nach Portugal bringen würde. (Vgl. 10-12). Der Mensch ist das Maß aller Dinge, behauptete der Sophist Protagoras (480-410), der sich auch zuerst als Sophist und Menschenkenner bezeichnete. Die Technik ist das Maß aller Dinge, könnte man dagegen die Devise der rational-empirisch ausgerichteten Meister des Abendlandes nennen. Die Antike war in philosophischen Angelegenheiten von grandioser Eigenart, aber sie sah in allen kulturellen Elementen nichtzeitliche Körper, ahistorische Halbgötter (Halbmenschen), zeitlose Urstoffe und raumlose Gesellschaftskörper. Für letztere ist die Polis das beste Beispiel. Ursymbol und Seelenbild müssen um 180 Grad gedreht werden, wenn man Antike und Abendland vergleichen will. Wahrscheinlich beschäftigen wir uns deshalb so gern mit der Antike. Es scheint dies eine solche Vater-Sohn-Beziehung zu sein, die typischerweise symbiotisch ausfällt. Aus den eben genannten Gründen gab es in der Antike auch keinen Absolutismus im abendländischen Sinne, sondern eine Tyrannis im antiken Sinne. Sie war zwar auch durch absolute Herrscher gekennzeichnet, bezog sich aber auf Stadtstaaten, auf Poliskörper. Die Antike hat in der Zeit von etwa 560/550 bis 430/420, als der ionische Baustil sich durchsetzte, ihre ersten großen Philiosophen und deren Schulen sowie ihre Mathematiker, Künstler, Maler, Bildhauer, Ärzte, Staatsmänner, Geschichtsschreiber Literaten und Dichter genauso hervorgebracht wie später das Abendland. Das Abendland brachte allerdings zusätzlich und auf faustische Art die experimentelle Wissenschaft und die kontrapunktische Instrumentalmusik auf deren Höhepunkt (Bach), dabei die Gattungen Oper und Oratorien ins Leben rufend. In der Antike wirkten in dieser Phase Phidias (um 500) als Bildhauer, Polyklet (5. Jh.) als Bronzebildner, Polyknot (5. Jh.) als Maler, Pindar (522-446) als Chorlyriker und Musiker, Aischylos (525-456) und Sophokles (497-406) als Tragödiendichter. Hekataios (560-480) steht am Anfang der Geschichtsschreibung; als Geograph und Historiograph bereiste und beschrieb er große Teile der damals bekannten Welt und versuchte, Mythisches in ein chronologisches System zu bringen. Herodot (484-425), der als Vater der Geschichte gilt, erkundete Hellenen und Barbaren, wodurch er dem Gefühl des Hellenentums einen historisch-literarischen Ausdruck verlieh. Thukydides (460-396) erforschte dagegen die Geschichte bereits kausal, z.B. die des Peloponnesischen Krieges (431-404).
Die ionische Säulenordnung, deren Merkmale zwei große nach den Seiten ausladende Voluten am Kapitell sowie Kanneluren mit Stegen sind, geht auf das äolische (aiolische) Volutenkapitell zurück. Sie setzte sich seit etwa 570 v. Chr., in Mittelgriechenland allerdings erst im 5. Jahrhundert v. Chr., durch.
Ionische Ordnung bedeutet, daß die Spannung zwischen Last und Tragen in der Säule gelöst ist durch ihre Gliederung in Stütze (schlanker und kaum verjüngter Säulenschaft) und 2 Lagerglieder, Basis und Kapitell. Die Basis ist unterschiedlich unterteilt. Das Gebälk setzt sich zusammen aus Architrav, gegliedert in 3 abgestufte Faszien (Streifen), Fries (als ionisch-attische Ordnung), vorspringendem Zahnschnitt (nur in der späten ionisch-attischen Ordnung) und überhängendem Geison (Dachgebälk) mit Sima (Blende). Die kleinasiatisch-ionische Ordnung kennt nur Zahnschnitt und keinen figural verzierten Fries. Die ionische Ordnung, die in Kleinasien und der Ägäis entstanden war, setzte sich mehr und mehr in ganz Griechenland durch.

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Ionische Säulenordnung. Das Kapitell ist ein Zwischenglied zwischen Stütze und Last.

Schon die dorischen Säulen waren mit der Zeit immer höher und schlanker geworden, bei den ionischen, die von Anfang an eine grazilere Gestalt besaßen, schritt dieser Prozeß fort. Die feinere Kanellierungmit den Zwischenstegen, die Aufteilung des Architravs in 3 horizontale Streifen, die Einrollung (Voluten) an den Kapitellen, die nicht wie in der dorischen Ordnung hart auf dem Architrav stießen, sondern diesen durch ihre Kissenform fast schweben ließen – alles war im ionischen Stil eleganter, dekorativer und repräsentativer als im dorischen Stil. (Vgl. Dorik). Mit zum Teil noch höheren ionischen Säulen und hohen, äußerst dekorativen korinthischen Kapitellen sollte später die korinthische Ordnung versehen werden. (Vgl. Korinthik).
Zum Verständnis:

Während die Baukunst des griechischen Festlandes mit wenigen Ausnahmen allein den dorischen Stil bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. beibehielt, kannte der griechische Osten seit etwa 570 v. Chr. den ihm eigenen ionischen Stil, dessen bedeutendste Werke um die Mitte des 6. Jahrhunderts errichtet wurden (Artemis-Tempel in Ephesos, Heraion auf Samos u.a.). Erst im 5. Jahrhundert v. Chr. wurde der ionische Baustil für kleinere und zierliche Bauten (Nike-Tempel, Erechtheion in Athen) vom Festland übernommen.

In diese entscheidenden Zeiten fielen in der Antike die Eingliederung Ioniens und ganz Kleinasiens in das Perserreich (546), die Abwanderung vieler Ionier nach Unteritalien und in andere Kolonien, der Ionische Aufstand (500-494), die Perserkriege (500-479), der 1. Attische Seebund (477), der die Persergefahr abwehren sollte, und der Peloponnesische Krieg (431-404), der den Dualismus zwischen Athen und Sparta auf die Spitze, Sparta und Persien in ein Bündnis (412) trieb, weil die ionischen Städte mit Athen verbündet waren. Diese Phase sah viele Tyrannen, oligarchische und demokratische Gegner sowie auf allen Seiten strategische Kriegsführer. Während dieser Krisen brach in Athen die Pest aus (429), der ein Drittel der attischen Bevölkerung zum Opfer fiel. Mit der Einführung der Oligarchie in Athen (411), der Niederlage und Übergabe Athens an die Sieger (404) sowie der damit verbundenen Auflösung des 1. Attischen Seebundes begann die nächste Phase, die Sparta als Hegemonialmacht aus diesem weltweiten Machtkampf hervorgehen ließ, obwohl der eigentliche Sieger Persien war. Im Abendland fanden ähnliche Entwicklungen statt, nur muß man berücksichtigen, daß es hier um größere Territorien und um Territorialmächte ging und Stadtstaaten kaum eine Rolle spielten. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) führte zur innerlichen Auflösung des Deutschen Reiches in einen Staatenbund, der die Zentralgewalt des Reiches abwehren sollte – ein Trauma, an dem Deutschland heute noch leidet. (Vgl. 22-24). In das Ende dieser Phase fiel der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1713/1714), der den Dualismus zwischen Habsburg und Bourbon auf die Spitze, dann die jeweiligen Gegner in ein Bündnis mit den Seemächten trieb, weil die Erbfolge eine Hegemonie bedeutete und die Gleichgewichtspolitik Englands störte. Diese Phase sah viele Absolutisten, oligarchische und demokratische Gegner sowie auf allen Seiten strategische Kriegsführer, z.B. Albrecht von Wallenstein (1583-1634), Johann von Tilly (1599-1632) oder Oliver Cromwell (1599-1658). Der 30jährige Krieg brachte Pest und Verwüstung, der ein Drittel der deutschen Bevölkerung zum Opfer fiel. Der Übergang in die nächste Phase war für viele Staaten gekennzeichnet durch Einführung oligarchischer Staatsformen, in Deutschland durch den raschen Wiederaufbau, der mit der Leistung der Reichsfürsten verbunden war. Frankreich konnte sich zwar nach dem 30jährigen Krieg und dem ihn beendenden ersten neuzeitlichen Friedenskongreß (1643-1648) sowie durch den Krieg gegen Spanien (1669: Pyrenäenfriede) als Hegemonialmacht verstehen, der eigentliche Sieger dieser Phase wurde jedoch nach dem Spanischen Erbfolgekrieg und auf dem ihn beendenden zweiten neuzeitlichen Friedenskongreß (1713/1714) bestätigt: der Schiedrichter England. Ein Vorgeschmack auf die späteren Weltkriege sollte es in beiden Kulturen schon jetzt geben, denn er ist wohl so etwas wie eine politische Pubeszens, eineinnerstaatliche Mannwerdung, und die auf diesen Initiationsritus folgenden ersten Weltfriedenskongresse sind für die einzelnen Teilnehmer eineinternationale Jugendweihe.

Entwicklungen im 16. und 17. Jahrhundert bzw. vom 7. bis zum 5. Jahrhundert v. Chr.

Der Mittelpunkt der Politik lag damals in Spanien, wo mit der gesellschaftlichen Kultur überhaupt auch der diplomatische Stil des Barock entstanden ist, nämlich im Kabinett Philipps II. (reg. 1556-1598), und wo das dynastische Prinzip, in dem sich der absolute Staat dem Cortes (Parlament) gegenüber verkörperte, seine gewaltigste Ausbildung erfahren hat, und zwar im Kampf gegen das Haus Bourbon. Der Versuch, auch England genealogisch dem habsburgisch-spanischen System einzugliedern, war unter Philipp II. gescheitert, weil der schon angekündigte Erbe aus einer Ehe mit Maria von England ausblieb. Doch unter Philipp IV. (reg. 1621-1665) tauchte noch einmal der Gedanke einer alle Ozeane beherrschenden Universalmonarchie auf, nicht mehr jenes mystische Kaisertum des Mittelalters, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, sondern das greifbare Ideal der Weltherrschaft des Hauses Habsburg, die sich von Madrid aus auf den realen Besitz von Indien und Amerika und auf die schon fühlbar hervortretende Macht des Geldes stützen sollte. (Vgl. Karte). Damals versuchten die Stuarts, ihre gefährdete Stellung durch die Ehe des Thronfolgers mit einer spanischen Infantin zu verstärken, aber in Madrid zog man zuletzt die Verbindung mit der eigenen Seitenlinie in Wien vor, und so wandte sich Jakob I. (reg. 1603-1625) – ebenfalls vergeblich – an die Gegenpartei der Bourbonen mit dem Vorschlag eines Ehebündnisses. Der Mißerfolg dieser Familienpolitik hat mehr als alles andere dazu beigetragen, die Bewegung der Puritaner mit der englischen Fronde zu einer großen Revolution zu verbinden.
Das Ende des 30jährigen Krieges, der Westfälische Friede von 1648, war der Beginn der Zeit säkularisierter Staaten und führte durch die Beseitigung der habsburgischen Hegemonialmacht zu den neuen Großmächten Frankreich, Schweden und Niederlande. Frankreich und Schweden erhielten Besitzungen im Deutschen Reich, während die Niederlande und die Schweiz aus dem Deutschen Reich ausschieden. In Deutschland siegte die fürstliche Libertät, wenn auch knapp, über die kaiserliche Zentralgewalt; das Reich löste sich in einen Staatenbund auf, der die politische und militärische Ohnmacht Deutschlands besiegelte, obwohl das Deutsche Reich überraschend schnell wieder zu neuen Kräften fand – trotz schwerer Kriegsschäden, Verwüstungen und eines Drittels an Bevölkerungsverlust. Der rasche Wiederaufbau war eine Leistung der Fürstenhöfe. Durch Konzentration der Verwaltung, des Heeres, des Steuerwesens wurden sie zu Mittelpunkten des politischen und kulturellen Lebens. Neben absolutistischen Staaten, wie z.B. Brandenburg oder Bayern, entstanden auch Staaten mit ständischer (oligarchischer) Verfassung, wie z.B. Württemberg oder Mecklenburg. Reichsorgane waren zwischen Kaiser und Reich nach dualistischem Ständeprinzip aufgeteilt in Hofkanzlei (Wien) und Reichskanzlei (Mainz), Reichshofrat (Wien) und Reichskammergericht (Wetzlar). Seit 1663 gab es den permanent tagenden Reichstag in Regensburg, ein Gesandtenkongreß, gegliedert in 3 Kurien der Kurfürsten (8), der Fürsten (165) und der Reichsstädte (61), die in sich noch in Konfessionsparteien gespalten waren. Die kaiserlichen Rechte auf Gesetzgebung und Verträge waren an die Zustimmung des immerwährenden Reichstages in Regensburg gebunden. Nur nach Beschluß eines Reichskrieges wurde eine Reichsarmee gebildet. Sie hatte also kaum militärischen Wert. Repräsentanten des Reiches waren die Reichsstände: Reichsfürsten, Reichsgrafen, Reichsprälaten und Reichsstädte, die das aus der Reichsunmittelbarkeit erwachsene Recht zur Führung einer fürstlichen Einzelstimme (Virilstimme) oder zur Beteiligung an einer Kuriatstimme (Gesamtstimme) im Reichstag besaßen (Reichsstandschaft). Die Reichsstände erhielten volle Souveränität durch das Bündnisrecht, das nur nicht gegen Kaiser und Reich gerichtet sein durfte. Ius foederationis, so hieß dieses Bündnisrecht, wurde schon damals, obwohl mitverursachendes Übel, zur heiligen Kuh der deutschen Föderalisten. Nicht nur 1618-1648 und 1914-1945, die beiden 30jährigen Kriege, waren samt ihrer politischen Vorgeschichten ähnlich, auch die Zeit nach 1648 war doch irgendwie ein Vorgeschmack auf die Zeit nach 1945. Die österreichischen Habsburger stellten weiterhin die deutschen Kaiser und verfolgten ihre deutsche Großmachtpolitik gegebenenfalls auch ohne den Rest des Reiches. Es entstand aber auch mit der Rheinischen Allianz eine antihabsburgische Partei, u.a. durch die Kurfürstentümer Mainz und Köln.
Ein Friedensvertrag, der einen schrecklichen 30jährigen Krieg beendete und das Vergessen, die Amnestie wollte:

„Es soll auf beiden Seiten in ewige Vergessenheit geraten und eine Amnestie alles dessen eintreten, was von Beginn dieser Unruhen an nur irgendwo oder irgendwie von dem einen oder anderen Teile hinüber und herüber an Feindseligkeiten geschehen ist. Keiner darf somit um derent- noch irgendeiner anderen Ursache oder eines Vorwandes willen dem anderen künftig irgendwelche Feindseligkeiten oder Feindschaft, Belästigung oder Hindernis hinsichtlich seiner Person, seines Standes, seines Besitztums, seiner Sicherheit durch sich oder durch andere, heimlich oder offen, direkt oder indirekt, unter dem Scheine des Rechts oder auf dem Wege der Gewalt, innerhalb des Reiches oder irgendwie außerhalb desselben antun oder anzutun befehlen oder zulassen, und keinerlei frühere auf das Gegenteil abzielende Verträge können hier entgegenstehen. – Vielmehr sollen alle und jede von beiden Seiten sowohl vor dem Kriege als im Kriege durch Wort, Schrift oder Tat zugefügten Unbilden, Gewaltsamkeiten, Feindseligkeiten, Schäden, Unkosten ohne jedes Ansehen der Person oder Sache derartig gänzlich abgetan sein, daß alles, was immer der eine gegen den anderen unter diesem Titel vorgeben könnte, in ewiger Vergessenheit begraben sei.“ (Westfälischer Friedensvertrag von Osnabrück, 24.10.1648, Artikel II, und Münster, 24.10.1648, Artikel II, im gleichen Wortlaut).

„Frankreich strebte nach der kontinentalen Hegemonie und war damals der aggressivste Staat in Europa, der sich schon bei der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges 1648 als Garantiemacht neben Schweden die größten Vorteile über Deutschland verschafft hatte. Es erhielt in § 76 des Westfälischen Friedensvertrages das ewige Recht auf freien Durchzug durch das gesamte Reichsgebiet zu Wasser und zu Lande zur Heranführung von Soldaten und Proviant, sooft und soweit dies erforderlich sein würde.“ Und schon wenige Jahre nach dem Frieden von 1648 „wurden die europäischen Staaten erneut von Frankreich und Schweden in kriegerische Konflikte verwickelt“, so Bödecker, der weiß, daß diese Konflikte teilweise sogar über das Ausmaß der Kriegshandlungen innerhalb des 30jährigen Krieges hinausgingen. Er sind folgende Kriege:
g 1663-1718 Drei Türkenkriege (1. Türkenkrieg, 1663-1664; 2. Türkenkrieg, 1683-1699; 3. Türkenkrieg, 1716-1718). Das Osmanische Reich und Frankreich kämpften gegen Europa (Große Allianz); die Hauptlast hatte Deutschland zu tragen, innerhalb Deutschlands vor allem Österreich.
g 1667-1668 Frankreich gegen Spanien und die spanische Niederlande. Auch hier war Deutschland betroffen. Dieser Devolutionskrieg – einer der vielen Eroberungskriege des französischen Königs Ludwig XIV. – wurde mit dem Frieden zu Aachen (1668) beendet.
g 1670-1688 Frankreich gegen Deutschland (Teile Deutschlands). Fälschlich Frankreichs Reunionskriege genannt, denn es waren Eroberungskriege des französischen Königs Ludwig XIV.: Burgund, Lothringen, Teile des Elsaß – also Gebiete, die seit 870 (Vertrag von Mersen) und folglich seit über 800 Jahren (!!!) zu Deutschland gehörten (also nie zu Frankreich gehört hatten) -, wurden von Frankreich annektiert.
g 1672-1678 Frankreich gegen Holland. Ebenfalls einer der Eroberungskriege des französischen Königs Ludwig XIV..
g 1688-1697 Frankreich gegen Deutschland (Teile Deutschlands). Der sogenannte Pfälzische Krieg war ebenfalls einer der Eroberungskriege des französischen Königs Ludwig XIV.: Französische Truppen verwüsteten die Pfalz, insbesondere Worms, Heidelberg und die Kaisergräber in Speyer. Im Frieden von Rijswijk mußte Frankreich den ersten Verlustfrieden hinnehmen, behauptete aber einige Gebiete im Elsaß.
g 1700-1721 Schweden gegen Rußland: Nordischer Krieg.
g 1701-1714 Frankreich gegen Europa (Große Allianz). Dieser von Frankreich mittelbar verursachte Spanische Erbfolgekrieg endete mit der Niederlage Frankreichs. Durch den Frieden von Utrecht (1713) und von Rastatt und Baden (1714) wurde England zum Schiedsrichter Europas. England siegte also mit seiner Gleichgewichtspolitik, „Balance of Power“ ).

„In diesen kriegerischen Auseinandersetzungen hatten sich alle Staaten, mit Ausnahme Englands, völlig verausgabt und standen den Problemen eigener totaler Erschöpfung gegenüber. Während Brandenburg-Preußen, abgesehen von den Gebieten in Geldern und Neuchatel, im Friedensvertrag von Utrecht 1713 trotz seines beachtlichen militärischen Beitrages zum Sieg der Großen Koalition über die französische Streitmacht leer ausging, stieg England zur ersten Weltmacht auf. Holland mußte sich fortan mit dem zweiten Platz begnügen. Das war der politische und persönliche Hintergrund, vor dem der junge – im Jahre 1688 geborene – Kronprinz Friedrich Wilhelm, den die Nachwelt den »Soldatenkönig« nennen sollte, am preußischen Hof aufwuchs: Schwäche und hohe Schulden des Staates, Abhängigkeit von anderen Mächten, sittliche Verderbnis am Hof und eine allgemeine Verschwendungssucht. Der Kronprinz kannte das Schicksal seines Landes im Dreißigjährigen Krieg mit den gewaltigen Zerstörungen und Brandschatzungen durch fremde Truppen. Er hatte aber auch stets das Schicksal seines Großvaters, des Großen Kurfürsten, vor Augen, der trotz seines Sieges über die Schweden (1675 bei Fehrbellin) im Friedensvertrag von Saint-Germain 1679 vom deutschen Kaiser in Wien und von den Fransosen um den Lohn seines Sieges, nämlich um den von Schweden okkupierten Teil Vorpommerns und um Stettin, gebracht worden war. …. Friedrich Wilhelm war ein Reichsfürst, der Kaiser und Reich als verbindliche Norm anerkannte: »Kein Engländer und Franzose soll über uns Deutsche gebieten, und meinen Kindern will ich Pistolen und Degen in die Wiege geben, daß sie die fremden Nationen aus Deutschland helfen abhalten.«“ (Ehrhardt Bödecker, Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2004, 289-292). Schauen wir noch einmal weiter in die Vergangenheit zurück:
Wie bereits erwähnt, war aus dem deutschen Ordensstaat das weltliche Herzogtum Preußen hervorgegangen. (Vgl. 12-14). 1618 kam es an die brandenburgische Linie der Hohenzollern. Brandenburg erhielt im Westfälischen Frieden die Bistümer Halberstadt, Cammin und Minden, die Anwartschaft auf das Erzbistum Magdeburg (Anfall 1680) sowie Hinterpommern. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1620-1688), regierte von 1640 bis 1688 und baute in dieser Zeit, im Streben nach Arrondierung seines relativ zersteuten Territoriums und nach Angliederung Vorpommerns ein stehendes Heer auf und arbeitete auch mit der Aufhebung der ständischen Finanzrechte, der Einführung der Kontribution und der Akzise u.a. auf ein einheitliches Staatswesen im Sinne des Absolutismus hin. Er schuf den absolutistischen brandenburgisch-preußischen Staat. Trotz politischer Entmachtung der Landstände – der letzte märkische Landtag war 1652/1653 – verbesserten die Gutsherren ihre wirtschaftliche und soziale Stellung, während sich die Lage der Landbevölkerung verschlechterte. Aber es war nicht so schlimm wie die heutige Anti-Preußen-Propaganda es gern hätte (), denn: in Brandenbrurg gab es Religionsfreiheit, und zur inneren Disziplinierung der Bevölkerung war die Religion seit dem Westfälischen Frieden in einigen Regionen Deutschlands nicht mehr geeignet, vor allem eben in Brandenburg, wo völlige Religionsfreiheit herrschte – im Gegensatz zu allen anderen Regionen Europas. „An die Stelle des konfessionellen Staates setzten die Hohenzollern den administrativen Staat, von den Gottesstaaten der Muslime abgesehen, heute die herrschende Staatsform. Zur Durchsetzung seines Strebens nach einem einheitlichen Staat brauchte der Große Kurfürst eine Führungsschicht, die Maßstäbe im kulturellen Verhalten, in Form und Führung sowie in der Loyalität zum Staat setzen konnte. Diese Aufgabe übertrug er dem Adel. Der Kurfürst straffte die Verwaltung und richtete Finanzbehörden ein. Zu den vorhandenen Verschiedenheiten der einzelnen Provinzen kamen die Einwanderer mit ihren anderen Traditionen hinzu. Sie wurden im Interesse der »Peuplierung« in Brandenburg aufgenommen. Diese Einwanderer kamen aus Frankreich (Hugenotten), Holland, Österreich, Böhmen, Schweden und Polen. In England hatte sich der Adel eigene Rechte neben oder sogar über dem König bewahren können. In Brandenburg-Preußen wurde der Adel Bestandteil des Staates, er verlor seine eigenen Rechte gegenüber dem Staat, seine »Souveränität«.“ (Ehrhardt Bödecker, Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2004, S. 95-96). In der Außenpolitik wechselte der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm resolut die Fronten. Brandenburgisches Wechselfieber wurde das genannt, aber Friedrich Wilhem sah dies offenbar als notwendig an. 1682 gründete der Große Kurfürst die Kolonie Groß-Friedrichsburg in Westafrika. Die Faktorei Groß-Friedrichsburg blieb bis 1720 preußisch. 1685 holte Friedrich Wilhelm Hugenotten, später auch andere Glaubensflüchtlinge und Auswanderer (Schweizer, Pfälzer, Holländer u.a.) in die Mark. Friedrich Wilhelms Sohn Friedrich III. (1657-1713) wurde 1688 Kurfürst. Er berief den Bildhauer Andreas Schlüter (1660-1714) an seinen Hof, gründete 1694 die Universität Halle, in Berlin 1696 die Akademie der Künste und 1700 die Sozietät der Wissenschaften, die spätere Preußische Akademie der Wissenschaften. Er erlangte von Kaiser Leopold I. gegen Hilfeversprechen im Spanischen Erbfolgekrieg die Anerkennung des Königtums für das Herzogtum Preußen (1700). Der Königstitel haftete jedoch zunächst nur an dem Lande Preußen (der späteren Provinz Ostpreußen), das nicht zum Heiligen Römisch-Deutschen Reich gehörte. Friedrich III. krönte sich jedoch 1701 selbst in Königsberg zum König Friedrich I. in Preußen, während er in seinen übrigen Staaten Kurfürst, Markgraf (von Brandenburg) bzw. Herzog (u.a. von Magdeburg, Kleve, Jülich, Pommern und Schlesien) blieb. Aus einem Deutschordensstaat, Herzogtum, Kurfürstenstaat wurde der ab jetzt Preußen genannte brandenburgische Gesamtstaat. Bald nannten sich die preußischen Herrscher nicht mehr König in Preußen, sondern König von Preußen. Unter König Friedrich-Wilhelm I. (1688-1740), der 1713 bis 1740 regierte, traten Sparsamkeit und harte Pflichterfüllung an die Stelle höfischer Prunkentfaltung. Der barock-preußische Absolutismus war vorbei, weil eine neue Phase beginnen sollte. (Vgl. 16-18).
Die Bevölkerungsverluste des 30jährigen Krieges wurden übrigens überraschend schnell wieder ausgeglichen; so war z.B. die Bevölkerungszahl Deutschlands gegen Ende des 17. Jahrhunderts schon wieder so sehr gestiegen, daß der Rückgang durch den Dreißigjährigen Krieg bereits ausgeglichen war.
Während dieser Phase der Barockpolitik regierten die Herrscher absolut(istisch) bzw. tyrannisch oder, wie im Falle ihrer Gegner, streng oligarchisch. Daß da kein Platz für Demokratie war, dürfte einleuchten. Dennoch gab es kurzfristige Ausnahmen, z.B. die ersten Ansätze einer Demokratie in Athen durch die Reformen des Kleisthenes in den Jahren 509/508 (507) oder England (nach dem Bürgerkrieg 1642-1648) als Republik (1649-1660) unter Cromwell, der auch puritanische Säuberungen im katholischen Irland und Schottland durchführte. (). Am Ende der Phase siegte in Athen die von Perikles monarchistisch geführte Demokratie der Jahre (462) 443 bis 429. In England hingegen siegte mit der Glorreichen Revolution von 1688 die Aristokratie (Oligarchie), weil die (Adels-)Stände durch die Bindung des Königs an das Parlament – durch die konstitutionelle Monarchie – gestärkt wurden. Derartige Daten sind in der folgenden Tabelle berücksichtigt, antike Analogien rot gefärbt:
1561) Ende des Deutschordenstaates im Baltikum:
Estland wird schwedisch, Livland polnisch-litauisch und Kurland weltliches (deutsches) Herzogtum
1562) Beginn des Hugenottenkrieges in Frankreich (bis 1598)um – 590) Turmbau zu Babel (92m-Tempel für Stadtgott Marduk)
1563) Beginn der Gegenreformation in Bayern
1563) Malkunst: Turmbau zu Babel (Pieter Brueghel d.Ä .)
1564) Baubeginn: Il Gesù in Rom. Beginn des italienischen Barock (G. B. Vignola)
um – 585) Thales von Milet sagt eine Sonnenfinsternis vorher.
1567) Portugiesen gründen Rio de Janeiro
1568) Die Hanse verliert an Bedeutung. Engländer gründen eine Handelsniederlassung in Hamburg
um – 580) Thales von Milet entdeckt den Magnetismus. Der
Satz des Thales gilt als ältester (antiker) Lehrsatz.
1572) Spanien erobert die Philippinen
1574) Astronomische Kunstuhr in Straßburg (Brüder Hobrecht)
1577) Theoretische Grundlagen für den Absolutismus: Begriffsbestimmung der Souveränität (Jean Bodin)
1579) Beginn der Gegenreformation in Österreich
Francis Drake ist der Zweite (nach Magelhães, 1521), der die Erde umsegelt
um 1580) Wiedererneuerung der antiken Skepsis (Michel de Montaigne).
Musik: 1. Ansätze einer echten Fuge(mit Zwischenspielen und formgerechter Antwort),
verstanden als eine kontrapunktisch-polyphone Setzweise (A. Gabrieli)
1580) Vereinigung durch Erbschaft (bis 1640): Spanien + Portugal (+ Kolonien)
um – 570) Anaximander (aus Milet) zeichnet eine Erdkarte, derzufolge
die Erde eine Insel im Ozean ist.
um – 570) Artemis-Tempel in Ephesos mit 128 Säulen vollendet
Erste Ionische Säulen (Beginn der Ionik)
Ionische Säulenordnung (Ionisches Kapitell)
1582) Universität Würzburg (als Mittelpunkt der Gegenreformation) von Fürstbischof Echter gegründet
Papst Gregor XIII. führt den Gregorianischen Kalender ein
Rußland erobert mit den Kosaken (entflohene Leibeigene) Westsibirien bis zum Irtysch
unter Hetman Jermak und im Auftrag der Kaufmannsfamilie Stroganov
um 1584) Modernes Unendlichkeitsgefühl (Giordano Bruno).
1584) Engländer unter Walter Raleigh besiedeln Virginia in Nordamerika
Bauvollendung: Il Gesù in Rom. Beginn des italienischen Barock (G. B. Vignola)
Schloß und Kloster Escorial in Spanien (vollendet)
1585) Entdeckung: Davis-Straße: Straße zwischen Grönland und Nordamerika (John Davis)
Beginn des schöpferischen Höhepunktes von William Shakespeare und Lope F. de Vega Carpio
1587) Das Volksbuch vom Dr. Faust erscheint erstmalig in Frankfurt (Main)
1588) Literatur: Tragische Geschichte des Doktor Faust (Christopher Marlowe)
England schlägt unter Sir Francis Drake im Kanal die spanische Flotte (Armada)
1589) Galileo Galilei erhält in Pisa den Lehrstuhl für Mathematik
Die russische Kirche wird unabhängig. Das Patriarchat in Moskau wird gegründet
um – 560) Tyrannis des Peisistratos
Er wird nach Solon alleiniger Herrscher in Athen
Ionien gerät unter lydische Herrschaft (Kroisos), bis – 546
um 1590) Mikroskop (H. und Z. Janssen)
um -560) Thales von Milet lehrt, daß die Erde eine Scheibe ist, die der Himmels-
Halbkugel aufsitzt. Wasser ist der Urstoff alles Wirklichen;
der Mensch stammt von einem fischähnichen Urwesen ab.
1592) Entdeckung: Falkland-Inseln (John Davis)
1594) Der erste Bücherkatalog erscheint auf der Leipziger Messe
um 1594) Musik: 1. Oper: Daphne (Jacopo Peri, Giulio Caccini)
1595) Niederländische Kolonisation in Ostindien
1596) Entdeckung: Bäreninsel und Spitzbergen (Willem Barents, erster Überwinterer in der Arktis)
1597) In Augsburg erscheint die erste Monatszeitschrift
1598) Das Volksbuch über die Schildbürger wird gedruckt
Die Hanse verliert an Bedeutung. England hebt die (Hanse-) Vorrechte des Stalhofs in London auf
1600) In England wird die Ostindische Handelskompanie gegründet (mit Handelsmonopol)
Erste Aktiengesellschaften ermöglichen Ansammlungen von Kapital
Gründung der Niederländisch-Ostindischen Kompanie als moderne Aktiengesellschaft
Blüte der Kunst und Wissenschaft in den Niederlanden
Erfindung des (astronomischen) Fernrohrs (Johannes Kepler)
In Rom wird Giordano Bruno als Ketzer öffentlich verbrannt
Peter Paul Rubens auf Schulungsreisen. Er wird später einer der Hauptmeister des Barock
Musik: Hans Haßler (verbindet in vollendeter Weise deutsche und italienische Musik)
Mystik: Jakob Böhme. Sein Erleuchtungszustand führt ihn zur innersten Geburt der Gottheit
Johannes Kepler: 3 Gesetze über die Planetenbewegung
Galileo Galilei: Fall- und Pendelgesetze (Begr. der quantitativ messenden Naturwissenschaft)
Neue Teutsche Gesänge und Lustgarten. Haßler wirkt in Augsburg, Nürnberg und Dresden
um – 550) Beginn der Blütezeit der Bildhauerkunst und Vasenmalerei
in Griechenland (z.B. Löwenplastik aus Milet)
um – 550) Südgriechenland schließt sich in dem von Sparta
gegründeten Peloponnesischen Bund zusammen.
Knabenliebe der Spartaner verbreitet sich über ganz Griechenland und
wird von den Römern übernommen
um 1600) 50% der Erde (33% ihrer Landfläche) sind bekannt (vgl. 10-12, 18-20, 22-24)
1602) Idee katholisch-päpstlicher Weltmonarchie: Christlicher Kommunismus (Tommaso Campanella)
Fall- und Pendelgesetze (Galileo Galilei)
Astronomisches Fernrohr, Teleskop (Johannes Kepler)
– 546) Ionien: Beginn der persischen Herrschaft (Dareios). Eine Folge:
Abwanderung der ionischen Narurphilosophen nach Unteritalien:
Gründung einer Schule in Elea (Xenophanes): die Eleaten
Gründung einer Schule in Kroton (Pythagoras): die Pythagoräer
1605) Entdeckung: Australien (W. Janszoon)
Holländer vertreiben Spanier von den Molukken
Literatur: Satirischer Ritterroman Don Quijote (Miguel de Cervantes Saavedra)
Malkunst: Bischof von Toledo (El Greco)
1607) Musik: Orfeo (Claudio Monteverdi)
1. englische Kolonie: Virginia (Tabakanbau mit Hilfe von Negersklaven)
1608) 1. bedeutende Siedlung der Franzosen (Samuel de Champlain) in Kanada (Quebec)
1609) 1. deutsche Wochenzeitungen in Straßburg und Augsburg
um -540) Karthager, verbündet mit den Etruskern, verjagen die Griechen
aus Korsika und Sardinien (Ende der griechischen Kolonisation)
Wasserleitung aus Tonröhren in Athen
Mysterienspiele in Eleusis werden erweitert
Blüte der Kultur auf Samos unter dem Tyrannen Polykrates
1609-1619) Planetengesetze (Johannes Kepler)
1610) Entdeckung: Manhattan und Hudson Bay (Henry Hudson)
Entdeckung: Jupiter-Monde (Galileo Galilei, Simon Mair [Marius], Thomas Harriot)
Entdeckung: Sonnenflecken (Christoph Scheiner, Johann Fabricius, Galileo Galilei, Thomas Harriot)
Holländer gründen Batavia (Djarkata) auf Java
Musik: Höhepunkt der Choralvariationen (Samuel Scheidt)
um -539) Luft als Urstoff (Anaximenes)
um -534) 1. öffentliche Aufführung einer Tragödie in Athen (Thepsis)
1612) Deutsche Frömmigkeit: Aurora oder die Morgenröte im Aufgang (Jakob Böhme)
Reichseinheitliche Schule der deutschen Sprache (Wolfgang Ratke)
1614) Logarithmentafel (John Napier)
Holländer gründen Neu-Amsterdam (New York)
1615) Musik: Instrumentenkunde, verfaßt vom Komponisten Michael Schultheiß (Praetorius)
1616) Entdeckung: Buffin-Bay (William Buffin)
Musik: Johann Hermann Schein wird Thomaskantor in Leipzig
1618) Beginn des 30jährigen Krieges (Aufstand der böhmischen Protestanten: Prager Fenstersturz)
1. Teil: Bömisch-Pfälzischer Krieg (bis 1623)
Gründung einer englischen Westafrika-Kompanie
Brandenburg erwirbt durch Erbschaft das Herzogtum Preußen
Brechung des Lichtes (Willebrord van Snel)
Blutkreislauf (William Harvey)
1619) Schulpflicht in Weimar
um – 530) Pythagoras: Lehre über die Kugelgestalt der Erde
(Kosmos = Welt der Ordnung und Harmonie)
Admiral Hanno aus Karthago erforscht die Westküste
Afrikas und sieht den Kamerunberg
1620) Wissen ist Macht. Induktionslehre. Naturbeherrschung als höchste Aufgabe
Novum organum scientiarium: Neues Werkzeug der Wissenschaften. (Francis Bacon)
Die Pilgerväter, 102 englische Puritaner, wandern auf der Mayflower nach Nordamerika aus:
Gründung der Kolonie Neu-England
Gründung einer dänischen Kolonie in Ostindien
1621)Gründung der Holländisch-Westindischenen Kompanie (Kaperkrieg gegen Spanien in Südamerika)
1623) Beginn der deutschen Auswanderung nach Amerika
1. wissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland (Rostock), Gründer: Joachim Jungius
Malkunst: Philipp IV. mit Familie (Diego Rodriguez de Silva y Velasquez)
Literatur: Erscheinen der ersten vollständigen Ausgabe von Shakespears Werken
1624) Malkunst: Lachender Kavalier (Frans Hals)
Literatur: Das Buch von der Deutschen Poeterey (Martin Opitz)
– 527 – 514) Tyrannis (Nachfolger des Peisistratos)
in Athen: Hippias und Hipparch
1625) 2. Teil des 30jährigen Krieges: Dänisch-Niedersächsischer Krieg (bis 1629)
Begründung des neueren Naturrechts und des Völkerrechts (Hugo Grotius)
1626) Schlußweihe (18.11.): Vollendung der Peterskirche in Rom
1627) Musik: 1. deutsche Oper: Daphne (Heinrich Schütz)
Text von Martin Opitz. Die Oper wird in Torgau aufgeführt
1629) Weitere Emigrationen der Puritaner nach Nordamerika
Gründung der französischen Kompanie in Kanada
um 1630) Musik: Oper: Seelewig (Johann Staden)
– 510) Kleistenes verjagt mit Hilfe spartanischer Soldaten den
Tyrannen Hippias aus Athen. Den Tyrannenmördern
Harmodios und Aristogeiton wird ein Denkmal gesetzt
Jupiter-Tempel auf dem Kapitolshügel in Rom
– 509) Einführung des Rates der 500 (Demokratische Verfassung)
Lieder der Lebensfreude (Anakreon)
1630) 3. Teil des 30jährigen Krieges: Schwedischer Krieg (bis 1635)
Malkunst: Susanna im Bade (Anthonis van Dyck)
1631) Ausbruch des Vesuv (Vgl. 22-24)
1632) Malkunst: Anatomie des Dr. Tulp (Rembrandt Harmensz van Rijn)
Literatur: Dorothea (Lope de Vega)
1633) 2. Prozeß der Inquisition gegen Galilei (Abschwörung der kopernikanischen Lehre)
1634) Universität Utrecht
1635) 4. Teil des 30jährigen Krieges: Schwedisch-Französischer Krieg (bis 1648)
Grundlegung der modernen exakten Naturwissenschaften:
Discorsi e dimostrazioni matematichi intorno a due nuove science (Galileo Galilei)
Richelieu gründet die Académie Francaise
Malkunst. Selbstbildnis (Rembrandt Harmensz van Rijn)
Literatur: Don Gil (Tirso de Molina)
1636) Literatur: Das Leben ein Traum (Pedro Calderon de la Barca)
1. Universität in Nordamerika (Harvard-College), gegründet von Calvinisten
Französische Sklavenhändler nehmen Senegal in Besitz
Engländer setzen Prämien für Indianerskalps aus
Wiederbelebung (Renaissance/Neuzeit) desAtomismus (Sennert, Gassendi)
1637) Analytische Geometrie. Discours de la méthode (René Descartes)
um -500) Pythagoras, griechischer Philosoph und Wissenschaftler aus Samos,
hinterläßt nach seinem Tode (496) einen sittlich religiösen Bund
der Pythagoräer, die von Unteritalien aus auf die antike Kultur einwirken
Pythagoras‘ Lehre: Die Harmonie der ganzen Welt ist in Zahlen ausdrückbar
Pythagoras‘ Musiklehre (beruhend auf die allgemeine Lehre) wird weiterentwickelt
1638) Begründung des rationalistisch-individualistischen Denkens der modernen abendländischen
Philosophie: Cogito ergo sum (René Descartes)
Veröffentlichung der Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze (Galilei)
Hekataios (Geograph und Historiograph): Beginn der Geschichtsschreibung
1640) Portugiesischer Aufstand: Ende der Personalunion zwischen Spanien und Portugal
Brandenburg-Preußen: Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm baut einen Staat im Sinne des
Absolutismus auf. Er regiert von 1640 bis 1688 und erwirbt Kolonien in Afrika und Südamerika.
Er betreibt eine Kolonialpolitik nach holländischem Vorbild. Große Gebietszuwächse.
Hugenotten, Schweizer und Pfälzer werden in der Mark (Brandenburg) angesiedelt
Jansenismus (religiöse Bewegung gegen die Jesuiten) entsteht in Holland (Cornelius Jansen)
1641) Meditationes de prima philosophia (René Descartes)
Holländer vertreiben die Portugiesen aus Malakka
Heraklit: Alles fließt. Feuer ist der Urstoff (die Vernunft), Krieg der Vater aller Dinge
Parmenides (Eleate): Die Welt zerfällt in 2 Urstoffe, aus deren Mischung sie entsteht:
Feuer (hell und aktiv) und Materie (dunkel und passiv)
1642) Addiermaschine (Zacharias)
Allgemeine Schulpflicht in Sachsen-Gotha
Malkunst: Die Nachtwache (Rembrandt Harmensz van Rijn)
1. Band der Topographia Germaniae (Matthäus Merian), Letzter (30.) Band: 1688
1642-1649)Bürgerkrieg in England zwischen Königspartei und Cromwells Parlamentspartei
1642-1659) Entdeckung: Mauritius-Inseln, Vandiemensland (Tasmanien), Neuseeland, N.-W.-Neuguinea
durch die Seereisen des Holländers Abel Tasman
1643) Ludwig XIV. wird im Alter von 5 Jahren König von Frankreich ( bis 1715)
Die puritanischen Gebiete in Nordamerika bilden die Vereinigten Kolonien von Neu-England
Franzosen nehmen die Insel Madadgaskar in Besitz
Entdeckung: Baikal-See
Quecksilberbarometer (Torricelli)
Musik: Entwicklung der Fuge (Girolamo Frescobaldi)
Literatur. Der Richter von Salamanca (Pedro Calderon)
Entstehung des germanischen Rechts – eine deutsche Rechtsgeschichte (Hermann Conring)
1644) Principia Philosophiae (René Descartes)
Russen erreichen Sachalin und die Mündung des Amur
1648) Ende des 30jährigen Krieges (Westfälischer Friede in Osnabrück und Münster)
Der Augsburger Religionsfriede von 1555 wird bestätigt (vgl. 12-14),
der Papst verdammt den Westfälischen Frieden. Die deutsche Bevölkerung ist in dieser Zeit von
17 Millionen auf 9 Millionen zurückgegangen. Deutschland muß viele Gebiete abtreten und bleibt
bis zur Zahlung der Kriegsentschädigung von französischen und schwedischen Truppen besetzt.
Deutsche Fürsten erhalten staatliche Souveränität, die Schweiz und die nördlichen Niederlande
Unabhängigkeit vom Deutschen Reich. Der schwedische König wird Reichsfürstund erhält
Vorpommern, Wismar sowie die Bistümer Bremen (ohne die Stadt) und Verden.
Frankreich erhält den Sundgau (im Elsaß), Metz, Toul und Verdun.
Bayern, Sachsen und Brandenburg (-Preußen) erhalten Gebietszuwachs.
1648-1653) Fronde (letzter Aufstand) des Hochadels und Parlaments in Frankreich
gegen das absolutistische Regime. Der Hochadel wird politisch ausgeschaltet
Literatur: Deutsche Sammelgedichte (Friedrich von Logau)
1648-1656) Musik: Kirchenlieddichtung: Nun ruhen alle Wälder, Befiehl du deine Wege;
Geh aus, mein Herz und suche Freud, O Haupt voll Blut und Wunden u.a.
Höhepunkt der evangelischen Kirchenlieddichtung nach Luther (Paul Gerhardt)
1649) Kolbenluftpumpe (Otto von Guericke)
1649-1660) England ist Republik
um – 500) Musik: 3teilige Ode (Pindar): Höhepunkt der griechischen Musik
Baukunst: Dorischer Baustil dominiert auf dem griechischen
Festland, ionischer Baustil im griechischen Osten
Malkunst: Wandmalerei der Etrusker (Blütezeit)
In Rom wird die Herrschaft der Etrusker beendet. Auch die Monarchie.
Verfassung der Republik: Jährliche Wahl von Senat und 2 Konsuln
Aufstand der griechischen Kolonien in Kleinasien gegen die persische Oberhoheit
ist der Beginn der Perserkriege zwischen Griechen und Persien
um 1650) Frühklassisches Neuhochdeutsch setzt sich allmählich durch
(Vgl. AHD, Früh-MHD, Klassisches MHD, Spät-MHD, Früh-NHD, Hochklassisches NHD, Spät-NHD)
Musik: Schöpfung der Klaviersuite (Johann Jakob Froberger)
1650) Täglich erscheinende Zeitung in Leipzig
1651) Methodologischer (englischer) Empirismus. Realistische Gesellschafts- und Staatsphilosophie:
Homo homini lupus (Der Mensch ist des Menschen Wolf),
Bellum omnium contra omnes (Kampf aller gegen alle)
Leviathan or the matter, form and authority of government (Thomas Hobbes)
1654) Johann A. Comenius, Bischof der böhmisch-mährischen Brüder fordert
universale Bildung und allgemeine Schulpflicht (auch für Mädchen)
Literatur: Bilderfibel Orbis sensualium pictus (Johann A. Comenius)
1657) Pendeluhr (Christiaan Huygens)
Literatur: Geistreiche Sinn- und Schlußreime (Johann Scheffler (Angelus Silesius))
1658) Malkunst: Mutter und Kind im Hause (Pieter de Hooch)
1659) Pyrenäenfriede: Die Vormacht in Westeuropa geht von Spanien an Frankreich über
– 494) Sklavenaufstand in Griechenland scheitert
Baubeginn: Hafen der Athener in Piräus
Rom: Kämpfe zwischen Patriziern und Plebejern
– 493) 1. griechisches Theater, das Dionysos-Theater, am Südhang der Akropolis
Perser besetzen Thrakien
– 490) Athener besiegen das persische Heer, das über See kommend, in der Ebene von
Marathon an Land gegangen ist. Der Läufer Pheidippides mit der
Siegesnachricht bricht in Athen tot zusammen
1660) Manometer (Otto von Guericke)
Niederländische Buren besiedeln Südafrika und drängen die Hottentotten zurück
Gründung der Akademie der Wissenschaften (Royal Society) in England
1661) Baubeginn des Schlosses in Versailles
Portugiesische Besitzungen (Bombay und Tanger ) werden englische Besitzungen
1662) Bleistift (Städler)
Gasgesetz (Boyle)
Musik: Herkules (Francesco Cavalli)
1663) Luftdruck-Größe durch Veranschaulichung: Magdeburger Halbkugeln (Otto von Guericke)
Elektrisiermaschine (Otto von Guericke)
„Ausführliche Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache“ (J. Georg Schottel)
Die Schriften des René Descartes erscheinen auf dem Index der katholischen Kirche
Immerwährender Reichstag (Regensburg) als Gesandtenkongreß der Fürsten und Reichsstände
Gründung der Kolonie Carolina
Baubeginn des Schlosses Nymphenburg bei München
1663-1664) 1. Türkenkrieg (Österreich kämpft gegen die Türken auf dem Balkan)
1665) Beugung des Lichtes (Grimaldi)
Infinitesimalrechnung (Gottfried Wilhelm Leibniz, Isaac Newton)
Entmachtung des Adels durch das Königshaus: Sieg des Absolutismus in Dänemark
Malkunst: Wirtshausgarten (Jan Steen)
1666-1684) Gravitationsgesetze (Isaac Newton)
1667) England übernimmt die nordamerikanischen Kolonien Hollands
1. Bluttransfusion (vom Tier zum Menschen; Jean Denis)
Literatur: Andromache (Jean Racine)
1668) Musik: Dietrich Buxtehude wird Organist an der Marienkirche in Lübeck
Antonio Stradivari wird mit dem Bau seiner Geigen, Bratschen und Celli weltberühmt
1669) Letzter Hansetag (Lübeck, Hamburg, Bremen führen ihre Hanse-Tradition alleine fort)
Spiegelteleskop (Isaac Newton)
Literatur: Der Abentheurliche Simplicisimus Teutsch (5 Bücher), auch als 2. Auflage + 6. Buch:
Continuatio des abentheuerlichen Simplicissimi… (Hans Jakob Christoffel Grimmelshausen)
Bedeutendstes literarisches Dokument der Barockzeit
– 487) Archonten werden in Athen erstmals aus den beiden oberen Klassen ausgelost
In Athen wird der Volksentscheid eingeführt (Scherbengericht)
– 483) Themistokles veranlaßt die Athener zum Bau einer Kriegsflotte
– 481) Themistokles gründet den Hellenischen Kampfbund gegen die Perser
– 480) Neuer persischer Vormarsch auf Griechenland. Auf Veranlassung der Perser
greift Karthago griechische Kolonien auf Sizilien an und wird besiegt
– 479) Griechen, unter Führung des Spartaners Pausanias, besiegen die Perser bei Platäa
– 477) Attischer Seebund (Kampfgemeinschaft gegen Persien). Da Sparta sich ausschließt,
überläßt es Athen die führende Rolle in Griechenland
1670) Literatur: Trutz Simplex: Oder Ausführliche und wunderseltzame Lebensbeschreibung
Der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courache (Hans Jakob Christoffel Grimmelshausen)
1671) Erste Uhren mit Minutenanzeiger
1672) Englands Königliche Afrikanische Gesellschaft erhält Monopol für Sklavenhandel in Afrika
Rechtfertigung des Absolutismus (S. Freiherr von Pufendorf)
Literatur: Das wunderbarliche Vogel-Nest (Hans Jakob Christoffel Grimmelshausen)
1675) Lutherischer Pietismus (Philipp Jakob Spener, August Hermann Francke)
Okkasionalismus: Höhepunkt des Leib-Seele-Dualismus (Arnold Geulincx)
Panentheismus: Von der Wahrheit (Nicolas Malebranche)
Monistischer Panentheismus: Deus sive natura: Ethica (Benedictus de Spinoza)
Berechnung der Lichtgeschwindigkeit (Olaf Römer)
1676) Gründung der Sternwarte in Greewich
1677) Samenfäden (Leuwenhoek)
1678) Wellentheorie des Lichtes (Christiaan Huygens), veröffentlicht: 1690
– 472) Dichtung (Tragödie): Die Perser (Aischylos)
– 471) Themistokles wird durch Scherbengericht aus Athen verbannt
Malkunst: Amazonenschlacht (Mikon)
Rom: Plebejer haben das Recht zur Wahl eigener Beamter
1680) Musik: wertvolle Passionssonaten als eigenartige,
romantische Züge vorwegnehmende Kammermusik (H. I. Franz Biber)
1681) Dampfkochtopf (Denis Papin)
1682) Erkennung und Berechnung der periodischen Wiederkehr der Kometen (Edmond Halley)
Gründung der Kolonie Pennsylvania durch den Quäker William Penn
Gründung der Kolonie Groß-Friedrichsburgin WestafrikadurchBrandenburg (Preußen)
Die Faktorei Groß-Friedrichsburg (Westafrika) bleibt bis 1720 preußisch
1683-1699) 2. Türkenkrieg (1683: Belagerung Wiens, aber der Druck auf Europa wird gebremst)
1685) Auswanderung der französischen Hugenotten nach Holland, Brandenburg, England, Südafrika
Edikt von Potsdam: Aufnahme von 20000 Réfugiés, Belebung der (Textil-) Manufakturen
– 464) Sparta wird durch Erdbeben zerstört: Schwächung des Heeres und der Bevölkerung
– 464 – 456) 3. Messenischer Krieg (Sparta – Messenien)
– 475 – 450) Wirken des Malers Polygnot in Delphi und Athen
1687) Universitätsvorlesungen in deutscher Sprache (Christian Thomasius)
1688) Glorious Revolution (unblutiger Verlauf): Parlamentarische Mitbestimmung der
Gentry und City durch die Declaration of Rights.
Letzter (30.) Band der Topographia Graphiae (Matthäus Merian)

um -460) Leukipp, Lehrer des Demokrit (Atomist)
1690) Einfache Dampfmaschine (Denis Papin)
Erkenntnistheoretischer (englischer) Empirismus:
Essay concernig human understanding (Versuch über den menschlichen Verstand)
1. kritische Erkenntnistheorie und Vollendung der englischen Aufklärung (John Locke)
– 462) Perikles‘ Partei schränkt die Macht des Adels in Athen ein
– 461) Athen löst sein Bündnis mit Sparta
– 460) Athen und sein Hafen Piräus werden durch die
Langen Mauern verbunden (Unangreifbarkeit)
-458) Athen läßt die 3. Klasse (Zeugiten) zum Archontat zu
(Entmachtung des Adels führt zur
politischen Verantwortung des Volkes im Sinne des
Bürgerrechtsgesetzes: Bürger müssen aus Attika sein;
kein Bürgerrecht für Athener mit ausländischer Mutter)
(Vgl. Demokratie)
– 457) Die Spannungen zwischen Athen und Sparta führen zur offenen Feldschlacht
um – 457) 1. die Bewegung darstellende Kunst (Bildhauerkunst): Diskuswerfer (Myron)
1693) Porzellan in Europa (Tschirnhaus)
Deutsche Aufklärung. Beginn fast all seiner Werke mit: Vernünftige Gedanken (Christian Wolff)
Musik: Basilius (Reinhard Keiser)
Die englische Ostindische Kompanie wird Aktiengesellschaft
1694) Baubeginn: Schloß Schönbrunn bei Wien (Johann Bernhard Fischer von Erlach)
1695) Französische Aufklärung: Geschichtliches und kritisches Wörterbuch (Pierre Bayle)
Baubeginn: Bischöfliches Residenzschloß in Bamberg (Johann Leonhard Dientzenhofer)
1696) Gründung der Akademie der Kunst in Berlin
1698) Baubeginn: Berliner Schloß und Reiterstandbild des Großen Kurfürsten (Andreas Schlüter)
Baubeginn: Schloß und ehemalige Benediktinerabtei Banz, am Main (Gebr. Dientzenhofer)
Der Alte Dessauer, Leopold von Anhalt-Dessau, führt im preußischen Heer den Gleichschritt ein
1699) Ende des 2. Türkenkrieges (1683-1699): Österreich steigt zur Großmacht auf (Held: Prinz Eugen)
Wien wird politischer, wirtschaftlicher und kultureller Mittelpunkt des Deutschen Reiches
– 450) Zwölftafelgesetze schaffen das öffentliche und private römische Recht
(gegen den Widerstand der Patrizier)
Römische Plebejerversammlung erzwingt Aufhebung des
Verbots der Heirat zwischen Plebejern und Patriziern
Bauvollendung: Tempel des Theseus (Thesion) in Athen
Bauvollendung: Tempel des Poseidon in Paestum
um -450) Sophistik gewinnt immer mehr an Bedeutung (Protagoras, Gorgias u.a.):
Der Mensch ist das Maß aller Dinge (Protagoras)
Es ist nichts. und wenn doch, dann nicht mitteilbar (Gorgias)
um 1700) Musik: Hamburger Oper
(Johann Wolfgang Franck, Johann S. Kusser, Kohann Theile, Reinhard Keiser)
1700) Wahrscheinlichkeitsrechnung (Jakob Bernoulli)
Der Gregorianische Kalender (von 1582) gilt ab jetzt auch in protestantischen Ländern
Beginn des Nordischen Krieges (Dänemark, Rußland und Polen gegen Schweden). Ende: 1721
Aussterben der Habsburger in Spanien. Nachfolger in Spanien wird ein frz. Bourbone. Deshalb:
1701) Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges (Spanien, Frankreich, Köln, Bayern gegen
England, Niederlande, Preußen, Potugal, Deutsches Reich) Ende: 1714
Friedrich III., seit 1688 Nachfolger des Großen Kurfürsten, krönt sich selbst in Königsberg zum
König in Preußen (Friedrich I.). Er wird höfischer Barockkönig
Gründung der preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin (Gottfried Wilhelm Leibniz)
Neubaubeginn: Kloster Melk

um -450) Wirken des Philosophen Anaxagoras: Grundlage des Seins sind die vom
Weltverstand (Nous) geordnete Urteilchen (unendlich kleine Elemente)
Empedokles: Aus einem Urzustand der absoluten Mischung entwickelt sich der
Zustand der absoluten Trennung der 4 Elemente
Feuer, Luft, Erde, Wasser, aus diesen wieder der Zustand der Mischung u.s.w.
1702) Universität Breslau
1703) Baubeginn: Buckingham Palace
Baubeginn: Langhaus der Nikolauskirche auf der Prager Kleinseite (Christoph Dientzenhofer)
1704) Musik: Almira (Georg Friedrich Händel). Die Oper wird 1705 in Hamburg aufgeführt
Neubaubeginn: Dom in Fulda (Johann Dientzenhofer)
– 449) Doppelschlacht von Salamis: Athen besiegt (mit Bundesgenossen)
Heer und Flotte der Perser und Phönizier
– 448) Wiederaufbau-Beginn: Akropolis, Parthenontempel
(im auf dem Festland noch zeitgemäßen
dorischen Stil) mit 160m langem Fries (Phidias)
Ende der Perserkriege
-446) Athen und Sparta schließen einen 30jährigen Frieden
– 445) Herodot (Vater der Geschichtsschreibung) hält in Athen eine öffentliche Vorlesung
Zenon der Eleate: Sein ist Einheit und Ruhe, Nichtsein ist Vielheit und Bewegung
1705) Philosophische und juristische Klagen gegen Hexenprozesse und Folter (Christian Thomasius)
1706) Bauvollendung: Invalidendom (Jules Hardouin Mansart)
1707) England und Schottland werden zum Königreich Großbritannien vereinigt
Neubaubeginn: Fürstäbtliches Residenzschloß (Johann Dientzenhofer)
Böttgersteinzeug und (1717) 1. europäisches Porzellan (Johann Friedrich Böttger [Böttiger], Meißen)
1708) In Rußland wird die heutige Schrift eingeführt
1709) Rußland besiegt die Schweden bei Poltawa (Nordischer Krieg, 1700-1721)
Baubeginn: St. Paul’s Cathedral (Christopher Wren)
– 443) Dichtung (Trgödie). Antigone (Sophokles)
Wirken des Statuen- und Bronzebildners Polyklet (Werk u.a.: Speerwerfer
-441) Hippodamos von Milet entwirft erste abstrakte, planmäßig angelegte Städte (z.B. Thurioi)
um 1710) Musik: Instrumentalmusik: 6 Suiten, 6 Brandenburgische Konzerte, 6 Konzerte für 1-3 Violinen
4 Ouvertüren, Konzerte für 1-4 Klaviere, weitere Konzerte, … u.v.m. (Johann Sebastian Bach)
Kammermusik, Klaviermusik, Orgelwerke (Präludien, Fugen, Tokkaten, Fantasien u.s.w.),
Vokalwerke (kirchliche weltliche Kantaten), Passionen, Oratorien, … (Johann Sebastian Bach)
Opern, Oratorien, sonstige Vokalwerke, Passionen, Kantaten,
Instrumentalmusik, Konzerte, Orgelkonzerte, Sonaten, Klaviersuiten (Georg Friedrich Händel)
1710) 1. Ausgrabungen in Pompeji und Herculaneum (Vgl. 22-24)
G. W. Leibniz‘ Bestrebungen, die christlichen Kirchen zu vereinigen, scheitern
Musik: Oper: Ludwig der Fromme, Heinrich der Löwe (Georg K. Schürmann)
1711) Baubeginn: Zwinger im Elbflorenz Dresden (Matthäus Daniel Pöppelmann)
Baubeginn: Schloß Weißenstein in Pommersfelden, bei Höchstadt an der Aisch
(Plan: J . L. Hildebrandt, Plan und Werk: Johann Dientzenhofer)
-443-429) Perikleisches Zeitalter(Athen): Perikles wird für
15 Jahre zum Feldherrn gewählt (jedes Jahr neu)
In Athen (90000 Einwohner) sind 30000 Einwohner Bürger,
35000 Einwohner Sklaven und der Rest Nicht-Bürger
1712) Letzte Hinrichtung einer Hexe in England
Dreifarbendruck (Le Blond)
Zar Peter I. reformiert Rußlands Wirtschaft und Verwaltung nach westlichem Muster
Der Alte Dessauer, Leopold von Anhalt-Dessau, wird preußischer Feldmarschall
Musik: 12 Concerti grossi (Arcangelo Corelli)
1713) Friede von Utrecht (Spanischer Erbfolgekrieg). Er stellt ein europäisches Gleichgewicht her:
Preußen wird als Königreich, Philipp V. (Bourbone) als König von Spanien anerkannt
Ergebnis: Sieg der englischen (britischen) Gleichgewichtspolitik. England wird Schiedsrichter,
Frankreich geschwächt, Österreich gestärkt. England erhält frz. Gebiete in Nordamerika
England schließt einen Handelsvertrag mit Spanien. Es beliefert, wie früher Frankreich,die
spanischen Kolonien mit Negersklaven.
In England entstehen die ersten Koks-Hochöfen.
Erweiterungsbau: Westportal des Berliner Schlosses (Johann Friedrich von Eosander (Göthe))
– 439) Aufstand der Plebejer in Rom
Lucius Quinctius Cinncinatus wird in Rom zum Diktator ernannt
1714) Friede von Rastatt: Ende des Spanischen Erbfolgekrieges.
Österreich erhält Neapel, Mailand. Sardinien und die spanischen Niederlande,
Stärkung Österreichs und Schwächung Frankreich. Englands Gleichgewichtspolitik
Georg I. aus dem Hause Hannover wird König von England (Großbritannien)
Großbritannien und Hannover bleiben bis 1837 durch Personalunion vereinigt.
Monadenlehre bzw. Monadologie (Gottfried Wilhelm Leibniz)
Leibniz schlägt auch ein System von Pavillons für Krankenhäuser vor
Preußen verbietet Hexenprozesse
Deutsche Aufklärung: umfassende Begriffsbestimmung auf rationalistischer Grundlage:
Vernünftige Gedanken von Gott, Welt und der Seele (Christian Wolff)
Englischer Deismus. Natürliche Religion gegen kirchliche Religion:
A discorse of freethinking. Abhandlung über Freidenkertum(Collins)
Musik: Wassermusik (Georg Friedrich Händel)
Musik: Violinkonzerte (Antonio Vivaldi)
1716-1718) 3. Türkenkrieg. Siege Prinz Eugens: Österreichs (Habsburgs) größte Ausdehnung
1716) Baubeginn: Karlkirche in Wien (Johann Bernhard Fischer von Erlach)
1717) Schulpflicht in Preußen

um -430) Demokrit gründet die Demokritische Schule (Atomisten)
1718) Franzosen gründen New Orleans
Die Neuberin, die Schauspielerin Friederike Karoline Neuber, tritt erstmalig auf. Als Leiterin
einer Schauspieltruppe, verbannt sie den Hanswurst von der Bühne
1718) Zar Peter I. läßt seinen reformfeindlichen Sohn zu Tode foltern
In Rußland werden Dörfer samt Einwohner verkauft
1719) Literatur: Robinson Crusoe (Daniel Defoe)
– 432) Sparta verbündet sich mit Korinth gegen Athen
Bauvollendung: Torweg (Propyläen) der Akropolis (Mnesikles)
– 431) Beginn des Peloponnesischen Krieges (bis 404) zwischen dem
aristokratisch regierten Sparta und dem demokratischen Athen,
zwischen Landmacht und Seemacht
Dichtung (Tragödie): Medea (Euripides)
– 430) Friedensangebot der Athener wird von Sparta abgelehnt
Rom: Tempel zu Ehren des griechischen Gottes Apollon
– 429) Kleon wird Nachfolger des im belagerten Athen gestorbenen Perikles (Pest)
Pest in Athen: Tod eines Drittels der attischen Bevölkerung in 4 Jahren
1720) Baubeginn: Residenz in Würzburg (Balthasar Neumann)
Staatsbankrott in Frankreich
1721) Friede von Stockholm, Frederiksborg und Nystad. Ende des Nordischen Krieges
Ergebnis: Rußland löst Schweden als (Ostsee-) Großmacht ab
1722)Musik: Wohltemperiertes Klavier (Johann Sebastian Bach)
1723) Musik: Johann Sebastian Bach wird Thomaskantor in Leipzig
Musik: Magnificat (Johann Sebastian Bach)
1724) Musik: Johannespassion (Johann Sebastian Bach)
1724-1749) Musik: h-moll-Messe (Johann Sebastian Bach)
– 425) Nach einem Sieg über Sparta lehnt Kleon das Friedensangebot der Spartaner ab
Prostitution derHierodulen (Heilige Sklavinnen) im Aphrodite-Tempel zu Korinth
– 424) Kleon fällt in deer Schlacht bei Amphipolis, in der Sparta Athen besiegt
Hippokrates (griechischer Arzt) von Kos erkennt die Heilkraft der Natur
Sokrates lehrt die (sokratische) Methode: Der Schüler soll im Zwiegespräch
durch Fragen angeregt werden und dadurch selbst die Wahrheit finden
1725) Philosophischer Nationalismus. Neuere Geschichtsphilosophie und Völkerpsychologie:
Prinzipien einer neuen Wissenschaft (Giovanni Battista Vico)
1726) Baubeginn: Dresdner Frauenkirche (Georg Bähr)
François-Marie Arouet Voltaire (Philosoph der französischen Aufklärung),
zweimal in der Bastille eingekerkert, emigriert nach England
Literatur: Gullivers Reisen (Jonathan Swift)
1727)Lichtempfindlichkeit der Silbersalze – Grundlage der Photographie (Johann Heinrich Schulze)
Bauvollendung: Schloß Mirabell in Salzburg (Johann von Hildebrandt)
1728) Aberration des Lichtes (Grimaldi)
1729) Musik: Matthäuspassion (Johann Sebastian Bach)
– 421) Der Peloponnesische Krieg wird für 3 Jahre unterbrochen
(Friede des Nikias, der Führer der Oligarchen ist),
der Peloponnesische Bund (Sparta stützend) wird aufgelöst,
der Attische Seebund (Athen stützend) bleibt bestehen
Baukunst: Nike-Tempel auf der Akropolis (dorisch-ionischer Mischstil)
– 418) Fortgang des Peloponnesischen Krieges (bis -404)
um 1730) Musik: Die Pilger (Oratorium), Opern (Johann Adolf Hasse)
Musik: Violinkonzerte, Sinfonien, Kammermusik (Johann G. Graun)
1731) Musik: Markuspassion (Johann Sebastian Bach)
1732) Ansiedlung von 20000 Salzburger Protestanten in Preußen
1733) Musik: Die Magd als Herrin (Giovanni Battista Pergolesi)
Baubeginn: Johann-Nepomuk-Kirche in München (Gebrüder Asam)
1734) Musik: Weihnachtsoratorium (Johann Sebastian Bach)
1735) Natürliches System der Lebewesen (Carl von Linné)
Gußstahl (Huntsman)

– 415) Auf Veranlassung des Alkibiades (Gegner des Nikias) unternimmt
Athen unter Leitung des Nikias einen Feldzug gegen Sizilien,
– 413) Nikias wird wegen mangelnden Kriegsglücks hingerichtet
– 412) Eingreifen Persiens (Hilfgsgelder) zugunsten Spartas
1738) Spinnmaschine (Wyatt)
Kinetische Gastheorie (Bernoulli)
Philosophie: Antimachiavell (verfaßt vom
preußischen Kronprinzen Friedrich II.,
veröffentlicht von F. A. Voltaire)
1740) Friedrich II. wird König von Preußen:
Abschaffung der Folter, Verwirklichung
religiöser Toleranz, Orden pour le merité
Die Mathematiker Leonhard Euler und
Pierre Louis Maupertius werden nach Berlin berufen
1. Schlesischer Krieg (1740-1742) und:
Österreichischer Erbfolgekrieg (1740-1748)
(Deutscher Dualismus: Preußen-Österreich)

– 411) Einführung der Oligarchie in Athen (Rat der 400):
Volksversammlung von nur 500 besitzenden Bürgern
Thukydides, griechischer Historiker, beschreibt den Peloponnesischen Krieg;
gilt deshalb als Vater der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung
Der Dichter Aristophanes beschreibt den Widersinn des
griechischen Bruderkampfes in: Lysistrata
1741) Gründung des Wiener Burgtheaters
1742) Thermometereinteilung (Anders Celsius)
1744/1745) 2. Schlesischer Krieg
1745) Baubeginn: Schloß Sanssouci (Georg von Knobelsdorf) – 405) Sieg der Spartaner unter Lysander
Elektrischer Kondensator (Ewald Jürgen von Kleist)
1746) Literatur: Geschichte meiner Zeit (Friedrich II.)
1747) Zuckergehalt der Rübe (Andreas Sigismund Marggraf)
1748) Friede von Aachen: Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges
Staatsphilosophie: Geist der Gesetze (Charles de Montesqieu)
-404) Belagerung und Übergabe Athens
Friedensbedingung: Schleifung der Langen Mauern, Auflösung des Attischen Seebundes,
Verpflichtung zur Heeresfolge. Einführung der Oligarchie (30 Tyrannen) in Athen
Hegemonie Spartas. Endgültiger Sieger ist jedoch Persien
-403) Die von den Spartanern in Athen errichtete Herrschaft der
30 Tyrannen wird durch die Demokratie abgelöst (Vgl. 16-18).
-401) Xenophon, Geschichtsschreiber aus Athen und Schüler des Sokrates, führt die
griechischen Söldner des Kyros d.J. zurück und beschreibt diesen Zug
in seinem Werk Anabasis (Der Weg zurück)

Letzte Tabelle Nächste Tabelle

Was in der Antike als Ein-und-Alles (hen kai pan) galt und mit Xenophanes (580/577-485/480), dem Begründer der Eleaten-Schule, zum ersten Mal auch naturphilosophisch und mit der Forderung nach freier Weisheit fundiert worden war, das war im Abendland die auf Experiment und Rationalismus beruhende mechanische Naturerkenntnis, die freie Wissenschaft nur sein konnte und von Galileo Galilei (1564-1642), dem Begründer der neueren mechanistischen Naturphilosophie, vehement gefordert wurde. „Er starb in dem Jahr, da Newton geboren wurde. Hier liegt das Weihnachtsfest unserer neuen Zeit“ (Goethe). „In ihm folgte auf mehr als 2 Jahrtausende von Beschreibung und Formbetrachtung der Natur das Studium einer wirklichen Analysis der Natur“ (Dilthey).
Analoge Philosophien
(14-16): 560-430 und 1590-1720
(12-14, 14-16, 16-18, 18-20, 20-22, 22-24)
1) Ionische Naturphilosophen Urstoff seit -650/-600
2) Eleaten Seinsphilosophie/Rationalismus seit -550
3) Pythagoräer Rel.-pol.-arist. Rationalismus seit -550
4) Subjektivisten Elemenekinetik; Heraklit u.a. seit -520
5) Atomisten Naturph.; Leukipp/Demokrit, .. seit -490/-460
6) Sophisten Anthropologie/Aufklärung seit -475/-450
7) Sokratiker Sokrates, Maieutiker seit -440
8) Megariker Eristiker (Streiter) Euklid v. Megara seit -430 1)Naturwissenschaft/Heliozentrik seit 1500/1550
2) Empirismus/Rationalismus Mechanik seit 1600
3) Pol.-rel. Empirismus Polit. Rationalismus seit 1600
4) Subjektivismus Rationalismus; Descartes u.a. seit 1630
5) Atomismus Monaden/Infinitesimal., Leibniz seit 1660-90
6) Aufklärung seit 1685 (1700)
7) Naturalismus-Subjektivismus seit 1710
8) Naturalismus/Deismus Freidenker seit 1720
Analoge Theologien
– PURITANISMUS –
26) Dionysos-Kult zu: Rationalismus; z.B. Pythagoräer
27) Zeus-Götterwelt; Theogonie von Hesiod; seit – 7. Jh.
28) Gegenreformation (6) Zeus-Götterwelt seit – 7. / – 6. Jh. 26) Neuscholastik (5) zu: Rationalismus; z.B. Leibniz – Wolff
27) Neumystik (4) seit 16. Jh.
28) Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.

Galileis Entdeckung der Fallgesetze wurde für die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Methode von so überragender Bedeutung, weil sie sich auf reine Erfahrung beschränkte, d.h. nicht auszudrücken versuchte, warum der Stein falle, sondern wie er es tut. Das wahre Buch der Philosophie war für Galilei das Buch der Natur, deren Buchstaben Dreiecke, Quadrate, Kreise, Kugeln u.s.w.. Zum Lesen desselben kann nicht Spekulation dienen, sondern Mathematik. Für die wissenschaftliche Forschung forderte Galilei: Verwerfung der Autorität in Fragen der Wissenschaft, Zweifel, Gründung der allgemeinen Sätze auf Beobachtung und Experiment, induktives Schlußverfahren. Galilei huldigte einem Rationalismus, der glaubt, die Welt auf rein mechanistische Weise, mit Hilfe von Mathematik, Mechanik und Vernunft, begreifen zu können. Wie wegweisend er für viele Nachfolger und damit für einen wichtigen Kulturteil des Abendlandes wurde, sollte sich durch einen seiner Erben herausstellen, denn die von Newton (1643-1727) aufgestellte Mechanik gilt mit wenigen Einschränkungen noch heute. (). Newton betonte die Notwendigkeit einer streng mechanischen, kausalen und mathematischen Naturerklärung, zu der er selbst durch die Entdeckung des Gesetzes der Gravitation beitrug, und die sich aller unnötigen Hypothesen enthält. Hierbei spielte auch die sich schon im Nominalismus angedeutete Entwicklung des Empirismus eine Rolle, dessen methodologische Variante Francis Bacon (1561-1626) begründete, die dann später durch eine erkenntnistheoretische Variante von John Locke (1632- 1704) erweitert werden sollte. Newton sah, vielleicht unter dem Einfluß Jakob Böhmes (1575-1624), die absolute Zeit und den absoluten Raum, innerhalb derer die physikalischen Vorgänge streng ablaufen, gleichzeitig als Sinnesorgan Gottes an, dessen geheimnisvolle Wirklichkeit er für unerklärbar hielt. Newton stellte auch mystische Betrachtungen über die Offenbarung des Johannes an. Die Mystik erfuhr nach der Reformation mit Jakob Böhme einen weiteren Höhepunkt, weil dieser Philosophus Teutonicus, nicht zuletzt durch seine Sprachgewalt, gleichermaßen auf einfache Gemüter wie auf differenzierteste Geister wirkte. Was Galileo Galilei für die Naturwissenschaft und Johannes Kepler (1571-1630) für die Astronomie bewirkten, das bewirkte Jakob Böhme für die mystisch orientierte deutsche Philosophie. Nicht nur durch seine barocke Sprache, sondern auch durch den Tiefeninhalt seiner Werke bereitete er den geistigen Boden dieser Phase vor. Böhme war ein Vertreter des Barock, und sein Denken beeinflußte mindestens 3 ganze Phasen, also nach dem Barock auch noch Rokoko und Klassizismus, hier insbesondere die deutschen Romantiker.
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) war mit Sicherheit der schöpferischste Gelehrte und das Universalgenie des 17. Jahrhunderts, wahrscheinlich sogar der gesamten abendländischen Philosophie. Zunächst wurde Leibniz durch seine Lehrer Jacob Thomasius (1622-1684) in Leipzig und Erhard Weigel (1625-1699) in Jena beeinflußt, später durch den kurmainzischen Kanzler Johann Christian von Boineburg (Konvertit); unter ihm war Leibniz von 1667 bis 1674 in kurmainzischen Diensten, woher seine Bemühungen stammten, einen Ausgleich zwischen katholischer und protestantischer Kirche herbeizuführen.. Von 1672 bis 1676 war er in Paris, 1673 in London und nahm auch dort gelehrte Beziehungen auf. Von 1676 bis 1716 stand Leibniz in hannoverschen Diensten, verfaßte eine Kampfschrift gegen Ludwig XIV. von Frankreich (Mars christianissimus = Allerchristlichster Kriegsgott), war seit 1696 außenpolitischer Berater und Geschichtsschreiber des Welfenhauses, das aber seine über vierzigjährigen, oft in den vertraulichsten Missionen bewährten Dienste nicht gebührend anerkannte. Bis etwa 1680 bewegte Leibniz sich vorzugsweise auf politischem, theologischem und mathematisch-naturwissenschaftlichem Gebiet, dann vollzog sich in ihm die Loslösung von der Neuscholastik. (). Erst nach 1680 traten auch seine philosophischen Arbeiten und Gedanken hervor, die leider nur in Gestalt von Briefen und Zeitschriftenabhandlungen vorliegen. Leibniz‘ Denkentwicklung ist sehr wandlungsreich, kreist jedoch stets um das Problem einer geschlossenen, Widersprüche ausgleichenden, jeder Einzelheit der Wirklichkeit gerecht sein wollenden sowohl anschaulichen wie gedanklichen Systematik.
Gottfried Wilhelm Leibniz (1746-1716)
– Grundgedanken –
Vernunftgemäßheit und Gottverbundenheit des Alls
Bedeutsamkeit des Individuellen, des Personalhaften in diesem All
Harmonie des Alls im Ganzen und im Individuellen
Quantitativ und qualitativ unendliche Mannigfaltigkeit des Alls
Dynamische Grundbeschaffenheit des Alls

Von der scholastischen Lehre der metaphysischen allgemeinen Wesenheiten (formae substantiales) ausgehend, gelangte Leibniz zum Prinzip des schöpferischen Denkens hinsichtlich individueller Wirklichkeiten. Die mathematische Methode erschien ihm hier angemessen, bis er sich über deren unverrückbare Grenzen klar wurde. Im Anschluß an Descartes‘ Lehre vom klaren und deutlichen Erkennen bzw. Denken, mit deren ungelösten Problemen er sich eingehend beschäftigte, entwickelte er sodann eine analytische Theorie des denkenden bzw. erkennenden Bewußtseins. Zugleich kam er naturwissenschaftlich von der Mechanik nahe an die Energetik heran. Er führte u.a. Beobachtungen der Lebensvorgänge durch das Mikroskop durch, das bereits seit 1590 bekannt war. (Vgl. Tabelle). Andererseits gelangte Leibniz zur Unterscheidung zwischen gedanklichen Wahrheiten und Tatsachenwahrheiten.
Leibniz‘ bekanntestes Werk ist seine Monadenlehre (Monadologie). Monaden waren für ihn die einfachen, körperlichen, geistigen, mehr oder weniger bewußten Substanzen; ihre tätigen Kräfte bestehen in Vorstellungen. Die Verschiedenheit der Monaden besteht in der Verschiedenheit ihrer Vorstellungen. Gott ist die Urmonade, alle anderen Monaden sind ihre Ausstrahlungen. Was uns als Körper erscheint, ist nach Leibniz ein Aggregat von vielen Monaden mit unbewußten Vorstellungen. Tierseelen haben Empfindung und Gedächtnis; die Menschenseelen sind klarer und deutlicher Vorstellungen fähig; Gott hat lauter adäquate, d.h. vollbewußte und vollsachliche Vorstellungen. Der Vorstellungsverlauf jeder Monade schließlich kreist in sich, es kommt nichts aus ihr heraus und nichts in sie hinein. Leibniz ergänzte seine Monadenlehre durch seine Lehre der Prästabilisierten Harmonie. Danach hat Gott alle Substanzen so geschaffen, daß, indem jede dem Gesetz ihrer inneren Entwicklung mit voller Selbständigkeit folgt, sie zugleich mit allen anderen in jedem Augenblick in genauer Übereinstimmung steht. Sowohl die Monadenlehre als auch die Lehre von der Prästabilisierten Harmonie gelten nach Leibniz für alle Wesen leiblicher, seelischer, geistiger Art sowohl in sich wie zwischeneinander, so insbesondere für das Verhältnis von Leib, Seele, Geist innerhalb der menschlichen Persönlichkeit. Der Philosoph und Mathematiker Christian Wolff (1679-1754), der führend in der deutschen Aufklärung wurde und das System des deutschen Rationalismus unter Verwendung aristotelischer, stoischer und auch scholastischer Gedanken zur höchsten Entfaltung brachte, machte dadurch die von ihm umgestaltete Leibnizsche Philosophie zur herrschenden Philosophie seiner Zeit. Seine Schüler, die Wolffianer, hatten an fast allen deutschen Universitäten die philosophischen Lehrstühle inne. Zu seinen Schülern zählte auch Kant, der Wolff den gewaltigsten Vertreter des rationalen Dogmatismus nannte: des Standpunktes des reinen ungebrochenen Vertrauens in die Macht der Vernunft. Die Titel der Schriften Wolffs beginnen fast alle mit „Vernünftige Gedanken …“. Gewachsen waren sie in Leibniz; er wirkte außer auf die Leibniz-Wolffsche Schule u.a. auf Herder, Goethe, Schiller und den Deutschen Idealismus, später u.a. auf Herbart und Lotze, ja sogar noch auf die analytische Philosophie des 20. Jahrhunderts, auf die Logistik der Sprachphilosophie, wie überhaupt auf die Linguistische Wende und den linguistisch orientierten Nativismus (z.B. Chomsky ) sowie auf den Konstruktivismus (Maturana, Luhmann u.a.):
Das Ganze wird von Gott zusammengehalten. Er hat das Zusammenwirken der Monaden, die als geistige Wesensheiten
ewig und unvergänglich sind, prästabilisiert, d.h. ihre Harmonie im voraus angelegt. Und eben alles so gemacht wie es ist:
„Die beste aller Welten“.
( G. Wilhelm Leibniz )
„Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“
( G. Wilhelm Leibniz )

Diese Frage sollte z.B. im 20. Jh. auch Martin Heidegger wiederholen und sie die Grundfrage der Metaphysik nennen. ()
„Bei Leibniz nahm der kognitive Optimismus gedämpftere Formen an, weil der Verfasser der Monadologie einen präzisen Begriff besaß von der Unauslotbarkeit der Implikationen, die ins Unendliche reichen. Wenn die Fältelung des von der Seele implicite oder dunkel Mitgewußten ins Unendliche geht, besteht keine Aussicht darauf, zu einem völlig expliziten Wissen zu gelangen; dieses ist dem Gott vorbehalten, für den menschlichen Intellekt ist der Fortschritt im Bewußtsein zunehmender, doch immer unzulänglicher Explizitheit reserviert.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III – Schäume, 2004, S. 78). Leibniz setzte wieder Gott an die Stelle des Ich und meinte, daß es außer dieser Supermonade noch viele andere Monaden gäbe, die alle in sich abgeschlossene Bewußtseinssphären wären, ohne Kontakt miteinander, und doch wäre eine jede dieser „fensterlosen Monaden“ ein Spiegel des Ganzen. Das Ganze wird von Gott zusammengehalten. Gott hat das Zusammenwirken der Monaden, die als geistige Wesenheiten ewig und unvergänglich sind, prästabilisiert, also ihre Harmonie im voraus angelegt, und eben alles so gemacht, wie es ist: „Die beste aller Welten“. Hieran sollte z.B. am Ende des 20. Jahrhunderts auch der Konstruktivismus, u.a. Luhmann und Maturana, anschließen, ebenso Sloterdijk mit seinen Sphären: Blasen, Globen, Schäume. (). „Die Schaumtheorie ist unverhohlen neo-monadologisch orientiert: Ihre Monaden jedoch haben die Grundform von Dyaden oder komplexeren seelenräumlichen, gemeindlichen und mannschaftlichen Gebilden. Es gehört zu den Tugenden des neo-monadologischen Ansatzes in der Gesellschaftstheorie, daß er durch seine Aufmerksamkeit für die Assoziationen der kleinen Einheiten die Raumblindheit verhindert, die den gängigen Soziologien anhaftet. »Gesellschaften« sind aus dieser Sicht raumfordernde Größen und können nur durch eine angemessene Ausdehnungsanalyse, eine Topologie, eine Dimensionentheorie und eine »Netzwerk«analyse (falls man die Netzmetapher der des Schaums vorzieht) beschrieben werden.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III – Schäume, 2004, S. 61 und 298). Zwar sollten z.B. bei den Konstruktivisten Leibniz‘ Monaden autopoietische Systeme (sich selbst erzeugende Funktionssysteme) heißen, sollten bei ihnen Leibniz‘ Kognitionen auf physikalischer Basis beruhen, sollte bei ihnen Gott Evolution heißen, sollte bei ihnen Leibniz‘ prästabilisierte Harmonie eine strukturelle Kopplung sein; doch in Wahrheit bedeutet all dies dasselbe wie bei Leibniz.
Leibniz – der mächtigste Geist der abendländischen Philosophie, der Begründer der Differentialrechnung und der analysis situs, Monadenlehrer und Erfinder der Multipliziermaschine sowie eines Programms für eine Idealsprache (Leibnizsche Charakteristik oder „characteristica universalis“) – hat neben einer ganzen Reihe von hochpolitischen Plänen, an denen er mitwirkte, in einer zum Zweck der politischen Entlastung Deutschlands entworfenen Denkschrift an Ludwig XIV. die Bedeutung Ägyptens für die französische Weltpolitik dargelegt. Seine Gedanken waren der Zeit (1672) so weit vorausgeschritten, daß man später überzeugt war, Napoleon habe sie bei seiner Expedition im Orient benützt. Leibniz stellte schon damals fest, was Napoleon seit Wagram (1809) immer deutlicher begriff, daß Erwerbungen am Rhein und im heutigen Belgien die Stellung Frankreichs nicht dauernd verbessern könnten und daß die Landenge von Suez eines Tages der Schlüssel zur Weltherrschaft sein werde. (Vgl. 18-20). Ohne Zweifel war der König den tiefen politischen und strategischen Ausführungen des Philosophen nicht gewachsen.

Der Lehrer und Zeitgenosse des Demokrit (460-371) war Leukipp (5. Jh. v. Chr.). Beide gelten als Begründer der Atomistik; wegen der mangelnden Quellen über Leukipp kann man jedoch eher dazu neigen, Demokrit als den eigentlichen Begründer des Atomismus zu bezeichnen. Die Atomistik ist die naturphilosophische Lehre, die besagt, daß alle Dinge aus selbständigen Elementen bestehen und alles Geschehen auf Umlagerung, Vereinigung und Trennung dieser Elemente beruhe. Auch diese Lehre gehört zu den das antike Ursymbol körperlicher Abgegrenztheit immer wieder neu bestätigenden Bildern, die zusammen das antike Seelenbild ergeben und rechtfertigen (sollen). Mit Daniel Sennert (1572-1637) lebte der Atomismus im Abendland wieder auf. Er entwickelte anschaulich-gestalthaft ein umfassendes System der Atomistik. Nach ihm erneuerte auch Pierre Gassendi (1592-1655) die atomistisch-mechanistische Physik Demokrits. Überhaupt sollte gerade der antike Atomismus eine solch starke, erbschaftliche Wirkung erzielen, daß er noch heute in den abendländischen kausal-mechanischen Natur- und Weltauffassungen mitregiert und erst durch Heisenberg und die moderne ganzheitliche Betrachtungsweise erschüttert worden ist. Demokrit lehrte, daß alles Geschehen Mechanik der Atome sei, die, verschieden an Gestalt und Größe, Lage und Anordnung, sich im leeren Raum in ewiger Bewegung befänden und durch ihre Verbindung und Trennung die Dinge und Welten entstehen und vergehen ließen. Die Seele, identisch mit dem Element des Feuers, besteht nach ihm aus kleinsten, glatten und runden Atomen, die im ganzen Leib verbreitet sind. Organ des Denkens ist für ihn allein das Gehirn. Die Empfindungen sollen dadurch zustande kommen, daß von den Dingen ausgehende Ausflüsse, sich loslösende Abbilder in die Sinnensorgane eindringen und die Seelenatome in Bewegung setzen. Das höchste Gut sei die Glückseligkeit, so Demokrit, und sie bestehe wesentlich in der Ruhe und Heiterkeit der Seele, die am sichersten durch Mäßigung der Begierden zu erreichen sei. Demokrit selbst hieß schon in antiken Zeiten wegen der Befolgung dieser Lehre der lachende Philosoph. Leukipp und Demokrit vollbrachten auf typisch antike Weise das, was Leibniz und Newton auf typisch abendländische Weise vollbrachten. Auf ihre Art waren die Atomisten Nachfolger der ionischen und eleatischen Naturphilosophen weiter, die abendländischen Naturwissenschaftler und Mathematiker Nachfolger der sie fordernden Naturphilosophen. (Vgl. Übersicht).

Die ganze Universalgeschichte des Rechtes und die Ethnologie vorausgeahnt haben soll Giovanni Battista Vico (1668-1744). Er führte die vergleichende Methode in die abendländische Geschichtswissenschaft bzw. Geschichtsphilosophie ein und nahm an, daß alle Völker sich „parallel“ entwickeln, daß der „corso“ (Lauf, Kurs als Aufstieg) der Völker drei Zeitalter durchläuft: das der Götter, das der Heroen, das der Menschen; die Aufeinanderfolge eines göttlichen, eines heroischen und eines menschlichen Zeitalters kann man also als ein Drei-Stadien-Gesetz auffassen. Später sollten jedenfalls nicht wenige ein ähnliches Drei-Stadien-Gesetz und/oder eine ähnliche Parallelität zwischen Völkern oder sogar Kulturen annehmen. (). Vico war seiner Zeit sehr weit voraus und lehnte den Cartesianismus ab, genauer: er setzte gegen Descartes‘ an Mathematik und Physik orientierten naturalistischen Rationalismus in De antiquissima Italorum sapienta … (1710) den erkenntnistheoretischen Grundsatz: „Nur das kann erkannt werden, was einer selbst hervorgebracht hat“. Deshalb ist eine universale Erkenntnis nur Gott möglich, der in seiner Schöpfung alles geschaffen hat; weil die Geschichte aber andererseits das ist, was der Mensch in der Welt geschaffen hat, ist die Geschichte sein vornehmliches Erkenntnisobjekt. Ausgehend von diesem Grundsatz entdeckte Vico in seinem Werk Von dem einen Ursprung und Ziel allen Rechtes (1720) die Geschichtlichkeit des Rechts und entwickelte das für die gesamte Menschheitsgeschichte als gültig erachtete geschichtsphilosophische Modell der gesetzmäßigen Wiederkehr je eines theokratischen, heroischen und menschlichen Zeitalters in einem Zyklus von Aufstieg, Verfall und ständiger Wiederkehr. (). Wie gesagt: Vico erklärte die Geschichte zum eigentlichen Feld der menschlichen Erkenntnis, weil der menschliche Geist am besten das verstehen könne, was er selbst gemacht habe: „Tat-Sachen“. Daß Vico seiner Zeit weit voraus war, läßt sich schon allein daran erkennen, daß er als Wegbereiter des Historismus und als Systematiker der Geschichtswissenschaften gilt. Und das sind gerade nicht die „positiv“ erkennbaren physikalischen Phänomene, denn sie können nur von außen erklärt werden und nicht, wie in der Geschichtswissenschaft, von innen verstanden werden. Das ist im wesentlichen schon die These der Hermeneutik, denn die Gegenüberstellung von Erklären und Verstehen ist typisch für diese Denkrichtung, und zu Vicos Zeiten gab es die Hermeneutik als wissenschaftliche Disziplin noch gar nicht: Vico war eben seiner Zeit weit voraus. Was jedoch die Kulturzyklen-Theorie angeht, so hatte schon lange vor Vico Francis Bacon (1561-1626) festgestellt, daß Kulturen altern wie Menschen und Phasen bzw. Auf-und-Ab-Stufen durchleben: „In der Jugend der Völker und Staaten blühen die Waffen und die Künste des Krieges; im reifen männlichen Alter der Völker und Staaten Künste und Wissenschaften; dann eine Zeit lang beide zusammen, Waffenkunst und Musenkünste; endlich im Greisenalter der Völker und Staaten Handel und Industrie, Luxus und Mode.“ (Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum, 1605; IV, 2, 114).

Sicher ist, daß mit dieser Phase eine zweite kultursymbolische Höchstleistung vollbracht wurde. Nach dem Kulturspracherwerb, der im Abendland primär eine kirchliche Angelegenheit der Gotik war, brachte der jetztige Wissenserwerb, der im Abendland eine weltliche Angelegenheit des Barock war, eine zweite großartige Symbolleistung. Man kann solche Phänomene vergleichen mit dem ersten und zweiten Spracherwerb: mit einer innerhalb der Familie und einer inerhalb der Institution Schule zu erwerbenden Kultursymbolik. Die Gotik beschwörte Entdeckungen, Erneuerungen und Reformen herauf und basierte auf einer ständestaatlichen (oligarchischen) frühnationalen Form; der Barock provozierte mit seiner pompösen und prunkvollen Anmaßung alle Gegner, die eine Kultur überhaupt je zu Gesicht bekommen kann. Die Gegner des Absolutismus waren sowohl die Stände (Fürsten, Fronde, u.a. Oligarchen) als auch die Demokraten. In England siegte am Ende mit der Glorreichen Revolution von 1688 der Ständestaat über Monarchie und Demokratie, die beide integriert wurden, weil diese Revolution unblutig verlief. In Frankreich und Spanien siegte der Absolutismus und wartete weiterhin auf den Gegner, den die Geschichte eventuell noch anbieten könnte. In Deutschland wurde im Westfälischen Frieden für die große Fronde der Reichsfürsten gegen den Kaiser das englische, für die kleine Fronde gegen die Landesfürsten das französische Verhältnis durchgesetzt. Im Reich regierten die Stände, in deren Gebieten aber die Dynastie. Von da an war das Kaisertum wie das englische Königtum ein Name, umgeben mit Resten des spanischen Prunks aus dem frühen Barock.

Die ersten Sophisten, Protagoras (485-410) und Gorgias (ca. 480-380), galten zunächst als die Denker und Weisen, dann als Lehrer der gewandten Rede- und Unterredungskunst und schließlich als Vertreter der geschwätzigen und spitzfindigen Scheinweisheit, weil sie eine Tendenz entwickelt hatten, in Diskussionen um jeden Preis zu obsiegen. Trotzdem waren sie bedeutend, besonders im Hinblick auf ihre aufklärerische Verbreitung des philosophischen Gedankenguts und die praktische Pädagogik. Sophistisch im postitiven Sinne war auch die Tatsache, daß die praktische Beschäftgung mit philosophischer Argumentation durch die Sophistik zu einem größeren Interesse am Philosophieren und am kritischen Denken führte. Die Sophisten trugen die Lehren der Vorsokratiker in die Öffentlichkeit und wirkten dadurch aufklärerisch. Damit deuten sie bereits die Richtung der nächsten Phase an. (Vgl. 16-18). Die Zeit der Vorsokratiker war, wie der Name schon verrät, mit Sokrates (470-399) vorbei: die kosmologische Naturphilosophie der Griechen wurde durch Sokrates und seine anthropologische Ethik abgelöst, zugleich aber der ethische Relativismus der Sophisten widerlegt. Menschenbildung, Jugendbildung und Seelenführung war der Zweck seines Philosophierens; geistige Maieutik und Ironie der Weg dazu. Sokrates‘ Philosophie beruhte auf seiner Grundüberzeugung, daß das Sittliche erkennbar und lehrbar sei und aus dem Wissen um Sittlichkeit stets das Handeln gemäß der Sittlichkeit folge. In diesem Sinne versuchte Sokrates zunächst jedesmal vom Einzelfall aus die Menschen zu einer klaren Begriffsbildung hinsichtlich des sittlich Richtigen hinzuführen. Für ihn war dasjenige Handeln richtig, das den wahren Nutzen des Menschen und damit seine Glückseligkeit bewirkt. Nach Sokrates ist deshalb die Selbsterkenntnis die Bedingung der praktischen Tüchtigkeit: weiß ich, was ich bin, so weiß ich auch, was ich soll. In sich selbst fand Sokrates aber auch ein göttliches Daimonion, das ihm als innere Stimme zur Vefügung stand und ihm mitteilte, was er tun oder unterlassen sollte. Die höchste Tugend war für Sokrates die Genügsamkeit: wer am wenigsten bedarf, ist der Gottheit am nächsten; nur wer sich selbst zu beherrschen gelernt hat und in allen Dingen ausschließlich der richtigen Einsicht folgt, ist imstande, andere zu beherrschen, und berechtigt, als Staatsmann zu wirken. Sokrates gilt mit Platon und Aristoteles zusammen als bedeutendster Philosoph der Antike, blieb aber vielumstritten. Von einigen wurde er als erster großer Ethiker gepriesen, von anderen als Aufklärer und Auflöser verworfen. Auch die Aufklärung hatte ihre zwei Seiten, und ihre Schattenseite war die eben erwähnte negative Sophistik.
Eine Hochkonjunktur der Ethik, die die nächste Kulturphase einleitet, macht folgendes deutlich: für jede auf ihren Höhepunkt stehende Kultur gilt dasselbe wie für die uralte Bauernkultur seit der Seßhaftwerdung, denn nicht zufällig fällt die Haupternte in die Zeit der sogenannten Hundstage (23.07. bis 23.08.), aber ob die hochsommerlichen Klimaverhältnisse eine zufriedenstellende Ernte bedeuten, weiß man erst, wenn das Wetter bereits dabei ist, vollendete Tatsachen zu schaffen. Das Resultat ist kaum beeinflußbar, aber man kann aus ihm lernen und im Hinblick auf das nächste Jahr nur mittels verbesserter Technik höhere Erfolge erzielen oder erneut auf den klimatischen Zufall setzen. Eine erste Zwischenbilanz kann also erst am Ende dieser Phase gezogen werden, und sobald die der Natur abgerungene Ernte ins Haus geholt worden ist, muß sie verteidigt, ihr Schutz überprüft und eventuell verbessert werden. Überträgt man die Regeln einer Bauernkultur, die sich seit der Neolithischen Revolution mehr oder weniger stark entwickelten, auf die Regeln einer Hochkultur, die sich seit der Vor- und Frühkultur entwickelten, dann stößt man zwangsläufig auf die aufklärerischen Figuren, die der kulturellen Weiterentwicklung dienen können und wollen oder am Markt Versicherungen anbieten, die dem Selbstzweck dienen, aber ethisch anspruchsvoll sein sollen. In der Selbstgenügsamkeit und Zurückhaltung sich auferlegenden Antike lösten die Sophisten und Sokrates mit ihren anthropologisch-ethischen Alternativlösungen die kosmologische Naturphilosophie genauso ab wie im Abendland die unendlichen Raum sich verschaffenden Aufklärer und Extremsubjektivisten die universalistische Naturphilosophie, während in beiden Kulturen die Naturphilosophie atomistischer wurde. (Vgl. Tabelle). Aber Selbstgenügsamkeit und Zurückhaltung sind nicht dasselbe wie Unendlichkeit und Raumschaffung, sondern deren Gegensätze. Deshalb gab es für eine Naturwissenschaft in der Antike keinen Raum, im Abendland dagegen jeden unendlichen. In der Antike blieben die Naturerscheinungen eine Sache der Philosophie, im Abendland blieben sie eine Sache der Wissenschaften. Diese abendländische Institution hatte sich in der jetzigen Phase endgültig etabliert und muß als eine der großartigsten und in den Konsequenzen weitreichendsten Leistungen des Abendlandes angesehen werden. (Vgl. Ursymbol).
Auch die Schule, wie wir sie heute verstehen, ist eine rein abendländische Erfindung. Was wir heute Schulkind nennen, das gab es in der Antike nur im Privatleben der Familien oder gar nicht, d.h. nur dem biologischen Alter nach.
ANTIKE

Schule:
privat

Träger: Familie

Lehrer: Hauslehrer & andere Privatlehrer
(zumeist Sklaven)

Hochschule:
privat

Träger: Scholarchen (privat)

Disziplinen: Mathematik (Arithm., Geometrie, Astronomie, Musik), Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Medizin, Architektur, Jura, Philosophie
ABENDLAND

Schule:
privat und öffentlich

Träger: Familie,
Kirche, Städte, Staat

Lehrer: Hauslehrer, Mönche, Berufslehrer

Hochschule:
privat und öffentlich

Träger: Kirche, Städte, Staat und private Scholarchen

Disziplinen: Antike Disziplinen, dazu: Theologie und Naturwissenschaften mit Erfahrung und Experiment als wissenschaftliche Methoden
Jugendreife bedeutete in der Antike Zulassung zum Leben der Erwachsenen, im günstigen Fall private Einschulung in die Hochschule eines Scholarchen. Deutlich mag dies werden, wenn man sich vorstellt, daß es in der Antike nur privaten Unterricht von Hauslehrern, zumeist eine Tätigkeit der Sklaven, gab, dagegen im Abendland bereits seit Karl dem Großen ein erstes kohärentes und gleichsam öffentliches, von Bischöfen geleitetes Schulwesen. Mit dem Aufstieg der Städte und des Bürgertums seit etwa 1250 (Gotik) entstanden die ersten Stadtschulen, aber erst jetzt, in dieser Phase, wurde das in erster Linie der Kirche unterstehende Schulwesen immer mehr zu einer weltlichen Institution, und die Schulpflicht folgte, z.B. 1619 in Weimar, 1642 in Sachsen-Gotha und 1717 in Preußen. Die eben erwähnte Selbständigwerdung der Naturwissenschaften war jedoch die wohl wichtigste Voraussetzung für die das faustische Seelenbild immer mehr komplettierende abendländische Kultur. In den Hochschulen, vor allem in den neu gegründeten, hielt sie neben Lehrfreiheit sowie Erfahrung und Experiment als neue wissenschaftliche Methoden Einzug und brachte neue Impulse gegenüber den vorher dominierenden religiösen Orientierungen und kirchlichen Dogmen, die mittlerweile zur Erstarrung und Verschulung der Universitäten geführt hatten.

(Vgl. Philosophie)

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Anmerkungen:

Johann Wolfgang Goethe (28.08.1749 – 22.03.1832), Faust (I), 1806, S. 27, Faust (II), 1831, S.113ff..
Oswald Spengler (1880-1936), Der Untergang des Abendlandes, 1917 (Band I), 1922 (Band II).
Oswald Spengler (1880-1936), Der Untergang des Abendlandes, 1917 (Band I), Tafeln, S. 70ff.
Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen – wie unzählige andere Beispiele auch – für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.
Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 155, S. 227ff., S. 234, S. 390, S. 847f.).
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) veröffentlichte seine nicht-euklidischen Geometrien nicht, weil er das Geschrei der denkfaulen, schwerfälligen und unkultivierten Menschen fürchtete. Er nannte sie Böoter, weil die Einwohner dieser antiken Landschaft (Hauptstadt: Theben) von den Einwohnern anderer Griechenstädte als denkfaul und schwerfällig beschrieben worden waren. Gauß meinte zu Recht, daß man die Menschen nicht wirklich würde überzeugen können. Die erste der nichteuklidischen Geometrien entdeckte Gauß nach Vollendung seines Hauptwerkes Disquisitiones arithmeticae (1801), durch deren in sich widerspruchslose Existenz bewiesen wurde, daß es mehrere streng mathematische Arten einer dreidimensionalen Ausgedehntheit gibt, die sämtlich a priori gewiß sind, ohne daß es möglich wäre, eine von ihnen als die eigentliche Form der Anschauung herauszuheben. (Vgl. 18-20).
Römisch-katholische Interpretationen attestieren dem Abendland zumeist, daß in ihm die Dominanz des Christlichen überwiege. Diese Meinung teilen vor allem kirchliche und vornehmlich christlich orientierte Vertreter. Theodor Heuss (31.01.1884 – 12.12.1963) soll einmal gesagt haben, daß Europa von 3 Hügeln ausgegangen sei: von der Akropolis, von Golgatha und vom Kapitol. Diese Sichtweise würde eher, wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, auf eine Dominanz der Antike verweisen. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß aus einem antik-apollinischen Einzelkörper und einer magisch-seelengeistigen Welthöhle ein abendländisch-faustischer Unendlichkeitsraum entstehen kann, dann muß unbedingt ein dritter Faktor hinzukommen, den ich die Kulturpersönlichkeit nenne: das Germanentum. Ohne das Germanentum versteht man die Willensdynamik eines Faust nicht, und ohne das germanische Element ist die Raumtiefe, aber auch die in jeder Hinsicht sowohl ins Mikrokosmische als auch ins Makrokosmische gehende Unendlichkeit nicht als distinktives Merkmal der abendländischen Kultur zu identifizieren. Diese Merkmale treffen auf keinen antiken Menschen zu, aber insbesondere auf die Abendländer, die germanischen Ursprungs sind. Scharfe Gegensätze, wie die zwischen Antike und Abendland, sind zwar unbedingt ein Indiz für Verwandtschaft, weil beide Kulturen so auffallend gegensätzlich sind: aktiv und reaktiv. Offenbar hat die Antike auf das Abendland aber nicht persönlichkeitsstiftend gewirkt und konnte auch erzieherisch nicht tätig werden, weil sie so früh verstarb. Die Biogenetik und Sozialisation geraten nicht selten so weit auseinander, wenn ein Elternteil früh verstirbt, d.h. nicht wirklich erlebt wird. Dem Abendland scheint es auch so ergangen zu sein. Die Auseinandersetzungen mit der magischen Mutter hat beim Kind jedoch zu einer enormen, fast schon verdächtigen Erinnerung bis hin zur Vergötterung des antiken Vaters Beitrag geleistet. Aber liegt deshalb immer auch schon ein Vaterkomplex vor? Es bleibt zunächst festzuhalten, daß auch kulturell zwischen Genetik und Sozialisation, zwischen Anlage und Umwelt, zwischen angeboren und anerzogen ganz klar unterschieden werden muß. Dazwischen bewegt sich die Persönlichkeit. Man kann sie nicht isolieren, folglich auch nicht isoliert betrachten, aber man kann sie beschreiben, und ich beschreibe die Kulturpersönlichkeit des Abendlandes als germanisch, weil dieser Raum zwischen Anlage und Umwelt für die Kulturpersönlichkeit zwanghaft unendlich werden muß, wenn sie die verlorene Vaterkultur zurückholen will. Der unendliche Raum und Wille sind auch deshalb Ursymbol und Urwort des Abendlandes. Wenn der Mensch eine Grundlage von etwa 60 Billionen Zellen hat und einer Umwelt von praktisch unendlicher Vielfalt ausgesetzt ist, so gilt für eine Kultur, daß sie Völker, Staaten oder Nationen zur Grundlage hat und einer Umwelt von unendlichen Möglichkeiten, aber auch gähnender Leere gegenübersteht. Mit dem Germanentum fiel eine faustische Entscheidung zugunsten der unendlichen Möglichkeiten. Die Eltern des Abendlandes waren also antik-magisch, ihre gentragenden Chromosomen römisch-christlich, aber die Kontrollgene germanisch. (Vgl. 22-24).
Unter der Wirkung des Testosteron reifen in den Hodenkanälchen der Hoden die Spermien heran, die in den Nebenhoden gespeichert werden. Es kommt also schon bei der Bildung der Spermien zu diesen Zellteilungsvorgängen, den Reifeteilungen. Die Spermien zählen zu den kleinsten menschlichen Zellen. In deren Kopfteil liegt das Erbgut. Die Energie für die Beweglichkeit des Schwanzfadens liefert das Mittelstück, während der Schwanzfaden dem Spermium eine Schwimmgeschwindigkeit von 3 mm pro Minute verleiht. Jeder Samenerguß enthält Drüsensekrete und etwa 200-300 Millionen Spermien. Nach der Pollution sind die Spermien noch etwa 48 Stunden lebensfähig. Die weibliche Eizelle reift innerhalb des Eierstocks in einem Eibläschen heran, das auch Follikel genannt wird. Durch die Reifeteilungen wird sie zu einer befruchtungsfähigen Eizelle. Das Heranreifen der Eizelle dauert etwa 14 Tage. Danach platzt der Follikel und die Eizelle wird vom Trichter des Eileiters aufgenommen. Nach diesem Eisprung bleibt die Zelleetwa 4-6 Stunden befruchtungsfähig und wird im Laufe von 3-4 Tagen vom Eileiter zur Gebärmutter transportiert. Die Reifung des Follikels und der Eisprung werden angeregt durch die Hormone: FSH, ein Hormon zur Stimulanz des Follikels, und LH, ein luteinisierendes Hormon . Beide Hormone werden in der Hypophyse gebildet. Der Follikel bildet nun Follikelhormone, die Östrogene, die wiederum die Gebärmutterschleimhaut zum Wachstum anregen. Währenddessen beeinflussen sie die Menge der FSH- und LH-Bildungen in der Hypophyse. Bei einem bestimmten Verhältnis von FSH und LH platzt der Follikel. Es kommt zum Eisprung (Ovulation). Die Körpertemperatur der Frau steigt um 0,5 ° C. an. Nach dem Eisprung wandeln sich die Reste des Follikels um zum Gelbkörper, der das Gelbkörperhormon Progesteron bildet. Das Progesteron sorgt dafür, daß die Gebärmutterschleimhaut weiterwächst und schließlich von vielen Blutgefäßen und mit Nährstoffen und Schleim angereichert ist. Nun ist die Gebärmutterschleimhaut für die Aufnahme eines befruchteten Eies vorbereitet. Progesteron und Östrogene wirken hemmend auf die FSH- und LH-Ausschüttung der Hypophyse. Wenn der Gelbkörper verkümmert und die Progesteronbildung zurückgeht, hat keine Befruchtung stattgefunden. In dem Fall wird die Schleimhaut der Gebärmutter abgestoßen, und es kommt zur Regelblutung. Sie erfolgt etwa 14 Tage nach dem Eisprung und dauert etwa 3-5 Tage. Etwa 14 Tage nach Beginn der Regelblutung wird im anderen Eierstock wieder durch Reifeteilung eine befruchtungsfähige Eizelle herangereift sein. (Vgl. 22-24).
Meiose (meiosis = Verringern, Verkleinern) bedeutet eine Reduktion des Chromosomenbestandes um die Hälfte. Da bei der Befruchtung die Kerne zweier Geschlechtszellen miteinander verschmelzen, wird der Chromosomenbestand verdoppelt. Dieser muß im Laufe der Entwicklung, spätestens bei der erneuten Bildung der Geschlechtszellen wieder halbiert werden, da sonst die Zahl der Chromosomen pro Zelle nicht konstant bliebe. Diese Reduktion auf den haploiden (einfachen) Chromosomensatz wird durch zwei kurz aufeinander erfolgende Teilungen erreicht. Das erste Stadium der 1. (meiotischen) Reifeteilung, ist die(1.1.) Prophase, die zeitlich z.T. über Wochen bis Monate gedehnt ist, wird in mehrere Unter-Phasen aufgegliedert: Im (1.1.1.) Leptotän werden die Chromosomen als langgestreckte, dünne Fäden sichtbar. Im(1.1.2.) Zygotän paaren sich die die homologen (übereinstimmenden) Chromosomen abschnittsweise. Im (1.1.3.) Pachytän verkürzen und verdichten sie sich und lassen eine Längsspaltung erkennen. Die Chromatiden überkreuzen sich teilweise (Chiasma) mit je einer väterlichen und mütterlichen Chromatide. Im (1.1.4.) Dioplotän (auch: Vierstrangzeit oder Tetradän) sind vier parallele Stränge zu erkennen. Die Chromosomen weichen bis auf die Überkreuzungsstellen auseinander. In der Diakinese (Übergang (1.1. zu 1.2.) trennen sich allmählich die vier Stränge paarweise. Die Überkreuzungsstellen werden an die Enden verschoben. In der (1.2..) Metaphase ordnen sich die Chromosomen in der Äquatorialplatte an. In der (1.3.) Anaphase trennen sich die gepaarten Chromosomen und wandern zu den Polen, wobei eine zufallsgemäße Neuverteilung der väterlichen und mütterlichen Chromosomen erfolgt. In der (1.4.) Telophase lockern sich die spiralisierten Chromosomen dann auf. Nun folgt ein kurzes Ruhestadium, das auch als Übergang von der 1. zur 2. meiotischen Teilung angesehen werden kann: die Interkinese oder Interphase (Übergang (1. zu 2.), in der keine Reduplikationen der Chromosomen stattfindet. Sie ist die Zeit des Zellkerns (Interphasen-Kern), weil der jetzt als Arbeitskern besonders aktiv ist. Die 2. (meiotische) Reifeteilung läuft nach dem Schema einer Mitose ab. Die beiden Chromosomenspalthälften (Chromatiden) werden voneinander getrennt. Es werden neue Kern- und Zellmembranen (bzw. Zellwände: bei Pflanzen) gebildet, und es sind vier neue Zellen mit jeweils einem einfachen (haploiden) Chromosomensatz entstanden.
Mitose (mitos = Faden) bedeutet eine indirekte Kernteilung, Karyokinese, eine Äquationsteilung. Es ist ein Kernteilungsvorgang, bei dem aus einem Zellkern zwei Tochterkerne gebildet werden, die gleiches – mit dem Ausgangsmaterial identisches – Genmaterial und (im Unterschied zur Meiose) die gleiche Chromosomenzahl haben. Auch die Mitose kennt die Phasen (1.1.) Prophase, (1.2.) Metaphase, (1.3.) Anaphase und (1.4.) Telophase.
Fürst (zu althochdeutsch furisto, der Vorderste)ist seit dem Mittelalter die Bezeichnung für die höchste Schicht des hohen Adels, die durch ihre besondere Königsnähe an der Herrschaft über das Reich, besonders in seiner territiorialen Gliederung, teilhatte (Reichsadel), v.a. Herzöge und Herzogsgleiche sowie Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte der Reichsabteien. Ihnen stand das Recht der Königswahl zu und die Pflicht, bei Entscheidungen in Reichssachen mitzuwirken. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation konnten zunächst alle freien, dann alle Reichsfürsten den König wählen. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts kristallisierten sich bei der Wahl des Königs immer mehr entscheidende Fürsten heraus. Spätestens aber im 13. Jahrhundert ergab sich aus den Fürsten heraus der engere Kreis der Königswähler, die Kurfürsten, deren Sonderstellung in der Goldenen Bulle von 1356 festgelegt wurde. Weltliche und geistliche Reichsfürsten hatten Sitz und Stimme im Reichstag. Seit dem staufisch-welfischen Thronstreit (1198) mußten die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie der Pfalzgraf bei Rhein (die Rheinpfalz) an einer gültigen Wahl beteiligt sein. Der Sachsenspiegel (1224-1231) zählt 2 weitere Kurfürsten als Vorwähler oder Erstwähler auf: den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg. Mit der Doppelwahl von 1527 traten zum ersten mal die 7 Kurfürsten (einschließlich des vom Sachsenspiegel abgelehnten Königs von Böhmen) als alleinige Wähler auf. Bei der Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) war das Kurfürstenkollegium (Kurkollegium) ein geschlossener Wahlkörper. Seine Entstehung – vom Sachsenspiegel aus dem Besitz der Erzämter erklärt – war also letztlich ein Ergebnis des Interregnums: eine Verhinderung der erblichen Thronfolge, ein Erwerb von Reichsgut und wichtigen Reichsrechten durch die Kurfürsten. Das Wahlrecht schränkte sich auf 3 geistliche und 4 weltliche Kurfürsten ein, die vom Kandidaten Sonderrechte (Kapitulationen) und politisches Mitspracherecht (Willebriefe) forderten, ein schwaches Königtum wünschten und deshalb die Krondynastie wechselten. Die Kurfürsten wurden häufig zu Gegenspielern des Königtums. Zur Gültigkeit der Wahl mußten mindestens 4 Kurfürsten anwesend sein. Die Mehrheitswahl wurde zuerst im Kurverein von Rhense (1338) für rechtsmäßig erklärt und 1356 in der Goldenen Bulle als Reichsgrundgesetz festgelegt, die auch die Beratung von Reichsangelegenheiten durch die Kurfürsten auf Kurfürstentagen verbriefte. Im 15. Jahrhundert wurde das Kurfürstenkollegium zur 1., vom Reichsfürstenrat getrennten Kurie des Reichstages. Die böhmische Kurwürde ruhte 1519 bis 1708 mit Ausnahme der Beteiligung an der Königswahl; die Kur des geächteten Pfalzgrafen bei Rhein wurde 1623 Bayern übertragen, der Pfalz aber 1648 eine 8. Kurwürde zugestanden. Braunschweig-Lüneburg (Hannover) hatte seit 1692 eine 9. (1708 vom Reichstag bestätigt), nach der Vereinigung Bayerns mit der Kurpfalz 1777 die 8. Kurwürde inne (seit 1778). 1803 wurden die Kurstimmen von Trier und Köln aufgehoben, die Mainzer Kur auf Regensburg-Aschaffenburg übertragen. Neugeschaffen wurden die Kurfürstentümer Salzburg (1805 auf Würzburg übertragen), Württemberg, Baden und Hessen-Kassel. Am Ende des 1. Deutschen Reiches gab es 10 Kurfürsten. (Vgl dazu die entsprechenden Phasen 6-8, 8-10, 10-12, 12-14, 14-16, 16-18, 18-20).
Kurverein von Rhense war der Zusammenschluß der Kurfürsten (ohne Böhmen) am 16.07.1338 in Rhense (Rhens, Rhein-Lahn-Kreis) zur Verteidigung des Reichsrechts und ihrer Kurrechte besonders gegen päpstliche Ansprüche. Die Kurfürsten setzten in einem Rechtsspruch fest, daß der von ihnen oder ihrer Mehrheit zum Römisch-Deutschen König gewählte nicht der päpstlichen Anerkennung bedürfe.
Die Kurie ist (seit dem 11. Jh.) die Gesamtheit der in der Leitung der röm.-kath. Kirche tätigen Organe des Apostolischen Stuhls in Rom.
Landsknechte waren vom Ende des 15. bis Ende des 16. Jhs. die in kaiserlichen Landen geworbenen Fußsöldner unter und seit Maximilian I. (König seit 1486, Kaiser von 1493-1519).
Auf die Hominiden folgte der Homo sapiens sapiens, auf den Humanismus folgt der Hominismus. Damit schließt sich vorerst der Kreis. Schon im 13. Jahrhundert sollen Alchimisten erste Experimente unternommen haben, um einen künstlichen Menschen im Reagenzglas zu erzeugen. Goethe ließt im 2. Teil des Faust den Famulus Wagner einen Homunkulus nach Anleitung des Paracelsus erzeugen. Heute scheinen sich die Möglichkeiten zur Erschaffung des Menschen nach eigenen Wünschen konkretisiert zu haben. (Vgl. hierzu: 22-24).
Konzililiarismus ist die Bezeichnung für die Auffassung, daß das Konzil und nicht der Papst allein die höchste Instanz in der Kirche sei. Im Abendländischen Schisma erlangte der Konziliarismus apraktische Bedeutung, die auf dem Konstanzer Konzil (1414-1418) bestätigt wurde, obschon die Päpste den Konziliarismus immer wieder verurteilten. Auch der Philosoph Nikolaus von Kues (1410-1464), der Cusaner, vertrat die Ansicht, daß das Konzil über dem Papst stehe. Die Gedanken des Konziliarismus wurden bis zum 1. Vatikanischen Konzil (1869/1870) permanent vertreten.
Die Reichsreform im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wurde zunächst auf den Reichstagen von 1434 bis 1438 unternommen und in der Publizistik viel dikutiert. Es waren Bemühungen um eine Umgestaltung der Reichsverfassung, die den Reichsständen ein Mitregierungsrecht in Reichsangelegenheiten sichern sollte (Reichsregiment). Ein erstes Reichsreformgesetz scheiterte an den organisatorischen Voraussetzungen. Kaiser Friedrich III. (Habsburger, 1440-1493) verhinderte in den folgenden Jahrzehnten weitere Reformversuche. Kaiser Maximilian I. (Habsburger, 1493-1519) sah sich dann gezwungen, auf den Reichstagen von Worms (1495) und Augsburg (1500) wesentliche Zugeständnisse zu machen. Ein Ewiger Landfriede sollte die Grundlage für die Reichsreform schaffen; als allgemeine Reichssteuer sollte der Gemeine Pfennig erhoben werden (1. Reichsregiment). Neben den fehlenden organisatorischen Voraussetzungen waren der Widerstand des Reichsoberhauptes und das Mißtrauen der auf die Wahrung ihrer Rechte pochenden Reichsfürsten der Grund für das am Ende scheiternde Projekt dieser Reichsreform. auch wenn Karl V. (Habsburger, 1519-1556) sie fortsetzte (2. Reichsregiment).
Die Reichsstände im 1. Deutschen Reich (Hl. Röm. Reich) waren die Reichsfürsten (vgl. Fürsten), Reichsgrafen, Reichsprälaten und Reichsstädte, die das aus der Reichsunmittelbarkeit erwachsene Recht zur Führung einer fürstlichen Einzelstimme (Virilstimme) oder zur Beteiligung an einer Gesamtstimme (Kuriatstimme) im Reichstag besaßen (Reichsstandschaft). Die Reichsstände repräsentierten damit neben dem Kaiser das Reich. Auf dem Konzil zu Basel (1431-1449) vertrat Kardinal Nikolaus von Kues in seiner Schrift De Concordantia Catholica (Von der Einheit der Kirche) die naturrechtlich begründete Ansicht vom politischen Zusammenwirken der Reichsstände mit dem Kaiser in Gesetzgebung und Regierung. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts gab es auf den Reichstagen Reformforderungen, z.B. durch die Gravamina (Beschwerden) der deutschen Nation oder auch in deren Reformatio Sigismundi, einer weitverbreiteten anonymen Flugschrift. Die Reformen begannen auf dem Reichstag zu Worms (1495): Verkündung des Ewigen Landfriedens. Zur Beseitigung des Fehderechts wurde das ständig tagende Reichskammergericht in Frankfurt (seit 1527 in Speyer) als oberste Rechtsinstanz geschaffen und der Gemeine Pfennig (erste Reichssteuer, ohne Bestand) erhoben. Die Eidgenossen lehnten die Beschlüsse ab und forderten im Schwabenkrieg (1499) ihre Unabhängigkeit. Auf dem Reichstag zu Augsburg (1500) wurde ein ständiges Reichsregiment eingerichtet, das 1502 wieder aufgelöst und 1521 erneuert wurde. Seit dem Reichstag zu Köln (1512) stand dem Reichstag die oberste Reichsgewalt zu, der die Vorschläge der kaiserlichen Regierung in 3 Kollegien (Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte) beriet. Seine Beschlüsse wurden als Reichsabschiede (ab 1633 Reichsschlüsse) verkündet. Es wurden 10 Reichskreise unter dem Direktorium von je 2 Fürsten zur Wahrung des Landfriedens gebildet, eine Reichssteuer und das Reichsheer (unter Kreisobersten) erhoben. Ein Verzeichnis über Einkünfte der Territorien als Grundlage ihrer Truppen- und Steuerleistungen sah die Reichsmatrikelordnung vor, die auf dem Reichstag zu Worms (1521) verabschiedet wurde. Weil aber die Reichstage nur unregelmäßig zusammenkamen, entwickelten sich die Ansätze zu einer Reichsverfassung und zur Überwindung der territorialen Zersplitterung auf der Grundlage der alten Stammes-Herzogtümer nicht weiter.
Diese 10 Reichskreise hießen: 1) Burgundischer Kreis (Niederlande, Belgien, Luxemburg, Burgund), 2) Niederrheinisch-Westfälischer Kreis (Nordwestdeutschland), 3) Niedersächsischer Kreis (Mittelnorddeutschland), 4) Obersächsischer Kreis (Pommern, Brandenburg, Kursachsen), 5) Kurrheinischer Kreis (Erzbistümer Köln, Mainz, Kurpfalz), 6) Oberrheinischer Kreis (Lothringen, Elsaß, Pfalz, Hessen), 7) Fränkischer Kreis (Franken), 8) Schwäbischer Kreis (Baden, Württemberg), 9) Bayrischer Kreis (Bayern, Oberpfalz), 10) Österreichischer Kreis (Österreich) sowie Reichsdörfer, Herrschaften der Reichsritter und Territorien ohne Reichskreisbildung wie Preußen, Lausitz, Böhmen, Mähren, Schlesien. (Vgl. Karte).
Der Calvinismus, anfangs ein antischolastischer Humanismus, machte die Prädestination zu seinem Inhalt und Mittelpunkt. Diese Prädestination, die man auch Prädetermination nennt, meint die Vorbestimmung des Menschen schon vor bzw. bei seiner Geburt durch Gottes unerforschbaren Willen, und zwar entweder als Gnadenwahl zur Seligkeit ohne Verdienst oder als Prädamnation zur Verdammnis ohne Schuld. Sie wurde schon von Augustinus (354-430) gelehrt und nach ihm von Luther (1483-1546), Zwingli (1484-1531), Calvin (1509-1564) und dem Jansenismus (nach Cornelius Jansen, 1585-1638). Auf einen engen Zusammenhang zwischen dem Calvinismus, besonders aber dem aus ihm entwickelten Puritanismus, und dem modernen Kapitalismus der abendländischen Kultur hat vor allem Max Weber (1864-1920) hingewiesen.
Der Puritanismus ging aus der Reformation, insbesondere aus dem Calvinismus hervor. Der Calvinismus, anfangs ein antischolastischer Humanismus, machte die Prädestination zu seinem Inhalt und Mittelpunkt. Diese Prädestination, die man auch Prädetermination nennt, meint die Vorbestimmung des Menschen schon vor bzw. bei seiner Geburt durch Gottes unerforschbaren Willen, und zwar entweder als Gnadenwahl zur Seligkeit ohne Verdienst oder als Prädamnation zur Verdammnis ohne Schuld. Sie wurde schon von Augustinus (354-430) gelehrt und nach ihm von Luther (1483-1546), Zwingli (1484-1531), Calvin (1509-1564) und dem Jansenismus (nach Cornelius Jansen, 1585-1638). Auf einen engen Zusammenhang zwischen dem Calvinismus, besonders aber dem aus ihm entwickelten Puritanismus, und dem modernen Kapitalismus der abendländischen Kultur hat vor allem Max Weber (1864-1920) hingewiesen. (). Die Puritaner (die „Reinen“) sind die Vertreter einer Reformbewegung, die besonders in England seit etwa 1570 die Reinigung der englischen Kirche von katholisierenden Elementen in Verfassung, Kultus und Lehre betrieben. Strenger Biblizismus, eine Gewissenstheologie und die konsequente Sonntagsheiligung beeinflußten das englische Geistesleben bis in die Gegenwart. Die Puritaner brachten eine ausgedehnte Erbauungs- und Predigtliteratur hervor. 1604 wurden sie durch die Ablehnung ihrer „Millenary Petition“ enttäuscht, wandten sich der politischen Opposition zu oder emigrierten in großer Zahl nach Nord-Amerika. Mit dem Sieg Oliver Cromwells (1599-1658) 1648 zur Herrschaft gelangt, beseitigten die Puritaner das „Common Prayer Book“ und das Bischofsamt, vertrieben anglikanische Pfarrer, entfernten die Orgeln aus den Kirchen u.a.. Nach der Restauration der Stuarts wurden die Puritaner ihrerseits rigoros aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt – bis zur Toleranzakte von 1689. Die englischen Puritaner waren und sind also Vertreter eines speziellen Puritanismus. Diesen „Insel-Puritanismus“ der Engländer kann man auch „Angelsachsen-Puritanismus“ nennen. Für den Puritaner ist das genaue Gegenteil der „Weltfreude“ charakteristisch. Die „Weltfremdheit“ gehört zu den wichtigsten Charakterzügen des Puritanismus. Max Webers Beispiele „zeigen alle das eine: »der Geist der Arbeit«, des »Fortschritts« oder wie er sonst bezeichnet wird, dessen Weckung man dem Protestantismus zuzuschreiben neigt, darf nicht, wie es heute zu geschehen pflegt, als »Weltfreude« oder irgendwie sonst im »aufklärerischen« Sinn verstanden werden. Der alte Protestantismus der Luther, Calvin, Knox, Voët hatte mit dem, was man heute »Fortschritt« nennt, herzlich wenig zu schaffen. Zu ganzen Seiten des modernen Lebens, die heute der extremste Konfessionelle nicht mehr entbehren möchte, stand er direkt feindlich. Soll also überhaupt eine innere Verwandtschaft bestimmter Ausprägungen des altprotestantischen Geistes und moderner kapitalistischer Kultur gefunden werden, so müssen wir wohl oder übel versuchen, sie … in seinen rein religiösen Zügen zu suchen.“ (Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904, S. 37-38). Laut Weber ist im Abendland nämlich vor allem die Frömmigkeit (der Pietismus) das „rein religiöse“ Glied – als Berufung (Beruf) – zwischen dem alten Protestantismus bzw. Puritanismus und dem modernen Kapitalismus: Abendländischer Kapitalismus ist laut Weber nämlich eigentümlich, hat ein eigentümliches Ethos. Allgemein ist Kapitalismus kein Charakteristikum einzelner (Historien-)Kulturen, sondern der Menschen-Kultur überhaupt: „Aber eben jenes eigentümliche Ethos fehlte ihm …. In der Tat: jener eigentümliche, uns heute so geläufige und in Wahrheit doch so wenig selbstverständliche Gedanke der Berufspflicht: einer Verpflichtung, die der Einzelne empfinden soll und empfindet gegenüber dem Inhalt seiner »beruflichen« Tätigkeit, gleichviel, worin sie besteht, gleichviel insbesondere, ob sie dem unbefangenen Empfinden als reine Verwertung seiner Arbeitskraft oder gar nur seines Sachgüterbesitzes (als »Kapital«) erscheinen muß: – dieser Gedanke ist es, welcher der »Sozialethik« der kapitalistischen Kultur charakteristisch, ja in gewissem Sinne für sie von konstitutiver Bedeutung ist. – …. – Arbeit als Selbstzweck, als »Beruf«, wie sie der Kapitalismus fordert …. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung braucht diese Hingabe an den »Beruf« des Geldverdienens: sie ist eine Art des Sichverhaltens zu den äußeren Gütern, welche jener Struktur so sehr ädaquat, so sehr mit den Bedingungen des Sieges im ökonomischen Daseinskampfe verknüpft ist ….“ (Max Weber, ebd., 1904, S. 43, 45, 53, 61). Innerweltliche Askese bedeutet bei Max Weber die Verwendung der durch Ablehnung der religiösen Askese frei gewordenen Energie in der Berufsarbeit, wie eben besonders gefordert und gefördert durch den Puritanismus.
„Beruf“ (NHD; aus MHD: „beruof“, „Leumund“) – die neuhochdeutsche Bedeutung hat Martin Luther (1483-1546) geprägt! In der Bibel benutzte er es zunächst als „Berufung“ durch Gott für klesis (griech.) bzw. vocatio (lat.), dann auch für Stand und Amt des Menschen in der Welt, die schon Meister Eckhart (1250-1327) als göttlichen Auftrag erkannt hatte. Dieser ethische Zusammenhang von Berufung und Beruf ist bis heute wirksam geblieben, wenn das Wort jetzt auch gewöhnlich nur die bloße Erwerbstätigkeit meint. „Nun ist unverkennbar, daß schon in dem deutschen Worte »Beruf«, ebenso wie in vielleicht noch deutlichere Weise in dem englischen »calling«, eine religiöse Vorstellung: – die einer von Gott gestellten Aufgabe – wenigstens mitklingt und, je nachdrücklicher wir auf das Wort im konkreten Fall den Ton legen, desto fühlbarer wird. Und verfolgen wir nun das Wort geschichtlich und durch die Kultursprachen hindurch, so zeigt sich zunächst, daß die vorwiegend katholischen Völker für das, was wir »Beruf« (im Sinne von Lebensstellung, umgrenztes Arbeitsgebiet) nennen, einen Ausdruck ähnlicher Färbung ebenso wenig kennen wie das klassische Altertum, während es bei allen vorwiegend protestantischen Völkern existiert. Es zeigt sich ferner, daß nicht irgendeine ethnisch bedingte Eigenart der betreffenden Sprachen, etwa der Ausdruck eines »germanischen Volksgeistes« dabei beteiligt ist, sondern daß das Wort in seinem heutigen Sinn aus den Bibelübersetzungen stammt, und zwar aus dem Geist der Übersetzer, nicht aus dem Geist des Originals. Es erscheint in der lutherische Bibelübersetzung zuerst an einer Stelle des Jesus Sirach (11,20,21) ganz in unserem heutigen Sinn verwendet zu sein.“ (Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904, S. 66). Seit Luther also gibt es das Wort „Beruf“ in der noch heute gültigen Bedeutung: die hauptsächliche Erwerbstätigkeit des Einzelnen, die auf dem Zusammenwirken von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten beruht (also auf Bildung bzw. Ausbildung) und durch die er sich in die Volkswirtschaft eingliedert. Der Beruf dient meist der Existenzbasis. Es war vor allem der Protetestantismus mit seiner Askese (vgl. Puritanismus), der die sittliche Leistung der Arbeit stark betonte und den Beruf zum Gebot der Pflichterfüllung steigerte. Diese Haltung hat sich als Berufsethos, als innere, enge Verbundenheit des abendländischen Menschen mit seinem Beruf erhalten. Moderne Antriebe zur Verweltlichung gingen vom Deutschen Idealismus aus, der im Beruf das Postulat der Persönlichkeitsentfaltung entdeckte.
„Es ist bewunderungswürdig, mit welcher Sicherheit der englische Instinkt aus der … ganz doktrinären und kahlen Lehre Kalvins sein eignes religiöses Bewußtsein formte. Das Volk als Gemeinschaft der Heiligen, das englische insbesondere als das auserwählte Volk, jede Tat schon dadurch gerechtfertigt, daß man sie überhaupt tun konnte, jede Schuld, jede Brutalität, selbst das Verbrechen auf dem Wege zum Erfolg ein von Gott verhängtes und von ihm zu verantwortendes Schicksal – so nahm sich die Prädestination im Geiste Cromwells und seiner Soldaten aus. Mit dieser unbedingten Selbstsicherheit und Gewissenlosigkeit des Handelns ist das englische Volk emporgestiegen.“ (Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, 1919, S. 41 ). Wenn in England die Tat oder die Arbeit „für sich“ und daher der persönliche Erfolg als göttliches Zeichen der Erlösung heilig ist, so in Preußen die Tat oder die Arbeit „für andere“. So formuliert es Ehrhardt Bödecker. „Die Bezeichnung Pietismus, ursprünglich ein akademischer Spitzname für Streber und Pedanten, haben die Calvinisten in Halle von den orthodoxen Lutheranern in Leipzig erhalten.“ (Ehrhardt Bödecker, Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2004, S. 113). Halle fiel 1680 an Brandenburg-Preußen (), August Hermann Francke (1663-1727) wurde zum Hauptvertreter des Pietismus in Halle und dadurch auch in Brandenburg-Preußen – seit der Königskrönung (1701) hieß es nur Preußen. Nicht der englische Kapitalismus, sondern der preußische Pietismus – der soziale Gemeingeist – führte zur modernen Sozialversicherung. Nicht England mit seinem eigenbrötlerischen Parlamentarismus, sondern Deutschland mit seinem sozialen Gemeingeist hatte die weltweit erste soziale Versicherungsgesetzgebung. Was wir heute als Soziale Marktwirtschaft oder etwas ungenau als Rheinischen Kapitalismus bezeichnen, ist nur sekundär rheinisch und primär preußisch (), also insgesamt als deutsch zu bezeichnen: Deutscher Kapitalismus ist Deutsche Marktwirtschaft, weil sozial! Gerechtigkeit ohne Gemeingeist gibt es nicht.
Westfälischer Friedensvertrag: vgl. z.B. Acta Pacis Westphalicae vom Mithrsg. Konrad Repgen (1980). Siehe auch: Westfälischer Friede von Osnabrück und Münster (1643-1648). Vgl. Höhepunkt des Partikularismus. Der zeitgenössische Staatsrechtler und Geschichtsschreiber Freiherr von Pufendorf (1632-1694) sah in seiner Schrift „Über die Verfassung des Deutschen Reiches“ diese 1667 so: „Es bleibt also nichts übrig, als Deutschland, wenn man es nach den Regeln der Politik klassifizieren will, einen unregelmäßigen und einem Monstrum ähnlichen Staatskörper zu nennen, der sich im Laufe der Zeit durch träge Nachgiebigkeit der Kaiser, durch den Ehrgeiz der Fürsten und die Ruhelosigkeit der Pfaffen aus einer Monarchie zu so einer ungeschickten Staatsform umgestaltet hat. Jetzt ist Deutschland daher weder eine Monarchie, auch nicht einmal eine beschränkte, wenn auch in gewisser Beziehung der äußere Schein darauf hindeutet, noch auch, genau genommen, eine aus mehreren Staaten zusammengesetzte Föderation, sondern vielmehr ein Mittelding zwischen beiden. Dieser Zwitterzustand aber verursacht eine zehrende Krankheit und fortwährend innere Umwälzungen ….“

Der „Westfälische Friede“ ist die Bezeichnung für die Friedensverträge zur Beendigung des 30jährigen Krieges, nach über 4jährigen Verhandlungen geschlossen am 24.10.1648 in den westfälischen Städten Osnabrück und Münster, und zwar zwischen dem Kaiser und den deutschen Reichsständen einerseits und Frankreich sowie Schweden andererseits (Vgl. auch Frankreichs Eroberungskriege: ).„Der Westfälische Frieden von 1648 hatte zum Kerninhalt, daß die deutschen Kleinstaaten sich zwar gegeneinander und dabei mit jeder ausländischen Macht verbünden durften, aber nicht miteinander gegen den Kaiser. So war es unmöglich, eine deutsche Einheit herzustellen. Die deutsche Kleinstaaterei war das Interesse unserer Nachbarn. Auf die Frage, warum sie gegen die deutsche Einheit sei, hat Frau Thatcher noch 1994 … die klassische … Antwort gegeben: »Es gibt zu viele Deutsche«.“ (Klaus von Dohnanyi, in: Matthias Matussek, Wir Deutschen, 2006, S. 124).
800 Jahre (= 8 Jahrhunderte!), sogar mehr als 800 Jahre, denn durch den Vertrag von Verdun (843), spätestens aber durch den Vertrag von Mersen (870) fiel das sogenannte Mittelreich – dessen zwei Herrscher waren Lothar I. (reg. 843-855) und Lothar II. (reg. 855-869) – an Deutschland (Ostfrankenreich). Ludwig der Deutsche (reg. 843-876) hatte dieses Mittelreich (Lotharingen) durch Vertrag erhalten. Zu Frankeich hatten diese Gebiete also ohnehin nie gehört, denn vor dem Vertrag von Verdun (843) waren Deutschland und Frankreich bekanntlich in einem Reich vereint. (). Nun aber, nach über 800 Jahren (!), versuchte der französische König Ludwig XIV. mit seiner eigentlich doch sinnlosen Eroberungspolitik (so Leibniz, der seiner Zeit weit voraus war), diese Gebiete Frankreich anzugliedern. Durch den „Westfälischen Frieden“ (1648) waren Frankreich der Sundgau, das Vikariat über die Bistümer Metz, Toul, Verdun und die Vogtei über 10 elsässische Reichsstädte zugesichert worden. Ein verlockendes Angebot, nämlich: für mehr! Durch diesen „Frieden“ (der keiner sein konnte) erhielt Frankreich außerdem – nämlich laut § 76 des „Westfälischen Friedensvertrages“ – das ewige Recht auf freien Durchzug durch das gesamte Reichsgebiet, und zwar zu Wasser und zu Lande zur Heranführung von Soldaten und Proviant, und wann immer und wodurch auch immer dies erforderlich sein würde. (). Was für ein „Friedensvertrag“! Eine Einladung zu noch mehr Eroberungskriegen! () – Der 30jährige Krieg war ein so großes Unglück für Deutschland wie später die beiden Weltkriege (1914-1918 und 1939-1945). Und noch eine Analogie: Rechte auf Gebiete, die seit 843 bzw. 870 zu Deutschland gehörten, haben weder Frankreich seit 1648 davon abgehalten, sie nach und nach widerrechtlich zu annektieren, noch haben sie die Allierten seit 1945 davon abgehalten, ostdeutsche Gebiete rechtswidrig den Bolschewisten zu überlassen, die so insgesamt 20 Millionen Deutsche aus ihren über 800 Jahre alten deutschen Gebieten auf barbarische Weise vertrieben haben.
Die Ägypter, die auch Seefahrten nach Indien unternahmen, waren ähnlich eifrig wie später die Abendländer, ihre Kulturenkel. Schon um 3300 v. Chr stellten die Ägypter aus der Papyrusstaude Papyrus als Schreibstoff her. Um 3000 v. Chr. gab es in Ägypten Landkarten, Wasseruhren, und der Himmel wurde bereits genauestens beobachtet (ähnlich übrigens bei Chinesen und Sumerern). Um 2850 entwickelten die Ägypter ihre Bilderschrift, Großplastiken, einen 365tägigen Kalender, einen von Beamten verwalteten Einheitsstaat und stellten Glas her. 2700 v. Chr. folgten die ersten Cheops-Pyramiden, als die Sumerer gerade anfingen, ein auf 6 und 12 basierendes Zahlensystem zu entwickeln. Um 2500 v. Chr. begann auf Kreta die frühminoische Zeit; um 2000 v. Chr. entstanden hier die ersten Städte, mehrstöckige Häuser und Paläste, unter ihnen auch der bekannte von Knossos. Wenig später entwickelten die zum ägyptischen Kulturkreis zu rechnenden Kreter ein Dezimalsystem, und Kreta (Könige von Knossos) beherrschte das östliche Mittelmeer. Ägypten unterhielt Auslandsbeziehungen nach Syrien und Somaliland. Für Spengler ist das ägyptische Ursymbol der Weg: „Die ägyptische Seele sah sich wandernd auf einem engen und unerbittlich vorgeschriebenen Lebenspfad, über den sie einst den Totenrichtern Rechenschaft abzulegen hatte. Das war ihre Schicksalsidee. Das ägyptische Dasein ist das eines Wanderers in einer und immer der gleichen Richtung; die gesamte Formensprache seiner Kultur dient der Versinnlichung dieses einen Motivs. Sein Ursymbol läßt sich, neben dem unendlichen Raum des Nordens und dem Körper der Antike, durch das Wort ‚Weg‘ am ehesten faßlich machen.“ (Vgl. Spengler, 1917, S. 242 und unten: China bzw. Tao).
Spengler schreibt zum Verhältnis der beiden Kulturen Ägypten und China: „Trotzdem gab es eine Kultur, deren Seele bei aller tiefinnerlichen Verschiedenheit zu einem verwandten Ursymbol gelangte: die chinesische mit dem ganz im Sinne der Tiefenrichtung empfundenen Prinzip des Tao. Aber während der Ägypter den mit eherner Notwendigkeit vorgezeichneten Weg zu Ende schreitet, wandelt der Chinese durch seine Welt; und deshalb geleiten ihn nicht steinerne Schluchten mit fugenlos geglätteten Wänden der Gottheit oder dem Ahnengrabe zu, sondern die freundliche Natur selbst. Nirgends ist die Landschaft so zum eigentlichen Stoff der Architektur geworden. …. Der Tempelbau ist kein Einzelbau, sondern eine Anlage, in welcher Hügel und Wasser, Bäume, Blumen und bestimmt geformte und angeordnete Steine ebenso wichtig sind wie Tore, Mauern, Brücken und Häuser. Diese Kultur ist die einzige, in welcher die Gartenkunst eine religiöse Kunst großen Stils ist. Es gibt Gärten, die das Wesen bestimmter buddhistischer Sekten widerspiegeln. Aus der Architektur der Landschaft erst erklärt sich die der Bauten, ihr flaches Sich-erstrecken und die Betonung des Daches als des eigentlichen Ausdrucksträgers. Und wie die verschlungenen Wege durch Tore, über Brücken, um Hügel und Mauern doch endlich zum Ziel führen, so leitet die Malerei den Betrachter von einer Einzelheit zur anderen, während das ägyptische Relief ihn herrisch in eine strenge Richtung verweist.‘ Das ganze Bild soll nicht mit einem einzigen Blick umfaßt werden. Die zeitliche Abfolge setzt eine Folge von Raumteilen voraus, durch die der Blick vom einen zum anderen wandern soll.‘ Die ägyptische Architektur überwältigt das Bild der Landschaft, die chinesische schmiegt sich ihm an; in beiden Fällen aber ist es die Tiefenrichtung, die das Erlebnis des Raumwerdens immer gegenwärtig erhält.“ (Oswald Spengler, 1917, S. 244f. )
Um 595 v. Chr. umschifften die Phönizier Afrika. Sie benötigten dafür etwa 3 Jahre. (Vgl. Tabelle).
Polyphonie ist die Vielstimmigkeit, eine musikalische Setzweise, in der die Stimmen ein melodisches Eigenleben führen (linear), das den Zusammenklang (vertikal) übergeordnet ist. Der Gegensatz dazu ist die Homophonie (der einheitliche Klang): der Kompositionsstil, der einer Hauptstimme alle anderen Stimmen unterordnet. Die Hauptzeit der Homophonie beginnt im 17. Jahrhundert, mit Monodie und Generalbaß. Es ist irreführend, die Musik des 19. Jahrhunderts homophon zu nennen, weil ihr Schwerpunkt im Harmonischen liegt; vielmehr zeigen die Werke der großen Meister von Franz Joseph Haydn und Ludwig v. Beethoven bis zu Richard Strauss das Streben nach einem Ausgleich zwischen Homophonie und Polyphonie, wie er vorbildlich von Johann Sebastian Bach erreicht worden war. Seit dem 14. Jahrhundert haben alle großen Komponisten neben der kontrapunktischen Selbständigkeit der Stimmen dem Zusammenklang Beachtung geschenkt, und der vollkommene Ausgleich von linearen und vertikalen Rücksichten (Bach) muß als Ideal bezeichnet werden. Bei heutigen linearen Versuchen wird oft vergessen, daß das Ohr des Hörers seit dem 17. Jahrhundert ebensosehr (wenn nicht mehr!) auf das harmonische wie auf das polyphone Hören eingestellt ist. (Vgl. 22-24). Schlicht volkstümliches Singen, das sich in Terzen und Sextenfolgen abspielt, ist nicht kontrapunktisch, sondern harmonisch ergänzend. Für den Kontrapunkt sind strenge Regeln aufgesetzt (reiner Satz), die die Stimmführung betreffen und Gattungen aufstellen.
Der Kontrapunkt (lat. punctus contra punctum = Note gegen Note) stellt ein Verfahren dar, mehrere selbständige und doch aufeinander bezogene Stimmlinien zu übergeordneter künstlerischer Einheit zu binden. Er ist die Kunst, ein mehrstimmiges Tonstück aus melodisch selbständigen Stimmen aufzubauen. Dabei wird praktisch von einem c. f. ausgegangen, indem man die anderen Stimmen nach und nach hinzufügt, obwohl auch gleichzeiges Entwerfen möglich, künstlerisch wertvoller, aber auch wesentlich schwieriger ist. Man spricht bei kontrapunktischen (polyphonen) Werken auch von linearem (horizontal zu hörendem) Stil im Gegensatz zum harmonischen (vertikal zu hörendem), jedoch muß eine rigorose Linearität zur Atonalität bzw. zu einer Art Heterophonie führen. Im übrigen ist es keine Kunst, mehrere Stimmen so zu kontrapunktieren, daß es schlecht klingt. Seit dem 14. Jahrhundert haben alle großen Komponisten neben der kontrapunktischen Selbständigkeit der Stimmen dem Zusammenklang Beachtung geschenkt, und der vollkommene Ausgleich von linearen und vertikalen Rücksichten (Bach) muß als Ideal bezeichnet werden. Die Kontrapunktlehre entwickelte sich aus der ursprünglich improvisierten Erfindung einer überwiegend in Gegenbewegung verlaufenden Stimme, die seit dem beginnenden 14. Jahrhundert in Anweisungen zum Discantus in feste Regeln gefaßt wurde. Seine beherrschende Stellung gewann der Kontrapunkt in der (süd-) niederländischen Musik des 15. und 16. Jahrhunderts bis zu seiner Vollendung (im 16. Jh.) bei Palestrina und Orlando di Lasso , die für mehre Jahrhunderte in Kontrapunkt- und Kompositionslehren maßgebend wurden. Seit dem Frühbarock galt er jedoch als konservative Praxis gegenüber der moderneren, an der Sprache orientierten Ausdruckskunst der Monodie. Als strenge Schreibart blieb er bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts verbindlich. Bei heutigen linearen Versuchen wird oft vergessen, daß das Ohr des Hörers seit dem 17. Jahrhundert ebensosehr (wenn nicht mehr!) auf das harmonische wie auf das polyphone Hören eingestellt ist. (Vgl. 22-24). Schlicht volkstümliches Singen, das sich in Terzen und Sextenfolgen abspielt, ist nicht kontrapunktisch, sondern harmonisch ergänzend. Für den Kontrapunkt sind strenge Regeln aufgesetzt (reiner Satz), die die Stimmführung betreffen und Gattungen aufstellen. Die Anzahl der Stimmen im kontrapunktischen Satz ist theoretisch nicht begrenzt, praktisch sind jedoch nur wenige Ohren fähig, einen mehr als 4stimmigen Satz wirklich linear aufzunehmen. Unter doppeltem Kontrapunkt versteht man einen Satz, in dem sich die Stimmen vertauschen lassen, ohne daß dadurch schlechte Stimmführung (Parallelen) entsteht. Er ist eines der wichtigsten Mittel der thematischen Arbeit und ist in neuerer Zeit besonders genial von Johannes Brahms und Anton Bruckner angewandt worden (innerhalb eines an sich harmonisch-vertikalen Satzes). Die Hauptformen des kontrapunktischen Stils sind Fuge und Kanon, die Haupttechnik die der Nachahmung.
Fuge (lat. fuga = Flucht). Die Fuge ist die wichtigste Form der kontrapunktisch-polyphonen Setzweise. (Vgl. Kontrapunkt und Polyphonie) Erste echte Fuge mit Zwischenspielen und formgerechter Antwort sind bei A. Gabrieli (1580) vorhanden, höchste Ausbildung bei Johann Sebastian Bach im Wohltemperierten Klavier und in der Kunst der Fuge. Das Interesse an der Fuge ist nie erlahmt und ist jüngst neu belebt worden. Das Wesen der Fuge liegt in ihrer Einthemigkeit, die eine strenge ästhetische Einheit verleiht. Das Charakteristische des Fugenthemas ist seine Fortspringungstendenz, d. h. es trägt in sich den Keim zur Weiterbildung seiner melodischen Linie. Das Fugenthema ist dynamisch – im Gegensatz zum statischen Thema der Sonate. Die Eigenart der Fuge liegt darin, daß sich in ihr das Dynamische (Thema) mit dem Statischen (Gesamtaufbau) verbindet. Das Thema (auch Dux oder Führer genannt) wird in der 2. Stimme im Quintabstand beantwortet (d. h. wiederholt). Die Antwort heißt auch Comes oder Gefährte. Mit ihr zusammen erklingt die kontrapunktische Fortspinnung des Themas.
Kanon (griech. =Vorschrift) ist eine kontrapunktische Form auf der Grundlage strenger Nachahmung. Jede Folgestimme nimmt das Thema notengetreu auf, in wechselnden Abständen (Kanon im Einklang, in der Sekunde u.s.w.). Historisch geht diese Form bis ins 13. Jahrhundert (Sommerkanon) zurück, erlebt ihre erste Blüte in der Caccia(Jagd) der Ars nova und ihren Höhepunkt in der Zeit der Niederländer (z. B. bei Okeghem). Hier wurde der Gipfel kunstvoller, aber auch überkünstelter Kanonkompositionen erreicht. Es gab nicht nur Kanons in Vergrößerung und Verkleinerung, Umkehrung und Rücklauf (Krebskanon), sondern auch sogenannte Rätselkanons, bei denen zuweilen nur eine Stimme notiert wurde und eine kryptische Überschrift den Scharfsinn anspornte, die Art der Ausführung zu finden. So muß z. B. ein Kanon mit der Überschrift in more hebraeorum von hinten nach vorn gelesen und gesungen werden. Das hat natürlich kaum noch etwas mit mit wirklicher Kunst zu tun, wie überhaupt der Kanon besonders bei denen beliebt ist, die in der Musik weniger ein seelisches Erlebnis als eine mathematische Tonkonstruktion rationaler Art sehen.
Jean Bodin (1530-1596) war französischer Publizist und Staatsrechtslehrer. Er trat in der Zeit der Hugenottenverfolgung für Toleranz ein und gab in seinem Hauptwerk De la république (1576) eine Begriffsbestimmung der Souveränität, die durch kein verfassungsrechtliches Gesetz eingeschränkt werden dürfe. In seinem Colloquium heptaplomeres (1587) begründete er das gleiche Recht aller Religionen und nannte als Grundlagen einer einzigen natürlichen Religion: die Einheit Gottes, ein moralisches Bewußtsein, den Glauben an die Freiheit, die Unsterblichkeit und Vergeltung im Jenseits. 1572 entging Bodin nur knapp dem Massaker der Bartholomäusnacht. In seiner Staatstheorie ordnete er im Begriff der Souveränität ihrem Träger die absolute, unteilbare Staatsgewalt zu, die der Gerechtigkeit dienen soll und auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist. Er lieferte damit dem Absolutismus das theoretische Fundament. (Vgl. Hobbes).
Die Eleaten – z.B. Xenophanes (ca. 580-485), Parmenides (ca. 540-470), Zenon (ca. 490-430), Melissos (5. Jh.) u.a. -, sowie Pythagoras (ca. 580-500) und seine Pythagoräer – z.B. Alkmaion (6. Jh.), Philolaos (5. Jh.) u.a. -, aber auch die Einzelgänger-Philosophen, z.B. Heraklit (544-483), Anaxagoras (500-428), Empedokles (483-424) und Leukipp (5. Jh. v. Chr.), sind in etwa zu vergleichen mit den barocken Philosophen und Naturforschern des Abendlandes, z.B. Francis Bacon (1561-1626), Galileo Galilei (1564-1642), Johannes Kepler (1571-1630), Jakob Böhme (1575-1624), Thomas Hobbes (1588-1679), Renè Descartes (1596-1650), Otto von Guericke (1602-1668), Jacob Thomasius (1622-1684), Blaise Pascal (1623-1662), Christiaan Huygens (1629-1695), John Locke (1632-1704), Benedictus Spinoza (1632-1677), Isaac Newton (1643-1727), Gottfried Wihelm Leibniz (1646-1716), Christian Thomasius (1655-1728), Edmond Halley (1656-1742) und Christian Wolff (1679-1754) u.a.. Von ihnen allen waren die meisten auch großartige Mathematiker und Naturwissenschaftler.
Thomas Hobbes (1588-1679), englischer Staatsmann und Philosoph, lehnte die spekulative Metaphysik ab und definierte die Philosophie als die Erkenntnis der Wirkungen oder der Phänomene aus den Ursachen und andererseits der Ursachen aus den beobachteten Wirkungen mittels richtiger Schlüsse. Nach ihm wird die menschliche Natur urspprünglich nur von der Selbstsucht getrieben, sich zu erhalten und Genuß zu verschaffen. Daher war der Zustand des Menschen für Hobbes der allen nachteilige Krieg aller gegen alle (Bellum omnium contra omnes). Deshalb vereinigen sich die Menschen im Staat durch einen Vertrag und unterwerfen sich einem Herrscher, dem alle Gehorsam leisten, um dadurch Schutz und die Möglichkeit eines humanen Lebens zu erhalten. Die Menschen werden also aus Selbsterhaltung zu einem Vertrag gezwungen. Ihre Naturrechte werden dadurch unwiderruflich dem Staat übertragen, der dadurch absolut herrscht und am vollkommensten in einer Person, dem König, vertreten wird (absolute Monarchie). Was der Staat sanktioniert, ist gut, das Gegenteil verwerflich. Das öffentliche Gesetz ist das Gewissen des Bürgers. Die Furcht vor denjenigen unsichtbaren Mächten, welche der Staat anerkennt, ist Religion, die Furcht vor solchen, welche er nicht anerkennt, Aberglaube.
Rationalismus ist der Verstandes- bzw. Vernunftsstandpunkt, die Gesamtheit der philosophischen Richtungen, die irgendwie die Vernunft (lat. ratio), das Denken, den Verstand subjektiv, die Vernünftigkeit, die logische Ordnung der Dinge objektiv in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellen. Sowohl die Antike als auch das Abendland durchliefen eine Phase der Rationalisierung, des Rationalismus und der ihm völlig dienenden Aufklärung. Eine Systematisierung erfuhr der eigentliche, der abendländische Rationalismus im 17. und 18. Jahrhundert durch Descartes (1596-1650), Spinoza (1632-1677), Leibniz (1646-1716) und Wolff (1679-1754). Für Rationalismus und Aufklärung gab es nur vorläufige Probleme, nicht aber grundsätzlich unlösbare Probleme. In der abendländischen Phase des Rationalismus entstand der neue Begriff der Wissenschaft, der gleichbedeutend wurde mit dem der Mathematik und der Naturwissenschaften. Wissenschaftlich heißt seither: in mathematisch-naturwissenschaftlicher Sprache darstellbar. Ferner entstand der Begriff der wertfreien Wissenschaft, die besagt, daß die Wissenschaft sich nicht darum zu kümmern habe, ob die Gegensätze und namentlich auch die Ergebnisse ihres Forschens ethisch wertvoll oder wertwidrig sind, ob sie Heil oder Unheil in sich tragen. Der Platz für die Metaphysik wurde durch den Rationalismus immer enger. Deshalb rief der Rationalismus auch Gegner auf den Plan. Pascal (1623-1662) und die Empiristen Locke (1632-1704), Hume (1711-1776), Condillac (1715-1780) bekämpften ihn. Kant (1724-1804) hob den Gegensatz von Empirismus und Rationalismus in der höheren Einheit seines Kritizismus auf; Fichte (1762-1814), Schelling (1775-1854), Hegel (1770-1831) kehrten teilweise zu einem objektivistischen Rationalismus zurück. Völlig rationalistisch sollten dann der Positivismus, der historische Materialismus, der Pragmatismus sowie Marxismus, Neupositivismus, Logizismus, Physikalismus werden. (Vgl. dazu die Tafeln 14-16, 16-18, 18-20, 20-22, 22-24).
Philipp Jakob Spener (1635-1705), deutscher evangelischer Theologe, war Freiprediger in Straßburg, Oberhofprediger in Dresden, Probst und Pfarrer in Berlin. Mit seiner Hauptschrift Herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen (1675) legte Spener zusammen mit der Frankfurter Pfarrerschaft das Reformprogramm des lutherischen Pietismus vor (Spener wirkte u.a. auch auf August Hermann Francke; 1663-1727), das den Stiftungs- und Vereinscharakter der Kirche auf der Basis einer grundsätzlich individualistischen Gesamtauffassung des Christentums betont. Dieser theologische Ansatz blieb nicht unumstritten, war jedoch durch Gründung der Universität Halle und auf Grund der weiten Verbreitung seiner theologischen und erbaulichen Schriften und Predigten schulebildend. (Vgl. Schule).
August Hermann Francke (1663-1727), deutscher evangelischer Theologe und Pädagoge, war von Philipp Jakob Spener (1635-1705) beeinflußt, und einer der Hauptvertreter des Pietismus; er war seit 1689 Dozent in Leipzig, bevor er 1692 Pfarrer und Professor für orientalische Sprachen in Halle wurde. Francke gründete in Halle die Franckeschen Stiftungen: Erziehungsanstalten (Zentrum des Pietismus), z.B. Pädagogium für Adlige mit Internat (1696), Armenschule mit Waisenhaus (1697), Bürgerschule und Lateinschule für Bürgerkinder mit Internat (1697), Gynaeceum, d.h. höhere Mädchenschule (1698). Den Schulen angegliedert waren die Ostindische Missionsgesellschaft (1705) und die Cansteinsche Bibelanstalt (1710) sowie eine Reihe „erwerbender Anstalten“ (Verlag, Druckerei, Buchhandlung, Apotheke u.v.a.). Im Mittelpunkt der Arbeit Franckes stand die Erziehung der Jugend. Franckes Pädagogik ist gekennzeichnet durch strenge Beaufsichtigung der Zöglinge und Beschäftigung mit den Realien (Ansatz zur Realschule) mit den Zielen Frömmigkeit und Fleiß. (Vgl. Schule). 1710 gründete Francke zusammen mit Carl Hildebrand Freiherr von Canstein (1667-1719) eine Bibelanstalt zur Verbreitung preiswerter Bibeln. „Das Franckesche System sorgte nicht nur für einen allgemeinen Aufschwung des Schulwesens, sondern befruchtete auch das Wirtschaftsleben nachhaltig. Es sorgte dafür, daß über Halle hinaus der sozialen Fürsorge verstärkte Beachtung geschenkt wurde. Aus einer relgiösen Bewegung erwuchs in Preußen dank der Förderung durch die beiden ersten Könige eine auf das Gemeinwohl fixierte ›Ideologie‹ ohne deren sittliche Kraft der Aufstieg dieses Staates aus dem Schatten der Geschichte ins europäische Rampenlicht kaum denkbar gewesen wäre“ (Heinz Durchhardt, Das Zeitalter des Absolutismus). Preußischer Pietismus und Soziale Marktwirtschaft – ein ganz wichtiger Zusammenhang, so Ehrhardt Bödecker (*1925): „Professor Dr. Wilhelm Röpke (1899-1966), Lehrer Ludwig Erhards und einer der drei geistigen Väter der Erhard’schen Marktwirtschaft, schrieb 1958 in seinem Buch »Jenseits von Angebot und Nachfrage« : »Kein Lehrbuch der Nationalökonomie kann die Bedingungen ersetzen, auf denen das Ethos der Marktwirtschaft ruhen muß. Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairneß, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn, Achtung vor der Menschenwürde des anderen, feste sittliche Normen – das alles sind Dinge, die die Menschen bereits mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen. Sie sind die unentbehrlichen Stützen, die vor Entartung bewahren. Familie, Kirche, echte Gemeinschaften und Überlieferung müssen sie damit ausstatten. Die Menschen müssen unter Bedingungen aufwachsen, die solche moralischen Überzeugungen begünstigen.« Genau das ist die preußisch-pietistische Haltung. Man kann sie nicht besser beschreiben. Beim Fußballspiel spricht man von »mannschaftsdienlichem« Verhalten eines Spielers, wenn er sich zurücknimmt und einem anderen Spieler, der sich in günstigerer Position befindet, den Ball überläßt. Die Rücksichtnahme auf den Gesamterfolg, auf das »gemeine Wohl«, hat nicht das Geringste mit »autoritärer Verformung« des einzelnen zu tun, sie ist vielmehr das religiös geforderte »mannschaftsdienliche« Verhalten des Bürgers, das er nach Möglichkeit schon in der Jugend lernen sollte. Tugend ist nicht angeboren, sie muß erlernt werden, lehrte Christian Thomasius (1655-1728), Rechtsprofessor in Halle. Diese Haltung beruht auf Freiwilligkeit, auf Grund innerer Einsicht, nicht auf äußerem Zwang. Es ist die Befolgung des von Immanuel Kant (1724-1804) aufgestellten »kategorischen Imperativs«. Nächstenliebe und Menschlichkeit, nicht autoritäre Unterdrückung – auch Strenge kann übrigens eine Form von Menschenliebe sein -, bestimmten das Leben des August Hermann Francke. In seinen Überzeugungen hatte er segensreich gewirkt und für die in Armut und Verzweiflung lebenden Menschen mehr erreicht, als wenn er ihnen nur die Suche nach dem eigenen Glück gepredigt hätte. Denn häufig ist des einen Glück des anderen Unglück. …. Der Franckesche Pietismus und die Gedanken der Aufklärung wurden zur preußischen Staatsräson, daher war es folgerichtig, daß sie gesetzgeberisch ihren Niederschlag gefunden haben. Francke lehrte seine Schüler und Schülerinnen nicht nur lesen, schreiben und rechnen, sondern mehr noch Eigenständigkeit, Pflichterfüllung, Pünktlichkeit, Nächstenliebe und persönliche Anspruchslosigkeit. Diese Erziehungsgrundsätze wurden in der Armee, Verwaltung, Schulen und auch in der Wirtschaft zu den bestimmenden Verhaltensregeln Preußens. Israelische, englische und auch amerikanische Militärhistoriker bewundern immer noch die äußerst erfolgreiche Auftragstaktik der preußischen Armee. Sie entstand aus den Franckeschen Erziehungsmaximen von Eigenständigkeit und Pflichterfüllung. Eigenständigkeit bedeutete in der Armee Entscheidungsfähigkeit »vor Ort«. Dieser Grundsatz war das Merkmal der preußischen Auftragstaktik, der sowohl Offiziere wie auch Unteroffiziere unterlagen. Sie setzte Fähigkeit und Sachkunde voraus. Im übertragenen Sinne fand dieses Prinzip auch in der Verwaltung Anwendung. Ein preußischer Regierungsrat verfügte nicht nur über das erforderliche Fachwissen, sondern er war auch fähig und berechtigt, »vor Ort« zu entscheiden. Gleiches traf auf den preußischen Landrat zu. Es waren die sprichwörtlich kurzen Entscheidungswege der preußischen Verwaltung. Effektiv und sparsam. Das Festhalten an diesen Prinzipien, mit den notwendigen Anpassungen im Verlauf der Jahrhunderte, führte auch zu der einmaligen Leistungsbereitschaft der preußischen, später der (gesamten) deutschen Verwaltung. Viele der Erfolge in Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft des deutschen Kaiserreiches gehen auf diese geistigen Grundlagen der Halleschen Universität und der Franckeschen Stiftungen zurück. In seiner Vergleichsstudie aus dem Jahre 1905 stellte Professor Arthur Shadwell aus London fest: »In Deutschland ist den Behörden vor Ort mehr Spielraum überlassen als in England oder in den USA. Das Ziel wird festgelegt, aber über die Mittel zur Erreichung desselben kann von der örtlichen Behörde frei entschieden werden.« Man muß hinzufügen, nach Abstimmung mit dem Bürger und unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten konnte und sollte der Bürgermeister, der Landrat oder ein Regierungsrat entscheiden. Sah so ein obrigkeitlicher, autoritär verformter Staat aus? (). »Ohne die Hilfe einer tüchtigen ehrlichen Bürokratie hätte sich die deutsche Wirtschaft nicht zu dem entwickeln können, was sie wurde« (Bertrand Russel).“ (Ehrhardt Bödecker, Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2004, S. 115-119).
Es gibt sehr viele Beispiele, die beweisen, daß die Anti-Preußen-Propaganda der heutigen Preußenkritiker eine Dummheit (des Micheltums in Deutschland) ist, denn der Trick, den deutschen Partikularismus für eigene Machtinteressen auszunutzen, ging immer schon vom Ausland aus, und das wird auch in Zukunft so bleiben. (Merke also: Wer wieder ein Deutschland als Tummelfeld und Truppenübungsplatz für ausländische Mächte will, will den Landesverrat, auch wenn er noch so dumm ist!). Gegen die Preußenkritiker argumentiert z.B. Ehrhardt Bödecker, und er nennt viele überzeugende Beispiele, nicht ohne Stolz auch das Beispiel „Schule für Mädchen“: „Es wird für die Preußenkritiker sicherlich schwer zu akzeptieren sein, daß ausgerechnet Preußen der erste Staat war, der sich schon am Anfang des 18. Jahrhunderts der schulischen und beruflichen Förderung von Mädchen angenommen hat. (Zum ersten Mal wurden auch Mädchen schulisch ausgebildet). Auf Anregung von Pädagogen der Franckeschen Stiftung (vgl. A. H. Francke; 1663-1727) verordnete Friedrich Wilhelm I. im September 1717 die allgemeine Schulpflicht (vgl. Schule) ….“ (Ehrhardt Bödecker, Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2004, S. 114).
Wenn Demokratie Volksherrschaft bedeuten soll, dann ist der Begriff genauso irreführend wie die allgemein verbreitete Ansicht, daß Kleisthenes durch seine Reformen der Jahre 509 und 508 (507) zum Urheber der Demokratie geworden oder Perikles (500-429) der Vollender der Demokratie gewesen sei. Wort und Begriff wurden erst später in der griechischen Philosophie entwickelt. Entsprechend der Anzahl derer, die Herrschaftsgewalt ausübten, wurde im Gegensatz zur Monarchie (Herrschaft eines einzelnen; Tyrannis) und zur Aristokratie (Herrschaft weniger; Oligarchie) als Demokratie die Herrschaftsform bezeichnet, in der die Macht bei allen Bürgern lag. Handelte es sich aber auch später wirklich um eine Demokratie im Sinne einer Volksherrschaft, wenn seit der Entmachtung des Adels (458) in Athen das Volk herrschte oder zu herrschen schien, das Volk aber laut Bürgerrechtsgesetz von 451 aus Bürgern bestand, die Bürger aber nur ein Zehntel der Anzahl an Sklaven ausmachten, bürgerliche Eltern aus Attika stammen mußten und kein Bürgerrecht bestand, wenn die Mutter Ausländerin war? (Vergleich). Bei allen antiken Philosophen wurde die Demokratie überwiegend unter die entarteten Regierungsformen eingereiht. Der seit 458 durch die Zulassung der 3. Klasse zum Archontat vollendeten Demokratie verlieh Perikles schon ab 443 monarchistischen Charakter. Diese typisch antik-athenische Vollendung der Demokratie ist am ehesten zu vergleichen mit der typisch abendländisch-englischen Glorreichen Revolution von 1688, der Vollendung der Aristokratie, verstanden als Stärkung des Ständestaates (Oligarchie) wegen der Bindung des Königs an das Parlament (konstitutionelle Monarchie). Dieser bedeutendste Redner seiner Zeit wurde nach Beseitigung der Opposition als Volksführer (Demagoge) jährlich zum Strategen gewählt, und das Strategenamt war die rechtliche Grundlage seiner beherrschenden Stellung. Das Perikleische Zeitalter (443-429) galt und gilt als Glanzzeit Athens und als ein Höhepunkt klassisch-griechischer Kultur: die aus mykenischer Zeit stammende Akropolis (mit ihrem Skulpturenschmuck) entstand neu in dieser Zeit unter Leitung des Phidias, und Perikles pflegte Kontakte mit Phidias und seiner Gattin Aspasia, mit Sophokles, Anaxagoras, Herodot, Hippodamos, Protagoras u.a. wichtigen Personen. Doch damit wuchs auch die Opposition, zu der auch der Geschichtsschreiber Thukydides gehörte: Athen war „dem Namen nach eine Demokratie, in Wirklichkeit aber die Monarchie des ersten Mannes“ (Thukydides). Dieser erste Mann, der autoritäre Perikles, wurde 430 abgesetzt und starb an der Pest, die 429 in Athen ausbrach und der in 4 Jahren ein Drittel der attischen Bevölkerung zum Opfer fiel.
Um 430 v.Chr gab es in Athen 90000 Einwohner, davon waren 30000 Einwohner Bürger, 35000 Einwohner Sklaven und der Rest Nicht-Bürger. Nur 50 bis 60 Jahre später, um 375 v. Chr., gab es 10mal soviel Sklaven wie Bürger. So gesehen ist die antike Demokratie vergleichbar mit der abendländischen ständestaatlichen Ordnung (Olgarchie), denn: wenn nur Bürger die Politik demokratisch beeinflussen dürfen – Sklaven, Unfreie und Nicht-Bürger gehören ja nicht dazu -, dann ist das vergleichbar mit einer Demokratie, die erlaubt, daß z.B. Österreich über das politische Schicksal ganz Deutschlands (10mal soviel Einwohner) entscheidet.
Maieutik (Geburtshilfe) ist die Hebammenkunst des Sokrates, durch geschicktes Fragen und Antworten die in einem Menschen liegende richtige Erkenntnis herauszuholen.
Ethik meint hier die Sittenlehre als praktische Philosophie, die nach einer Antwort sucht auf die Frage: was sollen wir tun? Beide Kulturen – Antike und Abendland – suchten die Antwort zunächst im Selbst bzw. in der Selbsterkenntnis. Aber dieser Subjektivismus hatte in der Antike wegen des Seelenbildes (und Ursymbols) eine andere, entgegengesetzte, Richtung als im Abendland. Die Antike suchte auch ethisch die Antwort am Außen des Körpers (in der begrenzten Äußerung), weil es für sie kein Geheimnis im Innen geben durfte; das Abendland suchte im Innen des faustischen Willens und kategorischen Imperativs (im Raum der unendlichen Verinnerlichung), weil es hier nur Geheimnisse gab. In beiden Fällen stelle man sich in den Dienst einer sozialanthropologischen Ethik. Ein Angebot, das man auch Hilfe zur Selbsthilfe (Selbsterkenntnis) nennen könnte. Wie kann ich dienen? ist eine typische Frage der nächsten (dienerischen) Phase: (Vgl. 16-18).
Giovanni Battista Vico (1668-1744), Geschichts- und Rechtsphilosoph, war ab 1697 Professor der Rhetorik in Neapel und ab 1734 Historiograph des Königs Karl von Neapel. Vicos Werke u.a.: De antiquissima Italorum sapienta … (1710); Von dem einen Ursprung und Ziel allen Rechtes (1720); Grundzüge einer Neuen Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker, original (ital.): Principi di una scienza nuova intorno alla commune natura delle nazioni, 1725 (Prima Scienza Nuova) und 1744 (Seconda Scienza Nuova). Das von Vico entworfene „Drei-Stadien-Gesetz“, die Aufeinanderfolge der drei Zeitalter – der Götter, der Heroen, der Menschen -, hat Ähnlichkeit mit vielen später entwickelten Modellen oder Theorien, z.B. mit den von Auguste Comte (1798-1857) behaupteten drei Stadien: der Theologie, der Metaphysik, des Positiven (Positivistischen, Erfahrungswissenschaftlichen). Die von Vico behauptete „Parallele“ zwischen Völkern spiegelt sich auch in der später von Comte angenommenen „Parallele“ zwischen den „Gesellschaften“ und den „Erkenntnissen“ wider, noch mehr jedoch in der von Oswald Spengler (1880-1936) behaupteten „Parallele“ zwischen den Kulturen. (). Man könnte auch ein „Drei-Stadien-Gesetz“ annehmen (wie ich es vorschlage), das die Entwicklung zum Leben meint und etwa aus den folgenden drei Zeitaltern besteht: Universum ohne Leben (meinetwegen auch Zeitalter der Götter genannt), Leben ohne Menschen (meinetwegen auch Zeitalter der Heroen genannt) und Leben mit Menschen (das einem „Vier-Stadien-Gesetz“ folgt: Prähominisierung bzw. Vor-/Urmenschen; Hominisierung bzw. Frühmenschen; Sapientisierung bzw. Altmenschen; Historisierung bzw. Jetztmenschen). Was die Zukunft bringen wird, ist nicht gewiß, aber es wird in Zusammenhang stehen mit der Frage, ob die Menschwerdung, die ja noch nicht beendet ist, auch zukünftig in verschiedenen Kulturen (ich nenne sie „Historienkulturen“) gespalten sein wird oder nicht. (). Was Vico wohl dazu gesagt hätte? Vier Vorbilder bestimmten sein Denken: „Mit Plato erkennt er in der Idee den Maßstab. Mit Tacitus schildert er in den beschränkten Zwecken des menschlichen Eigennutzes die Wirklichkeit. Mit Bacon besinnt er sich auf die Einheit der wissenschaftlichen Welt. Mit Grotius faßt er die gesamte Philosophie und Theologie in das System eines allgemeinen Rechtes, in eine Überphilosophie, in die »Neue Wissenschaft«: d.h. Bestand der reinen Idee und geschichtlicher Wandel verbunden im Ziel der Wahrheit und begriffen in einem System.“ (R. Wisser). Vico beeinflußte auch Herder, seinen Entdecker, Goethe und überhaupt die weitere Geschichtsphilosophie. Schon um 1600, also lange vor Vico, hatte schon Bacon festgestellt, daß Kulturen altern wie Menschen und Phasen bzw. Auf-und-Ab-Stufen durchleben: „In der Jugend der Völker und Staaten blühen die Waffen und die Künste des Krieges; im reifen männlichen Alter der Völker und Staaten Künste und Wissenschaften; dann eine Zeit lang beide zusammen, Waffenkunst und Musenkünste; endlich im Greisenalter der Völker und Staaten Handel und Industrie, Luxus und Mode.“ (Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum, 1605; IV, 2, 114).
Zum Zyklus von Aufstieg und Verfall sowie ewiger Wiederkehr vgl. darum auch: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), Karl Vollgraff (1792-1863), Ernst von Lasaulx (1805-1861), Heinrich Rückert (1823-1875), Friedrich Nietzsche (1844-1900), Oswald Spengler (1880-1936) und die „Spenglerianer“ – z.B. Arnold Joseph Toynbee (1889-1975), August Winnig (1878-1956), Fritz Schachermeyr (1895-1987), Henry Kissinger (*1923), Samuel Phillips Huntington (*1927), Patrick Buchanan (*1938) – sowie Peter Sloterdijk (*1947)

Posted in Hubert Brune on April 22, 2012 by androsch

Sommer / Nachmittag
12 Uhr 18 Uhr
Hochkultur

12-14 Uhr
Reformation oder Kulturschrifterwerb

Was die letzte Phase der phonologischen Kultursprache vorbereitet hat, erfährt jetzt eine graphologische Konsequenz. Das Kind beginnt, seine sprachlichen Ausdrücke auch schriftlich der Umwelt mitzuteilen, nämlich so, daß sie den Schriftkonventionen der Erwachsenenwelt immer mehr angeglichen werden. Aus dem ersten konstruktiven Malen wird ein erster Versuch, den eigenen Namen zu schreiben. Dank der Vernetzungen im Gehirn, die bei einem etwa 3jährigen Kind abgeschlossen sind (vgl. 10-12), wird auch das Langzeitgedächtnis trainiert. Die Erinnerungen beginnen. Die symbolischen Möglichkeiten, die durch die genetische Befruchtungsphase programmiert (vgl. 22-24), durch die Materialisations-, Organisations- und Organfunktionsphasen intaruterin weiterverarbeitet (vgl. 0-2, 2-4, 4-6) und dann durch die umweltlichen Bezugspersonen in die entsprechenden konventionellen Formen gebracht wurden (vgl. 6-8, 8-10, 10-12), sind für das Kind die Grundlage für die nun folgenden Phasen des Lernens. Säugetiere, aber insbesondere Menschen, müssen aus evolutionären Gründen das Programm des schulischen Lernens durchmachen, bevor sie ihre eigenen Gene weitergeben und im Existenzkampf überstehen können. Die psychoanalytische Literatur hat dafür den Begriff der Latenz gewählt, weil während dieser Zeit die sexuellen Regungen im Kinde ruhen und somit die großartige Fähigkeit des Lernens nicht gestört werden kann. In den nächsten drei Phasen geht es also primär um den Wissenserwerb, den insbesondere die vergangene Phase bereits vorbereitet hat. (Vgl. 10-12). Von nun an beginnt also eine neue Zeit, eine Neuzeit.
Es ist kein Zufall, daß ein 3jähriges Kind seine ersten Erinnerungen mit den sogenannten Baby-Spielen verbindet und auch bereits die Babysprache nicht nur spielerisch, sondern auch im konkreten Umgang mit Babys praktizieren kann. Dies ist eine spielerische Erziehungssituation mit enorm wichtigen sozialen und pädagogischen Qualitäten: von hohem Wert also. Wenn Kulturen solche Verhaltensweisen zeigen, haben sie dabei ähnliche Motive wie ein Kind im Alter von etwa 3 bis 6 Jahren. Auch Kulturen spielen ebenfalls experimentell und aufgrund ihrer Erinnerungen die früheren Zeiten durch. Sie beziehen sich auf ihre Zeit der Vor- und Frühkultur. Das Abendland trainierte beispielsweise sein Langzeitgedächtnis, indem es sich an Antike und frühmittelalterlichem Christentum orientierte, was die jetzt auftauchenden Begriffe wie Renaissance und Reformation bereits mehr oder weniger verraten. Jedes Vorwärtskommen, und sei es durch Rückwärtsbewegungen herbeigeführt, bedeutet eine Reaktion auf vergangene Phasen, insbesondere aber auf die vorhergegangenen. Die Renaissance war eine antikisierende Reaktion auf die Gotik, wie die Schriftsprache eine Reaktion auf die Lautsprache ist. Aber man mache sich nichts vor: spielerische Rückschritte sind nicht nutzlos, sondern das genaue Gegenteil. Solche Reaktionen sind, trotz ihres merkwürdigen Rückwärtsverhaltens erforderlich für die weitere Persönlichkeitsentwicklung und die damit verbundene Frage nach der eigenen Herkunft. Sie sind eine Art Vorbilanz und Stellungnahme zur eigenen Persönlichkeit, weil deren Kontrollgene nicht als solche erkannt werden können. Eine Kultur hinterfragt dabei z. B. erstmalig das ganze bisherige Warum und Wieso des Werdens. So wie bei kleinen Kindern das Baby-Spiel und ihr Baby-Talk inhaltlich rückwärts gerichtet zu sein scheinen und dennoch eine Fortsetzung des abzuwickelnden und durchzuspielenden Programms darstellen, so bedeuten auch die in allen Kulturen vorkommende Renaissance und Reformation einen wichtigen Schritt in die Richtung, die zuvor einmaldurch die Kulturgenese festgelegt und durch die Kulturgesellschaft auf mehr oder weniger variable Weise eingerahmt worden ist. Mit anderen Worten: die Renaissance war zwar vom Selbstverständnis her antigotisch, in Wirklichkeit war sie es jedoch nicht und führte das abendländische Programm genauso weiter wie alle anderen Kunstrichtungen vor und nach ihr. Die Reformation war zwar ihrem Selbstverständnis zufolge eine gegen die päpstlich-kirchliche Willkür gerichtete Bewegung, aber eine, die durch ihre Rückwärtsschau und Orientierung an Urkirche und Evangelien nicht zu einer neuen, sondern zu einer gereinigten Kirche führen sollte. Die Reformation war demzufolge eine auf Tradition sich verpflichtende und ihr treu bleibende Bewegung, die Neues bewirkte, obwohl sie rückwärts gerichtet war. Renaissance und Reformation sind deshalb auch nur geographisch oder geopolitisch voneinander zu trennen, nicht aber der Zeiterscheinung nach, derzufolge sie ein- und dasselbe bedeuten. Weil die Künstler der Renaissance fast ausnahmslos für ihre Kirchenherren bauten, die ihrerseits zu Renaissanceherrschern wurden, so standen sie alle im Dienst der eigenen abendländischen und nicht der antiken Kultur, die ihr reines Wunschdenken blieb. In der antiken Kultur gab es diese Erscheinungen natürlich auch, denn die orphischen Reformatoren waren ebenfalls eine Bewegung, die sich an uralte Herkünfte erinnerte und auf diese Weise dafür sorgte, daß Dionysos als letzter Gott, der schon zu Urzeiten der Protogriechen der Gott der Bauern gewesen war, im Olymp aufgenommen wurde. Die orientalisierende Renaissance der Antike war ebenfalls eine Reaktion auf die Zustände der eigenen vergangenen Zeit und der Versuch, die Kunstrichtungen einer älteren Kultur zu kopieren, doch am Ende kamen dabei nur die Fortführung der eigenen Kultur und des ihr immanenten Kunststils heraus. Die Orientrenaissance der Antike wurde durch die griechische Kolonisation hervorgerufen, weil durch sie z.B. der Kontakt zu den Babyloniern intensiviert wurde. Im Abendland kam man einen Weltmonat später auf auffällig ähnliche Weise zur Renaissance, nämlich durch die Berührungen mit den vor den Osmanen geflohenen Griechen und den vor der spanischen Reconquista und Inquisition geflohenen Arabern. Seit dem Fall von Konstantinopel, 1453, war das gesamte ehemalige Byzantinische Reich zum Osmanischen Reich geworden und seit der Eroberung der letzten maurischen Bastion Granada durch die Spanier, 1492, war das ganze ehemalige arabische Kalifat zurückerobert und im spanischen Königreich vereint. Dazu kamen die Entdeckungen und ersten Handelsstützpunkte in überseeischen Gebieten durch die portugiesischen Seefahrer, die den Beginn der abendländischen Kolonisation andeuteten. (Vgl. 10-12 und Karte).

Entwicklungen im 15. und 16. Jahrhundert bzw. von 750 bis 550 v. Chr.

Die Ionier, der älteste der vier großartigen Bestandteile des griechischen Volkes, waren seit der ionischen Wanderung begünstigt durch die Lage am Ende der Handelswege ins Innere Asiens. (Vgl. 10-12). Dadurch waren die ionischen Städte früh zu Blüte und intensiven Handelsbeziehungen gekommen, freilich auch zu sozialen Konflikten, deren Folge die griechische Kolonisation war. Milet war eine der führenden Städte dieser Kolonisation, die an der nördlichen Schwarzmeerküste um 750 v. Chr. begann und sich danach über das Mittelmeer verbreitete. Analog hierzu ist das portugiesische Unternehmen zu sehen, das mit der Gründung einer Seefahrerschule durch Heinrich den Seefahrer 1416 begann und mit der Entdeckung des gesamten Globus enden sollte. (Vgl. 14-16, 16-18). Für beide Kulturen gilt ebenfalls, daß in dieser Phase ein gemeinsames Kulturgefühl entstand, das noch treffender mit der Verbindung aus dem jeweiligen Seelenbild und dem dazugehörigen Ursymbol zu beschreiben ist. Die Griechen entwickelten aufgrund der Kolonisation ein Hellenengefühl und begannen zu hellenisieren. Die Europäer, zunächst nur Portugiesen und Spanier, entwickelten aufgrund der Kolonisation ein Europäergefühl und begannen zu europäisieren. Beide taten dies zuerst in dem Land, das später die einzig übrig bleibende Weltmacht werden sollte: die Griechen im Süden Italiens und die Spanier und Portugiesen im Süden und in der Mitte Amerikas. Die spätere Weltmacht sollte weiter nördlich zu finden sein.

Geistig leuchtete der Humanismus dem Zeitalter der Renaissance voran. Dieser Anthropozentrismus, vom menschlichen Bewußtsein ausgehend und die Wertsetzung des Menschen objektivierend, überwand das Mittelalter, weil er der Scholastik und der geistigen Vorherrschaft der Kirche entgegentrat. Durch die wiederentdeckten Werke der Antike sollte das Ideal der rein menschlichen Bildungs und Haltung erreicht werden. Somit war der Humanismus, neben der Mystik, der Wegweiser in die Neuzeit. Vermittler des Humanismus waren aus Byzanz nach Italien gekommene oder geflüchtete Griechen. Sie lieferten die zuvor im Abendland kaum erhältliche griechische Literatur und Bildung, insbesondere die begehrte Ideenwelt des Platon. Die Philosophie der Renaissance wandte sich sogar weitgehend von dem in der Scholastik verchristlichten Aristoteles ab und dem Platonismus, seiner Skepsis und Naturphilosophie, zu und versuchte sich in der Wiedergeburt Platonischer Akademien. (Vgl. 18-20). Die Schriften Platons – bis dahin war im Abendland fast nur sein Timaios bekannt – wurden vollständig herausgegeben und ins Lateinische übersetzt. Frühe Humanisten waren Giovanni Boccaccio (1313-1375) und Francesco Petrarca (1304-1374). Es folgten Eneo Silvio Piccolomini (Papst Pius II., 1405-1464), Rudolf Agricola (1443-1485), Johannes Reuchlin (1455-1522), Konrad Celtis (1459-1508), Konrad Peutinger (1465-1547), Willibald Pirckheimer (1467-1532), Konrad Muth (Mutianus Rufus, 1470-1526), der Reichsritter Ulrich von Hutten (1488-1523), Thomas Morus (1478-1535) und Erasmus von Rotterdam (1466-1536).
Martin Luther
Humanistisches Gedankengut vertraten in ihrer Frühzeit auch die Reformatoren Martin Luther (1483-1546), Ulrich Zwingli (1484-1531), Philipp Schwarzert (Melanchthon, 1497-1560) und Johannes Calvin (1509-1564), zumindest aber waren sie auch Repräsentanten der Renaissance. Martin Luther rezipierte mit Augustinus (354-430) auch dessen Platonismus (Neuplatonismus) und stand deutlich unter dem Einfluß des Nominalismus und des Humanismus. „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ ist, als Heilsegoismus gesehen, typisch für den Individualismus der Renaissance. Doch dem Humanismus machte die Reformation ein Ende oder nahm ihn religiös in sich auf. Der Beginn der Reformation war zwar eindeutig durch Martin Luther zu einem Faktum geworden, doch genau datieren kann man ihn nicht. Es hatte auch schon vor 1517, vor Luthers Veröffentlichung der 95 Ablaßthesen, Bestrebungen zu kirchlichen Reformen gegeben. Sie waren eine vorbereitende Bewegung zur Reformation, besonders seit durch das 2. Große Schisma von 1378-1417 das Abendland in zwei Lager geteilt war. Die politische Festigung des römischen Papsttums nach dem Ende des Abendländischen Schismas (1417) und die Stabilisierung der päpstlichen Finanzen führten auch zur Verlagerung des Schwerpunkts humanistischen und künstlerischen Wirkens von Florenz nach Rom. Bereits mit Papst Nikolaus V. (reg. 1447-1455) hatte der Humanismus in Rom eine bedeutende Stellung erringen können, und es wurde die Vatikanische Bibliothek gegründet. Ein Papst trat selbst als Humanist, besonders mit geographisch-historischen Werken, hervor: Pius II. (Eneo Silvio Piccolomini, reg. 1458-1464). Die Förderung der Künste und der Bauten in Rom, z.B. der sixtinischen Kapelle (Sixtus IV., reg. 1471-1484), fand mit dem Großprojekt der Peterskirche ihren Höhepunkt unter Papst Julius II. (reg. 1503-1513). Die Kunst sollte der Verewigung des Ruhms hervorragender Persönlichkeiten dienen, und Julius II. verstand seine Großprojekte wohl auch so. Diese Verwurzelung der Päpste im Geist der Renaissance und ihr eifriger Einsatz in der Förderung der Künste ließ sie allerdings die eigentlichen, geistlichen Aufgaben ihres Amtes weitgehend vergessen. Sie zeigten kaum Verständnis und Interesse für die religiös und kirchengeschichtlich folgenschweren Vorgänge in der Kirche, besonders in Deutschland, so daß das Renaissancepapsttum auch als eine der Ursachen der Reformation anzusehen ist. Die Reformation in Deutschland wurde nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben durchgesetzt. Selbstverständlich spielten dabei auch politische Faktoren eine Rolle. In den ersten Anfängen der Reformation konnte die Kurie nicht die gewohnten Mittel gegen die Ketzerei benutzen, weil sie Rücksicht auf den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen nehmen mußte, der ihr Kandidat für die Kaiserwahl war. Als dann 1519 Karl V. gewählt wurde, sah dieser sich an der Ausrottung der Reformation immer wieder durch die politische Lage gehindert: die in vier Kriegen ausgetragene Auseinandersetzung mit Frankreich um die Vorherrschaft in Europa (bis 1544) und der Angriff der Osmanen, zu deren Abwehr er die Unterstützung der evangelischen Stände brauchte. Diese nahmen dafür die Freiheit zur Durchführung der Reformation in Anspruch, so z.B. auf dem Reichstag zu Speyer 1526, der das Signal zum Ausbau der evangelischen Landeskirchen gab, die im Streben des Territorialfürstentums und der niederen Stände nach Eigenständigkeit eine wesentliche Stärkung erfuhren. (Vgl. Fürsten).
Der in Rom kulminierende Höhepunkt der Renaissance wurde in Italien nicht zuletzt dank der Politik des von 1503 bis 1513 regierenden Papstes Julius II. (reg. 1503-1513) als ein patriotisches Ereignis empfunden. Die auch von analytischen Theoretikern der Politik wie Niccoló Machiavelli (1469-1527) und Francesco Guicciardini (1483-1540) gehegten Erwartungen auf eine nationale Wiedergeburt scheiterten jedoch. Gleichwohl gewann der von Machiavelli entwickelte Ansatz einer politischen Analyse, die Idee der Staatsräson, nachhaltigen Einfluß auf das moderne Staatsdenken.
Im Deutschen Reich kam es unter Maximilian I. (1493-1519) zu Reformen. Kaiser Maximilian I. besaß als Herr aller habsburgischen Erblande eine europäische Schlüsselstellung, die ihm in Burgund und Oberitalien die Gegnerschaft Frankreichs eintrug. Er war beliebt als Führer der Landsknechte und Meister der Geschütze, auch als letzter Ritter und Mäzen der Humanisten. Der ungeduldig sprunghafte Politiker erstrebte jedoch teilweise irreale Ziele, z.B. die französische, schwedische und päpstliche Krone. Trotzdem war er ein erfolgreicher Vertreter der habsburgischen Familienpolitik: sein Sohn Philipp der Schöne heiratete die Erbtochter von Spanien. Die Voraussetzungen für das habsburgische Weltreich wurden mit den Heirats- und Erbverträgen erreicht.

Die Reichsreformen waren das Werk der ständischen Reichsopposition gegen den Kaiser, geführt vom Erzbischof von Mainz. Die Reichstage zu Worms (1495), Augsburg (1500), Köln (1512) und Worms (1521) waren zwar reichsreformerisch, aber die Ansätze zu einer Reichsverfassung entwickelten sich wegen der unregelmäßigen Zusammenkunft der Reichstage nicht weiter. 1512 wurde auf dem Reichstag zu Köln beschlossen, daß 10 Reichskreise, unter dem Direktorium von je 2 Fürsten zur Wahrung des Landfriedens eine Zersplitterung verhindern sollten. Dazu kamen die Herrschaften der Reichsritter, Reichsdörfer, die Territorien ohne Reichskreisbildung wie die Lausitz, Schlesien, Böhmen, Mähren, Preußen und der durch den 2. Thorner Frieden von 1466 erstmals geschwächte Deutsche Orden: Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490-1568), der von 1510 bis 1525 Hochmeister des Deutschen Ordens war, entschloß sich, seit 1523 mit Luther persönlich in Verbindung, zur Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum. Er machte 1525 aus dem Deutschmeisterstaat das erbliche Herzogtum Preußen. Entstanden durch die im Krakauer Vertrag zwischen ihm und Polen vereinbarte Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum, war der 8. April 1525 der Beginn des preußischen Staates. Der Markgraf war nun Herzog. Er trat zum evangelischen Bekenntnis über, führte die Reformation ein und gründete 1544 die Universität Königsberg. 1618 kam dieses Herzogtum an die brandenburgische Linie der Hohenzollern, die bis 1660 die Souveränität in Preußen erlangten und 1701, mit der Krönung des Kurfürsten Friedrich III. zum König Friedrich I. in Preußen, aus dem ehemaligen Herzogtum dann den Preußen genannten brandenburgischen Gesamtstaat machten. (Vgl. 14-16).
Jede vierte nachgeburtliche Phase einer Kultur ist gekennzeichnet durch Reanaissance bzw. durch Reformationen, die damit verbundenen revolutionären Weltbilderneuerungen und die Kolonisation der entdeckten Welt. Eine stark komprimierte Tabelle der Parallelen in Antike und Abendland hätte lediglich diese Phänomene zu berücksichtigen. Ein detailierteres Bild jedoch sollte schon einige Daten mehr bieten. In der folgenden Tabelle sind antike Analogien rot gefärbt:
um -750) Apollonkult in Delphi
Beginn der Eisenzeit in Mitteleuropa (Hallstatt-Zeit)
Der gesunde nackte Körper wird zum beherrschenden Thema der griechischen Kunst
Lykurgos erläßt eine sagenhaft strenge Gesetzgebung in Sparta
um 1400) Brügge wird zur führenden Handelsstadt im westlichen Abendland
Aufstieg der Familie Medici in Florenz
Deutsche Mystik: Theologia Deutsch (vgl. Mystik), Geert Groote, später: Wessel Gansfort u.a.
1401) Die Führer der Vitalienbrüder, Klaus Störtebeker und Godeke Michels, die als
Freibeuter und Seeräuber die Handelsschiffahrt in der Nord- ind Ostsee schädigten, werden
in Hamburg hingerichtet
1402) Universität Würzburg (6)
1409) Universität Leipzig (7)
Papst Alexander V. wird auf dem Schismakonzil zu Pisa zum Papst gewählt, und die
Gegenpäpste in Rom und Avignon werden abgesetzt (vgl. Päpste)
1410) Schlacht bei Tannenberg (1. Niederlage des Deutschen Ordens)
1411) Der Deutsche Orden verliert im Frieden von Thorn Westlitauen
1414) Heinrich von Plauen wird als Hochmeister des Deutschen Ordens abgesetzt
1414-1418) (05.11.1414-22.04.1418) Konzil (16) von Konstanz:
Verurteilung der Lehre Wyclifs; Todesurteil über J. Hus;
Beilegung des Abendländischen Schismas (von 1378): Resignation Gregors XII.;
Absetzumg Johannes‘ XXIII. und Bendedikts XIII.; Wahl Martins V. (vgl. Päpste);
Konziliarismus
um -740) Gründung griechischer Kolonien in Süditalien
Beginn des 1. Messenischen Krieges (Sparta erobert die Bergfestung Ithome)
1415) Der Burggraf von Nürnberg Friedrich VI. von Hohenzollern wird von
Kaiser Sigismund (vgl. Tafel: Wittelsbacher) zum Markgrafen von Brandenburg ernannt
und erhält 1417 als Friedrich I. die Kurwürde für Brandenburg
(Stammvater der brandenburgischen Hohenzollern)
1416) Heinrich der Seefahrer gründet eine Seefahrerschule und errichtet eine Sternwarte
Heinrich der Seefahrer legt durch seine Entdeckungsfahrten den Grundstein für
Portugals Welthandel und Kolonialmacht
um -720) Ende des 1. Mesenischen Krieges:
1419) Universität Rostock (8) Sparta ist Vormacht in Griechenland
1419) Portugiesische Seefahrer erreichen die Madeiragruppe
um 1420) Frührenaissance in der Malerei:
Hubert und Jan van Eyck, Rogier van der Weyden, Konrad Witz
1422) Konstantinopel wird erstmalig von den Türken belagert
1423) Markgraf Friedrich von Meißen, aus dem Hause Wettin, erhält das Kurfürstentum Sachsen
Humanistische Schule in Mantua
1426-1428) Malerei: Einführung der Zentralperspektive durch Masaccio („Dreifaltigkeitsfesko“)
1429) Jeanne d’Arc wird von der Inquisition als Ketzerin verurteilt
um 1430) Johannes Gutenberg erprobt die Buchdruckkunst (mit beweglichen Lettern)
1431-1448) Konzil (17) von Basel: Entscheidungskampf zwischen Papsttum und Konziliarismus
Basel I (23.07.1431-07.05.1437) : Sieg des Papsttums; Union mit den Griechen, Armeniern, Jakobiten
Basel II (08.01.1438-25.04.1448) – in Ferrara (1438), in Florenz (1439)
um -720) Weitere griechische Städtegründungen
(Polis) auf Sizilien und in Unteritalien
Tarent entsteht als Gründung
unwürdiger Bürger aus Sparta
1431) Portugiesische Seefahrer erreichen die Azoren
1434) Portugiesische Seefahrer gelangen an der Westküste Afrikas bis zum Kap Bojador
1441) Portugiesische Seefahrer gelangen an der Westküste Afrikas bis zum Kap Blanco
Portugiesen beginnen mit dem Handel von Negersklaven
1445) Johannes Gutenberg erfindet den Buchdruck (Druck mit beweglichen, gegossenen Lettern)
Höhepunkte der Rheinischen, Kölnischen und Oberrheinischen Malerschule
Portugiesische Seefahrer erreichen Kap Verde
um 1450) Anfänge mathematischer Naturerkenntnis. Nikolaus von Kues: Unendlichkeit der Welt
und das Prinzip des Zusammenfallens der Gegensätze gibt es eigentlich nur in Gott
(Cincidentia oppositorium). N. von Kues ist das personifizierte geistige Bindeglied zwischen
Scholastik und Humanismus, zwischen Mittelalter und Neuzeit:
(Spät-)Scholastik wechselt zum Humanismus
Musik: Beginn derNiederländerzeit: Johann Okeghem, Guillaume Dufay; Gille Binchois
um -700) Beginn der orientalisierenden Zeit (Renaissance)
Griechische Kolonien an den Ufern des Schwarzen Meeres
Griechen führen die Triere (Dreiruderer) als Kriegsschiff ein
Verfassung Spartas (Große Rhetra)
Hesiod, griechischer Dichter aus Böotien, verfaßt seine Werke
Theogonie (Entstehung der Götter und der Welt) und
Werke und Tage. Er spricht von 5 Zeitaltern und 9 Musen
1452) Johannes Gutenberg druckt in Mainz die 42zeilige Bibel
Musik:
Aufkommen der Instrumentalmusik: Konrad Paumann (ein Improvisator und Orgelmusiker)
1453) Fall Konstantinopels: Türken erobern Konstantinopel
Ende des Byzantinischen Reiches (Oströmischen Reiches)
Griechische Gelehrte fliehen aus dem besiegten Konstantinopel nach Italien und bringen
das griechisch-antike Kulturerbe von Byzanz mit: Auslösung der Renaissance
1454) Johannes Gutenberg druckt Ablaßbriefe
1455) Universität Freiburg (9)
1459) Cosimo de Medici gründet in Florenz eine Platonische Akademie
1460) Hamburg wird freie Reichsstadt
1. deutsche Sternwarte in Nürnberg durch Johannes Müller (Regiomontanus), der auch die
„Moderne Trigonometrie“ schuf. Die Ortsbestimmung auf See und damit die nun folgenden
Entdeckungfahrten wurden durch seine berechneten und publizierten Ephemeriden möglich
1464) Der 1. Druck einer Bibel in deutscher Sprache erscheint in Straßburg
– 682) In Athen wird das Königtum durch das Archontat ersetzt
Die Archonten (Beamte) für jeweils ein Jahr sind
Dionysos-Kult-Führer, Stadtvorsteher oder Heerführer
1469) Heirat: Ferdinand II. von Aragonien und Isabella von Kastilien
Beginn des Einheitsstaates Spanien
1470/1471) Portugiesen entdecken die Goldküste (Westafrika) / Portugiesen überqueren den Äquator
1472) Universität Ingolstadt (10)
1473) Universität Trier (11)
Universität Löwen (12)
Mit dem Bau der Sixtinischen Kapelle in Rom wird begonnen
Das Bankhaus der Fugger in Augsburg tritt mit den Habsburgern in Geschäftsverbindung
Die Familie der Fugger erhält ein Wappen
Die Hildesheimer Didrik Pining und Hans Pothorst (und vielleicht auch João Vaz Corte-Real)
entdecken (davon ist jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit auszugehen) Amerika
1474) England anerkennt die Vorherrschaft der Hanse
Der Arzt und Astronom Paolo Toscanelli aus Florenz zeichnet eine Karte, die den
westlichen Weg nach Indien beweisen soll, der wesentlich kürzer als der bekannte sein müsse
Kolumbus gelangt in den Besitz dieser Karte und sucht daraufhin Kontakt zu Toscanelli
Mögliche Entdeckung Brasiliens durch die Portugiesen, die aber nicht bekannt wird
1476) Universität Tübingen (13) Universität Mainz (14)
um -670) Terpander, Erfinder der 7seitigen Lyra,
hat eine Musikschule in Sparta gegründet
1480) Zur Bekämpfung der Ketzer wird in Spanien die Inquisition eingeführt
1482) Portugiesische Seefahrer gelangen zur Kongo-Mündung
1483) Der Dominikaner Thomas de Torquemada wird Großinquisitor in Spanien
Kolumbus‘ Vorschlag, den Seeweg nach Indien zu suchen, lehnt König Jahann II. von Portugal ab
Kolumbus wendet sich daraufhin an den spanischen Hof
In dem niederdeutschen Volksbuch werden die Geschichten von Till Eulenspiegel aufgezeichnet
1484) Papst Innozenz VIII.: Hexenbulle (die päpstliche Inquisition soll den Hexenhammer verfassen)
1485) Universität Bisanz (Besançon) (15)
1486) Der Hexenhammer, ein Gerichtsbuch der Hexenprozesse, wird in Straßburg gedruckt
1487) Der portugiesische Seefahrer Bartolomeo Diaz umsegelt die
Südspitze Afrikas (Kap der guten Hoffnung)
Spanier erobern Malaga von den Arabern (Mauren)
1488) Im Schwäbischen Bund schließen sich die Städte mit dem Adel zusammen – zum Schutz des
Landfriedens. An ihrer Spitze steht Graf Eberhard V. von Württemberg
Erste Apotheke in Berlin
– 660) Aufstand der Messenier gegen Sparta:
Beginn des 2. Messenischen Krieges (bis 640)
1490) Der Gartenpalast Belvedere wird fertiggestellt
Erfindung der doppelten Buchführung
um -660) Griechen gründen Byzanz
1491) Der erste Erdglobus wird in Nürnberg vom Seefahrer und Geographen Martin Behaim hergestellt
1492) Erste gedruckte Weltchronik von Hartmann Schedel (erschienen bei Anton Koberger, Nürnberg).
Granada wird von den Spaniern erobert. Der letzte maurische König flieht nach Afrika. Damit wird
Spanien zur Großmacht. Die Inqusition zwingt Mauren und Juden, die nicht bereit sind,
zum Christentum überzutreten, Spanien zu verlassen.
Der Genuese Christoph Kolumbus entdeckt auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien am
12. Oktober 1492 Amerika
um – 660) Im Kampf zwischen Korinth und Korfu wird die
erste historisch belegte Seeschlacht ausgetragen
1493) Hartmann Schedel veröffentlicht seine illustrierte Weltchrouik
1494) Amerika erhält seinen Namen nach dem Florentiner Amerigo Vespucci
Der Elsässer Sebastian Brant verfaßt das gesellschaftskritische Buch Das Narrenschiff
Die Häuser Habsburg und Bourbon beginnen den Kampf um Italien. 1. Objekt: Neapel
Schließung des (Hanse-) Peterhofs in Nowgorod
1495) Reichstag zu Worms: Reichsreform
(Ewiger Landfriede, Reichssteuer, Reichskammergericht, Annahme des römischen Rechts)
um – 657) Beginn der Tyrannis in Korinth (bis 580)
Größte Blüte Korinths als 1. Seemacht Griechenlands
1496) Der Sohn Kaiser Maximilians I. (Vgl. Tafel: Habsburger),
Philipp der Schöne von Burgund, heiratet Johanna die Wahnsinnige von Spanien,
Erbin Spaniens. Der spätere Kaiser Karl V. (Vgl. Tafel: Habsburger), beider Sohn, erbt damit
sowohl Spanien als auch Burgund, die Niederlande und die habsburgischen Erblande
1498) Der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama findet mit 3 Schiffen und 150 Matrosen den
Seeweg nach Indien (rund um das Kap der Guten Hoffnung)
Kolumbus erreicht auf seiner 3. Reise das Festland Südamerikas am Orinoko
In Nürnberg entsteht das erste deutsche Leihhaus
Die Welser in Augsburg (Handelsgesellschaft) betreiben europäischen Großhandel
Die Fugger in Augsburg, deren Vermögen sich in 20 Jahren verzehnfacht hat, kontrollieren den
europäischen Kupfermarkt
In Lübeck wird das Teirepos Reinke de Vos (Hinrek von Alkmar) gedruckt
um 1500) Neuhochdeutsch (Früh-NHD) hat sich durchgesetzt
(Vgl. AHD, Früh-MHD, Klassisches MHD, Spät-MHD, Klassisches NHD, Spät-NHD)
Beginn der Hochrenaissance um – 650) Hochblüte der Orient-Renaissance
Asurbanipal gründet in Ninive eine große Bibliothek
Dionysos wird (als letzter Gott) im Olymp aufgenommen
Wirken und Werke von Leonardo da Vinci, Michelangelo (Buonarotti), Donato Bramante,
Raffael, Hans Holbein d.Ä., Tilman Riemenschneider, Sebastian Brant, Hartmann Schedel,
Albrecht Dürer, Peter Vischer (d.Ä), Veit Stoß, Matthias Grünewald, Lucas Cranach (d.Ä),
Adam Kraft u.a.
Musik: Erstes Musiklexikon von Johann Tinctoris
Erste Schienenwagen in deutschen Bergwerken
Das Buch Deutsche Geschichte, von dem Humanisten Jakob Wimpheling, wird veröffentlicht
1. ständige Postverbindung wird eingerichtet: Wien – Brüssel
Kolumbus, am spanischen Hof in Ungnade gefallen, wird in Ketten nach Spanien gebracht
Kolumbus kann sich aber bald rehabilitieren und weitere Reisen nach Amerika unternehmen
Das Gemälde Mona Lisa wird von Leoanrdo da Vinci vollendet
Das Jahr 1500 wird von der Kirche als Großes Jubeljahr gefeiert
Seit der von J. Gutenberg erfundenen Buchdruckerkunst (1430/1445) sind
1000 Druckereien entstanden (Stand des Jahres 1500)
Neben den Burgen gewinnen Stadtbefestigungen an Bedeutung
Musik: Heinrich Finck, Jakob Obrecht, Paul Hofhaimer, Jean Mouton, Heinric Isaac,
Josquin Desprès, Adrian Willaert, Ludwig Senfl
Peter Henlein erfindet die Taschenuhr
um – 650) Als Handelsstützpunkt gründen Griechen Naukratis im Nildelta
Etrusker gründen Ostia (an der Mündung des Tibers)
Archilochos, griechischer Dichter aus Paros, schreibt Tierfabeln
seit -650) Verdrängung des Geburtsadels durch Großhandelsfamilien
im Verlauf sozialer und politischer Unruhen, v.a. in Ionien
Wachsender Einfluß des Volkes, oft geführt von Tyrannen
Kunst: Ende des Geometrischen Stils (Geometrik)
= Übergang zum Dorischen Stil (Dorik)
1506) Luther tritt in den Augustinerorden ein
Kolumbus stirbt (in Genua) in dem Glauben, Indien erreicht zu haben
1507) Portugiesen legen Stützpunkte an der Ostküste Afrikas an
1508) Jakob Fugger wird geadelt
Luther wird Professor der Theologie in Wittenberg
1509) Beginn des Handels mit Negersklaven zwischen Afrika und Amerika
Jakob Fugger finanziert den Krieg Kaiser Maximilian I. gegen Venedig
Portugal beherrscht den Indischen Ozean
1510) Portugal erobert Goa, das zum Mittelpunkt seiner Besitzungen in Südostasien ausgebaut wird
– 640) Niederwerfung der Messenier durch die Spartaner
1512) Das von dem Astronomen Nikolaus Kopernikus entwickelte (heliozentrische) Weltsystem
löst das des Ptolemäus ab. (Vgl. 0-2). De revolutionibus orbium coelestium.
Portugiesen erobern die Molukken
In England werden Zweideckerschiffe gebaut, die bis zu 70 Kanonen haben
1512-1517) (03.05.1512-16.03.1517) Konzil (18) von Rom (Lateran V) :
Lehre von der Individualität und Unsterblichkeit der Seele
1513) Florida wird durch Juan Ponce de Léon für Spanien in Besitz genommen
Die gotische Schrift wird zur Fraktur weiterentwickelt
1514) Portugiesen dringen nach Ostasien vor
Der Erzbischof von Mainz verpfändet den Fuggern seinen Ablaß-Gewinn
Niccoló Machiavelli: Il principe. Verbindung des Humanismus mit politischen Spekulationen.
1515) Auf Kuba wird die Stadt Habana (Havanna) gegründet
Till Eulenspiegel wird erstmals in Straßburg gedruckt
1516) Thomas More: Utopia. Verbindung des Humanismus mit britischer Staatsphilosophie.
1517) Luther schlägt am 31. Oktober 95 Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg
In Europa wird erstmalig Kaffee eingeführt
Kaiser Maximilian I. krönt Ulrich von Hutten zum Dichterkönig
1518) Adam Ries (Riese) schreibt seine einflußreichen Rechen-Lehrbücher:
Rechenung auff der linihen und federn und (einige Jahre später) Rechenung nach der lenge
Porzellan kommt aus China nach Europa
1519) Luther bricht mit Rom
Spanische Expedition unter Hernando Cortés – sie führt zur Vernichtung der Azteken-Kultur (1520)
Einfuhr von Kakao nach Europa
Jakob Fugger stiftet eine Armensiedlung, die Fuggerei, in Augsburg
1520) Türken greifen erneut Europa an
Sozialrevolutionäre Bewegung der Wiedertäufer unter Thomas Münzer (enthauptet 1525)
3 reformatorische Schriften von Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation,
Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, Von der Freiheit eines Christenmenschen
1521) Der Reichstag zu Worms ächtet Luther und verbietet die Reformation im Wormser Edikt
Beendigung der ersten Weltumsegelung des Portugiesen Fernão de Magalhães (Ausfahrt 1519)
Nach Magalhães‘ Tod (Philippinen) gelingt Juan Sebástian Elcano die Rückreise nach Spanien
Die Kugelgestalt der Erde ist damit bewiesen
Auf der Wartburg übersetzt Luther das Neue Testament ins Deutsche und schafft damit die
Grundlage für die neuhochdeutsche Schriftsprache. (Vgl. Lautsprache des NHD seit 1350/1500)
Neuscholastik (Protestantische Scholastik). Begründer: Philipp Schwarzert (Melanchthon)
1522) Die von Franz von Sickingen geführte Rittererhebung scheitert:
Die Ritterschaft büßt endgültig ihren politischen Einfluß ein
Luthers Bibelübersetzung wird gedruckt
1523) Kaiser Karl V. unterdrückt einen Prozeß gegen die Fugger wegen Monopolbildung und Preisdiktat
Bücherzensur in Deutschland
Johannes (Aventinus) Turmayr: Deutsche Chroniken (1. deutschsprachiges Geschichtswerk)
Hans Sachs verfaßt das Spruchgedicht Die Wittenbergische Nachtigall
Die Hanse finanziert Gustav Wasa, den König von Schweden, das sich von
Norwegen und Dänemark trennt (Ende der Kalmarer Union)
1524) Luther gibt mit dem Komponisten Johann Walther ein geistliches Gesangbuch heraus.
Dadurch regt er ein Volksschulwesen an. Kontroversen mit Erasmus von Rotterdam
Neue Bauernunruhen in Oberdeutschland bedeuten den Beginn des Bauernkrieges
um -625) Beginn des dorischen Baustils in Griechenland (Dorik)
Dorische Säulenordnung (Dorisches Kapitell)
1525) Deutscher Ordensstaat wird weltliches Herzogtum Preußen,
Herzog wird der Hochmeister und Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach
– 624) Drakon erläßt in Athen harte (drakonische) Gesetze,
die die Interessen des Adels vertreten
Die Führer des Bauernkrieges in Oberdeutschland, Tirol und Salzburg fordern in 12 Artikeln
soziale Reformen. Ihr Aufstand wird von den Fürsten niedergeschlagen
Luther heiratet die ehemalige Nonne Katharina von Bora. Er verfaßt die Schrift
Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern,
womit er im Bauernkrieg Partei zugunsten der Fürsten ergreift und an Popularität einbüßt
Der schweizerische Reformator Ulrich Zwingli nimmt mit der Schrift
Über die wahre und falsche Religion gegen Luther Stellung
Ende der Hochrenaissance (um 1520/1530) Beginn der Spätrennaissance (bzw. des Manierismus)
1526) Spanier entdecken Neuguinea
Der Reichstag zu Speyer beschließt, daß das Problem der Reformation und die Anwendung des
Wormser Ediktes (von 1521) den einzelnen Landesfürsten überlassen bleiben soll
1527) Gegen Kredite räumt Kaiser Karl V. dem Augsburger Handelshaus der Welser die Ausbeutung
Venezuelas ein. A. Dalfinger, N. Federmann, G. Hohermuth, P. von Hutten und andere deutsche
Eroberer, Goldsucher und Entdecker gründen als Statthalter die 1. deutsche Kolonie in Amerika
Argentinien wird spanische Kolonie
Reformation in Schweden
Gründung einer protestantischen Landesuniversität in Marburg
1529) Kaiser Karl V. verzichtet zugunsten Frankreichs im Frieden von Cambrai auf Burgund.
Karls Einfluß auf Italien bleibt bestehen.
Der Papst (Klemens VII.) verpflichtet ihn zum Kampf gegen die Ketzer in Deutschland
Erste Belagerung Wiens durch die Türken
Aus Amerika kommt die Tabakpflanze (zunächst als Ziergewächs) nach Europa
Gegen den Protest der Lutheraner (daher protestanten) verbietet der
Reichstag zu Speyer alle kirchlichen Neuerungen
Luther schreibt den Großen und Kleinen Katechismus
1530) Letzte Krönung eines Kaisers (Karl V.) durch den Papst (Klemens VII.) in Bologna
Der Reichstag zu Augsburg setzt das Wormser Edikt (von 1521) wieder in Kraft,
Melanchthon (Philipp Schwarzert) legt die Augsburger Konfession vor
Neubegründung der Naturwissenschaft (Verbindung von Experiment und Spekulation als
Grundsatz der Forschung): Bombast von Hohenheim (Paracelsus):
Die Natur als lebende und und individuell bildende Kraft.
Geschichtsphilosophie und Kulturkritik der Reformation:
Sebastian Frank: Chronica. Die Geschichte als die eigentliche buchstabenlose Bibel,
buchstabiert in Leben und Geschehnissen der Wirklichkeit (Geschichtsbibel).
1531) Der Spanier Pizarro erobert Peru – die Eroberung führt zur Vernichtung der Inka-Kultur (1533)
Die Börse in Antwerpen besitzt Weltgeltung
1532) Angesichts der Türkengefahr kommt es zum Nürnberger Religionsfrieden:
Bis zu einem allgemeinen Konzil wird von Kaiser Karl V. freie Religionsausübung zugesichert
Brasilien wird durch die Portugiesen kolonialisiert
1533) Gründung der Anglikanischen Staatskirche durch König Heinrich VIII., als der Papst (Klemens VII.)
dessen Scheidung von seiner Frau Katharina von Aragon nicht zustimmt
Heinrich VIII. heiratet Anna Boleyn. Ihre Tochter Elisabeth wird später Königin von England
1534) Beginn der Gegenreformation mit der
Gründung des Jesuitenordens durch den Spanier Ignatius von Loyola
In Münster führen die Wiedertäufer ein sozialrevolutionäres Reich mit Wiedertaufe ein, das
1535) von fürstlichen Truppen blutig niedergeschlagen wird
Im Kampf gegen mohammedanische Seeräuber erobert Karl V. Tunis und befreit
20000 christliche Sklaven
Die Kolonie Neu-Frankreich wird von Jacques Cartier am St.-Lorenz-Strom gegründet
1536) In London entsteht eine Börse
Baubeginn: Habsburger-Schloß Belvedere in Prag
1536/1540) Tod des etwa 60jährigen Arztes, Astrologen, Schwarzkünstlers Johannes Faust
1537) Reformation in Dänemark
1538) Die katholischen Reichsstände vereinigen sich in einer Liga
um – 612) Hängende Gärten auf dem Dach des Königspalastes in Babylon
In Rom werden die Sümpfe zwischen den 7 Hügeln trockengelegt
Der Reformator Calvin, der in der Schweiz wirkte, wird wegen seiner Sittenstrenge
aus Genf ausgewiesen
1539) Reformation in Brandenburg und Sachsen
1540) Reformation in Schottland
1541) Erste Börse in Hamburg
Nach der Eroberung Ofens beherrschen die Türken Ungarn
1542) Reformation in Braunschweig-Lüneburg
Japan wird von dem Portugiesen Pinto entdeckt
Karl V. erläßt auf Veranlassung des Dominikaners Bartholomé de Las Casas ein
Gesetz gegen die unmenschliche Behandlung der Indianer
Ein spanischer Vizekönig regiert von Lima aus die südamerikanischen Besitzungen Spaniens
1543) Gründung von protestantischen Fürstenschulen (Schulpforta, Meißen, Grimma)
Luther schreibt Von den Juden und ihren Lügen
1544) Luther weiht die erste protestantische Kirche Deutschlands in Torgau
Friede von Crépy: Der 4. Krieg zwischen Karl V. und Franz I. (Haus Valois, Kapetinger)
wird beendet. Frankreich verzichtet noch einmal auf Mailand und Neapel
Auf dem Reichstag zu Speyer setzen die Protestanten eine Verlängerung des
Religionsfriedens durch
Sebastian Münster veröffentlicht die Cosmographia universalis, die Beschreibung aller Länder,
die trotz ihrer Irrtümer als Grundlage der modernen Geographie angesehen wird
1545-1563) (13.12.1545–04.12.1563) Konzil (19) von Trient:
Lehre von Schrift und Tradition, Erbsünde, Rechtfertigung, Sakramente,
Meßopfer, Heiligenverehrung; Reformdekrete (über Priesterausbildung, Domkapitel,
Residenzpflicht der Bischöfe) – ein „Konzil der Gegenreformation“
(!!!) Erst in 306 Jahren wird das nächste Konzil beginnen (!!!)
1546) Der Schmalkaldische Krieg (bis 1547) wird von den Fuggern finanziert
Begründung der Gesteins- und Bergbaukunde durch Georg Bauer (Agricola)
1549) Jesuitische Missionare stellen sich in Südamerika schützend vor die Indianer
1550) Durch die Ausbeutung peruanischer Silberminen gesundet die europäische Geldwirtschaft:
Silber kann nach Ostindien exportiert werden
Sanduhren werden als transportable Reiseuhren eingeführt
Aus Südamerika kommt erstmals die Kartoffel nach Europa
Albrecht der Großmütige wird Herzog von Bayern (bis 1579) und vernichtet mit Hilfe der
Jesuiten den Protestantismus
Ausklang der Renaissance um -600) Ausklang der orientalisierenden Zeit (Renaissance)
(Beginn des Manierismus) Karthager gründen Handelsniederlassungen in
Musik: Martin Agricola Spanien, Südfrankreich, Sizilien, Sardinien, N.-W.-Afrika
Benedikt Ducis Griechische Buchstabenschrift wird in Italien übernommen
u. a. Erste römische Steinbrücke
Tyrannis des Kleisthenes von Sikyon (bis 570)
Sappho verfaßt Natur- und (lesbische) Liebeslieder
In Italien wird der griechische Ölbaum eingeführt
1551) Ferdinand von Habsburg, Enkel Maximilians I., Bruder des Kaisers Karl V. und dessen Nachfolger,
beruft Jesuiten nach Wien
Der Reichstag verabschiedet ein Aktiengesetz
Giovanni Pierluigi Palestrina wird Kapellmeister an St. Peter in Rom
1552) Konrad Gesner begründet mit seiner Geschichte der Tiere die neuere Zoologie
um – 600) In Rom verdrängen Jupiter, Juno und Minerva
als Dreiergruppe von Staatsgöttinen die vormaligen
Jupiter, Mars und Quirinus
1555) Augsburger Religionsfriede:
Auf dem Reichstag zu Augsburg wird ein Religionsfrieden zwischen dem Kaiser Karl V. und den
Anhängern der Augsburger Konfession geschlossen. Die Landesherren bestimmen die Konfession
ihrer Untertanen. Andersgläubige können auswandern. Die Protestanten bleiben von dieser
Regelung ausgeschlossen
Der Protestantismus (Lutherismus) breitet sich in Norddeutschland und Skandinavien aus,
der Calvinismus in Nordwesteuropa
– 595) Athene-Tempel (aus Kalkstein) auf der Akropolis
1556) Kaiser Karl V. dankt zugunsten seines Bruders Ferdinand I. ab. Er teilt die letzte Universalmacht
des Abendlandes zwischen Bruder Ferdinand I., der Kaiser im Deutschen Reich wird (1619), und
Sohn Philipp II., der König von Spanien, Neapel-Sizilien, Mailand und den Niederlanden ist (1555).
Der Niederländer Orlando di Lasso, Komponist von über 2000 geistlichen und weltlichen Werken,
wird Kapellmeister in München
um – 595) Phönizier umschiffen Afrika (Dauer: 3 Jahre)
(im Auftrag des Königs Necho von Ägypten
1557) Die Silbergewinnung durch Quecksilber-Amalgation erhöht die Bedeutung der Silberproduktion
in Südamerika
– 594) Solon erläßt in Athen eine Verfassung, die die
Gesetzgebung des Drakon abändert
Währungsreform in Athen (Angleichung an Nachbarstaaten)
Erster Heiliger Krieg der griechischen Stämme um die
politische Unabhängigkeit des gemeinsamen Heiligtums Delphi
1558) Universität Jena
Habsburger-Schloß Belvedere in Prag (vollendet)
Johann Brenz, schwäbischer Reformator, gründet kirchliche Elementarschulen
1559) Papst Pius IV. gibt den ersten Index verbotener Bücher heraus
1560) Die Spitzenklöppelei wird im Erzgebirge von Barbara Uttmann heimisch gemacht
1561) Ende des Deutschordenstaates im Baltikum:
Estland wird schwedisch, Livland polnisch-litauisch und Kurland weltliches (deutsches) Herzogtum
1562) Beginn des Hugenottenkrieges in Frankreich (bis 1598)
um – 590) Turmbau zu Babel (92m-Tempel für Stadtgott Marduk)
1563) Der Holländer Pieter Brueghel d.Ä . malt den Turmbau zu Babel
Beginn der Gegenreformation in Bayern
Baubeginn: Schloß und Kloster Escorial in Spanien
In England wird Einkommensschwachen staatlicheSozialhilfe gewährt
Im Ärmelkanal werden 600 französische Schiffe von englischen Seeräubern gekapert
1564) Baubeginn: Il Gesù in Rom. Beginn des italienischen Barock (G. B. Vignola)
Im Handelskrieg zwischen Spanien und England läßt Philipp II.
alle englischen Schiffe in spanischen Häfen beschlagnahmen
England revanchiert sich, indem es seine Häfen für spanische Schiffe sperrt
1565) Die protestantischen Niederländer erheben sich unter Führung von
Wilhelm von Oranien und Graf Egmont gegen die spanisch-katholische Herrschaft
um – 585) Thales von Milet sagt eine Sonnenfinsternis vorher
1566) Gründung von Börsen in London und Köln
Die Augsburger Münzordnung soll die Reichswährung regeln
1567) Portugiesen gründen Rio de Janeiro
1568) Die Hanse verliert an Bedeutung. Engländer gründen eine Handelsniederlassung in Hamburg
– 582) Verfassung von Korinth (Anschaffung weiterer Sklaven wird verboten)
Pythische Spiele in Delphi (4-Jahre-Rhythmus)
1569) Herzog Alba, spanischer Generalkapitän in den Niederlanden, läßt die
Führer der Protestanten, die Grafen Egmont und Hoorn, hinrichten
Wilhelm von Oranien kann nach Deutschland fliehen
1571) Der Betrieb einer Buchdruckerei ist durch Erlaß des Reichstags genehmigungspflichtig
Unter Befehl von Johann von Österreich besiegen Spanien und Venedig die osmanischen Türken bei
Lepanto (Naupaktos) und beenden dadurch deren Seeherrschaft im Mittelmeer
1572) Spanien erobert die Philippinen
Die protestantischen Geusen in den Nordprovinzen Holland und Seeland beginnen den
Freiheitskampf der Niederlande gegen Spanien. Sie wählen Wilhelm von Oranien als Führer
Francis Drake, englischer Seefahrer und Pirat, überfällt spanische Niederlassungen in Amerika
Der Führer der Hugenotten, Gaspard de Coligny, wird mit ca. 15000 seiner Glaubensgenossen
in der Bartholomäusnacht ermordet
Neue Kriegstechniken durch Geschütze. Sie verdrängen endgültig die Steinschleudern
Braun und Hogenberg veröffentlichen die ersten Städtebeschreibungen (Civitas orbis terrarum)
um – 580) Thales von Milet entdeckt den Magnetismus. Der
Satz des Thales gilt als ältester (antiker) Lehrsatz
1574) In Straßburg vollenden die Gebrüder Hobrecht die astronomische Kunstuhr des Münsters
In Augsburg arbeitet die erste deutsche Rohrzuckermühle
1576) Zweiter Staatsbankrott in Spanien
In London entstehen die ersten Schauspielhäuser
1577) Theoretische Grundlagen für den Absolutismus: Begriffsbestimmung der Souveränität (Jean Bodin)
1579) Beginn der Gegenreformation in Österreich
Die nördlichen Provinzen der Niederlande vereinigen sich in der Utrechter Union unter
Wilhelm von Oranien und sagen sich von Spanien los (1581),
während die südlichen (belgischen) Provinzen zum Katholizismus zurückkehren
Francis Drake ist der Zweite (nach Magalhães, 1521), der die Erde umsegelt
1580) Portugal gelangt durch Erbschaft (bis 1640) mit seinen Kolonien an Spanien:
Spanien erreicht dadurch den Höhepunkt seiner Macht
Musik: 1. Ansätze einer echten Fuge (mit Zwischenspielen und formgerechter Antwort),
verstanden als eine kontrapunktisch-polyphone Setzweise (A. Gabrieli)
Das Konkordienbuch, eine Sammlung lutherischer Bekenntnisschriften, ist Grundlage der
orthodoxen Lutheraner in ihrer Auseinandersetzung mit dem Calvinismus
um – 570) Anaximander (aus Milet) zeichnet eine Erdkarte,
derzufolge die Erde eine Insel im Ozean ist
Schöpfer des Essays als literarische Gattung: Michel Montaigne (Erneuerung der antiken Skepsis)
Modernes Unendlichkeitsgefühl: Giordano Bruno (Vom unendlichen All und den Welten)
um – 570) Artemis-Tempel in Ephesos mit 128 Säulen vollendet
Erste Ionische Säulen (Beginn der Ionik)
1582) Universität Würzburg (als Mittelpunkt der Gegenreformation) von Fürstbischof Echter gegründet
Papst Gregor XIII. führt den Gregorianischen Kalender ein
Rußland erobert mit den Kosaken (entflohene Leibeigene) unter Hetman Jermak und im Auftrag
der Kaufmannsfamilie Stroganov Westsibirien bis zum Irtysch
1583) Kölner Krieg:
Erzbischof Truchseß wird daran gehindert, die Reformation in seinem Erzbistum einzuführen
Neuer Erzbischof wird Ernst von Wittelsbach
In Frankfurt (Main) erscheint habjährlich eine Meßzeitung
1584) Engländer unter Walter Raleigh besiedeln Virginia in Nordamerika
Bauvollendung: Il Gesù in Rom. Beginn des italienischen Barock (G. B. Vignola)
Giordano Bruno erweitert die Lehre des Kopernikus und veröffentlicht:
Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen und Vom unendlichen All und den Welten
Wilhelm von Oranien wird durch einen Katholiken ermordet
Schloß und Kloster Escorial in Spanien (vollendet)
1585) Krieg zwischen England und Spanien führt zu 2 Lagern:
England unterstützt die Niederländer im Kampf gegen die Spanier
Spanien und der Papst unterstützen die französische Liga im Kampf gegen die Hugenotten
John Davis entdeckt die Straße zwischen Grönland und Nordamerika (Davis-Straße)
Beginn des schöpferischen Höhepunktes von William Shakespeare und Lope F. de Vega Carpio
1587) Das Volksbuch vom Dr. Faust erscheint erstmalig in Frankfurt (Main)
1588) Christopher Marlowe verfaßt das Drama Tragische Geschichte des Doktor Faust
England schlägt unter Sir Francis Drake im Kanal die spanische Flotte (Armada)
vernichtend durch Artillerie-Fernkampf statt des üblichen Nahkampfes mit Enterung
Aufstieg der englichen Seemacht
1589) Heinrich III., König von Frankreich (Haus Valois der Kapetinger) wird ermordet
Ihm folgt Heinrich IV. von Navarra als erster Bourbone. Er tritt vom Protestantismus
zum Katholizismus über, sichert jedoch die Rechte der Hugenotten
Galileo Galilei erhält in Pisa den Lehrstuhl für Mathematik
Die russische Kirche wird unabhängig. Das Patriarchat in Moskau wird gegründet
um – 560) Tyrannis des Peisistratos
Er wird nach Solon alleiniger Herrscher in Athen
Ionien gerät unter lydische Herrschaft (Kroisos), bis – 546
Thales von Milet lehrt, daß die
Erde eine Scheibe ist, die der Himmels-Halbkugel aufsitzt.
Wasser ist der Urstoff alles Wirklichen; der Mensch
stammt von einem fischähnichen Urwesen ab
1591) Mikroskop (H. und Z. Janssen)
1592) John Davis entdeckt die Falkland-Inseln
1594) Der Reichstag zu Regensburg bewilligt dem Kaiser Unterstützung gegen die Türken
Der erste Bücherkatalog erscheint auf der Leipziger Messe
1595) Niederländische Kolonisation in Ostindien
1596) Willem Barents, erster Überwinterer in der Arktis, entdeckt die Bäreninsel und Spitzbergen
Frankreich, England und die Niederlande verbünden sich gegen die
gegenreformatorischen Versuche Spaniens, in Frankreich Einfluß zu nehmen
1597) In Augsburg erscheint die erste Monatszeitschrift
1598) Das Volksbücher über die Schildbürger wird gedruckt
Die Hanse verliert an Bedeutung. England hebt die (Hanse-) Vorrechte des Stalhofs in London auf
1600) In England wird die Ostindische Handelskompanie gegründet (mit Handelsmonopol)
Erste Aktiengesellschaften ermöglichen Ansammlungen von Kapital
Gründung der Niederländisch-Ostindischen Kompanie als moderne Aktiengesellschaft
Blüte der Kunst und Wissenschaft in den Niederlanden
Erfindung des (astronomischen) Fernrohrs (Johannes Kepler)
In Rom wird Giordano Bruno als Ketzer öffentlich verbrannt
Peter Paul Rubens auf Schulungsreisen. Er wird später einer der Hauptmeister des Barock
Musik: Hans Haßler (verbindet in vollendeter Weise deutsche und italienische Musik)
Mystik: Jakob Böhme. Sein Erleuchtungszustand führt ihn zur innersten Geburt der Gottheit
Johannes Kepler: 3 Gesetze über die Planetenbewegung
Galileo Galilei: Fall- und Pendelgesetze (Begr. der quantitativ messenden Naturwissenschaft)
Neue Teutsche Gesänge und Lustgarten. Haßler wirkt in Augsburg, Nürnberg und Dresden
um – 550) Beginn der Blütezeit in Bildhauerkunst und Vasenmalerei
in Griechenland (z.B. Löwenplastik aus Milet)
um – 550) Südgriechenland schließt sich in dem von
Sparta gegründeten Peloponnesischen Bund zusammen
Knabenliebe der Spartaner verbreitet sich über ganz Griechenland und
wird von den Römern übernommen
– 546) Ionien: Beginn der persischen Herrschaft (Dareios). Eine Folge:
Abwanderung der ionischen Narurphilosophen nach Unteritalien
um 1600) 50% der Erde (33% ihrer Landfläche) sind bekannt (vgl. 10-12, 18-20, 22-24)

Letzte Tabelle Nächste Tabelle

Die Reformation sah, weil sie eine Protestbewegung gegen die religiös-politischen Umstände der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit war, in der reinen Urform des Christentums und den Evangelien eine Möglichkeit zur Erneuerung der Kirche. Sie rief dadurch aber auch die Gegenreformation auf den Plan, die spätestens 1534 mit der Gründung des Jesuitenordens durch den Spanier Ignatius von Loyola gegeben war. Begleiterscheinungen der Reformation waren Verfolgungen, Hexenwahn und überstiegene Inquisitionsprozesse. All diese Erscheinungen und Prozesse gab es aber auch in sozialrevolutionären Formen, z. B. durch die Bewegung der Wiedertäufer, die in Münster von 1534 bis 1535 ein Reich errichten und erst nach einem blutigen Kampf besiegt werden konnten. Soziale Unruhen führten aber auch zu Bauernkriegen, und zwar sowohl im Abendland als auch in der Antike. Der Einfluß des Volkes wuchs in dieser Phase in beiden Kulturen. Aufgrund ihrer gewachsenen wirtschaftlichen Macht wurden Großhandelsfamilien und andere Bürgerliche auch politisch immer mehr zu Konkurrenten der Alleinherrscher und zu Fürsprechern des Volkes. In der Antike geschah dies unter Führung von Tyrannen, im Abendland nicht selten unter mehr oder minder tyrannische Führung von Reformatoren und Gegenreformatoren, die einen politischen Ausgleich erzwingen oder abwehren konnten. In Spanien führte dies z. B. zu einem Frühabsolutismus und in England zu einer frühen konstitutionellen Monarchie, zu einer Oligarchie.
Einige Reformatoren standen auch der Mystik nahe, und Luther selbst veröffentlichte 1518 die mystische Erbauungsschrift Theolgia Deutsch. (Vgl. 8-10 und 10-12). Sie wurde nach der Reformation weitergeführt von Sebastian Franck (1499-1542) und Bombast von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus (1493-1541). Auf ihn berief sich auch der nachreformatorische Mystiker Valentin Weigel (1533-1588). Dieser verstand Gott als den unbegreiflichen Gegenwurf des Menschen und die Welt als den begreiflichen. Nach ihm trägt der Mensch in sich das Gute aus Gott, das Böse aus sich selbst, bleibt aber in seinem Wesen immer gut, da nur sein Wille böse werden kann. Aus Weigels Schriften lernte der Mystiker und dialektische Philosoph Jakob Böhme (1575-1624) den Gehalt der bisherigen Mystik kennen. Durch Jakob Böhme erfuhr die Mystik einen weiteren, vielleicht den Höhepunkt überhaupt, weil dieser Philosophus Teutonicus, nicht zuletzt durch seine Sprachgewalt, gleichermaßen auf einfache Gemüter wie auf differenzierteste Geister wirkte. Was Francis Bacon (1561-1626) für den methodologischen Empirismus, Galileo Galilei (1564-1642) für die Naturwissenschaft und Johannes Kepler (1571-1630) für die Astronomie bewirkten, das bewirkte Jakob Böhme für die mystisch orientierte deutsche Philosophie. Nicht nur durch seine barocke Sprache, sondern auch durch den Tiefeninhalt seiner Werke bereitete er den geistigen Boden der nächsten Phase vor. Böhme war also, wie Galilei und Kepler, bereits ein Vertreter des Barock, und sein Denken beeinflußte mindestens 3 ganze Phasen, also nach dem Barock auch noch Rokoko und Klassizismus, hier insbesondere die deutschen Romantiker. Die jetzige Phase der Renaissance und Reformation brachte durch seine Rückwärts- und Vorwärtsgerichtetheit gewissermaßen eine neue Kulturschriftart, die einerseits durch die Kultursprechart der Gotik ermöglicht worden war und andererseits durch die Loslösung von althergebrachten Mutterkulturbindungen zu neuen Bindungen führen konnte: das heliozentrische Weltbild galt der Kirche natürlich als ketzerisch und war nicht geduldet. Das neue Weltbild war in erster Linie das Verdienst der naturwissenschaftlich orientierten Vertreter dieser Phase, z. B. Nikolaus Kopernikus (1473-1543), Paracelsus (1493-1541), Andreas Vesal (1515-1564), Tycho Brahe (1546-1601), Giordano Bruno (1548-1600), Galileo Galilei (1564-1642) und Johannes Kepler (1571-1630). Hierbei spielte auch eine große Rolle, was sich schon im Nominalismus entwickelt hatte: der Empirismus, dessen methodologische Variante Francis Bacon (1561-1626) begründete. und die später durch eine erkenntnistheoretische Variante von John Locke (1632- 1704) erweitert werden sollte. (Vgl. 14-16).
Die auch Gutenbergs Buchdruck zu verdankende rasche Verbreitung der Wende beinhaltete die sogenannte Kopernikanische Wende zum Heliozentrischen Weltbild, die Reformation, die Eroberung der Welt durch die ozeanischen Seefahrer, die Entdeckung Amerikas, die Kolonisation der globalen Welt, die Weltumsegelung mit ihrem Beweis für die Kugelgestalt der Erde, das ebenfalls symbolträchtige Genie Leornado da Vinci (1452-1519) und den Kapitalismus, für den die Namen der Medici, Fugger und Welser stehen. Sie repräsentieren wirklich den Beginn einer neuen Zeit, die sich auch fortan Neuzeit nennen sollte. Diese Wende, der Sprung in die Neuzeit, geschah mit einem Schritt nach hinten und zwei Schritten nach vorn.
Analoge Philosophien
(12-14): 700-550 und 1450-1600
(12-14, 14-16, 16-18, 18-20, 20-22, 22-24)
1) Ionische Naturphilosophen Urstoff seit -650/-600 1) Naturwissenschaft/Heliozentrik seit 1500/1550
Analoge Theologien
– PURITANISMUS –
24) Orientalistische Renaissance seit – 8. / – 7. Jh.; Wende
25) Reformation (Orphiker) Renaissance seit – 7 Jh.; Wende
26) Dionysos als „letzter Gott“ im Olymp; seit – 7. Jh.; Wende
27) Zeus-Götterwelt; Theogonie von Hesiod; seit – 7. Jh.; Wende
28) Gegenreformation (6) Zeus-Götterwelt seit – 7. / – 6. Jh. 24) Humanistische Renaissance seit 14. / 15. Jh.; Wende
25) Reformation (Luther) Renaissance seit 15. / 16. Jh.; Wende
26) Neuscholastik (5) Reformation seit 15. / 16. Jh.; Wende
27) Neumystik (4) Paracelsus, Franck u.a. seit 16. Jh.; Wende
28) Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.

1453 hatte diese Bewegung mit dem Fall von Konstantinopel, dem Tod des Byzantinischen Reiches, begonnen: durch ihn kam die griechische Antike in Mode, aber der alte Seeweg nach Indien nicht mehr in Frage. Christoph Kolumbus (1451-1506) glaubte bis zu seinem Tode, daß er über den Weg nach Westen Indien erreicht und nicht einen neuen Kontinent entdeckt hätte. In Wirklichkeit hatte er am 12. Oktober 1492 Amerika entdeckt und Indien nicht erreicht. (). Der Portugiese Vasco da Gama (1468-1524) umfuhr 1498 das Kap der Guten Hoffnung und fand den gesuchten alternativen, den neuzeitlichen Weg nach Indien. Die Ozeanfahrten der abendländischen Seefahrer waren für jeden einzelnen Teilnehmer verbunden mit dem Risiko, nie mehr in den heimatlichen Hafen zurückzukehren, aber sie lernten, die Ostwinde über dem Atlantik so zu nutzen, daß die Rückkehr gelang und deshalb auch die Hoffnung wachsen konnte, den Seeweg nach Westen zu meistern und am Ende den gesamten Globus umsegeln zu können. Dem Portugiesen Fernão de Magalhães gelang die erste Weltumseglung von 1519 bis 1521. Kaiser Karl V. hatte ihm 5 Schiffe für eine Westfahrt zu den Gewürzinseln bewilligt. Die Rückreise unternahm Juan Sebastián Elcano von den Philippinen aus, nachdem Magalhães dort verstorben war. Mit dieser ersten Weltumsegelung war die Kugelform der Erde erwiesen.
Antike Menschen trauten sich nicht, über die Säulen des Herkules hinwegzusegeln. Was Ägypter und Phönizier ihnen an Seefahrerkompetenz vorführten, beeindruckte sie offenbar nicht sonderlich. Sie blieben auch in Bezug auf das Meer polisorientierte und den geographischen Raum körperhaft abschirmende Grenzgänger. Als maritime Eroberer segelten sie an den Küsten entlang, als ob sie die sichernden Ufer nie verlassen dürften. Aus dem Grunde blieb die antike Kolonisation eine reine Eroberung der Küstenstreifen, die auf typisch antike Weise mit wohlgeformten und abgegrenzten Punkten versehen wurden; diese einzelnen Handelsstützpunkte wurden dann zu neuen Stadtstaaten. Aber auch in der Antike ergaben sich durch die Kolonisation neue Sichtweisen und intensivere Kontakte mit fremden Kulturen, etwa der sumerisch-babylonischen. Ihre Renaissance orientierte sich am Orient, wo gerade Assurbanipal (668-626) die große Bibliothek in Ninive gegründet hatte und unter Nebukadnezar (604-562) der Turmbau zu Babel zu Ehren des Stadtgottes Marduk vollzogen wurde und die Hängenden Gärten auf dem Dach des Königspalastes in Babylon gepflanzt waren. Zu dieser Zeit übernahm man in Rom die griechische Buchstabenschrift (um 600).
Thales von Milet (650-570), Philosoph und Mathematiker, war der Begründer der ionischen Naturphilosophie und frühester Vertreter des Hylozoismus. Er gilt als der erste griechische Philosoph und galt schon in Griechenland als einer der Sieben Weisen. Thales nahm als Seinsgrund des Kosmos nicht mythische Kräfte, sondern das Wasser an. Der nach ihm benannte geometrische Lehrsatz (Satz des Thales) war bereits den Babyloniern bekannt: alle Winkel, deren Scheitel auf einem Halbkreis, dem sogenannten Thales-Kreis, liegen und deren Schenkel durch die Endpunkte eines Durchmessers gehen, sind rechte Winkel. Über die Natur schriebAnaximander (611-545), ein Schüler des Thales von Milet (650-570). Es ist die erste aus der antiken Kultur schriftlich überlieferte philosophische Abhandlung. Durch die mesopotamische Renaissance wurden die Griechen Schüler babylonischer Weisheit. Sowohl die Antike als auch das spätere Abendland erinnerten sich mittels ihrer Renaissance also an einen Teil ihrer Kultureltern: Sumer einerseits, Antike andererseits. Als liturgische und wissenschaftliche Sprachen wurden tote Sprachen wiederentdeckt und konserviert: Sumerisch in der Antike, Latein und Griechisch im Abendland. Auch die Kolonisation begann hier (750/700) wie dort (1400/1450) durch Bildung von Stützpunkten an den entfernt liegenden Küsten – hier mit der Mutterpolis Milet, dort mit dem Mutterland Portugal verbunden. Die Kolonisation brachte auch ein neuartiges, elementar hervorbrechendes Lebensgefühl, ausgelöst durch den Aufschwung des Handwerks, die Ausweitung des Seehandels und des Bevölkerungsüberschusses. Hesiod (um 700) soll geraten haben, sich auf ein Kind zu beschränken, was zur Folge gehabt haben soll, daß immer mehr Neugeborene ausgesetzt wurden. Weitere Gründe waren die Verschuldung der Bauern, die politische Emigration und die sozialen Gegensätze. Diese Gründe lassen sich auch für das Abendland anführen, wenn auch in einem anderen Maßstab, der sich aber durch das Ursymbol und das faustische Seelenbild erklären läßt. Ein auf Abenteuer und Wissen abzielender Abendländer emigrierte damals nicht über das Mittelmeer, sondern über den Atlantik. In beiden Kulturen sollte die erste große Auswanderungswelle aber erst in der nächsten Phase erfolgen. So wanderten z. B. die Ionier, unter ihnen auch die ionischen Naturphilosophen, wegen der 546 v. Chr. beginnenden persischen Herrschaft in Ionien nach Unteritalien und die puritanischen Pilgerväter mit der Mayflower 1620 nach Nordamerika aus. (Vgl. 14-16).
In Griechenland begann um etwa 625 v. Chr. der dorische Baustil, der vielen späteren antiken Baustilen als Vorlage dienen sollte und dem wohl selbst der mykenische Baustil als Vorlage gedient haben dürfte. Die dorische Säulenordnung spricht jedenfalls auch dafür.
Dorische Ordnung bedeutet, daß die dicke, kurze und stark verjüngte Säule – mit einem ausladenden und flachen Kapitell, aber ohne Basis – die Spannung zwischen Tragen und Lasten in sich austrägt. Auf dem Abakus des Kapitells ruht das Gebälk: zunächst der Aritrav (Tragebalken), auf dem der Fries mit Triglyphen und Metopen liegt. An der Unterseite des Geison (Dachgebälk) ist über jeder Metope und Tryglyphe ein Mutulus (Hängeplatte) mit Guttae (Tropfen, Stäbchen) angebracht, darüber der Giebel mit Sima (Blende) und Akroter (Schmuckglied). Einer der schönsten dorischen Tempel ist der sogenannte Poseidon-Tempel (eigentlich: Hera-Tempel). Mit 2 anderen bildet er das Zentrum der Stadt Paestum, einer griechischen Kolonie in Süditalien.

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Dorische Säulenordnung. Das Kapitell ist ein Zwischenglied zwischen Stütze und Last

Während der Zeit des dorischen Baustils hielt die orientalisierende Renaissance zwar noch an, doch kann man die Dorik als die eigentlich griechische Entwicklung ansehen, nämlich als Gegenbewegung zu orientalisierenden Renaissance. Was die Dorik für die Antike war, war die Spätgotik für das Abendland: eine eigene Bewegung zur fremdelnden Renaissance-Bewegung. So gesehen waren die Renaissancen Zwischenspiele. Demzufolge führte die Dorik zur Ionik, die Gotik zum Barock. (Vgl. 10-12 und 14-16). Die dorischen Säulen waren mit der Zeit immer höher und schlanker geworden, bei den ionischen, die von Anfang an eine grazilere Gestalt besaßen, schritt dieser Prozeß fort. Frühestens um 570 v. Chr. wechselte die ionische Säulenordnung die dorische ab. (Vgl. Ionik).
Als in Babylonien der sagenhafte Turm um 590 v. Chr. gebaut wurde, konnte natürlich noch niemand ahnen, daß einen platonischen Weltmonat später, um 1563, Pieter Brueghel d. Ä. sein Bild Turmbau zu Babel vollenden würde. Der Athene-Tempel auf der Akropolis in Athen wurde 595 v. Chr. erbaut, 2150 Jahre später vollendeten die Habsburger ihr Schloß Belvedere in Prag (1536-1558). Solch eine Schöne Aussicht bezog sich wahrscheinlich auf den im Vatikan zuerst angelegten und mit Bildwerken zusätzlich versehenen Gartenpalast Belvedere von 1490. Jedenfalls hatten diese später zu hohem Bekanntheitsgrad gelangenden Lustschlösser namens Belvedere ihre Hochkonjunktur noch vor sich. Die meisten von ihnen sollten also erst in den nächsten Phasen gebaut werden. (Vgl. 14-16 und 16-18).
Von einem Renaissance-Baustil kann im eigentlichen Sinne kaum gesprochen werden, da sich die italienische Renaissance von der übrigen, nordischen Renaissance zu stark unterscheidet. Eine auf das Gebiet von Ober- und Mittelweser beschränkte Einzigartigkeit wurde mit der norddeutschen Renaissance-Baukunst erreicht. Diese Schlösser, Rathäuser, Bürgerhäuser und andere Bürgerbauten entstanden fast ausnahmslos im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. Kirchliche Bauten im Stil der Renaissance entstanden hauptsächlich in Italien, und zwar zunächst als Zentralbauten, die die bisherigen Langhäuser ersetzen sollten. Versehen mit einer Kuppel, sollten sie auch die Steilheit der Gotik verdrängen. Wenn man sich solche Bauten ansieht, fragt man sich, ob der Renaissance wirklich an einer Wiedergeburt der Antike oder mehr an der Eifersucht auf die Gotik gelegen war. Eine Wiedergeburt gab es durch sie jedenfalls nicht. Auch die Renaissance-Musik ist ein schwer einzugrenzender Stilbezirk, denn die Gotik der Niederländer und Niederrheiner ging hier fast unmittelbar in den Barock über. Der Humanismus fand seinen musikalischen Niederschlag in der Odenkomposition: Paul Hofhaimer (1459-1537), der berühmte Orgelmeister am Hofe Maximilians I. und einer der größten Liedkomponisten der deutschen Humanismus-Renaissance-Zeit, Martin Agricola (1486-1556), ein Freund Luthers, der sich um den deutschen Choral bemühte und interessante Werke über die Musikpraxis seiner Zeit schrieb, Benedictus Ducis (1480-1544) und Ludwig Senfl (1490-1543), der Kammerkomponist am Hofe Maximilians I. und nach dessen Tode (1519) am Münchener Hof tätig war.
Diese Phase der Rückschau und Reformen brachte in der Antike tatsächlich so etwas wie einen kulturellen Schrifterwerb hervor, wenn man darunter versteht, daß der antiken (griechischen) Kultur der Vorteil bewußt wurde, schriftlich Wertvolles zu hinterlassen, wie die ersten griechischen Philosophen beweisen: Thales, weil er der Lehrer Anaximanders war, und Anaximander, weil seine Abhandlungen schriftlich überliefert werden konnten. Sie waren die ersten antiken Philosophen und, als ionische Naturphilosophen auf der Suche nach dem Urstoff, wegweisend für den weitern philosophischen Verlauf der Antike. Die Antike war mit dieser schriftlichen Überlieferung schulreif geworden. Wer auf Konevention beruhende Kulturschriften sicher überliefern (lesen und schreiben) kann, der ist für die nächste Phase, die Wissensschulung und Rationalisierung, gerüstet. (Vgl. 14-16). Mit dem Ende der griechischen Kolonisation (um 540 v. Chr.), das Karthago und Etrurien durch die Vertreibung der Griechen aus Korsika und Sardinien herbeiführten, mit der ab jetzt zur Routine werdenden Knabenliebe der Spartaner, die sich in Folge über den gesamten antiken Raum verbreitete, und mit der Einführung öffentlich aufgeführter Tragödien in Athen durch Thepsis (534 v. Chr.), sehen wir bereits den Beginn der nächsten Phase. (14-16). Hier folgte auf die griechische Seevorherrschaft eine karthagische, dort auf eine spanisch-portugiesische eine englisch-niederländische. Im Abendland wurde die nächste Phase eingeleitet durch den Sieg der Engländer über die Spanier bzw. deren Armada (1588), durch berühmte Geister wie Francis Bacon (1561-1626), Galileo Galilei (1564-1642), Johannes Kepler (1571-1630), Jakob Böhme (1575-1624), Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616) und William Shakespear (1564-1616), aber auch durch die von Papst Gregor XIII. eingeführte Kalenderreform (1582) und durch die das Deutsche Reich unmittelbar betreffende Gegenreformation in Bayern (1563) und Österreich (1579). In dieser Zeit wurde in Italien der für den barocken Stil prägende Kirchenbau von Vagnoli begonnen (1564) und vollendet (1584): Il Gesù in Rom. Im Barock sah die durch die Gegenreformation gestärkte katholische Kirche ihre offizielle Kunst und dami auch wohl ihren Sieg über die Reformation. Weltweit setzte die Gegenreformation allerdings schon früher ein, weil die protestantische Spaltung die katholische Restauration herausgefordert und damit gefördert hatte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Abendland aber noch mitten im spanischen Zeitalter:
Ignatius von Loyola (1491-1556) gründete 1534 den Jesuitenorden, die Societas Jesu (S.J.), und wollte mit seinen 7 Gefährten missionieren oder sich dem Papst bedingungslos zur Vefügung stellen. 1540 wurde der Orden durch Papst Paul III. bestätigt. Die Verfassung des Ordens sah einen gewählten General vor (Schwarzer Papst), der die Provinzen und Häuser des Ordens militärisch-absolutistisch leitete. Hier herrschte Kadavergehorsam, und das einzige Ziel war die Bekehrung der Ketzer und Heiden. Deshalb wurden die Jesuiten gezielt an Fürstenhöfen als Prinzenerzieher und Beichtväter, an Schulen und Universitäten als Lehrer, Prediger und Missionare eingesetzt. Der Jesuitenorden war der wichtigste Orden zur Erneuerung der Papstkirche, zur Ketzerbekämpfung und Weltmission, besonders in Amerika, Indien, Japan und China.
So wie im antiken 7. Jahrhundert v. Chr. die ersten Tyrannen in Sparta und Drakon in Athen auftraten, so bekam das abendländische 16. Jahrhundert in Spanien bereits einen Vorgeschmack auf den Absolutismus. Was die deutschen Habsburger in Spanien vormachten, das sollten im 17. Jahrhundert viele anderer abendländische Herrscher nachmachen. Machtpolitisch vertraten diese erste Phase der Neuzeit die habsburgisch-spanische Weltmacht und ihre Gegenspieler, die reformatorisch-protestantischen Staaten. Die nächste Phase sollte diese machtpolitischen Verhältnisse umkehren: reformatorisch-protestantische Mächte wie die Seemächte England und Holland, aber auch die Skandinavier und die Protestantenfürsten in Deutschland (Union) gegenüber katholisch-gegenreformatorischen Mächten wie die Seemacht Spanien (in Personalunion mit Portugal seit 1580), aber auch Frankreich und die katholische Liga des Deutschen Reiches. Doch der Mittelpunkt der Politik blieb Spanien, mit dem Barock und Absolutismus in Schwung kamen. (Vgl. 14-16).

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Anmerkungen:

„Die kleine Baham-Insel Guanahaní, deren Küste Kolumbus am 12. Oktober 1492 als erste in der Neuen Welt betrat, erhielt von ihm den Namen San Salvador, eine Bezeichnung, die im Geist der Bringer-Ideologie das Höchste repräsentierte, was die Eroberer mit sich führen konnten. … Jene Insel, die heute Kuba heißt, hatte von Kolumbus den Namen Santa Maria de la Concepción erhalten – womit die Heilige Familie karibisch etabliert war. Das spätere Haiti genoß eine Weile den Vorzug, als Klein-Spanien, Hispaniola, apostrophiert zu werden. … Freilich heißt auch der Kontinent, den Kolumbus entdeckte, der mittel- und südamerikanische, nicht nach ihm selbst, wie es sich nach den Regeln des Globalisierungsspiels gebührte, sondern nach einem seiner Rivalen im Wettlauf um die Erschließung der Neuen Welt. Infolge einer problematischen Tauf-Hypothese des deutschen Kartographen Martin Waldseemüller aus dem Jahr 1507 blieb der feminisierte (weil Kontinente -Gefäße des Lebens – weiblich sein müssen) Vorname des Kaufmann-Entdeckers Amerigo Vespucci an dem Kontinent hängen, dessen Ostküste der Florentiner nach unsicheren Quellen im Jahr 1500 bis zur Amazonasmündung erforscht haben soll. In diesem Benennungserfolg spiegelt sich die Durchsetzungskraft einer von Waldseemüller publizierten, annähernd herzförmigen planisphärischen Weltkarte, die zugleich die älteste im Holzschnitt-Verfahren gedruckte Karte darstellt. Zu ihrer Durchsetzung – sie soll eine Auflage von eintausend Stück gehabt haben, von der sich nur ein einziges bekanntes Exemplar erhalten hat – trug eine Begleitschrift bei, die noch im Jahr ihres Erscheinens dreimal nachgedruckt werden mußte. Aus derselben Zeit stammt der Waldseemüller-Globus, der für die Südhälfte der Neuen Welt denselben Benennungsvorschlag – America – aufweist. Es bleibt zu erwägen, ob nicht die Herzförmigkeit der Karte zu dem Triumph von Waldseemüllers kosmographischem Bravourstück Entscheidendes beigesteuert hat, denn was konnte für die weltvorstellende Einbildungskraft ergreifender sein als der Gedanke, den gesamten Flächeninhalt der irdischen Kugel auf einem großem Herzen abzubilden? Daß sich Waldseemüller später von seiner Vespucci-Hypothese abwandte, konnte den Siegeszug des von ihm (und Matthias Ringmann) lancierten Namens nicht mehr aufhalten. Auf dieser Grundlage sollten sich die Länder der Neuen Welt zu den Vereinigten Staaten der Falschbenannten entwickeln.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II – Globen, 1999, S. 922-925).
Johannes Faust (um 1480 – 1536 oder 1540), deutscher Arzt, Astrologe und Schwarzkünstler, war nach seinem Theologiestudium in Heidelberg u.a. in Erfurt (1513), in Bamberg (1520), in Ingolstadt (1528) und in Nürnberg (1532). Er stand in Verbindung mit humanistischen Gelehrtenkreisen und hatte anscheinend Kenntnisse auf dem Gebiet der Naturphilosophie der Renaissance (magia naturalis). Schon zu seinen Lebzeiten setzte die Sagenbildung ein, besonders durch Übertragung von Zaubersagen auf ihn, in denen er vor allem als Totenbeschwörer auftrat. Sein plötzlicher (gewaltsamer?) Tod gab Anstoß zu Legenden, der Teufel habe ihn geholt. Diese Stoffe wurden Grundlage eines Volksbuches. Das erste Faustbuch erschien 1587 bei J. Spies in Frankfurt (Main). Mit einer um 1575 niedergeschriebenen Wolfenbüttler Handschrift des Faustbuches geht diese Fassung auf eine gemeinsame, nicht erhaltene Vorlage zurück. Das Spies’sche Faustbuch wurde 1599 in Hamburg neu bearbeitet von G. Widmann, dessen Fassung später (1674) von J. N. Pfitzer gekürzt wurde. Das älteste überlieferte Faust-Drama ist The tragical history of Doctor Faustus (entstanden 1588) von C. Marlowe. Es schließt sich eng an das Spies’sche Faustbuch an. Den Anfang bildet der Faustmonolog, ein nächliches Selbstgespräch des Faust, in dem dieser die einzelnen Universitätswissenschaften, einschließlich der Theologie gegeneinander abwägt, sie alle verwirft und sich der Magie verschreibt. Dieser Faustmonolog wurde ein festes Bauelement fast aller späteren Faustdramen. Faustspiele waren bei den englischen Komödianten in Deutschland (zuerst 1608 in Graz bezeugt) und später den deutschen Wandertruppen beliebt, worauf dann das Puppenspiel vom Doktor Faust, das seit 1746 bezeugt ist, fußt. (Vgl. 16-18 und Goethe).
Johann Wolfgang Goethe (28.08.1749 – 22.03.1832): Urfaust (1772-1775), Faust (Fragment, 1790), Teil I, 1806, Teil II, 1831.
Johann Wolfgang Goethe (28.08.1749 – 22.03.1832), „Faust“ (I), 1806, S. 27, „Faust“ (II), 1831, S.113ff.
Oswald Spengler (1880-1936), Der Untergang des Abendlandes, 1917 (Band I), 1922 (Band II).
Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen – wie unzählige andere Beispiele auch – für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.
Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Spengler, 1922, S. 847f.).
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) veröffentlichte seine nicht-euklidischen Geometrien nicht, weil er das Geschrei der denkfaulen, schwerfälligen und unkultivierten Menschen fürchtete. Er nannte sie Böoter, weil die Einwohner dieser antiken Landschaft (Hauptstadt: Theben) von den Einwohnern anderer Griechenstädte als denkfaul und schwerfällig beschrieben worden waren. Gauß meinte zu Recht, daß man die Menschen nicht wirklich würde überzeugen können. Die erste der nichteuklidischen Geometrien entdeckte Gauß nach Vollendung seines Hauptwerkes Disquisitiones arithmeticae (1801), durch deren in sich widerspruchslose Existenz bewiesen wurde, daß es mehrere streng mathematische Arten einer dreidimensionalen Ausgedehntheit gibt, die sämtlich a priori gewiß sind, ohne daß es möglich wäre, eine von ihnen als die eigentliche Form der Anschauung herauszuheben. (Vgl. 18-20).
Römisch-katholische Interpretationen attestieren dem Abendland zumeist, daß in ihm die Dominanz des Christlichen überwiege. Diese Meinung teilen vor allem kirchliche und vornehmlich christlich orientierte Vertreter. Theodor Heuss (31.01.1884 – 12.12.1963) soll einmal gesagt haben, daß Europa von 3 Hügeln ausgegangen sei: von der Akropolis, von Golgatha und vom Kapitol. Diese Sichtweise würde eher, wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, auf eine Dominanz der Antike verweisen. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß aus einem antik-apollinischen Einzelkörper und einer magisch-seelengeistigen Welthöhle ein abendländisch-faustischer Unendlichkeitsraum entstehen kann, dann muß unbedingt ein dritter Faktor hinzukommen, den ich die Kulturpersönlichkeit nenne: das Germanentum. Ohne das Germanentum versteht man die Willensdynamik eines Faust nicht, und ohne das germanische Element ist die Raumtiefe, aber auch die in jeder Hinsicht sowohl ins Mikrokosmische als auch ins Makrokosmische gehende Unendlichkeit nicht als distinktives Merkmal der abendländischen Kultur zu identifizieren. Diese Merkmale treffen auf keinen antiken Menschen zu, aber insbesondere auf die Abendländer, die germanischen Ursprungs sind. Scharfe Gegensätze, wie die zwischen Antike und Abendland, sind zwar unbedingt ein Indiz für Verwandtschaft, weil beide Kulturen so auffallend gegensätzlich sind: aktiv und reaktiv. Offenbar hat die Antike auf das Abendland aber nicht persönlichkeitsstiftend gewirkt und konnte auch erzieherisch nicht tätig werden, weil sie so früh verstarb. Die Biogenetik und Sozialisation geraten nicht selten so weit auseinander, wenn ein Elternteil früh verstirbt, d.h. nicht wirklich erlebt wird. Dem Abendland scheint es auch so ergangen zu sein. Die Auseinandersetzungen mit der magischen Mutter hat beim Kind jedoch zu einer enormen, fast schon verdächtigen Erinnerung bis hin zur Vergötterung des antiken Vaters Beitrag geleistet. Aber liegt deshalb immer auch schon ein Vaterkomplex vor? Es bleibt zunächst festzuhalten, daß auch kulturell zwischen Genetik und Sozialisation, zwischen Anlage und Umwelt, zwischen angeboren und anerzogen ganz klar unterschieden werden muß. Dazwischen bewegt sich die Persönlichkeit. Man kann sie nicht isolieren, folglich auch nicht isoliert betrachten, aber man kann sie beschreiben, und ich beschreibe die Kulturpersönlichkeit des Abendlandes als germanisch, weil dieser Raum zwischen Anlage und Umwelt für die Kulturpersönlichkeit zwanghaft unendlich werden muß, wenn sie die verlorene Vaterkultur zurückholen will. Der unendliche Raum und Wille sind auch deshalb Ursymbol und Urwort des Abendlandes. Wenn der Mensch eine Grundlage von etwa 60 Billionen Zellen hat und einer Umwelt von praktisch unendlicher Vielfalt ausgesetzt ist, so gilt für eine Kultur, daß sie Völker, Staaten oder Nationen zur Grundlage hat und einer Umwelt von unendlichen Möglichkeiten, aber auch gähnender Leere gegenübersteht. Mit dem Germanentum fiel eine faustische Entscheidung zugunsten der unendlichen Möglichkeiten. Die Eltern des Abendlandes waren also antik-magisch, ihre gentragenden Chromosomen römisch-christlich, aber die Kontrollgene germanisch. (Vgl. 22-24).
Fürst (zu althochdeutsch furisto, der Vorderste)ist seit dem Mittelalter die Bezeichnung für die höchste Schicht des hohen Adels, die durch ihre besondere Königsnähe an der Herrschaft über das Reich, besonders in seiner territiorialen Gliederung, teilhatte (Reichsadel), v.a. Herzöge und Herzogsgleiche sowie Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte der Reichsabteien. Ihnen stand das Recht der Königswahl zu und die Pflicht, bei Entscheidungen in Reichssachen mitzuwirken. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation konnten zunächst alle freien, dann alle Reichsfürsten den König wählen. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts kristallisierten sich bei der Wahl des Königs immer mehr entscheidende Fürsten heraus. Spätestens aber im 13. Jahrhundert ergab sich aus den Fürsten heraus der engere Kreis der Königswähler, die Kurfürsten, deren Sonderstellung in der Goldenen Bulle von 1356 festgelegt wurde. Weltliche und geistliche Reichsfürsten hatten Sitz und Stimme im Reichstag. Seit dem staufisch-welfischen Thronstreit (1198) mußten die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie der Pfalzgraf bei Rhein (die Rheinpfalz) an einer gültigen Wahl beteiligt sein. Der Sachsenspiegel (1224-1231) zählt 2 weitere Kurfürsten als Vorwähler oder Erstwähler auf: den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg. Mit der Doppelwahl von 1527 traten zum ersten mal die 7 Kurfürsten (einschließlich des vom Sachsenspiegel abgelehnten Königs von Böhmen) als alleinige Wähler auf. Bei der Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) war das Kurfürstenkollegium (Kurkollegium) ein geschlossener Wahlkörper. Seine Entstehung – vom Sachsenspiegel aus dem Besitz der Erzämter erklärt – war also letztlich ein Ergebnis des Interregnums: eine Verhinderung der erblichen Thronfolge, ein Erwerb von Reichsgut und wichtigen Reichsrechten durch die Kurfürsten. Das Wahlrecht schränkte sich auf 3 geistliche und 4 weltliche Kurfürsten ein, die vom Kandidaten Sonderrechte (Kapitulationen) und politisches Mitspracherecht (Willebriefe) forderten, ein schwaches Königtum wünschten und deshalb die Krondynastie wechselten. Die Kurfürsten wurden häufig zu Gegenspielern des Königtums. Zur Gültigkeit der Wahl mußten mindestens 4 Kurfürsten anwesend sein. Die Mehrheitswahl wurde zuerst im Kurverein von Rhense (1338) für rechtsmäßig erklärt und 1356 in der Goldenen Bulle als Reichsgrundgesetz festgelegt, die auch die Beratung von Reichsangelegenheiten durch die Kurfürsten auf Kurfürstentagen verbriefte. Im 15. Jahrhundert wurde das Kurfürstenkollegium zur 1., vom Reichsfürstenrat getrennten Kurie des Reichstages. Die böhmische Kurwürde ruhte 1519 bis 1708 mit Ausnahme der Beteiligung an der Königswahl; die Kur des geächteten Pfalzgrafen bei Rhein wurde 1623 Bayern übertragen, der Pfalz aber 1648 eine 8. Kurwürde zugestanden. Braunschweig-Lüneburg (Hannover) hatte seit 1692 eine 9. (1708 vom Reichstag bestätigt), nach der Vereinigung Bayerns mit der Kurpfalz 1777 die 8. Kurwürde inne (seit 1778). 1803 wurden die Kurstimmen von Trier und Köln aufgehoben, die Mainzer Kur auf Regensburg-Aschaffenburg übertragen. Neugeschaffen wurden die Kurfürstentümer Salzburg (1805 auf Würzburg übertragen), Württemberg, Baden und Hessen-Kassel. Am Ende des 1. Deutschen Reiches gab es 10 Kurfürsten. (Vgl dazu die entsprechenden Phasen 6-8, 8-10, 10-12, 12-14, 14-16, 16-18, 18-20)
Kurverein von Rhense war der Zusammenschluß der Kurfürsten (ohne Böhmen) am 16.07.1338 in Rhense (Rhens, Rhein-Lahn-Kreis) zur Verteidigung des Reichsrechts und ihrer Kurrechte besonders gegen päpstliche Ansprüche. Die Kurfürsten setzten in einem Rechtsspruch fest, daß der von ihnen oder ihrer Mehrheit zum Römisch-Deutschen König gewählte nicht der päpstlichen Anerkennung bedürfe.
Die Kurie ist (seit dem 11. Jh.) die Gesamtheit der in der Leitung der röm.-kath. Kirche tätigen Organe des Apostolischen Stuhls in Rom.
Landsknechte waren vom Ende des 15. bis Ende des 16. Jhs. die in kaiserlichen Landen geworbenen Fußsöldner unter und seit Maximilian I. (König seit 1486, Kaiser von 1493-1519) bzw. dessen erfolgreichen Landsknechtsführer Georg von Frundsberg (1473-1528).
Humanismus ist ein reflektierter Anthropozentrismus, der vom Menschen ausgeht und die Wertsetzung des Menschen zum Objekt hat – unter Ausschluß dessen, was ihn selbst sich entfremdet, entweder indem es ihn übermenschlichen Mächten und Wahrheiten unterwirft oder indem es ihn untermenschlichen Zwecken nutzbar macht. Auf die vorhistorischen Hominiden folgte der historische Hominide namens Homo sapiens sapiens, auf den vormodernen Humanismus folgt der moderne Hominismus. Damit schließt sich vorerst der Kreis. Schon im 13. Jahrhundert sollen Alchimisten erste Experimente unternommen haben, um einen künstlichen Menschen im Reagenzglas zu erzeugen. Goethe ließ im 2. Teil des Faust den Famulus Wagner einen Homunkulus nach Anleitung des Paracelsus erzeugen. Heute scheinen sich die Möglichkeiten zur Erschaffung des Menschen nach eigenen Wünschen konkretisiert zu haben. Vgl. hierzu: 22-24.
Leonardo da Vinci (15.04.1452 – 02.05.1519), Maler, Bildhauer, Baumeister, Zeichner und Naturforscher. Er wurde beim Bildhauer und Maler Verrocchio (1436-1488) ausgebildet, kehrte nach langjähriger Tätigkeit (1482-99) am Mailänder Hof des Herzogs Ludwig von Mailand nach Florenz zurück, ging dann (1596) jedoch auf Einladung des französischen Statthalters wieder nach Mailand. 1513 begab er sich in Erwartung päpstlicher Aufträge nach Rom und folgte 1516 einer Einladung des ihn verehrenden Königs Franz I. nach Frankreich. Von der überraschenden Vielseitigkeit Leonardos legen v.a. seine Zeichnungen (in Silberstift, Feder, Kreide, Kohle, Rötel oder Tusche) Zeugnis ab. Sie beziehen sich nicht nur auf vollendete oder geplante Werke in Malerei, Plastik und Architektur, sondern weisen Leonardo als Wegbereiter einer anschaulichen Naturforschung auf dem Gebiet der Anatomie, Botanik, Zoologie, Geologie, Hydrologie, Aerologie, Optik und Mechanik aus. Als Naturforscher und Techniker war Leonardo ein typischer Empiriker.
Der Deutsche Nikolaus Kopernikus (1473-1543), Astronom und Domherr in Frauenburg (Ostpreußen), studierte neben allgemeinen Fächern auch Medizin und Jura (er schrieb in lateinischer und deutscher Sprache [vgl. Quellen]). Seine Mutter hieß Barbara Watzenrode, sein Vater hieß Nicolai Koppernick (Kopernikus), der aus Köppernig bei Neiße (Schlesien) stammte, seine Geschwister hießen Andreas, Barbara und Katharina. Die Familie Kopernikus gehörte zur Bürgerschaft der Hansestadt Thorn an der Weichsel und wohnte dort in der St.-Annen-Gasse. Der Vater war ein wohlhabender Kupferhändler und Regierungsbeamter. Nikolaus war zehn Jahre alt, als sein Vater 1483 starb. Sein Onkel Lucas Watzenrode (1447-1512), der Bruder seiner Mutter Barbara Watzenrode, sorgte für die Ausbildung der vier Waisen und wurde 1489 Fürstbischof im Ermland. Der ältere Bruder Andreas schlug den gleichen Lebensweg wie Nikolaus ein, erkrankte aber um 1508 an Aussatz, wurde später ausgeschlossen und starb vermutlich um 1518. Die ältere Schwester Barbara wurde Äbtissin im Kulmer Kloster, die jüngere Katharina heiratete Barthel Gertner. Nikolaus Kopernikus hielt stets seine Familienkontakte aufrecht. So sorgte er später für Kinder des Reinhold Feldstett, der mit der Tochter eines Onkels von Kopernikus, Tilman von Allen, verheiratet war. Im Danziger Dokument erschien als gemeinsamer Vormundt der „Frauenburger Domherr vor Burgermeister und Rathman der stadt Dantzick … Hern Nicolai Koppernick, des wirdigen gstichts zur Frauenborck thumherrn im jare tawsent funfhundert sechs und dreysick.“ (Leopold Prowe, Nicolaus Copernicus, 1883-1884, S. 265). Nikolaus Kopernikus hatte als Administrator die Regierungsgeschäfte zu regeln. In den Verhandlungen über die Reform des preußischen Münzwesens erarbeitete er die Position der preußischen Städte. Er gab dazu ein Schreiben heraus, das noch Jahrhunderte später als wegweisend für die Geldtheorie angesehen wurde. Die Astronomie war seine private Hauptbeschäftigung. Er erkannte, daß das „geozentrische System“ für die Vorhersage der Planetenpositionen über längere Zeiträume ungeignet war. Etwa 1507 schon griff er deshalb auf die Idee des Aristarchos von Samos (320-250) zurück, statt der Erde die Sonne als ruhendes Zentrum des Planetensystems anzunehmen und erarbeitete das „heliozentrische System“, in dem er die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne beschrieb und die tägliche Umdrehung des Fixsternhimmels als Rotation der Erde um die eigene Achse erklärte. Kopernikus veröffentlichte sein Hauptwerk („Von den Kreisbewegungen der Himmelskörper“, 1543) kurz vor seinem Tod. Ob es Zufall war, daß die Bücher von Vesal und Kopernikus im selben Jahr – 1543 – erschienen? Jedenfalls kam Kopernikus‘ Hauptwerk im Jahre 1616 auf den Index.
Paracelsus (1493-1541), der eigentlich Bombast von Hohenheim hieß, wurde schon zu seinen Lebzeiten Luther der Medizin genannt. Für Paracelsus war Medizin die allumfassende Gesamtwissenschaft, fußend auf Physik, Chemie Physiologie, mündend in Philosophie und Theologie. Er lehrte: All unser Wissen ist Selbstoffenbarung, all unser Können ist Mitwirkung mit der aus Gott stammenden Natur. Alle Wesen bestehen aus einem elementaren, irdischen, sichtbaren Leib und einem himmlischen, astralen, unsichtbaren Lebensgeist (Archeus bzw. Archaeus). Beim Menschen, dem Mikrokosmos, kommt dazu noch die dualische (göttliche) Seele, die Quelle des Erkennens, der Sittlichkeit, der Seligkeit. Demgemäß ist ein kranker Mensch stets 3fach: leiblich, seelisch, geistig erkrankt und muß 3fach kuriert werden. Der Mensch (Mikrokosmos) ist Abbild des Makrokosmos.
Andreas Vesal (Silvesternacht 1514/1515 – 1564), deutsch-flämischer Mediziner, Prof. der Chirurgie und Anatomie in Padua. Zusammen mit dem Maler J. S. van Kalkar, der die anatomischen Tafeln anfertigte, schuf er das erste vollständige Lehrbuch der menschlichen Anatomie („Vom Bau des menschlichen Körpers“, 1543) . Später war er u.a. auch Leibarzt des deutschen Kaisers (Karl V.).„Was eine »Revolution« wirklich bedeutet, läßt sich am ehesten im Blick auf die Durchbrüche der Anatomen im 16. Jahrhundert erläutern, die sich vorgenommen hatten, das menschliche Körperinnere durch Schnitte zu öffnen und mittels deskriptiv adäquater Abbildungen zu publizieren. Mag sein, daß die vesalische »Revolution« für die Selbstverhältnisse westlicher Menschen viel folgenreicher war als die seit langem überzitierte und mißdeutete kopernikanische Wende.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III – Schäume, 2004, S.70).
Den eigenen Leib-Innenraum von der Möglichkeit seiner anatomischen Veräußerlichung her verstehen: dies ist das primäre kognitive »Revolutions«resultat der Neuzeit – vergleichbar nur mit der weltbildverändernden Gewalt der ersten Erdumsegelung durch Magellan und del Cano.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III – Schäume, 2004, S.72).
Tycho (Tyge) Brahe (14.12.1546 – 24.10.1601), dänischer Astronom. König Friedrich II. von Dänemark ermöglichte ihm den Aufbau eines Observatoriums auf der Insel Ven. Seit 1599 war Brahe Astronom des deutschen Kaisers (Rudolf II.) in Prag und steigerte durch Verbesserung der Beobachtungsverfahren die Meßgenauigkeit. Er hinterließ Kepler (1571-1630) Aufzeichnungen über genaue Positionen des Mars, aus denen dieser die Gesetze der Planetenbewegungen ableitete; Brahe selbst blieb Anhänger eines von ihm modifizierten geozentrischen Weltsystems.
Giordano Bruno (1548-1600) wurde 1563 Dominikanermönch und entfloh 1576 aus dem Kloster. Er lehrte an vielen Universitäten und war 16 Jahre lang auf Wanderschaft, vor allem durch Deutschland, Frankreich und England. In Venedig wurde er schließlich verhaftet, acht Jahre eingekerkert und wegen Ketzerei zum Tode verurteilt. Er vertrat, von Kues, Kopernikus und Paracelsus beeinflußt, das heliozentrische Weltbild und den Gedanken eines unendlichen Weltalls mit einer sich selbst enthaltenden Materie (im Sinne der „aristotelischen Linken“). In Bruno zuerst verbanden sich die naturwissenschaftlichen Errungenschaften der Neuzeit mit epikuräischen, stoischen und neuplatonischen Elementen zu einer genialen pantheistischen Weltschau, die er mit dichterischer Kraft und Begeisterung verkündete: Das All ist Gott, es ist unendlich, und zahllose Sonnen mit ihren Planeten folgen in ihm ihrer Bahn. Dieses unendliche Universum ist das einzig Seiende und Lebendige, von inneren Kräften bewegt, das seiner Substanz nach ewig und unveränderlich ist; die Einzeldinge haben am ewigen Geiste und Leben je nach der Höhe ihrer Organisation teil, sind jedoch dem steten Wechsel unterworfen. Die elementaren Teile alles Existierenden, die nicht entstehen und nicht vergehen, sondern sich nur mannigfach verbinden und trennen, sind die Minima, die materiell und psychisch zugleich sind. Nichts in der Welt ist also leblos, alles ist beseelt. Gott kann von uns nicht würdiger verehrt werden, als indem wir die Gesetze, welche das Universum erhalten und umgestalten, erforschen und ihnen nachleben. Jede Erkenntnis eines Naturgesetzes ist eine sittliche Tat. Wie Bruno von den großen deutschen Denkern stark beeindruckt und von der Weltmission des deutschen Geistes überzeugt war (Rede in Wittenberg, 1588), so sollte er umgekehrt auf Leibniz, Herder, Goethe, Schelling wirken. Die Inqusition aber verurteilte seine pantheistische Naturreligion und verbrannte ihn 1600 bei lebendigem Leibe auf dem Campo dei Fiori in Rom.
Galileo Galilei (15.02.1564 – 08.01.1642), Mathematiker und Physiker. Seine Entdeckung der Fallgesetze war für die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Methode von so überragender Bedeutung, weil sie sich auf reine Erfahrung beschränkte, d.h. nicht auszudrücken versuchte, „warum“ der Stein falle, sondern „wie“ er es tut. Das wahre Buch der Philosophie war für Galilei das Buch der Natur, das nur in anderen Buchstaben geschrieben sei als in denen des Alphabets, nämlich in Dreiecken, Quadraten, Kreisen, Kugeln u.s.w. (vgl. Polyeder). Zum Lesen desselben könne nicht Spekulation dienen, sei vielmehr Mathematik nötig. Für die wissenschaftliche Forschung forderte Galilei: Verwerfung der Autorität in Fragen der Wissenschaft, Zweifel, Gründung der allgemeinen Sätze auf Beobachtung und Experiment, induktives Schlußverfahren. Galilei huldigte einem Rationalismus, der glaubt, die Welt rein auf mechanistische Weise, mit Hilfe von Mathematik, Mechanik und Vernunft, begreifen zu können.
Johannes Kepler (27.12.1571 – 15.11.1630), Astronom und Mathematiker. Nach dem Studium der evangelischen Theologie in Tübingen war Kepler ab 1594 Mathematiker in Graz, bis 1612 Assistent des Astronomen Tycho Brahe in Prag. 1604 kam Kepler zu der bedeutsamen Erkenntnis, daß die Marsbahn kein Kreis (wie Kopernikus annahm), sondern eine Ellipse ist. Aus einer mystischen Naturphilosophie und einer pantheistischen Stimmung entwickelte Kepler den Gedanken einer Weltharmonie und fand in dem Bemühen, diesen Gedanken induktiv zu begründen, u.a. die drei nach ihm benannten Gesetze der Planetenbewegung, die ersten Naturgesetze in mathematischer Form; sie drückten für ihn eine gottgewollte Harmonie aus; er veröffentlichte sie in seinen beiden Hauptwerken „Astronomia nova“ (1619) und „Harmonices mundi“ (1619). Die Zahl der Planeten konnte nach Kepler keine andere als fünf sein, weil es nur fünf regelmäßige Polyeder gibt. (Vgl. auch Galilei). Keplers Lehren waren für die Gestaltung des modernen Weltbildes von größter Bedeutung. Auch in der Optik leistete Kepler Bahnbrechendes (1604 „Astronomiae pars optica“, 1611 „Dioptrice“). Er entwickelte darin die Theorie der Linsen und des Fernrohrs (mit zwie Konvexlinsen). Nach dem Tod des deutschen Kaisers (Rudolf II.) erarbeitete Kepler als Mathematiker in Linz einen umfassenden „Abriß der kopernikanischen Astronomie“ (1618-22) und veröffentlichte 1627 die Rudolphinischen Tafeln. Um Obligationszinsen einzutreiben, begab sich Kepler, der ab 1628 in Wallensteins Diensten in Sagan stand, 1630 auf die Reise nach Linz. Er erkrankte in Regensburg, wo er kurz nach seiner Ankunft verstarb.
Konzililiarismus ist die Bezeichnung für die Auffassung, daß das Konzil und nicht der Papst allein die höchste Instanz in der Kirche sei. Im Abendländischen Schisma erlangte der Konziliarismus apraktische Bedeutung, die auf dem Konstanzer Konzil (1414-1418) bestätigt wurde, obschon die Päpste den Konziliarismus immer wieder verurteilten. Auch der Philosoph Nikolaus von Kues (1410-1464 ), der Cusaner, vertrat die Ansicht, daß das Konzil über dem Papst stehe. Die Gedanken des Konziliarismus wurden bis zum 1. Vatikanischen Konzil (1869/1870) permanent vertreten.
Die Reichsreform im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wurde zunächst auf den Reichstagen von 1434 bis 1438 unternommen und in der Publizistik viel dikutiert. Es waren Bemühungen um eine Umgestaltung der Reichsverfassung, die den Reichsständen ein Mitregierungsrecht in Reichsangelegenheiten sichern sollte (Reichsregiment). Ein erstes Reichsreformgesetz scheiterte an den organisatorischen Voraussetzungen. Kaiser Friedrich III. (Habsburger, 1440-1493) verhinderte in den folgenden Jahrzehnten weitere Reformversuche. Kaiser Maximilian I. (Habsburger, 1493-1519) sah sich dann gezwungen, auf den Reichstagen von Worms (1495) und Augsburg (1500) wesentliche Zugeständnisse zu machen. Ein Ewiger Landfriede sollte die Grundlage für die Reichsreform schaffen; als allgemeine Reichssteuer sollte der Gemeine Pfennig erhoben werden (1. Reichsregiment). Neben den fehlenden organisatorischen Voraussetzungen waren der Widerstand des Reichsoberhauptes und das Mißtrauen der auf die Wahrung ihrer Rechte pochenden Reichsfürsten der Grund für das am Ende scheiternde Projekt dieser Reichsreform. auch wenn Karl V. (Habsburger, 1519-1556) sie fortsetzte (2. Reichsregiment).
Die Reichsstände im 1. Deutschen Reich (Hl. Röm. Reich) waren die Reichsfürsten (vgl. Fürsten), Reichsgrafen, Reichsprälaten und Reichsstädte, die das aus der Reichsunmittelbarkeit erwachsene Recht zur Führung einer fürstlichen Einzelstimme (Virilstimme) oder zur Beteiligung an einer Gesamtstimme (Kuriatstimme) im Reichstag besaßen (Reichsstandschaft). Die Reichsstände repräsentierten damit neben dem Kaiser das Reich. Auf dem Konzil zu Basel (1431-1449) vertrat Kardinal Nikolaus von Kues () in seiner Schrift De Concordantia Catholica (Von der Einheit der Kirche) die naturrechtlich begründete Ansicht vom politischen Zusammenwirken der Reichsstände mit dem Kaiser in Gesetzgebung und Regierung. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts gab es auf den Reichstagen Reformforderungen, z.B. durch die Gravamina (Beschwerden) der deutschen Nation oder auch in deren Reformatio Sigismundi, einer weitverbreiteten anonymen Flugschrift. Die Reformen begannen auf dem Reichstag zu Worms (1495): Verkündung des Ewigen Landfriedens. Zur Beseitigung des Fehderechts wurde das ständig tagende Reichskammergericht in Frankfurt (seit 1527 in Speyer) als oberste Rechtsinstanz geschaffen und der Gemeine Pfennig (erste Reichssteuer, ohne Bestand) erhoben. Die Eidgenossen lehnten die Beschlüsse ab und forderten im Schwabenkrieg (1499) ihre Unabhängigkeit. Auf dem Reichstag zu Augsburg (1500) wurde ein ständiges Reichsregiment eingerichtet, das 1502 wieder aufgelöst und 1521 erneuert wurde. Seit dem Reichstag zu Köln (1512) stand dem Reichstag die oberste Reichsgewalt zu, der die Vorschläge der kaiserlichen Regierung in 3 Kollegien (Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte) beriet. Seine Beschlüsse wurden als Reichsabschiede (ab 1633 Reichsschlüsse) verkündet. Es wurden 10 Reichskreise unter dem Direktorium von je 2 Fürsten zur Wahrung des Landfriedens gebildet, eine Reichssteuer und das Reichsheer (unter Kreisobersten) erhoben. Ein Verzeichnis über Einkünfte der Territorien als Grundlage ihrer Truppen- und Steuerleistungen sah die Reichsmatrikelordnung vor, die auf dem Reichstag zu Worms (1521) verabschiedet wurde. Weil aber die Reichstage nur unregelmäßig zusammenkamen, entwickelten sich die Ansätze zu einer Reichsverfassung und zur Überwindung der territorialen Zersplitterung auf der Grundlage der alten Stammes-Herzogtümer nicht weiter.
Diese 10 Reichskreise hießen: 1) Burgundischer Kreis (Niederlande, Belgien, Luxemburg, Burgund), 2) Niederrheinisch-Westfälischer Kreis (Nordwestdeutschland), 3) Niedersächsischer Kreis (Mittelnorddeutschland), 4) Obersächsischer Kreis (Pommern, Brandenburg, Kursachsen), 5) Kurrheinischer Kreis (Erzbistümer Köln, Mainz, Kurpfalz), 6) Oberrheinischer Kreis (Lothringen, Elsaß, Pfalz, Hessen), 7) Fränkischer Kreis (Franken), 8) Schwäbischer Kreis (Baden, Württemberg), 9) Bayrischer Kreis (Bayern, Oberpfalz), 10) Österreichischer Kreis (Österreich) sowie Reichsdörfer, Herrschaften der Reichsritter und Territorien ohne Reichskreisbildung wie Preußen, Lausitz, Böhmen, Mähren, Schlesien. (Vgl. Karte).
Der Calvinismus, anfangs ein antischolastischer Humanismus, machte die Prädestination zu seinem Inhalt und Mittelpunkt. Diese Prädestination, die man auch Prädetermination nennt, meint die Vorbestimmung des Menschen schon vor bzw. bei seiner Geburt durch Gottes unerforschbaren Willen. und zwar entweder als Gnadenwahl zur Seligkeit ohne Verdienst oder als Prädamnation zur Verdammnis ohne Schuld. Sie wurde schon von Augustinus (354-430) gelehrt und nach ihm von Luther (1483-1546), Zwingli (1484-1531), Calvin (1509-1564) und dem Jansenismus (nach Cornelius Jansen, 1585-1638), der 1730 verboten wurde. Auf einen engen Zusammenhang zwischen dem Calvinismus, besonders aber dem aus ihm entwickelten Puritanismus, und dem modernen Kapitalismus der abendländischen Kultur hat vor allem Max Weber (1864-1920) hingewiesen.
Der Puritanismus ging aus der Reformation, insbesondere aus dem Calvinismus hervor. Der Calvinismus, anfangs ein antischolastischer Humanismus, machte die Prädestination zu seinem Inhalt und Mittelpunkt. Diese Prädestination, die man auch Prädetermination nennt, meint die Vorbestimmung des Menschen schon vor bzw. bei seiner Geburt durch Gottes unerforschbaren Willen, und zwar entweder als Gnadenwahl zur Seligkeit ohne Verdienst oder als Prädamnation zur Verdammnis ohne Schuld. Sie wurde schon von Augustinus (354-430) gelehrt und nach ihm von Luther (1483-1546), Zwingli (1484-1531), Calvin (1509-1564) und dem Jansenismus (nach Cornelius Jansen, 1585-1638). Auf einen engen Zusammenhang zwischen dem Calvinismus, besonders aber dem aus ihm entwickelten Puritanismus, und dem modernen Kapitalismus der abendländischen Kultur hat vor allem Max Weber (1864-1920) hingewiesen. (). Die Puritaner (die „Reinen“) sind die Vertreter einer Reformbewegung, die besonders in England seit etwa 1570 die Reinigung der englischen Kirche von katholisierenden Elementen in Verfassung, Kultus und Lehre betrieben. Strenger Biblizismus, eine Gewissenstheologie und die konsequente Sonntagsheiligung beeinflußten das englische Geistesleben bis in die Gegenwart. Die Puritaner brachten eine ausgedehnte Erbauungs- und Predigtliteratur hervor. 1604 wurden sie durch die Ablehnung ihrer „Millenary Petition“ enttäuscht, wandten sich der politischen Opposition zu oder emigrierten in großer Zahl nach Nord-Amerika. Mit dem Sieg Oliver Cromwells (1599-1658) 1648 zur Herrschaft gelangt, beseitigten die Puritaner das „Common Prayer Book“ und das Bischofsamt, vertrieben anglikanische Pfarrer, entfernten die Orgeln aus den Kirchen u.a.. Nach der Restauration der Stuarts wurden die Puritaner ihrerseits rigoros aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt – bis zur Toleranzakte von 1689. Die englischen Puritaner waren und sind also Vertreter eines speziellen Puritanismus. Diesen „Insel-Puritanismus“ der Engländer kann man auch „Angelsachsen-Puritanismus“ nennen. Für den Puritaner ist das genaue Gegenteil der „Weltfreude“ charakteristisch. Die „Weltfremdheit“ gehört zu den wichtigsten Charakterzügen des Puritanismus. Max Webers Beispiele „zeigen alle das eine: »der Geist der Arbeit«, des »Fortschritts« oder wie er sonst bezeichnet wird, dessen Weckung man dem Protestantismus zuzuschreiben neigt, darf nicht, wie es heute zu geschehen pflegt, als »Weltfreude« oder irgendwie sonst im »aufklärerischen« Sinn verstanden werden. Der alte Protestantismus der Luther, Calvin, Knox, Voët hatte mit dem, was man heute »Fortschritt« nennt, herzlich wenig zu schaffen. Zu ganzen Seiten des modernen Lebens, die heute der extremste Konfessionelle nicht mehr entbehren möchte, stand er direkt feindlich. Soll also überhaupt eine innere Verwandtschaft bestimmter Ausprägungen des altprotestantischen Geistes und moderner kapitalistischer Kultur gefunden werden, so müssen wir wohl oder übel versuchen, sie … in seinen rein religiösen Zügen zu suchen.“ (Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904, S. 37-38). Laut Weber ist im Abendland nämlich vor allem die Frömmigkeit (der Pietismus) das „rein religiöse“ Glied – als Berufung (Beruf) – zwischen dem alten Protestantismus bzw. Puritanismus und dem modernen Kapitalismus: Abendländischer Kapitalismus ist laut Weber nämlich eigentümlich, hat ein eigentümliches Ethos. Allgemein ist Kapitalismus kein Charakteristikum einzelner (Historien-)Kulturen, sondern der Menschen-Kultur überhaupt: „Aber eben jenes eigentümliche Ethos fehlte ihm … In der Tat: jener eigentümliche, uns heute so geläufige und in Wahrheit doch so wenig selbstverständliche Gedanke der Berufspflicht: einer Verpflichtung, die der Einzelne empfinden soll und empfindet gegenüber dem Inhalt seiner »beruflichen« Tätigkeit, gleichviel, worin sie besteht, gleichviel insbesondere, ob sie dem unbefangenen Empfinden als reine Verwertung seiner Arbeitskraft oder gar nur seines Sachgüterbesitzes (als »Kapital«) erscheinen muß: – dieser Gedanke ist es, welcher der »Sozialethik« der kapitalistischen Kultur charakteristisch, ja in gewissem Sinne für sie von konstitutiver Bedeutung ist. – … – Arbeit als Selbstzweck, als »Beruf«, wie sie der Kapitalismus fordert … Die kapitalistische Wirtschaftsordnung braucht diese Hingabe an den »Beruf« des Geldverdienens: sie ist eine Art des Sichverhaltens zu den äußeren Gütern, welche jener Struktur so sehr ädaquat, so sehr mit den Bedingungen des Sieges im ökonomischen Daseinskampfe verknüpft ist ….“ (Max Weber, ebd., 1904, S. 43, 45, 53, 61). Innerweltliche Askese bedeutet bei Max Weber die Verwendung der durch Ablehnung der religiösen Askese frei gewordenen Energie in der Berufsarbeit, wie eben besonders gefordert und gefördert durch den Puritanismus.
„Beruf“ (NHD; aus MHD: „beruof“, „Leumund“) – die neuhochdeutsche Bedeutung hat Martin Luther (1483-1546) geprägt! In der Bibel benutzte er es zunächst als „Berufung“ durch Gott für klesis (griech.) bzw. vocatio (lat.), dann auch für Stand und Amt des Menschen in der Welt, die schon Meister Eckhart (1250-1327) als göttlichen Auftrag erkannt hatte. Dieser ethische Zusammenhang von Berufung und Beruf ist bis heute wirksam geblieben, wenn das Wort jetzt auch gewöhnlich nur die bloße Erwerbstätigkeit meint. „Nun ist unverkennbar, daß schon in dem deutschen Worte »Beruf«, ebenso wie in vielleicht noch deutlichere Weise in dem englischen »calling«, eine religiöse Vorstellung: – die einer von Gott gestellten Aufgabe – wenigstens mitklingt und, je nachdrücklicher wir auf das Wort im konkreten Fall den Ton legen, desto fühlbarer wird. Und verfolgen wir nun das Wort geschichtlich und durch die Kultursprachen hindurch, so zeigt sich zunächst, daß die vorwiegend katholischen Völker für das, was wir »Beruf« (im Sinne von Lebensstellung, umgrenztes Arbeitsgebiet) nennen, einen Ausdruck ähnlicher Färbung ebenso wenig kennen wie das klassische Altertum, während es bei allen vorwiegend protestantischen Völkern existiert. Es zeigt sich ferner, daß nicht irgendeine ethnisch bedingte Eigenart der betreffenden Sprachen, etwa der Ausdruck eines »germanischen Volksgeistes« dabei beteiligt ist, sondern daß das Wort in seinem heutigen Sinn aus den Bibelübersetzungen stammt, und zwar aus dem Geist der Übersetzer, nicht aus dem Geist des Originals. Es erscheint in der lutherische Bibelübersetzung zuerst an einer Stelle des Jesus Sirach (11,20,21) ganz in unserem heutigen Sinn verwendet zu sein.“ (Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904, S. 66). Seit Luther also gibt es das Wort „Beruf“ in der noch heute gültigen Bedeutung: die hauptsächliche Erwerbstätigkeit des Einzelnen, die auf dem Zusammenwirken von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten beruht (also auf Bildung bzw. Ausbildung) und durch die er sich in die Volkswirtschaft eingliedert. Der Beruf dient meist der Existenzbasis. Es war vor allem der Protetestantismus mit seiner Askese (vgl. Puritanismus), der die sittliche Leistung der Arbeit stark betonte und den Beruf zum Gebot der Pflichterfüllung steigerte. Diese Haltung hat sich als Berufsethos, als innere, enge Verbundenheit des abendländischen Menschen mit seinem Beruf erhalten. Moderne Antriebe zur Verweltlichung gingen vom Deutschen Idealismus aus, der im Beruf das Postulat der Persönlichkeitsentfaltung entdeckte.
„Es ist bewunderungswürdig, mit welcher Sicherheit der englische Instinkt aus der … ganz doktrinären und kahlen Lehre Kalvins sein eignes religiöses Bewußtsein formte. Das Volk als Gemeinschaft der Heiligen, das englische insbesondere als das auserwählte Volk, jede Tat schon dadurch gerechtfertigt, daß man sie überhaupt tun konnte, jede Schuld, jede Brutalität, selbst das Verbrechen auf dem Wege zum Erfolg ein von Gott verhängtes und von ihm zu verantwortendes Schicksal – so nahm sich die Prädestination im Geiste Cromwells und seiner Soldaten aus. Mit dieser unbedingten Selbstsicherheit und Gewissenlosigkeit des Handelns ist das englische Volk emporgestiegen.“ (Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, 1919, S. 41 ). Wenn in England die Tat oder die Arbeit „für sich“ und daher der persönliche Erfolg als göttliches Zeichen der Erlösung heilig ist, so in Preußen die Tat oder die Arbeit „für andere“. So formuliert es Ehrhardt Bödecker. „Die Bezeichnung Pietismus, ursprünglich ein akademischer Spitzname für Streber und Pedanten, haben die Calvinisten in Halle von den orthodoxen Lutheranern in Leipzig erhalten.“ (Ehrhardt Bödecker, Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2004, S. 113). Halle fiel 1680 an Brandenburg-Preußen (), August Hermann Francke (1663-1727) wurde zum Hauptvertreter des Pietismus in Halle und dadurch auch in Brandenburg-Preußen – seit der Königskrönung (1701) hieß es nur Preußen. Nicht der englische Kapitalismus, sondern der preußische Pietismus – der soziale Gemeingeist – führte zur modernen Sozialversicherung. Nicht England mit seinem eigenbrötlerischen Parlamentarismus, sondern Deutschland mit seinem sozialen Gemeingeist hatte die weltweit erste soziale Versicherungsgesetzgebung. Was wir heute als Soziale Marktwirtschaft oder etwas ungenau als Rheinischen Kapitalismus bezeichnen, ist nur sekundär rheinisch und primär preußisch (), also insgesamt als deutsch zu bezeichnen: Deutscher Kapitalismus ist Deutsche Marktwirtschaft, weil sozial! Gerechtigkeit ohne Gemeingeist gibt es nicht.
Die Ägypter, die auch Seefahrten nach Indien unternahmen, waren ähnlich eifrig wie später die Abendländer, ihre Kulturenkel. Schon um 3300 v. Chr stellten die Ägypter aus der Papyrusstaude Papyrus als Schreibstoff her. Um 3000 v. Chr. gab es in Ägypten Landkarten, Wasseruhren, und der Himmel wurde bereits genauestens beobachtet (ähnlich übrigens bei Chinesen und Sumerern). Um 2850 entwickelten die Ägypter ihre Bilderschrift, Großplastiken, einen 365tägigen Kalender, einen von Beamten verwalteten Einheitsstaat und stellten Glas her. 2700 v. Chr. folgten die ersten Cheops-Pyramiden, als die Sumerer gerade anfingen, ein auf 6 und 12 basierendes Zahlensystem zu entwickeln. Um 2500 v. Chr. begann auf Kreta die frühminoische Zeit; um 2000 v. Chr. entstanden hier die ersten Städte, mehrstöckige Häuser und Paläste, unter ihnen auch der bekannte von Knossos. Wenig später entwickelten die zum ägyptischen Kulturkreis zu rechnenden Kreter ein Dezimalsystem, und Kreta (Könige von Knossos) beherrschte das östliche Mittelmeer. Ägypten unterhielt Auslandsbeziehungen nach Syrien und Somaliland. Für Spengler ist das ägyptische Ursymbol der Weg: „Die ägyptische Seele sah sich wandernd auf einem engen und unerbittlich vorgeschriebenen Lebenspfad, über den sie einst den Totenrichtern Rechenschaft abzulegen hatte. Das war ihre Schicksalsidee. Das ägyptische Dasein ist das eines Wanderers in einer und immer der gleichen Richtung; die gesamte Formensprache seiner Kultur dient der Versinnlichung dieses einen Motivs. Sein Ursymbol läßt sich, neben dem unendlichen Raum des Nordens und dem Körper der Antike, durch das Wort ‚Weg‘ am ehesten faßlich machen.“ (Vgl. Spengler, 1917, S. 242 und unten: China bzw. Tao).
Spengler schreibt zum Verhältnis der beiden Kulturen Ägypten und China: „Trotzdem gab es eine Kultur, deren Seele bei aller tiefinnerlichen Verschiedenheit zu einem verwandten Ursymbol gelangte: die chinesische mit dem ganz im Sinne der Tiefenrichtung empfundenen Prinzip des Tao. Aber während der Ägypter den mit eherner Notwendigkeit vorgezeichneten Weg zu Ende schreitet, wandelt der Chinese durch seine Welt; und deshalb geleiten ihn nicht steinerne Schluchten mit fugenlos geglätteten Wänden der Gottheit oder dem Ahnengrabe zu, sondern die freundliche Natur selbst. Nirgends ist die Landschaft so zum eigentlichen Stoff der Architektur geworden. … Der Tempelbau ist kein Einzelbau, sondern eine Anlage, in welcher Hügel und Wasser, Bäume, Blumen und bestimmt geformte und angeordnete Steine ebenso wichtig sind wie Tore, Mauern, Brücken und Häuser. Diese Kultur ist die einzige, in welcher die Gartenkunst eine religiöse Kunst großen Stils ist. Es gibt Gärten, die das Wesen bestimmter buddhistischer Sekten widerspiegeln. Aus der Architektur der Landschaft erst erklärt sich die der Bauten, ihr flaches Sich-erstrecken und die Betonung des Daches als des eigentlichen Ausdrucksträgers. Und wie die verschlungenen Wege durch Tore, über Brücken, um Hügel und Mauern doch endlich zum Ziel führen, so leitet die Malerei den Betrachter von einer Einzelheit zur anderen, während das ägyptische Relief ihn herrisch in eine strenge Richtung verweist.‘ Das ganze Bild soll nicht mit einem einzigen Blick umfaßt werden. Die zeitliche Abfolge setzt eine Folge von Raumteilen voraus, durch die der Blick vom einen zum anderen wandern soll.‘ Die ägyptische Architektur überwältigt das Bild der Landschaft, die chinesische schmiegt sich ihm an; in beiden Fällen aber ist es die Tiefenrichtung, die das Erlebnis des Raumwerdens immer gegenwärtig erhält.“ (Spengler, 1917, S. 244f.)
Um 595 v. Chr. umschifften die Phönizier Afrika. Sie benötigten dafür etwa 3 Jahre. (Vgl. Tabelle).
Jean Bodin (1530-1596) war französischer Publizist und Staatsrechtslehrer. Er trat in der Zeit der Hugenottenverfolgung für Toleranz ein und gab in seinem Hauptwerk De la république (1576) eine Begriffsbestimmung der Souveränität, die durch kein verfassungsrechtliches Gesetz eingeschränkt werden dürfe. In seinem Colloquium heptaplomeres (1587) begründete er das gleiche Recht aller Religionen und nannte als Grundlagen einer einzigen natürlichen Religion: die Einheit Gottes, ein moralisches Bewußtsein, den Glauben an die Freiheit, die Unsterblichkeit und Vergeltung im Jenseits. 1572 entging Bodin nur knapp dem Massaker der Bartholomäusnacht. In seiner Staatstheorie ordnete er im Begriff der Souveränität ihrem Träger die absolute, unteilbare Staatsgewalt zu, die der Gerechtigkeit dienen soll und auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist. Er lieferte damit dem Absolutismus das theoretische Fundament. (Vgl. Hobbes).
Für etwa 3 bis 6 Jahre alte Kinder ist eine solche erste Phase der Neuzeit diejenige Zeit, die sie zum ersten Mal, außerhalb der Familie, zu Mitgliedern in Institutionen werden läßt: Kindergarten und Vorschule werden im Alter von etwa 3 bis 6 Jahren besucht. Auch in Kulturen, die keine Kindergärten, Schulen oder andere Institutionen kennen, ist diese Tatsache bedeutsam. Sie ist halt nur durch das distinktive Merkmal des Nichterfülltseins gekennzeichnet und ändert an der durch die Evolution hervorgerufenen Kulturfähigkeit dieser Kinder überhaupt nichts.

Posted in Hubert Brune on April 22, 2012 by androsch

Frühling / Morgen
6 Uhr 12 Uhr
Frühkultur

10-12 Uhr
Kultursymbol oder Kulturspracherwerb

Die für ein Kind oder eine Frühkultur intellektuell weitreichendste Leistung erfolgt in dieser Phase des Erwerbs elterlicher Kultursprache, ohne den die noch folgenden Phasen des Schulalters nicht zu bewältigen wären. Das Kind lernt die sogenannte Muttersprache, indem es sein bereits vorhandenes Sprachverständnis, aber noch bescheiden ausfallendes Sprachrepertoire durch Fragen, Selbstkorrektur und Hyperkorrektur ständig erweitert. Das Kind erwirbt die Sprachbeherrschung nicht primär deshalb, weil ihm die umweltlichen Personen die Sprache vorsprechen. In diesem Fall hätte das Kind eine merkwürdige Mischung aus verschiedenen Idiolekten gelernt. Auch wenn die Erwachsenen und älteren Kinder im Umgang mit dem kleinen Kind eine spezifische Sprachsituation herstellen und eine empathisch kindgemäße Sprache benutzen, so verwenden sie dabei keine völlig korrekte Sprachgrammatik, obwohl das Kind sich gerade für diese interessiert und sie mittels Fragen spielerisch einstudieren möchte. Es will gerade die auf konventionelle Regeln aufgebaute Sprache lernen und benutzen, komplexe Grammatikstrukturen durchdenken und syntaktisch-morphologische Einheiten verwenden, und zwar auch solche, die es niemals von einem anderen Menschen gehört haben kann (z.B. „er kamte, rufte, gangte“ u.s.w.). Es sind gerade die Ausnahmen der Regeln, die diese Tatsache deutlich machen. Das Kind kennt die Regeln, aber noch nicht die Konventionen, die deren Ausnahmen regeln. Dafür braucht es die auf Konventionen getrimmte ältere oder elterliche Umwelt. Es hat offenbar eine Grammatikstruktur im Kopf, die angeboren zu sein scheint. (Vgl. Nativismus). In den Sprachsituationen bewegt sich die ältere Umgebung auf das Kleinkind und das Kleinkind auf die ältere Umgebung zu. Oft sind also die Rollen aus pädagogisch-didaktischen Gründen vertauscht, aber letztlich ist es das Kind selbst, das aus dem Geflecht nativer autonomer Reifungsprozesse, umweltlicher Konditionierung, bestimmter Kognitionsbedingungen und sozialer Konstitution zur konventionellen Kultursprache kommen muß. Die Leistung, die es dabei erbringt, kommt in etwa einem Linguistikstudium gleich. Keine Frage, daß ein solches Kind bereits den Kindergarten besuchen kann, in Fachsprache gesprochen: institutions-sozialisiert ist. Es ist, je nach Charakter und bereits durchlebter Sozialisation, kompromißfähig, sehr aufnahmebereit und bestrebt, die Welt besonders durch die Sprache zu begreifen, denn die Sprache dominiert in diesem Alter das Handeln. Die neuronalen Vernetzungen werden jetzt auch in den höheren Gehirnteilen abgeschlossen, weil das Wachstum dieser Nervenstränge in dieser Region bereits abgeschlossen ist: ein 3jähriges Kind ist, so gesehen, vollendet, fertig und gehirnerwachsen. Ihm fehlen die Vernetzungen durch Erfahrungen, aber diese soziale Komponente ist ja gerade für Menschen eine das gesamte Leben ausfüllende Aufgabe. Eine unbedingte Voraussetzung dafür ist der kindliche Spracherwerb, und zwar von Beginn der genetischen Phase an bis zur ersten kulturreifen Phase, mit der die Hälfte einer Kulturkreisbewegung bereits erreicht ist. Die Beherrschung der Kultursprache stellt einen enormen Entwicklungsschub dar. Mit ihr steht das Kind auch bald im Bereich des kulturschriftlichen Spracherwerbs, der auf Konventionen beruhenden graphischen Darstellung. Und auch hier vollzieht sich der Erwerbsprozeß, wie im mündlichen Bereich, über das Geflecht angeborener sprachlicher und kognitiver Fähigkeiten, umweltlicher Konditionierung und sozialer Konstitution. (Vgl. 12-14).

I) Eine Kultur entwickelt nicht einfach eine auf Konventionen beruhende Sprache;
was sie entwickelt, sind die natürlichen Voraussetzungen für die Sprache.
II) Ein Kind entwickelt nicht einfach eine auf Konventionen beruhende Sprache;
was es entwickelt, sind die biologischen Voraussetzungen für die Sprache.
III) Beide Fälle sind Prozesse der Sprachentwicklung und des Spracherwerbs.
Natürliche Sprachregeln entwickelt schon die Vor-/Urkultur im Uterus.
Sie sind längst da, bevor die konventionelle Sprache erworben wird.
IV) Die Rolle der Eltern oder Bezugspersonen ist primär bedeutsam für den
Spracherwerb. Das Kind (die Jungkultur) erwirbt eine Elternsprache.

In der Kulturentwicklung selbst äußert sich diese genormte Ausdrucksfähigkeit ebenfalls auf mehrfache Weise und mündet in eine idiolektartig entwickelte und soziolektartig erworbene Kultursprache. Aus einer Ursprache wird eine definierbare Kultursprache, aus einem Ursymbol ein deutlicher gewordenes Symbol. Aus einem Geflecht kulturgenetischer und -sozialer Bedingtheiten ergibt sich ein Kulturausdruck und ein komplettiertes Seelenbild. In der Antike entstanden die Stadtstaaten (Polis), Homers Ilias und Odyssee, die Aufzeichnungen (der Sieger) der Olympischen Spiele, der Apollonkult und der gesunde nackte Körper als dominantes Thema der Kunst. Im geometrischen Stil kamen erstmals ganz eindeutig das antike Ursymbol des Einzelkörpers und das antike Seelenbild des Apollinischen konkret zum Ausdruck. Die Stadtstaaten (Polis) und der nackte, wohl abgegrenzte Einzelkörper sollten sich schließlich mindestens für weitere 1000 Jahre genauso durch die gesamte antike Kultur ziehen wie die Olympischen Spiele,die zur Grundlage einer gemeinsamen Zeitrechnung wurden, und die homerischen Epen, die zur Pflichtlektüre eines jeden antiken Schülers wurden. Solange die antike Kultur Bestand hatte, hatten auch ihr Seelenbild und ihr Ursymbol Bestand. Das änderte sich erst mit dem allmählichen Untergang der Antike vom 2. Jahrhundert, spätestens aber vom 3. Jahrhundert an bis zu ihrem endgültigen Tod im 4. und 5. Jahrhundert. (Vgl. 0-2 und 2-4). Zwar deuteten schon früher entwickelte Formen die antike Ursymbolik an, aber sie entstanden, z. B. im Falle des Megarons, durch Vermischung eigener mit fremder Vorkulturformen (Indogermanen und Altmediterrane) und, z. B. im Falle der Zeus-Religion, durch Übernahme fremder Spätkulturformen, denn Kreta gehörte bis zur Zeit der Eroberung durch die Mykener noch zum hochzivilisierten ägyptischen Kulturkreis. (Vgl. 4-6 und 6-8). Erst am Ende der vorletzten Phase entstand aus der mykenischen die feudale Variante der antiken Zeus-Götterwelt, gewissermaßen als ein beutetierartiges Neugeborenes, das Steh- und Laufvermögen erreicht hatte; und erst in der letzten Phase wurde die antike Zeus-Götterwelt zu einer großmächtigen Institution. Einen Weltmonat später sollte sich das mit der Trennung von morgenländischer und abendländischer Kirche durch das 1. Große Schisma von 1054 und der folgenden Weltherrschaft des Papsttums wiederholen. (Vgl. 6-8 und 8-10). Doch jetzt, in dieser Phase, kam in beiden Kulturen für die Herrschwilligen ein Herunterschrauben der Machtansprüche in Frage. Die Verweltlichung in der Antike bedeutete, daß die stärker gewordenen Stadtstaaten und die Vormachtstellung Spartas die jetzt homerische Adelsreligion im geistlich-politischen Kult des Olymp aufbewahrten. Im Abendland geschah dies auf ähnliche Weise mit der päpstlichen Kirche durch die ersten Territorialstaaten und Nationen, die mächtiger werdenden Städte, die Städtebündnisse, das Bürgertum, die Hanse und die Universitäten, die teilweise bereits nicht mehr rein geistlich, sondern weltlich formiert waren. Das Reformpapsttum konnte hier nichts mehr rückgängig machen. Es hatte mit sich selbst genug Probleme und konnte erst nach 49 Jahren auf dem Konstanzer Konzil (1414-1418) seine innerabendländische Spaltung überwinden: das 2. Schisma (von 1378). Gegen Ende dieser Phase sollten bereits die familiären Frühkapitalisten, z.B. Medici, Fugger und Welser, die Bühne betreten und starken wirtschaftspolitischen Einfluß ausüben. Die kaiserliche Reichsgewalt hatte nach den Staufern ebenfalls nachgelassen und mußte sich mehr und mehr einer ständestaatlichen Verfassung oder anderen oligarchischen Formen beugen. Allein schon das Wort Interregnum verrät, daß diese Zeit von 1254 bis 1273 bereits der Anfang der Zugeständnisse an die Fürsten und Kurfürsten war und auch die deutsche Italienpolitik langsam aufgegeben werden mußte. Brauchte die Politik etwa diejenigen Stütz- und Strebepfeiler, die die Baukunst jetzt verwendete? Der Bau der gotischen Dome war der Durchbruch zum abendländischen Ursymbol, zum unendlichen Raum. Ausdrücklicher hätte er nicht ausfallen können. Der romanische Rundbogen wurde auf die Spitze getrieben, also zum Spitzbogen. Nachdem sich die Gotik überall durchgesetzt hatte, kamen noch vier weitere ursymbolische Repräsenteme dazu: die Seefahrerschule (1416), der Buchdruck mit beweglichen, gegossenen Lettern (1430/1445), die doppelte Buchführung (1490) und die Entdeckung Amerikas (1492). Am Ende dieser Phase, hauptsächlich durch Gutenbergs Buchdruck ausgelöst, bekam die deutsche Sprache einen Aufschwung: Mittelhochdeutsch wurde Neuhochdeutsch, das sich bis heute nicht grundlegend geändert hat. Damit war der abendländische Kulturspracherwerb, wenn man ihn mit dem erreichten Syntaxerwerb eines 3jährigen Kindes vergleicht, in den Grundzügen beendet, weil die vorher nur in der Tiefe gelegene Grammatikstruktur der Kultursprache erkannt und zum gesicherten alltäglichen Gebrauch werden konnte. Es fehlten lediglich einige spitzfindige morphologische Formen der Kultursprache, die noch in Auseinandersetzung mit der Umwelt herauszufiltern waren. Das Grundstudium war jedoch beendet und die restlichen mündlichen Kultursprachformen konnten bereits unter gleichzeitigem schriftlichen Kulturspracherwerb erlernt werden, wie die Folgen aus Gutenbers Bibeldruck von 1452 beweisen sollten: im Jahre 1500 wurden bereits 1000 Gutenberg’sche Druckereien gezählt, und die Zahl der Leser stieg dabei rasant an. Auch ein 3jähriges Kind benutzt bereits die konventionelle Graphologie der Zielkultur. Es kann das Zeichnen und Schreiben zwar aktiv noch nicht so richtig nachvollziehen, weiß aber, worum es geht. Es malt, zeichnet und schreibt hauptsächlich auf seine eigene Art; aber bald wird es auch die Konventionsart beherrschen. Dann kann man auch bei ihm von einer nächsten Phase sprechen. (Vgl. 12-14).

Johannes Gutenberg, geboren 1397 in Mainz, gestorben 1468 in Mainz.
Gutenbergs Verwendung von beweglichen Lettern revolutionierte die herkömmlichen Methoden der Buchproduktion und löste in Europa eine Medienrevolution aus. Gutenbergs Buchdruck breitete sich schnell in Europa und später in der ganzen Welt aus. Sein Hauptwerk, die Gutenberg-Bibel, wird allgemein für ihre hohe ästhetische und technische Qualität gerühmt. Zu Gutenbergs zahlreichen Beiträgen zur Buchdruckerkunst gehören neben der Verwendung von beweglichen Lettern auch die Erfindung einer besonders praktikablen Legierung aus Zinn, Blei und Antimon, einer ölhaltigen Tinte und eines Handgießinstruments. Zudem erfand er die Druckerpresse. Das besondere Verdienst Gutenbergs liegt darin, alle Komponenten zu einem effizienten Produktionsprozeß zusammengeführt zu haben, der erstmals die industrielle Massenproduktion von Büchern ermöglichte. (Übrigens: 600 Jahre nach Gutenbergs Geburt (1397), 1997, wurde sein Buchdruck vom US-Magazin Time-Life zur bedeutendsten Erfindung des 2. Jahrtausend gewählt; 1999 kürte das us-amerikanische A&E Network den Mainzer zum „Mann des Jahrtausends“.). Die globale Ausbreitung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern war ein Prozeß, der mit der Erfindung der Druckerpresse durch Johannes Gutenberg in Deutschland 1445 begann und bis zur Einführung des Buchdrucks in allen Hauptregionen der Welt im 19. Jahrhundert andauerte. Weltrekord! (). Genealogisch stellt Gutenbergs Druckerpresse den Urtyp des modernen Drucks mit beweglichen Lettern dar; praktisch alle heutigen Druckerzeugnisse können auf eine einzige Quelle zurückgeführt werden: Gutenbergs Druckerpresse.
Die antike Polis entstand aus den Stadtsiedlungen und dem sich daran anschließenden Gemeindeland. Sie war gekennzeichnet durch innen- und außenpolitische Selbständigkeit, wirtschaftliche Selbstgenügsamkeit (Autarkie) und lokale Kulte. Den Namen erhielt die Polis nicht nach dem Ort, sondern nach dem davon abgeleiteten Namen der Bewohner. Die Polis stand unter dem Schutz der Gottheit und unter den von ihr gestifteten Gesetzen. Der König hatte keine unumschränkte Macht, denn alle Regierungsgewalt ging immer von Zeus aus. Er war derHirte der ihm anvertrauten Herde. In den anderen Landschaften wurde das Königtum allmählich durch den Adel entmachtet. Der Adel konnte die Herrschaft übernehmen, weil sie auf seinen Landbesitz und die große Gefolgschaft von Hintersassen und Hörigen gestützt war. Diese aristokratische Kastenherrschaft der Großgrundbesitzer wurde durch oligarchische Herrschaftsformen in den meisten Gebieten genauso geschwächt wie einen Weltmonat später in den meisten Gebieten des Abendlandes monarchische Herrschaftsformen durch den Ständestaat und andere oligarchische Formen.

Der Beginn der großabenteuerlichen Seefahrt und Kolonisation
als Reise in die Neuzeit.
(Großer Maßstab?)
Analog zur beginnenden griechischen Kolonisation in Süditalien um 750 v. Chr. ist das portugiesische Unternehmen zu sehen, das mit der Gründung der weltweit ersten Seefahrerschule durch Heinrich den Seefahrer 1416 begann und mit der Entdeckung des gesamten Globus enden sollte. (Vgl. 12-14, 14-16, 16-18). Für beide Kulturen gilt ebenfalls, daß in dieser Phase ein gemeinsames Kulturgefühl entstand, das noch treffender mit der Verbindung aus dem jeweiligen Seelenbild und dem dazugehörigen Ursymbol zu beschreiben ist. Die Griechen entwickelten aufgrund der Kolonisation ein Hellenengefühl und begannen zu hellenisieren, die Europäer, zunächst nur Portugiesen und Spanier, entwickelten aufgrund der Kolonisation ein Europäergefühl und begannen zu europäisieren. Beide taten dies zuerst in dem Land, das später die einzig übrig bleibende Weltmacht werden sollte: die Griechen im Süden Italiens und die Spanier und Portugiesen im Süden und in der Mitte Amerikas. Die jeweils spätere Weltmacht sollte weiter nördlich zu finden sein.

Während des Interregnums wurde Konradin, der letzte mögliche staufische Thronnachfolger, in Neapel enthauptet (1268). Friedlosigkeit und Rechtsbrüche nach Art des Faustrechts während des Interregnums zwangen zur Erneuerung der Reichsgewalt durch freie Königswahl, die sich bei der Doppelwahl von 1257 endgültig durchsetzte. Ihre Folgen waren die Ausbildung eines Kurfürstenstandes. Das Wahlrecht schränkte sich auf 3 geistliche und 4 weltliche Kurfürsten ein, die vom Kandidaten Sonderrechte (Kapitulationen) und politisches Mitspracherecht (Willebriefe) forderten, ein schwaches Königtum wünschten und deshalb die Krondynastie wechselten. Das weltherrschaftliche Papsttum und das einheitliche Deutsche Reich mußten die zuvor erlebten Höhepunkte ihrer Macht mit ihren Universalansprüchen zurückschrauben, weil die universale Idee von Kirche und Reich mit den nationalen Interessen nicht mehr vereinbar war. (Vgl. 8-10). Byzanz forderte aus dem Abendland Hilfe für seine gefährdeten Grenzen, aber Venedig blieb aus wirtschaftlichen, das Normannenreich aus machtpolitischen Gründen immer Gegner des byzantinischen Reiches, ohne dessen Hilfe, Transport und Sicherung des Nachschubs u.s.w., militärische Operationen unmöglich wurden. Die Übersiedlung der Päpste nach Avignon, mit Papst Klemens V. 1309 beginnend und mit Papst Gregor XI. 1377 endgültig zur Rückkehr und zur Residenz im Vatikan führend, brachte dem Papsttum üppiges Hofleben, Nepotismus, hohe Ablaßerträge und Einmischung in deutsche Thronstreitigkeiten, ansonsten aber sank sein Ansehen und damit auch seine Autorität. Die Verweltlichung und der Verfall der Kirche waren die Folge. Der Rock Christi zerriß mit der Doppelwahl von Urban VI. (Rom) und Klemens VII. (Avignon). Durch das 2. Große Schisma von 1378-1417 wurde das Abendland in zwei Lager aufgeteilt. (Vgl. Päpste). Häresie, Irrlehren, Hexenwahn, gepaart mit Aberglauben, nahmen genauso zu wie die Forderungen nach Reformation. Die Pariser Professoren D’Ailly und Gerson forderten zur Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern ein allgemeines Konzil, weil die Vertretung des Gotteswillens nicht Sache des Papstes, sondern die der Gesamtheit aller Gläubigen sei. Diese konziliare Theorie gewann Anhang. Auf dem Schismakonzil zu Pisa (1409) wählten die Kardinäle beider Richtungen einen dritten Papst. Auf dem Konzil zu Konstanz, wo 33 Kardinäle, 900 Bischöfe und 2000 Doktoren unter kaiserlichem Vorsitz, dem Wittelsbacher Sigismund, anwesend waren, stimmte das Konzil nach vier Nationen ab: deutsch, französisch, englisch und italienisch. Es erklärte sich zuständig für die Einheit der Kirche, die Absetzung der noch amtierenden Päpste, die Neuwahl Martins V., die Reinheit der Lehre und Reform der Kirche, die aber vertagt werden mußte.

Die Karten zeigen die Entwicklung vom 12. / 13. bis zum 15. / 16. Jahrhundert.

Der Deutsche Orden hatte nach den militärischen Erfolgen seit 1283 deutsche Siedler ins Land des Ritterordens geholt und war durch den Deutschmeister Winrich von Kniprode von 1351 bis 1382 zu seiner höchsten Entfaltung, unter dem Deutschmeister Konrad von Jungingen von 1393 bis 1407 zu seiner größten Ausdehnung gelangt, bevor es in der Schlacht von Tannenberg zur ersten militärischen Niederlage kam (15.07.1410). 1466 mußte durch den 2. Thorner Frieden der Ordensstaat auf das ostpreußische Baltikum reduziert werden, aus dem 1525 der zum Deutschmeister gewählte Albrecht von Brandenburg-Ansbach das erbliche Herzogtum Preußen machte. (Vgl. 12-14). Die bereits im 8. Jahrhundert begonnene und im 12. und 13. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichende deutsche Ostbewegung ging im 14. Jahrhundert einem Stillstand entgegen, weil keine Menschen mehr zur Verfügung standen und die ländliche Bevölkerung bereits in die Städte abwanderte. (Vgl. 6-8 und 8-10).
‹— Deutsche Hanse —›
Die Hanse erreichte nach dem großartigen Aufbau ihres Wirtschaftsraumes und der damit verbundenen Macht im 14. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Erst durch das Erstarken der nordischen Nationalstaaten, der Schließung des Peterhofs in Nowgorod und der Verlagerung des Handels in den Atlantikraum wurde sie allmählich geschwächt. Insbesondere das Erstarken des Atlantikhandels durch die kommenden Kolonialmächte bedeutete eine Konkurrenz, die zur allmählichen Schwächung der Hanse führte. Aber erst 1598 wurde der Stalhof in London geschlossen. (Vgl. 12-14). Den Habsburgern, seit Mitte des 10. Jahrhunderts am Oberrhein als schwäbisches Dynastengeschlecht nachweisbar, gelang die Territorialbildung im Südwesten des Deutschen Reiches durch engen Anschluß an die Staufer (12./13. Jh.). Demzufolge begann ihr Aufstieg nach dem Interregnum durch das Wahlkönigtum: Rudolf I. wurde 1273 zum römisch-deutschen König gewählt. (Vgl. Tafel). Habsburg verband seine Stammlande im Südwesten mit neuem Besitz im Südosten über Belehnungen der Herzogtümer Österreich und Steiermark (1282) sowie über den Erwerb von Kärnten und Krain (1335), Tirol (1363), Freiburg im Breisgau (1368) und Triest (1383). Die Hausmacht der Habsburger, seit dem 15. Jh. Haus Österreich genannt, verlor zwar im 14. und 15. Jh. die althabsburgischen schweizerischen Besitzungen, gewann aber die Macht im Reich für Jahrhunderte. Von 1438 bis 1806 stellten die Habsburger mit nur einer Unterbrechung, von 1742 bis 1745, die römisch-deutschen Kaiser. (Vgl. Tafel). Als Träger der heiligen Krone, durch kluge Heiratspolitik, das burgundische Erbe, den Anfall des spanischen Königreiches und den Erwerb der Wenzels- und der Stephanskrone vollzog sich der Aufstieg der Habsburger zur europäischen Großmacht. Bald sollte das Habsburger-Weltreich als Universalmacht folgen. (Vgl. 12-14).
In der folgenden Tabelle sind die abendländischen Daten schwarz, die antiken rot gefärbt:

– 950) Phönizische Seefahrt durch das Rote Meer nach Indien
Anfänge Roms (Besiedlung des Hügels Palatin)
um 1200) Nibelungenlied entsteht
1202) Ordensgründung: Schwertbrüderorden (Deutscher Ritterorden) für die Mission in Livland
Gründer: Albert von Appeldern (Bremer Domherr), Bischof von Livland (Sitz: Riga)
1202-1204) 4. Kreuzzug – 925) Griechische Tempelbauten für Hera und Poseidon
1209-1214) Kaiser Otto IV. von Braunschweig (Welfe) im Deutschen Reich. (Vgl. Tafel)
1210) Ordensgründung: Franziskaner (Bettelorden); Franz von Assisi (Franziskaner-Ordensregeln, 1221)
1212) Kinderkreuzzug – 925) Phönizier bereisen die Ostküste Afrikas
1215) (11.11.-30.11.) Konzil (12) von Rom (Lateran IV) : Lehre der Transsubstantiation; Beschlüsse über die
bischöfliche Inqusisition; Verbot neuer Ordensgründungen; Vorschrift besonderer Kleidung für
Juden; Glaubensbekenntnis gegen die Sekten der Albigenser und Katharer
1216) Ordensgründung: Dominikaner (Bettelorden) wird Orden der Inquisition (Gründer: Dominikus)
1220) Lübeck wird freie Reichsstadt; Travemünde erhält einen Leuchtturm
Sachsenspiegel (Eike von Repgau [Reppichau])
In Deutschland entstehen immer mehr Reichsstädte, die unmittelbar dem Kaiser unterstellt sind
Der Deutsche Orden wird von Friedrich II. dazu veranlaßt, Preußen zu erobern (zu missionieren)
Die Aufgabe übernimmt Hermann von Salza (1170-1239)
1225) Aus dem deutschen Orden wird ein Deutschordensstaat (Hermann von Salza)
1227) Der Dominikaner Konrad von Marburg führt die Inquisition in Deutschland ein
1227) Ordensgründung: Clarissen (Bettelorden)
1228-1229) 5. Kreuzzug um – 900) Gründung Spartas (Limnai, Mesoa, Kynosura, Pytane)
Griechische Kunst: Früh-Geometrischer Stil (Geometrik)
1235) Freiburger und Straßburger Münster werden umgebaut (Frühgotik)
1236) Minnesang wendet sich ins Bürgerliche durch den Dichter Neidhart von Reuenthal
1237) Deutschordensstaat: Vereinigung des Deutschen Ordens mit dem Deutschen Schwertbrüderorden
1241) Hanse: Hamburg und Lübeck schließen ein Bündnis, 1242 schließt sich Kiel an
1243) Thomas von Aquino tritt in den Bettelorden der Dominikaner ein
1245) Regensburg wird Reichsstadt; in London wird die Westminster Abtei errichtet (Gotik)
1245) (28.06.-17.07.) Konzil (13) von Lyon (I) :
Wirtschafts- und Verwaltungsreform kirchlichen Besitzes; Absetzung Kaiser Friedrichs II.
1248) Kölner Dom: Baubeginn
1248-1254) 6. Kreuzzug
um 1250) Spätmittelhochdeutsch setzt sich durch.
(Vgl. AHD, Früh-MHD, Klassisches MHD, Früh-NHD, Klassisches NHD, Spät-NHD)
Der Baustil der Gotik setzt sich in Deutschland durch
Erstarken des Bürgertums, der Geldwirtschaft, der 2 größten deutschen Städte: Köln, Lübeck
Der Feudalstaat geht allmählich in den Beamtenstaat über (Beginn des Spätmittelalters)
Erste Stadtschulen (Vgl. 6-8 und 14-16). Judenverfolgungen (Bildung von Ghettos)
Köln wird freie Reichsstadt
1252/1274) Höhepunkt der Scholastik und Trennung der Theologie von Wissenschaft und Philosophie
Albert der Große (doctor universalis), Th. von Aquino (doctor angelicus),
Roger Bacon (doctor mirabilis)
Frauenmystik von Helfta, Zisterzienserkloster (Mechthild von Magdeburg u.a.)
1254) Ende der Stauferkaiserzeit im Deutschen Reich. (Vgl. Tafel)
1254-1273) Interregnum
(Zeit zwischen letztem Staufer Konrad IV. und erstem Wahlkaiser Rudolf I. von Habsburg)
1254) Zum Schutz gegen die Ritter entsteht der Rheinische Städtebund
In Paris wird eine Theologenschule, die spätere Sorbonne, gegründet
1256) Ordensgründung: Augustiner-Eremiten (Bettelorden)
1259) Handelsbund zwischen Lübeck, Hamburg, Wismar und Rostock (Hanse)
1260) Musik:
In Mainz entsteht die erste Schule der Meistersinger (bürgerliche Dichter-Handwerker als Sänger)
Ritterlicher Minnesang wird durch bürgerlichen Meistergesang abgelöst
1262) Straßburg wird Reichsstadt
1267/1268) Goslar wird Mitglied des Sächsischen Städtebundes und Mitglied der Hanse
1268) Ende der deutschen Kaiserherrschaft in Italien
1270) 7. Kreuzzug
1271) Der Venezianer Marco Polo verfaßt Schriften zu seinen Reisen nach Ostasien
1273) Thomas von Aquino verfaßt sein Werk Summa theologica
1273-1437) Wahlkönigtum im Deutschen Reich
(Habsburger, Nassauer, Luxemburger, Wittelsbacher). (Vgl. Tafel)
1273/1291) Nürnberg wird freie Reichsstadt
1274) (07.05.-17.07.) Konzil (14) von Lyon (2) : Kirchenreform; Konklaveordnung
um 1280) Brille
1282) Bisanz (Besançon) wird freie Reichsstadt
1291) Mamelucken (ehemalige Militärsklaven türkischer, kaukasischer und slawischer Herkunft)
erobern die Kreuzfahrerstaaten. Bedeutung: Ende der Bewegung der Kreuzzüge
1294) Speyer wird freie Reichsstadt
1294/1303) Mit der Gefangennahme des Papstes Bonifaz VIII. 1303 geht die ca. 200 Jahre währende
päpstliche Weltherrschaft bzw. Universalherrschaft langsam zu Ende. (Vgl. Päpste)
um 1300) Der Feudalismus wird langsam durch die ständische Gesellschaftsordnung abgelöst
Brillen-Herstellung
Till Eulenspiegel (Ulenspegel)
Blüte der Deutschen Mystik:
Meister Eckhart, Dietrich von Freiberg, Heinrich Seuse, Johannes Tauler,
Die Theologia Deutsch (aus den Deutschherrenhaus Sachsenhausen) entsteht später (um 1400)
Musik: Übergang von der Moduslehre zur Mensuralnotation:
Ars cantus mesnsurabilis, Franko von Köln
1300) Gotisches Rathaus in Lübeck – 850) Sparta: Erziehung der Jugend durch den Staat
1304) Der Stephansdom in Wien erhält einen gotischen Chor
1307) 3 Urkantone in der Schweiz (Rütlischwur gegen die Habsburger)
1308) Der Deutsche Orden gewinnt Pommerellen
1309) Die Marienburg, die erbaut wird, wird Sitz der Hochmeister des Deutschen Ordens
1311-1312) (16.10.1311-06.05.1312) Konzil (15) von Vienne:
Aufhebung des Templerordens; Franziskanischer Armutsstreit;
Freiheit der Kirche gegenüber weltlicher Gewalt
1316) Umbau der Lübecker Marienkirche im hochgotischen Stil
Augsburg wird freie Reichsstadt
um 1320) Dante Alighieri vollendet sein Hauptwerk, die Göttliche Kömödie(Divina Commedia)
1323) Kaiser Ludwig der Bayer (vgl. Tafel: Wittelsbacher) erteilt seinem Sohn Ludwig d.Ä. die
Herrschaft in Brandenburg, nachdem die Askanier (Ascherslebener) ausgestorben sind
1324) Wilhelm von Ockham wird wegen Irrlehre (Häresie) angeklagt
1328) Die französische Königslinie der Capetinger stirbt aus. Das Haus Valois wird Nachfolger (bis 1498)
1331) Schwäbischer Städtebund
1331) Türken erobern Nizäa von Byzanz um – 820) Tyros gründet Karthago
1335) Habsburg erhält das Herzogtum Kärnten
1338) Im Kurverein zu Rhense verwahren sich die deutschen Kurfürsten gegen die Ansprüche des Papstes,
die deutsche Königswahl zu bestätigen
1339) Der 100jährige Krieg zwischen England und Frankreich beginnt (Ende: 1453)
1344) Peter Parler beginnt mit dem Bau des St.-Veits-Doms in Prag
1346) Mit zukunftsweisender Taktik besiegen die Engländer das französische Ritterheer bei Crécy
1347-1351) Das Abendland hat Pocken und Pest:
Der Schwarze Tod herrscht in ganz Europa. Ein Drittel der Bevölkerung fällt ihr zum Opfer
1348) Prag wird erste deutsche Universität (1)
um 1350) Neuhochdeutsch (Früh-NHD) setzt sich durch (spätestens aber ab 1500; vgl. unten)
(Vgl. AHD, Früh-MHD, Klassisches MHD, Spät-MHD, Klassisches NHD, Spät-NHD)
Machthöhepunkt der Hanse und Hochblüte des Niederdeutschen (Klassik durch MND)
Für die Hanse werden immer mehr Koggen gebaut (Hauptschiffstyp der Deutschen Hanse)
Das englische Parlament wird in Ober- und Unterhaus eingeteilt
In Italien setzt sich der Humanismus durch (Petrarca, Boccaccio)
Papier setzt sich an Stelle des Pergaments durch
Musik (Ars nova): Philippe de Vitry, Francesco Landino, Guilleaume Machault
um – 800) Städtegründungen der Etrusker in Italien
Homer: Ilias (Kampf um Troja) und
Odyssee (Odysseus‘ Irrfahren)
Adelsreligion der Olympischen Götter (Vgl. 4-6, 6-8, 8-10)
1351) Winrich von Kniprode wird Hochmeister (Deutschmeister) des Deutschen Ordens,
der unter ihm seinen Höhepunkt erlebt. (Vgl. oben)
1354) Die elsässischen Reichsstädte vereinigen sich zum Zehn-Städte-Bund
1356) Die Goldene Bulle des Kaisers Karls IV. (vgl. Tafel: Luxemburger) regelt die Königswahl:
7 Kurfürsten sind wahlberechtigt. Diese Reichsgrundgesetz gilt bis 1806. (Vgl. 18-20)
Die Kurfürsten erhalten das Bergwerks-, Salz- und Münzregal (= Verfügung über Reichsgüter)
1357) Chemnitz erhält Bleichprivileg und wird Textilzentrum
Peter Parler erbaut die Karlsbrücke in Prag
1358) Die Bezeichnung Bund der Städte von der deutschen Hanse wird eingeführt.
Lübeck übernimmt die Führung; wird Hauptort der Hansetage
1361) Osmanische Türken erobern Adrianopel und erheben die Stadt zu ihrer Residenz
1363) Habsburg erwirbt Tirol
1365) Universität Wien (2)
1366) Schlegeler Bund (Kleinadel Schwabens); gegründet gegen den Großadel und die Städte
1361/1362) Krieg zwischen der Hanse und Dänemark wegen der Zerstörung von Wisby
um -780) In Griechenland entstehen Stadtstaaten (Polis)
Jede Polis steht unter dem Schutz der Gottheit
1372) Frankfurt (am Main) kauft sich vom kaiserlichen Schultheiß (Befehlenden) frei:
Frankfurt wird freie Reichsstadt
– 776) Erste Aufzeichnungen (der Sieger) der
Olympischen Spiele in Griechenland
1373) Kaiser Karl IV. (vgl. Tafel: Luxemburger) erwirbt von den Wittelsbachern die
Mark Brandenburg, (die diese Mark 1323 erhalten hatten)
1377) Papst Gregor XI. kehrt aus Avignon nach Rom zurück.
Ende der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche. (Vgl. Päpste)
Bau des Ulmer Münsters
1378) Der Vatikan wird päpstliche Residenz: (Abendländisches) Schisma, da es in
Avignon noch Päpste gibt. Das (2.) Große Schisma dauert bis 1417. (Vgl. 1. Großes Schisma)
1379) Universität Erfurt (3)
1381) Gegen Fürsten und Ritter schließen der Schwäbische und der Rheinische Städtebund ein Bündnis
Im Kampf um die Seemacht im Mittelmeer und im Levantehandel siegt Venedig über Genua
1382) Triest kommt an das Herzogtum Österreich
1385) Universität Heidelberg (4)
1388) Universität Köln (5)
1389) Kaiser Wenzel (vgl. Tafel: Luxemburger) verbietet in einem Landfrieden die Städtebünde
Türken besiegen Serben auf dem Amselfeld (Kosovo)
1391) Türken erobern Bulgarien und errichten dort eine türkische Provinz
Judenverfogungen in Spanien
1398) Der Elbe-Travel-Kanal wird fertiggestellt
um 1400) Brügge wird zur führenden Handelsstadt im westlichen Abendland
Aufstieg der Familie Medici in Florenz
Deutsche Mystik: Theologia Deutsch (vgl. oben), Geert Groote, später: Wessel Gansfort u.a.
um -750) Apollonkult in Delphi
Beginn der Eisenzeit in Mitteleuropa (Hallstatt-Zeit)
Der gesunde nackte Körper wird zum beherrschenden Thema der griechischen Kunst
Lykurgos erläßt eine sagenhaft strenge Gesetzgebung in Sparta
1401) Die Führer der Vitalienbrüder, Klaus Störtebeker und Godeke Michels, die als
Freibeuter und Seeräuber die Handelsschiffahrt in der Nord- ind Ostsee schädigten, werden
in Hamburg hingerichtet
1402) Universität Würzburg (6)
1409) Universität Leipzig (7)
Papst Alexander V. wird auf dem Schismakonzil zu Pisa zum Papst gewählt, und die
Gegenpäpste in Rom und Avignon werden abgesetzt (vgl. Päpste)
1410) Schlacht bei Tannenberg (1. Niederlage des Deutschen Ordens)
1411) Der Deutsche Orden verliert im Frieden von Thorn Westlitauen
1414) Heinrich von Plauen wird als Hochmeister des Deutschen Ordens abgesetzt
1414-1418) (05.11.1414-22.04.1418) Konzil (16) von Konstanz:
Verurteilung der Lehre Wyclifs; Todesurteil über J. Hus;
Beilegung des Abendländischen Schismas: Resignation Gregors XII. (vgl. oben);
Absetzumg Johannes‘ XXIII. und Bendedikts XIII.; Wahl Martins V. (vgl. Päpste);
Konziliarismus
um -740) Gründung griechischer Kolonien in Süditalien
Beginn des 1. Messenischen Krieges (Sparta erobert die Bergfestung Ithome)
1415) Der Burggraf von Nürnberg Friedrich VI. von Hohenzollern wird von
Kaiser Sigismund (vgl. Tafel: Wittelsbacher) zum Markgrafen von Brandenburg ernannt
und erhält 1417 als Friedrich I. die Kurwürde für Brandenburg
(Stammvater der brandenburgischen Hohenzollern)
1416) Heinrich der Seefahrer gründet eine Seefahrerschule und errichtet eine Sternwarte
Heinrich der Seefahrer legt durch seine Entdeckungsfahrten den Grundstein für
Portugals Welthandel und Kolonialmacht.
Damit beginnt die Eroberung der Welt (vgl. 14-16, 18-20, 22-24)
1417) Zigeuner wandern aus ihrer Heimat Nordwestindien nach Mitteleuropa
1419-1437) Hussitenkriege. Maritin V. ruft zum Kreuzzug gegen die Hussiten auf. (Vgl. Päpste)
um -720) Ende des 1. Mesenischen Krieges:
1419) Universität Rostock (8) Sparta ist Vormacht in Griechenland
1419) Portugiesische Seefahrer erreichen die Madeiragruppe
um 1420) Frührenaissance in der Malerei:
Hubert und Jan van Eyck, Rogier van der Weyden, Konrad Witz
1422) Konstantinopel wird erstmalig von den Türken belagert
1423) Markgraf Friedrich von Meißen, aus dem Hause Wettin, erhält das Kurfürstentum Sachsen
Humanistische Schule in Mantua
1426-1428) Malerei: Einführung der Zentralperspektive durch Masaccio („Dreifaltigkeitsfesko“)
1429) Jeanne d’Arc wird von der Inquisition als Ketzerin verurteilt
um 1430) Johannes Gutenberg erprobt die Buchdruckkunst (mit beweglichen Lettern)
1431-1448) Konzil (17) von Basel: Entscheidungskampf zwischen Papsttum und Konziliarismus
Basel I (23.07.1431-07.05.1437) : Sieg des Papsttums; Union mit den Griechen, Armeniern, Jakobiten
Basel II (08.01.1438-25.04.1448) – in Ferrara (1438), in Florenz (1439)
um -720) Weitere griechische Städtegründungen
(Polis) auf Sizilien und in Unteritalien
Tarent entsteht als Gründung
unwürdiger Bürger aus Sparta
1431) Portugiesische Seefahrer erreichen die Azoren
30. Mai: Jeanne d’Arc wird in Rouen verbrannt
1434) Portugiesische Seefahrer gelangen an der Westküste Afrikas bis zum Kap Bojador
1435) Dänemark muß im Frieden von Vordingborg die Vorrechte der Hanse anerkennen
1438) Herzog Albrecht V. von Österreich , aus dem Hause Habsburgs,
der Schwiegersohn des Kaiser Sigismund (vgl. Tafel: Wittelsbacher), wird als
Albrecht II. deutscher König und (nicht gekrönter) Kaiser (bis 1439). (Vgl. Tafel: Habsburger).
Das Haus Habsburg stellt damit die deutschen Herrscher (bis 1806)
Entstehung der (französischen) gallikanischen Kirche
1441) Portugiesische Seefahrer gelangen an der Westküste Afrikas bis zum Kap Blanco
Portugiesen beginnen mit dem Handel von Negersklaven
1445) Johannes Gutenberg erfindet den Buchdruck (Druck mit beweglichen, gegossenen Lettern)
Höhepunkte der Rheinischen, Kölnischen und Oberrheinischen Malerschule
Portugiesische Seefahrer erreichen Kap Verde
1448) Türken besiegen ein ungarisches Heer auf dem Amselfeld (Kosovo)
um 1450) Anfänge mathematischer Naturerkenntnis. Nikolaus von Kues: Unendlichkeit der Welt
und das Prinzip des Zusammenfallens der Gegensätze gibt es eigentlich nur in Gott
(Cincidentia oppositorium). N. von Kues ist das personifizierte geistige Bindeglied zwischen
Scholastik und Humanismus, zwischen Mittelalter und Neuzeit:
(Spät-)Scholastik wechselt zum Humanismus
Musik: Beginn der Niederländerzeit: Johann Ockeghem, Guillaume Dufay; Gille Binchois
um -700) Beginn der orientalisierenden Zeit (Renaissance)
Griechische Kolonien an den Ufern des Schwarzen Meeres
Griechen führen die Triere (Dreiruderer) als Kriegsschiff ein
Verfassung Spartas (Große Rhetra)
Hesiod, griechischer Dichter aus Böotien, verfaßt seine Werke
Theogonie (Entstehung der Götter und der Welt) und
Werke und Tage. Er spricht von 5 Zeitaltern und 9 Musen
1452) Johannes Gutenberg druckt in Mainz die 42zeilige Bibel
Musik:
Aufkommen der Instrumentalmusik: Konrad Paumann (ein Improvisator und Orgelmusiker)
1453) Fall Konstantinopels: Türken erobern Konstantinopel
Ende des Byzantinischen Reiches (Oströmischen Reiches)
Griechische Gelehrte fliehen aus dem besiegten Konstantinopel nach Italien und bringen
das griechisch-antike Kulturerbe von Byzanz mit: Auslösung der Renaissance.
Ende des Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich:
England verliert alle Festlandbesitzungen bis auf Calais. Frankreich ist Nationalstaat
1454) Thorn sagt sich vom Deutschen Orden los und wird selbständige Stadt
Johannes Gutenberg druckt Ablaßbriefe
1455) Universität Freiburg (9)
1459) Cosimo de Medici gründet in Florenz eine Platonische Akademie
1460) Hamburg wird freie Reichsstadt
1. deutsche Sternwarte in Nürnberg durch Johannes Müller (Regiomontanus), der auch die
„Moderne Trigonometrie“ schuf. Die Ortsbestimmung auf See und damit die nun folgenden
Entdeckungfahrten wurden durch seine berechneten und publizierten Ephemeriden möglich
1464) Der 1. Druck einer Bibel in deutscher Sprache erscheint in Straßburg
1466) 2. Thorner Frieden: Deutscher Orden tritt das Ermland, das Kulmer Land und Pommerellen ab:
Entstehung des Danziger Korridors
– 682) In Athen wird das Königtum durch das Archontat ersetzt
Die Archonten (Beamte) für jeweils ein Jahr sind
Dionysos-Kult-Führer, Stadtvorsteher oder Heerführer
1469) Heirat: Ferdinand II. von Aragonien und Isabella von Kastilien
Beginn des Einheitsstaates Spanien
1470/1471) Portugiesen entdecken die Goldküste (Westafrika) / Portugiesen überqueren den Äquator
1472) Universität Ingolstadt (10)
1473) Universität Trier (11)
Universität Löwen (12)
Mit dem Bau der Sixtinischen Kapelle in Rom wird begonnen
Das Bankhaus der Fugger in Augsburg tritt mit den Habsburgern in Geschäftsverbindung
Die Familie der Fugger erhält ein Wappen
Die Hildesheimer Didrik Pining und Hans Pothorst (und vielleicht auch João Vaz Corte-Real)
entdecken (davon ist jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit auszugehen) Amerika
1474) England anerkennt die Vorherrschaft der Hanse
Der Arzt und Astronom Paolo Toscanelli aus Florenz zeichnet eine Karte, die den
westlichen Weg nach Indien beweisen soll, der wesentlich kürzer als der bekannte sein müsse
Kolumbus gelangt in den Besitz dieser Karte und sucht daraufhin Kontakt zu Toscanelli
Mögliche Entdeckung Brasiliens durch die Portugiesen, die aber nicht bekannt wird
1476) Universität Tübingen (13)
Universität Mainz (14)
Bauernerhebung in Franken. Der Würzburger Bischof läßt sie niederschlagen
um -670) Terpander, Erfinder der 7seitigen Lyra,
hat eine Musikschule in Sparta gegründet
1477) Durch die Heiratspolitik fallen Burgund und Holland an Habsburg
1479) Vereinigung von Kastilien und Aragon: Vorbereitender Zusammenschluß Spaniens. (Vgl. oben)
1480) Zur Bekämpfung der Ketzer wird in Spanien die Inquisition eingeführt
1481) Die Reconquista wird von Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragonien im
Kampf um Granada, das letzte verbliebene maurische Königreich, wieder aufgenommen.
1482) Portugiesische Seefahrer gelangen zur Kongo-Mündung
1483) Der Dominikaner Thomas de Torquemada wird Großinquisitor in Spanien
Kolumbus‘ Vorschlag, den Seeweg nach Indien zu suchen, lehnt König Johann II. von Portugal ab
Kolumbus wendet sich daraufhin an den spanischen Hof
In dem niederdeutschen Volksbuch werden die Geschichten von Till Eulenspiegel aufgezeichnet
1484) Papst Innozenz VIII.: Hexenbulle (die päpstliche Inquisition soll den Hexenhammer verfassen)
1485) Universität Bisanz (Besançon) (15)
1486) Der Hexenhammer, ein Gerichtsbuch der Hexenprozesse, wird in Straßburg gedruckt
1487) Der portugiesische Seefahrer Bartolomeo Diaz umsegelt die
Südspitze Afrikas (Kap der guten Hoffnung)
Spanier erobern Malaga von den Arabern (Mauren)
1488) Im Schwäbischen Bund schließen sich die Städte mit dem Adel zusammen – zum Schutz des
Landfriedens. An ihrer Spitze steht Graf Eberhard V. von Württemberg
Erste Apotheke in Berlin
– 660) Aufstand der Messenier gegen Sparta:
Beginn des 2. Messenischen Krieges (bis 640)
1490) Der Gartenpalast Belvedere wird fertiggestellt
Erfindung der doppelten Buchführung
um -660) Griechen gründen Byzanz
1491) Der erste Erdglobus wird in Nürnberg vom Seefahrer und Geographen Martin Behaim hergestellt
1492) Erste gedruckte Weltchronik von Hartmann Schedel (erschienen bei Anton Koberger, Nürnberg).
Granada wird von den Spaniern erobert. Der letzte maurische König flieht nach Afrika. Damit wird
Spanien zur Großmacht. Die Inqusition zwingt Mauren und Juden, die nicht bereit sind,
zum Christentum überzutreten, Spanien zu verlassen.
Der Genuese Christoph Kolumbus entdeckt auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien am
12. Oktober 1492 Amerika
um -660) Im Kampf zwischen Korinth und Korfu wird die
erste historisch belegte Seeschlacht ausgetragen
1493) Bauernaufstand im Elsaß (Bundschuh)
Hartmann Schedel veröffentlicht seine illustrierte Weltchrouik
1494) Amerika erhält seinen Namen nach dem Florentiner Amerigo Vespucci
Der Elsässer Sebastian Brant verfaßt das gesellschaftskritische Buch Das Narrenschiff
Die Häuser Habsburg und Bourbon beginnen den Kampf um Italien. 1. Objekt: Neapel
Schließung des (Hanse-) Peterhofs in Nowgorod
1495) Reichstag zu Worms: Reichsreform
(Ewiger Landfriede, Reichssteuer, Reichskammergericht, Annahme des römischen Rechts)
um – 657) Beginn der Tyrannis in Korinth (bis 580)
Größte Blüte Korinths als 1. Seemacht Griechenlands
1496) Der Sohn Kaiser Maximilians I. (vgl. Tafel: Habsburger),
Philipp der Schöne von Burgund, heiratet Johanna die Wahnsinnige von Spanien,
Erbin Spaniens. Der spätere Kaiser Karl V. (vgl. Tafel: Habsburger), beider Sohn, erbt damit
sowohl Spanien als auch Burgund, die Niederlande und die habsburgischen Erblande
1497) Als Gegengewicht zum Reichskammergericht bildet Kaiser Maximilian I. den Reichshofrat
1498) Der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama findet mit 3 Schiffen und 150 Matrosen den
Seeweg nach Indien (rund um das Kap der Guten Hoffnung)
Kolumbus erreicht auf seiner 3. Reise das Festland Südamerikas am Orinoko
In Nürnberg entsteht das erste deutsche Leihhaus
Die Welser in Augsburg (Handelsgesellschaft) betreiben europäischen Großhandel
Die Fugger in Augsburg, deren Vermögen sich in 20 Jahren verzehnfacht hat, kontrollieren den
europäischen Kupfermarkt
In Lübeck wird das Tierepos Reinke de Vos (Hinrek von Alkmar) gedruckt
1499) Friede von Basel: Ende des Schwabenkrieges. Die Schweiz will sich vom Deutschen Reich lösen.
um 1500) Neuhochdeutsch (Früh-NHD) hat sich durchgesetzt
(Vgl. AHD, Früh-MHD, Klassisches MHD, Spät-MHD, Klassisches NHD, Spät-NHD)
Beginn der Hochrenaissance um -650) Hochblüte der Orient-Renaissance
Asurbanipal gründet in Ninive eine große Bibliothek
Dionysos wird (als letzter Gott) im Olymp aufgenommen
Wirken und Werke von Leonardo da Vinci, Michelangelo (Buonarotti), Donato Bramante,
Raffael, Hans Holbein d.Ä., Tilman Riemenschneider, Sebastian Brant, Hartmann Schedel,
Albrecht Dürer, Peter Vischer (d.Ä.), Veit Stoß, Matthias Grünewald, Lucas Cranach (d.Ä),
Adam Kraft u.a.
Musik: Erstes Musiklexikon von Johann Tinctoris
Erste Schienenwagen in deutschen Bergwerken
Das Buch Deutsche Geschichte, von dem Humanisten Jakob Wimpheling, wird veröffentlicht
1. ständige Postverbindung wird eingerichtet: Wien – Brüssel
Bauernaufstand in Baden (Bundschuh)
In Deutschland werden Sibergulden ausgegeben
Kolumbus, am spanischen Hof in Ungnade gefallen, wird in Ketten nach Spanien gebracht
Kolumbus kann sich aber bald rehabilitieren und weitere Reisen nach Amerika unternehmen
Das Gemälde Mona Lisa wird von Leonardo da Vinci vollendet
Das Jahr 1500 wird von der Kirche als Großes Jubeljahr gefeiert
Seit der von J. Gutenberg erfundenen Buchdruckerkunst (1430/1445) sind
1000 Druckereien entstanden (Stand des Jahres 1500)
Neben den Burgen gewinnen Stadtbefestigungen an Bedeutung
Musik: Heinrich Finck, Jakob Obrecht, Paul Hofhaimer, Jean Mouton, Heinrich Isaak,
Josquin Desprès, Adrian Willaert, Ludwig Senfl
Peter Henlein erfindet die Taschenuhr
um -650) Als Handelsstützpunkt gründen Griechen Naukratis im Nildelta
Etrusker gründen Ostia (an der Mündung des Tibers)
Archilochos, griechischer Dichter aus Paros, schreibt Tierfabeln
seit -650) Verdrängung des Geburtsadels durch Großhandelsfamilien
im Verlauf sozialer und politischer Unruhen, v.a. in Ionien
Wachsender Einfluß des Volkes, oft geführt von Tyrannen
Kunst: Ende des Geometrischen Stils (Geometrik)
= Übergang zum Dorischen Stil (Dorik)
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Nach heutiger Auffassung umfaßt die Gotik den Zeitraum zwischen 1200/1250 und 1450/1500, obwohl sie in manchen Ländern früher begann und früher endete. Ursprünglich war die Gotik der Ausdruck für die gesamte Kunst, die zeitlich zwischen Antike und Neuzeit anzusiedeln war: die Kunst der Goten. Demnach wäre aber auch die eindeutig pseudomorphe Spätantike selbst als magisch oder christlich-germanisch zu bezeichnen. (Vgl. Synkretismus). Nach Spengler umfaßt die Gotik den Zeitraum zwischen etwa 900 und 1500, die Ottonik und Romanik also miteinschließend. (). Wenn man eine Art Zuspitzung als Charakteristikum der Gotik zugrunde legen will, so muß man sie auch als eine Kunstform der durch die vergangenen Phasen heraufbeschworenen Zuspitzungbetrachten. Die Baukunst der Gotik ist die wohl mathematischste aller Künste: ihre Raum-, Konstruktions- und Einzelformen bilden ihr Rückrat. Gerade hierdurch ist die Gotik am ehesten von den vorherigen Künsten, insbesondere der Romanik, zu unterscheiden. Wegen der großartigen intellektuellen Leistungen ist sie auch am ehesten mit den bereits erwähnten Leistungen eines Kindes beim Spracherwerb zu vergleichen. (). Die Anfänge nahm die Gotik in der Normandie, d.h. in einem germanisch stark durchsetzten Gebiet Frankreichs. Für den Bau der Kirche Ste-Trinité in Caen wurden bereits um 1077 gotische Elemente verwendet. Dann entwickelte Burgund, eine ebenfalls stark germanisch durchsetzte Landschaft, diese Ansätze weiter.

Die Hauptländer der Gotik sind Frankreich und Deutschland. Durchzusetzen begann sie sich im Ursprungsland Frankreich bereits in der Mitte des 12. Jahrhunderts, in Deutschland in den 1230er Jahren. Im Unterschied zum romanischen Baustil und seinen Summen von Einzelräumen entwickelte der gotische Baustil den Innenraum zu einem Einheitsraum. Das Querschiff ist kürzer als das der romanischen Kirchen. Dadurch entsteht der Eindruck einer engeren Verschmelzung mit dem Langhaus. Der ganze Kirchenraum ist scheinbar von einem einzigen Zuge beherrscht. Die gotischen Bauherrn setzten an die Stelle des Rundbogens den Spitzbogen: ein Ausdruck der steileren Haltung des Baues und wichtig für die Konstruktion, weil sein Seitenschub wesentlich geringer ist als der des Rundbogens. (Vgl. Romanik).

Bei gotischen Bauten kommt alles darauf an, die Mauer zu entlasten, denn sie ist dünn und leicht und muß breiten und hohen Fenstern möglichst viel Fläche überlassen. Das kann sie aber nur, wenn sie dem Schub des Gewölbes nicht standzuhalten braucht. Um diesen abzufangen, bedurfte es eines komplizierten inneren und äußeren Gerüstes: die Gewölbe sind mit Rippen (Kreuzrippen) unterlegt, die von steinernen Wandvorlagen (Diensten) getragen werden. Dieses innere Strebewerk zieht sozusagen alle architektonischen Energien aus der Wand, um sie auf sich zu vereinigen. Das äußere Strebewerk besteht aus Strebepfeilern, die den ganzen Bau umstellen. Von ihnen aus schwingen Strebebogen sich zu den Wänden hinüber und stemmen sich an die statisch besonders zu sichernden Stellen an. Streben und Wände aus Glas erwecken den Eindruck, als wolle der gotische Bau ohne Horizontale auskommen und dem Boden entkommen, unter Betonung aller vertikalen Gliederungen, die schließlich in dem Riesenturm oder den Riesentürmen der Westfassade ihre letzte Steigerung finden. Bei gotischen Bauten weiß man nie genau, ob sie noch Kontakt zum Boden haben. Wer ihr Streben verfolgt, verfolgt den Weg in den unendlichen Raum, zum Ursymbol der abendländischen Kultur.

Musikalisch war die Gotik die Phase des Übergangs vom Minnesang zum Meistergesang, von der Ars antiqua zur Ars nova und mit dieser über Polyphonie und Kontrapunkt bis zum deutschen mehrstimmigen Lied, schließlich bis zum Aufkommen der Instrumentalmusik durch den Improvisator und Orgelmusiker Konrad Paumann (1409-1473). Franko von Köln (*1250) war wohl der erste Musiker, der den Übergang von der Moduslehre zur Mensuralnotation anbahnte und damit eine wichtige Voraussetzung zur Emanzipation der abendländischen Musik im Rahmen des Kulturspracherwerbs schuf, der später durch Konrad Puhmann phasenvollendet werden konnte. Ars cantus mensurabilis heißt die Schrift, die Franko von Köln, wahrscheinlich noch vor 1300, verfaßte. In ihr legte er fest, daß auf eine Brevis höchstens 3 Semibreven kommen dürfen, während vorher die Zahl schwankend war. Ars nova ist der Titel einer Schrift von Philippe de Vitry (1290-1361), die wohl 1320 in Paris verfaßt wurde. Sie betrifft die neue Art der Mensuralnotation und die wichtigsten Neuerungen: Gleichberechtigung der zweizeitigen Mensur neben der bis dahin herrschenden dreizeitigen sowie die stärkere Unterteilung der Notenwerte zur Darstellung rhythmischer Feinheiten. Die Hauptformen der Ars nova sind die isorhythmische Motette und die 2-4stimmigen Balladen, Rondeaus und Virelais. Deshalb gilt Guilleaume de Machault (1300-1377) neben Philippe de Vitry zum Hauptmeister der französischen Ars nova, auch wenn hier noch in manchen Klängen die Ars antiqua mitschwingt. Insgesamt waren dieseVertreter jedoch schon auf dem Wege zur Polyphonie. Die Lehre vom Kontrapunkt entwickelte sich aus der ursprünglich improvisierten Erfindung einer überwiegend in Gegenbewegung verlaufenden Stimme, die seit dem beginnenden 14. Jahrhundert in Anweisungen zum Discantus in feste Regeln gefaßt wurde. Seine beherrschende Stellung gewann der Kontrapunkt in der niederländischen Musik des 15. und 16. Jahrhunderts bis zu seiner Vollendung (im 16. Jh.) bei Palestrina und Orlando di Lasso, die für mehre Jahrhunderte in Kontrapunkt- und Kompositionslehren maßgebend wurden. Seit dem Frühbarock galt er jedoch als konservative Praxis gegenüber der moderneren, an der Sprache orientierten Ausdruckskunst der Monodie. Als strenge Schreibart blieb er bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts verbindlich.

Was für die Antike die Geometrisierung, der Aufbau eines ornamentalen Kosmos aus einfachen geometrischen Ornamenten (Linien, Mäander, Halbkreise) war, das war für das Abendland die gotische Phase. In der Antike entstanden in dieser Phase die ersten griechischen Tempelbauten für die Göttin Hera in Olympia und für den Meeresgott Poseidon. Der geometrische Tempel entwickelte sich aus dem frühgriechischen Herrenhaus, dem Megaron. (Vgl. 4-6). Die ältesten Tempel, zu denen u. a. der um 800 v. Chr. erbaute Tempel der Hera (Heraion) gehört, hatten noch keine von Säulen getragene Ringhalle, die aber im 7. Jahrhundert v. Chr. auftrat. (Vgl. 12-14). Als Erfinder der Großplastik kann der Kreter Daidalos, die Großplastik als Sinnbild des Menschen und die gleichzeitige monumentale Architektur, z.B. der Steintempel mit Säulenumgeng (Peristatis), als Symbol der griechischen Polis gelten. (Vgl. Ursymbol). 776 v. Chr. begann die Aufzeichnung der Olympischen Spiele und um 750 v. Chr. der Apollonkult in Delphi. Im ausgehenden 8. Jahrhundert v. Chr. versuchte Hesiod sich und der bäuerlichen Welt über die Entstehung der Götter und der Welt in seiner Theogonie wahrscheinlich deshalb mehr Klarheit zu verschaffen, weil ihm und der Welt des kleinen Bauern die Jahrzehnte vorher von Homer beschriebenen Olympier zu adelig und zu heiter vorgekommen waren. Ähnlich mag es den zur Masse gehörenden Menschen im Abendland ergangen sein, wenn sie vor einem gotischen Dom standen und einen Moment lang die Heiterkeit des Strebens und Abhebens in die unendlichen Räume genießen konnten, bevor die mühsame alltägliche Arbeit und der Kampf um die Existenz sich wieder meldete.
Analoge Theologien
(10-12): 850-650 und 1200-1500
(0-2, 2-4, 4-6, 6-8, 8-10, 10-12)
18) ………………. … ……………….. seit ca. – 10. Jh. / – 9. Jh.
19) Zeus-Götterwelt als Monopol-Religion seit ca. – 10. Jh. / – 9. Jh.
20) ……………….. … ………………… seit ca. – 9. Jh. / – 8. Jh.
21) Zeus-Götterwelt als Adelsreligion, Homer; seit ca. – 8. Jh.
22) ……. … ….. (u.a. Olymische Spiele; 776) seit ca. – 8. Jh.
23) ……. … ….. (u.a. Apollon-Kult in Delphi) seit ca. – 8. Jh.
24) Orientalisierende Renaissance seit – 8. / 7. Jh.
25) Reformation (Orphiker) Renaissance seit – 7 Jh.; Neuzeit
26) Dionysos als „letzter Gott“ im Olymp; seit – 7. Jh.; Neuzeit
27) Zeus-Götterwelt; Theogonie von Hesiod; seit – 7. Jh.; Neuzeit
28) Gegenreformation Zeus-Welt seit – 7. / – 6. Jh.; Neuzeit

– PURITANISMUS seit – 7. / – 6. Jh.; Neuzeit – 18) 3. Scholastik Hoch-Scholastik (Aristotelismus) seit 13. Jh.
19) 2. Mystik Hoch-Mystik seit 13. Jh.
20) 4. Scholastik Spät-Scholastik seit 14. Jh.
21) 3. Mystik Spät-Mystik seit 14. Jh.
22) Nominalismus Früh-Naturwissenschaft seit 14. Jh.
23) Ockhamismus Früh-Empirismus seit 14. Jh.
24) Humanistische Renaissance seit 14. Jh. / 15. Jh.
25) Reformation (Luther) Renaissance seit 15. / 16. Jh.; Neuzeit
26) Neuscholastik (5) Reformation seit 15. / 16. Jh.; Neuzeit
27) Neumystik (4) Paracelsus, Franck u.a. seit 16. Jh.; Neuzeit
28) Neuscholastik (6) Gegenreformation seit 16. Jh.; Neuzeit

– PURITANISMUS seit 16. Jh.; Neuzeit –

Wie bereits erwähnt, gelangte die Scholastik mit Albert dem Deutschen (dem Großen, 1193-1280), der dem Studium des griechischen Philosophen und für die mittelalterliche Wissenschaft so wichtigen Aristoteles zum Durchbruch verhalf, und Thomas von Aquino (1225-1274) zu ihrem glanzvollen Höhepunkt, auf den sogleich der Ausgang folgte, weil die Kritik an der Kirche und ihre Gegenkritik immer lauter und deutlicher wurde. (Vgl. 8-10). Ihr dichterisches Symbol fand die Spätscholastik im religiösen Epos des Florentiners Dante Alighieri (1265-1321). Der Schöpfer der italienischen Schriftsprache gestaltete in seiner Divina Commedia (Göttliche Komödie, 1311 bis 1320) den Gang von der Hölle zum Paradies als Vision eines universalen Weltgerichtes. Innerhalb der Scholastik bekämpften sich Thomisten (Via antiqua: Dominikaner) und Scotisten (Via moderna: Franziskaner). Die Auffassung von der irdischen Besitzlosigkeit Christi erklärte Johannes XXII. 1323 als ketzerisch. Der Ordensgeneral Michael von Cesena Wilhelm von Ockham u.a. flohen aus päpstlicher Haft zu Kaiser Ludwig dem Bayern. Einige seiner kaiserlichen Ratgeber vertraten eine rein weltliche Staatslehre: Volkssouveränität, Trennung von Staat und Kirche, Überordnung eines Konzils über den Papst. Roger Bacon (1214-1294) rief zu kritischer Prüfung scholastischer Lehrautoritäten (Aristoteles) und zu freierer Naturbetrachtung durch Experiment und Erfahrung auf. Bedeutendster Vertreter der Modernisten war Wilhelm von Ockham (um 1285-1349). Als Schüler von Duns Scotus (1266-1308) waren ihm alle Begriffe nur Namen ohne Realität: der Nominalismus trennte scharf zwischen unbegründbaren Glaubenswahrheiten (göttliche Willensakte) und Wissen (Erkenntnis). Zur Pariser Schule der Ockhamisten zählten Johannes Buridan (um 1300-1358) und der Naturphilosoph Nikolaus von Oresme (um 1320-1382), der die Achsendrehung der Erde annahm und Berechnungen der Erdbewegung anstellte. Via moderna und Nominalismus gaben zwar Anstöße zu philosophischer und theologischer Neubesinnung, verzettelten sich aber in spitzfindigen Streitigkeiten.
In Reaktion auf die rationale Scholastik und die kirchliche Verweltlichung suchte die Mystik Gott durch innere Schau, durch Vision und Kontemplation zu erleben und in ihm aufzugehen: Unio mystica. (Vgl. 8-10). Anregungen erhielten die Mystiker durch den Neuplatonismus, der zwar wenig verbreitet, aber dennoch zugänglich war über die arabischen Philosophen, die vor der Reconquista aus Spanien geflohen waren, und über die Griechen, die bereits vor den Türken aus dem Byzantinischen Reich fliehen mußten. Andere Quellen für die Mystiker waren die Schriften des Augustinus (354-430) und des Dionysus Areopagita (5. Jh.). Die Mystik vertiefte sich vor allem in Deutschland, getragen von Dominikanern, Frauenkonventen und -klöstern. Meister Eckhart (1250-1327) lehrte in (deutschen) Schriften und Predigten die Entwerdung des Menschen, dessen Seelenfunke sich in Abgeschiedenheit einbildet in Gott. Sein Werk beeinflußte Ruysbroek (1293-1381), Johannes Tauler (1300-1361) und Heinrich Seuse (1295-1366), den Lyriker der deutschen Mystik. Unter mystischem Einfluß entstanden Bewegungen zur Verinnerlichung des Lebens: die Gottesfreunde (Mönche, Bürgerliche, Adelige am Oberrhein) beabsichtigten, sich unter Leitung von Tauler und dem Kaufmann Rulman Merswin in Gelassenheit und Stille von der Welt zu entbilden. Deutsch Theologia war eine mystische Erbauungsschrift, die Ende des 14. Jahrhunderts in Sachsenhausen bei Frankfurt (Main) entstand und später auf Luther (1483-1546) einen großen Eindruck machte, von ihm unter dem Titel „Ein deutsch Theologia“ 1518 erstmalig veröffentlicht wurde. (Vgl. 12-14). Am Niederrhein und im Gebiet um Deventer verbanden sich die Brüder vom Gemeinsamen Leben, Kleriker und Laien, auf Anregung von Geert Groote (1340-1384) zum Studium der Heiligen Schrift, zu Volksmission und Schularbeit. Das Hauptwerk des Kreises, De imitatione Christi, fand weite Verbreitung und war wohl verfaßt von Thomas von Kempen (1380-1471).

Alle geistigen Bewegungen seiner Zeit faßte Nikolaus von Kues (1401-1464) zusammen. Er stand auf der Grenze zwischen Scholastik und Humanismus und war von der Mystik (bes. Meister Eckhart) und dem Nominalismus (Wilhelm von Ockham) beeinflußt. Sein Hauptwerk De docta ignorantia (Von der gelehrten Unwissenheit, 1440) überwand die Scholastik. Er suchte den Umkreis des menschlichen Wissens philosophisch als Wissen vom Nichtwissen zu bestimmen und seine Möglichkeiten durch das Prinzip des Zusammenfallens der Gegensätze (Coincidentia oppositorum) zu erweitern, das es im eigentlichen Sinn nur in Gott geben könne. Aus der Sicht des Nikolaus von Kues hat das unendliche Universum weder einen Mittelpunkt (Erde), noch kann es rational erfaßt werden, da in ihm alle Gegensätze vereint sind: der Mensch, überhaupt jedes Ding, ist Mikrokosmos, Abbild des Universums, in dem alles in einer stetigen Stufenfolge vom Höchsten bis zum Niedrigsten geordnet ist. Mit Vorliebe bediente sich Nikolaus von Kues mathematischer Denk- und Ausdrucksweisen, besonders um die Probleme des unendlich Großen und Kleinen zu bewältigen. Nikolaus von Kues empfand schon die räumlich-zeitliche Unendlichkeit. Seine Vorschläge zur Kalenderreform gründeten sich auf seine neuen astronomischen Forschungen, die von seinem Schüler Nikolaus Kopernikus (1473-1543) weitergeführt wurden. (Vgl. 12-14).

Der Humanismus leuchtete geistig dem Zeitalter der Renaissance voran. Dieser Anthropozentrismus, vom menschlichen Bewußtsein ausgehend und die Wertsetzung des Menschen zum Objekt habend, überwand das Mittelalter, weil er der Scholastik und der geistigen Vorherrschaft der Kirche entgegentrat. Durch die wiederentdeckten Werke der Antike sollte das Ideal der rein menschlichen Bildungs und Haltung erreicht werden. Somit war der Humanismus, neben der Mystik, der Wegweiser in die Neuzeit. Vermittler des Humanismus waren aus Byzanz nach Italien gekommene oder geflüchtete Griechen. Sie lieferten die zuvor im Abendland kaum erhältliche griechische Literatur und Bildung, insbesondere die begehrte Ideenwelt des Platon (427-347). Frühe Humanisten waren Giovanni Boccaccio (1313-1375) und Francesco Petrarca (1304-1374). Es folgten Eneo Silvio Piccolomini (Papst Pius II., 1405-1464), Rudolf Agricola (1443-1485), Johannes Reuchlin (1455-1522), Konrad Celtis (1459-1508), Konrad Peutinger (1465-1547), Willibald Pirckheimer (1467-1532), Konrad Muth (Mutianus Rufus, 1470-1526), der Reichsritter Ulrich von Hutten (1488-1523), Thomas Morus (1478-1535), Erasmus von Rotterdam (1466-1536). Humanistisches Gedankengut vertraten in ihrer Frühzeit auch die Reformatoren Martin Luther (1483-1546), Ulrich Zwingli (1484-1531), Philipp Schwarzert (Melanchthon, 1497-1560) und Johannes Calvin (1509-1564), zumindest aber waren sie auch Repräsentanten der Renaissance. Dennoch machte die Reformation dem Humanismus ein Ende oder nahm ihn religiös in sich auf.

Diese Phase des Kulturspracherwerbs war für die Antike nicht zufällig die Phase der Polis und der Beginn des Einzugs der Götter in den Olymp sowie der Beginn der griechischen Kolonisation durch die Ionier, dem Aufkommen des Hellenengefühls, dem Aufschwung des Handwerks und der Ausweitung des Seehandels. Den Start in die nächste Phase unternahmen nicht zufällig die ersten Polis als Kolonialmächte, die orientalisiernde Renaissance und die Reformation der Orphiker, die für den Einzug des letzten Gottes in den Olymp sorgten: Dionysos. Wie ähnlich erscheinen da die Entwicklungen im Abendland, denn diese Phase des Kulturspracherwerbs war für das Abendland nicht zufällig die Phase der Gotik; sie endete auch nicht zufällig mit Portugals Entdeckungen durch seine Seefahrten, der neuen Technik des Buchdrucks, den Frühkapitalisten, dem ersten Erdglobus, dem Ende der Scholastik durch den Humanismus, der Entdeckung Amerikas, dem endgültigen Erfolg der Reconquista und der Bildung des Einheitsstaates Spanien durch die Vereinigung von Kastilien und Aragonien. Die ersten beiden Globalkolonialmächte Portugal und Spanien, das heliozentrische Weltbild, die antik-hellenisierende Renaissance und die Reformation unternahmen nicht zufällig den Start in die nächste Phase. Diese Wende mußte kommen. Sie war eine erste Verlagerung der Macht nach Westen und der Beginn der Neuzeit. Aber weil sie neu erschien, waren auch die Beweggründe derjenigen größer, die zurück wollten.
1453 hatte diese Bewegung mit dem Fall von Konstantinopel, dem Tod des Byzantinischen Reiches, begonnen: durch ihn kam die griechische Antike in Mode, aber der alte Seeweg nach Indien nicht mehr in Frage. Christoph Kolumbus (1451-1506) glaubte bis zu seinem Tode, daß er über den Weg nach Westen Indien erreicht und nicht einen neuen Kontinent entdeckt hätte. In Wirklichkeit hatte er am 12. Oktober 1492 Amerika entdeckt und Indien nicht erreicht. (). Der Portugiese Vasco da Gama (1468-1524) umfuhr 1498 das Kap der Guten Hoffnung und fand den gesuchten alternativen, den neuzeitlichen Weg nach Indien. Die Ozeanfahrten der abendländischen Seefahrer waren für jeden einzelnen Teilnehmer verbunden mit dem Risiko, nie mehr in den heimatlichen Hafen zurückzukehren, aber sie lernten, die Ostwinde über dem Atlantik so zu nutzen, daß die Rückkehr gelang und deshalb auch die Hoffnung wachsen konnte, den Seeweg nach Westen zu meistern und am Ende den gesamten Globus umsegeln zu können. Dem Portugiesen Fernão de Magalhães gelang die erste Weltumseglung von 1519 bis 1521. Kaiser Karl V. hatte ihm 5 Schiffe für eine Westfahrt zu den Gewürzinseln bewilligt. Die Rückreise unternahm Juan Sebastián Elcano von den Philippinen aus, nachdem Magalhães dort verstorben war. Mit dieser ersten Weltumsegelung war die Kugelform der Erde erwiesen.
Vorkultur Spätkultur Frühkultur Hochkultur

GOTIK (1250-1500)

Umfaßt die Gotik nicht nur musikalisch 600 Jahre
(900-1500; nach Spengler),
sondern sogar 1400 Jahre
(100/200-1500/1600)? Mit der in der Gotik offenbar gewordenen Kompetenz zur eigenspezifischen Kultursymbolik ging nicht zufällig zuletzt der Humanismus einher. Er war und ist das Pendant zum befruchtenden globalen Hominismus, der sich sozusagen auf der gegenüberliegenden Seite befindet und uns heute bevorsteht. (Vgl. 22-24). Am Ende dieser beiden Phasen waren nicht nur sie selbst, sondern zugleich eine ganze und eine doppelte Kulturjahreszeit zu Ende. Der gotische Humanismus beendete nicht nur das scholastische Quartal, den Frühling des Mittelalters, sondern auch die geographisch auf Europa zentrierte Hemisphäre der Abendlandkultur: Winter und Frühling (Spätantike und Mittelalter). Er bereitete den Sommer der Neuzeit vor. Und am Anfang des 23. Jahrhunderts wird der global befruchtende Hominismus nicht nur den Herbst der Moderne endgültig beendet haben, sondern auch den Sommer und Herbst umfassenden hemispärischen Globalzeitraum und sogar die gesamte Kultursphäre: alle 4 Kulturjahreszeiten. Er wird den Kreis schließen und den Winter der anderen Zeit vorbereiten. Bis zum Beginn des 23. Jahrhunderts wird sich also die abendländische Kultur auf die anderen Umstände vorbereitet haben müssen, um mit der schwangeren Kulturpartnerin und dem kommenden Nachwuchs gemeinsam überleben zu können, auch weil dann der letzte, vollendende Zivilisationshöhepunkt erreicht sein wird. (Vgl. 22-24). Bis zur Weltalleroberung, die seit dem Ende des 20. Jahrhunderts andauert, war die 2. Hälfte der Wegstrecke eine ozeanische Welteroberung, die mit der jetzt zu Ende gehenden Gotik begann, aberdie 1. Hälfte der Wegstrecke eine ausgesprochen ursymbolisch-seelenbildliche und deswegen notwendige Grundvoraussetzung. Hier in der Mitte, an der Nahtstelle zwischen der 1. und der 2. Hälfte der kulturellen Wegstrecke, wirkte die Hochgotik, und ihre Bauwerke sind nicht nur als quantitative, sondern auch und vielleicht noch mehr als qualitative Größe zu bewerten.
Man hätte keinen besseren Namen für die Gotik finden können, denn er allein kündet schon von der Bedeutsamkeit dieser Phase für die gesamte 1. Hälfte des zeitlichen Kulturkreises. Er steht für die Goten und alle anderen Germanen der Spätantike genauso wie für die Menschen, die diese angeblichen Barbaren meinten, als sie sich den Namen für die doch so typisch abendländischen Kunstwerke ausdachten. Sie ahnten nicht einmal annähernd, welche Ehre dadurch den Goten und allen anderen Abendländern nach ihnen zuteil werden sollte. Auch deshalb war die Renaissance in ihrer Wirkung und Wirklichkeit eine Spätgotik, obwohl und besonders weil sie das Gegenteil beabsichtigte. So gesehen folgte auf die Gotik der Barock. (Vgl. 14-16). Die Gotik war die Zuspitzung der Gotenkunst, und somit reicht sie im allgemeinen Sinn von der Spätantike über das Mittelalter bis zum Beginn des Barock. Im engeren Sinne umfaßt sie natürlich die hier umrissene Phase. (Vgl. oben).

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Anmerkungen:

Johann Wolfgang Goethe (28.08.1749 – 22.03.1832) Faust (Teil I), 1806, S. 27, Faust (II), 1831, S.113ff.
Oswald Spengler (1880-1936), Der Untergang des Abendlandes, 1917 (Band I), 1922 (Band II).
Oswald Spengler (1880-1936), Der Untergang des Abendlandes, 1917 (Band I), Tafeln, S. 70ff..
Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes (2. Band), 1922, S. 784ff.

Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen – wie unzählige andere Beispiele auch – für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.
Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Spengler, 1922, S. 847f.).
Albert von Bollstädt (1193-1280), auch: Albert der Deutsche, Albert der Große (Albertus Magnus), trug den Ehrentitel „Doctor universalis“, wegen seiner Vielseitigkeit. Er war Philosoph, Naturwissenschaftler und Theologe und gehörte dem Dominikanerorden an. Als einziger Gelehrter hat er den sonst nur Staatsmännern vorbehaltenen Beinamen „Magnus“ (der Große) erhalten. Albert ist Schutzpatron der Naturwissenschaftler. (Vgl. auch: Aristoteles und Aristotelimus).
Leonardo da Vinci (15.04.1452 – 02.05.1519), Maler, Bildhauer, Baumeister, Zeichner und Naturforscher. Er wurde beim Bildhauer und Maler Verrocchio (1436-1488) ausgebildet, kehrte nach langjähriger Tätigkeit (1482-99) am Mailänder Hof des Herzogs Ludwig von Mailand nach Florenz zurück, ging dann (1596) jedoch auf Einladung des französischen Statthalters wieder nach Mailand. 1513 begab er sich in Erwartung päpstlicher Aufträge nach Rom und folgte 1516 einer Einladung des ihn verehrenden Königs Franz I. nach Frankreich. Von der überraschenden Vielseitigkeit Leonardos legen v.a. seine Zeichnungen (in Silberstift, Feder, Kreide, Kohle, Rötel oder Tusche) Zeugnis ab. Sie beziehen sich nicht nur auf vollendete oder geplante Werke in Malerei, Plastik und Architektur, sondern weisen Leonardo als Wegbereiter einer anschaulichen Naturforschung auf dem Gebiet der Anatomie, Botanik, Zoologie, Geologie, Hydrologie, Aerologie, Optik und Mechanik aus. Als Naturforscher und Techniker war Leonardo ein typischer Empiriker.
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) veröffentlichte seine nicht-euklidischen Geometrien nicht, weil er das Geschrei der denkfaulen, schwerfälligen und unkultivierten Menschen fürchtete. Er nannte sie Böoter, weil die Einwohner dieser antiken Landschaft (Hauptstadt: Theben) von den Einwohnern anderer Griechenstädte als denkfaul und schwerfällig beschrieben worden waren. Gauß meinte zu Recht, daß man die Menschen nicht wirklich würde überzeugen können. Die erste der nichteuklidischen Geometrien entdeckte Gauß nach Vollendung seines Hauptwerkes Disquisitiones arithmeticae (1801), durch deren in sich widerspruchslose Existenz bewiesen wurde, daß es mehrere streng mathematische Arten einer dreidimensionalen Ausgedehntheit gibt, die sämtlich a priori gewiß sind, ohne daß es möglich wäre, eine von ihnen als die eigentliche Form der Anschauung herauszuheben. (Vgl. 18-20).
Römisch-katholische Interpretationen attestieren dem Abendland zumeist, daß in ihm die Dominanz des Christlichen überwiege. Diese Meinung teilen vor allem kirchliche und vornehmlich christlich orientierte Vertreter. Theodor Heuss (31.01.1884 – 12.12.1963) soll einmal gesagt haben, daß Europa von 3 Hügeln ausgegangen sei: von der Akropolis, von Golgatha und vom Kapitol. Diese Sichtweise würde eher, wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, auf eine Dominanz der Antike verweisen. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß aus einem antik-apollinischen Einzelkörper und einer magisch-seelengeistigen Welthöhle ein abendländisch-faustischer Unendlichkeitsraum entstehen kann, dann muß unbedingt ein dritter Faktor hinzukommen, den ich die Kulturpersönlichkeit nenne: das Germanentum. Ohne das Germanentum versteht man die Willensdynamik eines Faust nicht, und ohne das germanische Element ist die Raumtiefe, aber auch die in jeder Hinsicht sowohl ins Mikrokosmische als auch ins Makrokosmische gehende Unendlichkeit nicht als distinktives Merkmal der abendländischen Kultur zu identifizieren. Diese Merkmale treffen auf keinen antiken Menschen zu, aber insbesondere auf die Abendländer, die germanischen Ursprungs sind. Scharfe Gegensätze, wie die zwischen Antike und Abendland, sind zwar unbedingt ein Indiz für Verwandtschaft, weil beide Kulturen so auffallend gegensätzlich sind: aktiv und reaktiv. Offenbar hat die Antike auf das Abendland aber nicht persönlichkeitsstiftend gewirkt und konnte auch erzieherisch nicht tätig werden, weil sie so früh verstarb. Die Biogenetik und Sozialisation geraten nicht selten so weit auseinander, wenn ein Elternteil früh verstirbt, d.h. nicht wirklich erlebt wird. Dem Abendland scheint es auch so ergangen zu sein. Die Auseinandersetzungen mit der magischen Mutter hat beim Kind jedoch zu einer enormen, fast schon verdächtigen Erinnerung bis hin zur Vergötterung des antiken Vaters Beitrag geleistet. Aber liegt deshalb immer auch schon ein Vaterkomplex vor? Es bleibt zunächst festzuhalten, daß auch kulturell zwischen Genetik und Sozialisation, zwischen Anlage und Umwelt, zwischen angeboren und anerzogen ganz klar unterschieden werden muß. Dazwischen bewegt sich die Persönlichkeit. Man kann sie nicht isolieren, folglich auch nicht isoliert betrachten, aber man kann sie beschreiben, und ich beschreibe die Kulturpersönlichkeit des Abendlandes als germanisch, weil dieser Raum zwischen Anlage und Umwelt für die Kulturpersönlichkeit zwanghaft unendlich werden muß, wenn sie die verlorene Vaterkultur zurückholen will. Der unendliche Raum und Wille sind auch deshalb Ursymbol und Urwort des Abendlandes. Wenn der Mensch eine Grundlage von etwa 60 Billionen Zellen hat und einer Umwelt von praktisch unendlicher Vielfalt ausgesetzt ist, so gilt für eine Kultur, daß sie Völker, Staaten oder Nationen zur Grundlage hat und einer Umwelt von unendlichen Möglichkeiten, aber auch gähnender Leere gegenübersteht. Mit dem Germanentum fiel eine faustische Entscheidung zugunsten der unendlichen Möglichkeiten. Die Eltern des Abendlandes waren also antik-magisch, ihre gentragenden Chromosomen römisch-christlich, aber die Kontrollgene germanisch. (Vgl. 22-24).
Der Synkretismus kristallisierte sich als eine der vielen Arten der Pseudomorphose (Spengler) heraus, als die Kirchen des Ostens in Kulte des Westens verwandelt wurden und in umgekehrter Richtung die Kultkirche entstand.. Die Formenbildung ging also erst von West nach Ost und dann von Ost nach West. Das 2. Jahrhundert war die Zeit der Umkehrung: die Kulte des Westens wurden zu einer neuen Kirche des Ostens. Es entstand ein neues Griechentum als magische Nation.
V.a. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), Johann Gottfried Herder (1744-1803) und Wilhelm von Humboldt (1767-1835) vertraten die Idee des Nativismus (der Angeborenheit bzw. der angeborenen Ideen). An Leibniz‘ Rationalismus, Herders Sprachzentrierung, Humboldts Neu-Idealismus (Neuhumanismus) orientierte sich offenbar Noam Chomsky (*07.12.1928), um zu der Logistik eines angeborenen Spracherwerbsmechanismus zu kommen (Language Acqusition Device). Vgl. Noam Chomsky, Syntactic Structures, 1957 und Besprechung von Skinner, 1959 sowie Aspekte der Syntaxtheorie, 1965. (Vgl. 22-24 und Sprachphilosophie oder den Text zum Thema „Biologie und Sprache“).
Fürst (zu althochdeutsch furisto, der Vorderste) ist seit dem Mittelalter die Bezeichnung für die höchste Schicht des hohen Adels, die durch ihre besondere Königsnähe an der Herrschaft über das Reich, besonders in seiner territiorialen Gliederung, teilhatte (Reichsadel), v.a. Herzöge und Herzogsgleiche sowie Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte der Reichsabteien. Ihnen stand das Recht der Königswahl zu und die Pflicht, bei Entscheidungen in Reichssachen mitzuwirken. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation konnten zunächst alle freien, dann alle Reichsfürsten den König wählen. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts kristallisierten sich bei der Wahl des Königs immer mehr entscheidende Fürsten heraus. Spätestens aber im 13. Jahrhundert ergab sich aus den Fürsten heraus der engere Kreis der Königswähler, die Kurfürsten, deren Sonderstellung in der Goldenen Bulle von 1356 festgelegt wurde. Weltliche und geistliche Reichsfürsten hatten Sitz und Stimme im Reichstag. Seit dem staufisch-welfischen Thronstreit (1198) mußten die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie der Pfalzgraf bei Rhein (die Rheinpfalz) an einer gültigen Wahl beteiligt sein. Der Sachsenspiegel (1224-1231) zählt 2 weitere Kurfürsten als Vorwähler oder Erstwähler auf: den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg. Mit der Doppelwahl von 1527 traten zum ersten mal die 7 Kurfürsten (einschließlich des vom Sachsenspiegel abgelehnten Königs von Böhmen) als alleinige Wähler auf. Bei der Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) war das Kurfürstenkollegium (Kurkollegium) ein geschlossener Wahlkörper. Seine Entstehung – vom Sachsenspiegel aus dem Besitz der Erzämter erklärt – war also letztlich ein Ergebnis des Interregnums: eine Verhinderung der erblichen Thronfolge, ein Erwerb von Reichsgut und wichtigen Reichsrechten durch die Kurfürsten. Das Wahlrecht schränkte sich auf 3 geistliche und 4 weltliche Kurfürsten ein, die vom Kandidaten Sonderrechte (Kapitulationen) und politisches Mitspracherecht (Willebriefe) forderten, ein schwaches Königtum wünschten und deshalb die Krondynastie wechselten. Die Kurfürsten wurden häufig zu Gegenspielern des Königtums. Zur Gültigkeit der Wahl mußten mindestens 4 Kurfürsten anwesend sein. Die Mehrheitswahl wurde zuerst im Kurverein von Rhense (1338) für rechtsmäßig erklärt und 1356 in der Goldenen Bulle als Reichsgrundgesetz festgelegt, die auch die Beratung von Reichsangelegenheiten durch die Kurfürsten auf Kurfürstentagen verbriefte. Im 15. Jahrhundert wurde das Kurfürstenkollegium zur 1., vom Reichsfürstenrat getrennten Kurie des Reichstages. Die böhmische Kurwürde ruhte 1519 bis 1708 mit Ausnahme der Beteiligung an der Königswahl; die Kur des geächteten Pfalzgrafen bei Rhein wurde 1623 Bayern übertragen, der Pfalz aber 1648 eine 8. Kurwürde zugestanden. Braunschweig-Lüneburg (Hannover) hatte seit 1692 eine 9. (1708 vom Reichstag bestätigt), nach der Vereinigung Bayerns mit der Kurpfalz 1777 die 8. Kurwürde inne (seit 1778). 1803 wurden die Kurstimmen von Trier und Köln aufgehoben, die Mainzer Kur auf Regensburg-Aschaffenburg übertragen. Neugeschaffen wurden die Kurfürstentümer Salzburg (1805 auf Würzburg übertragen), Württemberg, Baden und Hessen-Kassel. Am Ende des 1. Deutschen Reiches gab es 10 Kurfürsten. (Vgl dazu die entsprechenden Phasen 6-8, 8-10, 10-12, 12-14, 14-16, 16-18, 18-20)
Kurverein von Rhense war der Zusammenschluß der Kurfürsten (ohne Böhmen) am 16.07.1338 in Rhense (Rhens, Rhein-Lahn-Kreis) zur Verteidigung des Reichsrechts und ihrer Kurrechte besonders gegen päpstliche Ansprüche. Die Kurfürsten setzten in einem Rechtsspruch fest, daß der von ihnen oder ihrer Mehrheit zum Römisch-Deutschen König gewählte nicht der päpstlichen Anerkennung bedürfe.
Humanismus ist ein reflektierter Anthropozentrismus, der vom Menschen ausgeht und die Wertsetzung des Menschen zum Objekt hat – unter Ausschluß dessen, was ihn selbst sich entfremdet, entweder indem es ihn übermenschlichen Mächten und Wahrheiten unterwirft oder indem es ihn untermenschlichen Zwecken nutzbar macht. Auf die vorhistorischen Hominiden folgte der historische Hominide namens Homo sapiens sapiens, auf den vormodernen Humanismus folgt der moderne Hominismus. Damit schließt sich vorerst der Kreis. Schon im 13. Jahrhundert sollen Alchimisten erste Experimente unternommen haben, um einen künstlichen Menschen im Reagenzglas zu erzeugen. Goethe ließ im 2. Teil des Faust den Famulus Wagner einen Homunkulus nach Anleitung des Paracelsus erzeugen. Heute scheinen sich die Möglichkeiten zur Erschaffung des Menschen nach eigenen Wünschen konkretisiert zu haben. Vgl hierzu: 22-24
Nepotismus bedeutet die Vergabe der Ämter an Verwandte (hier: an päpstliche Verwandte).
Konzil (lat. concilium, Zusammenkunft, Versammlung; verwandt mit der griech. Synode) ist die Versammlung von Bischöfen und anderen kirchlichen Amtsträgern zur Erörterung und Entscheidung theologischer und kirchlicher Fragen. Das Ökumenische oder Allgemeine Konzil, das im 1. Jt. vom Kaiser und seit Beginn des 2. Jt. vom Papst berufen wurde, repräsentiert die allgemeine Kirche und besitzt nach katholischem Verständnis in seinen Glaubensentscheidungen Unfehlbarkeit. (Vgl. Konziliarismus).
Konziliarismus ist die Bezeichnung für die Auffassung, daß das Konzil und nicht der Papst allein die höchste Instanz in der Kirche sei. Im Abendländischen Schisma erlangte der Konziliarismus praktische Bedeutung, die auf dem Konstanzer Konzil (1414-1418) bestätigt wurde, obschon die Päpste den Konziliarismus immer wieder verurteilten. Auch der Philosoph Nikolaus von Kues (1410-1464), der Cusaner, vertrat die Ansicht, daß das Konzil über dem Papst stehe. Die Gedanken des Konziliarismus wurden bis zum 1. Vatikanischen Konzil (1869/1870) permanent vertreten.
Die Reichsreform im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wurde zunächst auf den Reichstagen von 1434 bis 1438 unternommen und in der Publizistik viel dikutiert. Es waren Bemühungen um eine Umgestaltung der Reichsverfassung, die den Reichsständen ein Mitregierungsrecht in Reichsangelegenheiten sichern sollte (Reichsregiment). Ein erstes Reichsreformgesetz scheiterte an den organisatorischen Voraussetzungen. Kaiser Friedrich III. (Habsburger, 1440-1493) verhinderte in den folgenden Jahrzehnten weitere Reformversuche. Kaiser Maximilian I. (Habsburger, 1493-1519) sah sich dann gezwungen, auf den Reichstagen von Worms (1495) und Augsburg (1500) wesentliche Zugeständnisse zu machen. Ein Ewiger Landfriede sollte die Grundlage für die Reichsreform schaffen; als allgemeine Reichssteuer sollte der Gemeine Pfennig erhoben werden (1. Reichsregiment). Neben den fehlenden organisatorischen Voraussetzungen waren der Widerstand des Reichsoberhauptes und das Mißtrauen der auf die Wahrung ihrer Rechte pochenden Reichsfürsten der Grund für das am Ende scheiternde Projekt dieser Reichsreform. auch wenn Karl V. (Habsburger, 1519-1556) sie fortsetzte (2. Reichsregiment).
Die Reichsstände im 1. Deutschen Reich (Hl. Röm. Reich) waren die Reichsfürsten (vgl. Fürsten), Reichsgrafen, Reichsprälaten und Reichsstädte, die das aus der Reichsunmittelbarkeit erwachsene Recht zur Führung einer fürstlichen Einzelstimme (Virilstimme) oder zur Beteiligung an einer Gesamtstimme (Kuriatstimme) im Reichstag besaßen (Reichsstandschaft). Die Reichsstände repräsentierten damit neben dem Kaiser das Reich. Auf dem Konzil zu Basel (1431-1449) vertrat Kardinal Nikolaus von Kues in seiner Schrift De Concordantia Catholica (Von der Einheit der Kirche) die naturrechtlich begründete Ansicht vom politischen Zusammenwirken der Reichsstände mit dem Kaiser in Gesetzgebung und Regierung. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts gab es auf den Reichstagen Reformforderungen, z.B. durch die Gravamina (Beschwerden) der deutschen Nation oder auch in deren Reformatio Sigismundi, einer weitverbreiteten anonymen Flugschrift. Die Reformen begannen auf dem Reichstag zu Worms (1495): Verkündung des Ewigen Landfriedens. Zur Beseitigung des Fehderechts wurde das ständig tagende Reichskammergericht in Frankfurt (seit 1527 in Speyer) als oberste Rechtsinstanz geschaffen und der Gemeine Pfennig (erste Reichssteuer, ohne Bestand) erhoben. Die Eidgenossen lehnten die Beschlüsse ab und forderten im Schwabenkrieg (1499) ihre Unabhängigkeit. Auf dem Reichstag zu Augsburg (1500) wurde ein ständiges Reichsregiment eingerichtet, das 1502 wieder aufgelöst und 1521 erneuert wurde. Seit dem Reichstag zu Köln (1512) stand dem Reichstag die oberste Reichsgewalt zu, der die Vorschläge der kaiserlichen Regierung in 3 Kollegien (Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte) beriet. Seine Beschlüsse wurden als Reichsabschiede (ab 1633 Reichsschlüsse) verkündet. Es wurden 10 Reichskreise unter dem Direktorium von je 2 Fürsten zur Wahrung des Landfriedens gebildet, eine Reichssteuer und das Reichsheer (unter Kreisobersten) erhoben. Ein Verzeichnis über Einkünfte der Territorien als Grundlage ihrer Truppen- und Steuerleistungen sah die Reichsmatrikelordnung vor, die auf dem Reichstag zu Worms (1521) verabschiedet wurde. Weil aber die Reichstage nur unregelmäßig zusammenkamen, entwickelten sich die Ansätze zu einer Reichsverfassung und zur Überwindung der territorialen Zersplitterung auf der Grundlage der alten Stammes-Herzogtümer nicht weiter.
Diese 10 Reichskreise hießen: 1) Burgundischer Kreis (Niederlande, Belgien, Luxemburg, Burgund), 2) Niederrheinisch-Westfälischer Kreis (Nordwestdeutschland), 3) Niedersächsischer Kreis (Mittelnorddeutschland), 4) Obersächsischer Kreis (Pommern, Brandenburg, Kursachsen), 5) Kurrheinischer Kreis (Erzbistümer Köln, Mainz, Kurpfalz), 6) Oberrheinischer Kreis (Lothringen, Elsaß, Pfalz, Hessen), 7) Fränkischer Kreis (Franken), 8) Schwäbischer Kreis (Baden, Württemberg), 9) Bayrischer Kreis (Bayern, Oberpfalz), 10) Österreichischer Kreis (Österreich) sowie Reichsdörfer, Herrschaften der Reichsritter und Territorien ohne Reichskreisbildung wie Preußen, Lausitz, Böhmen, Mähren, Schlesien. (Vgl. Karte).
Polyphonie ist die Vielstimmigkeit, eine musikalische Setzweise, in der die Stimmen ein melodisches Eigenleben führen (linear), das den Zusammenklang (vertikal) übergeordnet ist. Der Gegensatz dazu ist die Homophonie (der einheitliche Klang): der Kompositionsstil, der einer Hauptstimme alle anderen Stimmen unterordnet. Die Hauptzeit der Homophonie beginnt im 17. Jahrhundert, mit Monodie und Generalbaß. Es ist irreführend, die Musik des 19. Jahrhunderts homophon zu nennen, weil ihr Schwerpunkt im Harmonischen liegt; vielmehr zeigen die Werke der großen Meister von Franz Joseph Haydn und Ludwig v. Beethoven bis zu Richard Strauss das Streben nach einem Ausgleich zwischen Homophonie und Polyphonie, wie er vorbildlich von Johann Sebastian Bach erreicht worden war. Seit dem 14. Jahrhundert haben alle großen Komponisten neben der kontrapunktischen Selbständigkeit der Stimmen dem Zusammenklang Beachtung geschenkt, und der vollkommene Ausgleich von linearen und vertikalen Rücksichten (Bach) muß als Ideal bezeichnet werden. Bei heutigen linearen Versuchen wird oft vergessen, daß das Ohr des Hörers seit dem 17. Jahrhundert ebensosehr (wenn nicht mehr!) auf das harmonische wie auf das polyphone Hören eingestellt ist. (Vgl. 22-24). Schlicht volkstümliches Singen, das sich in Terzen und Sextenfolgen abspielt, ist nicht kontrapunktisch, sondern harmonisch ergänzend. Für den Kontrapunkt sind strenge Regeln aufgesetzt (reiner Satz), die die Stimmführung betreffen und Gattungen aufstellen.
Der Kontrapunkt (lat. punctus contra punctum = Note gegen Note) ist die Kunst, ein mehrstimmiges Tonstück aus melodisch selbständigen Stimmen aufzubauen. Dabei wird praktisch von einem c. f. ausgegangen, indem man die anderen Stimmen nach und nach hinzufügt, obwohl auch gleichzeiges Entwerfen möglich, künstlerisch wertvoller, aber auch wesentlich schwieriger ist. Man spricht bei kontrapunktischen (polyphonen) Werken auch von linearem (horizontal zu hörendem) Stil im Gegensatz zum harmonischen (vertikal zu hörendem), jedoch muß eine rigorose Linearität zur Atonalität bzw. zu einer Art Heterophonie führen. Im übrigen ist es keine Kunst, mehrere Stimmen so zu kontrapunktieren, daß es schlecht klingt. Seit dem 14. Jahrhundert haben alle großen Komponisten neben der kontrapunktischen Selbständigkeit der Stimmen dem Zusammenklang Beachtung geschenkt, und der vollkommene Ausgleich von linearen und vertikalen Rücksichten (Bach) muß als Ideal bezeichnet werden. Die Kontrapunktlehre entwickelte sich aus der ursprünglich improvisierten Erfindung einer überwiegend in Gegenbewegung verlaufenden Stimme, die seit dem beginnenden 14. Jahrhundert in Anweisungen zum Discantus in feste Regeln gefaßt wurde. Seine beherrschende Stellung gewann der Kontrapunkt in der (süd-) niederländischen Musik des 15. und 16. Jahrhunderts bis zu seiner Vollendung (im 16. Jh.) bei Palestrina und Orlando di Lasso, die für mehre Jahrhunderte in Kontrapunkt- und Kompositionslehren maßgebend wurden. Seit dem Frühbarock galt er jedoch als konservative Praxis gegenüber der moderneren, an der Sprache orientierten Ausdruckskunst der Monodie. Als strenge Schreibart blieb er bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts verbindlich. Bei heutigen linearen Versuchen wird nur oft vergessen, daß das Ohr des Hörers seit dem 17. Jahrhundert ebensosehr (wenn nicht mehr!) auf das harmonische wie auf das polyphone Hören eingestellt ist. (Vgl. 22-24). Schlicht volkstümliches Singen, das sich in Terzen und Sextenfolgen abspielt, ist nicht kontrapunktisch, sondern harmonisch ergänzend. Für den Kontrapunkt sind strenge Regeln aufgesetzt (reiner Satz), die die Stimmführung betreffen und Gattungen aufstellen. Die Anzahl der Stimmen im kontrapunktischen Satz ist theoretisch nicht begrenzt, praktisch sind jedoch nur wenige Ohren fähig, einen mehr als 4stimmigen Satz wirklich linear aufzunehmen. Unter doppelten Kontrapunkt versteht man einen Satz, in dem sich die Stimmen vertauschen lassen, ohne daß dadurch schlechte Stimmführung (Parallelen) entsteht. Er ist eines der wichtigsten Mittel der thematischen Arbeit und ist in neuerer Zeit besonders genial von Johannes Brahms und Anton Bruckner angewandt worden (innerhalb eines an sich harmonisch-vertikalen Satzes). Die Hauptformen des kontrapunktischen Stils sind Fuge und Kanon, die Haupttechnik die der Nachahmung.
Fuge (lat. fuga = Flucht). Die Fuge ist die wichtigste Form der kontrapunktisch-polyphonen Setzweise. (Vgl. Kontrapunkt und Polyphonie) Erste echte Fuge mit Zwischenspielen und formgerechter Antwort sind bei A. Gabrieli (1580) vorhanden, höchste Ausbildung bei Johann Sebastian Bach im Wohltemperierten Klavier und in der Kunst der Fuge. Das Interesse an der Fuge ist nie erlahmt und ist jüngst neu belebt worden. Das Wesen der Fuge liegt in ihrer Einthemigkeit, das ihr die strenge ästhetische Einheit verleiht. Das Charakteristische des Fugenthemas ist seine Fortspringungstendenz, d. h. es trägt in sich den Keim zur Weiterbildung seiner melodischen Linie. Das Fugenthema ist dynamisch – im Gegensatz zum statischen Thema der Sonate. Die Eigenart der Fuge liegt darin, daß sich in ihr das Dynamische (Thema) mit dem statischen (Gesamtaufbau) verbindet. Das Thema (auch Dux oder Führer genannt) wird in der 2. Stimme im Quintabstand beantwortet (d. h. wiederholt). Die Antwort heißt auch Comes oder Gefährte. Mit ihr zusammen erklingt die kontrapunktische Fortspinnung des Themas.
Kanon (griech. =Vorschrift) ist eine kontrapunktische Form auf der Grundlage strenger Nachahmung. Jede Folgestimme nimmt das Thema notengetreu auf, in wechselnden Abständen (Kanon im Einklang, in der Sekunde u.s.w.). Historisch geht diese Form bis ins 13. Jahrhundert (Sommerkanon) zurück, erlebt ihre erste Blüte in der Caccia (Jagd) der Ars nova und ihren Höhepunkt in der Zeit der Niederländer (z. B. bei Ockeghem). Hier wurde der Gipfel kunstvoller, aber auch überkünstelter Kanonkompositionen erreicht. Es gab nicht nur Kanons in Vergrößerung und Verkleinerung, Umkehrung und Rücklauf (Krebskanon), sondern auch sogenannte Rätselkanons, bei denen zuweilen nur eine Stimme notiert wurde und eine kryptische Überschrift den Scharfsinn anspornte, die Art der Ausführung zu finden. So muß z. B. ein Kanon mit der Überschrift in more hebraeorum von hinten nach vorn gelesen und gesungen werden. Das hat natürlich kaum noch etwas mit mit wirklicher Kunst zu tun, wie überhaupt der Kanon besonders bei denen beliebt ist, die in der Musik weniger ein seelisches Erlebnis als eine mathematische Tonkonstruktion rationaler Art sehen.

Posted in Hubert Brune on April 22, 2012 by androsch

Frühling / Morgen
6 Uhr 12 Uhr
Frühkultur

8-10 Uhr
Trotz oder Kampf ums Selbst

Schon in der letzten Phase erfolgte die Auflösung des primären Bezugssystems, die Hinwendung zu neuen Bezugssystemen und das Erkennen des eigenen Wesens als ein erstes Selbst, erkennbar an den Reaktionen des Kindes, wenn es in den Spiegel schaut und nicht mehr einen anderen Menschen, sondern sich selbst, als sein eigenes Wesen, erkennt. In dieser Phase tritt ein Phänomen hinzu, das man als ein Beharren auf den Besitz bezeichnen kann, den die Umwelt vom Kind abverlangt. Die Begriffe Trotzverhalten und Egozentrik sollen hier nicht mißverstanden werden, denn sie sind ein wichtiger Bestandteil für den späteren Erwerb der umweltlichen Sprache, die man auch Muttersprache nennt. (Vgl. 10-12). Vorausgesetzt, daß Eltern es ihm nicht zu leicht machen, wird das Kind durch sein trotziges und egozentrisches Verhalten genötigt, seinen Willen so durchzusetzen, daß die Umgebung es versteht. Dadurch wird es, trotz Freiwilligkeit, gezwungen, einige bestimmte Sprachregeln zu lernen, obwohl es sich häufig auch gegen diese verweigert – je nach Fall und Situation mehr oder weniger stark. Die Erziehungssituation spielt jetzt nur scheinbar eine größere Rolle als zuvor, denn in Wirklichkeit ist sie von Anfang an gleichwertig. Der entscheidende Unterschied besteht nur darin, daß die verschiedenen Erziehungsmethoden jetzt stärker öffentlich, deutlich sichtbarer und, seitens der Außenwelt, bewertbarer werden. Das Kind verteidigt seinen Besitz und seine Eigenart genauso selbstverständlich wie junge Kulturen. Im antiken Griechenland entstand um 1000 v. Chr. die Götterwelt, die später als die klassische griechische Götterwelt des Zeus bezeichnet werden sollte. Wahrscheinlich wurde sie genauso verteidigt wie einen platonischen Weltmonat später die christliche Gotteswelt durch das abendländische Papsttum, das seine erstarkte weltliche Macht als selbstverständlich ansah und durch die vielen Ordensgründungen und Kreuzzüge auch bestätigt sehen wollte. Die erste Lösung vom primären elterlichen Bezugssystem mußte auf die körperliche Lösung durch die Geburt folgen, und so löste sich die junge Antike von den elterlich-orientalischen Mittelmeerkulturen um 1100 v. Chr. mittels ihrer eigenen Zeus-Religion nach der Dorischen Wanderung, die bereits im 12. Jh. v. Chr. begonnen hatte; das junge Abendland löste sich von seinen antik-magischen Elternkulturen mit der Trennung von Byzanz, die schon gleich nach der Abnabelung vom byzantinischen Mutterkuchen eingesetzt hatte und jetzt mit dem endgültigen Bruch durch das Große Schisma von 1054 auch durch Ernährung aus der Flasche nicht mehr zu kitten war. Das kleinkindliche Abendland brauchte die Flasche nicht mehr, allenfalls einen Nuckel. Es fand seine eigene Religionsform und auch seine eigene Kunstform, weil mit der Romanik auch die Entwöhnung von der antik-väterlichen Kultur gelang, obschon der Begriff Romanik das Gegenteil zu verraten scheint. Die Nahrung des jungen Kulturkindes war schon lange eine feste. Die Intensivierung der Landwirtschaft seit dem 11. Jahrhundert brachte ein reicheres Angebot an Nahrungsmitteln, z.B. durch die immer mehr sich verbreitende, immer stärker intensiverte, aber schon im 8. Jahrhundert eingeführte Dreifelderwirtschaft (), die Verbesserung der agrarischen Technik und die die Wassermühlen ergänzenden Windmühlen. Die Zahl der Geburten stieg. Deutschland hatte seit dem 12. Jahrhundert die größte Bevölkerung Europas. Und die ebenfalls bereits im 8. Jahrhundert begonnene deutsche Ostkolonisation erreichte jetzt ihren Höhepunkt und sollte erst im 14. Jahrhundert zum Stillstand kommen, weil keine Menschen mehr zur Verfügung standen und die ländliche Bevölkerung bereits in die Städte abwanderte. (Vgl. 10-12).
Als die Reichssynode von Worms 1048 mit dem Grafen Bruno von Egisheim-Dagsburg zum mittlerweile vierten Mal einen Deutschen zum Papst (Leo IX., reg. 1049-1054) wählte (), „empfahlen den Gewählten“, so der Papsthistoriker Hans Kühner (), „drei entscheidende Tatsachen: er war ein leidenschaftlicher Vorkämpfer der Reform, ein zuverlässiger Verwandter und ein reichstreuer Hierarch, eine der farbigsten Persönlichkeiten des Papsttums. Er nahm die Wahl erst an, als er sicher war, daß auch die letzte Einzelheit kanonischer Rechtmäßigkeit gewahrt und die Einstimmigkeit bewiesen war. Er betrat Rom betend und barfuß, gefolgt von Hildebrand (dem späteren Papst Gregor VII.), der sich ihm nach dem Tode Gregor VI. angeschlossen hatte und der von nun an erster Berater von fünf Päpsten wurde, bis er selber den Thron bestieg. Als der Papst auf seiner ersten Synode die Absetzung aller simonistisch gewählten und geweihten Geistlichen, sowie aller im Konkubinat lebenden Priester forderte, zeigte sich, daß in Rom kein Gottesdienst mehr hätte stattfinden können, wären alle Maßnahmen durchgeführt worden. Doch in gleichem Maße bestand das Problem der rechtmäßig verheirateten Priester. Nachdem Benedikt VIII. bereits Priesterkinder, also die wehrlosesten Opfer der Zwangslage der Zölibatsgesetze, zu Gesetzlosen und »Sklaven der Kirche« erklärt hatte, erweiterte Leo IX., persönlich eine gütige, liebenswürdige Gestalt, diesen Barbarismus dahingehend, daß er auch Ehefrauen von Priestern ebenso wie Konkubinen zu Sklavinnen der Kirche erklärte, was der Kirche Roms billige Arbeitskräfte sicherte. Der Kirchenlehrer Petrus Damiani (1002-1072), mit Hildebrand wichtigster Berater des Papstes, überreichte Leo IX. sein Liber Gomorrhianus, sein Gomorrhabuch, über die allgemeinen Zustände in den Lebensbereichen der Priester. Kein Papst ist soviel gereist, um auf Synoden in Italien, Deutschland und Frankreich der Reform von Cluny Geltung zu verschaffen, zu predigen, den Primat wieder zu festigen, das Papsttum als Idee zu verlebendigen und der Kirche ihre Universalität wiederzugeben. Seine Mitarbeiter suchte er sich im Strahlungsbereich von Cluny, darunter den späteren Papst Stephan IX.. Das Kardinalskollegium bildete er zum eigentlichen Senat der Kirche um. Vom Kaiser zum Reichsvikar von Benevent ernannt, zog der Papst in den Krieg gegen die Normannen, die ihn und seine zusammengewürfelten Haufen in der Schlacht von Cività-al-Mare am Monte Gargano schlugen und ihn gefangen nahmen. Der Sieg der Normannen gilt als Beginn ihrer Staatsgründung. Sie anerkannten den Papst sogar als ihren Lehensherrn. Geschichtlich ist dieser mißlungene Feldzug insofern von verhängnisvollster Bedeutung geworden, als der Papst ihn zum »heiligen Krieg« erklärte und damit das Unheil der Kreuzzugsjahrhunderte einleitete. Seine Krieger wurden zu Märtyrern und Heiligen stilisiert. Ein Beispiel war gegeben, das schon bald zum konsequenten Mißbrauch des Begriffes »heilig« im Zusammenhang mit dem Krieg berechtigen sollte. Petrus Damiani hat den Papst dafür auf das schärfste getadelt und sich dagegen gewandt, daß »zum Schimpf der Kirche durch Kriegsgewalt entschieden werden« soll. Vierzig Jahre nach dem Tode des Papstes waren die Kreuzzüge geboren … Zur rechtlichen Definition des Patrimonium Petri und des Primates berief der Papst sich ausgiebig auf die pseudoisidorischen Fälschungen () und die Behauptungen der Donatio Constantini (). In die letzte Zeit des Pontifikates fiel die endgültige, auch formelle Trennung von der Kirche von Byzanz. Alle in fünfdreiviertel Jahrhunderten wechselnd stark sich manifestierenden Gegensätze endeten im völligen Bruch. Die beiden letzten Gegner und Protagonisten der Tragödie symbolisierten zwei Welten: Kardinal Humbert von Silva-Candida, Mönch von Cluny, Geschichtsphilosoph, Rechtstheoretiker der Reform und größter Wortführer eines von aller Simonie gereinigten Primates, doch auch der rücksichtsloseste und undiplomatischste Verhandlungspartner, war der Wortführer Roms; Patriarch Michael Kerularios, der bedeutendste Patriarch von Konstantinopel nach Photios, vertrat den Ost-Primat mit gleicher Schroffheit wie Kardinal Humbert den West-Primat. Als offizielles Datum der Trennung gilt der Tag, an welchem der Kardinal die Bannbulle des Papstes gegen den Patriarchen auf dem Altar der Hagia Sophia niederlegte. An diesem Tage war der Papst bereits gestorben. Erst die Begegnung Pauls VI. mit dem Patriarchen Athenagoras I. und die formelle Aufhebung des Bannfluches am Ende des zweiten vatikanischen Konzils () ist zum Beginn einer neuen Begegnung von Ost und West geworden.“ (Hans Kühner, Das Imperium der Päpste, 1977, S. 135-137).
Wie erwähnt, führte 1054 das sogenannte Morgenländische Schisma zur Trennung der morgenländischen und abendländischen Kirche, ausgelöst durch die Bannung des Patriarchen Michael Kerularios durch Kardinal Humbert von Silva Candida (am 17.10.1054 erfolgte die Niederlegung der Bannbulle auf dem Altar der Hagia Sophia). Die tieferen Ursachen der Trennung lagen in den verschiedenen Weisen theologischen und politischen Denkens in Ost und West. Die gegenseitige Bannung wurde später, am 07.12.1965, zwar formell aufgehoben, das Schisma dauert aber immer noch an. (). Am 27.11.1095 konnte Papst Urban II. (reg. 1088-1099) die abendländischen Ritter und Fürsten durch seine berühmte, mit Begeisterung aufgenommene Rede für den Kreuzzug gewinnen (Deus lo volt, Gott will es ). Losungswort wurde Jerusalem, Symbol das weiße Kreuz. Der Gedanke der Pilgerschaft in das Heilige Land und der Gedanke des als notwendig und berechtigt betrachteten Heiligen Krieges gegen die Heiden waren die zwei geistigen Strömungen, die zu der Kreuzzugsbewegung führten. Die zwei weltlichen Gründe dafür waren das Vordringen der türkischen Seldschuken und die wirtschaftlichen Interessen der Ritter, die auf Landbesitz hofften. Jerusalem war nicht das einzige Ziel für die abendländischen Ritter, die auch gegen den Islam und die Slawen kämpften. Der 1. Kreuzzug fand unter Begeisterung der Massen für die Kreuzzugspredigten des Peter von Amiens von 1096 bis 1099 statt. In seiner Regierungszeit von 1125 bis 1137 gab Kaiser Lothar III. von Supplinburg der Ostbewegung neue Impulse. Machtpolitische Faktoren veranlaßten den Kaiser, die Territorialherren als Träger der Ostpolitik einzusetzen genauso wie sein missionarischer Drang. Den 2. Kreuzzug führten der deutsche Staufer Konrad III. und Frankreichs Ludwig VII. an, geistig jedoch der Theologe und Mystiker Bernhard von Clairvaux (1090-1153). Der Deutsche Ritterorden entstand im Jahre 1190 während des 3. Kreuzzuges (1189-1192). (). Lübecker und Bremer Bürger stifteten während der Belagerung von Akko eine Hospitalgenossenschaft, die 1198 in einen geistlichen Ritterorden umgewandelt wurde. Das Ordenszeichen des Deutschen Ordens war ein schwarzes Kreuz auf weißem Mantel. Rotes Kreuz auf weißem Mantel trug der Schwertbrüderorden, der 1201 vom Bremer Domherr Albert von Appeldern gegründet wurde, um Livland, Kurland zu missionieren, wozu auch deutsche Siedler ins Land geholt wurden. Deutsche Städte und Bistümer wurden gegründet. 1237 vereinigten sich Schwertbrüderorden und Deutscher Orden. Von 1190 an war das Heilige Land, seit 1309 die Marienburg in Westpreußen Zentrum des Deutschen Ordens und seiner Wirksamkeit, des Kampfes gegen die Heiden. In der Zeit dazwischen fanden der 4. Kreuzzug (1202-1204), der Kinderkreuzzug (1212), der 5. Kreuzzug (1228-1229), der 6. Kreuzzug (1248-1254) und der 7. Kreuzzug (1270) statt, bevor sie wegen der Unvereinbarkeit der nationalen Interessen mit der universalen Idee von Kirche und Reich aufgegeben wurden. (Vgl. 10-12). Auch deshalb wurde das Machtzentrum des Deutschen Ordens in die westpreußische Marienburg verlegt. Unter dem bedeutenden Hochmeister Hermann von Salza (1209-1239) war der Grund zum Deutschordensstaat gelegt worden, als Herzog Konrad I. von Masowien dem Deutschen Orden 1225 als Gegenleistung für die Bekämpfung der heidnischen Pruzzen das Culmer Land schenkte. Der Hochmeister Hermann von Salza ließ sich von Kaiser Friedrich II. dieses und alle weiteren, noch zu erobernden pruzzischen Gebiete 1226 als unabhängigen Ordensstaat garantieren. 1283 waren die militärischen Aktionen gegen die Pruzzen beendet. Zur endgültigen Sicherung der eroberten Gebiete rief der Orden deutsche Siedler ins Land (Vgl. 10-12). Neben Templer- und Johanniterorden wurde der Orden der Deutschherren zum bedeutendsten geistlichen Ritterorden des Mittelalters.
Mit dem Verbot der Priesterehe (1074) und der Laieninvestitur (1075) begann der Kampf zwischen dem Papst und dem deutschen Königtum (Investiturstreit). Papst Gregor VII. drohte Heinrich IV. mit dem Bann, 1076 erklärten Heinrich IV. und die deutschen Bischöfe den Papst für abgesetzt, aber noch im selben Jahr erfolgte die Absetzung und Exkommunikation des deutschen Königs per päpstlichen Strafbefehl. Im Oktober 1076 beschlossen die deutschen Fürsten in Anwesenheit päpstlicher Legaten, den König abzusetzen, falls die Lösung vom Banne nicht in Jahresfrist erfolge. Der Gang nach Canossa war die Folge: 3 Tage lang, vom 25. bis 28. Januar 1077 wartete Heinrich IV. in Canossa auf den Papst, um vom Bann losgesprochen zu werden. Durch seine persönliche Erniedrigung gewann er zwar die politische Handlungsfreiheit zurück, mußte aber auch den Papst als Schiedsrichter in dem Streit mit den Fürsten anerkennen. Die Demütigung erschütterte das Ansehen der weltlichen Gewalt. Die Fürsten warteten die Entscheidung des Papstes nicht ab und wählten Rudolf von Schwaben zum Gegenkönig, unter freier Wahl und Mißachtung des Geblütsrechts. Der nun ausbrechende Bürgerkrieg (1077-1080) endete mit dem Tod des Gegenkönigs in der Schlacht von Hohenmölsen (1080). Es erfolgte die 2. Bannung Heinrichs IV. durch Gregor VII., die Wahl Erzbischofs Wibert von Ravenna zum Gegenpapst und der Sieg der Lombarden (Langobarden). Nach der Eroberung Roms (1083) im 1. Italienzug durch Heinrich IV. wurde er durch den Gegenpapst Klemens III. zum Kaiser gekrönt. Gregor VII., der sich in der belagerten Engelsburg behauptete, mußte kurz vor seinem Tode (25.05.1085) einsehen, daß die Begründung der Einheit von Kirche und Welt unter päpstlicher Führung gescheitert, die Lehre von der Gottesunmittelbarkeit des Königs aber noch nicht erschüttert war. Heinrich IV. verkündete 1085 den Gottesfrieden in Mainz. Aber schon Papst Urban II. rettete durch seine Konzilianz das Reformwerk Gregors VII., denn auf der Synode von Clermont (1095) wurde das Verbot der Laieninvestitur erneuert und die Ablegung eines Lehnseides durch Geistliche an Weltliche verboten. Daraufhin unternahm Heinrich IV. seinen 2. Italienzug (1090-1097), wurde aber nach dem Abfall seines Sohnes Heinrich V. zur Abdankung gezwungen und starb noch im selben Jahr (1106). Obwohl also der Anschluß an die päpstliche Partei Heinrich V. zur Anerkennung verholfen hatte, lehnte er dann aber – wie sein Vater – den Verzicht auf die Investitur der Bischöfe und Äbte ab und erzwang schließlich von dem gefangengesetzten Papst Paschalis II. das Recht der Investitur, und am 13. April 1111 erfolgte die Kaiserkrönung. Im Deutschen Reich kam es zum Aufstand der sächsischen und thüringischen Fürsten, Heinrich V. erlitt eine Niederlage am Welfesholz (1115). Verhandlungen mit dem 1119 gewählten Papst Kalixt II. führten 1122 im Wormser Konkordat zum Ende des Investiturstreits. Heinrich V. verzichtete auf die Investitur mit Ring und Stab. In Deutschland fand ab jetzt die kanonische Wahl in Gegenwart des Königs oder seiner Abgesandten statt, dann erfolgte die Investitur mit dem Zepter vor der Weihe, in Italien und Burgund 6 Monate nach der Weihe. Durch die Lockerung der Abhängigkeit vom Kaiser wurde das ottonische Reichskirchensystem beseitigt. (Vgl. 6-8). Die Bischöfe, zuvor Reichsbeamte, wurden zu Reichsvasallen. Die Fürsten erstarkten in Deutschland, die Städte in Italien. Das Papsttum erreichte den Höhepunkt seiner Macht durch eine Vertiefung der Frömmigkeit, durch das Wirken des Zisterzienserabtes und Mystikers Bernhard von Clairvaux, der aus burgundischem Adel stammte und 1115 das Kloster Clairvaux in der Champagne gründete, von dem zu Bernhards Lebzeiten 68 Filialgründungen ausgingen. Der Höhepunkt der päpstlichen Macht mußte mit der Brechung der Vorherrschaft der deutschen Kirche einhergehen. Deshalb suchte und fand das Papsttum Rückhalt in Frankreich.

Die Karten zeigen die Entwicklung vom 9. / 10. bis zum 13. / 14. Jahrhundert.

Weil die Weltherrschaft der Päpste nur über die Brechung der deutschen Kirchenvorherrschaft zu erreichen war, wurde das Papsttum auf seiner Suche nach Rückhalt in Frankreich fündig. Die päpstliche Universalkirche wurde erreicht durch das Decretum Gratiani, eine Sammlung des Kirchenrechts, die zu einer Verselbständigung des Kirchenrechts führte und durch spätere Ergänzungen das Corpus iuris canonici bildete. Im Streit um die Führung der abendländischen Christenheit, die imperiale oder kuriale Weltherrschaft, stieß der deutsche Stauferkaiser Friedrich I. auf die Herrschaftsansprüche des Papstes Alexander III. (reg. 1159-1181), die er anerkennen mußte. Das 3. Laterankonzil (11. Konzil) von 1179 machte eine Zweidrittelmehrheit der Kardinäle für die Papstwahl erforderlich, und Innozenz III. (reg. 1198-1216) war nicht mehr nur Statthalter Petri, sondern Statthalter Christi oder Gottes – Vicarius Christi -, von dem die weltlichen Herrscher ihre Reiche zu Lehen empfingen. Die bischöfliche Gewalt wurde beseitigt und eine Zentralisation der Gewalt durch das päpstliche Institut der Legaten eingerichtet. Sizilien, England und Portugal wurden lehnsabhängig. Der Papst griff in die inneren Verhältnisse Deutschlands, Frankreichs und Norwegens ein, entsendete Legaten nach Serbien und Bulgarien und errichtete 1204 sogar eine lateinische Kirche im Byzantinischen Reich ein, das nach der Besetzung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer des 4. Kreuzzuges (1202-1204) und die Venezianer am 13.04.1204 neu gegründet wurde und sich Lateinisches Kaiserreich nannte, bis Kaiser Michael III. von Nizäa es am 25.07.1261 zurückeroberte (Kaiserreich Byzanz). Das 4. Laterankonzil (12. Konzil) von 1215 brachte u.a. Beschlüsse über die bischöfliche Inquisition, das Verbot neuer Ordensgründungen und Vorschriften besonderer Kleidung für die Juden. Den Kampf um die Weltherrschaft führten Papst Gregor IX. (reg. 1227-1241) und Papst Innozenz IV. (reg. 1243-1257) fort. Wurde bis ins 12. Jahrhundert die Häresie mit Bann und Klosterhaft durch die Kirche bestraft, so wurde nach der 1215 eingeführten bischöflichen Inquisition die päpstliche Inquisition 1231 durch Gregor IX. geschaffen und gleichzeitig die Todesstrafe für Häretiker in Frankreich und Deutschland eingeführt. Nach ihrer Befreiung aus den Bindungen der Welt (Libertas ecclesiae) hatte die jetzige Verflechtung der Kirche mit der Welt zur Folge, daß sich Sekten bildeten, die das Recht auf Herrschaft und Besitz der Kirche bestritten und die Armut der Apostel forderten. Die Sekte der Katharer entstand aus einer radikaldualistischen Lehre mit strengster Askese, apostelgleichem Leben und aus einer häretischen Wanderbewegung der Sondermeinug (Häresie). Sie bildeten auch Bischofskirchen. Wichtigste Gruppe wurden die nach der Stadt Albi benannten Albigenser in Südfrankreich. Nach der Ermordung des päpstlichen Legaten Peter von Castelnau durch einen Pagen des Grafen Raimund VI. von Toulouse kam es 1209 zum Albigenserkrieg, der bis 1229 andauerte. 1209 rief Papst Innozenz III. zum Kreuzzug gegen die Albigenser auf, und das Kreuzheer unter Simon von Montfort brannte Béziers nieder, siegte 1213 über Raimund VI. und dessen Schwager Peter II. von Aragon bei Muret und eroberte bis 1218 die gesamte Provence.
Das fränkische Adelsgeschlecht der Salier, das seinem Macht- und Besitzschwerpunkt im Nahe-, Speyer- und Wormsgau hatte, 1024 durch Konrad II. zur Kaiserherrschaft im Deutschen Reich aufgestiegen und nach Heinrich V. als Dynastie erloschen, gaben ihr Erbe an die Staufer weiter. Die Hohenstaufen waren ein schwäbisches Adelsgeschlecht mit Stammsitz in Büren (bei Göppingen) und der Stammburg Stauf im Breisgau (Staufen) und standen zunächst im Dienste des salischen Königtums, wodurch der Aufstieg der Staufer ermöglicht wurde. Nach dem Aussterben der Salier traten sie deren Erbe an. Die Wahl und die verwandtschaftlichen Beziehungen des Supplinburgers Lothar III (Kaiser von 1125 bis 1137) mit den Welfen begründeten den staufisch-welfischen Gegensatz. 1137 konnte Konrad III. seine Wahl zum König durchsetzen. Unter Friedrich I. Barbarossa und Heinrich VI. gelangte die Dynastie auf den Höhepunkt ihrer Geltung. Der Erbanfall Siziliens und der Machtverfall des Königtums im staufisch-welfischen Thronstreit (1198-1214/1215) verlagerten das Schwergewicht ihrer Herrschaft in den Nomannenstaat. Das fränkische Adelsgeschlecht der Welfen, seit dem 8. Jahrhundert im karolingischen Kernraum um Maas und Mosel nachweisbar und seit Welfs I. († 820) Sohn Konrad († 863) eine der bedeutendsten deutschen Adelsdynastien mit umfangreichem Allodial- und Lehnsbesitz in Schwaben, Rätien und Bayern, stand seit der Königswahl von 1125 im Gegensatz zu den Staufern. (Vgl. Tabelle). 1126 wurde der welfische Bayernherzog Heinrich X. der Stolze (1108-1139) von Kaiser Lothar III. von Supplinburg mit dem Herzogtum Sachsen belehnt, 1127 der staufische Konrad III., Sohn des Herzogs von Schwaben, zum Gegenkönig zu Lothar III. von Supplinburg aufgestellt. Heinrich X. der Stolze war mit Lothars Tochter Gertrud verheiratet, als Nachfolger Lothars designiert und hatte dadurch die ohnehin schon vorhandene sächsische Machtstellung noch weiter ausgebaut. Der Aufstieg zum Königtum gelang den Welfen jedoch noch nicht. Kaiser Friedrich I. Barbarossa führte zunächst einen Ausgleich mit seinem Vetter Heinrich dem Löwen (1129-1195), dem Sohn Heinrichs X. des Stolzen, herbei, dem er neben Sachsen auch das Herzogtum Bayern zugestand (1156). 1180 aber gelang es ihm, den welfischen Machtkomplex zu zerschlagen. Der staufisch-welfische Gegensatz brach noch einmal im Thronstreit von 1198 auf, und von 1209 bis 1214 war der Sohn Heinrich des Löwen, Otto IV. von Braunschweig, Kaiser des Deutschen Reiches. (Vgl. Tabelle). Doch 1214 erlitt Otto IV. von Braunschweig gegen Friedrich II. bei Bouvines eine Niederlage, und der staufisch-welfische Dualismus war endgültig zu Ende, bevor Otto 1218 in Bad Harzburg als verbannter, einziger welfischer Kaiser starb. (). Die glanzvolle Regierung Friedrich II. konnte aber auch den Niedergang der staufischen Dynastie nicht verhindern. Sie endete nach der Regierungszeit des letzten staufischen Kaisers Konrad IV. im Jahre 1254. Das Interregnum begann. Konrads IV. Sohn Konradin, der letzte mögliche staufische Thronnachfolger, wurde 1268 in Neapel enthauptet. Friedlosigkeit und Rechtsbrüche nach Art des Faustrechts während des Interregnums zwangen zur Erneuerung der Reichsgewalt durch freie Königswahl, die sich bei der Doppelwahl von 1257 endgültig durchsetzte. Ihre Folgen waren die Ausbildung eines Kurfürstenstandes. Das Wahlrecht schränkte sich auf 3 geistliche und 4 weltliche Kurfürsten ein, die vom Kandidaten Sonderrechte (Kapitulationen) und politisches Willebriefe (Mitspracherecht) forderten, ein schwaches Königtum wünschten und deshalb die Krondynastie wechselten. (Vgl. 10-12).
Die „Magna Charta libertatum“, auch „Große Urkunde der Freiheiten“ genannt, ist eine Urkunde (Datum: 15.06.1215) über die am 19.06.1215 endgültige Einigung, d.h. den abgeschlossenen Vergleich (in 63 Artikeln) zwischen dem englischen König Johann ohne Land (reg. 1199-1216) und den Vertretern der aufständischen Barone sowie der Kirche. Die Vorgeschichte hierzu: Johann ohne Land, Nachfolger seines Bruders Richard Löwenherz (reg. 1189-1199), hatte den Primatialbesitz von Canterbury mit einem ihm genehmen Kandidaten besetzen wollen, dann dem vom Papst Innozenz III. (reg. 1198-1216) aufgestellten Gegenkandidaten Stephan Langton die Einreise verweigert, den Klerus verfolgt und vertrieben, woraufhin der Papst ihn gebannt (1209), über England das Interdikt verhängt und den französischen König Philipp II. August (reg. 1180-1223) zum Kreuzzug gegen den aufsässigen König von England aufgefordert hatte. Erst diese Drohung hatte Johann ohne Land bewegt, sich dem Papst und seinen Forderungen zu unterwerfen, Stephan Langton anzuerkennen und England vom Papst zu Lehen zu nehmen (1215) und durch diese Lehennahme Englands vom Papst die Opposition der englischen Barone einzudämmen. So weit die Vorgeschichte. Resultat: Johanns Verbündete waren geschlagen, Johann verlor die englischen Festlandsbesitzungen nördlich der Loire an den französischen König Philipp II. August und mußte die Magna Charta gewähren, also die Forderungen der Magna Charta anerkennen und die Rechte der Barone verbriefen (auch z.B. deren feudales Widerstandsrecht) sowie die Wahrung der Rechte der Kirche akzeptieren, die Gesetze achten und Einzelforderungen und Klauseln auch des geltenden Lehnsrechts akzeptieren. Die Forderungen der Aufständischen betreffen hauptsächlich die rechtlichen Sicherung der Vasallen (z.B. die Sicherung gegen den Mißbrauch der königlichen Justiz und der lehnsrechtlichen Verpflichtungen, die Regelung der Erhebung von Schuld- und Hilfsgeldern) und sind selbst da, wo sie auf eine Rechtssicherung nichtfeudaler Gruppen (z.B. Bauern, Kaufleute, Bürger) sowie auf Begünstigung der Städte abzielen, zumeist mit einem Eigeninteresse der Barone verknüpft. Jedem Freien wird in Artikel 39 zugestanden, daß er nicht willkürlich verfolgt, sondern nur durch seinen Stand und nach dem Gesetz des Landes abgeurteilt werden kann; Artikel 61 bestellt zur Wahrung der verbrieften Freiheiten gegenüber dem König einen Kontrollausschuß von 25 Baronen und institutionalisiert damit das feudale Widerstandsrecht; so ist die Magna Charta in erster Linie Satzung geltenden Lehnsrechts, aber ihre schon früh einsetzende Umdeutung zum Dokument des noch werdenden Parlamentarismus entbehrt nicht einer gewissen Berechtigung, insofern ein Machtausgleich zwischen Königtum und Aristokratie erreicht wurde, der das politische Kräftespiel unter die Kategorie des Rechts stellte, die Idee der Repräsentation aufgriff und dadurch in die Zukunft wirkte. Die Magna Charta wurde quasi die „Bibel der Verfassung“. Wenn es also stimmt, daß mit der Magna Charta das diesbezüglich früheste Beispiel in der abendländischen Geschichte erbracht wurde, dann sollten die ersten Nachahmungen erst später erfolgen: in der nächsten Phase (10-12).
In der folgenden Tabelle sind die abendländischen Daten schwarz, die antiken rot gefärbt:
– 1200/1150) Griechen übernehmen phönizische Schrift
um 1000) Deutsche erfinden mechanische Uhren
um 1000) Wikinger entdecken Amerika (Leif Eriksson)
um 1000) Notker der Deutsche, Abt aus St. Gallen, übersetzt Vergil und Aristoteles ins Althochdeutsche
Hanse (Vorstufe) und weitere genossenschaftliche Zusammenschlüsse deutscher Kaufleute
1004) Brun von Querfurt, genannt Bonifatius, wird Erzbischof für die östlichen Heiden (Polen u.a.)
1004) 1. Italienzug Heinrichs II.
1010/1015) Baubeginn der Kaiserpfalz in Goslar
1012) Ordensgründung: Camaldulenser
1014) 3. Italienzug Heinrichs II.
1016) Frühromanischer Dom in Worms entsteht (Paulskirche)
1020) Frühromanischer Dom in Bamberg wird von Papst Benedikt VIII. eingeweiht
1020) In Süditalien entsteht ein christlicher Normannenstaat und die Normannik:
eine Baukunst als Mischstil normannischer, byzantinischer und arabischer Formen
1021-1022) 3. Italienzug Heinrichs II.
1024) Ende der Sachsenkaiserzeit im Deutschen Reich. (Vgl. Tafel)
– 1130) Tyros gründet Kolonie an der Stelle,
an der später Karthago entstehen wird
1024-1125/1137) Salische Kaiser (Deutsches Reich): Salische (Fränkische) Zeit (Salik):
Konrad II., Heinrich III., Heinrich IV., Heinrich V.. (Vgl. Tafel)
1026) 1. Italienzug Konrads II.
1030) Frühromanischer Dom in Speyer entsteht (wird Begräbnisstätte der salischen Kaiser)
1033) Frühromanischer Dom (St. Michaelskirche) in Hildesheim
(Bernwardskunst; nach Bischof Bernward von Hildesheim)
1036-1038) 2. Italienzug Konrads II.
1046) 1. Italienzug Heinrichs III.
1050) Mittelhochdeutsch (Früh-MHD) ist im Gebrauch.
(Vgl. AHD, Klassisches MHD, Spät-MHD, Früh-NHD, Klassisches NHD, Spät-NHD).
Musik: Fahrende Sänger ziehen durch das Land
um – 1100) Zeus-Götterwelt ist keine Verschmelzungsvariante mehr,
sondern feudaler gemeingriechischer Kult (Vgl. 4-6 und unten)
Musik: Mehrstimmigkeit, z.B.: Carmina Burana (Lieder aus Beuren; Kloster bei Bad Tölz
1054) Großes (Morgenländisches) Schisma: Bruch zwischen Ost- und Westkirche
Universalanspruch beider Kirchen führt zum endgültigen
Bruch zwischen orthodoxer Ostkirche und römisch-katholischer Kirche.
Das Papsttum wird von den orthodoxen Christen energisch abgelehnt.
1055) 2. Italienzug Heinrichs III.
1056) Kaiserpfalz in Goslar ist fertiggestellt
1059, 1066) Normannische Staaten jetzt auch in Rußland und England (zuvor: Normandie und Süditalien)
1064) Magdeburger Dom (Unser Lieben Frauen); nach Brand erfolgter Neubau: 1188
1066) Wilhelm der Eroberer besiegt den angelsächsischen König Harald II. Godwinson
1066) Angel-Sachsen-Reich erloschen (gegründet 430 )
1066) Wilhelm der Eroberer wird König von England, das er vollständig erobert (bis 1071)
1067) Wartburg (Baubeginn) um – 1100) Germanen ziehen nach Mitteleuropa
1069) Ordensgründung: Hirsauer
1069) Ordensgründung: Karthäuser
1074) Verbot der Priesterehe (Zölibatsvorschriften) zur Durchführung disziplinierter Apostel (Bischöfe, …)
1075) Beginn des Investiturstreits (Streit um die Einweisung in ein Kirchenamt) zwischen Papst und dem
deutschen Königtum: Gregor VII. droht Heinrich IV. mit dem Bann
1076) Synode von Worms: Heinrich IV. und die deutschen Bischöfe erklären den Papst für abgesetzt.
1077) Gang nach Canossa (Heinrich IV.) im (weltlich-geistlich ausartenden) Investiturstreit
zwischen Reformpapsttum und englischem, französischem und deutschem Königtum
1077, 1078, 1081) Feste Hohensalzburg, Londoner Tower und Mainzer Dom
1088) Bologna: Älteste Universität des Abendlandes (Europas)
1093) Erzbischof Anselm von Canterbury stellt den ontologischen Gottesbeweis auf
– – – – – – – – – Beginn der päpstlichen Weltherrschaft bzw. Universalherrschaft – – – – – – – – – – – – –
1095) Beginn der Kreuzzugsbewegung (Aufruf durch Papst Urban II. auf der Synode von Clermont)
Jerusalem soll von den Ungläubigen befreit werden.
Wirtschaftliche Interessen der Ritter (Hoffnung auf Landbesitz)
Judenverfolgungen
1096-1099) 1. Kreuzzug
1098) Ordensgründung: Zisterzienser
um – 1050) Dorer erobern (auf ihrer Wanderung nach Süden) Kreta
Phönizische Handeksniederlassungen an der Küste Spaniens
1115) Bernhard von Clairvaux gründet das Zisterzienserkloster Clairvaux
(und 68 weitere Zisterzienserklöster)
Mystik: 1. Blüte durch Bernhard von Clairvaux (Frankreich), Hugo von St. Viktor (Deutschland)
1119) Ordensgründung: Templer (Ritterorden; Gründer: Hugo von Payens)
1120) Ordensgründung: Prämonstratenser (Gründer: Norbert von Xanten)
1122) (23.09.) Wormser Konkordat (Beilegung des Investiturstreits)
durch Heinrich V., Kalixt II. und Reichsfürsten
Baubeginn des Freiburger Münsters
1123) (18/19.03.-06.04.) Konzil (9) von Rom (Lateran I) : Bestätigung des Wormser Konkordats
1124) Der Askanier (Ascherslebener) Albrecht I. (d. Bär) bemächtigt sich der Niederlausitz (Vgl. 1134)
1125) Ende der Salierkaiserzeit im Deutschen Reich. (Vgl. Tafel)
1125/1137-1254) Staufische Kaiser (Deutsches Reich): Staufische (Schwäbische) Zeit (Staufik):
Konrad III., Friedrich I. Barbarossa, Heinrich VI., Philipp von Schwaben
(Otto IV. von Braunschweig (Welfe)), Friedrich II., Konrad IV.. (Vgl. Tafel)
1125) Höhepunkt der Deutschen Ostkolonisation (Kolonisationswelle)
unter Kaiser Lothar III. von Supplinburg
1130) Kathedrale in Chartres: Baubeginn (Beginn der französischen Frühgotik)
1134) Der Askanier (Ascherslebener) Albrecht I. (d. Bär) belehnt die Nordmark:
Begründung der deutschen Mark Brandenburg
1139) (April) Konzil (10) von Rom (Lateran II) : Reformdekrete (im Sinne der gregorianischen Reform)
1146) Geschichtsphilosophische Chronik von Bischof Otto von Freising
1147-1149) 2. Kreuzzug
um – 1000) Dorer geben Anstoß zu einer (gemein-) griechischen Kunst: Ur-Geometrischer Stil (Geometrik)
um 1150) Klassisches Mittelhochdeutsch setzt sich durch
(Vgl. AHD, Früh-MHD, Spät-MHD, Früh-NHD, Klassisches NHD, Spät-NHD)
Musik: Ars antiqua: Organum wird Discantus: abgetrennte Gegenstimme
Conductus (mehrstimmiges Vokalwerk) und Motetus (3 Stimmen, scharf abgesetzt).
um – 1000) In Griechenland wird der religiöse Kult, die
Zeus-Götterwelt mächtigste Institution (Vgl. oben und 10-12)
1150) Die Mystikerin Hildegard von Bingen gründet das Benediktinerkloster Rupertsberg bei Bingen
Sie verfaßt als erste deutsche Mystikerin medizinische und naturwissenschaftliche Schriften
1150) Die Wartburg bei Eisenach, Sitz der thüringischen Landgrafen, wird fertiggestellt
In Deutschland kommen Familiennamen auf. Die Universität Paris entsteht
1154-1155) 1. Italienzug Friedrichs I.
1155) Ordensgründung: Johanniter (Ritterorden; Gründer: Raymund von Puy)
1156) Ordensgründung: Karmeliter (Bettelorden)
1158-1162) 2. Italienzug Friedrichs I.
1160) Heinrich von Melk. Von des todes gehugede (Erinnerungen an den Tod)
um – 980) Griechische Dorer erobern auf ihrer Wanderung nach Süden
Korinth, verdrängen Ionier vom Festland (Ionische Wanderung).
Ionier weichen auf die Ägäischen Inseln und nach Kleinasien aus
1161) Bildung einer deutschen Hanse in Wisby (Gotland)
1163) Notre Dame de Paris: Baubeginn (Französische Frühgotik)
1163-1164) 3. Italienzug Friedrichs I.
1166-1168) 4. Italienzug Friedrichs I.
1170) In Lübeck wird das Soester Stadtrecht eingeführt, das sich im nord- und ostdeutschen Raum als
Lübisches Recht durchsetzt
1174-1178) 5. Italienzug Friedrichs I.
um -970) Ende der Dorischen (Griechischen /Ägäischen) Wanderung
1179) (05.03.-19/22.03.) Konzil (11) von Rom (Lateran III) :
Vorschriften zur Papstwahl (Zweidrittel-Mehrheit erforderlich); Ausweitung des Kreuzzugsablasses
1180) Westfalen wird nach Auflösung des Herzogtums Sachsen selbständig unter dem Erzbischof von Köln
Die Grafen von Oldenburg werden reichsunmittelbar.
Auch die Steiermark wird selbständiges Herzogtum
1181) Pommern kommt unter die Lehnsoberhoheit von Brandenburg und wird dem Reich angeschlossen
1184) Kaiserpfalz Friedrich Barbarossas in Kaiserswerth wird fertiggestellt
Worms wird freie Reichsstadt
1184-1186) 6. Italienzug Friedrichs I.
1188) Magdeburger Stadtrecht wird im kolonisierten Osten von vielen Städten übernommen
1188) Nürnberger Stadtrecht wird im kolonisierten Osten von vielen böhmischen Städten übernommen
Neubau: Bamberger Dom, Magdeburger Dom (1. gotische Bauten in Deutschland)
Braunschweiger Dom um – 960) Ionische Städte, an der Spitze Milet und Ephesos, gründen den Ionischen Bund
1189-1192) 3. Kreuzzug – 960) Etrusker besiedeln Mittelitalien
Ritterliche Kultur: Höhepunkt ihrer Wirksamkeit (Ideale: Zucht, Treue, Christlichkeit, Minnedienst)
Deutscher Ritterorden entsteht 1190 während des 3. Kreuzzuges (Deutsche Spitalbruderschaft)
Musik: Minnesang-Blüte
Hartmann von Aue (MHD: Der arme Heinrich, Iwein)
Walther von der Vogelweide verfaßt Liebeslieder, Gedichte und Sprüche (MHD: Minnesang-Blüte)
Wolfram von Eschenbach verfaßt seinen Parzifal, später den Willehalm
Gottfried von Straßburg schreibt seinen Tristan
Heinrich von Veldeke verfaßt sein Hauptwerk Eineit
Heinrich von Rugge verfaßt Minnegedichte und den Kreuzleich
Weitere bedeutende Minnesänger: Reinmar von Hagenau, Heinrich von Morungen, Heinrich der
Gleisner, Heinrich von Melk u.a.
1191) 1. Italienzug Heinrichs VI.
1194-1195) 2. Italienzug Heinrichs VI.
– 950) Phönizische Seefahrt durch das Rote Meer nach Indien
Anfänge Roms (Besiedlung des Hügels Palatin)
um 1200) Nibelungenlied entsteht
1202) Ordensgründung: Schwertbrüderorden (Deutscher Ritterorden) für die Mission in Livland
Gründer: Albert von Appeldern (Bremer Domherr), Bischof von Livland (Sitz: Riga)
1202-1204) 4. Kreuzzug – 925) Griechische Tempelbauten für Hera und Poseidon
1209-1214) Kaiser Otto IV. von Braunschweig (Welfe) im Deutschen Reich. (Vgl. Tafel)
1210) Ordensgründung: Franziskaner (Bettelorden); Franz von Assisi (Franziskaner-Ordensregeln, 1221)
1212) Kinderkreuzzug – 925) Phönizier bereisen die Ostküste Afrikas
1215) (11.11.-30.11.) Konzil (12) von Rom (Lateran IV) : Lehre der Transsubstantiation; Beschlüsse über die
bischöfliche Inqusisition; Verbot neuer Ordensgründungen; Vorschrift besonderer Kleidung für
Juden; Glaubensbekenntnis gegen die Sekten der Albigenser und Katharer
1216) Ordensgründung: Dominikaner (Bettelorden) wird Orden der Inquisition (Gründer: Dominikus)
1220) Lübeck wird freie Reichsstadt; Travemünde erhält einen Leuchtturm
Sachsenspiegel (Eike von Repgau [Reppichau])
In Deutschland entstehen immer mehr Reichsstädte, die unmittelbar dem Kaiser unterstellt sind
Der Deutsche Orden wird von Friedrich II. dazu veranlaßt, Preußen zu erobern (zu missionieren)
Die Aufgabe übernimmt Hermann von Salza (1170-1239)
1225) Aus dem deutschen Orden wird ein Deutschordensstaat (Hermann von Salza)
1227) Der Dominikaner Konrad von Marburg führt die Inquisition in Deutschland ein
1227) Ordensgründung: Clarissen (Bettelorden)
1228-1229) 5. Kreuzzug um – 900) Gründung Spartas (Limnai, Mesoa, Kynosura, Pytane)
Griechische Kunst: Früh-Geometrischer Stil (Geometrik)
1235) Freiburger und Straßburger Münster werden umgebaut (Frühgotik)
1236) Minnesang wendet sich ins Bürgerliche durch den Dichter Neidhart von Reuenthal
1237) Deutschordensstaat: Vereinigung des Deutschen Ordens mit dem Deutschen Schwertbrüderorden
1241) Hanse: Hamburg und Lübeck schließen ein Bündnis, 1242 schließt sich Kiel an
1243) Thomas von Aquino tritt in den Bettelorden der Dominikaner ein
1245) Regensburg wird Reichsstadt; in London wird die Westminster Abtei errichtet (Gotik)
1245) (28.06.-17.07.) Konzil (13) von Lyon (I) :
Wirtschafts- und Verwaltungsreform kirchlichen Besitzes; Absetzung Kaiser Friedrichs II.
1248) Kölner Dom: Baubeginn (Frühgotik)
1248-1254) 6. Kreuzzug
um 1250) Spätmittelhochdeutsch setzt sich durch
(Vgl. AHD, Früh-MHD, Klassisches MHD, Früh-NHD, Klassisches NHD, Spät-NHD)
Der Baustil der Gotik setzt sich in Deutschland durch
Erstarken des Bürgertums, der Geldwirtschaft, der 2 größten deutschen Städte: Köln, Lübeck
Der Feudalstaat geht allmählich in den Beamtenstaat über (Beginn des Spätmittelalters)
Judenverfolgungen (Bildung von Ghettos)
Köln wird freie Reichsstadt
1252/1274) Höhepunkt der Scholastik und Trennung der Theologie von Wissenschaft und Philosophie
Albert der Große (doctor universalis), Th. von Aquino (doctor angelicus),
Roger Bacon (doctor mirabilis)
Frauenmystik von Helfta, Zisterzienserkloster (Mechthild von Magdeburg u.a.)
1254) Ende der Stauferkaiserzeit im Deutschen Reich. (Vgl. Tafel)
1254-1273) Interregnum
(Zeit zwischen letztem Staufer Konrad IV. und erstem Wahlkaiser Rudolf I. von Habsburg)
1254) Zum Schutz gegen die Ritter entsteht der Rheinische Städtebund
In Paris wird eine Theologenschule, die spätere Sorbonne, gegründet
1256) Ordensgründung: Augustiner-Eremiten (Bettelorden)
1259) Handelsbund zwischen Lübeck, Hamburg, Wismar und Rostock (Hanse)
1260) Musik:
In Mainz entsteht die erste Schule der Meistersinger (bürgerliche Dichter-Handwerker als Sänger)
Ritterlicher Minnesang wird durch bürgerlichen Meistergesang abgelöst
1262) Straßburg wird Reichsstadt
1267/1268) Goslar wird Mitglied des Sächsischen Städtebundes und Mitglied der Hanse
1268) Ende der deutschen Kaiserherrschaft in Italien
1270) 7. Kreuzzug
1271) Der Venezianer Marco Polo verfaßt Schriften zu seinen Reisen nach Ostasien
1273) Thomas von Aquino verfaßt sein Werk Summa theologica
1273-1437) Wahlkönigtum im Deutschen Reich
(Habsburger, Nassauer, Luxemburger, Wittelsbacher). (Vgl. Tafel)
1273/1291) Nürnberg wird freie Reichsstadt
1274) (07.05.-17.07.) Konzil (14) von Lyon (2) : Kirchenreform; Konklaveordnung
um 1280) Brille
1282) Bisanz (Besançon) wird freie Reichsstadt
1290) Goslar wird freie Reichsstadt
1291) Mamelucken (ehemalige Militärsklaven türkischer, kaukasischer und slawischer Herkunft)
erobern die Kreuzfahrerstaaten. Bedeutung: Ende der Bewegung der Kreuzzüge
1294) Speyer wird freie Reichsstadt
1294/1303) Mit der Gefangennahme des Papstes Bonifaz VIII. 1303 geht die ca. 200 Jahre währende
päpstliche Weltherrschaft bzw. Universalherrschaft langsam zu Ende. (Vgl. Päpste)
um 1300) Der Feudalismus wird langsam durch die ständische Gesellschaftsordnung abgelöst
Blüte der Deutschen Mystik:
Meister Eckhart, Dietrich von Freiberg, Heinrich Seuse, Johannes Tauler,
Die Theologia Deutsch (aus den Deutschherrenhaus Sachsenhausen) entsteht später (um 1400)
Musik: Übergang von der Moduslehre zur Mensuralnotation:
Ars cantus mesnsurabilis, Franko von Köln
1300) Gotisches Rathaus in Lübeck – 850) Sparta: Erziehung der Jugend durch den Staat

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Die Romanik, die früher auch Vorgotik oder Altdeutsch genannt wurde, bekam ihren Namen, weil sie bestimmte Motive der Baukunst des alten Rom benutzte. Rundbogen und Säule wurden romanisch, weil sie dem alten Rom teilweise entlehnt waren. Von etwa 1000 bis 1250 herrschte der romanische Stil vor, wobei sich in Frankreich die Frühgotik gegen ihn schon früher durchsetzte. (Vgl. Tabelle). In Deutschland begann dagegen die Romanik bereits vor 1000, allerdings pflegt man sie als Ottonik zu bezeichnen, die zwischen der karolingischen und der romanischen Kunst anzusiedeln und auch gegen sie abzusetzen ist. (Vgl. 6-8).
Gestalt nahm die Romanik hauptsächlich in Deutschland, Frankreich und Italien (Lombardei) an, und auch hier gilt zu berücksichtigen, daß es Jahrhunderte vorher eine vorromanische Kunst gab, die aber noch keine fest und überall durchgreifende Struktur, sonderm entweder ottonisch-sächsische, karolingische oder früher noch: synkretische Strukturen entfaltet hatte. (Vgl. Synkretismus, 2-4, 4-6, 6-8). Wenn sich ein Synkretismus in den Formen widerspiegelt, ist das ein klares Anzeichen dafür, daß das frühere antike Weltreich durch die Auflösung seines politischen Zusammenhalts und die Öffnung seiner geistigen Grenzen dem werdenden Abendland Raum gegeben hatte, das antike, orientalische und germanische Formelemente in den verschiedenen Mischungsverhältnissen und Verbindungen, gegenseitigen Steigerungen und Abschwächungen in einer komplizierten Weise integrierte, angefangen mit den Germanenreichen bis hin zu den germanischen Normannenstaaten. Romanischer Stil heißt in erster Linie Werke kirchlicher Kunst, denn die machtvolle Erstarkung der internationalen Organisation der Kirche ging in diese Kunstwerke mit ein. Die hierarchische Strenge sollte erst durch die Gotik eine Milderung erfahren. Ganz allgemein brachte die Romanik eine bedeutende Bereicherung des Bautypus der Basilika in Fortsetzung der Bestrebungen, die bereits in der Karolingik hervortraten. Der Betonung der Ostseite durch Querschiff und Apsis (Altarnische, Chorhaupt) wurde eine Betonung der Westseite durch Ausbildung reicher Fassaden, in Deutschland gern auch Doppelchörigkeit gegenübergestellt. Diese Zusammenballung der Bauenergien an zwei Polen an Stelle des ruhigen Dahingleitens in einheitlicher Richtung wurde auch noch gesteigert durch die ebenfalls an den beiden Polen sich sammelnden Türme, denen über alle praktischen Zwecke hinaus eine gewaltige Bedeutung verliehen wurde. In ihnen spricht sich nordisches Kunstwollen im Unterschied zu dem des Südens besonders energisch aus, und nichts Unantikeres kann es geben als eine vieltürmige romanische Basilika, aus der architektonische Energien in den Himmel zu strahlen scheinen, in der alle Teile durch gemeinsame Beziehung auf die Höhenrichtung kraftvoll zusammengehalten werden. die Chorpartie erscheint von außen als dramatische Massenaufgipfelung: im Halbrund wölbt sich die Apsis heraus, über sie empor steigt der Giebel des Vorchors und schließlich reißen die links und rechts emporschießenden Türme die Höhenrichtung an sich. Die Kraft des Zusammenfassens mußte sichtbar entwickelt werden, weil der romanische Kirchenbau nicht wie der gotische von vornherein auf durchgreifende Einheit aus war, sondern vielmehr einen Gruppenbau darstellen sollte, zusammengesetzt aus Teilgebilden, die innen und außen sehr genau als solche zu unterscheiden sein sollten. Alles wurde auf Wucht und Schwere angelegt, die Mauern über das konstruktiv Notwendige hinausgehend. Auch alle Einzelglieder wurden in dieser Schwere und kubischen Massigkeit gestaltet.

Ein wichtiges romanisches Stilgefühl äußert sich in dem Wechsel runder (zylindrischer) und rechtflächiger (kubischer) Formen, z.B. dort, wo eine Halbsäule aus dem rechtflächigen Pfeiler heraustritt, wo die halbrunde Apsis gegen die Chorwand oder ein runder Turm gegen den kubischen Baukörper steht, schließlich auch in der typisch-romanischen Form des Würfelkapitells. Seit etwa 1000 wurde es entwickelt – als eine Durchdringung von Würfel und Kugel, somit in idealer Weise zwischen dem Rund der Säule und den kubischen Körpern vermittelnd, die sie zu tragen hat. Das Würfelkapitell kann auch mit Ornamenten, gewöhnlich Palmetten, bedeckt sein. Es kommt am kraftvollsten und klarsten in Deutschland vor und hat hier auch seine längste Dauer gehabt.
Gegen die Gotik hin wurde immer häufiger ein Teil der Schlankheit der Säule in das Kapitell integriert oder als dessen kelchartige Erweiterung dargestellt, bis in der Gotik selbst von diesem ehemaligen Gegensatz des Formenwechsels gar nichts mehr übrig blieb, weil er durch polygonale Brechung aufgehoben und der von der Antike entlehnte romanische Rundbogen zum Spitzbogen gebrochen wurde. Einen der größten Triumphe gelang der romanischen Baukunst mit der um 1100 beginnenden Einführung der Wölbung des ganzen Innenraums, dessen Gesamtwirkung dadurch in entscheidender Weise gesteigert wurde. Zur dekorativen Bereicherung des Baus bildete der romanische Stil in seiner Spätzeit eine stets anwachsende Fülle von Zierformen aus, wie denn überhaupt die Spätromanik zu den im Ornament schöpferischsten Zeiten gehört. Die Bildhauerkunst bemühte sich zum ersten Mal wieder seit dem Ausgang der Antike, aber nicht im Anschluß an sie, aus der flachen Reliefschicht Körperliches herauszurunden, und in einzelnen Fällen schuf sie sogar Freifiguren. Neben der in karolingischer und ottonischer Zeit noch fast ausschließlich vorhandenen Kleinplastik enstand in der romanischen Zeit eine Großplastik, vor allem in Verbindung mit dem Bauwerk. Das wiederum stand, wie erwähnt, vor allem in Verbindung mit dem Werk der Kirche.

Analoge Theologien
(8-10): 1050-800 und 1000-1250
(0-2, 2-4, 4-6, 6-8, 8-10, 10-12)
16) . . (Vorläufer der homerischen Epen) . . seit ca. – 15. Jh. / – 14. Jh.
17) Zeus-Götterwelt als Feudal-Religion seit ca. – 14. Jh. / – 13. Jh.
18) ………………. … ……………….. seit ca. – 10. Jh. / – 9. Jh.
19) Zeus-Götterwelt als Monopol-Religion seit ca. – 10. Jh. / – 9. Jh. 16) 2. Scholastik Früh-Scholastik (Universalienstreit) seit 8.Jh.
17) 1. Mystik Früh-Mystik seit 9. Jh.
18) 3. Scholastik Hoch-Scholastik (Aristotelismus) seit 13. Jh.
19) 2. Mystik Hoch-Mystik seit 13. Jh.

Die Mystik verkörperte sich vor allem in den Werken von Bernhard von Clairvaux (1090-1153) und Hugo von St. Viktor (1096-1141), der aus Blankenburg am Harz stammte, aber auch in den Werken der sogenannten Frauenmystik, zu der z.B. Hildegard von Bingen (1098-1178) und Mechthild von Magdeburg (1212-1285) zu zählen sind. Als Geschichtsphilosophen, Staats-und Wissenschaftslehrer wirkten Otto von Freising (1114-1158) und Johann von Salisbury (1115-1180). Im Mittelpunkt des mittelalterlichen Universalienstreits stand die Frage nach der Daseinsweise der Universalien, den Allgemeinbegriffen. Eine gemäßigte Stellung in diesem Streit nahm z.B. der Scholastiker Anselm von Canterbury (1033-1109) ein. Die Scholastik strebte, wie die Kirche und das Papsttum selbst, in dieser Phase dem Höhepunkt zu. Der kirchlich-scholastische Realismus kam mit seinem Rationalismus zuletzt zu derselben Erkenntnis wie das Papsttum: Theologie und Wissenschaft oder Philosophie sind genauso wenig eine Universaleinheit wie Kirche und Staat oder Welt. Hatte die Frühscholastik noch auf dem Boden eines ziemlich ungegliederten Ineinanders von Wissenschaft, Philosophie und Theologie gestanden und mehr auf die scholastische Methode und den Universalienstreit geachtet, so war die Hochscholastik bereits gekennzeichnet durch die sich vollziehende Scheidung zwischen Wissenschaft und Philosophie (v.a. Naturphilosophie) einerseits und Theologie andererseits, sowie durch die Aufnahme des freilich nur in lateinischer Übersetzung vorliegenden Aristoteles in das philosophische Denken des Abendlandes. Es bildeten sich die Philosophien der großen Orden, insbesondere der Franziskaner und der Dominikaner heraus, ebenso die großen Systeme von Albert dem Deutschen (dem Großen, 1193-1280), der in Köln lehrte, als der umfassendste Gelehrte des Mittelalters („doctor universalis“) und Patron der Naturwissenschaftler gilt, seinem Schüler Thomas von Aquino (1225-1274), der in Köln, Bologna, Rom und Neapel lehrte, und Roger Bacon (1214-1294), den man den Begründer der experimentellen Naturforschung nennen darf. Albert der Große bekam den Ehrennamen doctor universalis, Thomas von Aquino den des doctor angelicus und Roger Bacon den des doctor mirabilis. Diese drei Philosophen wirkten über das Mittelalter hinaus. Albert der Große und Thomas von Aquino ersetzten Augustinus‘ neuplatonische Richtung der christlichen Philosophie (Augustinismus) durch den christlichen Aristotelimus. (). Albert der Große, Thomas von Aquino und Roger Bacon leiteten denkerisch die nächste Phase der Gotik ein. ().
An Kloster- und Kathedralschulen bildeten sich im 12. Jahrhundert Genossenschaften von Lehrern und Lernenden. Gegliedert nach Nationen (der wandernden Studenten) und gestuft nach akademischen Graden, erhielten diese Vereinigungen eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Schon 1088 war (laut Bekundung!) im Abendland die erste Universität gegründet worden: Bologna – mit einem weltlichen Lehrkörper unter Kontrolle der Studenten. Es folgten weitere Universitätsgründungen im 12. und 13. Jahrhundert, aber die meisten Gründungen gab es im 14 und 15. Jahrhundert.: in der gotischen Phase. (Vgl. 10-12).
Verteidigten Papst und Kaiser das universale Christliche Reich Gottes bzw. das Heilige Römische Reich Deutscher Nation oder nur deren Namen und die Gelehrten die Begriffe oder die wirklichen Universalien? 1092 wurde der Nominalismus des Johann Roscelinus verdammt. Die erste Auflösung des primären Bezugssystems erfolgte durch das große Schisma von 1054 und den darauf folgenden Streit zwischen Papst und Reich, Geist und Adel. (). Die Kreuzzüge wurden am Ende dieser Phase aufgegeben. Und die Universalidee? War sie eine Trotzhaltung? Sie mußte jedenfalls gegenüber der Verweltlichung nachgeben, somit auch mehr oder weniger aufgegeben werden. Das auf weltlichen und geistlichen Besitz beharrende Denken und Handeln war gekennzeichnet durch eine Vergeudung von Energie und einen Trotz gegen Regeln, die erst nach der Brechung des bis ins Extreme gesteigerten Willens gelernt werden konnten. Für die Brechung sollte die Gotik sorgen, denn sie sollte nicht nur in der Kunst den Gegensatz des romanischen Formenwechsels durch vieleckige Brechung gotisch aufheben und den romanischen Rundbogen zu einem gotischen Spitzbogen brechen, sondern auch die kulturseelischen Gegensätze in andere Formen bringen und die Reformation vorbereiten. Man lernt sich selbst kennen, indem man sich und die eigenen Regeln an den Fremden und ihren Regeln mißt: Selbstreferenz und Fremdreferenz bedingen sich gegenseitig, wobei das Pendel dann zurückschlägt, wenn der jeweilige Extrempunkt erreicht ist. Dies gelernt zu haben, ist eine wesentliche Voraussetzung für die weitere Existenz eines Lebewesens als auch einer Kultur.

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Anmerkungen:

Fürst (zu althochdeutsch furisto, der Vorderste) ist seit dem Mittelalter die Bezeichnung für die höchste Schicht des hohen Adels, die durch ihre besondere Königsnähe an der Herrschaft über das Reich, besonders in seiner territiorialen Gliederung, teilhatte (Reichsadel), v.a. Herzöge und Herzogsgleiche sowie Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte der Reichsabteien. Ihnen stand das Recht der Königswahl zu und die Pflicht, bei Entscheidungen in Reichssachen mitzuwirken. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation konnten zunächst alle freien, dann alle Reichsfürsten den König wählen. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts kristallisierten sich bei der Wahl des Königs immer mehr entscheidende Fürsten heraus. Spätestens aber im 13. Jahrhundert ergab sich aus den Fürsten heraus der engere Kreis der Königswähler, die Kurfürsten, deren Sonderstellung in der Goldenen Bulle von 1356 festgelegt wurde. Weltliche und geistliche Reichsfürsten hatten Sitz und Stimme im Reichstag. Seit dem staufisch-welfischen Thronstreit (1198) mußten die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie der Pfalzgraf bei Rhein (die Rheinpfalz) an einer gültigen Wahl beteiligt sein. Der Sachsenspiegel (1224-1231) zählt 2 weitere Kurfürsten als Vorwähler oder Erstwähler auf: den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg. Mit der Doppelwahl von 1527 traten zum ersten mal die 7 Kurfürsten (einschließlich des vom Sachsenspiegel abgelehnten Königs von Böhmen) als alleinige Wähler auf. Bei der Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) war das Kurfürstenkollegium (Kurkollegium) ein geschlossener Wahlkörper. Seine Entstehung – vom Sachsenspiegel aus dem Besitz der Erzämter erklärt – war also letztlich ein Ergebnis des Interregnums: eine Verhinderung der erblichen Thronfolge, ein Erwerb von Reichsgut und wichtigen Reichsrechten durch die Kurfürsten. Das Wahlrecht schränkte sich auf 3 geistliche und 4 weltliche Kurfürsten ein, die vom Kandidaten Sonderrechte (Kapitulationen) und politisches Mitspracherecht (Willebriefe) forderten, ein schwaches Königtum wünschten und deshalb die Krondynastie wechselten. Die Kurfürsten wurden häufig zu Gegenspielern des Königtums. Zur Gültigkeit der Wahl mußten mindestens 4 Kurfürsten anwesend sein. Die Mehrheitswahl wurde zuerst im Kurverein von Rhense (1338) für rechtsmäßig erklärt und 1356 in der Goldenen Bulle als Reichsgrundgesetz festgelegt, die auch die Beratung von Reichsangelegenheiten durch die Kurfürsten auf Kurfürstentagen verbriefte. Im 15. Jahrhundert wurde das Kurfürstenkollegium zur 1., vom Reichsfürstenrat getrennten Kurie des Reichstages. Die böhmische Kurwürde ruhte 1519 bis 1708 mit Ausnahme der Beteiligung an der Königswahl; die Kur des geächteten Pfalzgrafen bei Rhein wurde 1623 Bayern übertragen, der Pfalz aber 1648 eine 8. Kurwürde zugestanden. Braunschweig-Lüneburg (Hannover) hatte seit 1692 eine 9. (1708 vom Reichstag bestätigt), nach der Vereinigung Bayerns mit der Kurpfalz 1777 die 8. Kurwürde inne (seit 1778). 1803 wurden die Kurstimmen von Trier und Köln aufgehoben, die Mainzer Kur auf Regensburg-Aschaffenburg übertragen. Neugeschaffen wurden die Kurfürstentümer Salzburg (1805 auf Würzburg übertragen), Württemberg, Baden und Hessen-Kassel. Am Ende des 1. Deutschen Reiches gab es 10 Kurfürsten. (Vgl dazu die entsprechenden Phasen 6-8, 8-10, 10-12, 12-14, 14-16, 16-18, 18-20).
Kurverein von Rhense war der Zusammenschluß der Kurfürsten (ohne Böhmen) am 16.07.1338 in Rhense (Rhens, Rhein-Lahn-Kreis) zur Verteidigung des Reichsrechts und ihrer Kurrechte besonders gegen päpstliche Ansprüche. Die Kurfürsten setzten in einem Rechtsspruch fest, daß der von ihnen oder ihrer Mehrheit zum Römisch-Deutschen König gewählte nicht der päpstlichen Anerkennung bedürfe.
Die Welfen spielten in der Reichspolitik ab 1214/1218 keine wesentliche Rolle mehr. Erst die lüneburgische Teillinie Calenberg erlangte nach dem Aufstieg zum Kurfürstentum Hannover 1692 europäische Bedeutung. Braunschweig-Lüneburg (Hannover) hatte seit 1692 eine 9. (1708 vom Reichstag bestätigt), nach der Vereinigung Bayerns mit der Kurpfalz 1777 die 8. Kurwürde inne. (Vgl. Fürsten) .
Hans Kühner, Das Imperium der Päpste, 1977, S. 135 und ff.
Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 155, S. 227ff., S. 234, S. 390, S. 847f.).
7 Kreuzzüge (und Nebenkreuzzüge):
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1. Kreuzzug (1096-1099),
2. Kreuzzug (1147-1149),
– Kreuzzüge gegen die Slawen (12. Jh.)
3. Kreuzzug (1189-1192),
4. Kreuzzug (1201-1204),
– Kinderkreuzzug (1212),
5. Kreuzzug (1228-1229),
6. Kreuzzug (1248-1254),
7. Kreuzzug (1270).
Das Papsttum erlebte den Höhepunkt seiner Macht, aber gerade die Machtentfaltung trug dazu bei, die religiöse Verehrung des Heiligen Stuhls bei weiten Bevölkerungsschichten zu untergraben. Die furchtbare Katastrophe des 2. Kreuzzugs schadete dem Ansehen des Papsttums, und Bernhard von Clairvaux (1090-1153) erschien vielen als falscher Prophet. Die Kreuzzüge sind nur im Zusammenhang mit den überall stattfindenden Angriffen gegen den Islam und gegen nichtchristliche Völker des Ostens zu verstehen. Der von Bernhard von Clairvaux proklamierte Kreuzzug gegen die Slawen scheiterte.

Die Kreuzzüge scheiterten letztlich überhaupt, weil sich die (entstehenden) nationalen Interessen der beteiligten Nationen nicht mehr mit der universalen Idde vereinigen ließen.

Bernhard von Clairvaux (1090-1153) trat 1112 in das Reformkloster Citeaux ein, gründete 1115 das Kloster Clairvaux, von dem zu seinen Lebzeiten 68 Filialgründungen ausgingen.. Der Orden der Zisterzienser wurde von ihm wesentlich mitgeprägt, seine Mystik bestimmend für das ganze Mittelalter, sein Einfluß auf Predigt und geistliches Leben nachwirkend bis weit in die Neuzeit. Von Bernhards Werken sind fast 900 Handschriften erhalten: Predigten, Abhandlungen; Hauptwerk: De consideratione (1149-1152).
Der Kinderkreuzzug fand, ausgehend von Vendôme und den Rheinlanden, im Jahre 1212 statt und umfaßte mehrere tausend 10- bis 15jährige Kinder, die von Marseille aus von betrügerischen Reedern nach Alexandria verschifft wurden und größtenteils unterwegs umkamen bzw. in die Sklaverei gerieten.
Albert von Bollstädt (1193-1280), auch: Albert der Deutsche, Albert der Große (Albertus Magnus), trug den Ehrentitel „Doctor universalis“, wegen seiner Vielseitigkeit. Er war Philosoph, Naturwissenschaftler und Theologe und gehörte dem Dominikanerorden an. Als einziger Gelehrter hat er den sonst nur Staatsmännern vorbehaltenen Beinamen „Magnus“ (der Große) erhalten. Albert ist Schutzpatron der Naturwissenschaftler. (Vgl. auch: Aristoteles und Aristotelimus).
Übersicht über die Vor- und Frühgeschichte der abendländischen Musik (Grundlagen / Träger):
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Hymnischer Chorgesang / Ambrosius (339-397), der aus Trier stammte und Bischof von Mailand war.
Gregorianischer Gesang (Gregorianischer Choral; 1stimmige Gregorianik) / Papst Gregor I. (540-604).
(Psalmodie vom Wortakzent bestimmt; Antiphonen, Respondorien, Hymnen).
Organum: früheste Form (7. Jh.) der Mehrstimmigkeit, Paraphonie zur gregorianischen Melodie.
Choralrhythmus, 40 Sequenzen / Notker der Stammler (Balbulus; 840-912), der Mönch im Kloster St. Gallen war.
Durch Klang gestützte Melodik / Gymel, Fauxbourdon (3stimmige Setzweise).
Mehrstimmigkeit / Studentenlyrik: Carmina Burana (Lieder aus Beuren; Kloster bei Bad Tölz, 11., 12., 13. Jh.).
Erwachendes rhythmisches Bewußtsein / Minnesänger, W. von der Vogelweide u. a., Kreuzritter, fahrende Sänger.
Ars antiqua (Organum wird Discantus: abgetrennte Gegenstimme) / Leoninus (12.Jh.), Perotinus Magnus (13. Jh.).
Conductus (mehrstimmiges Vokalwerk der Ars antiqua) und Motetus (3 Stimmen, scharf gegenseitig abgesetzt).
Früheste Polyphonie, Mensuralmusik (gemessene Musik: festgelegte Notenwerte) / Franko von Köln (13. Jh.).
Früheste ausgereifte polyphone Satztechnik, z.B. (Sommerkanon), Rondeaus / z.B. Adam de la Halle (13. Jh.).
Meistergesang / Meistersinger (14. Jh. bis 16. Jh., z.B. Hans Sachs, 1494-1576)
Ars nova, niederländischer Kontrapunkt und niederländische Polyphonie, mehrstimmiges deutsches Lied, Choräle bis zum Aufkommen der Instrumentalmusik (Paumann, 1452).

Posted in Hubert Brune on April 22, 2012 by androsch

Frühling / Morgen
6 Uhr 12 Uhr
Frühkultur

6-8 Uhr
Neugeborenes oder Stehvermögen

Wenn mit Frühlingsbeginn das Leben erwacht, die ersten zartgrünen Knospen vor dem Entfalten stehen und farbige Blumen sich in Richtung Sonnenlicht recken, dann wird auch jedem Zweifler klar, daß sich das Leben plötzlich meldet, als käme es aus dem Nichts des Winters. Der so scheinbar lang andauernde Winter hatte aber das Leben nur zum Teil ausgelöscht und ansonsten in Geborgenheit verbannt, zumeist unter die Erde. Die unterirdisch-uterine Winterzeit ist aber jetzt an ihr Ende und das Leben ans Licht der Welt gekommen. Daß die meisten Lebewesen im Frühling zur Welt kommen, um genügend Zeit zur Entwicklung einer Überlebensfähigkeit zu haben, bevor der nächste Winter kommt, liegt in der Logik der Natur. Daß Menschen sich den Luxus erlauben, gegen diese Naturregeln zu rebellieren, liegt in der Logik der Kultur. (Vgl. Jahreszeiten). Seit der Zeit, als die Menschen mit waghalsigen Projekten versucht haben, die Natur auszuschalten, kann man von einer spezifisch menschlichen Kultur sprechen. Trotz der enormen kulturellen Leistungen sind Menschen bis auf den heutigen Tag naturimmanente Wesen geblieben. Die Vorverlegung des Geburtstermins eines Säuglings mit einem größer gewordenen Gehirn umging den zeitlich längeren Weg der Anpassung weiblicher Beckenknochen. Der Aufschub der Geschlechtsreife zu dem Zweck, das evolutionär zu einem eigenen Universum herangewachsene Gehirn durch intensives Lernen vor der ersten Möglichkeit einer Fortpflanzung zur kompletten Vernetzung zu bringen, bedeutete ein Risiko, den Kampf gegen die rein evolutionäre Anpassung zu verlieren, weil auch ein revolutionärer Luxus seinen Preis hat. Ein Kosmos im Hirn will bezahlt sein. Der Aufwand hatte sich aber gelohnt, und die Menschen konnten ihre Luxusinsel verlassen, weil sie sich ab jetzt mit gehirnspezifischen überlebensfähigen Waffen durchzusetzten begannen. Noch vor den echten Wurfgeschossen entstanden die Geschosse im Kopf als Entwürfe oder Projekte. Das Feuer sorgte für Macht, Wärme, Schutz und sprachfördernde Kommunikation zugleich, als Sprache der kultivierten Kommunikation verstanden. Dieses Projekt des Menschen, der sich auf eine Insel zurückzieht, um sie später als Revolutionsmeister wieder zu verlassen, hatte sich offenbar gelohnt, und zwar trotz oder wegen der vielen Risiken. Wie das Beispiel der Jahreszeiten zeigt, gehorchen Natur und Kultur den Regeln des Kosmos. (). Evolutionäre Prozesse scheinen sich sogar in einer Kultur zeitrafferartig zu wiederholen. (). Sämtliches Leben fristet sein Dasein in einer All-Heimat. Wir sind Einwohner einer Insel in einem ausdehnenden Universum der Unendlichkeit, und wir müßten den eben beschriebenen Weg noch einmal beschreiten, um es wirklich zu verstehen. (). Einen Weg zum theoretischen Verständnis bietet die Kosmologie, von der besonders die Antike fasziniert war und die wohl durch Platon zur höchsten Reife gelangte. (Vgl. 18-20). Auch Kulturen unterliegen der Schwankung.
Eine natürliche Geburt kündigt sich ja bekannlich durch mehr oder weniger starke Wehen an. Im Falle der zur Welt kommenden Antike lag dieser Zeitraum im 15. und 14. Jahrhundert v. Chr., als die Mykener ihre Macht nach Kleinasien, z.B. auch nach Milet, nach Milos und Kreta ausdehnten. Sie übernahmen die minoische Keramik und die Kuppelgräber für den Ahnenkult der Herrenschicht, und sie zerstörten die jüngeren Paläste auf Kreta, z.B. auch Knossos (1425). In der nachgeburtlichen, d.h. spätmykenischen Zeit wurden die Kuppelgräber weiter ausgebaut und Befestigungsanlagen mit gigantischen Ausmaßen in Mykenai, Tiryns, Pylos, Gia und Athen errichtet. Berühmt sind z.B. das Löwentor und das Schatzhaus des Atreus in Mykenai. Für das Abendland bzw. Europa liegt der Zeitraum der kulturellen Geburtsphase im 8. Jahrhundert, nämlich zwischen dem Ende des Westgotenreichs durch die muslimischen Mauren (711), dem Sieg über die Araber durch Karl Martell (732) und der sogenannten Pippinschen Schenkung (754), spätestens jedoch, im Falle einer Spätgeburt, zwischen dem Ende des Langobardenreichs durch den Franken Karl d. Gr. (774) und seiner Kaiserkrönung durch Papst Leo III. (800). (). Die ältesten überlieferten Zeugnisse für das Althochdeutsche gehen auf die Zeit um 750 zurück. Auch die deutsche Ostkolonisation setzte bereits um die Mitte des 8. Jahrhunderts ein, vor allem im Ostalpengebiet und an der Donau. (Vgl. 8-10 und 10-12). Und zur Kulturgeburt gehört auch die abendländische „Agrarrevolution“, denn zweifellos hat es außer der Verbreitung des Räderflugs mit Pflugschar (eisenbeschlagen bzw. eisern) auch weitere bedeutende Fortschritte in der Anbautechnik gegeben: die zunehmende Verwendung von Eisengeräten (z.B. Egge), das Aufkommen der Wassermühle, verbesserte Anspannungsmethoden (Kummet), den Übergang zur Dreifelderwirtschaft. Diese ist nach der Mitte des 8. Jahrhunderts erstmals schriftlich belegt, bringt rechnerisch eine Ertragssteigerung um 50% (!), beansprucht aber auch den Boden stärker.
Festzuhalten bleibt, daß die Geburt Europas ein Bündnis zwischen Papst und Frankenreich darstellt: das erste zwischen Stephan II. und Pippin III. von 754, das zweite zwischen Hadrian I. (reg. 772-795; ) und Karl d. Gr. von 781 bzw. 787 und das dritte zwischen Leo III. (reg. 795-816; ) und Karl d. Gr. von 800. Sie sind wiederholte Bekräftigungen eines Bündnisses. Es kam für dieses Werden auf die soliden, zukunftsträchtigen Formen und Inhalte an. Dafür gilt es, zwei Begriffe zu nennen: das Papsttum und das germanische Frankenreich unter den Karolingern. In ihnen enthalten sind auch die Gegenbegriffe, weil sie permanent Angst und Eifersucht hervorriefen: Islam und Byzanz.
Karl Martell
Deshalb setzten die Geburtswehen der kommenden abendländischen Kultur ein, als Karl Martell (reg. 714-741) die Araber zwischen Tours und Poitiers besiegte (732). Für das Abendland war dieser Sieg deshalb eine wichtige Voraussetzung für die Geburt, weil mit ihm und durch ihn die Expansionen der Araber gestoppt werden konnten. Die auf den Bilderstreit folgende Königskrönung Pippins III. und dessen Salbung mit heiligem Öl, die der päpstliche Legat, der Erzbischof Bonifatius, vornahm, fiel nicht zufällig in diese Zeit (751). Im Kulturkreißsaal gelang die Geburt des Abendlandes mit Hilfe einer Hebammentechnik, dem Franken-Papst-Bündnis, der eine Konstantinsche Schenkung vortäuschte, eine Pippinsche Schenkung meinte und in Wirklichkeit eine Abmachung war (754). Papst Stephan II. (reg. 752-757; ), der dem byzantinischen Ostrom den Kontakt verweigert hatte und eine Verbindung zum Frankenreich einging, bat Pippin III. um Hilfe gegen den Langobardenkönig Aistulf, stellte Rom unter den Schutz des fränkischen Königs und salbte Pippin noch einmal in St. Denis. Er und seine beiden Söhne, der spätere Karl der Große und Karlmann, erhielten den Titel Patricius Romanorum: Schutzherr der Römer. Nach zwei erfolgreichen Feldzügen (754, 756) erreichte Pippin die Rückgabe der von Aistulf eroberten Gebiete, die er dem Papst als Gegenleistung schenkte (Pippinsche Schenkung). Die vom Papst erhobenen Ansprüche auf eine unabhängige Landesherrschaft wurden mit einer gefälschten Urkunde begründet, der Konstantinschen Schenkung (Donatio Constantini), wonach die Verselbständigung Roms gegenüber dem Osten schon auf Konstantin d. Gr. zurückgehen soll, der dem Papst Rom mit der westlichen Reichshälfte übertragen haben soll. Mit dem Dukat von Rom wurden diese Gebiete zum Kirchenstaat, weil Pippin III. sie 756 dem hl. Petrus schenkte. Der Prozeß der abendländischen Geburt begann also mit einer Fälschung. Es war die Vortäuschung einer Schenkung mit dem Ziel, durch eine nachträgliche Schenkung eine Tatsache zu schaffen. Diese Abmachungen waren gegen die Langobarden und die Byzantiner gerichtet und waren auch ein Verstoß gegen die Zehn Gebote, die doch gerade von der Kirche als heilig angesehen wurden. Ein klarer Fall politischen Tagesgeschäfts. Die Pippinsche Schenkung war eine als Wiedereinsetzung in alte Rechte gedachte Schenkung bestimmter von den Langobarden unter Aistulf besetzter, vorher römisch-byzantinischer Gebiete an den Papst. In erster Linie waren das folgende Gebiete: Dukat von Rom, Excarchat Ravenna, die Pentapolis und das südliche Tuszien (Toskana). In der Karte sind diese Gebiete angedeutet. (Vgl. Patrimonium Petri).
Das Kind war geboren und die Abnabelung vom Mutterkuchen vollzogen: dieses Kulturkind hätte aber sicher mehr romanische Züge gehabt, wenn die Schlacht im Teutoburger Wald (9 n. Chr.), die Arminius mit seinem Sieg über die Römer herbeigeführt hatte, anders verlaufen wäre. Das Kind hätte aber auch mehr germanische Züge gehabt, wenn die Germanenreiche sich noch stärker durchgesetzt hätten, als sie es taten. Die vorgeburtliche Phase Europas war die Geschichte der christlich werdenden Germanen, deren Wanderungen und Reiche. Scheinbare Gegensätze schließen sich vor allem dann nicht aus, wenn sie kulturgenetisch verwandt sind: das Christenreich, zunächst als rein geistig-religiöses Reich gedacht, dann weltlicher werdend, und die Reiche der Germanen, zunächst in der natürlich-materiellen Welt entstanden, dann geistig-religiöser werdend. Christentum und Germanentum sind Komplementaritäten, ohne die das Abendland, das sich erst später Europa nannte, nicht zu dem geworden wäre, was es geworden ist.

Die 4 Karten zeigen die Entwicklung vom 6. / 7. bis zum 10. / 11. Jahrhundert.

Die Rolle der Hebamme für die Geburt der abendländische Kultur übernahmen die Vertreter der morgenländischen Kultur (), und zwar ungewollt, wie fast immer in der Kulturgeschichte, denn die Eroberungsversuche der Araber, der Bilderstreit zwischen der morgenländischen und der abendländischen Christenkirche, der 730 begann und zum Bruch, zum Schisma führte, waren eine Hebammentechnik und vertieften das Franken-Papst-Bündnis, für das der Bruch, die Abnabelung, ein Geschenk (vgl. Schenkung) darstellte. Die Rolle, die die Byzantiner und Araber für die Geburt des Abendlandes spielten, spielten für die Geburt der Antike die Minoier (Kreter) und die Phöniker (Phönizier), die bis zu dieser Zeit noch unter dem Einfluß der ägyptischen Kultur () gestanden hatten. Der Unterschied ist klar: Die Hebammenakteure wurden in dem einen Fall immer mehr in die geborene Kultur integriert, in dem anderen Fall immer mehr von der geborenen Kultur ferngehalten durch immer genauere Differenzierung. Die Geburt der antik-apollinischen Kultur bewirkte, daß Kreter und Phönizier der ägyptischen Kultur endgültig entrissen und in die antik-apollinische Kultur integriert wurden; die Geburt der abendländisch-faustischen Kultur bewirkte jedoch, daß Araber und Byzantiner nicht in die abendländisch-faustische Kultur intergirert wurden, weil sie ihrerseits versucht hatten, zu integrieren. Deshalb verfuhr man im Abendland gegenüber dem Morgenland immer mehr nach den Methoden einer Differentialrechnung – zwar noch nicht mit den strengen Methoden der Mathematik (), aber um so mehr mit den strengen Methoden der Kulturkritik. Das Abendland übernahm zwar in der Folge auch weiterhin Elemente aus der morgenländischen Kultur, doch immer nutzte sie diese, um zu seinem Selbst, zu seinem Selbstbewußtsein und demzufolge im Kampf ums Selbst auch zum Trotz (vgl. 8-10) zu kommen. Bis dahin aber mußten noch einige fremdkulturelle Mutter-Elemente mehr übernommen werden als danach. Was die abendländische Kultur von den Byzantinern und Arabern übernahm, zeigen uns die Kunstgeschichte, die Geschichte des Glaubens und Denkens und zum Teil auch die Geschichte der Wissenschaft, obwohl bzw. weil gerade die Wissenschaft typisch für die abendländisch-faustische Kultur ist. Was aber übernahm die antik-apollinische Kultur von den Kretern und Phöniziern? Dies zeigen uns ebenfalls die Kunstgeschichte, die Geschichte des Glaubens und Denkens und deswegen auch die Geschichte der Philosophie, obwohl bzw. weil gerade die Philosophie typisch für die antik-apollinische Kultur ist. Denn sie hat sehr viel zu tun mit der ersten Alphabetschrift ():
Die erste Alphabetschrift – sie bestand nur aus Konsonanten – ist die der Phöniker (Phönizier), die zu deren Entwicklung wohl mehre Jahrhunderte gebraucht haben dürften, jedenfalls war sie bereits gegen Ende des 14. Jahrhunderts v. Chr. vollendet und wurde im 13. Jahrhundert v. Chr., als auch die Dorische Wanderung begann, von den Griechen übernommen und dann erweitert, denn die Griechen führten erstmals Vokale in das Alphabet ein, weil für sie einige der phönikischen Konsonanten überflüssig waren; diese Redundanz war es also, die es den Griechen ermöglichte, das konsonantische Alphabet um Vokale zu erweitern, indem sie die überflüssigen Konsonanten nicht einfach eliminierten, sondern zu Vokalen erklärten und dadurch ein revoltionäres Alphabet einführten. Das griechische Alphabet ermöglichte durch die eingeführten Vokale erstmals eine lautgetreue Wiedergabe der Silben, Wörter, Sätze, also des ganzen Textes:
Die griechische Schrift hatte enorme Auswirkungen, denn „allein durch das Ereignis der griechischen Schrift konnte sich die … Leser-Subjektivität entwickeln, deren starkes Merkmal in der Fähigkeit zum »Umgang mit Texten«, das heißt zum situationsunabhängigen Sinnverstehen, bestand. …. Dank aufgeschriebener Texte emanzipiert sich die Intelligenz vom Zwang des In-situ-Aufhalts () in mehr oder weniger verstehbaren Umständen. Das hat zur Konsequenz: Um eine Situation kognitiv zu bewältigen, muß ich nicht länger als ihr Teilnehmer in sie eintauchen und mit ihr in gewisser Weise verschmelzen, es reicht aus, ihre Beschreibung zu lesen – dabei steht es mir frei, zu bleiben, wo ich bin, und zu assoziieren, was ich will.“ (Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 395). Die Schriftgeschichte ist in etwa identisch mit der Geschichte der Historiographie () und kann auch als eine Geschichte der Historienkultur beschrieben werden, doch muß berücksicht werden, daß diese eine Historienkultur aus mehreren Historienkulturen () besteht, und genau mitten in dieser Geschichte finden wir die antik-apollinische Kultur sowie das erste Alphabet und das revolutionäre Alphabet, das wir die griechische Schrift nennen. Dieser Einschnitt in die Schriftgeschichte war so gewaltig, daß man sogar sagen kann, er war für die von ihm betroffenen Menschen sogar ein Einschnitt in deren „In-der-Welt-Sein“ (), denn mit und nach diesem Einschnitt spaltete sich „das In-der-Welt-Sein explizit in erlebte und in vorgestellte Situationen – besser gesagt, es gelingt den vorgestellten Situationen dank ihrer Verschriftlichung, das Monopol des Verstehens-durch-in-der-Situation-Sein zu brechen. Mit der griechischen Schrift beginnt das Abenteuer der Dekontextuierung von Sinn.“ (Peter Sloterdijk, ebd., S. 395-396). Es geht hier also um den Aufstand des Texts gegen den Kontext, das bedeutet: die Losreißung des Sinns von den gelebten Situationen. Die griechische Schrift emanzipierte mit der ständigen Einübung des dekontextuierenden Denkens – üblicherweise als Lesen bezeichnet – den Intellekt vom Zwang zur Teilhabe an realen Konstellationen. Die griechische Schrift erzeugte erstmals den „rein theoretischen Menschen“, der später Philosoph heißen sollte.

Karl der Große, 747-814, Ludwig der Fromme, 778-840,
(Vater Ludwigs des Frommen) (Vater Ludwigs des Deutschen)
814 in Aachen beigesetzt. 840 in Ingelheim beigesetzt.

Am 02.04.747 wurde Karl der Große als ältester Sohn Pippins III. d.J. geboren. 754 erhielten er und sein Bruder Karlmann (751-771) die Königssalbung von Papst Stephan II. und zusammen mit ihrem Vater Pippin III. den Titel Patricius Romanorum, denn ihr Vater regierte noch als König, hatte aber das Reich für die Zukunft unter ihnen aufgeteilt. Mit dem Tode des Vaters wurde diese Teilung 768 Realität. Karl war von jetzt an König der Franken zwischen Pyrenäen und Thüringen, Karlmann im Gebiet zwischen Mittelmeer und Alemannien. Sie gerieten jedoch bald in Gegensatz zueinander. Karl isolierte seinen Bruder politisch durch Verbindung mit dem Langobardenkönig Desiderius, dessen Tochter er heiratete, obwohl ihr Vater das Papsttum bedrohte. Wäre Karlmann nicht schon 771 verstorben, hätte sich vieles wahrscheinlich anders zugetragen, aber Karl der Große stellte die Reichseinheit wieder her und mißachtete dabei das Nachfolgerecht der Söhne seines Bruders.
773/774 wandte sich Karl auf Ersuchen des Papstes Hadrian I. gegen den Langobardenkönig Desiderius, der den Papst zwingen wollte, die mit ihrer Mutter an den langobardischen Hof geflohenen Söhne Karlmanns zu fränkischen Königen zu salben. Nach der Eroberung Pavias nahm Karl selbst den Titel Rex Langobardum an. Obwohl die 774 erneuerte Pippinsche Schenkung dem Papst 781 als eigenes Herrschaftsgebiet bestätigt wurde, stand auch das Patrimonium Petri (Kirchenstaat) unter fränkischem Einfluß, so daß Karl Italien bis auf die byzantinischen Gebiete im Süden beherrschte. Das noch weitgehend unabhängige Bayern (vgl. 2-4) wurde 778 dem Reich voll eingegliedert, Sachsen, gegen das Karl von 772 bis 804 viele Feldzüge führte, schon ein Jahr zuvor: 777 (endgültig: 804). 785 kam es zwar zum Friedensschluß zwischen Karl und Widukind, der sich auch taufen ließ (785), doch von 792 bis 799 gab es noch einmal Aufstände der bäuerlichen Schichten gegen den kirchlichen Zehnten. Dieser Aufstand mußte niedergeschlagen werden, bevor sich Karl der Große Weihnachten 800 in Rom zum Kaiser krönen ließ und die Versöhnung zwischen Sachsen und Franken 802 durch Gesetze festgelegt werden konnte (Lex Saxonum und Lex Ripuaria). Die endgültige Unterwerfung der Sachsen wurde 804 durch einen letzten Feldzug abgeschlossen. Die (fötalen) Organe funktionierten also; nur die Angelsachsen waren noch nicht ins Frankenreich integriert, und das sollte auch nicht geschehen, denn für die Geburt des Abendlandes war eine fränkische Einverleibung der Angelsachsen nicht vorgesehen. Die Kaiserkrönung durch Papst Leo III., Weihnachten 800 in Rom, die offenbar seit der durch eine Adelserhebung erzwungenen Flucht Leos zu Karl erörtert wurde, bedeutete die Erneuerung des Kaisertums im Westen (Renovatio Imperii). Der Kaisertitel verband die in amtlichem Sprachgebrauch Italiens seit dem 6. Jahrhundert übliche Form des Kaisertitels mit dem gentilen Königstitel und ließ in dieser kunstvollen Verknüpfung den Personenverband der Franken und Langobarden als das eigentliche Reichsvolk erscheinen. Als durch den frühen Tod seiner Söhne Karl und Pippin die Regelung der Herrschaftsteilung hinfällig wurde, erhob er seinen dritten Sohn Ludwig (den Frommen) 813 in Aachen zum Mitkaiser, unter Ausschaltung des päpstlichen Anspruchs auf die Krönung. Die Vergabe von Ämtern und Lehen im ganzen Fränkischen Reich an die führenden Adelsfamilien bewirkte ein Interesse dieser Reichsaristokratie an der Erhaltung der Reichseinheit, wenngleich auf lange Sicht die zentrifugalen Kräfte überwogen. Auf die Dauer zuverlässiger bewährte sich die Kirche als Trägerin des Reichsgedankens. Karl zog sie stärker als zuvor in den Dienst des Reiches und förderte sie dafür u.a. durch Schenkungen, Festigung des Zehntgebots und Sorge für kirchliche Reformen. Seine Bemühungen um eine bessere Ausbildung der Geistlichen und eine Erneuerung des monastischen Lebens trugen entscheidend zum Aufschwung der Wissenschaft, der Kunstpflege und der Bildung ganz allgemein bei. Auch wenn nach Karl dem Großen und seinem Sohn Ludwig dem Frommen das Frankenreich geteilt wurde, und zwar durch die Verträge von Verdun (843), Mersen (870) und Ribemont (880), so blieb doch eine für die weitere Geschichte des Abendlandes wichtige kulturelle Einheit bestehen. Die geistlichen Beiträge der Kirche spielten dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Die grandioseste aller päpstlichen Fälschungen entstand unter Papst Leo IV. (reg. 847-855): der „Pseudo-Isidor“. Die „Pseudo-Isidorischen Dekretalen“, so der Sammelname für diese wohl einflußreichste kirchenrechtliche Fälschung – benannt nach ihrem angeblichen Verfasser Isidor von Sevilla (ca. 560-636), dem Korrespondenten des Papstes Gregor I. d. Gr. (reg. 540-604) -, enthalten echte, gefälschte und verfälschte Bestandteile: u.a. Synodalbeschlüsse, Papstbriefe, fränkische Reichsgesetze. Mit diesen Fälschungen sollte die Stellung der Bischöfe gegenüber den Metropoliten und Synoden gestärkt und die Macht des Papstes als Schützer der Bischöfe und Wahrer der kirchlichen Freiheit gefestigt werden. Die Fälschungen entstanden um 850 als Arbeit einer Gruppe von Klerikern mit staunenswerter Intelligenz, reicher Kenntnis früherer Sprachstile und völliger Skrupellosigkeit. Der Pseudo-Isidor erlangte vor allem in der Auseinandersetzung zwischen Kaisertum und Papsttum große Bedeutung. (Im 15. Jh. sollten die Kardinäle Nikolaus von Kues (1410-1464) und Juan de Torquemada die wichtigsten Vorarbeiten für den Nachweis der Fälschung leisten und die zwischen 1559 und 1574 geschriebenen Magdeburger Centurien, die erste protestantische Kirchengeschichte, den endgültigen Beweis des Pseudo-Isidor-Betruges unwiderleglich erbringen).
Der Legende nach soll sich zwischen Papst Leo IV. und seinem Nachfolger Benedikt III. (reg. 855-858) eine sogenannte Päpstin Johanna geschoben haben, die der Sage nach ihre Ursprünge im Streit der Päpste mit England und Deutschland hat. Benedikt III. widmete sich der kirchlichen Erneuerung in dieser mehr und mehr verwildernden Zeit und brachte insofern eine Steigerung in den Gedanken des Papst-Monarchen, als er bereits vom „Haupt und Fürsten“, von einer Übertragung des Fürstentums an Petrus durch Christus sprach. Damit war sicherlich das Verlangen verbunden, auch der Christenheit des 9. Jahrhunderts einzuhämmern, daß der Papst der Nachfolger der römischen Cäsaren sei. Doch der bedeutendste Papst des 9. Jahrhunderts war Nikolaus I. d. Gr. (reg. 858-867). Wesentlich entfaltete er seine Tätigkeit im Zusammenhang mit der Christianisierung des Bulgarenreiches unter Khan Michael-Boris – und damit eng verbunden einer neuen Auseinandersetzung mit Byzanz. Wenige Monate nach der Wahl des Papstes wurde der Byzantiner Photios Patriarch von Konstantinopel, die größte Gestalt als Gelehrter, Politiker und Diplomat, die das Amt je innegehabt hat. Dieser zum Patriarchen erhobene Laie wurde innerhalb von fünf Tagen mit allen Weihen versehen; Papst Nikolaus I. sah darin einen Anlaß zur Erneuerung des päpstlichen Führungsanspruches auch in der Ostkirche und erklärte Photios für abgesetzt; Photios faßte 867 in einer Enzyklika die dogmatischen Streitpunkte mit der Westkirche zusammen und exkommunizierte Nikolaus I.. (Vgl. „Photios-Schisma“). Es lag wohl eine historische Notwendigkeit darin, daß sich der Osten dem römischen Kirchenuniversalismus entzog, nachdem sich der Westen dem byzantinischen Staatsuniversalismus entzogen hatte.
Der eigentliche Zusammenstoß zwischen Papstum und Patriarchat erfolgte also in Bulgarien, denn mit untrüglichem Blick sah Photios die neuen Möglichkeiten byzantinisch-orthodoxer Mission gerade in der slawischen Welt. Weil einige der Slawen allmählich die Bühne der Geschichte betraten und erstmals Konstantinopel bedrohten und zurückgeschlagen wurden, kam Photios zu der Gewißheit, daß Byzanz die Aufgabe habe, die Slawen zu missionieren, wobei ihm die beiden Brüder und Slawenapostel Kyrillos und Methodios aus Saloniki zur Seite standen, die ihre Arbeit aufnahmen. Damit begannen die Rivalitäten zwischen byzantinischer, römischer und fränkischer (germanischer) Missionsmacht.
Die mit der Taufe des Khan Michael-Boris beginnende Mission Bulgariens wurde für die orthodoxe Expansion des byzantinischen Kaiserreiches von entscheidender Bedeutung. Doch nach der Weigerung des Photios, Bulgarien einen eigenen Patriarchen zu geben, wandte der Khan sich an Papst Nikolaus I., der zwei Legaten entsandte – einer von ihnen war der spätere Papst Formosus (reg. 891-896). Doch auch der Papst wich der Bitte um einen Patriarchen aus. König Ludwig II. der Deutsche (805-876) schickte seinerseits dem Khan auf sein Bitten Missionare, so daß der byzantinisch-päpstlich-fränkische Konkurrenzkampf sich voll entfaltete.
Papst Nikolaus I. verkörperte bereits alle Eigenschaften, die den in unaufhörlicher Arbeit geformten Papst-Monarchen auszeichnen müssen; denn Nikolaus I. hatte noch etwas umgeprägt, z.B. die Petrus-Kirche der Anfänge nach einer Vorbereitung von über acht Jahrhunderten endgültig zur Kirche des Primats der Jurisdiktion, zur Rom-Kirche als Machtfaktor. Erstmalig wurde jetzt der Papst, quasi im Sinne einer dritten Erhebung, „Stellvertreter Gottes“ tituliert, die Päpste wurden die „Fürsten über die ganze Erde“; Rom besäße, so Nikolaus I., den „Fürstenrang göttlicher Macht“ und „die Erde ist die Kirche“. Grenzen waren hier nicht mehr denkbar, und die Gestalt des Papstes schloß den Gedanken bloßer theologisch-papaler Poesie aus.

Analoge Theologien
(6-8): 1450-1000 und 700-1050
(0-2, 2-4, 4-6, 6-8, 8-10, 10-12)
16) . . (Vorläufer der homerischen Epen) . . seit ca. – 15. Jh. / – 14. Jh.
17) Zeus-Götterwelt als Feudal-Religion seit ca. – 14. Jh. / – 13. Jh. 16) 2. Scholastik Früh-Scholastik (Universalienstreit) seit 8.Jh.
17) 1. Mystik Früh-Mystik seit 9. Jh.

Die nun folgende Tabelle soll eine Gesamtübersicht ermöglichen. In ihr sind die antiken Analogien, soweit sie durch historische Quellen als gesichert gelten können, rot gefärbt, die phönizischen Leistungen inklusive:

700/735) Abendländische Scholastik (Beginn):
Letzter Kirchenvater (Patrist) Beda Venerabilis (aus England)
711) Westgoten-Reich in Spanien erloschen (gegründet 418 ) um – 1440) Niedergang Kretas
bedeutet Mykenes Großmacht
719) Beginn der Mission des Bonifatius in Thüringen, Friesland und Hessen
719) Gründung des Klosters St. Gallen (747: Annahme der Benediktinerregel)
724) Auf der Insel Reichenau im Bodensee wird eine Benediktinerabtei gegründet
728) Bayern (-Reich) erloschen (gegründet 480 )
730) Bilderstreit-Beginn durch Edikt des byzantinischen Kaisers Leon III. gegen die Bilder
732) Der Franke Karl Martell stoppt den Expansionsdrang der Araber (Schlacht zwischen Tours und Poitiers)

743) Benediktinerregel wird im gesamten Frankenreich verbindlich
746) Alemannen-Reich erloschen (gegründet 213 )
um 750) Althochdeutsch hat sich aus dem Germanischen und seinen Dialekten herausgebildet;
Niederdeutsch bleibt von dieser 2. Lautverschiebung größtenteils unberührt
(Vgl. Früh-MHD, Klassisches MHD, Spät-MHD, Früh-NHD, Klassisches NHD, Spät-NHD)
um 750) Paulus Diaconus verfaßt die „Langobardengeschichte“
750) Bilderstreit-Höhepunkt durch den byzantinischen Kaisers Konstantin V. (Zerstörung aller Bilder)
751) Der letzte Merowinger Childerich III. wird abgesetzt und der Karolinger Pippin III. König
752-757) Papst Stephan II. und König Pippin III. (Frankenreich):.
Konstantinsche Schenkung = Pippinsche Schenkung (Kirche-Franken-Pakt)
Gründung des Kirchenstaates
Deutsche Ostkolonisation im Ostalpengebiet
754) Friesen erschlagen Bonifatius. Er wird in Fulda beigesetzt
760) Gründung des Klosters St. Goar (über dem Grab des Einsiedlers Goar)
768) Nach Pippins III. Tod wird Karl d. Gr. König des Frankenreiches neben seinem Bruder Karlmann
Karl der Große fördert durch starke Zentralgewalt Kunst, Wissenschaft und Recht:
Karolingische Renaissance (Pfalzkapelle in Aachen u.a.)
Aus dem asketisch-eremitischen Mönchtum wird eine Bildungsanstalt der Wissenschaften
und (durch diese Anordnung Karls d. Gr.) ein Träger klassisch-antiker und christlich-antiker Literaturtradition
(Palastschule wird Vorbild für die im ganzen Frankenreich entstehenden Dom- und Klosterschulen)
770-840) Einhard aus Mainfranken (Biograph Karls d. Gr.) schreibt die
1. Herrscherbiographie des Mittelalters
771) Nach dem Tod des Bruders Karlmann wird Karl d. Gr. alleinherrschender König im Frankenreich
772) Karl d. Gr. beginnt seinen Feldzug gegen die Sachsen (Ende der Sachsenkriege: 804)
Die Franken erobern die Eresburg (bei Marsberg), zerstören die „Irminsul“ (Irmensäule) der Sachsen
774) Langobarden-Reich erloschen (gegründet 568 )
774) König Karl d. Gr. erneuert in Rom die Pippinsche Schenkung (Kirche-Franken-Pakt)
777) Sachsen-Reich erloschen (gegründet 286 )
777) Ein erster Reichstag wird durch Karl d. Gr. in Paderborn einberufen: Viele Sachsen werden getauft
In Aachen wird die Pfalz neu erbaut
778) König Karl d. Gr. kämpft erfolglos in Spanien gegen die Araber
780) Klosterkirche (späterer Dom) und Domschule Carolinum, ältestes Gymnasium der Welt,
von Karl d. Gr. in Osnabrück gegründet
um 780) Beginn der karolingischen Buchmalerei, die auf antike Formen zurückgeht
781) Alkuin wird Leiter einer Hochschule der Wissenschaften und 796 Abt von St. Denis
781/787) Papst Hadrian I. und Karl der Große, Bestätigung des Paktes von 752/757 (Kirche-Franken-Pakt)
und Salbung der Söhne Karls (Pippin und Ludwig d. Fromme)
784-856) Primus Praeceptor Germaniae: Hrabanus Maurus (Mainz) gilt als
1. Lehrer Deutschlands und 1. Naturwissenschaftler Deutschlands (Universalgelehrter)787) (24.09. -23.10.) Konzil (7) von Nizäa (II) : Bilderstreit (Sinn und Erlaubtheit der Bilderverehrung)
789-800) Pfalzkapelle Karls des Großen, ein karolingischer Rundbau, wird in Aachen fertiggestellt
791-819) Dom in Fulda
800) Karl d. Gr. wird in der Peterskirche in Rom von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt.
Der fränkische König wird damit für den Schutz des christlichen Glaubens verantwortlich
Papst Leo III. und Karl der Große bestätigen den Paktes von 752/757 (Kirche-Franken-Pakt)
802) Klosterkirche (späterer Dom) Münster wird durch Ludger den Heiligen gegründet
Karl d. Gr. läßt das Germanische Volksrecht aufzeichnen
Magdeburg wird gegründet (bedeutender Handelsplatz)
804) Ende der Sachsenkriege (endgültige Einverleibung Sachsens ins Fränkische Reich)
813) Karl d. Gr. krönt in Aachen seinen einzigen überlebenden Sohn Ludwig den Frommen zum Mitkaiser
814) Ludwig der Fromme wird Nachfolger seines verstorbenen Vaters Karl d. Gr.
816) Bibliothek im Kloster St. Gallen unter Abt Gosbert
823) Hrabanus Maurus wird Abt im Kloster Fulda und unter ihm die Klosterschule Fulda berühmt
seit 790/840) Plünderungen und Überfälle durch die Wikinger nehmen zu
826) Ansgar, Abt im Kloster Corvey, geht nach Skandinavien. um zu missionieren (Apostel des Nordens)
830) Der Heliand, eine altsächsische Dichtung in Stabreimen, entsteht
Auf Anweisung Ludwigs des Frommen wird eine von Karl dem Großen angelegte
Sammlung germanischer Heldenlieder vernichtet
840) Karolingischer Bruderkrieg zwischen Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen gegen Lothar
842) Straßburger Eide (ältestes Sprachdenkmal althochdeutscher und altfranzösischer Sprache)
(Bekräftigung des Bündnisses zwischen Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen)
843) Teilung des Fränkischen Reiches (gegründet 255 ), Vertrag von Verdun:
Ludwig der Deutsche (Ostreich), Lothar I. (Mittelreich), Karl III. der Kahle (Westreich)
850/877) Christlich-neuplatonischer Verschmelzungsversuch: Johannes Scotus Eriugena (aus Irland)
867) Photios-Schisma (Grund: Slawen-Mission als byzantinisch-päpstlich-fränkischer Konkurrenzkampf)
Westkirche erklärt die Absetzung des Patriarchen Photios und Byzanz die des Papstes Nikolaus I.
Spannungen bzw. Bruch zwischen West (päpstlich-germnanisch) und Ost (patriarchisch-byzantinisch)
869/870) (05.10. -28.02.) Konzil (8) von Konstantinopel (IV) : Scheinbare Beseitigung des Photianischen Schismas
seit – 1300) Phönizier haben das (konsonatische) Alphabet entwickelt
seit – 1300) Wallburgen im Mittelmeerraum zum Schutz gegen Germanen
870) Ludwig der Deutsche erhält das Mittelreich (Lothringen) durch den Vertrag von Mersen
880) Vertrag von Ribemont: Lothringens Westgrenze bildet bis nach dem Westfälischen Frieden (1648)
die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich

887-899) Arnulf von Kärnten, deutscher König und seit 877 deutscher Kaiser, unternimmt 2 Italienzüge
896) Dänische Wikinger lassen sich an der Seinemündung nieder
um 900) Musik: Choralrhythmus, 40 Sequenzen: Notker der Stammler (Balbulus), Kloster St. Gallen
910) Gründung des Klosters Cluny (cluniazensischer Orden: Reform gegen die Verweltlichung)
911) Wikinger erhalten ein Lehnsreich (Herzogtum) in der Normandie von den Franken
Beginn der normannischen Staatsgründungen um – 1200) Beginn der Dorischen Wanderung
Ende der Karolingerzeit im Deutschen Reich. (Vgl. Tafel) (Griechische/Ägäische Wanderung)
911-919) Konrad I. von Franken, Kaiser im Deutschen Reich. (Vgl. Tafel) Beginn der Seevölkerzeit
919) Beginn der Blütezeit des Klosters St. Gallen
919-1024) Sächsische Kaiser im Deutschen Reich. Ottonische (Sächsische) Zeit: Ottonik. (Vgl. Tafel)
Otto I. der Große und seine Frau Mathilde errichten das mit reichen Gütern ausgestattete
Frauenstift Quedlinburg – damit entsteht eine bedeutende Stätte ottonischen Geisteslebens.
Weitere Zentren sind das Erzbistum Magdeburg mit dem Bistum Havelberg
920) Urkundlicher Name „Regnum Teutonicum“ (für die 6 deutschen Stammesherzogtümer)
922) Der deutsche Kaiser (sächsische Liudolfinger) Heinrich I. gründet Goslar
940-950) Widukind von Corvey, sächsischer Mönch / Geschichtsschreiber, verfaßt die „Sachsengeschichte“
951) Brun I. (hl.) wird Erzkanzler unter Otto I.
Schöpfer ottonischer Bidungspflege;
bed. Vertreter des ottonischen Reichskirchensystems und der Klosterreform
951-952) 1. Italienzug Ottos I. – 1184) Trojanischer Krieg
961-965) 2. Italienzug Ottos I. – der deutsche König wird am 02.02.962 in Rom zum Kaiser gekrönt und ist
auch König des langobardisch-italienischen Reiches. Italien bleibt bis 1268 unter deutschen Kaisern
966-973) 3. Italienzug Ottos I. – 1200/1150) Griechen übernehmen phönizische Schrift
(Byzanz anerkennt und erweitern das Alphabet durch Einführung von Vokalen
Ottos Kaisertum gegen Räumung des byzantinischen Besitzes in Unteritalien)
980-983) Italienzug Ottos II.
996) Brun (von Kärnten) wird von Kaiser Otto III. als Papst Gregor V. eingesetzt. (Vgl. Päpste)
Dieser erste Papst deutscher Herkunft krönt im Gegenzug Otto III. in Rom zum Kaiser
996-997) 1. Italienzug Ottos III.
997-998) 2. Italienzug Ottos III.
um 1000) Deutsche erfinden mechanische Uhren
um 1000) Wikinger entdecken Amerika (Leif Eriksson)
um 1000) Notker der Deutsche, Abt aus St. Gallen, übersetzt Vergil und Aristoteles ins Althochdeutsche
Hanse (Vorstufe) und weitere genossenschaftliche Zusammenschlüsse deutscher Kaufleute
1004) Brun von Querfurt, genannt Bonifatius, wird Erzbischof für die östlichen Heiden (Polen u.a.)
1004) 1. Italienzug Heinrichs II.
1010/1015) Baubeginn der Kaiserpfalz in Goslar
1012) Ordensgründung: Camaldulenser
1014) 2. Italienzug Heinrichs II.
1016) Frühromanischer Dom in Worms entsteht (Paulskirche)
1020) Frühromanischer Dom in Bamberg wird von Papst Benedikt VIII. eingeweiht
1020) In Süditalien entsteht ein christlicher Normannenstaat und die Normannik:
eine Baukunst als Mischstil normannischer, byzantinischer und arabischer Formen
1021-1022) 3. Italienzug Heinrichs II.
1024) Ende der Sachsenkaiserzeit im Deutschen Reich. (Vgl. Tafel)

– 1130) Tyros gründet Kolonie an der Stelle,
an der später Karthago entstehen wird
1024-1125/1137) Salische Kaiser (Deutsches Reich): Salische (Fränkische) Zeit (Salik):
Konrad II., Heinrich III., Heinrich IV., Heinrich V.. (Vgl. Tafel)
1026) 1. Italienzug Konrads II.
1030) Frühromanischer Dom in Speyer entsteht (wird Begräbnisstätte der salischen Kaiser)
1033) Frühromanischer Dom (St. Michaelskirche) in Hildesheim
(Bernwardskunst; nach Bischof Bernward von Hildesheim)
1036-1038) 2. Italienzug Konrads II.
1046) 1. Italienzug Heinrichs III.
1050) Mittelhochdeutsch (Früh-MHD) ist im Gebrauch.
(Vgl. AHD, Klassisches MHD, Spät-MHD, Früh-NHD, Klassisches NHD, Spät-NHD)
Musik: Fahrende Sänger ziehen durch das Land
um – 1100) Zeus-Götterwelt ist keine Verschmelzungsvariante mehr,
sondern feudaler gemeingriechischer Kult (Vgl. 4-6 und 8-10)
Musik: Mehrstimmigkeit, z.B.: Carmina Burana (Lieder aus Beuren; Kloster bei Bad Tölz
1054) Großes (Morgenländisches) Schisma: Bruch zwischen Ost- und Westkirche
Universalanspruch beider Kirchen führt zum endgültigen
Bruch zwischen orthodoxer Ostkirche und römisch-katholischer Kirche.
Das Papsttum wird von den orthodoxen Christen energisch abgelehnt.
1055) 2. Italienzug Heinrichs III.
1056) Kaiserpfalz in Goslar ist fertiggestellt
1059, 1066) Normannische Staaten jetzt auch in Rußland und England (zuvor: Normandie und Süditalien)
1064) Magdeburger Dom (Unser Lieben Frauen); nach Brand erfolgter Neubau: 1188
1066) Wilhelm der Eroberer besiegt den angelsächsischen König Harald II. Godwinson
1066) Angel-Sachsen-Reich erloschen (gegründet 430 )
1066) Wilhelm der Eroberer wird König von England, das er vollständig erobert (bis 1071)
1067) Wartburg (Baubeginn) um – 1100) Germanen ziehen nach Mitteleuropa

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Das eigentlich Faszinierende am Regnum Francorum ist, daß es als einziges germanisches Staatsgebilde neben dem Thüringer- und Sachsenreich in stetem Bezug zum Ursprungsgebiet blieb, aber im Gegensatz zu jenen beiden anderen in die römische Tradition hineinwuchs, und zur bedeutendsten, Germanen und Romanen umfassenden Reichsbildung wurde. Die Abwehr der Mauren, die Entwicklung von Verwaltungsformen in Annäherung an antike Strukturen, die Verflechtung von Kirche und Staat in der Person des Königs, die Vermittlung antiken Geistesgutes, Handwerks und Denkens, die Herausbildung der Grafschaftsverfassung sowie eines starken Adels in Parität zu König und Volk. Deutschland und Frankreich sind bis heute gleichermaßen von diesen Komponenten geprägt, wobei offensichtlich in Deutschland germanische, in Frankreich antike Kulturanteile dominant blieben. Mit dem Tode Karls des Großen zerbrach die Klammer, die die germanische und romanische Welt in den Hausmeierherrschaften zu verbinden vermochte; das Fränkische Reich zerfiel in germanisch bedingte Herzogtümer, galloromanische Verwaltungssysteme bzw. deutsche und französische Königreiche. Die Westgrenze des Mittelreiches Lothringen, das 870 an Deutschland fiel, blieb bis nach dem 30jährigen Krieg (), also 800 Jahre lang (!!!), die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland (). Eine solche politisch ausbalancierte Stabilität entspricht der auf die Funktionalität des Gleichgewichtsinnes folgenden Stabilität, über die ein Kind körperlich verfügen muß, um das Stehen und Laufen erlernen zu können. Im Abendland sollten von der Geburt an alle noch zu bildenden Staaten und Reiche, die das Gehen und Laufen lernen möchten, an diesem Umstand, der die anderen Umstände ablöste, orientiert sein. Wer jetzt noch kein Reich oder Staat gegründet hatte, dem konnte es nur noch gelingen unter Einfluß dieser ersten postnatalen Prägung.

Ludwig der Deutsche (805-876), Enkel Karls des Großen und Sohn Ludwigs des Frommen, regierte in einer Zeit (843-876), in der die Normannen so ziemlich alle Küsten des Abendlandes unsicher machten und auch Hamburg zerstörten, während die Ungarn an den östlichen Grenzen des Deutschen Reiches für Unruhe sorgten. Ludwig der Deutsche sorgte, auch mit seinen Gebietserwerbungen in den Verträgen von Verdun (843) und Mersen (870), für die eigenständige Entwicklung des Ostfränkischen Reiches, das sich bereits unter seinem Vater Ludwig dem Frommen wegen der Teilungen und Verträge herausgebildet hatte (): das Deutsche Reich. (). Auf Ludwig dem Deutschen folgten Karlmann (regierte 876-880), Ludwig III. (regierte 876-882), Karl III. (regierte 876 bzw. 881-887), Arnulf von Kärnten (regierte 887 bzw. 896-899), der die Normannen entscheidend besiegte (891), und Ludwig IV. („das Kind“; regierte 900-911). Zu seiner Zeit führte das Versagen der königlichen Zentralgewalt gegenüber den Angriffen der eindringender Feinde (Ungarn, Normannen) zur endgültigen Bildung der 6 deutschen Stammesherzogtümer: Sachsen, Thüringen, Bayern, Schwaben, Franken, Lothringen. () Die Franken (das „Reichsvolk“) bildeten allerdings, wie die Thüringer, kein geschlossenes Stammesherzogtum. Gefahr brachten die Feldzüge der Ungarn gegen das Abendland – Beispiele: Italien, das Westfrankenreich (Frankreich), das Ostfrankenreich (Deutsches Reich), Burgund, Spanien – und gegen Byzanz. (). Nach dem Aussterben der ostfränkischen Karolinger wählten die Großen des Deutschen Reiches in Forchheim Konrad I. von Franken zum König. Er regierte von 911 bis 918. (Vgl. Tabelle). Die Zeit der Sachsenkaiser begann im Jahre 919 (): Heinrich I., Otto I. der Große, Otto II., Otto III. und Heinrich II. sorgten nicht nur für eine geographische Verlagerung der Macht vom niederrheinischen Aachen der Karolinger in den Raum Harz-Braunschweig-Magdeburg, sondern auch für die Missionierung der Slawen und Ungarn, die Errichtung von Grenzmarken, erfolgreiche Niederwerfung der Slawenaufstände, Italienfeldzüge, einheitliche Reichskirchenpolitik und eine Kaiser- und Italienpolitik, die aus der karolingischen Tradition erwuchs. Während der Frankenkönig Konrad I. sich im Kampf gegen die Stämme auf die Bischöfe stützte, lehnte der Sachsenkönig Heinrich I. nach der Wahl Salbung und Krönung ab und wollte als Volksherrscher mit den Herzögen zusammenarbeiten. Zuerst nur von Franken und Sachsen anerkannt, beseitigte er allmählich auch die Opposition der oberdeutschen Stämme. Durch seinen Tod wurden ein Romfeldzug und die Gewinnung der Kaiserkrone verhindert. Dies änderte erst sein Sohn Otto I., denn die sächsischen Kaiser galten erst seit Otto I. als die Rechtsnachfolger des fränkischen Imperiums und erhielten die Oberhoheit über das Patrimonium Petri sowie die Schutzherrschaft über die Kirche, die ihrerseits Verfechterin der Reichseinheit war. (). Die Krönung in Aachen als auch die Politik gegenüber Frankreich und Burgund sowie die Italienpolitik waren, verstanden als karolingische Tradition, nur verständlich. Aus der Aufgabe des christlichen Reiches erwuchs die Ostpolitik; sie war gekennzeichnet durch Ausbreitung des Glaubens und Unterwerfung der Heiden (Barbaren).

Der von den Franken und Sachsen in Fritzlar gewählte und von 919 bis 936 regierende Heinrich I. mußte die süddeutschen Stämme durch militärische Drohung und durch Kompromiß zu Anerkennung seiner Macht zwingen. Die noch andauernde Ungarngefahr bannte Heinrich I. im Jahre 926 durch einen 9jährigen Waffenstillstand, den er für expansive Züge gegen Slawen und Böhmen nutzte; beide gerieten unter Oberhoheit des Deutschen Reiches – 934 auch Teile der Dänen. Nach Aufkündigung des Tributs besiegte Heinrich I. die Ungarn 933 bei Riade mit einem Heer aus allen deutschen Stämmen, wodurch er innenpolitisch das Reich konsolidierte. Außenpolitischer Höhepunkt war 935 der endgültige Verzicht Rudolfs von Frankreich und Rudolfs II. von Hochburgund auf Lothringen. Otto I. (der Große), am 23.11.912 in Memleben (Kreis Nebra; ) geboren, wurde, schon durch seinen Vater Heinrich I. designiert, am 7. August 936 in Aachen zum König erhoben und am 2. Februar 962 Kaiser (bis zum 7. Mai 973, seinem Todestag). Die ersten Regierungsjahre waren bestimmt durch Auseinandersetzungen mit den Herzögen, z.B. mit Eberhard von Franken, Giselbert von Lothringen, und mit den Familienangehörigen, z.B. mit seinem Halbbruder Thankmar und seinem Bruder Heinrich. Nach Überwindung der Krise von 938-939 gelang die enge Bindung der Herzogtümer an die regierende Dynastie. Ottos Schwiegersohn, der Salier Konrad der Rote erhielt 944 Lothringen, der Bruder Heinrich 948 Bayern, der Sohn Liudolf 949 Schwaben. In unmittelaberer Verfügungsgewalt des Königs blieben Sachsen und Franken. Die Rivalität zwischen Karolingern und Robertinern / Karpetingern im Westfrankenreich verschaffte Otto hier eine Stellung des Schiedsrichters, der burgundische König erkannte seine Lehnshoheit an, die Ost-Grenze des Reiches wurde abgesichert durch Marken-Organisation und Gründung neuer Bistümer für die Mission der Slawen und Skandinavier. 968 wurde das Erzbistum Magdeburg gegründet. Auf seinen durch einen Hilfeersuchen Adelheids, der Witwe König Lothars von Italien, veranlaßten 1. Italienzug (951-952) erwarb Otto die Herrschaft über das Regnum Italiae (unter der Verwaltung Berengars II.) und heiratete in 2. Ehe Adelheid. Der von Konrad dem Roten und den Luitpoldingern unterstützte Aufstand seines Sohnes Liudolf, von 953 bis 954, und Ungarneinfälle stürzten das Reich noch einmal in eine schwere Krise, doch mußten sich die Empörer unterwerfen und verloren ihre Herzogtümer (954), die Ungarn wurden am 10. August 955 auf dem Lechfeld entscheidend geschlagen. Als Folge des Scheiterns der Familienpolitik machte Otto nun die Reichskirche zur Stütze der königlichen Herrschaft (vgl. Reichskirchensystem). Ein Hilfeersuchen Papst Johannes‘ XII (Papst von 955 bis 964) gegen Berengar II. war der Anlaß zum 2. Italienzug (961-965), auf dem Otto am 2. Februar 962 die Kaiserkrone empfing. Dadurch wurde die Kaiserwürde an das deutsche Regnum gebunden, und die Reichspolitik bekam eine Orientierung nach Italien. Auf seinem 3. Italienzug (966-972) bezog Otto die langobardischen Herzogtümer Süditaliens in seinen Herrschaftsbereich ein. Otto erreichte mit der Ehe (972) seines Sohnes und Mitkaisers Otto II. (seit 967) mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu die Anerkennung seines Kaisertums durch Byzanz. Otto II., 961 zum König erhoben und am 25. Dezember 967 zum Mitkaiser gekrönt, hatte nach dem Tod seines Vaters Otto I. (7. Mai 973) Auseinandersetzungen mit seinem Vetter Heinrich II. von Bayern (und Kärnten), der 976 abgesetzt wurde, den Luitpoldingern und den Reginaren in Niederlothringen zu überstehen. Der Versuch des französischen Königs Lothar, Lothringen Frankreich einzuverleiben, wurde vereitelt, nach dem Feldzug vor Paris (978) und dem anschließenden Friedensschluß (980) besiegelt. Auf seinem im Oktober 980 begonnenen Italienzug (bis 983) sicherte Otto II. die Stellung des Papstums gegen den stadtrömischen Adel (Crescentier). Sein Vorstoß nach Süditalien endete in einer vernichtenden Niederlage beim Kap Colonne gegen die Araber (13. Juli 982). 983 zerstörte der Aufstand der Dänen und Slawen fast das ganze Aufbauwerk seines Vaters im Osten. Otto II. starb am 7. Dezember 983. Weihnachten 983 wurde Otto III., 980 geboren und bereits im Mai 983 zum König gewählt worden, in Aachen zum Kaiser gekrönt. Er stand unter der Vormundschaft seiner Mutter Theophanu und seiner Großmutter Adelheid. Wichtigster Ratgeber war Erzbischof Willigis von Mainz (), der den Anspruch des abgesetzten Herzogs Heinrich II. von Bayern (und Kärnten) auf die Vormundschaft abwehrte. Der 1. Italienzug von Otto III. dauerte von 996 bis 997 und stand im Zeichen der innerrömischen Auseinandersetzungen, in denen die Familie der Crescentier ihre Macht gefestigt hatte. Nach dem Tode Papst Johannes‘ XV. (Papst von 985 bis 996) ernannte Otto III. einen Verwandten zum Papst: den Hofkapellan Brun (= Gregor V., Papst von 996 bis 999). Brun krönte Otto III. am 21. Mai 996 zum Kaiser, in Rom (denn die Krönung in Aachen war bereits 983). Der Widerstand des römischen Adels führte zur Erhebung eines Gegenpapstes (Johannes XVI.; Gegenpapst von 997 bis 998). Otto III. setzte sich auf seinem 2. Italienzug (seit Dezember 997) schnell durch und erhob nach dem Tode Greogors V. (= Brun) seinen Lehrer Gerbert von Aurillac zum Papst (= Silvester II.; Papst von 999 bis 1003). Otto II. versuchte in engem Einvernehmen mit dem Papst, seine Konzeption der Erneuerung des Reiches (Renovatio imperii) zu verwirklichen. Von Rom aus, also nicht mehr von Deutschland aus, sollte das Reich regiert werden, doch ein Aufstand der Römer zwang den Kaiser zum Verlassen der Stadt, und mit der Erhebung des Markgrafen Arduin (von Ivrea, Piemont) zum König brach die deutsche Herrschaft in Italien zusammen. Otto III. starb am 24. Januar 1002. Sein Nachfolger Heinrich II., am 6. Mai 973 in Bad Abbach bei Kehlheim geboren und seit 1002 König, wurde 1014 von Benedikt VIII. (Papst von 1012 bis 1024) in Rom zum Kaiser gekrönt. Heinrich II. führte 3 Italienzüge (1004, 1014, 1021-1022) und vereitelte durch seinen Kampf gegen Byzanz dessen weitere Ausdehnung in Unteritalien. Seine Schenkungen an Bistümer und Klöster und z.B. auch die Förderung der lothringischen Reform dienten zugleich der Stärkung königlicher Gewalt (Höhepunkt des Reichskirchensystems). Heinrich II. setzte 1021-1022 reichspolitisch die deutsche Oberhoheit in Unteritalien durch. Er starb am 13. Juli 1024 in der Pfalz Grone (Göttingen-Grone).

Die Karolingische Kunst entstand, als die Karolinger ihre Macht im Frankenreich bereits fest installiert hatten, und das war spätestens mit Karl dem Großen der Fall. Sie entstand also hauptsächlich vom 9. bis zur ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Sie war ein in solchem Umfang und solcher Entschlossenheit in der Kunstgeschichte beispiellosen Versuch der germanischen Stämme, sich der orientalisierenden Spätantike zu bemächtigen. (Vgl. 22-24). Deshalb heißt die Karolingik auch Karolingische Renaissance. Das bedeutete Übernahme des Steinbaus und Inangriffnahme jener alten künstlerischen Aufgabe der Mittelmeerkulturen, die den Germanen bisher wenig bedeutet hatte: Darstellung des Menschen durch Bildnerei und Malerei. Dabei mag es sich oft um unverstandene Nachahmung fremder Vorbilder gehandelt haben, aber oft wurden diese auch mit neuem Bedeutungsgehalt erfüllt. Vor allem wichtig war, daß in den Trägern der Karolingischen Kunst neue künstlerische Kräfte entbunden wurden. Jedenfalls wurden durch die Karolingische Kunst die Grundlagen für die Entwicklung der abendländisch-mittelalterlichen Kunst geschaffen. Ihre Zweige waren Kirchen- und Palastbau in Stein, Kleinbildnerei als Elfenbeinrelief, Wandmalerei religiöser, aber auch weltlicher Art sowie Buchmalerei, zumeist in Form von Miniaturmalerei. Die Kaiserpfalz Karls des Großen in Aachen soll hier, weil vielen bekannt, nicht unerwähnt bleiben. Als baukünstlerische Erscheinung war sie die erste von vielen folgenden Pfalzen, die fast ausnahmslos in Deutschland entstanden und von den Herrschern abwechselnd aufgesucht wurden, weil sie bis zur Zeit des Interregnums keine feste Residenz bevorzugten. Die vielen noch heute gebräuchlichen pfalzartigen Namen und Namensendungen deutscher Orte und Gebiete, wie z.B. Rheinpfalz, sind ein Indiz für den hohen Stellenwert, den die Pfalzen im Mittelalter hatten. (Vgl. Burgen).
Die Ottonische Kunst entwickelte sich nach ersten Andeutungen (siehe: Altdeutsch) in der Karolingischen Kunst unter den Ottonen, den eben erwähnten sächsischen Kaisern, die von 919 bis 1024 regierten. Die Ottonische Kunst entstand insbesondere in der Zeit der letzten vier sächsischen Kaiser, mit Otto I. beginnend und Heinrich II. endend. (Vgl. Tabelle). In ihr wurde unter dem Druck einer religiösen Spannung, wie sie so in karolingischer Zeit nicht bestand, alles aus der Antike Übernommene so gründlich umgestaltet, daß es als ein völlig Eigenes der deutschen Kunst in die Geschichte einging, obwohl die naturalistischen Formenzusammenhänge der antiken Kunst keineswegs gänzlich aufgegeben wurden. Östliches, Byzantinisches und bunte Bewegtheit und Mannigfaltigkeit spielten dabei eine bedeutende Rolle, aber die Formenaskese, wie sie der frühromanischen Kunst eigentümlich ist, herrschte noch nicht vor. Höhepunkt der Ottonischen Kunst, soweit sie darstellend war, stellen die um 1000 entstandenen Miniaturen der Reichenauer Schule dar, die als Höhepunkte mittelalterlicher Miniaturmalerei überhaupt bezeichnet werden dürfen. Die ottonische Plastik, die noch immer Reliefplastik war, glückte am meisten in den Reliefs der Hildesheimer Bronzetür, und in Hildesheim entstand auch das bedeutendste Bauwerk der Ottonischen Kunst: St. Michael. Die Bernwardskunst ist diejenige Kunst, die unter Bischof Bernward von Hildesheim (960-1022) entstand. Bernward war seit 987 in der Kanzlei Ottos II. und als Erzieher Ottos II. tätig, bis er 993 zum Bischof von Hildesheim berufen und als Reichsbischof ein treuer Helfer Ottos III. und Heinrichs II. wurde. Er förderte nicht nur die Kunst, sondern auch kirchliche Reformen. Die Kunstwerke, die in seiner Zeit entstanden, machten Hildesheim zu einem der wichtigsten Kulturzentren im damaligen Deutschland. Sie galten der Ausstattung der von Bernward gegründeten Kirche St. Michael. Zwei bronzene Türflügel, etwa 5 Meter hoch, bestehend aus 8 Reliefs aus der Geschichte der ersten Menschen und Christi, ein Werk, das mit Recht von jeher an den Anfang der romanischen Bildnerei in Deutschland gestellt wird. Es wurde 1015 vollendet. Bernwardssäule, Bernwardsleuchter und Bernwardskruzifix folgten, bevor 1033 der Hildesheimer Dom vollendet wurde – 11 Jahre nach Bernwards Tod. Zu dieser Zeit hatten die Wikinger bereits Amerika entdeckt, die Deutschen die ersten mechanische Uhren und die Klosteranlagen schon seit 820 nach Idealplan gebaut:

Klosteranlage nach dem Idealplan von Sankt Gallen (820)
Im Christentum unterscheidet man zwischen den besonders in den Ostkirchen verbreiteten idiorhythmischen Klöstern und den westlichen zönobitischen Klöstern – insbesondere seit 529, als Bonifatius das Kloster Monte Cassino gegründet und die Benediktinerregel Verbreitung gefunden hatte. (Vgl. 2-4). Spätestens aber nach der Gründung des Klosters Sankt Gallen (719) und der Einführung der Benediktinerregel im gesamten Frankenreich (743), lebten in den abendländischen Klöstern eine große Anzahl von Mönchen in dauernder räumlicher Gemeinschaft unter einheitlicher Führung zusammen. Der Abt war und ist der Vorsteher einer Gemeinschaft von Mönchen und Leiter einer Abtei, ausgestattet mit Gewalt einer Jurisdiktion und damit unabhängig von den Bischöfen. Der nie ausgeführte Idealplan von Sankt Gallen (um 820) bestand aus den wesentlichen Elementen der abendländischen Klosteranlage.
Zentrum war und ist die Kirche, an die sich, meist südlich, um einen Hof der Kreuzgang anschließt, um den sich die weiteren Klostergebäude und -räume gruppieren, seit der Karolingischen Renaissanceauch eine Bibliothek, zumeist in einem eigenen Baukörper untergebracht. Das funktionale Schema der Klosteranlagen ließ sich gut mit den jeweiligen abendländischen Baustilen verbinden und fand in der Barockzeit seine reichste Ausgestaltung, z.B. El Escorial (1563-1584) oder Melk (1702-1736). (Vgl. 14-16).

Burgen hatten immer die Doppelfunktion Wohnen und Wehren. Diese Bauanlagen einer befestigten Höhe diente der adeligen Führungsschicht als Residenz-, Wohn., Verwaltungs- und Amtssitz sowie natürlich als Schutzanlage. Die Wallburgen der Antike waren zumeist Stadtbefestigungen, die aus Stein errichteten abendländischen Feudalburgen jedoch zumeist nicht. Die Frühformen der mittelalterlichen Burgen waren die im gesamten Mitteleuropa bekannten Turmhügelburgen des 9. bis 11. Jahrhunderts, während die immer weiter ausgebauten, immer strategischer, prunkartiger und monumantaler werdenden Feudalburgen des 11. bis 16. Jahrhunderts in eine stilartige Baukunst übergingen.
Besitzrechtlich wurden die Allodialburgen mit vollem Grundeigentum, die Lehnsburgen und verschiedene Reichsburgen (Pfalzen), z.B. Ministerialen-, Dynastien-, Bischofs-, Kloster- und Amtsburgen, unterschieden. Eine Sonderstellung nahmen die Ordensburgen in Spanien, die Kreuzfahrerburgen in Kleinasien und am östlichen Mittelmeer sowie die Klosterburgen des Deutschen Ordens ein. Der gegenseitigen Sicherung und Vorwarnung dienten die Abschnitts- oder Doppelburgen, der Belagerung gegnerischer Burgen die Trutzburgen. Die Ritter spielten in der Geschichte der Burgen ebenfalls eine große Rolle, denn ihnen gelang es, die Lehnsfähigkeit durchzusetzen und auf der Grundlage der erhaltenen Lehen Herrschaftsrechte auszuüben, in festen Häusern, nämlich den Burgen, zu residieren und adelsähnliche Lebensformen zu entwickeln. Den Höhepunkt ihrer gesellschaftlichen Stellung erlangten die Ritter in staufischer Zeit, in der sie Träger einer neuen Laienkultur wurden und das Rittertum zum Inbegriff adeligen Lebens wurde. (Vgl. 8-10). Später verengte sich der Ritterbegriff auf den niederen Adel.

Das Kind Abendland war am Ende dieser Phase zur Entwöhnung durch die magische Mutter bzw. den antiken Vater bereit, wobei die Symbolik des Saugens hier meint, daß die Karolingik sich noch zum Teil an spätantiken und magisch-christlichen Stilen orientierte, aber mehr und mehr zu eigenen Formen fand. Insbesondere lassen die Bauten aus dieser Zeit orientalisch-byzantinische, römisch-antike und germanische Elemente erkennen. Die Charaktereigenschaften der Kultur waren also bereits im Säuglingsalter des Abendlandes, als auch in dem der Antike, z.B. durch das Megaron, die Kuppelgräber, die Keramik und die gigantischen Befestigungsanlagen, zu erkennen. (Vgl. oben). Die Nacht – der Winter – war jedenfalls vorbei, das Kind geboren und das Abendland entfaltete durch die Bauten von Pfalzen, Domen, Klöstern und Burgen seine ersten Frühlingsblüten. Dazu gehörte auch das staatliche Lehnswesen, denn die Voraussetzung für einen funktionierenden Lehnsstaat ist die Schaffung einer Reiterei als eine Art Panzerkrieger. Seit Mitte des 8. Jahrhunderts traten diese immer stärker in den Vordergrund. Durch Landlehe, eine Ausstattung mit Land, wurde der Krieger wirtschaftlich selbständig und ihm seine Ausrüstung als Reiter mit Pferd und Waffen ermöglicht. Die spätrömische Commedatio, die Ergebung in den Schutz, in der ein Mann als Vasall (Knecht) in den Dienst eines Herrn trat, verband sich mit dem germanischen auf Treue beruhenden Gefolgschaftswesen. Durch diese Treue wandelte sich der Knechtsdienst zu einem Ehrendienst. Das gegenseitige Treueverhältnis zwischen Lehnsmann und Lehnsherrn und die Gehorsamspflicht des Vasallen bestimmten die persönliche Seite des Lehnswesens, zu der die dingliche trat: das Lehen, das vom Herrn verliehene Land (Beneficium, Feudum), das die Voraussetzung für den Dienst wurde. Dienst und Treue bildeten den Rechtsgrund für das Lehen, für das der Belehnte persönliche Pflichten übernahm. Anfangs fiel das Lehen, da Vasallität und Beneficium persönlich gedacht waren, beim Tod des Herrn (Herrnfall) wie des Lehnsmanns (Mannfall) heim, doch bald wurden die Lehen erblich. Im Kapitulare von Quierzy wurde 877 festgelegt, daß dem tauglichen Erben das Lehen des Vaters neu verliehen werden müsse. Das Lehnswesen beschränkte sich aber nicht nur auf die Reiterkriegerschicht. Auch die Großen (Potentes) erhielten ihre Ämter (Herzogtümer, Grafschaften) und zu ihren allodialen Herrschaften, dem freien Eigentum, weitere Herrschaften zu Lehen, um das persönliche Band zwischen König und Amtsinhaber durch die Treue zu verstärken – als politische Unterordnung sozusagen. Lehen und Amtslehen wurden erst de facto, dann aber auch de jure erblich: Schwinden der Bindung des Adels an den Herrscher war die Folge. Aus den Lehen, über die der Adel verfügte, z.B. durch Kauf, Verkauf, Teilung, bildeten sich die ersten Ansätze zu Territorien. So wie die körperliche Bindung des Kindes zur Mutter, die während der Schwangerschaft aufgebaut wurde, zu einer sozialen Bindung, und zwar auch zu Vater, Geschwistern, Großeltern u.s.w., umfunktioniert werden muß, so mußte auch das Feudalwesen, das bereits während der Spätantike, spätestens seit den Soldatenkaisern, aufgebaut worden war, zu einer sozialen Neubindung führen. Aus einem reinen Lehnswesen wurden verschiedene territoriale Lehnsstaaten.
Da nun das abendländische Rittertum auf dem Vormarsch war und das Abendland durch die lehnswesentlichen Staaten, die ihre Grenzen bis ins Erwachsenenalter beibehielten, sein Stehvermögen unter Beweis stellen konnte, war aus dem Kultur-Säugling ein Kultur-Kleinkind geworden. Es hatte das Laufen gelernt, weil es seine Sinne und Organe entsprechend koordinieren konnte. Unter den drei möglichen Arten einer kulturellen Perinatalität und Kulturgeburt.
I) Einzeller-Kulturation, die nur Wirte (er)kennt, …
II) Beute-Kulturation, die schnell Steh- und Gehvermögen erlangt, um flüchten zu können, …
III) Jagd-Kulturation, die das Steh- und Gehvermögen zunächst aufschiebt, um später jagen zu können, …
durfte auch das Abendland nicht einfach auswählen, sondern unter den Bedingungen des selektiven Kulturzufalls sich selbst organisieren und unter Hilfe der elterlichen Bezugskulturen mehr oder weniger behütet aufwachsen. Ein Kulturschicksal geht zurück auf den kulturgenetischen Zufall der Geschichte, dem eine Kultur sich einerseits nur anpassen, andererseits aber auch durch eigene Kreativität ausweichen kann, wenn es die elterliche Prägung und Bindung zuläßt. Die ersten seßhaften Kulturen taten dies im Rahmen, der sich einer Einzeller-Kulturation bietet. Die Kulturmutter des Abendlandes, die magische Kultur, hatte in ihrer perinatalen Zeit, und zwar wegen der damaligen geopolitischen Lage, möglichst bald nach der Geburt das Stehen und das Laufen zu lernen, um nicht zur Beute zu werden. Auch deshalb wurde sie so früh schwanger. Der drohende Verlust sollte ausgeglichen werden. (Vgl. 22-24). Deshalb geriet sie später auch in die Pseudomorphose. (Spengler). So wie die Antike, die als Kulturkind noch lange Zeit unter dem Einfluß der mediterranen Elternkulturen Sumer und Ägypten blieb, sollte auch das Abendland zunächst im Schoß der elterlichen Kulturen aufwachsen, um später selbst auf Kulturjagd gehen zu können. Die ersten Schritte dazu hatte es jetzt unternommen, weil es Steh- und Gehvermögen erlangt hatte. Es konnte laufen und übte sich bereits spielerisch im kulturellen Jagen. Analog zu einem menschlichen Kind, das in den Spiegel schaut und darin nicht mehr ein anderes Wesen, sondern zum ersten Mal sich selbst erkennt, war jetzt auch das Abendland zum ersten Mal fähig, sein eigenes Wesen zu erkennen. Es hatte ein erstes Selbstbewußtsein erlangt. Die abendländische Kultur war nun eine einheitsstiftende geistige Instanz, ein Selbst oder ein Ich. (Vgl. 8-10).

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Anmerkungen:
Oswald Spengler, 1917, S.784ff.. „Historische Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde Kultur so mächtig über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen, sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt.“ (Ebd. S. 784). Auch eine junge Kultur kann so mächtig sein, daß sie eine alte dort, wo sie zu Hause ist, überlagert. Das Beispiel zwischen der (alten) apollinischen Kultur, auch kurz „Antike“ genannt, und der (jungen) magischen Kultur, auch „Persien/Arabien“ genannt, macht es deutlich: „Solange die Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß alle östlichen Kirchen zu Kulten westlichen Stils wurden. Dies ist eine wesentliche Seite des Synkretismus. … Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens, die zu einer neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum als magische Nation.“ (Ebd., S. 800-801).
Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen – wie unzählige andere Beispiele auch – für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.
Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Spengler, 1922, S. 847f.).
Übrigens: In der Zeit von 4000 v. Chr. bis heute entwickelten sich deshalb nicht mehr als 8 Kulturen (ich definiere sie als Historienkulturen, Spengler definierte sie als „Einzelwelten des Werdens“), weil besonders für Menschen und ihre Kulturen gilt, daß das Verhältnis zwischen Geburten und Fehlgeburten „schief“ ist, und zwar zugunsten der Fehlgeburten!
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) hat dreißig Jahre lang seine Entdeckungen der nichteuklidischen Geometrien verschwiegen, weil er das Geschrei der Böoter fürchtete. Der Zufall hat es gewollt, daß wenige Jahre nach Vollendung seines Hauptwerkes (1801) Gauß die erste der nichteuklidischen Geometrien entdeckte, durch deren in sich widerspruchslose Existenz bewiesen wurde, daß es mehrerestreng mathematische Arten einer dreidimensionalen Ausgedehntheit gibt, die sämtlich a priori gewiß sind, ohne daß es möglich wäre, eine von ihnen als die eigentliche Form der Anschauung herauszuheben. Gauß hatte also seine nichteuklidische Geometrie ganz abendländisch-esoterisch für sich selbst entwickelt. Das denkfaule, schwerfällige Volk hätte damit offenbar nichts anfangen können, weshalb er es Böoter nannte, ein Volk in Boiotien (Hauptstadt: Theben), das den anderen antiken Griechen eben als sehr schwerfällig galt. (Vgl. 18-20).
Römisch-katholische Interpretationen attestieren dem Abendland zumeist, daß in ihm die Dominanz des Christlichen überwiege. Diese Meinung teilen vor allem kirchliche und vornehmlich christlich orientierte Vertreter. Theodor Heuss (31.01.1884 – 12.12.1963) soll einmal gesagt haben, daß Europa von 3 Hügeln ausgegangen sei: von der Akropolis, von Golgatha und vom Kapitol. Diese Sichtweise würde eher, wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, auf eine Dominanz der Antike verweisen. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß aus einem antik-apollinischen Einzelkörper und einer magisch-seelengeistigen Welthöhle ein abendländisch-faustischer Unendlichkeitsraum entstehen kann, dann muß unbedingt ein dritter Faktor hinzukommen, den ich die Kulturpersönlichkeit nenne: das Germanentum. Ohne das Germanentum versteht man die Willensdynamik eines Faust nicht, und ohne das germanische Element ist die Raumtiefe, aber auch die in jeder Hinsicht sowohl ins Mikrokosmische als auch ins Makrokosmische gehende Unendlichkeit nicht als distinktives Merkmal der abendländischen Kultur zu identifizieren. Diese Merkmale treffen auf keinen antiken Menschen zu, aber insbesondere auf die Abendländer, die germanischen Ursprungs sind. Scharfe Gegensätze, wie die zwischen Antike und Abendland, sind zwar unbedingt ein Indiz für Verwandtschaft, weil beide Kulturen so auffallend gegensätzlich sind: aktiv und reaktiv. Offenbar hat die Antike auf das Abendland aber nicht persönlichkeitsstiftend gewirkt und konnte auch erzieherisch nicht tätig werden, weil sie so früh verstarb. Die Biogenetik und Sozialisation geraten nicht selten so weit auseinander, wenn ein Elternteil früh verstirbt, d.h. nicht wirklich erlebt wird. Dem Abendland scheint es auch so ergangen zu sein. Die Auseinandersetzungen mit der magischen Mutter hat beim Kind jedoch zu einer enormen, fast schon verdächtigen Erinnerung bis hin zur Vergötterung des antiken Vaters Beitrag geleistet. Aber liegt deshalb immer auch schon ein Vaterkomplex vor? Es bleibt zunächst festzuhalten, daß auch kulturell zwischen Genetik und Sozialisation, zwischen Anlage und Umwelt, zwischen angeboren und anerzogen ganz klar unterschieden werden muß. Dazwischen bewegt sich die Persönlichkeit. Man kann sie nicht isolieren, folglich auch nicht isoliert betrachten, aber man kann sie beschreiben, und ich beschreibe die Kulturpersönlichkeit des Abendlandes als germanisch, weil dieser Raum zwischen Anlage und Umwelt für die Kulturpersönlichkeit zwanghaft unendlich werden muß, wenn sie die verlorene Vaterkultur zurückholen will. Der unendliche Raum und Wille sind auch deshalb Ursymbol und Urwort des Abendlandes. Wenn der Mensch eine Grundlage von etwa 60 Billionen Zellen hat und einer Umwelt von praktisch unendlicher Vielfalt ausgesetzt ist, so gilt für eine Kultur, daß sie Völker, Staaten oder Nationen zur Grundlage hat und einer Umwelt von unendlichen Möglichkeiten, aber auch gähnender Leere gegenübersteht. Mit dem Germanentum fiel eine faustische Entscheidung zugunsten der unendlichen Möglichkeiten. Die Eltern des Abendlandes waren also antik-magisch, ihre gentragenden Chromosomen römisch-christlich, aber die Kontrollgene germanisch. (Vgl. 22-24).
Jesus (7 / 4 v. Chr. – 26 / 30 n. Chr.) ist Urheber und zentrale Gestalt des Christentums. Das Christentum umfaßt die Auswirkungen des Glaubens an Person und Wirken Jesu Christi, wie er von den christlichen Kirchen und Gemeinschaften in der Auseinandersetzung mit fremden Religionen, den geistigen und weltanschaulichen Strömungen der verschiedenen Zeiten sowie mit den politischen Mächten entwickelt worden ist. In Rom galt die christliche Gemeinde zunächst als jüdische Sekte. Der römische Staat entzog dieser schnell wachsenden Gemeinschaft bald die religiösen und rechtlichen Privilegien, die er dem Judentum gerade eingeräumt hatte. Die Auseinandersetzung mit dem Römischen Reich wurde intensiv seit der Mitte des 3. Jahrhunderts geführt. Auf das Toleranzedikt des Galerius und Licinius, 311, folgte die Bekehrung Konstantins und mit dem Toleranzedikt von Mailand (313) die Einstellung der Christenverfolgungen. Konstantin der Große machte das Christentum zu der mit allen zeitgenössischen Kulten gleichberechtigten und schließlich zur allein berechtigten Religion im Reich (Konzil von Nicaea, 325). Damit hatte er eine Entwicklung eingeleitet, die zur Entstehung der Reichskirche als einer vom Reich letztlich abhängigen Einrichtung führte. Durch den oströmischen Kaiser Theodosius I. wurde 380 mit dem Edikt von Thessalonike der Athanasianismus (Katholizismus) begründet, im 1. Konzil (= 2. Ökumenisches Konzil, 381) von Konstantinopel das (konstantinopolitanische) Glaubensbekenntnis formuliert und das Nizänum bestätigt, 391 das Christentum überhaupt Staatsreligion, damit alle heidnischen Kulte verboten. 395 teilte sich das Reich in West- und Ostrom, 455 eroberten die Wandalen Rom und 476 erlosch das Weströmische Reich endgültig mit der Absetzung des Romulus Augustulus durch den Germanen Odowaker (Odoaker), aber die römische Kultur wurde von den Eroberern nicht zerstört, die arianische Christen waren und mit der unterworfenen Bevölkerung, die römisch-katholisch war, die erste und für die Christen-Geschichte wichtigste Verschmelzung eingingen. Für die geschichtliche Erkenntnis Jesu ist man nahezu ausschließlich auf die Evangelien des Neuen Testaments angewiesen. Derjenige, der das Christentum erst zur Weltreligion machte, war Paulus. (Vgl. 22-24).
Das Papsttum ist Amt und Institution des Oberhauptes der katholischen Kirche, des Papstes, dem Nachfolger des Apostels Petrus (Bischof von Rom), der von Jesus eingesetzt wurde (Matth. 16, 16ff.). Die Vorrangstellung des Bischofs von Rom in Fragen der Lehre und Disziplin trat in den ersten Jahrhunderten allmählich deutlicher hervor, obgleich in der alten Christenheit die höchste Autorität beim ökumenischen Konzil lag. Ein Aufstieg des Papsttums als Institution begann mit Cölestin I. (422-432) und erreichte einen ersten Höhepunkt mit Leo I. (440-461). Nach dem Untergang des Römischen Reiches war die Taufe des Frankenkönigs Chlodwig I. (etwa 498) für die Entwicklung des Reichskirchensystems von entscheidender Bedeutung. Aufgrund dieser Vorbedingungen konnte Gregor I. am Ende des 6. Jahrhunderts die (faktisch) weltliche Macht des Papsttums und die Entwicklung des Patrimonium Petri zum späteren Kirchenstaat einleiten, die durch reiche Schenkungen seitens der Karolinger im 8. Jahrhundert gefördert wurde, nachdem die angelsächsischen Missionare des 7. und 8. Jahrhunderts die Bindung zwischen Papst und Franken noch vertieft hatten. Das war genau die Bindung, die auch ein Kind nach der Geburt, also nach der Entbindung von der Mutter, eingehen muß, um in der Außenwelt überleben zu können. Es kommt auf die Welt und erfährt mit der ersten außenweltlichen Bindung eine Prägung. Analog dazu kam das Abendland nach den ersten Wehen und dem Sieg über die Araber durch den karolingischen Hausmeier Karl Martell (732) über eine Entbindung zur Neubindung. Das Abendland kam zur Welt mit der Lossagung des Papstes von Byzanz und der prägenden Bindung zwischen Papst und Franken: 754 durch Stephan II. und Pippin III. (d.J.), 781/787 durch Hadrian I. und Karl d. Gr. sowie 800 durch Leo III. und Karl d. Gr.; es war die Verweltlichung der Kirche und die Beseelung der abendländischen Welt. Das Neugeborene war endlich da. Die nächsten Jahrhunderte sollten unter Beweis stellen, daß dieses Kulturkind auch Stehvermögen erlangt hatte.
Vgl. auch: Kirchenstaat in Ur-/Vorform sowie die ersten Fälschungen und die Bezeichnung „Patrimonium Petri“. Doch die Fälschungen und Schenkungen des 8. und 9. Jahrhunderts drückten einen ganz besonders extremen Größenwahn aus. Die „Konstantinsche (Pippinsche) Schenkung“ (754 / 756) wurde bereits 1001 vom deutschen Kaiser Otto III. angefochten und später als Fälschung durch den deutschen Kardinal und Philosophen Nikolaus von Kues (1410-1464) nachgewiesen. Nikolaus von Kues leistete auch die wichtigsten Vorarbeiten für den Nachweis der um 850 entstandenen Fälschung: „Pseudo-Isidor“; den endgültigen Beweis des Pseudo-Isidor-Betruges unwiderleglich erbrachten die zwischen 1559 und 1574 geschriebenen Magdeburger Centurien, die erste protestantische Kirchengeschichte. Diese Fälschungsbeweise sind lediglich einige Beispiele unter vielen. Als „eine der makabersten Figuren der Papstgeschichte“ beschreibt z.B. Hans Kühner (1977) den durch eine fast unbeschreibliche Schandtat bekannt gebliebenen Papst Stephan VI. (reg. 896-897): „Als Anhänger des wieder mächtig gewordenen Hauses Spoleto ließ er den schon neun Monate im Grabe ruhenden Formosus (reg. 891-896) wieder ausgraben und in päpstliche Gewänder gehüllt auf den Thron setzen, um ein Totegericht über ihn zu halten. Obwohl er selber vor seiner Wahl ein, obendrein von Formosus eingesetzter Bischof von Anagni gewesen war, wurde dem Leichnam neben anderen erfundenen Dingen die Translation vom Bistum Porto auf den Papstthron vorgeworfen. Der grauenhafte Pathologe erklärte alle Weihen des Formosus für ungültig, um nicht selber der ungültigen Translation bezichtigt zu werden. Dann ließ er dem Leichnam die Segensfinger der rechten Hand abhauen und ihn unter den Klagen der Bevölkerung auf den Begräbnisplatz der Fremden, später in den Tiber werfen. Das Volk von Rom schleppte das päpstliche Monstrum bald darauf in den Kerker, wo man es erwürgte. … Theodor II. (reg. 897) … ließ … den wieder aufgefundenen Leichnam des Formosus mit allen Ehren bestatten, die Verfügung der Leichensynode annullieren und die von Stephan VI. Abgesetzten wieder bestätigen.“ (Hans Kühner, Das Imperium der Päpste, 1977, S. 108-109).
Bonifatius (eigtl. Winfrid, 672/673 – 05.06.754) war der bedeutende Vertreter der angelsächsischen Mission, auch genannt: Apostel der Deutschen. Er wirkte zunächst in Thüringen und Friesland, seit 721 auch in Hessen, wo die Klöster Amöneburg und Fritzlar gegründetet wurden. 722 wurde er in Rom zum Bischof geweiht, und 723 setzte er seine Missionstätigkeit in Hessen fort. In Geismar bei Fritzlar fällte er die sogenannte Donareiche, um eine Verbindung zwischen Germanenkult und Christentum herzustellen. Auch in Thüringen kam es ab 725 mit Hilfe angelsächsischer Missionare zu Klostergründungen. Bonifatius war bestrebt, die fränkische Kirche neu zu organisieren. 732 wurde er in Rom zum Erzbischof ernannt. In Bayern gründete er 737/738 die Bistümer Passau, Regensburg und Freising, 745 auch Eichstätt. Salzburg wurde von ihm neu organisiert. Unter Karlmann (741-747) war auch die Gründung der Bistümer Würzburg, Büraburg und Erfurt möglich. Wahrscheinlich im Jahre 746 übernahm Bonifatius das Bistum Mainz. Er starb als Märtyrer in der Friesenmission.
Zur Perinatalität: Wenn der Aufstieg der Karolinger (687, Sieg bei Tertry) die ersten „Wehen“ oder aber das Ende des Westgotenreichs durch die muslimischen Mauren (711) die ersten starken (besonders „schmerzhaften“) „Wehen“ waren und vielleicht schon zur perinatalen Zeit des Abendlandes zu rechnen sind, so kann man diese Zeit auch etwas enger fassen. In diesem engeren Sinne hatte das Abendland seine perinatale Zeit zwischen 732, als Karl Martell die Araber besiegte, und 774, als Karl d. Gr. das Langobardenreich eroberte. Die Geburt des Abendlandes ist also auf die Zeit zwischen 732 und 774 anzusiedeln, wahrscheinlich auf die Zeit um 750 (aus dieser Zeit stammen auch die ältesten überlieferten Zeugnisse für das Althochdeutsche) oder genauer: auf die Jahre 754-756 (Pippinsche Schenkung). Die Geburt des Abendlandes vollzog sich in einem exklusiven Kreißsaal, einem esoterischen Raum – typisch abendländisch () -, denn die Pippinsche Schenkung, als „Konstantinsche Schenkung“ vorgetäuscht, war ein geheimes Franken-Papst-Bündnis. So gesehen, war die Eroberung des Langobardenreiches (774) durch Karl d. Gr. schon eine „Nachwehe“ und seine Kaiserkrönung (800) die „Abendland-Taufe“.
Während des Zerfalls der Karolingermacht im 9. Jh. erstarkten in den Abwehrkämpfen die deutschen Stammesherzogtümer: Sachsen, Bayern, Schwaben, Lothringen, Franken, Thüringen. Allerdings bildeten die Franken und die Thüringer kein geschlossenes Stammesherzogtum. (Vgl. auch: „Regnum Teutonicum“).
Willigis, Reichskanzler und Erzbischof von Mainz (von 975 bis 1011) sowie Erzkanzler des Reiches (von 983 bis 994), war ein bedeutender Territorialpolitiker, Klostergründer und Bauherr (u.a. Mainzer Dom).
Brun (Bruno von Kärnten), 972 geboren und 999 gestorben, war der erste Papst deutscher Herkunft und Urenkel von Kaiser Otto I.. Brun wurde von Otto III. zum Papst (Brun = Papst Gregor V.) nominiert. „Mit dem erst vierundzwanzigjährigen Brun, dem hochgebildeten, aber aüßerst strengen Urenkel Ottos I. d. Gr., bestieg der erste deutsche Papst den Thron und krönte den sechzehnjährigen Otto III.. In dem Bunde beider schien die Vorstellung Ottos I. d. Gr. von einer umfassenden Erneuerung des Papsttums verwirklicht zu werden. Doch die Symbiose der beiden jugendlichen Herrscher währte nur drei von tragischen Ereignissen erschütterte Jahre – Ereignissen, die wie ein Brennspiegel noch einmal die Schrecken der vergangenen Jahre zusammenzogen.“ (Hans Kühner, Das Imperium der Päpste, 1977, S. 125). Der Bund zwischen dem deutschen Kaiser Otto III. und dem deutschen Papst Gregor V. (Brun) endete genau im letzten Jahr des 1. Jahrtausends, denn Brun starb 999. Auf Brun, dem ersten deutschen Papst, folgte Gerbert von Aurillac, der erste französische Papst (Silvester II.). „Während Otto III., das »Wunder der Welt«, in seinem Palast immer tiefer in den unendlichen Träumen eines neuen Imperiums, der Renovatio Imperii Romani, versank und aufging – eines Imperiums, das deutsches, römisches und griechisches Kaisertum in der ewigen Harmonie mit dem Papsttum zusammenfassen sollte, führte Gerbert von Aurillac, sein zweiter Lehrer, dessen Vorgänger in diesem Amt der heilige Bernward von Hildesheim gewesen war, das Papsttum in sein zweites Jahrtausend. Otto III. hatte mit dem bisherigen Erzbischof von Ravenna nach Beratungen mit dem großen Abt Odilo von Cluny den ersten Franzosen zur höchsten Kirchenwürde erheben lassen. Sein ungeheures Wissen enthob den Papst allen Zeitgenossen, so daß sich die Legende seiner bemächtigte, ihn zum Urbild des Faust und in der dem Mystischen offenen Stimmung des Milleniums zum großen Magier erklärte. Er war Humanist und Rhetor, Astronom und Philosoph, Naturwissenschaftler und Dichter, Gräzist und vor allem Mathematiker, der in Spanien bei arabischen Meistern studiert und von dort die indischen Ziffern mitgebracht hatte.“ (Hans Kühner, ebd., S. 126-127). Die entscheidenden politischen Fragen betrafen jetzt die Missionierung der Heiden: Slawen und Ungarn. „Die entscheidenden Fragen des Pontifikats betrafen Polen und Ungarn, die beide von Byzanz umworben, doch durch Kaiser und Papst in die westliche Missionssphäre einbezogen wurden.“ (Hans Kühner, ebd.,S. 127).
Kaiser Heinrich II. (*6. Mai 973 in Bad Abbach bei Kehlheim, † 13. Juli 1024 in der Pfalz Grone bei Göttingen) wurde in Bamberg als Bistumsgründer bald verehrt, und seine Heiligsprechung (Kanonisation) sollte 1146 erfolgen.
Es gab mehr als 100 Pfalzen! Die frühmittelalterliche Pfalzen in Frankfurt, Mainz und Regensburg sind genauso bekannt wie die karolingischen Pfalzen in Aachen, Ingelheim (Rheinpfalz), Paderborn, die ottonischen Pfalzen in Werla (bei Goslar, an der Oker), Goslar, Pöhlde (bei Osterode), Grone (Göttingen-Grone) und die salisch-staufischen Pfalzen in Goslar, Hagenau (Elsaß), Gelnhausen (Hessen). Der Aachener Dom, auch Aachener Münster genannt, war und ist Bischofskirche, deren Kern die Pfalzkapelle Karls des Großen bildet (789 bis 800 fertiggestellt). Sie ist ein achtseitiger Zentralbau (Oktodon) mit 16seitigem, zweigeschossigem Umgang und einem zweigeschossigen Westbau mit dem Thron Karls des Großen. Vorbild für diesen Bautypus waren byzantinische Zentralbauten, als Baumeister wird Odo von Metz genannt. 814 wurde Karl der Große, 1002 Otto III. in der Pfalzkapelle beigesetzt. 936 bis 1531 war sie deutsche Krönungskirche, ab 1662 der Frankfurter Dom. Teile der Kapelle wurden den jeweiligen Baustilen der folgenden Jahrhunderte angepaßt. Zum rein karolingischen Stil gesellten sich vor allem gotische und barocke Stilelemente. So wurden im 15. Jh. vier Kapellen an den Zentralbau angebaut, 1756 folgte eine fünfte. Die heutige Kuppel stammt aus dem Jahre 1664. Ludwig der Fromme, der dritte Sohn und Kaiser-Nachfolger Karls d. Gr., starb 840 in der Pfalz Ingelheim (bei Bingen). Der ehemalige fränkische Königshof Ingelheim war von Karl d. Gr. als einer seiner Lieblingsaufenthalte zur Pfalz ausgebaut worden und war bis ins 12. Jh. Schauplatz von Hoftagen, Reichstagen und Synoden. Im 14./15. Jh. wurde sie dann Sitz des Ingelheimer Oberhofs (Obergerichts). Die Pfalz Werla, bei Goslar über dem linken Ufer der Oker gelegen, war Versammlungsort des sächsischen Stammes im 10. und 11. Jh. und bedeutende Königspfalz unter den Ottonen, verlor aber mit der Verlegung der Pfalz nach Goslar durch Heinrich II. (Sachsenkaiser, 1002-1024) ihre Bedeutung für das Königstum. Die wirtschaftliche Bedeutung durch den Abbau der Silbererzlager im Rammelsberg bei Goslar, an dessen Fuß das goslarische Bergdorf entstand, veranlaßte Heinrich II., in Goslar diese Pfalz zu errichten. Unter Heinrich III. und dem in Goslar geborenen Heinrich IV. (Salierkaiser, 1024-1125) entwickelte sich Goslar zur Stadt und war häufig Ort von Reichsversammlungen. Als Mitglied des Sächsischen Städtebundes (1267/1268) und Gründungsmitglied der Hanse nahm Goslar im 13. Jh. einen starken Aufschwung und errang 1290/1340 die Stellung einer Reichsstadt. (Vgl. 10-12). Weitere Pfalzen, z.B. die in Hagenau und Gelnhausen, errichteten Friedrich I. Barbarossa und andere Staufer (Stauferkaiser, 1137-1254).

Die Pfalzgrafschaft Lothringen am Niederrhein war der Ausgangspunkt der Macht, die sich im 11. und 12, Jahrhundert in den Eifel-, Mosel- und Neckarraum verlagerte und zunächst Alzey, dann Heidelberg zum Zentrum machte. 1214 wurde die Pfalzgrafschaft bei Rhein von Kaiser Friedrich II. den Wittelsbachern verliehen. Es entstand die Kurpfalz. Die Goldene Bulle von 1356 sprach der Pfalz die Kurstimme zu. (Vgl. unter: Fürst).

Das Reichskirchensystem, gemeint ist vor allem das ottonisch-salische Reichskirchensystem, ist die Gesamtheit der reichsunmittelbaren kirchlichen Anstalten (Reichskirche) und ihre Stellung in der Verfassungsstruktur des Deutschen Reiches (des Heiligen Römischen Reiches [Deutscher Nation]). Ottonen und Salier bauten durch Schenkung von Grundbesitz (Reichskirchengut), Ausweitung der Immunität und Übertragung staatlicher Hoheitsrechte die Reichskirche zu einem Gegengewicht gegen die Herzöge aus. Voraussetzung für das Funktionieren des Systems war die auf dem Sakralcharakter des Königtums beruhende, durch eigenkirchenrechtliche Vorstellungen verstärkte Kirchenhoheit des Königs, die sich in seiner entscheidenden Mitsprache bei der Bischofswahl und bei der Investitur (Einkleidung. d.h. Einweisung in ein Kirchenamt) äußerte. Die Reichskirche, die nicht einen besonders kirchenrechtlich organisierten Verband darstellte, wurde ihrerseits zu Leistungen herangezogen, die Hofkapelle war die eigentliche zentrale „Behörde“ der Reichsverwaltung, aus der sich zugleich der Episkopat (Gesamtheit der Bischöfe bzw. Amt des Bischofs) rekrutierte. Die Bedeutung des Reichskirchensystems fand neben dem innenpolitischen Nutzen seine Rechtfertigung in der durch das Miteinander von weltlicher und geistlicher Gewalt garantierten Verwirklichung von Frieden und Ordnung und wurde daher grundsätzlich bejaht. Erst der Investiturstreit (seit 1074) stellte die Grundlagen des Reichskirchensystems in Frage. Aber die verbliebenen königlichen Rechte wurden erst Anfang des 13. Jahrhunderts aufgegeben. Geistliche Fürstentümer blieben jedoch bis 1803 bestehen.

Die Ottonische Reischskirchenpolitik, von Otto I. (den Großen) ins Leben gerufen, hatte also primär den Grund, daß Otto I. beim Versuch, eine patriarchale Monarchie zu errichten, scheiterte und sich der einzigen Instanz zuwandte, die über den Stämmen stand: der Kirche. Das Kirchengut, Teil des Reichsguts, wurde vermehrt, die Fürstenmacht der Reichsbischöfe und Reichsäbte, die als Träger der höchsten Reichsämter Stützen der Königsmacht wurden, begründet. Für die reichen Zuwendungen und die volle Immunität (Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit durch einen edelfreien Kirchenvogt) wurde der Episkopat zu miltitärischen und finanziellen Leistungen verpflichtet (Servitium regis: Zwei Drittel des Reichsheers und der Reichslasten). Die Kirche wurde Verfechterin der Reichseinheit! (Vgl. Reichskirchensystem).

Fürst (zu althochdeutsch furisto, der Vorderste) ist seit dem Mittelalter die Bezeichnung für die höchste Schicht des hohen Adels, die durch ihre besondere Königsnähe an der Herrschaft über das Reich, besonders in seiner territiorialen Gliederung, teilhatte (Reichsadel), v.a. Herzöge und Herzogsgleiche sowie Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte der Reichsabteien. Ihnen stand das Recht der Königswahl zu und die Pflicht, bei Entscheidungen in Reichssachen mitzuwirken. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation konnten zunächst alle freien, dann alle Reichsfürsten den König wählen. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts kristallisierten sich bei der Wahl des Königs immer mehr entscheidende Fürsten heraus. Spätestens aber im 13. Jahrhundert ergab sich aus den Fürsten heraus der engere Kreis der Königswähler, die Kurfürsten, deren Sonderstellung in der Goldenen Bulle von 1356 festgelegt wurde. Weltliche und geistliche Reichsfürsten hatten Sitz und Stimme im Reichstag. Seit dem staufisch-welfischen Thronstreit (1198) mußten die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie der Pfalzgraf bei Rhein (die Rheinpfalz) an einer gültigen Wahl beteiligt sein. Der Sachsenspiegel (1224-1231) zählt 2 weitere Kurfürsten als Vorwähler oder Erstwähler auf: den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg. Mit der Doppelwahl von 1527 traten zum ersten mal die 7 Kurfürsten (einschließlich des vom Sachsenspiegel abgelehnten Königs von Böhmen) als alleinige Wähler auf. Bei der Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) war das Kurfürstenkollegium (Kurkollegium) ein geschlossener Wahlkörper. Seine Entstehung – vom Sachsenspiegel aus dem Besitz der Erzämter erklärt – war also letztlich ein Ergebnis des Interregnums: eine Verhinderung der erblichen Thronfolge, ein Erwerb von Reichsgut und wichtigen Reichsrechten durch die Kurfürsten. Das Wahlrecht schränkte sich auf 3 geistliche und 4 weltliche Kurfürsten ein, die vom Kandidaten Sonderrechte (Kapitulationen) und politisches Mitspracherecht (Willebriefe) forderten, ein schwaches Königtum wünschten und deshalb die Krondynastie wechselten. Die Kurfürsten wurden häufig zu Gegenspielern des Königtums. Zur Gültigkeit der Wahl mußten mindestens 4 Kurfürsten anwesend sein. Die Mehrheitswahl wurde zuerst im Kurverein von Rhense (1338) für rechtsmäßig erklärt und 1356 in der Goldenen Bulle als Reichsgrundgesetz festgelegt, die auch die Beratung von Reichsangelegenheiten durch die Kurfürsten auf Kurfürstentagen verbriefte. Im 15. Jahrhundert wurde das Kurfürstenkollegium zur 1., vom Reichsfürstenrat getrennten Kurie des Reichstages. Die böhmische Kurwürde ruhte 1519 bis 1708 mit Ausnahme der Beteiligung an der Königswahl; die Kur des geächteten Pfalzgrafen bei Rhein wurde 1623 Bayern übertragen, der Pfalz aber 1648 eine 8. Kurwürde zugestanden. Braunschweig-Lüneburg (Hannover) hatte seit 1692 eine 9. (1708 vom Reichstag bestätigt), nach der Vereinigung Bayerns mit der Kurpfalz 1777 die 8. Kurwürde inne (seit 1778). 1803 wurden die Kurstimmen von Trier und Köln aufgehoben, die Mainzer Kur auf Regensburg-Aschaffenburg übertragen. Neugeschaffen wurden die Kurfürstentümer Salzburg (1805 auf Würzburg übertragen), Württemberg, Baden und Hessen-Kassel. Am Ende des 1. Deutschen Reiches gab es 10 Kurfürsten. (Vgl dazu die entsprechenden Phasen 6-8, 8-10, 10-12, 12-14, 14-16, 16-18, 18-20).
Kurverein von Rhense war der Zusammenschluß der Kurfürsten (ohne Böhmen) am 16.07.1338 in Rhense (Rhens, Rhein-Lahn-Kreis) zur Verteidigung des Reichsrechts und ihrer Kurrechte besonders gegen päpstliche Ansprüche. Die Kurfürsten setzten in einem Rechtsspruch fest, daß der von ihnen oder ihrer Mehrheit zum Römisch-Deutschen König gewählte nicht der päpstlichen Anerkennung bedürfe.
Übersicht über die Vor- und Frühgeschichte der abendländischen Musik (Grundlagen / Träger):
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Hymnischer Chorgesang / Ambrosius (339-397), der aus Trier stammte und Bischof von Mailand war.
Gregorianischer Gesang (Gregorianischer Choral; 1stimmige Gregorianik) / Papst Gregor I. (540-604).
(Psalmodie vom Wortakzent bestimmt; Antiphonen, Respondorien, Hymnen).
Organum: früheste Form (7. Jh.) der Mehrstimmigkeit, Paraphonie zur gregorianischen Melodie.
Choralrhythmus, 40 Sequenzen / Notker der Stammler (Balbulus; 840-912), der Mönch im Kloster St. Gallen war.
Durch Klang gestützte Melodik / Gymel, Fauxbourdon (3stimmige Setzweise).
Mehrstimmigkeit / Studentenlyrik: Carmina Burana (Lieder aus Beuren; Kloster bei Bad Tölz, 11., 12., 13. Jh.).
Erwachendes rhythmisches Bewußtsein / Minnesänger, W. von der Vogelweide u. a., Kreuzritter, fahrende Sänger.
Ars antiqua (Organum wird Discantus: abgetrennte Gegenstimme) / Leoninus (12.Jh.), Perotinus Magnus (13. Jh.).
Conductus (mehrstimmiges Vokalwerk der Ars antiqua) und Motetus (3 Stimmen, scharf gegenseitig abgesetzt).
Früheste Polyphonie, Mensuralmusik (gemessene Musik: festgelegte Notenwerte) / Franko von Köln (13. Jh.).
Früheste ausgereifte polyphone Satztechnik, z.B. (Sommerkanon), Rondeaus / z.B. Adam de la Halle (13. Jh.).
Meistergesang / Meistersinger (14. Jh. bis 16. Jh., z.B. Hans Sachs, 1494-1576)
Ars nova, niederländischer Kontrapunkt und niederländische Polyphonie, mehrstimmiges deutsches Lied, Choräle bis zum Aufkommen der Instrumentalmusik (Paumann, 1452).

Posted in Hubert Brune on April 22, 2012 by androsch

Winter / Nacht
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4-6 Uhr
Fötik oder Organfunktion

Wenn das Kind im Uterus das Alter von 8 bis 12 Wochen erreicht hat, heißt es Fötus und alle Organe, die bereits durch die Embryonalphase hindurch angelegt worden sind, müssen von nun an voll funktionsfähig werden. Eine Vorkultur benötigt dafür mehrere Jahrhunderte. In der vorkulturellen Entwicklung der Antike geschah dies während der Späthelladik, der späthelladischen Zeit der goldreichen Mykenai und ihren Aristoi, den adeligen Herren aus der Argolis. Die Mykener bauten riesige Burgen mit dem Megaron als Mittelpunkt. Das Megaron, ein protogriechisches Haus mit Vorhalle, das innen nur einen Raum hatte und in dessen Mittelpunkt der Herd stand, war nicht mediteranen, sondern indogermanischen Ursprungs. (Vgl. 22-24). Hera war als Göttin des Herdes nicht zufällig auch die Frau des Göttervaters Zeus; sie war auch die Göttin des kriegerischen mykenischen Adels und der Ehe. Gerade aber als Göttin des Herdes stand sie, wie auch später die römische Vesta, im Mittelpunkt des alltäglichen Lebens. In religiösen Angelegenheiten waren die schon verschmolzenen indogermanischen und altmediteranen Gottesvorstellungen in der mykenisch-kretischen Adelswelt längst heimisch, auch wenn der minoische Einfluß noch überwog. (Vgl. Tabelle). Das Megaron sollte sich jedenfalls in der antiken Baukunst genauso durchsetzten wie im Abendland seit dem 7. Jahrhundert das germanische Fachwerkhaus. Beide gaben den Vorgeschmack auf ein späteres Draußen, auf die späteren Kunststile und politischen Vorstellungen. (Vgl. 10-12). Auf der politischen Bühne ging es in jener Zeit darum, eine Macht längerfristig zu etablieren, in Uterosprache gesprochen: den Fötus auf ein Draußen, auf ein Leben nach der Geburt oder gar Frühgeburt vorzubereiten. Bezogen auf die werdende Antike müssen wir dementsprechend festhalten, daß sich Mykene seit dem 16. Jahrhundert v. Chr. immer mehr durchsetzte, im 15. Jahrhundert v. Chr. Kreta eroberte und dessen minoische Kultur übernahm. Im werdenden Abendland setzten sich die seit Beginn des 6. Jahrhunderts mit ihrer Großmachtbildung erfolgreichen Franken gegenüber den anderen Germanenreichen immer mehr durch, eroberten Gebiete des Westgotenreiches bis zu den Pyrenäen, mit Hilfe der Sachsen das Thüringerreich, das Burgunderreich, Gebiete des Ostgotenreiches in der Provence, und sie machten Alemannen und Bayern vom Frankenreich abhängig. Da die Franken seit 497 das katholische Christentum übernommen hatten, gab es auch kaum Streit mit dem ersten Mönchspapst Gregor I. d. Gr. (540-604). Dieser von 590 bis 604 regierende Papst begründete die weltliche Macht des Papsttums in Italien, indem er durch Zentralisierung die Latifundien der römischen Kirche zu Patrimonien, d.h. zum päpstlichen Besitz erklärte und dadurch allmählich zum weltlichen Herrscher der Stadt Rom wurde. Laut Bibel hatte aber Jesus Christus ein weltlicher Herrscher nie sein wollen. (Vgl. Jesus). Trotzdem: Gregor I. übernahm politische und verwaltungstechnische Funktionen, wendete sich vom byzantinischen Kulturkreis ab und den germanischen Völkern zu, deren Bedeutung von ihm erkannt wurde. Er versuchte sie an Rom zu binden: Westgoten, Sweben und Langobarden wurden jetzt Katholiken – 100 Jahre nach den Franken. Papst Gregor I. ließ auch die Angelsachsen zum Katholizismus bekehren. Der Mönch Augustin übte sich in dieser Disziplin. Er wurde 596 zu König Ethelbert von Kent geschickt, um das Erzbistum Canterbury zu gründen, und die Angelsachsen unterwarfen sich der päpstlichen Jurisdiktion. Diese rechtliche Hirtengewalt aus Rom übte auch Einfluß auf das Westgotenreich aus, seit König Leowgilds Sohn und Nachfolger Rekkared I. (586-601) katholisch geworden war. Die Kirche verbündete sich mit dem germanischen Hochadel in Spanien, und die Reichskonzilien von Toledo waren gleichzeitig auch Reichsversammlungen, an deren Beschlüsse der König bei Strafe gebunden war. Im Jahre 603 fiel die Macht an den gotischen Adeligen Witterich, und im Jahre 633 wurde das alte Erbkönigtum durch ein Wahlkönigtum ersetzt: Adel und Bischöfe teilten sich fortan die Macht. Rekiswind (649-672) schuf um 654 ein für Goten und „Römer“ gemeinsames Gesetzbuch (Lex Visigothorum). Im Schatten der Kämpfe zwischen den Goten und Byzanz, die alle Kräfte des Mittelmeerraumes anspannten, konnten die Franken ihre Angriffe gegen die Thüringer und Westgoten führen. Ein wichtiger geopolitischer Vorteil. Im westgotischen Reich regierte König Roderich von 710 bis 711 – nur ein Jahr, weil er 711 von den Arabern besiegt wurde. Dieser letzte König der Westgoten gab durch seinen Tod im Kampf gegen die Araber bald Anlaß zu Sagenbildungen. Das Reich in Spanien erlosch. Die Chronica Gotorum aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts erklärte diesen Tod durch Verrat des christlichen Berberführers Julian (Olian) von Ceuta, der die Entehrung seiner Tochter rächen wollte. Weiterentwickelt wurde dieser Stoff später vor allem in der Romanzendichtung des 15. und 16. Jahrhunderts.
Mit Papst Gregor I. wurde nicht nur der Kirchenstaat und die weltliche Macht des mittelalterlichen Papsttums vorbereitet, sondern auch der Gregorianische Gesang eingeführt. Um etwa 600 erfolgte mit der Liturgiereform auch der choralisch und solistisch einstimmige lateinische Gesang der römischen Kirche in den Formen von Oration, Lektion, Antiphon, Responsorium, Hymnus und Sequenz. Diese wurden seitdem in der Liturgie von Messe und Stundengebet verwendet. Das Melodienrepertoire sollte später durch vom jeweiligen musikalischen Zeitstil beeinflußte Neukompositionen erweitert werden.
Was der Gregorianische Gesang für die abendländische Kultur ist, das ist der Mykenische Gesang für die antike Kultur. Typisch für das das im 16. und 15. Jh. v. Chr. mehr als zuvor aufsteigende Mykene sind z.B. die prunkvollen Gräber, die immer riesiger werdenden Schacht- und Kuppelgräber mit goldenen Masken, Pektoralen, Diademen, Schmuck und Geräten, Prunkschwertern und Prunkdolchen sowie Alabaster- und Bergkristallvasen. Trotz dieser bereits eigenartigen Phänomene war der Einfluß aus dem Orient zu dieser Zeit immer noch eine feste Größe. (). Orient und Antike oder analog: Christentum und Abendland.

Die Karten zeigen die Entwicklung vom 5. bis zum 9. Jahrhundert.

Auch im Langobardenreich erwies sich die Macht der adeligen Herren stärker als die des Königstums. Die Langobarden hatten sozusagen als Nachzügler der Völkerwanderung Italien angegriffen und um 546, also noch während der Kämpfe des byzantinischen Kaisers Justinians gegen die Ostgoten, von Byzanz die Erlaubnis erhalten, die von den Ostgoten verlassenen Gebiete auf dem Balkan zu besiedeln und sich als Gegenleistung dazu verpflichtet, ihre germanischen Nachbarn, die Gepiden (auch: Getheden) zu bekämpfen, einen ostgotischen Stamm, mit denen sie zusammen in Italien eingefallen waren und den Byzanz damals für gefährlicher hielt als die Bedrohung durch die Langobarden. (Vgl. 2-4). Mit der Restauration des Königtums (584) unter dem Langobardenkönig Authari (584-590), verheiratet mit Theudelinde, der Tochter des Bayernherzogs, begannen die guten politischen Beziehungen zu Bayern. Die unterworfenen Römer waren völlig entrechtet und die römische Verwaltung völlig beseitigt, was das Langobardenreich zu einem rein germanischen Staatswesen machte. Es wurde aber abhängig vom Frankenreich – durch Tributzahlungen. Agilulf (590-615) schloß mit den Franken Frieden, mit den Byzantinern einen Waffenstillstand, die gerade zur Festigung des Reiches Exarchate, also Statthalterschaften, in Ravenna und Karthago gegründet hatten. Rothari (636-652) ließ das langobardische Volksrecht kodifizieren: Edictus Rothari (643). Seine Nachfolger wurden katholisch, während das seit etwa 500 von arianischen Missionaren christianisierte langobardische Volk schon seit 600 allmählich zum Katholizismus gewechselt war. Ein Höhepunkt der Macht wurde unter Grimwald I. (661-671) erreicht und siegreiche Kämpfe gegen Franken, Byzantiner, Awaren und Slawen erfochten. Luitprand (712-744) versuchte eine Einigung Italiens herbeizuführen, 751 eroberte Aistulf (749-756) Ravenna und Pentapolis, beendete damit das Exarchat von Ravenna, geriet aber dadurch in Gegensatz zu dem (karolingischen) Franken Pippin III. (der Jüngere; 715-768), der ihn 751 bzw. 754 zwang, diese Restgebiete an den Papst herauszugeben. Papst Stephan II. (752-757), der sich von Ostrom (Byzanz) abgewendet hatte und eine Verbindung zum Frankenreich einging, bat Pippin III. (d.J.) um Hilfe gegen den Langobardenkönig Aistulf, stellte Rom unter den Schutz des fränkischen Königs und salbte Pippin noch einmal in St. Denis. Pippin III. und seine beiden Söhne, der spätere Karl der Große und Karlmann, erhielten den Titel Patricius Romanorum: Schutzherr der Römer. Und nach zwei erfolgreichen Feldzügen (754, 756) erreichte Pippin III. die Rückgabe der von Aistulf eroberten Gebiete, die er dem Papst als Gegenleistung schenkte (Pippinsche Schenkung). Die vom Papst erhobenen Ansprüche auf eine unabhängige Landesherrschaft wurde mit einer gefälschten Urkunde begründet, der Konstantinschen Schenkung (Donatio Constantini), wonach die Verselbständigung Roms gegenüber dem Osten schon auf Konstantin d. Gr. zurückgehen soll, der dem Papst Rom mit der westlichen Reichshälfte übertragen haben soll. Mit dem Dukat von Rom wurden diese Gebiete zum Kirchenstaat, weil Pippin III. sie 754 / 756 dem ersten Papst, dem hl. Petrus, schenkte. Tolle Idee!
In den Geschichtsbüchern wird oft von ripuarischen Franken, den sogenannten Uferfranken oder Rheinfranken, und von salischen Franken gesprochen. Der Name Ripuarier meint offenbar die ehemaligen Verbände aus einem römischen Militärbezirk an der Rhône, aus der Gallia riparensis. Die Salier waren offenbar die seetüchtigen Stämme der Franken. (Vgl. 22-24 und 2-4). Der altfränkische Raum umfaßte wohl außer dem rheinfränkischen Kerngebiet, das zwischen Köln und Xanten zu finden ist, auch die Gegend um Deventer, zwischen dem Niederrhein und der Ijssel, die Mündungsgebiete von Rhein und Maas und die Gegend der fränkischen Brukterer zwischen Lippe und Ems, wo sich an der Lippe noch ein Gebiet der Bruktuarier hielt, das dann endgültig um etwa 700 zum größten Teil von den Sachsen besetzt wurde. Auch der Ruhrgau um Duisburg war wahrscheinlich ursprünglich fränkisch, ebenso der Hettergau rings um Herbede (bei Witten). Der Franke Gregor von Tours (538-594), Bischof und Chronist der Merowinger, schrieb die im Vulgärlatein des frühen Mittelalters verfaßte Historia Francorum, die bis 591 reicht und über die Anfänge des Merowingerreiches Aufschluß gibt: König Chlodwig I. habe „viele Kriege geführt und viele Siege errungen”. Gregor von Tours hatte großen Einfluß auf die fränkischen Könige, und zu seiner Zeit waren das die des ausgehenden 6. Jahrhunderts: Childebert I. und Chlotar I.; die Könige der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts, Chlotar II., Dagobert I., Sigibert III. und Childerich III. waren die letzten Herrscher der merowingischen Franken. Das germanische Prinzip des Nachfolgerechts aller Königssöhne hatte bereits seit dem Tode Chlodwigs I. (511) zu immer neuen Reichsteilungen und Kämpfen zwischen den Teilkönigen geführt. (Vgl. 2-4). Die reale Macht verloren die Merowinger im 7. Jahrhundert zunehmend an den Adel, insbesondere an die Hausmeier, wenngleich ihre mythisch-sakrale Bedeutung noch lange gültig blieb. Pippin I. (der Ältere; um 580 – 640) wurde Hausmeier von Austrien und Berater Dagoberts I., der seit 623 König von Austrien, seit 629 König des Gesamtreiches war. 633/634 mußte Dagobert I. von Austrien seinen Sohn Sigibert III. als König einsetzen. Dieser regierte bis 656 und hatte bis 640 ebenfalls Pippin I. zum Berater für Austrien. Pippin I. ließ seine Tochter Begga mit Ansegisel verheiraten, dem späteren Vater Pippins II. (d.M.). Ansegisel war der Sohn des Bischofs Arnulf von Metz (um 580 – 640), der mit Hilfe Pippins I. die sagenhafte Königin Brunhilde (550-613) von Austrien und Burgund im Jahre 613 gestürzt und Chlotar II. 623 zur Übergabe Austriens an Arnulfs Sohn Dagobert I. gezwungen hatte, für den Arnulf und Pippin I. zu der Zeit die Regierung führten. Pippin II. (der Mittlere; 640-714) wurde Hausmeier von Austrien und siegte bei Tertry (687) über den Hausmeier von Neustrien-Burgund und regierte seitdem das Gesamtreich als Majordomus (Hausmeier). Mit Pippin II. begann bereits der Aufstieg der Karolinger. Seine Erfolge führten zur Wahrung der Reichseinheit und zur Verschiebung des politischen Schwergewichts an Mosel, Maas und Niederrhein. 689 siegte Pippin II. über Radbod und die Friesen, weshalb Westfriesland mit dem Frankenreich vereinigt, das Bistum Utrecht und das Kloster Echternach zur Bekehrung der Friesen eingerichtet werden konnten. Die Mission übernahm der 695 zum Erzbischof geweihte Angelsachse Willibrord (658-739); er war Schüler des heiligen Wilfrith (634-709) und Lehrer des heiligen Bonifatius (Winfrid; 672/673 – 754). 719 wurde Bonifatius, der heilige Winfrid, von Papst Gregor II. mit der Mission in Norddeutschland beauftragt, wo ab jetzt immer mehr Klöster entstanden. 722 schwörte Bonifatius nach seiner Weihe zum Bischof Gregor II. den Gehorsamseid und setzte seine Mission in Hessen fort. Pippin II. machte Gebrauch von dem germanisch-althochdeutschen Recht der Friedelehe, einer Sonderform der Ehe ohne Muntschatz (ahd. munt, Schutz, Schirm), also ohne Vormundschaft bzw. Hausgewalt.
Karl Martell
Aus dieser Friedelehe ging der Friedelsohn Karl Martell (688/689-741) hervor. Die Nachfolgeregelung Pippins II. sah seinen Enkel Theudoalt als Hausmeier vor, aber Karl Martell, der Hammer, setzte sich in der Nachfolge im gesamten Reich durch und zwang Zweifler, wie die rechtsrheinischen Stämme, zur Anerkennung seiner Oberhoheit. Er wehrte 732 den Arabersturm bei Tours und Poitiers ab und bereitete den Aufstieg der karolingischen Dynastie und des Fränkischen Reiches vor, ohne die entscheidenden Schritte zu vollziehen, denn er regierte seit 737 als Alleinherrscher, aber ohne Königstitel. Die nun folgenden Jahre, vielleicht auch Jahrzehnte, kommen an einer Assoziation nicht vorbei, an dem Gedanken nämlich, daß diese Bilder des Sturms, der Abwehr und die immer näher rückende Beseitigung der merowingischen Dynastie nicht nur mit den Franken und dem kirchlichen Bilderstreit, sondern auch mit den Geburtswehen, die das Abendland jetzt erfuhr, zu tun hatten: 732, als Karl Martell die Araber zwischen Tours und Poitiers besiegte, wurde Bonifatius zum Erzbischof ernannt. 741 wurde der Sohn Karl Martells, Pippin III. (der Jüngere; 714/715-768), Hausmeier und erhielt Neustrien, Burgund und die Provence. 743 wurde im Frankenreich die Benediktinerregel allgemein verbindlich und von dem merowingischen Schattenkönig Schilderich III. zwei karolingische Herrscher formell legitimiert: Pippin III. und sein Bruder Karlmann (um 710-754). Karlmann war Hausmeier von Austrien, Thüringen und ab 746 Alemannien, nachdem er es unterworfen hatte; er förderte das Werk des hl. Bonifatius, verzichtete 747 auf seinen Reichsteil, so daß Pippin III. auf gesicherter Machtgrundlage die endgültige Beseitigung der Merowingerdynastie wagen und die Geburt seines ältesten Sohnes Karl d. Gr. feiern konnte. Papst Zacharias stimmte der Entthronung des letzten Merowingerkönigs zu: Schilderich III. wurde ins Kloster geschickt. 747 unterstellte sich eine fränkische Generalsynode auf Bonifatius‘ Veranlassung hin dem Papst, der sich, noch ausdrücklicher als früher Gregor I., vom byzantinischen Ostrom abwandte und eine Verbindung mit dem Frankenreich einging. (Vgl. oben). Der Bilderstreit zwischen Bilderverehrern in Westrom und den Bilderfeinden in Ostrom, vor allem in den jüdischen und islamischen Sekten, nahm immer groteskere Formen an. 751 ließ Pippin III. sich in Soissons zum König wählen. Die erstmals durchgeführte Salbung diente ihm als Legitimation im christlichen Sinne. Der päpstliche Legat, Erzbischof Bonifatius salbte den karolingischen König Pippin III. mit heiligem Öl. Eine päpstliche Betreuung und eine medizinische Betreuung haben eben Gemeinsamkeiten, wie der ursprüngliche Zusammenhang zwischen Priestertum und Heiler beweist. Im Falle einer Frühgeburt hat auch ein Fötus bei medizinischer Betreuung ab dem 7. Monat der Schwangerschaft gute Überlebenschancen – im übertragenen Sinne die karolingischen Franken bei päpstlicher Betreuung. Dieses Treueverhältnis zwischen Papst und Franken funktionierte das erste Mal 754 mit Papst Stephan II. und Pippin III. d. J., ein zweites Mal 781/787 mit Papst Hadrian I. und Karl d. Gr. und ein drittes Mal 800 mit Papst Leo III. und Karl d. Gr., und alle drei Male ging es um mehr oder minder offene Abmachungen, sich gegenseitig zu schützen. Geistiger und politischer Beistand sollten sich hier gegenseitig so bedingen, daß beide mächtig zur Welt kommen konnten. Hauptsache war, daß es zu keiner Fehlgeburt kam (), nur: war Karl Martells Sieg über die Araber, der Bruch zwischen Byzanz und Rom oder die Siege über die Langobarden und Sachsen durch Karl d. Gr. eine Frühgeburt oder bereits die planmäßige Geburt des Abendlandes ? (Vgl. 6-8).
In der Tabelle sind die geistigen und geistig-politischen Errungenschaften (rot gefärbt) als magisch ausgerichtetes Seelenbild gut zu erkennen, nämlich als Dualismus zwischen Geist und Seele, den ich Seelengeist nenne. Die Germanenreiche, deren Daten für die Reichsgründungen und ihre jeweiligen Untergänge angegeben sind, haben sämtlich, wenn sie nach 475 noch existierten, staatsähnliche Volksrechte entwickelt. Da die Franken seit Chlodwig I. Germanen und Galloromanen vereinten, gab es im Frankenreich ein für alle Einwohner gültiges Recht, während die anderen Reiche auf ehemaligen römischen Boden sowohl für die germanischen Herrenschichten als auch für die romanischen Untertanen Gesetze entwickelten. Alle Gesetze blieben bis ins „Hochmittelalter“ gültig, das Westgotenrecht in Spanien sogar bis in die „Neuzeit“.

451) Schlacht auf den „Katalaunischen Feldern“: Germanen (v.a. Westgoten) besiegen die Hunnen.
Danach wird das Hunnenreich von den Germanen unter Arderich, König der Gepiden, zerstört.

476) Skiren-Reich des Odo(w)aker in Italien (476 Ende Roms; Untergang) (bis 493 )
480) Bayern (-Reich) im ehemaligen Rätien, Noricum, Pannonien und nördlich der Donau (bis 728 )
493) Skiren-Reich in Italien erloschen (gegründet 476 )
493) Ostgoten-Reich in Italien (Anschluß an das Ostgoten-Reich in Pannonien; bis 555 )
531) Thüringer-Reich erloschen (gegründet 400 )
534) Burgunder-Reich erloschen (gegründet 433 )
534) Wandalen-Reich erloschen (gegründet 429 )
551) Der (West-) Gote Jordanes, Notar und Historiker, veröffentlicht seine „Gotensaga“

500/520) Boethius (erster westlicher Scholastiker)
510/580) Cassiodorus (westlicher historischer Scholastiker)
529) Benediktiner-Regel (Regula Benedicti) von Benedikt von Nursia, Monte Cassino
(westliche Regel des Mönchtums): erstes abendländisches Kulturzentrum
553) (05.05. – 02.06.) Konzil (5) von Konstantinopel (II) : Verurteilung der Nestorianer und Origenisten
555) Ostgoten-Reich in Italien erloschen (gegründet 493 ) und in Pannonien (gegründet 375 )
567) Gepiden-Reich erloschen (gegründet 375 )
568) Langobarden-Reich in Italien (bis 774 )
Mit der Bildung des Langobardenreiches sind die Germanischen Wanderungen beendet
Vom 6. Jh. bis etwa 750 entwickeln sich bestimmte germanische Dialekte zum Deutschen:
Alemannisch, Bayrisch, Süd-, Ostfränkisch, Langobardisch, Burgundisch zum Oberdeutschen,
Rhein-, Mittelfränkisch (Maas, Rhein, Mosel, Main), Thüringisch u.a. zum Mitteldeutschen,
(Mittel- und Oberdeutsch gemeinsam zum Althochdeutschen: AHD) und
Niederfränkisch (Nordbelgien Holland, Niederrhein), Altsächsisch u.a. zum Niederdeutschen
585) Sweben-Reich erloschen (gegründet 418 )
um 590) Musik: Gregorianischer Gesang (Choral; 1stimmige Gregorianik), Papst Gregor I.
590/604) Papst Gregor I. d. Gr. begründet weltliche Macht des Papsttums (Patrimonium Petri).
Abkehr von Byzanz, Hinwendung zu Germanen
um 600) Könige der Svear (Schweden) von Uppsala dehnen ihre Herrschaft über ganz Schweden aus
um 612) Einsiedelei des hl. Gallus (Grund für das spätere Kloster St. Gallen)
um 625) Die Abtei St. Denis wird gegründet
ab 650) Schweden und Gotländer beherrschen den gesamten Ostseeraum
Musik: Organum: früheste Form der Mehrstimmigkeit, Paraphonie zur Gregorianik.
664) Synode von Whitby (Rechte des Papstes in England: Gründung von Bistümern und Ernennung von Bischöfen)

680/681) (07.11. -16.09.) Konzil (6) von Konstantinopel (III) : Verurteilung des Monotheletismus
ab 700) Friesen und Schweden machen aus der Ostsee ein dem friesischen Handel verschlossenes Binnenmeer
700/735) Abendländische Scholastik (Beginn):
Letzter Kirchenvater (Patrist) Beda Venerabilis (aus England)
711) Westgoten-Reich in Spanien erloschen (gegründet 418 )
719) Beginn der Mission des Bonifatius in Thüringen, Friesland und Hessen
719) Gründung des Klosters St. Gallen (747: Annahme der Benediktinerregel)
728) Bayern (-Reich) erloschen (gegründet 480 )
730) Bilderstreit-Beginn: Edikt des byzantinischen Kaisers Leon III. gegen die Bilder
732) Der Franke Karl Martell stoppt den Expansionsdrang der Araber (Schlacht zwischen Tours und Poitiers)

743) Benediktinerregel wird im gesamten Frankenreich verbindlich
746) Alemannen-Reich erloschen (gegründet 193 )
750) Althochdeutsch hat sich aus dem Germanischen und seinen Dialekten herausgebildet;
Niederdeutsch bleibt von dieser 2. Lautverschiebung größtenteils unberührt
(Vgl. Früh-MHD, Klassisches MHD, Spät-MHD, Früh-NHD, Klassisches NHD, Spät-NHD)
um 750) Paulus Diaconus verfaßt die „Langobardengeschichte“
750) Bilderstreit-Höhepunkt: byzantinischer Kaiser Konstantin V. läßt alle Bilder zerstören
751) Der letzte Merowinger Childerich III. wird abgesetzt und der Karolinger Pippin III. König
752-757) Papst Stephan II. und König Pippin III. (Frankenreich):.
Konstantinsche Schenkung = Pippinsche Schenkung (Kirche-Franken-Pakt)
Gründung des Kirchenstaates
Deutsche Ostkolonisation im Ostalpengebiet
754) Friesen erschlagen Bonifatius. Er wird in Fulda beigesetzt
760) Gründung des Klosters St. Goar (über dem Grab des Einsiedlers Goar)
768) Nach Pippins III. Tod wird Karl d. Gr. König des Frankenreiches neben seinem Bruder Karlmann
Karl der Große fördert durch starke Zentralgewalt Kunst, Wissenschaft und Recht:
Karolingische Renaissance (Pfalzkapelle in Aachen u.a.)
Aus dem asketisch-eremitischen Mönchtum wird eine Bildungsanstalt der Wissenschaften
und (durch diese Anordnung Karls d. Gr.) ein Träger klassisch-antiker und christlich-antiker Literaturtradition
(Palastschule wird Vorbild für die im ganzen Frankenreich entstehenden Dom- und Klosterschulen)
770-840) Einhard aus Mainfranken (Biograph Karls d. Gr.) schreibt die
1. Herrscherbiographie des Mittelalters
771) Nach dem Tod des Bruders Karlmann wird Karl d. Gr. alleinherrschender König im Frankenreich
772) Karl d. Gr. beginnt seinen Feldzug gegen die Sachsen (Ende der Sachsenkriege: 804)
Die Franken erobern die Eresburg (bei Marsberg), zerstören die „Irminsul“ (Irmensäule) der Sachsen
774) Langobarden-Reich erloschen (gegründet 568 )
774) König Karl d. Gr. erneuert in Rom die Pippinsche Schenkung (Kirche-Franken-Pakt)
777) Sachsen-Reich erloschen (gegründet 286 )
Ein erster Reichstag wird durch Karl d. Gr. in Paderborn einberufen: Viele Sachsen werden getauft
778) König Karl d. Gr. kämpft erfolglos in Spanien gegen die Araber
780) Klosterkirche (späterer Dom) und Domschule Carolinum, ältestes Gymnasium der Welt,
von Karl d. Gr. in Osnabrück gegründet
um 780) Beginn der karolingischen Buchmalerei, die auf antike Formen zurückgeht
781) Alkuin wird Leiter einer Hochschule der Wissenschaften und 796 Abt von St. Denis
781/787) Papst Hadrian I. und Karl der Große, Bestätigung des Paktes von 752/757 (Kirche-Franken-Pakt)
und Salbung der Söhne Karls (Pippin und Ludwig d. Fromme)
784-856) Primus Praeceptor Germaniae: Hrabanus Maurus (Mainz) gilt als
1. Lehrer Deutschlands und 1. Naturwissenschaftler Deutschlands (Universalgelehrter)
787) (24.09. -23.10.) Konzil (7) von Nizäa (II) : Bilderstreit (Sinn und Erlaubtheit der Bilderverehrung)
791-819) Dom in Fulda
800) Karl d. Gr. wird in der Peterskirche in Rom von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt.
Der fränkische König wird damit für den Schutz des christlichen Glaubens verantwortlich
Papst Leo III. und Karl der Große bestätigen den Paktes von 752/757 (Kirche-Franken-Pakt)
802) Klosterkirche (späterer Dom) Münster wird durch Ludger den Heiligen gegründet
Karl d. Gr. läßt das Germanische Volksrecht aufzeichnen
Magdeburg wird gegründet (bedeutender Handelsplatz)
804) Ende der Sachsenkriege (endgültige Einverleibung Sachsens ins Fränkische Reich)

Letzte Tabelle Nächste Tabelle

Die rein abendländische Scholastik stand zunächst auf dem Boden eines noch ungegliederten Ineinanders von Wissenschaft, Philosophie, Theologie und ist gekennzeichnet durch die Ausbildung der scholastischen Methode (sic et non) in Verbindung mit der Besinnung auf Eigenwert und Eigenleistung des Verstandes, und durch den „Universalienstreit“:
Analoge Theologien
(4-6): 1600-1400 und 550-750
(0-2, 2-4, 4-6, 6-8, 8-10, 10-12)
14) . . . (Atriden, Perseus, Ödipus) . . . seit ca. – 18. Jh. / – 16. Jh.
15) (7 gegen Theben, Helena, Menelaos) . . seit ca. – 18. Jh. / – 16. Jh.
16) . . (Vorläufer der homerischen Epen) . . seit ca. – 15. Jh. / – 14. Jh. 14) 6. Patristik Ur-Scholastische Kirchenväter seit 5. / 6. Jh.
15) 1. Scholastik Ur-Scholastik (z.T. 6. Patristik) seit 5. / 6. Jh.
16) 2. Scholastik Früh-Scholastik (Universalienstreit) seit 8.Jh.

Am 02.04.747 wurde Karl der Große als ältester Sohn Pippins III. d.J. geboren. 754 erhielten er und sein Bruder Karlmann (751-771) von Papst Stephan II. die Königssalbung und zusammen mit ihrem Vater Pippin III. den Titel Patricius Romanorum, denn ihr Vater regierte noch als König, hatte aber das Reich für die Zukunft unter ihnen aufgeteilt. Mit dem Tode des Vaters wurde diese Teilung 768 Realität. Karl war von jetzt an König der Franken zwischen Pyrenäen und Thüringen, Karlmann im Gebiet zwischen Mittelmeer und Alemannien. Sie gerieten jedoch bald in Gegensatz zueinander. Karl isolierte seinen Bruder politisch durch Verbindung mit dem Langobardenkönig Desiderius, dessen Tochter er heiratete, obwohl ihr Vater das Papsttum bedrohte. Wäre Karlmann nicht schon 771 verstorben, hätte sich vieles wahrscheinlich anders zugetragen, aber Karl der Große stellte die Reichseinheit wieder her und mißachtete dabei das Nachfolgerecht der Söhne seines Bruders. 773/774 wandte sich Karl auf Ersuchen des Papstes Hadrian I. gegen den Langobardenkönig Desiderius, der den Papst zwingen wollte, die mit ihrer Mutter an den langobardischen Hof geflohenen Söhne Karlmanns zu fränkischen Königen zu salben. Nach der Eroberung Pavias nahm Karl selbst den Titel Rex Langobardum an. Obwohl die 774 erneuerte Pippinsche Schenkung dem Papst 781 als eigenes Herrschaftsgebiet bestätigt wurde, stand auch das Patrimonium Petri (Kirchenstaat) unter fränkischen Einfluß, so daß Karl Italien bis auf die byzantinischen Gebiete im Süden beherrschte. Das noch weitgehend unabhängige Bayern (vgl. 2-4) wurde 778 dem Reich voll eingegliedert, Sachsen, gegen das Karl von 772 bis 804 viele Feldzüge führte, schon ein Jahr zuvor: 777 (endgültig: 804). 785 kam es zwar zum Friedensschluß zwischen Karl und Widukind, der sich auch taufen ließ (785), doch von 792 bis 799 gab es noch einmal Aufstände der bäuerlichen Schichten gegen den kirchlichen Zehnten. Dieser Aufstand mußte niedergeschlagen werden, bevor sich Karl der Große Weihnachten 800 in Rom von Papst Leo III. zum Kaiser krönen ließ und die Versöhnung zwischen Sachsen und Franken 802 durch Gesetze festgelegen konnte (Lex Saxonum und Lex Ripuaria). Die endgültige Unterwerfung der Sachsen wurde 804 durch einen letzten Feldzug abgeschlossen. Die (fötalen) Organe funktionierten also; nur die Angelsachsen waren noch nicht ins Frankenreich integriert, und das sollte auch nicht geschehen, denn für die Geburt des Abendlandes war eine fränkische Einverleibung der Angelsachsen nicht vorgesehen. (Vgl. 6-8).

Und noch etwas leitete die Kulturgeburt ein: die abendländische „Agrarrevolution“. Zweifellos hat es außer der Verbreitung des Räderflugs mit Pflugschar (eisenbeschlagen bzw. eisern) auch weitere Fortschritte in der Anbautechnik gegeben: die zunehmende Verwendung von Eisengeräten (z.B. Egge), das Aufkommen der Wassermühle, verbesserte Anspannungsmethoden (Kummet), den Übergang zur Dreifelderwirtschaft. Diese ist nach der Mitte des 8. Jahrhunderts erstmals schriftlich belegt, bringt rechnerisch eine Ertragssteigerung um 50% (!), beansprucht aber auch den Boden stärker.

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Anmerkungen:

Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen – wie unzählige andere Beispiele auch – für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.
Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Spengler, 1922, S. 847f.).
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) veröffentlichte seine nicht-euklidischen Geometrien nicht, weil er das Geschrei der denkfaulen, schwerfälligen und unkultivierten Menschen fürchtete. Er nannte sie Böoter, weil die Einwohner dieser antiken Landschaft (Hauptstadt: Theben) von den Einwohnern anderer Griechenstädte als denkfaul und schwerfällig beschrieben worden waren. Gauß meinte zu Recht, daß man die Menschen nicht wirklich würde überzeugen können. Die erste der nichteuklidischen Geometrien entdeckte Gauß nach Vollendung seines Hauptwerkes Disquisitiones arithmeticae (1801), durch deren in sich widerspruchslose Existenz bewiesen wurde, daß es mehrere streng mathematische Arten einer dreidimensionalen Ausgedehntheit gibt, die sämtlich a priori gewiß sind, ohne daß es möglich wäre, eine von ihnen als die eigentliche Form der Anschauung herauszuheben. (Vgl. 18-20).
Römisch-katholische Interpretationen attestieren dem Abendland zumeist, daß in ihm die Dominanz des Christlichen überwiege. Diese Meinung teilen vor allem kirchliche und vornehmlich christlich orientierte Vertreter. Theodor Heuss (31.01.1884 – 12.12.1963) soll einmal gesagt haben, daß Europa von 3 Hügeln ausgegangen sei: von der Akropolis, von Golgatha und vom Kapitol. Diese Sichtweise würde eher, wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, auf eine Dominanz der Antike verweisen. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß aus einem antik-apollinischen Einzelkörper und einer magisch-seelengeistigen Welthöhle ein abendländisch-faustischer Unendlichkeitsraum entstehen kann, dann muß unbedingt ein dritter Faktor hinzukommen, den ich die Kulturpersönlichkeit nenne: das Germanentum. Ohne das Germanentum versteht man die Willensdynamik eines Faust nicht, und ohne das germanische Element ist die Raumtiefe, aber auch die in jeder Hinsicht sowohl ins Mikrokosmische als auch ins Makrokosmische gehende Unendlichkeit nicht als distinktives Merkmal der abendländischen Kultur zu identifizieren. Diese Merkmale treffen auf keinen antiken Menschen zu, aber insbesondere auf die Abendländer, die germanischen Ursprungs sind. Scharfe Gegensätze, wie die zwischen Antike und Abendland, sind zwar unbedingt ein Indiz für Verwandtschaft, weil beide Kulturen so auffallend gegensätzlich sind: aktiv und reaktiv. Offenbar hat die Antike auf das Abendland aber nicht persönlichkeitsstiftend gewirkt und konnte auch erzieherisch nicht tätig werden, weil sie so früh verstarb. Die Biogenetik und Sozialisation geraten nicht selten so weit auseinander, wenn ein Elternteil früh verstirbt, d.h. nicht wirklich erlebt wird. Dem Abendland scheint es auch so ergangen zu sein. Die Auseinandersetzungen mit der magischen Mutter hat beim Kind jedoch zu einer enormen, fast schon verdächtigen Erinnerung bis hin zur Vergötterung des antiken Vaters Beitrag geleistet. Aber liegt deshalb immer auch schon ein Vaterkomplex vor? Es bleibt zunächst festzuhalten, daß auch kulturell zwischen Genetik und Sozialisation, zwischen Anlage und Umwelt, zwischen angeboren und anerzogen ganz klar unterschieden werden muß. Dazwischen bewegt sich die Persönlichkeit. Man kann sie nicht isolieren, folglich auch nicht isoliert betrachten, aber man kann sie beschreiben, und ich beschreibe die Kulturpersönlichkeit des Abendlandes als germanisch, weil dieser Raum zwischen Anlage und Umwelt für die Kulturpersönlichkeit zwanghaft unendlich werden muß, wenn sie die verlorene Vaterkultur zurückholen will. Der unendliche Raum und Wille sind auch deshalb Ursymbol und Urwort des Abendlandes. Wenn der Mensch eine Grundlage von etwa 60 Billionen Zellen hat und einer Umwelt von praktisch unendlicher Vielfalt ausgesetzt ist, so gilt für eine Kultur, daß sie Völker, Staaten oder Nationen zur Grundlage hat und einer Umwelt von unendlichen Möglichkeiten, aber auch gähnender Leere gegenübersteht. Mit dem Germanentum fiel eine faustische Entscheidung zugunsten der unendlichen Möglichkeiten. Die Eltern des Abendlandes waren also antik-magisch, ihre gentragenden Chromosomen römisch-christlich, aber die Kontrollgene germanisch. (Vgl. 22-24).
Jesus (7 / 4 v. Chr. – 26 / 30 n. Chr.) ist Urheber und zentrale Gestalt des Christentums. Das Christentum umfaßt die Auswirkungen des Glaubens an Person und Wirken Jesu Christi, wie er von den christlichen Kirchen und Gemeinschaften in der Auseinandersetzung mit fremden Religionen, den geistigen und weltanschaulichen Strömungen der verschiedenen Zeiten sowie mit den politischen Mächten entwickelt worden ist. In Rom galt die christliche Gemeinde zunächst als jüdische Sekte. Der römische Staat entzog dieser schnell wachsenden Gemeinschaft bald die religiösen und rechtlichen Privilegien, die er dem Judentum gerade eingeräumt hatte. Die Auseinandersetzung mit dem Römischen Reich wurde intensiv seit der Mitte des 3. Jahrhunderts geführt. Auf das Toleranzedikt des Galerius und Licinius, 311, folgte die Bekehrung Konstantins und mit dem Toleranzedikt von Mailand (313) die Einstellung der Christenverfolgungen. Konstantin der Große machte das Christentum zu der mit allen zeitgenössischen Kulten gleichberechtigten und schließlich zur allein berechtigten Religion im Reich (Konzil von Nicaea, 325). Damit hatte er eine Entwicklung eingeleitet, die zur Entstehung der Reichskirche als einer vom Reich letztlich abhängigen Einrichtung führte. Durch den oströmischen Kaiser Theodosius I. wurde 380 mit dem Edikt von Thessalonike der Athanasianismus (Katholizismus) begründet, im 1. Konzil (= 2. Ökumenisches Konzil, 381) von Konstantinopel das (konstantinopolitanische) Glaubensbekenntnis formuliert und das Nizänum bestätigt, 391 das Christentum überhaupt Staatsreligion, damit alle heidnischen Kulte verboten. 395 teilte sich das Reich in West- und Ostrom, 455 eroberten die Wandalen Rom und 476 erlosch das Weströmische Reich endgültig mit der Absetzung des Romulus Augustulus durch den Germanen Odowaker (Odoaker), aber die römische Kultur wurde von den Eroberern nicht zerstört, die arianische Christen waren und mit der unterworfenen Bevölkerung, die römisch-katholisch war, die erste und für die Christen-Geschichte wichtigste Verschmelzung eingingen. Für die geschichtliche Erkenntnis Jesu ist man nahezu ausschließlich auf die Evangelien des Neuen Testaments angewiesen. Derjenige, der das Christentum erst zur Weltreligion machte, war Paulus. (Vgl. 22-24 und 0-2 sowie 2-4).
Vgl. auch: Kirchenstaat in Ur-/Vorform sowie die ersten Fälschungen und die Bezeichnung „Patrimonium Petri“.
Brunhilde (um 550 – 613) war fränkische Königin, seit 567 verheiratet mit Sigibert I. von Austrien. Sie regierte nach dessen Ermordung (575) im austrischen, ab 592 auch im burgundischen Teilreich Frankens, unterlag dem Bündnis des austrischen und burgundischen Adels. Brunhilde wurde 613 zu Tode geschleift. Ihr Name lebt im Nibelungenlied fort. In der Nibelungensage ist Brunhilde (Brynhilde) die (nord)germanische Walküre, die wegen Ungehorsams gegenüber Odin (Wotan) verstoßen und zur Strafe in Schlaf versenkt wird (Märchenmotiv: Dornröschen). Im Nibelungenlied ist sie ein Riesenweib, das sich nur in Wettkämpfen gewinnen läßt (Märchenmotiv: Turandot). Ihre mythische Vorgeschichte, die in den nordgermanischen Liedern gestaltet ist, spielt noch ins Geschehen des Nibelungenliedes hinein, z.B. ihre ungeklärte Bekanntschaft mit Siegfried. Ein weiteres häufig aufgenommenes Märchenmotiv ist die Bindung ihrer übermenschlichen kraft an ihre Jungfernschaft.
Hausmeier (lat. major domus) ist die Lehnsübersetzung aus dem Lateinischen und meint bei den Franken und anderen germanischen Völkern den Vorsteher des königlichen Hauswesens und der Domänen. Seit etwa 600 im Fränkischen Reich Führer des kriegerischen Gefolges, drängten die Hausmeier der Merowinger die Könige völlig beiseite, indem sie als Führer des Adels in den Reichsteilen Austrien, Burgund und Neustrien dessen Interessen gegen die Könige durchsetzten. 751 ließ sich Pippin III. zum König wählen, womit das Hausmeieramt erlosch.
Austrien war damals der Teil des späteren Ostfrankenreiches (Deutschland), aber ohne Sachsen, Alemannien und Bayern.
Neustrien war damals der Teil des späteren Westfrankenreiches (Frankreich), aber ohne Bretagne, Burgund und Aquitanien.
Bonifatius (eigtl. Winfrid, 672/673 – 05.06.754) war der bedeutende Vertreter der angelsächsischen Mission, auch genannt: Apostel der Deutschen. Er wirkte zunächst in Thüringen und Friesland, seit 721 auch in Hessen, wo die Klöster Amöneburg und Fritzlar gegründetet wurden. 722 wurde er in Rom zum Bischof geweiht, und 723 setzte er seine Missionstätigkeit in Hessen fort. In Geismar bei Fritzlar fällte er die sogenannte Donareiche, um eine Verbindung zwischen Germanenkult und Christentum herzustellen. Auch in Thüringen kam es ab 725 mit Hilfe angelsächsischer Missionare zu Klostergründungen. Bonifatius war bestrebt, die fränkische Kirche neu zu organisieren. 732 wurde er in Rom zum Erzbischof ernannt. In Bayern gründete er 737/738 die Bistümer Passau, Regensburg und Freising, 745 auch Eichstätt. Salzburg wurde von ihm neu organisiert. Unter Karlmann (741-747) war auch die Gründung der Bistümer Würzburg, Büraburg und Erfurt möglich. Wahrscheinlich im Jahre 746 übernahm Bonifatius das Bistum Mainz. Er starb als Märtyrer in der Friesenmission.
Übersicht über die Vor- und Frühgeschichte der abendländischen Musik (Grundlagen / Träger):
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Hymnischer Chorgesang / Ambrosius (339-397), der aus Trier stammte und Bischof von Mailand war.
Gregorianischer Gesang (Gregorianischer Choral; 1stimmige Gregorianik) / Papst Gregor I. (540-604).
(Psalmodie vom Wortakzent bestimmt; Antiphonen, Respondorien, Hymnen).
Organum: früheste Form (7. Jh.) der Mehrstimmigkeit, Paraphonie zur gregorianischen Melodie.
Choralrhythmus, 40 Sequenzen / Notker der Stammler (Balbulus; 840-912), der Mönch im Kloster St. Gallen war.
Durch Klang gestützte Melodik / Gymel, Fauxbourdon (3stimmige Setzweise).
Mehrstimmigkeit / Studentenlyrik: Carmina Burana (Lieder aus Beuren; Kloster bei Bad Tölz, 11., 12., 13. Jh.).
Erwachendes rhythmisches Bewußtsein / Minnesänger, W. von der Vogelweide u. a., Kreuzritter, fahrende Sänger.
Ars antiqua (Organum wird Discantus: abgetrennte Gegenstimme) / Leoninus (12.Jh.), Perotinus Magnus (13. Jh.).
Conductus (mehrstimmiges Vokalwerk der Ars antiqua) und Motetus (3 Stimmen, scharf gegenseitig abgesetzt).
Früheste Polyphonie, Mensuralmusik (gemessene Musik: festgelegte Notenwerte) / Franko von Köln (13. Jh.).
Früheste ausgereifte polyphone Satztechnik, z. B. (Sommerkanon), Rondeaus / z. B. Adam de la Halle (13. Jh.).
Meistergesang / Meistersinger (14. Jh. bis 16. Jh., z.B. Hans Sachs, 1494-1576)
Ars nova, niederländischer Kontrapunkt und niederländische Polyphonie, mehrstimmiges deutsches Lied, Choräle bis zum Aufkommen der Instrumentalmusik (Paumann, 1452).

Posted in Hubert Brune on April 22, 2012 by androsch

Winter / Nacht
0 Uhr 6 Uhr
Ur-/Vorkultur & Zivilisation

2-4 Uhr
Embryonik oder Organbildung

Nach der Einnistung bilden sich um den Keim, jetzt Embryo genannt, schützende Fruchthüllen. Die Gebärmutterschleimhaut und die Hüllzellen entwickeln sich zum Mutterkuchen, zur Plazenta. Bekanntlich sind die Mutter und das embryonale Kind nicht nur zwei verschiedene Lebewesen, sie sind auch durch zwei verschiedene Blutgefäßsysteme voneinander getrennt, also von Anfang an zwei verschiedene Lebenssysteme in zwei verschiedenen Welten. Folgende Unterscheidung ist für jede werdende Mutter zu treffen, auch wenn viele Mütter sie häufig verwechseln oder nicht treffen wollen: mein Bauch gehört mir, aber: mein Kind gehört nicht mir. Die Wände der kindlichen Blutgefäße trennen das Blut von Mutter und Kind; sie bilden die Plazentaschranke. Sauerstoff und Nährstoffe aus dem mütterlichen Blut gelangen von der Plazenta aus durch eine Nabelschnur zum Embryo, während Stoffwechselprodukte über die Nabelschnur ins Blut der Mutter transportiert werden. Der Embryo nimmt, was er braucht, gibt ab, was er muß – ohne irgendeinen Kontakt zum System Mutter. Auf diese Weise verfahren auch embryonale Kulturen. Sie haben zunächst einmal mit den erwachsenen Kulturen, den Zivilisationen, nicht viel im Sinn. So bildeten z.B. die Germanen in den eroberten römischen Gebieten bald eine herrschende Minderheit, die die Kultur des Imperiums weder besonders schätzten noch zerstörten. Sie nahmen sich, was sie brauchten, aber sie zerstörten nicht das Kultursystem. Sie drückten dem fremden System einen germanischen Stempel und das zur ihrer eigenen Macht Notwendige auf. Derartige Übergänge müssen reformerisch, aber auch bruchlos sein. weil sich ohne eine gelungene Zweiteilung keine neue Kultur entwickeln kann. (Vgl. 22-24 und 0-2). Die Welt in Uterus und Mutterkörper verläuft während der Schwangerschaft auf genau diese Art. Zum Beispiel waren in der embryonalen Kulturphase der Antike, zwischen 1800 und 1600, aus Indogermanen und Altmediteranen diejenigen Protogriechen geworden, die man als die Organe der werdenden antiken Kultur bezeichnen kann. In der embryonalen Kulturphase des Abendlandes, von 375 bis 568, waren aus Germanen und Christrömern diejenigen Protoabendländer geworden, die über die Germanen-Reiche hinaus Organe ausbildeten, indem sie auf westliche Art anfingen, Mönche und Missionare zu werden. Die Vorbedingungen dafür waren die Entwicklung des Eremitenlebens und das Toleranzedikt von Mailand im Jahre 313, das die Christenverfolgungen beendete. Antonius der Große (251-356), auch der Einsiedler genannt, ging um 300 als Eremit in die Einsamkeit, in die ägyptische Wüste, und begründete auf diese Weise das Eremitenleben. Er gilt als Patriarch der Mönche. Pachomius war seit 308 ebenfalls Eremit und gründete um 320 das erste Kloster (Koinobitentum). Das Ziel war die Erlangung der Vollkommenheit durch strengste Askese. Von Ägypten aus verbreitete sich das Mönchtum im ganzen Morgenland. Basileios der Große (330-379) begründete seit etwa 370 eine für das griechische Mönchtum verbindliche Regel. Ebenfalls seit 370 entfaltete sich das westliche Mönchtum unter Einfluß der Vita Antonii. Es bildeten sich die abendländischen Organe aus, die einhergingen mit der Auslösung der sogenannten Völkerwanderung (3. Germanische Wanderung). 376 erhoben sich die durch Ansiedlungsvertrag in das Römische Reich aufgenommenen Westgoten; sie besiegten die Römer bei Adrianopel (378). 379 gab es eine erneute Ansiedlung der Ostgoten in Pannonien und der Westgoten in Makedonien, Thrakien und Moesien. 380 wurde der Arianismus, dem die Goten anhingen, verboten und der Athanasianismus Staatsreligion. Der westgotische König Alarich begann mit seinem Volk eine Plünderung durch Balkanhalbinsel und Peloponnes und wurde zum Heermeister Illyriens, zum Magister militum per Illyricum ernannt. Von hier aus unternahm er seine Angriffe gegen Italien (401-403), wo seit 380, nach Bekanntwerden des Mönchtums, bereits westliche klosterartige Einrichtungen entstanden. 391 wurde das Christentum Staatsreligion und 395 das Römische Reich geteilt. Ost- und Westrom sollten von nun an getrennte Wege gehen. 451 lieferte die entscheidende Schlacht auf den Katalaunischen Feldern ebenfalls einen Beitrag zur Organisation des Abendlandes: Attila wurde hier besiegt vom westgotischen König Theoderich I. (418-451), der dabei fiel, und vom römischen Feldherrn Aetius. Der ostgotische König Theoderich der Große (453-526) regierte in Ravenna und war, nachdem das Römische Reich 476 aufgelöst und Italien vom germanischen König Odowaker regiert, dieser aber von den Ostgoten 489/493 besiegt worden war, auch Herrscher über ganz Italien. Die römische Verwaltung wurde mit der Militärherrschaft der Ostgoten verbunden. Was die Franken betriftt, gilt es nicht nur zu beachten, daß sie oft zeitgleich regierende Könige und Teilkönige hatten, sondern auch mindestens zwei Linien. (Vgl. unten). Die fränkischen Könige des 5. Jahrhunderts Richimer, Theudomer und Sigibert I. vertraten die rheinfränkische Linie, und die salische Linie vertraten Chlodjo, Chlodobad, Merowech, Childerich I. und Ragnachar, wobei die letzten beiden Könige in das 6. Jahrhundert hineinregierten. Im 5. / 6. Jahrhundert brachte immer bekannter werdende Könige hervor, z.B. Richar, Rignomer, Chararich, Chlodwig I. (um 466 – 511), Theuderich, Theudebert I., Theudebald, Chlodomer, Childebert I. und Chlotachar I. (= Chlothar I.). (Vgl. 0-2 und 4-6). In Gallien wurde der letzte Statthalter 486 von Chlodwig I., dem Sohn Childerichs I. und Vater Childeberts I., vertrieben. Chlodwig I., seit 482 König, sollte das Reich noch erheblich vergrößern und 496 vom Arianismus zum Katholizismus übertreten. Als er 511 starb, war ein Staatswesen begründet, das germanische Franken und Galloromanen vereint hatte. Das germanische Prinzip des Nachfolgerechts aller Königssöhne führte ab jetzt jedoch zu immer neuen Reichsteilungen und Kämpfen zwischen den Teilkönigen. Auch nach außen war dieses Reich in ständigen Folgen von Kriegen gegen die Nachbarn verwickelt, und zwar auf ganz interessante siegreiche Art: um 500 Sieg über die Burgunder mit Hilfe der Westgoten, 507 Sieg über die Westgoten mit Hilfe der Burgunder, 531 Eroberung des Thüringerreiches mit Hilfe der Sachsen. Unter Theudebert I., Childebert I. und Chlothar I. erfolgte 532 bis 534 die Unterwerfung des Burgunderreiches. Rest-Alemannien, die Provence und das Mittelmeergebiet wurden 535-537 fränkisch. Bayern wurde 539 angeschlossen. Wenn auch Alemannien und Bayern bald wieder selbständiger werden sollten, so wurden sie doch später wieder heim ins Frankenreich geholt. (Vgl.Tabelle und 4-6). Auch das waren wichtige Schritte in der Organogenese. Sie waren Organbildungen staatlicher Art in der embryonalen Geschichte des Abendlandes. Ein weiteres wichtiges Organ war die 529 erfolgte Gründung des Klosters Monte Cassino in Kampanien durch Benedikt von Nursia (480-543). Das Kloster wurde das erste abendländische Kulturzentrum. Die Benediktinerregel, z.B. die Verpflichtung zu Eigentumsverzicht, Keuschheit, Gehorsam und Ortsbeständigkeit, sollte sich wie ein roter Faden durch die weitere abendländische Geschichte ziehen. Die ersten europäischen Klosterschulen entstanden nach der Gründung des Benediktinerordens. Die abendländische Hirnentwicklung vollzog sich in den eben angegebenen Prozessen: das klösterliche Neuralrohr sollte ab jetzt das Basisorgan für das abendländische Gehirn in Gang setzen – über das 3-Bläschen-Stadium, in dem Vorder-, Mittel- und Rautenhirn angelegt wurden, bis hin zum 5-Bläschen-Stadium, das bereits das Vorderhirn in 2 Hemisphären des Großhirns gut erkennbar einteilte. Diese 2 Hemisphären waren der Ausgangspunkt, d.h. ein Unendlichkeitsraum der abendländisch-faustischen Mission und Forschung: ora et labora!
Auch die embryonale Antike war noch so klein, daß man, um Überreste aus dieser Zeit zu finden, nur von dem übermächtigen Einfluß der Kreter ausgehen kann. An der Kunst, besonders an der Wandmalerei der Kreter in Knossos fallen die erstaunlichen Übereinstimmungen mit derjenigen in Vorderasien auf. Die Beziehungen der Kreter zur mesopotamisch-sumerischen Kultur () und zur ägyptischen Kultur () waren besonders zu Beginn dieser Phase immer noch stärker als die zum griechischen Festland. Am Ende dieser Phase konnten sich jedoch die auf dem griechischen Festland beheimateten Mykener immer mehr behaupten und den Versuch starten, zum Konkurrenten der Kreter zu werden. Ähnlich verhielt es sich mit den Germanen, die das Römische Reich eroberten und zum Konkurrenten der durch die Reichsteilung (395) zu „Oströmern“ gewordenen Byzantiner wurden. (Vgl. Oströmisches Reich = Byzantinisches Reich).

Die Karten zeigen die Entwicklung vom 3. bis zum 7. Jahrhundert.

Schon während der 2. Germanischen Wanderung, also noch vor der sogenannten Großen Völkerwanderung, der 3. Germanischen Wanderung, hatte sich das germanische Element verstärkt und war bereits im 3. Jahrhundert tragende Säule im römischen Staat: Germanen waren zu den höchsten Befehlshaber- und Verwaltungsstellen des Römischen Reichs aufgestiegen. Die Westgoten hatten sich bereits dem arianischen Christentum verschrieben. In den Donauländern und südlich davon bildeten Goten, Heruler, Rugier, Skiren und Wandalen Reiche. Unruhen begannen erst wieder mit der Durchbrechung der Rheinbefestigungen durch die Alemannen und Franken (seit 350), weshalb Rom die Rheingrenze bald aufgab (401). Weitere Unruhen gab es durch die Donau-Überschreitungen der Quaden und Markomannen (seit 357) sowie durch den Wiederausbruch der Kämpfe mit den Westgoten (367). Die 3. Germanische Wanderung, die bekannteste unter den Völkerwanderungen, wurde 375 durch den Vorstoß der Hunnen ausgelöst, in deren Verlauf auf dem Boden des Imperiums Romanum immer mehr germanische Reiche entstanden, die im europäischen Raum den antiken Zustand der Mittelmeerwelt endgültig beendeten. Das südosteuropäische Reich der Goten, östlich der Donau und nördlich des Schwarzen Meeres gelegen, war der Sage nach in ein westgotisches und ein ostgotisches Reich geteilt worden, wobei die Namen nicht erklärbar sind; mit den Himmelsrichtungen haben sie eigentümlicherweise nichts zu tun. Die Ostgoten, möglicherweise die strahlenden Goten (= Austrogoti), hatten altes griechisches Kulturland und die von Griechen erschlossene Krim erobert, sie hatten kleinasiatische Städte geplündert und in Ephesos die berühmte Statue der Artemis zerstört. Erst der von 324 bis 337 regierende Konstantin der Große konnte ihren Ansturm beenden. Viele Goten wurden Christen, genauer: Arianer, z.B. der Westgote Wulfila (got. Wöfchen, 311 bis 381), ein Zeitgenosse des Arius (260-336). Bischof Wulfilas Missionen und seine Bibelübersetzung ins Gotische waren für den abendländischen Organismus wegweisend. Als die Goten endlich zur Ruhe gekommen waren, erstreckte sich ihre Herrschaft von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. König Ermanarich aus dem Geschlecht der Amaler, dessen Reitertruppe gefürchtet war wie heute eine gut ausgebildete Luftwaffe, pflegte sogar diplomatische Beziehungen zum römischen Weltreich. In der germanischen Heldendichtung wurde er später als mordlustiger Tyrann geschildert, der sein Weib und seinen Sohn ermorden und seine Neffen, die Harlunge, henken ließ. Auch soll er Dietrich von Bern, einen anderen Neffen, der Sage nach aus dem Land vertrieben haben, später aber von ihm besiegt worden sein. Dem Ansturm der hunnischen Horden war nichts gewachsen; sie wirkten auf die antike Welt wie Geschöpfe aus der Unterwelt (griech.: Tartaros) – daher der Name Tartaren. König Ermanarich, am Widerstand gegen die zweifüßigen Untiere verzweifelnd, gab sich selbst den Tod. Von nun an waren die Hunnen der Schrecken des Abendlandes in der noch-antiken Welt. Sie waren und sind ein gern gebrauchtes Synonym für den Unmenschen, oft verwechselt mit den Ungarn und Hussiten. Im Nibelungenlied lebten diese Hunnenbegegnungen auch unter positivem Aspekt fort. Ein Teil der Goten unterwarf sich den Hunnen, andere Gruppen wichen südwärts bis in die Krim und zum Kaukasus aus; in der Krim haben sie sich bis ins 20. Jahrhundert gehalten, im Kaukasus ebenfalls, allerdings unter dem Namen Inguschen, von den Russen als Deutsche angesehen. Ihre Sprache ist das Altgermanische gewesen; sie dürften die Wirren des 1. Weltkrieges, die Kämpfe und Umschichtungen der Oktoberrevolution, Stalins menschenverachtende Säuberungen und den 2. Weltkrieg kaum überstanden haben. Ein anderer Flüchtlingsstrom der Goten erreichte die römische Provinz Dakien, das heutige Siebenbürgen; dies war der unmittelbare Anstoß für die Gotenzüge, die bald bis vor die Tore von Konstantinopel führen sollten (Westgoten). In Dakien saßen westgotische, offenbar rivalisierende Stämme unter den Königen Athanarich und Fritigern. Als eine Hungersnot ausbrach, überschritt Fritigern mit seinen Anhängern die Donau und forderte von den Römern Land zum Siedeln. Auch die vor den Hunnen geflüchteten Goten drangen über die Donau vor, fühlten sich aber bei der Landverteilung betrogen und begannen zu plündern. Von nun an gab es keine gemeinsame Geschichte der Goten mehr. Die Austrogoti und Wisigothae, hier Ostgoten und Westgoten genannt, hatten ab jetzt getrennte Schicksale. Hinter allen Bewegungen stand wahrscheinlich Land- und Existenznot, auch ausgelöst durch wachsende Völker und Klimaschwankungen. Ausgreifende Politik der „Hochkulturen“ spielte auch eine Rolle, die durch Schaffen von Vakuum-Räumen nach der Vernichtung und Vertreibung von Stämmen andere in ihr Kräftefeld hineinsog, durch Bündnisse band und sie gegeneinander einsetzte, z.B. Rom die Goten und Hunnen in Südosteuropa, später Byzanz die Gepiden und Langobarden. Auch die westlichen Provinzen des Römischen Reiches versuchten in steigendem Maße dem germanischen Druck standzuhalten. Um die Mitte des 3. Jahrhunderts erreichten die Alemannen und Sweben Oberitalien und wurden 258/259 bei Mailand geschlagen, zugleich stießen Franken über den Limes nach Gallien vor. Wenig später tauchten die Burgunder auf, die, aus dem Norden stammend, über Burgundarholm (Bornholm) ins Mündungsgebiet der Weichsel einwanderten. Man weiß, daß die Burgunder nach Westen gezogen sind, ohne Einzelheiten dieser Wanderungen zu kennen. Im Jahre 279 wurden sie von den Römern geschlagen, um 286 waren sie an einem Vorstoß der Alemannen beteiligt, der bis weit nach Gallien führte. So wurde die Rheingrenze immer wieder von Angriffen jener Germanenstämme erschüttert, die außerhalb des Imperiums, in der Germania magna (libera), lebten. Der obergermanisch-rätische Limes, die große Mauer des Römischen Reiches im Norden, hielt bis zum Jahre 254 und wurde noch im selben Jahr von den Alemannen endgültig überrannt. Die Rheingrenze aber wurde so lange verteidigt, bis die Kraft des römischen Heeres auch hier nicht mehr ausreichte, die von allen Seiten angreifenden Germanen zu bändigen. Gegen die Westgoten schlug der Reichsfeldherr Stilicho, ein Wandale, 401 bei Asti und Verona mehrere siegreiche Schlachten, und als im Jahre 405 die Ostgoten verstärkt durch die aus Persien stammenden Alanen, die Donaugrenze überrannten und plündernd über die Alpen in die Toskana vordrangen, alarmierte Stilicho die Truppen an der Rheingrenze, die in langen Märschen schließlich Oberitalien erreichten. Dem Reichsfeldherrn gelang es, die Feinde im Sommer 406 bei Fiesole zu schlagen – aber er glich einem Schuldner, der neue Schulden macht, um seine alten Schulden abzuschütteln. Die Folgen seiner verzweifelten Versuche, zugleich gegen die Goten und das östliche Rom, nämlich Konstantinopel, zu kämpfen, ließen nicht lange auf sich warten. Weil jetzt die Rheingrenze nicht mehr über ausreichende Mengen von Truppen verfügte, überschritten zu Neujahr 406/407 die seit Jahren unruhigen Germanenstämme, denen vermutlich die Hunnen im Nacken saßen, den Rhein und strömten nach Westen und Süden. Ostgoten und Heruler, Wandalen und Burgunder, schließlich auch die Sweben gerieten in Bewegung und zogen nach Italien, nach Gallien, auch über die Pyrenäen hinweg bis nach Spanien und Portugal, sogar über das Meer hinaus nach Afrika. Die Franken waren auch schon im 3. Jahrhundert mit den Römern in großen Konflikt gekommen, bevor sie im 4. Jahrhundert weite Teile Galliens übernahmen und in Vorstößen bis nach Marokko gelangten (außerdem saß von 350 bis 353 mit Flavius Magnentius, dem Sohn eines fränkischen Kriegsgefangenen, ein Germane auf dem römischen Kaiserthron ). Schon unter Kaiser Aurelian (270-275) und Kaiser Probus (276-282) mußten die Römer gegen die Franken kämpfen, nahmen sie jedoch auch in römischen Dienst und siedelten fränkische Kriegsgefangene am Schwarzen Meer an. Während, wie erwähnt, die Alemannen über den Rhein und die Donau, also im Elsaß, in der heutigen Rheinpfalz, in den Alpentälern und in Südeuropa seßhaft wurden, nahmen die Franken das Gebiet der Bataver und Friesen in den heutigen Niederlanden, später das Moselgebiet in Besitz (). Die Markomannen durchbrachen bereits im 2. Jahrhundert die Grenze nach Istrien. Ganz Europa, von Griechenland bis zur Atlantiküste (Europas und Nordafrikas!), wurde in jenen Jahren zum Schlachtfeld wandernder Germanen, die Land suchten und sich nahmen, was sie brauchten. Schriftliche Zeugnisse aus jener wilden Zeit des Aufruhrs sind selten. Nur die Zerstörung und Plünderung Roms durch die Westgoten unter Alarich hat im Jahre 410 weltweites Echo hervorgerufen, während die Besetzung Englands durch die Sachsen, Angeln und Jüten (Friesen), die schon im 3. Jahrhundert begann und etwa um 400 bis 450 ihren Höhepunkt erreichte, nahezu unbemerkt stattfand. Zusammen mit den Franken waren die Angelsachsen in belgisches Gebiet vorgestoßen, was diese als Sprungbrett nutzten, um Britannien zu besetzen. Die Römer hatten Britannien schon Ende des 4. Jahrhunderts aufgegeben, die Britannier brauchten die Germanen im Kampf gegen die Pikten (aus Schottland) und die Angelsachsen schlüpften direkt in die Rolle der Römer. Nicht die Angelsachsen paßten sich den Britanniern, sondern die Britannier paßten sich den Angelsachsen an. Die Britannier übernahmen Sprache, Religion und sonstige Bräuche der Germanen. Die Angelsachsen, mit ihrer Heimat in Skandinavien und Norddeutschland verbündet, empfanden mehr als alle anderen Germanen eine tiefe Abneigung gegen die christliche Religion des europäischen Kontinents. Schon damals behaupteten die Germanen in England die uns heute noch geläufige „Inselmentalität“. Sie waren die Herren und die Britannier die Knechte. Die Angelsachsen verboten den Britanniern die Ehe, so daß es schon bald in England keine Britannier mehr gab.

6. Teilung (395) in:
West- und Ostrom
Im Zuge dieser Ereignisse veränderte sich die Landkarte des Römischen Reiches, das sich selbst schon 6-mal geteilt hatte (254, 293, 305, 337, 364, 395) und die Entstehung germanischer Reiche dulden mußte. Während die Großgrundbesitzer erschlagen wurden oder flohen, ganze Städte in Flammen aufgingen und das Land verwüstet wurde, siedelten sich Germanen neben den Trümmern der Städte an. Sie degradierten die bisherigen Einwohner, zumeist Gallorömer, zu Menschen zweiter Klasse, zu Untertanen, die den neuen Herren zu dienen hatten. So ungenau sind die Nachrichten, so widersprüchlich ist das Bild dieser Epoche, daß noch heute umstritten ist, ob mit der Bildung der germanischen Reiche die „Antike“ zu Ende ging oder das „Mittelalter“ begann, ob eher das germanische Element diese Reiche trug oder die aus Roms Kaiserzeiten überkommene Infrastruktur. Die Konflikte des Römischen Weltreiches waren unlösbar, und auch die der ehemaligen Barbaren, die sich auf der Suche nach Land quer durch die Provinzen des Südens kämpften. Die Lebensverhältnisse der antiken Welt sind nur in Ausnahmefällen ein Thema für den Chronisten gewesen. Wie aus barbarischen Verbündeten unentbehrliche Hilfstruppen, aus Hilfstruppen arrogante Bundesgenossen und aus germanischen Sklaven Herren wurden, ist von zeitgenössischen Chronisten selten dargestellt worden. Eine ganz andere Sache war es aber, wenn sich Herrscher dieser Barbaren, die natürlich längst keine Barbaren mehr waren, anmaßten, auf römischem Boden eigene Reiche zu errichten. In Nordafrika z. B., auf römischen Boden, hatte König Geiserich im Jahre 429 sein Wandalenreich errichtet, das über ein Jahrhundert überstand und die bestimmende Macht im westlichen Mittelmeer war, Sardinien, Korsika, die Balearen, das westliche Sizilien eroberte und 455 Rom plünderte. Der Gedanke der Staatsgründung war konsequent. Schon Alarich, der König der Westgoten, der bereits 410 Rom geplündert hatte und der Schrecken der Italiker war, muß sich mit solchen Gedanken getragen haben, bevor er in diesem Jahre 410 während eines weiteren Zuges bei Cosenza starb. Sein Nachfolger Athaulf ist diesem Ziel einen Schritt näher gekommen, als er in Narbonne die Frau, die er lange als Geisel mitgeführt hatte, die Prinzessin Galla Placida und Tochter des Kaisers Theodosius d. Gr., heiratete, um Römertum und Germanentum zu versöhnen. Für Athaulf, den Gotenkönig, war die Verbindung mit Galla Placida ein hochpolitischer Akt. Er hätte seine frühere Gattin, von der er sechs Kinder besaß, verstoßen müssen, wenn sie nicht gestorben wäre – sein Ziel schien ihm allerdings solche Korrekturen der Situation zu rechtfertigen. Die Hochzeit selbst, ein spektakuläres Ereignis, ist im Jahre 414 in Narbonne mit allen Mitteln der Epoche stilisiert worden, aber nicht etwa nach germanischen Rechtsbrauch, sondern nach römischer, noch nicht christlicher Hochzeitssitte. In einer römischen Villa fand die Hochzeit statt, der ehemalige Marionettenkaiser Attalus führte den Hochzeitsreigen an, man feierte nicht in germanischer, sondern römischer Kleidung, und der Gote nahm nicht den ersten, sondern den zweiten Platz ein: die Imperatrix saß zur Rechten. Das Ziel dieser mit viel Überredungskunst erreichten Hochzeit war klar: der Gote gehörte durch diese Ehe zum kaiserlichen Haus, die Römer hatten in ihm den rechtmäßigen Herrn zu sehen, und die Prophezeiung des Propheten Daniel schien erfüllt, die von einer Verbindung des Herrschers im Osten mit dem König aus dem Norden sprach. Die Integration der Germanen war ein Wunschtraum der Zeit, und in Narbonne schien sie durch die Hochzeit beispielhaft gegeben. Später zog Athaulf an der Spitze seiner Krieger durch Südgallien nach Spanien. Konservative Goten erhoben danach einen der ihren, den König Sigrich, auf den Schild, und der ließ, ehe er selbst nach 8 Tagen ermordet wurde, die legitimen Kinder seines Vorgängers umbringen. Sein Nachfolger Walja hielt Galla Placida immer noch als Geisel, denn sie war ein Faustpfand im Spiel um die Macht. Es kam zwischen König Walja und Byzanz zu einem Kompromiß: Placida wurde Byzanz zurückgegeben, der König erhielt eine Getreidelieferung, und die Goten wurden die von Byzanz beauftragte Schutzmacht in Spanien gegen die Alanen, Sweben und Wandalen, die bisher die Herren des Landes gewesen waren. Die Wandalen wichen nach Süden aus und setzten sich zunächst in jener Landschaft fest, die möglicherweise heute noch ihren Namen trägt: Wandalusia (= Andalusien). Die Wandalen mußten aber dann unter dem Druck der Westgoten nach Afrika ausweichen. Die Goten erhielten die Landschaft Toloso (Toulouse), die eine fruchtbare Gegend war. Im Kampf gegen Attila (445-453) erreichte der Westgoten-König Theoderich I., der 451 auf den Katalaunischen Feldern fiel, weltgeschichtliches Format, denn der Hunnen-König wurde hier ja bekanntlich zum ersten und einzigen Mal besiegt – vielleicht wegen der wütenden Goten, die sich auf dem Schlachtfeld für den Tod ihres Königs sogleich rächten. Eine Blütezeit erlebte das Westgoten-Reich unter dem König Eurich (466-484), der damals der mächtigste Mann in Westeuropa war. Er hatte ganz Spanien unterworfen bis auf einen geringen Rest, die Landschaft Galizien, in der sich Sweben festgesetzt hatten. Eurichs Reich erstreckte sich von Toledo bis nach Nizza, von der Mittelmeerküste im Süden bis zur Bretagne im Norden, und an seinem Hof drängten sich die Gesandtschaften und Bittsteller, die Kaufleute und Geistlichen aus vieler Herren Länder. Unter der Herrschaft dieses Königs wurden die Provinzialrömer nicht verfolgt, und es scheint, als habe er die kulturelle Überlegenheit der römisch-griechisch orientierten Bildung als selbstverständlich anerkannt. Mehrfach betraute er Römer mit hohen Verwaltungsfunktionen im Staat. Eurich begriff, wie einst Athaulf, die Wohltat eines geordneten Rechtswesens: auf seinen Befehl ist zum ersten Mal das westgotische Gewohnheitsrecht aufgezeichnet worden.
Mit den Sweben war schon Cäsar im Jahre 58 v. Chr. in Berührung gekommen, als er gegen die Helvetier und die germanischen Triboker unter Ariovist († um 54) kämpfte. 500 Jahre später herrschten die Sweben in Nordwestspanien und Portugal, über ein Land also, das die Wandalen gerade verlassen hatten (um 425/430). Zum katholischen Christentum bekannte sich der swebische König Rechiar während seiner Regierungszeit von 448 bis 456. Nach seiner Bekehrung führte er Kriege gegen die Basken. Sein Reich war offenbar so mächtig, daß Theoderich der Große es für richtig hielt, das Bündnis des swebischen Königs zu suchen und ihm eine seiner Töchter zur Frau zu geben. Die Macht schien den Sweben zu Kopf gestiegen zu sein, denn römische und westgotische Gesandtschaften konnten ihre ständigen Plünderungen nicht mäßigen und mußten am Ende gegen sie kämpfen. Der westgotische König Theoderich II. schlug 456 die Sweben so überzeugend, daß König Rechiar nur mit Mühe auf die See entkam, aber zurück an die Küste getrieben, gefangen und getötet wurde. Swebien geriet ab jetzt immer mehr unter gotische Oberhoheit. Mehrfach mißglückte der Versuch, die westgotische Herrschaft abzuschütteln, zuletzt im Jahre 585, als die Feldherrn des Westgotenkönigs Leowgild den rebellischen Sweben Molarich schlugen und in Ketten nach Toledo schickten. Damals ist das Swebenreich im spanischen Westgotenreich aufgegangen. Es gibt wahrscheinlich noch heute Verschiedenheiten zwischen Portugiesen und Spaniern, die auf jene Unterschiede zwischen den verwandten Sweben und Goten zurückgehen. Noch im 16. Jahrhundert, zur Zeit König Philipps II., des Sohnes Kaiser Karls V., beschimpften die Kastilianer die Portugiesen als los Sevosos oder los Suevosos. Für Schimpf- und Spottnamen haben Völker eben ein langes Gedächtnis.
Im damaligen Zeitalter der rigoros gehandhabten Glaubensfragen, der Machtkämpfe zwischen Königtum und Adel, der verjährten und neuen Besitzansprüche aus römischer Reichstradition, war Politik genauso kompliziert wie heute, und das Kräfteverhältnis der Völker änderte sich ständig. So wurden die Franken im Jahre 486 die Nachbarn der Westgoten, weil Chlodwig I. (466-511) die Römer in Gallien besiegt hatte (486). Beide germanischen Reiche strebten nach Vergrößerung, nach Abrundung ihrer Reiche (). Dabei hatten die Franken unter dem schlauen und rücksichtslosen Merowinger Chlodwig I. einen gewissen Vorteil, denn seit er sich zum katholischen Christentum bekannt hatte, war er in der Sicht des mächtigen Byzanz zum Vorkämpfer des rechten Glaubens geworden, im Gegensatz zum Arianismus, dem gerade die ostgermanischen Stämme anhingen und der im Konzil von Nicaea 325 verurteilt worden war. Aber auch die katholische Unterschicht in Gallien und Spanien sympathisierte mit den Franken, während die Westgoten ihren König Alarich II. (484-507) zum Angriff drängten, obwohl dieser erst das Eintreffen von ostgotischen Hilfstruppen abwarten wollte, die Theoderich der Große (453-526), sein ostgotischer Schwiegervater, ihm zu schicken versprochen hatte. Die Schlacht im Jahre 507, nordwestlich von Poitiers am Flüßchen Clain geschlagen, endete mit der Niederlage der Westgoten und mit dem Tod Alarichs II., von den Chronisten als Strafe für seinen arianischen Ketzerglauben und als Gottesurteil aufgefaßt. In den Krieg zwischen Westgoten und Franken hatte Theoderich d. Gr. in erster Linie deshalb eingegriffen, weil eigene Interessen bedroht waren. Er konnte nicht zulassen, daß ganz Gallien den Franken zufiel. Dies war der einzige größere Krieg, den der das alte Römerreich beherrschende Ostgote Theoderich d. Gr. geführt hat, und er, der Arianer, machte einen Katholiken zu seinem Feldherrn. Die Provinzialrömer sollten sich vor dem Angriff der ostgotischen Heere nicht fürchten. Tatsächlich gelang es dem Herzog Ibbo, die Franken bei Arles und Carcasonne zu schlagem. Die Franken gaben weitere Angriffe auf. Die eroberten Gebiete blieben allerdings für die folgenden Jahre in ostgotischer Hand. Politisches Ziel Theoderichs d. Gr. war ein gegen Byzanz gerichtetes germanisches Bündnissystem, das er durch dynastische Heiraten zu stärken suchte. Auch die westgotischen Besitzungen in Spanien stellte der Ostgote Theoderich d. Gr. für seinen Enkel Amalarich unter seinen Schutz und führte die Regentschaft: der gefallene König Alarich II. hatte eine Tochter des Ostgotenkönigs zur Frau gehabt. Gallien jedenfalls war zum größten Teil für die Westgoten verloren. Es hätte nicht viel gefehlt, und die Franken hätten schon damals das ganze Land in ihren Besitz gebracht. Das westgotische Reich in Spanien hat zwei Epochen erlebt, die bezeichnenderweise durch das religiöse Bekenntnis charakterisiert sind: die arianische Zeit dauerte von 419 bis 587, die katholische Zeit von 586 bis 711. (Vgl. 4-6). Es lohnt sich nicht die Folge der Westgotenkönige aufzuzählen, die meist durch Mord endeten: kein Bild könnte ungermanischer sein als dieses zähe Ringen um die Macht, das eher an Palastintrigen am Hof von Byzanz erinnert. Ursprünglich waren die Goten die unumschränkten Herrscher des Landes, und nur sie waren freie Männer; Ehen zwischen Goten und Römerinnen waren verboten. Erst König Leowgild (567-586) hob dieses Verbot formal auf, da es schon lange nicht mehr eingehalten wurde. Damit war ein wichtiger Schritt zur inneren Einigung des Reiches getan. König Leowgild ist von den fränkischen Merowingern noch einmal zum Kampf gezwungen worden, siegte aber in mehreren Gefechten und starb, während die Friedensverhandlungen im Gange waren, in hohem Alter in Toledo. Damit endete die arianische Epoche; sein schon zu Lebzeiten als Mitregent eingesetzter Sohn Rekkared I. verlor keine Zeit und bekannte sich unmittelbar nach der Krönung zum Katholizismus. Zu Lebzeiten des Vaters wäre das undenkbar gewesen. Als dieser Rom zugewandte König sich von einem rechtgläubigen Priester durch Handauflegen bekehren, bekreuzen und mit heiligem Öl salben ließ, konvertierten mit ihm alle anwesenden Bischöfe des arianischen Bekenntnisses. Im Jahre 603 fiel die Macht an den gotischen Adeligen Witterich, und im Jahre 633 wurde das alte Erbkönigtum durch ein Wahlkönigtum ersetzt: Adel und Bischöfe teilten sich fortan die Macht. (Vgl. 4-6). Im Schatten der Kämpfe zwischen den Goten und Byzanz, die alle Kräfte des Mittelmeerraumes anspannten, konnten die Franken ihre Angriffe gegen die Thüringer und Westgoten führen. Ein wichtiger geopolitischer Vorteil. Der Ostgotenkönig Theoderich der Große war in seiner Eigenschaft als Herrscher des ehemaligen Römischen Reiches ziemlich erfolgreich, nur scheiterte er mit seinem Versuch, durch Eheverbindungen seiner Familie mit Westgoten-, Burgunder-, Wandalen- und Thüringerfürsten das westeuropäische Staatengefüge zu stabilisieren, wenn auch die Idee richtig, weil richtungsweisend, war. Das Scheitern einer Heiratspolitik sollten nach ihm noch viele andere Herrscher, insbesondere deutsche Dynastien, erleben. Das fränkische Staatswesen Chlodwigs wurde immer mehr ein Konkurrent zu den ost- und westgotischen Reichen sowie zu Byzanz. Die Sorgen, die Theoderich der Große wegen der Thronfolge und der Spannungen zwischen Arianern und Katholiken den Lebensabend verdunkelten, hatte der Franke nicht. Boethius, der Ratgeber am Hof des Ostgotenkönigs Theoderich gewesen war und nun im Gefängnis den Trost der Philosophie verfaßte, wurde zusammen mit seinem Schwiegervater Symmachus wegen Hochverrats hingerichtet. Die Nachfolger im ostgotischen Reich, Witigis, Hildebad, Erarich (ein Rugier), Totila und Teja, regierten in den folgenden 30 Jahren der sich ständig wechselnden politischen Verhältnisse, nämlich im Kampf gegen den byzantinischen Kaiser Justinian (527-565) und seine Feldherrn Belisar und Narses. Theoderich dem Großen waren diese chaotischen Verhältnisse erspart geblieben. Er liegt in Ravenna begraben. Nach seinem Tod im Jahre 526 wurde Theoderich früh zur Sagengestalt: Dietrich von Bern ist die als Schicksal überlieferte tragische Umdichtung dieses Begründers der Gotenherrschaft in Italien, der den ersten germanischen Herrscher in Italien, den Skiren Odoaker bekämpfte, dann besiegte und dadurch 489/493 ganz Italien gewann. In zahlreichen Epen wurde Dietrich von Bern, Theoderich der Große, eine Idealgestalt des Rittertums.
Papst Damasus I. (reg. 366-384) war die erste wirklich plastische Gestalt des Papsttums, von einem schwer durchschaubaren, harten und skrupellosen Charakter, der den politischen, geistigen und kirchlichen Umwälzungen seiner Zeit, auch den immer stärker sich abzeichenden Verknüpfungen kirchlicher und staatlicher Interesen jedoch in hohem Grade gewachsen war. Auf unklare Weise Papst geworden – gegen ihn hatten die Arianer einen gewissen Ursinus als Gegenpapst aufgestellt -, erkannte er klar den Wert der Macht. Im Dienste dieser Macht gelang es ihm mit geradezu genialem Spürsinn, die bedeutsamste Grundlage aller kommenden Machtfülle für die Papst-Monarchen zu schaffen. Er veranlaßte – hierin vom heiligen Ambrosius aus Trier (339-397), Bischof von Mailand (seit 374), als der einflußreichsten Autorität der Kirche unterstützt -, Kaiser Gratian (reg. 378-383), auf den seit jeher von den Imperatoren geführten Titel eines Pontifex Maximus zu verzichten und ihn den Bischöfen von Rom (also den Päpsten) zu übertragen. Einer Zeit, der dieser Titel durchaus konkret gegenwärtig war, mußte der demonstrative Verzicht durch den ersten „rechtgläubigen“ Kaiser und die Übertragung auf den Papst von zeichenhafter religiös-kirchlicher Bedeutung sein. Der Papst wurde damit zum ersten Repräsentanten einer neuen Kaiseridee. Nachdem mit Valens (reg. 375-378) der letzte arianische Kaiser gefallen war und die römische Weltherrschaft sichtlich zu zerbröckeln begann, ließ Gratian auch die Statue der Victoria aus dem Senat in Rom entfernen (382) und dokumentierte so in symbolhafter Weise den Untergang des heidnischen Romgeistes. Unterstützt von Theodosius I. (reg. 383-395), den Kirchenlehrern Basilius d. G. (ca. 330-379), Gregor von Nazianz (330-390) und Gregor von Nyssa (ca. 335-394) gelang es Papst Damasus I., den Arianismus weiter zu schwächen. Die Lehre von der Trinität wurde endgültig gefestigt und im Drei-Kaiser-Dekret (27.02.380) niedergelegt. Auf dem 2. Konzil (Konstantinopel, 381) wurde die arianische Lehre des Macedonius, der Heilige Geist sei ein Geschöpf Christi, verurteilt und dem Credo als Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum seine gültige Form gegeben. Nachdem Papst und Gegenpapst einander an Gewalttaten nichts nachgegeben hatten, war Papst Damasus I. schwer angeschuldigt, in einen Prozeß gezogen, jedoch freigesprochen worden. Angaben einer päpstlichen Synode zehn Jahre später und ein Brief des Ambrosius ließen daraufhin die in der Kirchengeschichte erstmalig erscheinende Behauptung zirkulieren, Kaiser Valentinian I. (reg. 364-375) habe die Bestimmung erlassen, Geistliche dürften nur von Geistlichen gerichtet werden. Der Papst erreichte auf dieser Synode auch, daß die staatlichen Organe, der später so berüchtigt gewordene „weltliche Arm“ als die hörige Verlängerung der Inquisition, hinfort die Durchführung der kirchlichen Verurteilungen übernehmen mußten, wenn diese erschreckende Entwicklung auch erst langsam begann. Mit einer neuen umfassenden Definition des Primates schuf der Papst auf einer weiteren Synode schließlich eine breite und haltbare Basis für kommende Erweiterungen der Macht. Den „primus inter pares“, als welcher der Bischof von Rom gedacht war, machte er vollends illusorisch, als er den Bischofssitz von Rom „Sedes Apostolica“ nannte (es ist der noch heute übliche Titel). Er behauptete weiter, die Kirche Roms sei von den Aposteln Petrus und Paulus gegründet worden (wovon keine Rede sein konnte, denn beide hatten eine bescheidene Gemeinde vorgefunden, mehr nicht. Nie waren sie als Gründer aufgetreten). Der nunmehr behauptete Doppelapostolat jedoch vermochte die Primatsvorstellungen ganz wesentlich zu erweitern. Unerwartete Hilfe kam von Kaiser Gratian, der die päpstliche Jurisdiktionsgewalt festsetzte, deren Grenzen schließlich kaum noch fixierbar waren. Das sollte für kommende Primatsansprüche gleichfalls von unschätzbarer Bedeutung werden und zeigt das Hand-in-Hand-Gehen mit der Staatsmacht besonders instruktiv. Endlich erließ Papst Damasus I. die erste Dekrale, Zeugnis der nun erwachten Vorstellung vom Papst-Monarchen und der gesetzgebenden Gewalt des Papsttums. Damit geriet der historische Apostel Petrus langsam in geplante Vergessenheit. An seine Stelle trat die Abstraktion Petrus, so daß von nun an jeder Papst sich Petrus nennen konnte. Nachdem auf einer Synode der Kanon der Heiligen Schrift festgelegt worden war, beauftragte Papst Damasus I. seinen Sekretär, den späteren Kirchenlehrer Hieronymus (ca. 345-420), mit der Herstellung des lateinischen Bibeltextes, der „Vulgata“.
Papst Symmachus (reg. 498-514) war der Urheber der ersten päpstlichen Fälschungen. Er wurde 498 in einer Doppelwahl von der Mehrheit gewählt, während die byzantinerfreundliche Minderheit einen Gegenpapst (Laurentius) wählte. Die daraus entstandenen Wirren wurden durch die Entscheidung Theoderichs d. Gr. für Symmachus vorübergehend beigelegt. Synoden sollten künftige Papstwahlen sichern. (Am 23.10.501 erklärte die „Palmensynode“ in Rom, ein Papst könne durch niemanden gerichtet werden. Wieso das auf einmal?). In diesem Zuammenhang entstanden erfundene Papstprozesse (Symmachianische Fälschungen), um die Doktrin zu stützen, der Papst könne von niemandem gerichtet werden. Die Unruhen endeten erst, als Theoderich 506 Laurentius endgültig fallen ließ. Symmachus hatte ziemlich zweifelsfrei Kenntnis von der Entstehung dieser Fälschungen, denn sie sind aus seiner Kanzlei hervorgegangen. (Das Gleiche betrifft übrigens auch die späteren Fälschungen – z.B. die „Schenkungen“ [vgl. Stephan II. und Leo III.] oder den „Pseudo-Isidor“ [vgl. Leo IV.]). Die Symmachianischen Fälschungen als Ganzes zeigen die erschreckende Skrupellosigkeit der Kurie. Die interessierte Kirchengeschichtsschreibung hat keinen Grund, die harten Tatsachen zu bagatellisieren und zu umgehen, am wenigsten den Silvester I. (reg. 314-335) untergeschobenen Satz: „Prima sedes a nemine judicatur“ – der päpstliche Stuhl ist nicht richtbar. Eine erste deutliche Zäsur war hier also erreicht – noch keine 300 Jahre nach dem Tode Jesu. Die Symmachianischen Fälschungen sind ein Fabrikat im Dienste des Primats, der Papst-Monarchie und der „absolutistischen“ Machtentfaltung. Der Pontifikat des Papstes Symmachus zeigte erstmalig, daß das Papsttum seine Gestaltwerdung mit Hilfe dunkler Mittel förderte.

Die Franken, die sich seit dem 3. und 4. Jahrhundert in römisches Gebiet vorgewagt hatten (0-2), leiteten um 500 durch den zum Christentum konvertierten Chlodwig I. eine Großmachtbildung des Fränkischen Reiches ein, d.h. sie wurden zum politisch wichtigsten Faktor des beginnenden „Mittelalters“. Chlodwig gliederte auch Gebiete zwischen Somme und Loire, Aquitanien und Alemannien ein. Das kleine Burgunderreich erlag 534 den Franken und wurde als politische Einheit aufgelöst. Schrittweise vergrößerte sich so das Gewicht des fränkischen Reiches. Im Gegensatz zum System des arianischen Ostgotenkönigs Theoderich in Italien, dem Nebeneinander von Goten und Romanen, gelang es Chlodwig und seinen Nachfolgern, durch die Verschmelzung von Germanen und Galloromanen ein gemeinsames Staatswesen zu begründen. Die Franken profitierten vom Zusammenbruch des Ostgotenreiches, von der Schwächung der Westgoten, den Siegen der Byzantiner, und sie überwältigten schließlich auch die Langobarden, die als Nachfolger der Ostgoten in Italien eine neue germanische Herrschaft eingerichtet hatten. (Vgl. 4-6).

Wie schon erwähnt, war die christliche Philosophie, die die Kirchenväter (Patristen) immer mehr durchsetzten, zunächst eine alexandrinische, d,h, eine mehr und mehr von spätgriechischen, jüdischen und christlichen Elementen bestehende Philosophie gewesen. In dieser Alexandrinischen Schule wurde der Versuch gemacht, aus der spätgriechischen Philosophie eine christliche zu machen. Die Patristik als Nabelschnur und die christliche Religion als Plazenta waren deshalb so bedeutend für das werdende Abendland, weil dieses ja auch mit magischen Kulturgenen ausgestattet ist. Die magische Kultur stellte die weiblichen Gene, die antike Kultur die männlichen zur Verfügung. Aus dem Gengemisch entwickelten sich kulturhistorische Faktoren, die man als kirchenväterlich bezeichnen kann. (Vgl. 22-24 und 0-2). Die Kirchenväter wirkten vom Ende des 1. bis zur ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts; von den apostolischen (70/80-120), den apologetischen wie Justinus (100-167) und Tertullian (ca, 150-220), den systematischen wie Origenes (185-254), den dogmatischen wie Eusebius von Cäsarea (260-340), den kirchenpolitischen wie Augustinus (354-430), seinem (britischen) Gegner Pelagius (ca. 380-420), den ersten Scholastikern wie Boethius (480-524) bis zum englischen Beda Venerabilis (674-735). Sie gaben dem abendländischen Keim die ersten Fruchthüllen bis hin zur Muttermilch und zur ersten postnatalen Entwöhnung, dem Abstillen. Die bereits erwähnten und für diese Phase wichtigen Fruchthüllen, die sich zu Beginn dieser Phase um den (bis da: Wulfila-Keim) Embryo des Abendlandes zu legen hatten, waren bald mit der Gebärmutterschleimhaut zur Plazenta zusammengewachsen, und am Ende dieser abendländischen Embryonalphase waren sowohl die nötigen 2 Hemisphären des Großhirns sowie alle Organe ausgebildet, die später zur vollen Funktionalität gelangen sollten. (Vgl. 4-6).
Analoge Theologien
(2-4): 1800-1550 und 350-600
(0-2, 2-4, 4-6, 6-8, 8-10, 10-12)
9) …. (Zeus-Theologie) …. seit ca. – 1930 / – 1900
10) ….. Protohellenen ….. seit ca. – 20. Jh. / – 17. Jh.
11) ………. Mythen ………. seit ca. – 20. Jh. / – 17. Jh.
12) ………….. der …………. seit ca. – 19. Jh. / – 17. Jh.
13) ……… Mykener ……… seit ca. – 19. Jh. / – 17. Jh.
14) . . . (Atriden, Perseus, Ödipus) . . . seit ca. – 18. Jh. / – 16. Jh.
15) (7 gegen Theben, Helena, Menelaos) . . seit ca. – 18. Jh. / – 16. Jh. 9) Neu-Platonismus (Plotinos u.a.) seit 220 (250)
10) Arianismus (Arius, Wulfila u.a.) seit 3. / 4. Jh.
11) 3. Patristik Systematisierende Kirchenväter seit 3. / 4. Jh.
12) 4. Patristik Dogmatisierende Kirchenväter seit 4. Jh.
13) 5. Patristik Kirchenpolitische Kirchenväter seit 4. / 5. Jh.
14) 6. Patristik Ur-Scholastische Kirchenväter seit 5. / 6. Jh.
15) 1. Scholastik Ur-Scholastik (z.T. 6. Patristik) seit 5. / 6. Jh.

Die vor allem aus Indogermanen hervorgegangenen Protohellenen (Protogriechen) – zumeist Achaier (Aioler und Ioner) – waren auch die Träger des Mykenischen, also des Hauptanteils an der antiken Urkultur. Alle mykenischen Mythen (Atriden, Perseus, Ödipus, Sieben gegen Theben, Helena, Menelaos u.s.w.) sind durchaus als Vorläufer der späteren homerischen Epen zu verstehen. (Vgl. 10-12). Konkretere Angaben zur Religion oder gar zu einer Theologie können mangels Quellen nicht gegeben werden. Man weiß einfach zu wenig über die religiösen und theologischen Verhältnisse in der urkulturellen Antike, dennoch steht die „Helladik“ als Gemeinbegriff für deren gesamtes Kulturquartal (0-2, 2-4, 4-6). Anders sieht es für die Entsprechungen der abendländischen Ur- bzw. Vorkultur aus, weil aus dieser Zeit bereits genügend historische Quellen vorliegen. Die „Vordenker“ des Abendlandes waren die Denker der „elterlichen“ Art, wie fast alle Begriffe in der Tabelle offen verraten.
In der folgenden Tabelle sind die geistigen und geistig-politischen Errungenschaften (rot gefärbt) als magisch ausgerichtetes Seelenbild gut zu erkennen, nämlich als Dualismus zwischen Geist und Seele, den ich Seelengeist nenne. Die Germanenreiche, deren Daten für die Reichsgründungen und ihre jeweiligen Untergänge angegeben sind, haben sämtlich, wenn sie nach 475 noch existierten, staatsähnliche Volksrechte entwickelt. Da die Franken seit Chlodwig I. Germanen und Galloromanen vereinten, gab es im Frankenreich ein für alle Einwohner güliges Recht, während die anderen Reiche auf ehemaligen römischen Boden sowohl für die germanischen Herrenschichten als auch für die romanischen Untertanen Gesetze entwickelten. Alle Gesetze blieben bis ins „Hochmittelalter“ gültig, das Westgotenrecht in Spanien sogar bis in die „Neuzeit“.

Vgl. (0-2) um 300) Arianismus (1): Christologie des alexandrinischen Priesters Arius (Christus ist mit Gott nicht wesensgleich)
um 300) Eremitenleben: Antonius der Einsiedler (der Große) geht in die Wüste
um 300) Patristik (3) (Systematiker): Athanasios
305) 3. Reichsteilung
313) Toleranzedikt von Mailand. Die Christenverfolgungen werden eingestellt
318) Verurteilung des Arianismus und Exkommunikation des Arius durch den Bischof von Alexandria
um 320) Patristik (4) (Dogmatiker): Eusebius von Cäsarea
um 320) 1. Kloster in Ägypten: Pachomius der Eremit
324) Konstantin I. d.Gr. ist Alleinherrscher (Totius orbis imperator)
325) (19.06. – 25.08.) Konzil (1) von Nizäa (I) : Verurteilung des Arianismus und Glaubensbekenntnis unter
Einfluß Konstantin I. d. Gr. und Athanasios (Kirchenlehrer und Patriarch von Alexandria)
330) (11.05.) Byzanz wird nach Umbenennung in Konstantinopel christliche Reichshauptstadt (2. Rom)
im bewußten Gegensatz zum heidnischen Rom (!)
337) 4. Reichsteilung
um 350) Arianismus (2): Wulfila (ca. 311-383) betreibt Mission und übersetzt die Bibel ins Gotische (Westgotische)
(der Arianismus lebte bei Goten, Wandalen und Langobarden bis ins 6. Jh. fort,
bei den Franken bis 496)
um 350/380) Patristik (5) (Kirchenpolitiker): Hilarius von Poitiers, Ambrosius (Trier), Bischof von Mailand,
Augustinus (Gottesstaat), vom Manichäismus, Skeptizismus und Neuplatonismus hindurch
zum Christentum (deshalb wird Augustinus Gegner des Manichäismus)
364) 5. Reichsteilung
um 370) 1. Mönchsregel (Klosterregel) für das griechische Mönchtum von Basileios (Basilius) d. Gr.
um 370) Mönchtum entfaltet sich auch im Westen (Vita Antonii)
um 370) Musik: Ambrosius (aus Trier), Bischof von Mailand, führt den
hymnischen Chorgesang in der abendländischen Kirche ein
375) Beginn der 3. Germanischen Wanderung („Völkerwanderung“) – ausgelöst durch die (asiatischen) Hunnen

375) Quaden-Reich erloschen (gegründet 19 )
375) Ostgoten-Reich in Osteuropa, Ukraine, Südrußland, Krim erloschen (gegründet 150 )
375) Ostgoten-Reich in Pannonien (Österreich, West-Balkan); ab 493 auch in Italien (bis 555 )
375) Gepiden-Reich (zwischen Donau, Theiß Alt und Karpaten) unter Arderich u.a. (bis 567 )

381) (Mai – 09.07.) Konzil (2) von Konstantinopel (I) : bestätigt das Nizäum (325); Gottheit des Hl. Geistes
391) Christentum wird Staatsreligion (Verbot aller heidnischen Kulte)
395) 6. (letzte) Reichsteilung – Römisches Reich wird endgültig geteilt: Osten (Byzanz) und Westen (Rom)
Ende der Reichseinheit
400) Westgoten-Reich in Osteuropa, Balkan, Griechenland, Kleinasien erloschen (gegründet 150 )

– Der „Kampf um Rom“ beginnt: Eroberung Roms durch Westgoten (410), Wandalen (455) und Skyren (476)

395/430) Patristik (6) (Scholastik) Synesios von Kyrene (neuplatonisch ausgerichtet)
431) (26.06 – Sept.) Konzil (3) von Ephesus: Gottesmutterschaft Marias; Überwindung von Nestorianismus und Pelagianismus
451) (08.10 – 31.10.) Konzil (4) von Chalkedon: Entscheidung gegen Monophysitismus: Christus-Naturen
400) Thüringer-Reich in Mitteleuropa, zwischen Harz, Elbe und Donau (bis 531 )
409) Wandalen- (Foederaten-) Reich in Süd-Spanien (bis 429 ); ab 429 in Afrika (bis 534 )
413) Burgunder- (Foederaten-) Reich um Worms (bis 443 )
418) Westgoten-Reich in Südfrankreich und Spanien (bis 711 )
418) Sweben-Reich in Nordportugal / Nordwestspanien (bis 585 )
429) Wandalen-Reich in Afrika und Balearen, Sizilien, Sardinien, Korsika (bis 534 )
430) Angeln- und Sachsen-Kleinkönigreiche (vereinigt im 9. Jh.) in England (bis 1066 )
433) Markomannen-Reich erloschen (gegründet 9 v. Chr. )
443) Burgunder- (Foederaten-) Reich um Worms erloschen (gegründet 413 )
443) Burgunder-Reich in Savoyen (bis 534 )
451) Schlacht auf den „Katalaunischen Feldern“: Germanen (v.a. Westgoten) besiegen die Hunnen.
Danach wird das Hunnenreich von den Germanen unter Arderich, König der Gepiden, zerstört.

476) Skiren-Reich des Odo(w)aker in Italien (476 Ende Roms; Untergang) (bis 493 )
480) Bayern (-Reich) im ehemaligen Rätien, Noricum, Pannonien und nördlich der Donau (bis 728 )
493) Skiren-Reich in Italien erloschen (gegründet 476 )
493) Ostgoten-Reich in Italien (Anschluß an das Ostgoten-Reich in Pannonien; bis 555 )
531) Thüringer-Reich erloschen (gegründet 400 )
534) Burgunder-Reich erloschen (gegründet 433 )
534) Wandalen-Reich erloschen (gegründet 429 )
551) Der (West-) Gote Jordanes, Notar und Historiker, veröffentlicht seine „Gotensaga“
555) Ostgoten-Reich in Italien erloschen (gegründet 493 ) und in Pannonien (gegründet 375 )
567) Gepiden-Reich erloschen (gegründet 375 )
568) Langobarden-Reich in Italien (bis 774 )
Mit der Bildung des Langobardenreiches sind die Germanischen Wanderungen beendet
Vom 6. Jh. bis etwa 750 entwickeln sich bestimmte germanische Dialekte zum Deutschen:
Alemannisch, Bayrisch, Süd-, Ostfränkisch, Langobardisch, Burgundisch zum Oberdeutschen,
Rhein-, Mittelfränkisch (Maas, Rhein, Mosel, Main), Thüringisch u.a. zum Mitteldeutschen,
(Mittel- und Oberdeutsch gemeinsam zum Althochdeutschen: AHD) und
Niederfränkisch (Nordbelgien Holland, Niederrhein), Altsächsisch u.a. zum Niederdeutschen
585) Sweben-Reich erloschen (gegründet 418 )
500/520) Boethius (erster westlicher Scholastiker)
510/580) Cassiodorus (westlicher historischer Scholastiker)
529) Benediktiner-Regel (Regula Benedicti) von Benedikt von Nursia, Monte Cassino
(westliche Regel des Mönchtums): erstes abendländisches Kulturzentrum
553) (05.05. – 02.06.) Konzil (5) von Konstantinopel (II): Verurteilung der Nestorianer und Origenisten
um 590) Musik: Gregorianischer Gesang (Choral; 1stimmige Gregorianik), Papst Gregor I.

Letzte Tabelle Nächste Tabelle

Anhand der Tabelle ist deutlich zu erkennen, wie hoch die Zahl der Germanen-Reiche in dieser Phase war, und zwar sowohl bezogen auf ihre Neugründungen als auch auf ihr Erlöschen. Ein deutliches Anzeichen für die großen Bewegungen dieser Zeit. Von den 22 Beispielen wurden 3 Reiche in der Phase der Befruchtung (Cäsarismus), 5 Reiche in der Phase der Einnistung (Nidation) und 14 Reiche in dieser Embryonalphase gegründet, in der allerdings auch 14 Reiche erloschen, davon die Hälfte am Ende, d.h. mit dem Ausklang der 3. Germanische Wanderung. Und vor dieser Phase war nur 1 Reich erloschen. Am Ende dieser embryonalen bzw. organbildenden Phase waren noch 7 germanische Reiche bzw. Staatsverbände übrig, nämlich die der

Westgoten, Alemannen, Franken, Sachsen, Angelsachsen, Bayern, Langobarden.

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Die Organogenese war abgeschlossen. Jetzt konnten die Funktionen folgen.

0 Uhr 2 Uhr 4 Uhr 6 Uhr 8 Uhr 10 Uhr 12 Uhr 14 Uhr 16 Uhr 18 Uhr 20 Uhr 22 Uhr

2 Uhr 4 Uhr 6 Uhr 8 Uhr 10 Uhr 12 Uhr 14 Uhr 16 Uhr 18 Uhr 20 Uhr 22 Uhr 24 Uhr
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Anmerkungen:

Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen – wie unzählige andere Beispiele auch – für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.
Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Spengler, 1922, S. 847f.).
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) hat dreißig Jahre lang seine Entdeckungen der nichteuklidischen Geometrien verschwiegen, weil er das Geschrei der Böoter fürchtete. Der Zufall hat es gewollt, daß wenige Jahre nach Vollendung seines Hauptwerkes (1801) Gauß die erste der nichteuklidischen Geometrien entdeckte, durch deren in sich widerspruchslose Existenz bewiesen wurde, daß es mehrere streng mathematische Arten einer dreidimensionalen Ausgedehntheit gibt, die sämtlich a priori gewiß sind, ohne daß es möglich wäre, eine von ihnen als die eigentliche Form der Anschauung herauszuheben. Gauß hatte also seine nichteuklidische Geometrie ganz abendländisch-esoterisch für sich selbst entwickelt. Das denkfaule, schwerfällige Volk hätte damit offenbar nichts anfangen können, weshalb er es Böoter nannte, ein Volk in Boiotien (Hauptstadt: Theben), das den anderen antiken Griechen eben als sehr schwerfällig galt. (Vgl. 18-20).
Römisch-katholische Interpretationen attestieren dem Abendland zumeist, daß in ihm die Dominanz des Christlichen überwiege. Diese Meinung teilen vor allem kirchliche und vornehmlich christlich orientierte Vertreter. Theodor Heuss (31.01.1884 – 12.12.1963) soll einmal gesagt haben, daß Europa von 3 Hügeln ausgegangen sei: von der Akropolis, von Golgatha und vom Kapitol. Diese Sichtweise würde eher, wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, auf eine Dominanz der Antike verweisen. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß aus einem antik-apollinischen Einzelkörper und einer magisch-seelengeistigen Welthöhle ein abendländisch-faustischer Unendlichkeitsraum entstehen kann, dann muß unbedingt ein dritter Faktor hinzukommen, den ich die Kulturpersönlichkeit nenne: das Germanentum. Ohne das Germanentum versteht man die Willensdynamik eines Faust nicht, und ohne das germanische Element ist die Raumtiefe, aber auch die in jeder Hinsicht sowohl ins Mikrokosmische als auch ins Makrokosmische gehende Unendlichkeit nicht als distinktives Merkmal der abendländischen Kultur zu identifizieren. Diese Merkmale treffen auf keinen antiken Menschen zu, aber insbesondere auf die Abendländer, die germanischen Ursprungs sind. Scharfe Gegensätze, wie die zwischen Antike und Abendland, sind zwar unbedingt ein Indiz für Verwandtschaft, weil beide Kulturen so auffallend gegensätzlich sind: aktiv und reaktiv. Offenbar hat die Antike auf das Abendland aber nicht persönlichkeitsstiftend gewirkt und konnte auch erzieherisch nicht tätig werden, weil sie so früh verstarb. Die Biogenetik und Sozialisation geraten nicht selten so weit auseinander, wenn ein Elternteil früh verstirbt, d.h. nicht wirklich erlebt wird. Dem Abendland scheint es auch so ergangen zu sein. Die Auseinandersetzungen mit der magischen Mutter hat beim Kind jedoch zu einer enormen, fast schon verdächtigen Erinnerung bis hin zur Vergötterung des antiken Vaters Beitrag geleistet. Aber liegt deshalb immer auch schon ein Vaterkomplex vor? Es bleibt zunächst festzuhalten, daß auch kulturell zwischen Genetik und Sozialisation, zwischen Anlage und Umwelt, zwischen angeboren und anerzogen ganz klar unterschieden werden muß. Dazwischen bewegt sich die Persönlichkeit. Man kann sie nicht isolieren, folglich auch nicht isoliert betrachten, aber man kann sie beschreiben, und ich beschreibe die Kulturpersönlichkeit des Abendlandes als germanisch, weil dieser Raum zwischen Anlage und Umwelt für die Kulturpersönlichkeit zwanghaft unendlich werden muß, wenn sie die verlorene Vaterkultur zurückholen will. Der unendliche Raum und Wille sind auch deshalb Ursymbol und Urwort des Abendlandes. Wenn der Mensch eine Grundlage von etwa 60 Billionen Zellen hat und einer Umwelt von praktisch unendlicher Vielfalt ausgesetzt ist, so gilt für eine Kultur, daß sie Völker, Staaten oder Nationen zur Grundlage hat und einer Umwelt von unendlichen Möglichkeiten, aber auch gähnender Leere gegenübersteht. Mit dem Germanentum fiel eine faustische Entscheidung zugunsten der unendlichen Möglichkeiten. Die Eltern des Abendlandes waren also antik-magisch, ihre gentragenden Chromosomen römisch-christlich, aber die Kontrollgene germanisch. (Vgl. 22-24).
Helladik bedeutet die antike Vor- und Urkultur des griechischen Festlandes, während Minoik die durch die ägyptische Kultur erreichte zivilisierte (fellachische) „Neu-Urkultur“ Kretas und Kykladik die der Kykladen meint. Kreta und die Kykladen sollten später unter mykenische (festländische) Vorherrschaft kommen, zu einer Zeit, die bereits den Übergang darstellt zur antiken Frühkultur, zur „Helladisierung“. (Vgl. z.B. im Perioden-Quiz unter: „Aufstieg“ bzw. 0-2, 2-4, 4-6, 6-8, 8-10, 10-12).
Jesus (7 / 4 v. Chr. – 26 / 30 n. Chr.) ist Urheber und zentrale Gestalt des Christentums. Das Christentum umfaßt die Auswirkungen des Glaubens an Person und Wirken Jesu Christi, wie er von den christlichen Kirchen und Gemeinschaften in der Auseinandersetzung mit fremden Religionen, den geistigen und weltanschaulichen Strömungen der verschiedenen Zeiten sowie mit den politischen Mächten entwickelt worden ist. In Rom galt die christliche Gemeinde zunächst als jüdische Sekte. Der römische Staat entzog dieser schnell wachsenden Gemeinschaft bald die religiösen und rechtlichen Privilegien, die er dem Judentum gerade eingeräumt hatte. Die Auseinandersetzung mit dem Römischen Reich wurde intensiv seit der Mitte des 3. Jahrhunderts geführt. Auf das Toleranzedikt des Galerius und Licinius, 311, folgte die Bekehrung Konstantins und mit dem Toleranzedikt von Mailand (313) die Einstellung der Christenverfolgungen. Konstantin der Große machte das Christentum zu der mit allen zeitgenössischen Kulten gleichberechtigten und schließlich zur allein berechtigten Religion im Reich (Konzil von Nicaea, 325). Damit hatte er eine Entwicklung eingeleitet, die zur Entstehung der Reichskirche als einer vom Reich letztlich abhängigen Einrichtung führte. Durch den oströmischen Kaiser Theodosius I. wurde 380 mit dem Edikt von Thessalonike der Athanasianismus (Katholizismus) begründet, im 1. Konzil (= 2. Ökumenisches Konzil, 381) von Konstantinopel das (konstantinopolitanische) Glaubensbekenntnis formuliert und das Nizänum bestätigt, 391 das Christentum überhaupt Staatsreligion, damit alle heidnischen Kulte verboten. 395 teilte sich das Reich in West- und Ostrom, 455 eroberten die Wandalen Rom und 476 erlosch das Weströmische Reich endgültig mit der Absetzung des Romulus Augustus durch den Germanen Odowaker (Odoaker), aber die römische Kultur wurde von den Eroberern nicht zerstört, die arianische Christen waren und mit der unterworfenen Bevölkerung, die römisch-katholisch war, die erste und für die Christen-Geschichte wichtigste Verschmelzung eingingen. Für die geschichtliche Erkenntnis Jesu ist man nahezu ausschließlich auf die Evangelien des Neuen Testaments angewiesen. Derjenige, der das Christentum erst zur Weltreligion machte, war Paulus. (Vgl. 22-24 und 0-2 sowie 4-6).
In den Geschichtsbüchern wird oft von ripuarischen Franken, sogenannten Ufer- oder Rheinfranken, und von salischen Franken gesprochen (). Der Name Ripuarier meint offenbar die ehemaligen Verbände aus einem römischen Miltärbezirk an der Rhône, aus der Gallia riparensis. Die Salier waren offenbar die seetüchtigen Stämme der Franken. (Vgl. 22-24). Der altfänkische Raum umfaßte wohl außer dem rheinfränkischen Kerngebiet, das am Rhein, nämlich zwischen Köln und Xanten zu finden ist, auch die Gegend um Deventer, zwischen dem Niederrhein und der Ijssel, die Mündungsgebiete von Rhein und Maas und die Gegend der fränkischen Brukterer zwischen Lippe und Ems, wo sich an der Lippe noch ein Gebiet der Bruktuarier hielt, das dann endgültig um etwa 700 zum größten Teil von den Sachsen besetzt wurde. Auch der Ruhrgau um Duisburg war wahrscheinlich ursprünglich fränkisch, ebenso der Hettergau rings um Herbede (bei Witten). Der Aufstieg der Salier mit dem Macht- und Besitzschwerpunkt im Nahe-, Speyer- und Wormsgau begann mit Konrad dem Roten, der von 944 bis 953 Herzog von Lothringen war und durch seine Ehe mit Liudgard, Tochter Ottos I. d.Gr. die Königsnähe herstellte. Mit Konrad II. gelangten die Salier zur Königsherrschaft im Deutschen Reich. 1125 erlosch ihre Dynastie mit Heinrich V.; Privaterben wurden die Staufer. (Vgl. 8-10).
Merowech (um 455) war der Sage nach der Begründer der Merowinger, des merowingischen Geschlechts (der merowingischen Dynastie?). Er war vielleicht ein salischer Gaukönig und der Vater Childerich I.. (Vgl. Salier). Die Salier, eine Stammesgruppe der Franken, siedelten im 5. Jahrhundert am Niederrhein und in Nordgallien. Das spätere fränkische Adelsgeschlecht der Salier, mit dem Macht- und Besitzschwerpunkt im Nahe-, Speyer- und Wormsgau, begann mit Konrad dem Roten, der Herzog von Lothringen war (944-953) und durch seine Ehe mit Liudgard, Tochter Otto I. (d. Gr.), die Königsnähe herstellte. Mit Konrad II. gelangten die Salier zur Königsherrschaft im Deutschen Reich. 1125 erlosch die Dynastie mit Heinrich V.; Privaterben wurden die Staufer. (Vgl. Tabelle und 8-10).
Arianismus ist die Christologie des alexandrinischen Priesters Arius (ca. 250 – 336). Nach ihr ist Christus mit Gott nicht wesensgleich, sondern nur dessen vornehmstes Geschöpf. Arius wurde von seinem Bischof Alexander exkommuniziert, seine Lehre, die der griechische Kirchenlehrer Athanasios (295-373) aufs heftigste bestritt, wurde 325 unter Einfluß des Kaisers Konstantin d. Gr. auf dem Konzil von Nizäa verurteilt. Bei Goten (vgl. Wulfila), Wandalen und Langobarden lebte sie jedoch bis zum 6. Jh. fort.
Wulfila (Ulfila, Ulfilas, Gulfilas, um 311 – um 383 in Konstantinopel), westgotischer Bischof, 341 für die Goten zum Bischof geweiht. Wulfila mußte sich 348 hinter die Reichsgrenze zurückziehen wegen der Verfolgung durch Athanarich , den damaligen Führer der Westgoten, der mehere Christenverfolgungen, z.B. in den Jahren 348, 369 aus Römerhaß (!), unternahm und durch Kaiser Valens nach mehrjährigem Krieg 369 zum Vertragsverhältnis mit Rom gezwungen und gegen Lebensende von Kaiser Theodosius ehrenvoll aufgenommen wurde. Wulfila wirkte trotzdem weiter als Missionsbischof und weltlicher Führer (Primas). Theologisch gehörte er zu den gemäßigten Arianern. Seine bedeutendste Leistung war die Bibelübersetzung ins Gotische. War er also ein Luther am Übergang Spätantike/Mittelalter oder war Luther ein Wulfila am Übergang Mittelalter/Neuzeit?
Auch genetische Untersuchungen bestätigen die Annahme, daß die Germanen in England das britannische (keltische) Element binnen kurzer Zeit absolut verdrängten: Engländer sind von den Sachsen, Angeln, Jüten bzw. Friesen auf dem europäischen Kontinent nicht zu unterscheiden, während sie große Unterschiede z.B. zu den Walisern (Kelten) aufweisen.
Übersicht über die Vor- und Frühgeschichte der abendländischen Musik (Grundlagen / Träger):
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Hymnischer Chorgesang / Ambrosius (339-397), der aus Trier stammte und Bischof von Mailand war.
Gregorianischer Gesang (Gregorianischer Choral; 1stimmige Gregorianik) / Papst Gregor I. (540-604).
(Psalmodie vom Wortakzent bestimmt; Antiphonen, Respondorien, Hymnen).
Organum: früheste Form (7. Jh.) der Mehrstimmigkeit, Paraphonie zur gregorianischen Melodie.
Choralrhythmus, 40 Sequenzen / Notker der Stammler (Balbulus; 840-912), der Mönch im Kloster St. Gallen war.
Durch Klang gestützte Melodik / Gymel, Fauxbourdon (3stimmige Setzweise).
Mehrstimmigkeit / Studentenlyrik: Carmina Burana (Lieder aus Beuren; Kloster bei Bad Tölz, 11., 12., 13. Jh.).
Erwachendes rhythmisches Bewußtsein / Minnesänger, W. von der Vogelweide u. a., Kreuzritter, fahrende Sänger.
Ars antiqua (Organum wird Discantus: abgetrennte Gegenstimme / Leoninus (12.Jh.), Perotinus Magnus (13. Jh.).
Conductus (mehrstimmiges Vokalwerk der Ars antiqua) und Motetus (3 Stimmen, scharf gegenseitig abgesetzt).
Früheste Polyphonie, Mensuralmusik (gemessene Musik: festgelegte Notenwerte) / Franko von Köln (13. Jh.).
Früheste ausgereifte polyphone Satztechnik, z. B. (Sommerkanon), Rondeaus / z. B. Adam de la Halle (13. Jh.).
Meistergesang / Meistersinger (14. Jh. bis 16. Jh., z.B. Hans Sachs, 1494-1576)
Ars nova, niederländischer Kontrapunkt und niederländische Polyphonie, mehrstimmiges deutsches Lied, Choräle bis zum Aufkommen der Instrumentalmusik (Paumann, 1452).

Apollinische Antike

Posted in Hubert Brune on April 22, 2012 by androsch

Winter / Nacht
0 Uhr 6 Uhr
Ur-/Vorkultur & Zivilisation

0-2 Uhr
Nidation oder Einnistung

Wie in der letzten Phase bereits erwähnt, finden gleich nach der Befruchtung die ersten Zellteilungen und Zellspezialisierungen statt, während der Keim weiter Richtung Gebärmutter wandert, um sich dort einnisten zu können. Ähnlich vollzieht sich die Entwicklung zu einer neuen Kultur. Zellfusion und Zellteilung bedeuten eine Verdoppelung der Chromosomenzahl, im ersten Fall jedoch während der Verschmelzung zweier Zellen mit halbierter Anzahl, im zweiten Fall durch Verdoppelung der Anzahl vor der Zweiteilung einer Zelle (Mitose). Bevor Zellen verschmelzen, müssen sie ihren jeweiligen diploiden Chromosomensatz halbiert, bevor Zellen sich teilen, müssen sie ihre Chromatiden verdoppelt haben. Beide Male ergeben sich 23 Chromosomenpaare, also 46 Chromososmen. (Vgl. 22-24). Dieses Thema wurde bereits in der letzten Phase der Befruchtung eingehend behandelt. Ebenfalls in der Phase der Befruchtung unwiderruflich festgelegt wurde das elterliche Erbgut, das jetzt durch die Materialisation umgesetzt werden muß. Innerhalb des mütterlichen Körpers muß der Keim einer eigenständigen Entwicklungsfunktion folgen, beginnend mit dem eben erwähnten Teilungsvorgang während der Wanderung zur Gebärmutterschleimhaut. (Vgl. Furchungsteilung und Wanderung: 22-24). So wie sich biologisch der wandernde Keim von Kontrollgenen steuern lassen muß, während er sich weiter teilt, so wird auch eine Kultur von einem kontrollierenden Teilungs- und Richtungserzeuger gesteuert. Diese kybernetische Rolle übernehmen Beweger und Steuermänner – meistens ohne es wirklich zu wissen. Hierfür eignen sich insbesondere die Wandervölker, die Kulturen teilen müssen und sich mitteilen, weil sie sich in fremden Gebieten einnisten. Historische Beispiele für solche wandernden Steuervölker gibt es genug, z.B. die Indogermanen, die die werdende und mit dem sumerisch-ägyptischen Erbgut ausgestattete Antike prototypisierten, und die Germanen, die das werdende und mit dem antik-magischen Erbgut ausgestattete Abendland in die frühen Formen brachten. Die elterlichen Kulturen als übergeordnetes Erbsystem setzten das kulturgenetische Ziel, aber das Steuerungssystem selbst waren die Wandervölker. Sie waren sowohl Stell-, Stör- und Regelgröße als auch Regler, weil sie den Gleichgewichtszustand im Regelkreis der werdenden Kulturen immer wieder herstellten. Man muß sich hierbei immer wieder vor Augen halten, daß es sich jeweils um die Entwicklung einer werdenden Kultur handelt und nicht um die der elterlichen Kulturen, denn die sind für die werdende Kultur die Genträger, die Chromosomen, und als solche übertragen sie das Erbmaterial von der sich teilenden Zelle auf die beiden Tochterzellen. Bezüglich des werdenden Abendlandes wurden beide bereits benannt: Römisches Reich und Christliche Kirche. Eltern, Erbmaterial und Kontrollgene während der Teilung und Wanderung des abendländischen Keimes nenne ich hier noch einmal in derselben Reihenfolge mit folgenden Attributen: antik-magisch, römisch-christlich und germanisch. Herauszufinden, welche genetischen Faktoren sich als dominant erweisen sollten, bleibt die Aufgabe eines Kulturgenetikers. Allgemein geht man heute davon aus, daß das antik-magische, konkreter: das römisch-christliche Erbe in etwa gleich verteilt sei, was sich beispielsweise in dem Begriff römisch-katholisch widerspiegelt. Die Eigenart oder auch Persönlichkeit ist dadurch jedoch noch nicht ausgedrückt. Sie homöostatisch durchgängig aufrechtzuerhalten, obliegt im systematischen Sinne den Kontrollgenen, die gleich nach der Befruchtung, also mit der ersten Zellteilung, die kybernetische Aufgabe aufnehmen. Gleichzeitig muß aber die Wanderung bereits stattfinden. Die Formel lautet: Ohne Wanderung keine Einnistung! (Vgl. Tabelle: 22-24). Die für unser Thema relevanten Gebiete, die die wandernden Völker eroberten, symbolisieren sozusagen die Gebärmutterwand, an der sie sich einnisten wollen. Dann gibt es noch die restliche uterine Welt, die staatlichen Zellen einer Kultur und die kulturgenetische Information selbst. Die zu entschlüsseln ist nicht nur für Genetiker ein schwieriges Unterfangen, sondern auch für Kulturologen (Gynäkologen oder Uterologen). Hilfreich sind dabei vor allem die Ursymbole der jeweiligen Seelensprache einer Kultur, die per Anamnese rückwärts aufgerollt werden müssen. Auch im Falle des Seelenbildes muß man Spezialist auf dem Gebiet der Regression sein, die Seelensyntax bis auf die kleinsten bedeutungstragenden Morpheme und die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Phoneme zergliedern und dann in eine kulturhistorische Semantik bringen, die eine Repräsentematik in sich schließt. Man muß sich, einem soziolinguistischen Psychoanalytiker gleich, in die jungen Kulturseelen versetzen, mit ihren Ängsten, Vorurteilen, Projektionen jeglicher Art umgehen und die ganze Palette des kulturellen Abwehrmechanismus durcharbeiten können. Junge Kulturen gehen mit nachbarschaftlichen, verwandten oder fremden Kulturen auf gleiche Art um wie Kinder mit Freunden, Geschwistern, Eltern oder fremden Menschen. Ältere Kulturen tun dies auf typisch erwachsene Weise: oberflächlich zurückhaltend und in der Tiefe oft vorurteilsvoll. Vorurteile gibt es immer, und sie müssen auch nicht immer beiseite geräumt werden, aber man muß sich mit ihnen beschäftigen können. Manchmal muß man sie aufbauen, damit sie überhaupt erst abgebaut werden können, ein anderes Mal müssen sie abgebaut werden, um überflüssige Masse loswerden und die dabei frei werdende Energie in eine wohltemperierte Richtung lenken zu können. Dabei geht es also zu wie bei den Kernspaltungs- und Kernfusionsprozessen, biologisch ausgedrückt: wie bei Zellteilungs- und Zellfusionsprozessen. Zum Beispiel sollte aus der sumerisch-ägyptisch befruchteten Eizelle und ihren ersten Zellteilungen etwas Neues entstehen:die altmittelmeerisch-indogermanischen Protogriechen. Erwachsen und vermählt sorgten sie für die antik-magisch befruchtete Eizelle: die christrömisch-germanischen Protoabendländer:
Das entscheidende, die 2. Germanische Wanderung auslösende Ereignis war die Abwanderung der Goten von der Weichselmündung zum Schwarzen Meer (etwa 150 bis 180). Dadurch wurden die Burgunder nach Westen, die Wandalen nach Süden, die Chatten um 162 zur Durchbrechung des Limes und die Markomannen zum Überschreiten der Donau genötigt (166/167). Die Folge waren Mark Aurels Markomannen-Kriege (166 bis 175 und 177 bis 180). Seit 212 erschienen Teile der Alemannen am Rhein, seit 236 die Goten an der unteren Donau. 249 stießen die Goten bis nach Makedonien vor, besiegten Roms Kaiser Decius 251 bei Abritus (heute: Rasgrad) und drangen 267 bis nach Kappadokien vor. 268 gelangten sie, zusammen mit den Herulern und Bastarnen, bis Sparta, und zwar über See.

Die Franken siedelten im 3. Jahrhundert zwischen Weser, Rhein und Main, hatten andere selbständige westgermanische Stämme wie Chamaven, Brukterer, Sugambrer, Chasuarier, Amsiwarier, Teile der Chatten u.a. in sich aufgenommen, bevor sie sich im 3. und 4. Jahrhundert in römisches Gebiet vorwagtern, indem sie die entvölkerte Belgica in Besitz nahmen. 357 kamen die Franken über Gallien und Spanien nach Marokko. Bis dahin sah man in Franken folgende Könige: Genobaudes I., Assarius und Merogaisus; es folgten im weiteren Verlauf des 4. Jahrhunderts Mallobaudes, Gennobaudes, Markomer und Sunno. Schon 258 fielen Alemannen in Nord-Italien ein, woraufhin Rom den obergermanischen und rätischen Limes aufgeben mußte. 269 drangen die Goten noch weiter – jetzt erstmals in Ost- und Westgoten geschieden. (Goten-Reich). Unter Kaiser Diokletian (284 bis 305) mußte die Gliederung der Provinzen erneut den bestehenden Verhältnissen angepaßt werden. Nachdem das Dekumatenland im Jahre 260 von den Alemannen überrannt worden war, erklärte Rom die restliche Provinz Germania Superior zur Germania Prima. Die Provinz Niedergermanien wurde in Germania Secunda umbenannt. Beide Germanien und Gallien wurden von einem in Trier (Augusta Treverorum) residierenden Präfekten regiert. Im Jahre 286 verlegte Diokletian nach der Reichsteilung auch die Residenz des (west-) römischen Reiches nach Trier, das damals eine bisher von den Kämpfen kaum berührte, blühende Stadt war. Der Limes allerdings befand sich damals schon in seiner ganzen Länge in germanischer Hand. Trier wurde zum Zentrum des Kampfes gegen die Germanen und zur verwaltungsmäßigen Hauptstadt bis zum Jahre 400. (Vgl. 2-4).

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Der Germane Flavius Magnentius (um 303 – 11.08.353), Sohn eines fränkischen
Kriegsgefangenen, saß von 350 bis 353 auf dem römischen Kaiserthron () !
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Die Quellen für die Anfänge der antiken Kultur sind sehr dürftig, und die Überreste der Kunst aus dieser Zeit sind nur zu verstehen, wenn man annimmt, daß die nach Südeuropa eingewanderten Indogermanen – z.B. in Griechenland die Protohellenen – die minoische Kunst allmählich übernahmen. In der Kamares-Höhle im Idagebirge auf Kreta fand man z.B. Vasen, die so dünn wie Eierschalen sind und stilisierte Tier- und Pflanzenformen (Spiralmuster) in Weiß, Rot und Orange auf glänzend schwarzem Grund aufweisen. Da es sich hierbei um Exportartikel handeln dürfte, wurden sie sicherlich auch von den Protohellenen übernommen, obwohl die minoischen Kreter in erster Linie mit Ägypten und Kleinasien, also noch nicht so sehr mit dem griechischen Festland Handel trieben. (). Die antike Kultur begann dadurch, daß die eingewanderten Indogermanen mit den mittelmeerischen Alteingesessenen verschmolzen und über Kleinasien mesopotamisch-sumerische Kulturelemente sowie über Kreta ägyptische Kulturelemente aufnahmen. Ähnliches gilt für die abendländische Kultur, denn sie begann dadurch, daß die Germanen in die noch zum Römischen Reich gehörenden Gebiete einwanderten und mit den dort lebenden Menschen, die sich später Romanen nennen sollten, verschmolzen und dabei antike (vor allem römische) und magische (vor allem christliche) Kulturelemente ünernahmen.
Die Institution des Papsttums als einer Statthalterschaft Christi auf Erden wurde und wird zurückgeführt auf Worte, die durch den Verfasser des Matthäus-Evangeliums im 16. Kapitel (Verse 18 und 19) überliefert sind: „Du bist Petrus und auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Und dir will ich die Schlüssel des Himmelsreiches geben.“ Das Papsttum entwickelte sich aus diesem „Text“, baute aus ihm seine Machtposition auf und aus. Petrus war erster Bischof von Antiochia und kann als erster Vorsteher der römischen Christengemeinde auch als erster Bischof von Rom gelten; doch von einer Papstwürde kann wohl erst seit dem 3. oder, wahrscheinlicher noch, seit dem 4. Jahrhundert gesprochen werden. An verschiedenen Stellen der Evangelien tritt Petrus als Wortführer der Apostel, doch immer nur als primus inter pares auf. 64 oder 67 erlitt er in Rom den Märtyrertod. Petrus‘ dritter Nachfolger soll noch mit Paulus zusammengearbeitet haben: Klemens I. (reg. um 88-97). Von ihm stammt der stark politisch gefärbte, griechisch geschriebene sogenannte „Erste Klemensbrief“; weniger Brief als vielmehr ein philosophisch-pädagogisches „Evangelium“ (), stellt er eine Symbiose aus Christentum und griechischer Paideia dar – gleichsam die erste „Enzyklika“, in der Klemens von der Paideia Gottes und Christi redet und aus seiner Vorstellung des für ihn in der römischen Gemeinde repräsentierten Ordnungsprinzips mit unzweideutiger Selbstverständlichkeit den Vorrang Roms und seiner primatialen Stellung ableitet, ohne es eigens zu betonen. (Vgl. Primat). Unter Klemens I. bekehrten sich führende Angehörige des römischen Adels und des Kaiserhauses zum Christentum.

Die Karten zeigen die Entwicklung von etwa 69/96 bis zum 5. Jahrhundert.

Bereits im 3. Jahrhundert verstärkte sich das germanische Element im römischen Heer; Germanen stiegen zu den höchsten Befehshaber- und Verwaltungsstellen des Römischen Reiches auf. Die Westgoten erschlossen sich dem arianischen Christentum. In den Donauländern siedelten sich Goten, Heruler, Rugier, Skiren und Wandalen an. Die Unruhen begannen erst wieder um 350 mit der eben erwähnten Durchbrechung der Rheinbefestigungen durch die Alemannen und Franken, die Rom zur Aufgabe der Rheingrenze zwangen (401), und den Donau-Überschreitungen durch Quaden und Markomannen (seit 357) sowie dem Wiederausbruch der Kämpfe mit den Westgoten (367). Schon seit Hadrian (117-138), Mark Aurel (161-180) und Caracalla (211-217), spätestens aber seit Diokletian (284-305) und Konstantin (324-337) war das römische Imperium kein antikes mehr, sondern ein pseudo- oder polymorphes Gebilde, in dem Germanen politisch Platz und Christen ideologisch Führung eingenommen hatten. Beider Anteil am Synkretismus war gewachsen, während die antike Kultur schrumpfte. Für Rom begann schon im Jahre 98 die Zeit der Kaiser provinzialer Herkunft und schon im Jahre 211 die Zeit der Kaiser fremdkultureller Herkunft. (). Und die Verleihung des römischen Vollbürgerrechts an alle freien Provinzialen, die Constitutio Antoniniana, die 212 von Caracalla erlassen wurde, bestätigte die politische Tatsache nun auch noch juristisch: Jeder durfte Römer werden !
Im römischen Imperium gab es im 1. und 2. Jahrhundert insgesamt 15, im 3. Jahrhundert allerdings schon 19 Kaiser, mehr als doppelt so viele wie in jedem beider Jahrhunderte zuvor. (Vgl. Tabelle). Die magische Kultur hatte Hochkonjunktur. Elagabal (218-222) führte einen syrischen Baalkult in Rom ein, während der Herrscher des Sassanidenreiches, Ardaschir, sich als Nachfolger der Achaimeniden fühlte, die 1000 Jahre vor ihm das erste persische Reich gegründet hatten (700 v. Chr.). Dieser zum Erzfeind gewordene neupersische Herrscher verordnete die Lehre Zarathustras (8.-7. Jh. v. Chr.) als Staatsreligion, dabei gab es doch genug religiöse Konkurrenz unter den Sassaniden sowie anderen Völkern und Staaten der magischen Kultur. Besonders stark verbreitet war die synkretische, gnostische Lehre des Mani (217-277). Der römische Kaiser (Soldatenkaiser) Philippus Arabs (244-249) war Sohn eines arabischen Scheichs und durfte die 1000-Jahrfeier zur Gründung Roms begehen, obwohl diese Stadt gar nicht mehr römisch zu sein schien. Daß die magische Kultur sich immer mehr breit machte, verraten schon die Verfolgungen, die zu der Zeit enorm zunahmen. Die Christenverfolgungen standen seit Decius (249-251) immer mehr auf dem Tagesprogramm. Aber auch die Germanenstürme hörten nicht auf. Trebonius Gallus (251-253) konnte mit den Goten noch Frieden schließen, aber schon unter Valerian (253-260) waren die Reichsgrenzen wieder bedroht: Goten, Quaden, die schon unter Mark Aurel (161-180) die Donaugrenze ständig durchbrochen hatten, gefährdeten die Sicherheit, Franken und Alemannen überschritten den obergermanisch-rätischen Limes. Im Osten und Nordosten fielen die iranischen Sarmaten und die Parther ein, und mauretanische Stämme bedrängten die Grenze in Nordafrika.
Unmerklich geriet in Rom auch schnell in Vergessenheit, daß Jesus nach dem Bericht des Matthäus (18; 18) die gleiche Sendung wie Petrus auch allen anderen Aposteln anvertraut hatte. Sollte Petrus der Einigende gewesen sein, so war er durchaus nicht über die anderen erhaben. Das hatte häufig praktische geschichtliche Folgen. Nur ungefähr 160 bis 170 Jahre nach dem Tode Jesu glaubte bereits Papst Viktor I. (reg. 189-199), die Gemeinden ganz Kleinasiens – damals ungefähr ein Drittel der ganzen Kirche – aus einem liturgischen Anlaß exkommunizieren zu können. Der Kirchenvater Irenäus von Lyon († 202) konnte ihn jedoch zurechtweisen und zum Nachgeben zwingen. Viktor I. nahm die Zurechtweisung noch auf sich und vermied dadurch ein Schisma, das schon damals hätte endgültig werden können. Es waren also schon Urformen bzw. Versuche spürbar, einen „päpstlichen Absolutismus“ auszubauen, lange bevor von einem eigentlichen Papsttum die Rede sein konnte. Noch war nämlich der Bischof von Rom wichtiger als der Papst; noch hatte der Bischof von Rom Hinweisen auf sich als Bischof unter Bischöfen Gehör zu schenken. Tertullian (ca. 150-220), der lateinische Kirchenschriftsteller, warf Papst Kalixt I. (reg. 217-222), dem ehemaligen Sklaven, in der Frage der Exkommunikation vor, er überschreite die Petrus von Jesus ganz persönlich übertragene Vollmacht, verkehre sie in ihr Gegenteil und setze sich damit über die Gesamtkirche hinweg. (Die Geschichte des Papsttums zeigt ja, daß Rom die selber vorgezeichnete Linie, die Linie einer Vollmacht, nicht mehr verlassen sollte, bis sie in der plenitudo potestatis, der schrankenlosen Papstallmacht, gipfelte). Zu dieser Entwicklung trugen jedoch auch, zumeist unfreiwillig, die Kirchenväter Irenäus von Lyon († 202) und Cyprian von Karthago († 258) das Ihre bei; der erste prägte nämlich den Begriff der principalitas, der zweite den noch viel weiter tragenden des primatus der Bischöfe von Rom. (Vgl. Primat). Der Zusammenhang mit den Entwicklungen im (quasi schon gestorbenen) römischen Kaisertum ist hier nicht zu übersehen. Aus dem ersten Begriff machte die Papst-Monarchie ihren über allen Herrschern der Erde stehenden Fürstenrang, aus dem zweiten Begriff den konsequent zum Dogma von der Unfehlbarkeit führenden Primat, der später vorausschauend in Rechtsparagraphen definiert wurde. Der primus inter pares konnte für die urchristliche, sehr jesusbewußte Kirche niemals eine Vertikalgewalt Petri von oben nach unten bedeuten, von der römischen Cathedra herab zu den übrigen Bischöfen, sondern nur eine einende apostolische Bindung der Liebe von der Cathedra zu den Cathedrae. Undenkbar wäre eine unwidersprochene Weisungsgewalt gewesen. Rom sollte lediglich die Einheit zeigen. Die Papstgeschichte lehrt jedoch, daß der Begriff der Liebe die effektive Kommandogewalt nur euphemistisch umhüllt. Diese Umhüllung erforderte eine systematische Sakralisierung der zu Päpsten gewordenen römischen Bischöfe und ihrer Äußerungen, was dann schließlich zum Begriff des „Heiligen Stuhles“, das heißt zum sakralisierten Möbelstück wurde. Man kann sich dies nicht konkret genug vergegenwärtigen, nicht anders als den Begriff eines „Apostolischen Palastes“, der sich schon als Formulierung über die Namen von Kirchen setzt: aus Petrus, also dem nach der Überlieferung mit dem Kopf nach unten Gekreuzigten, wurde langsam der Apostel-Fürst, der in einem Apostolischen Palast auf einem Heiligen Stuhl thront. (Ob Papsttum und Machtkirche sich dieses Widerspruchs jemals bewußt geworden sind?). Papst Stephan I. (reg. 254-257) hatte deshalb auch keine Probleme, als er seinen Primat mit dem Zitat aus der Bibel (Matthäus, 16;18) begründete. Trotzdem: Mit den neuen Christenverfolgungen unter Kaiser Maximinus Thrax (reg. 235-238), die seit 250 unter Kaiser Decius (reg. 249-251) zur ersten staatlich durchorganisiertenen Christenverfolgung noch gesteigert wurden, fanden viele Päpste den Tod, z.B. durch Zwangsarbeit in Bergwerken, durch Hinrichtung oder durch andere Arten von Märtyrertod. 254 kam es zur 1. Reichsteilung, unter Kaiser Diokletian (reg. 284-305) zur 2. Reichsteilung (293) und nach dessen Abdankung zur 3. Reichsteilung (305), als die letzte Christenverfolgung (303-311) noch andauerte. Wegen der diokletianischen Christenverfolgung konnte erst nach einer Sedisvakanz von fast vier Jahren, der längsten in der Papstgeschichte, der nächste Papst gewählt werden: Marcellus I. (reg. 308-309). Mit den Toleranzedikten (311 und 313), dem 1. Konzil (325), der 4. Reichsteilung (337), der 5. Reichsteilung (364), dem 2. Konzil (381), dem Verbot aller Heiden-Kulte (Christentum als Staatsreligion; 391) und der 6. und endgültigen Reichsteilung (395) entfaltete sich das Papsttum vom ursprünglichen Bischofsamt zum Caesaro-Papismus, dem sich im Laufe der Geschichte der Papo-Caesarismus entgegenstellte. (). Die Ur-/Vorform des abendländischen Kirchenstaates materialisierte sich aus den Wirren des 4. Jahrhunderts heraus. Bald sollten auch die ersten skrupellosen wie folgerichtigen Fälschungen die Papstmacht verstärken.
So sieht es aus: das Kind ist schon da, aber für die Eltern noch nicht spürbar. Die abendländische Kultur war schon vorhanden, als die Elternkulturen noch gar nichts davon spürten ! Die antik-apollonische Kultur hat wahrscheinlich noch nicht einmal bemerkt, daß sie bereits im Sterben lag!

Solange die Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß alle Kirchen des Ostens in Kulte westlichen Stils überführt wurden. Das ist eine wesentliche Seite des Synkretismus. Seit Hadrian (117-138) verschwanden die echt antiken Stadtgötter im Hintergrund, auch wenn die östlichen Kulte noch sämtliche Merkmale des antiken Einzelkults trugen, jede Gemeinde für sich stand und örtlich begrenzt war: „alle diese Tempel, Katakomben, Mithräen, Hauskapellen sind Kultorte, an welche die Gottheit nicht ausdrücklich, aber gefühlsmäßig gebunden ist; aber trotzdem liegt magisches Empfinden in dieser Frömmigkeit. Antike Kulte übt man aus, und zwar in beliebiger Zahl, von diesen gehört man einem einzigen an. Die Mission ist dort undenkbar, hier ist sie selbstverständlich, und der Sinn religiöser Übungen verschiebt sich deutlich nach der lehrhaften Seite. Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen Seele seit dem 2. Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens, die zu einer neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum als magische Nation.“ (Spengler, 1922, S. 801).
Vom Übergang aus der Befruchtungsphase ausgehend sehen wir in der Spätantike (rot gefärbt) folgende Geistesströmungen, an denen man das magisch ausgerichtete Seelenbild gut erkennen kann, nämlich den Dualismus zwischen Geist und Seele, den ich Seelengeist nenne. Dieser wird teilweise, und zwar zunächst in Form des Arianismus, auf das Abendland übertragen . So funktionieren Genträger, die Chromosomen, und als solche übertragen sie das Erbmaterial von der sich teilenden Zelle auf die beiden Tochterzellen, und die heißen für das Abendland Römisches Reich und Christliche Kirche.
(Vgl. 22-24) um 70/80) Evangelien entstehen; um 120 vollendet (Markus, Matthäus, Lukas und Johannes)
um 70/80) Patristik (1) (Erste Kirchenväter) Apostolische Väter der nachapostolischen Zeit (bis 150)
um 70/80) Mittlerer Platonismus (Ende der Akademie (Alter Platonismus) Beginn des Mittleren Platonismus): Plutarch
24.08.79) Ausbruch des Vesuv (der Naturforscher Plinius d.Ä. kommt dabei ums Leben)
80) Kolosseum (Amphitheater) mit 50000 Plätzen
81) Baubeginn des Limes unter Domitian
um 90/100) Trier erhält ein Amphitheater für 2000 Zuschauer
121) Nimes in Südfrankreich erhält ein Amphitheater

80/150) Beginn der 2. Germanischen Wanderung, d.h. Eindringen der freien Germanen aus der
Germania Libera (Germania Magna) in römisches Territorium (Römisches Reich). Seit 81: Bau des Limes
Das Germanische entwickelt durch die Wanderungen immer mehr Einzeldialekte

um 150) Geozentrisches System als Weltbid, Tierkreis- und Planetenastrologie (Viererbuch: Ptolemäus)
um 150) Längen und Breitenbestimmungen von 8000 Orten der Welt (Achterbuch: Ptolemäus)
um 150) Optik mit Messung des Einfalls- und Brechungswinkels des Lichts (Ptolemäus)
um 150) Harmonik-Musiktheorie (Ptolemäus)
um 150) Gravitationstheorie (Ptolemäus)
um 150) Patristik (2) (Apologeten), Verbindung christlicher Offenbarungslehre mit griechischer Philosophie:
Justinus, Athenagoras
um 150) (Gnostische) Alexandrinische Schule jüdisch-christlicher Prägung (Begr.: Philon 20/50) soll eine rein christliche Philosophie werden (Clemens von Alexandria)
160/180) Aristotelische (Peripatetische) Stoa: Galenos (Arzt & Philosoph), Mark Aurel (Politiker & Philosoph)
150) Goten-Reich zwischen Ostsee und Karpaten, zwischen Oder und Bug erloschen (gegründet 0 )

150) Ostgoten-Reich (Osteuropa, Ukraine, Südrußland, Krim (Krimgoten bestehen bis ins 20. Jh.)) (bis 375 )
150) Westgoten-Reich (Osteuropa, Balkan, Griechenland, Kleinasien); ab 376 Foederaten-Reich (bis 400 )
193) Alemannen (-Reich) im Dekumatland und jenseits des Limes (bis 746 )

180/190) Der Bischof von Rom gewinnt an Bedeutung
200/250) Letzter Skeptizismus (gegen Dogmatismus der Stoa und radikale Skepsis des Mittleren Platonismus): Sextus Empiricus
220/250) Neuplatonismus (Ende des Mittleren Platonismus, Beginn des Neuen Platonismus):
(Urheber: Ammonios Sakkas) Begründer: Plotinos
220/250) (Gnostisch-Neuplatonische) Alexandrinische Schule christlicher Prägung (Systematik): Origenes
254) 1. Reichsteilung
293) 2. Reichsteilung

255) Franken (-Reich) zwischen Weser und Rhein und im Rheindelta (bis 843 )
286) Sachsen (-Reich) an Nord- und Ostsee, zwischen Elbe und Niederrhein (bis 804 )

um 300) Arianismus (1): Christologie des alexandrinischen Priesters Arius (Christus ist mit Gott nicht wesensgleich)
um 300) Eremitenleben: Antonius der Einsiedler (der Große) geht in die Wüste
um 300) Patristik (3) (Systematiker): Athanasios
305) 3. Reichsteilung
313) Toleranzedikt von Mailand. Die Christenverfolgungen werden eingestellt
318) Verurteilung des Arianismus und Exkommunikation des Arius durch den Bischof von Alexandria
um 320) Patristik (4) (Dogmatiker): Eusebius von Cäsarea
um 320) 1. Kloster in Ägypten: Pachomius der Eremit
324) Konstantin I. d.Gr. ist Alleinherrscher (Totius orbis imperator)
325) (19.06. – 25.08.) Konzil (1) von Nizäa (I) : Verurteilung des Arianismus und Glaubensbekenntnis unter
Einfluß Konstantin I. d. Gr. und Athanasios (Kirchenlehrer und Patriarch von Alexandria)
330) (11.05.) Byzanz wird nach Umbenennung in Konstantinopel christliche Reichshauptstadt (2. Rom)
im bewußten Gegensatz zum heidnischen Rom (!)
337) 4. Reichsteilung
um 350) Arianismus (2): Wulfila (ca. 311-383) betreibt Mission und übersetzt die Bibel ins Gotische (Westgotische)
(der Arianismus lebte bei Goten, Wandalen und Langobarden bis ins 6. Jh. fort,
bei den Franken bis 496)
um 350/380) Patristik (5) (Kirchenpolitiker): Hilarius von Poitiers, Ambrosius (Trier), Bischof von Mailand,
Augustinus (Gottesstaat), vom Manichäismus, Skeptizismus und Neuplatonismus hindurch
zum Christentum (deshalb wird Augustinus Gegner des Manichäismus)
364) 5. Reichsteilung
um 370) 1. Mönchsregel (Klosterregel) für das griechische Mönchtum von Basileios (Basilius) d. Gr.
um 370) Mönchtum entfaltet sich auch im Westen (Vita Antonii)
um 370) Musik: Ambrosius (aus Trier), Bischof von Mailand, führt den
hymnischen Chorgesang in der abendländischen Kirche ein
375) Beginn der 3. Germanischen Wanderung („Völkerwanderung“) – ausgelöst durch die (asiatischen) Hunnen

375) Quaden-Reich erloschen (gegründet 19 )
375) Ostgoten-Reich in Osteuropa, Ukraine, Südrußland, Krim erloschen (gegründet 150 )
375) Ostgoten-Reich in Pannonien (Österreich, West-Balkan); ab 493 auch in Italien (bis 555 )
375) Gepiden-Reich (zwischen Donau, Theiß Alt und Karpaten) unter Arderich u.a. (bis 567 )

381) (Mai – 09.07.) Konzil (2) von Konstantinopel (I) : bestätigt das Nizäum (325); Gottheit des Hl. Geistes
391) Christentum wird Staatsreligion (Verbot aller heidnischen Kulte)
395) 6. (letzte) Reichsteilung – Römisches Reich wird endgültig geteilt: Osten (Byzanz) und Westen (Rom)
Ende der Reichseinheit
seit ca. 395) Patristik (6) (Scholastik) Synesios von Kyrene (neuplatonisch ausgerichtet)
400) Thüringer-Reich in Mitteleuropa, zwischen Harz, Elbe und Donau (bis 531 )
400) Westgoten-Reich in Osteuropa, Balkan, Griechenland, Kleinasien erloschen (gegründet 150 )

– Der „Kampf um Rom“ beginnt: Eroberung Roms durch Westgoten (410), Wandalen (455) und Skyren (476)

Letzte Tabelle Nächste Tabelle

Analoge Theologien
(0-2): 2100-1775 und 50-375
(0-2, 2-4, 4-6, 6-8, 8-10, 10-12)
1) …. Indogermanische … seit ca. – 2100
2) …………. ZEUS – ……… seit ca. – 2100 / – 2050
3) ……….. Religion ………. seit ca. – 2100 / – 2050
4) ………….. und ………….. seit ca. – 2100 / – 2050
5) ……. altmediterane …… seit ca. – 2000
6) ……….. Religion ………. seit ca. – 2000
7) ……. verschmelzen …… seit ca. – 1990 / – 1970
8) …. (Antike Religion) … seit ca. – 1950 / – 1900
9) …. (Zeus-Theologie) …. seit ca. – 1930 / – 1900
10) ….. Protohellenen ….. seit ca. – 20. Jh. / – 17. Jh.
11) ………. Mythen ………. seit ca. – 20. Jh. / – 17. Jh.
12) ………….. der …………. seit ca. – 19. Jh. / – 17. Jh.
13) ……… Mykener ……… seit ca. – 19. Jh. / – 17. Jh. 1) 1. Gnostizismus Alexandrinische Schule seit 20 (50)
2) 1. Patristik Apostolische Kirchenväter seit 70
3) 5. Kyniker Dion Chrysostomos von Prusa seit 70 (80)
4) Mittlerer Platonismus (Plutarch u.a.) seit 70 (80)
5) 2. Gnostizismus Alexandrinische Schule seit 150
6) 2. Patristik Apologetische Kirchenväter seit 150
7) Aristotelischer Stoizismus seit 160 (180)
8) 3. Skeptizismus Letzte Skeptiker seit 200 (250)
9) Neu-Platonismus (Plotinos u.a.) seit 220 (250)
10) Arianismus (Arius, Wulfila u.a.) seit 3. / 4. Jh.
11) 3. Patristik Systematisierende Kirchenväter seit 3. / 4. Jh.
12) 4. Patristik Dogmatisierende Kirchenväter seit 4. Jh.
13) 5. Patristik Kirchenpolitische Kirchenväter seit 4. / 5. Jh.

Urheber des Neuplatonismus war der in Alexandria lebende Ammonios Sakkas (um 175 – 242). Er hat nichts Schriftliches hinterlassen, seine Schüler um so mehr: Plotinos (205-270), der eigentliche Begründer des Neuplatonismus, und Origenes (185-254), der zuerst Lehrer an der ältesten christlichen Theologenbildungsanstalt (203-231) in Alexandria, dann Vorsteher der von ihm 232 gegründeten Anstalt in Caesarea (Palästina) war und von den Orthodoxen als Ketzer angegriffen wurde. Er vollendete die früheste christliche verteidigende (apologetische), vergleichende und systematische Theologie in Form einer Streitschrift gegen Celsus (2.Jh.), ein römisch-platonischer Philosoph, der starke Einwände gegen das Christentum hatte und meinte, Gott könne ohne Veränderung in das Schlechte gar nicht zu den Menschen gelangen; die christliche Lehre sei ohne Originalität, habe ihre Wurzeln in der orientalischen Mythologie und gefährde praktisch den Staat. Origenes benutzte die Gnosis und den Neuplatonismus, besonders seine Lehre vom Logos, zur Deutung der religiösen Urkunden. Gott sei wirkende Vorsehung, Christus nicht Erlöser, sondern Vorbild, der heilige Geist der eigentliche Mittler zwischen Christus und Welt bzw. Menschheit, der deren Rückwirkung zu Gott bewirke. Nachdem Clemens von Alexandria (150-215) noch unsystematisch zwischen Platon, Stoa und Philon, also platonisch, stoisch und gnostisch hin und her philosophiert hatte, schuf Origenes unter Verwendung griechischer Begriffe und starker Annäherung an neuplatonische Ideen ein theologisches System. Das Kernstück des Neuplatonikers Plotinos dagegen war die Ontologie als eine Art Hypostasenlehre. Die Vergegenständlichung oder Personifikation eines Begriffes und dieser selbst schienen ihm ein Ein-und-Alles zu sein. Und selbst das war ihm wahrscheinlich noch zu körperlich. Plotinos war so sehr auf Vergeistigung bedacht, daß er sich schämte, einen Leib zu haben. Er systematisierte den Neuplatonismus und ging vom All-Einen aus, welches das Ur-Gute sei, aber weder Vernunft noch Gegenstand der Vernunfterkenntnis. Nach seiner Vorstellung entläßt das All-Eine aus sich heraus durch Ausstrahlung (Emanation) den Weltgeist, Nous. Plotinos meint, der Nous setze die Welt-Seele aus sich heraus; er fasse die Ideenwelt in sich, die wahre Welt, während die Sinnenwelt nur ein trügerisches Abbild dieser sei. Die Welt-Seele gliedere sich in Einzel-Seelen auf. Als niederste Stufe der Emanation entstehe die Materie, das Nicht-Seiende, Böse, die absolute Negation des Ein-Urwesens. Das letzte und höchste Ziel der vom All-Einen abgefallenen Seele sei ihre Wiedervereinigung mit ihm durch Ekstase, zu der die Erkenntnis nur eine Vorstufe sei.
Die christliche Philosophie, die die Kirchenväter (Patristen) immer mehr durchsetzten, war zunächst eine alexandrinische, d,h, eine mehr und mehr von spätgriechischen, jüdischen und christlichen Elementen bestehende Philosophie gewesen. In dieser Alexandrinischen Schule wurde der Versuch gemacht, aus der spätgriechischen Philosophie eine christliche zu machen. Wenn die Patristik die Nabelschnur für das Abendland im Uterus bedeutet, dann repräsentiert die christliche Religion die versorgenden Fruchthüllen, die zusammen mit der Gebärmutterschleimhaut zur Plazenta werden. Das Christentum wurde tatsächlich so etwas wie ein Mutterkuchen für das werdende Abendland, weil dieses ja auch mit magischen Kulturgenen ausgestattet ist. Die magische Kultur stellte die weiblichen, die antike Kultur die männlichen Gene zur Verfügung. Aus dem Gengemisch entwickelten sich kulturhistorische Faktoren, die man als kirchenväterlich bezeichnen kann. Die Kirchenväter wirkten vom Ende des 1. Jahrhunderts an (und bis in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts): von den apostolischen (70/80-120), dann den apologetischen wie Justinus (100-167) und Tertullian (ca. 150-220), den systematischen wie Origenes (185-254), den dogmatischen wie Eusebius von Cäsarea (260-340), den kirchenpolitischen wie Augustinus (354-430), seinem (britischen) Gegner Pelagius (ca. 380-420), den ersten Scholastikern wie Synesios von Kyrene (370-450) und Boethius (480-524) bis zum englischen Beda Venerabilis (674-735). Sie gaben dem abendländischen Keim die ersten Fruchthüllen bis hin zur Muttermilch und zur ersten postnatalen Entwöhnung, dem Abstillen. Die Fruchthüllen legten sich im 4. Jahrhundert um den germanischen Wulfila-Keim des Abendlandes, der ab jetzt Embryo genannt werden darf.

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Anmerkungen:
„Historische Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde Kultur so mächtig über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen, sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 784). Auch eine junge Kultur kann so mächtig sein, daß sie eine alte dort, wo sie zu Hause ist, überlagert. Das Beispiel zwischen der (alten) apollinischen Kultur, auch kurz „Antike“ genannt, und der (jungen) magischen Kultur, auch „Persien/Arabien“ genannt, macht es deutlich: „Solange die Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß alle östlichen Kirchen zu Kulten westlichen Stils wurden. Dies ist eine wesentliche Seite des Synkretismus. … Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens, die zu einer neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum als magische Nation.“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 800-801).
Seelenbild der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel „Parallelenaxiom“ deutlich werden kann: Euklid hat in seinen „Elementen“ (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische. Sie stehen – wie unzählige andere Beispiele auch – für einen metaphysischen Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler, 1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.
Das Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele, ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Spengler, 1922, S. 847f.).
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) veröffentlichte seine nicht-euklidischen Geometrien nicht, weil er das Geschrei der denkfaulen, schwerfälligen und unkultivierten Menschen fürchtete. Er nannte sie Böoter, weil die Einwohner dieser antiken Landschaft (Hauptstadt: Theben) von den Einwohnern anderer Griechenstädte als denkfaul und schwerfällig beschrieben worden waren. Gauß meinte zu Recht, daß man die Menschen nicht wirklich würde überzeugen können. Die erste der nichteuklidischen Geometrien entdeckte Gauß nach Vollendung seines Hauptwerkes Disquisitiones arithmeticae (1801), durch deren in sich widerspruchslose Existenz bewiesen wurde, daß es mehrere streng mathematische Arten einer dreidimensionalen Ausgedehntheit gibt, die sämtlich a priori gewiß sind, ohne daß es möglich wäre, eine von ihnen als die eigentliche Form der Anschauung herauszuheben. (Vgl. 18-20).
Mitose (mitos = Faden) bedeutet eine indirekte Kernteilung, Karyokinese, eine Äquationsteilung. Es ist ein Kernteilungsvorgang, bei dem aus einem Zellkern zwei Tochterkerne gebildet werden, die gleiches – mit dem Ausgangsmaterial identisches – Genmaterial und (im Unterschied zur Meiose) die gleiche Chromosomenzahl haben. Auch die Mitose kennt die Phasen (1.1.) Prophase, (1.2.) Metaphase, (1.3.) Anaphase und (1.4.) Telophase.
Römisch-katholische Interpretationen attestieren dem Abendland zumeist, daß in ihm die Dominanz des Christlichen überwiege. Diese Meinung teilen vor allem kirchliche und vornehmlich christlich orientierte Vertreter. Theodor Heuss (31.01.1884 – 12.12.1963) soll einmal gesagt haben, daß Europa von 3 Hügeln ausgegangen sei: von der Akropolis, von Golgatha und vom Kapitol. Diese Sichtweise würde eher, wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, auf eine Dominanz der Antike verweisen. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß aus einem antik-apollinischen Einzelkörper und einer magisch-seelengeistigen Welthöhle ein abendländisch-faustischer Unendlichkeitsraum entstehen kann, dann muß unbedingt ein dritter Faktor hinzukommen, den ich die Kulturpersönlichkeit nenne: das Germanentum. Ohne das Germanentum versteht man die Willensdynamik eines Faust nicht, und ohne das germanische Element ist die Raumtiefe, aber auch die in jeder Hinsicht sowohl ins Mikrokosmische als auch ins Makrokosmische gehende Unendlichkeit nicht als distinktives Merkmal der abendländischen Kultur zu identifizieren. Diese Merkmale treffen auf keinen antiken Menschen zu, aber insbesondere auf die Abendländer, die germanischen Ursprungs sind. Scharfe Gegensätze, wie die zwischen Antike und Abendland, sind zwar unbedingt ein Indiz für Verwandtschaft, weil beide Kulturen so auffallend gegensätzlich sind: aktiv und reaktiv. Offenbar hat die Antike auf das Abendland aber nicht persönlichkeitsstiftend gewirkt und konnte auch erzieherisch nicht tätig werden, weil sie so früh verstarb. Die Biogenetik und Sozialisation geraten nicht selten so weit auseinander, wenn ein Elternteil früh verstirbt, d.h. nicht wirklich erlebt wird. Dem Abendland scheint es auch so ergangen zu sein. Die Auseinandersetzungen mit der magischen Mutter hat beim Kind jedoch zu einer enormen, fast schon verdächtigen Erinnerung bis hin zur Vergötterung des antiken Vaters Beitrag geleistet. Aber liegt deshalb immer auch schon ein Vaterkomplex vor? Es bleibt zunächst festzuhalten, daß auch kulturell zwischen Genetik und Sozialisation, zwischen Anlage und Umwelt, zwischen angeboren und anerzogen ganz klar unterschieden werden muß. Dazwischen bewegt sich die Persönlichkeit. Man kann sie nicht isolieren, folglich auch nicht isoliert betrachten, aber man kann sie beschreiben, und ich beschreibe die Kulturpersönlichkeit des Abendlandes als germanisch, weil dieser Raum zwischen Anlage und Umwelt für die Kulturpersönlichkeit zwanghaft unendlich werden muß, wenn sie die verlorene Vaterkultur zurückholen will. Der unendliche Raum und Wille sind auch deshalb Ursymbol und Urwort des Abendlandes. Wenn der Mensch eine Grundlage von etwa 60 Billionen Zellen hat und einer Umwelt von praktisch unendlicher Vielfalt ausgesetzt ist, so gilt für eine Kultur, daß sie Völker, Staaten oder Nationen zur Grundlage hat und einer Umwelt von unendlichen Möglichkeiten, aber auch gähnender Leere gegenübersteht. Mit dem Germanentum fiel eine faustische Entscheidung zugunsten der unendlichen Möglichkeiten. Die Eltern des Abendlandes waren also antik-magisch, ihre gentragenden Chromosomen römisch-christlich, aber die Kontrollgene germanisch. (Vgl. 22-24).
Die 2. Germanische Wanderung, das Erstarken des christlichen Elements und die Reaktionen des Römischen Reiches, d.h. die Kämpfe gegen Germanen und Christen einerseits und die Aneignung ihrer Vorzüge andererseits, stellen die erste Materialisation des in der Befruchtungsphase genetisch festgelegten Codes dar. Was sich in der letzten Phase angedeutet hatte, wurde jetzt konkret. Ende des 1. Jahrhunderts begannen die Römer mit dem Bau des Limes und Domitian mit seinem ausartenden Despotismus (Dominus et Deus) und der Verfolgung von Christen und Stoikern. Was auch immer politisch dahinter steckte, es war jedenfalls auch der Ausdruck einer Pendelbewegung, eine Art Selbstfremdheit. Während der 3. Germanischen Wanderung, die ich als eine Organisation des werdenden Abendlandes ansehe, sollte dies noch deutlicher werden. Da alles in Bewegung war, konnte man auch nichts anderes mehr erwarten als eine Organisation des Chaos. Die 3. Germanische Wanderung sollte die Organe wachsen lassen. Einen „Weltmonat“ (2150 Jahre) vorher waren es die Indogermanen gewesen, die ebenfalls durch zwei große Wellen eine Organisation zum Werden des Neuen bewirkt hatten. Was die Indogermanen für die Antike gewesen waren, waren die Germanen für das Abendland, und es bleibt abzuwarten, wer auf große Wanderschaft geht, um die abendländischen Kulturgene zu steuern.
Der Synkretismus kristallisierte sich als eine der vielen Arten der Pseudomorphose (Spengler) heraus, als die Kirchen des Ostens in Kulte des Westens verwandelt wurden und in umgekehrter Richtung die Kultkirche entstand. Die Formenbildung ging also erst von West nach Ost und dann von Ost nach West. Das 2. Jahrhundert war die Zeit der Umkehrung: die Kulte des Westens wurden zu einer neuen Kirche des Ostens. Es entstand ein neues Griechentum als magische Nation.
„Und aus der Gottheit des Ortes wird, ohne daß jemand sich der Schwere dieser Wendung bewußt wäre, die am Orte gegenwärtige Gottheit.“ (Spengler, Der Untergang des Abendlandes, Bd. II, 1922, S. 801)
Spätestens jetzt müßte man hier erkennen, wie weit auch die römische Antike sich bereits von ihrem körperlichen Seelenbild gelöst hatte. Plotin hatte das magische Seelenbild, das ich Seelengeist nenne, offenbar längst verinnerlicht. So gesehen hatte der Neuplatonismus tatsächlich nicht mehr viel mit dem alten und mittleren Platonismus zu tun. Für Platon selbst spielten Körper, Formen und Substanzen eine sehr große Rolle. Auch das antike Bild des Körpers ist hier bereits, zur Zeit des Plotin (205-270), durch das magische Bild der Welthöhle absorbiert worden. (Vgl. 22-24).
Trier wurde wahrscheinlich zwischen 16 und 13 v. Chr. von Kaiser Augustus im Gebiet der Treverer gegründet. Es wurde rasch Mittelpunkt und besaß schon um 100 n. Chr. ein Amphitheater für rund 20000 Zuschauer. Trier war Hauptort der Provinz Belgica, zu der auch Teile Germaniens gehörten. Unter Claudius (01.08.10 v. Chr – 13.10.54 n. Chr.; Kaiser von 41 bis 54) war es Colonia. Von 260 bis 270 war Trier Residenz der gallischen Gegenkaiser Postumus und Victorinus. Es wurde 275/276 von Franken und Alemannen zerstört und im Jahre 286 von Diokletian zur Kaiserresidenz und unter Konstantius I. Chlorus (Gaius Flavius Valerius Constantius, um 250 – 306), der seit 293 Mitkaiser und seit 305 Augustus war, Kaiserresidenz und Verwaltungssitz der gallischen Präfektur (bis Ende des 4. Jhs.). Trier war mit 70000 Einwohnern für ein Jahrhundert die größte Stadt nördlich der Alpen. Bereits seit etwa 200 n. Chr. gab es in der Stadt eine Christengemeinde. Ein Bischof ist seit dem 3. Jahrhundert nachweisbar. 475 fiel Trier an die Franken, blieb aber weiterhin Mittelpunkt des christlichen Lebens.
Jesus (7 / 4 v. Chr. – 26 / 30 n. Chr.) ist Urheber und zentrale Gestalt des Christentums. Das Christentum umfaßt die Auswirkungen des Glaubens an Person und Wirken Jesu Christi, wie er von den christlichen Kirchen und Gemeinschaften in der Auseinandersetzung mit fremden Religionen, den geistigen und weltanschaulichen Strömungen der verschiedenen Zeiten sowie mit den politischen Mächten entwickelt worden ist. In Rom galt die christliche Gemeinde zunächst als jüdische Sekte. Der römische Staat entzog dieser schnell wachsenden Gemeinschaft bald die religiösen und rechtlichen Privilegien, die er dem Judentum gerade eingeräumt hatte. Die Auseinandersetzung mit dem Römischen Reich wurde intensiv seit der Mitte des 3. Jahrhunderts geführt. Auf das Toleranzedikt des Galerius und Licinius, 311, folgte die Bekehrung Konstantins und mit dem Toleranzedikt von Mailand (313) die Einstellung der Christenverfolgungen. Konstantin der Große machte das Christentum zu der mit allen zeitgenössischen Kulten gleichberechtigten und schließlich zur allein berechtigten Religion im Reich (Konzil von Nicaea, 325). Damit hatte er eine Entwicklung eingeleitet, die zur Entstehung der Reichskirche als einer vom Reich letztlich abhängigen Einrichtung führte. Durch den oströmischen Kaiser Theodosius I. wurde 380 mit dem Edikt von Thessalonike der Athanasianismus (Katholizismus) begründet, im 1. Konzil (= 2. Ökumenisches Konzil, 381) von Konstantinopel das (konstantinopolitanische) Glaubensbekenntnis formuliert und das Nizänum bestätigt, 391 das Christentum überhaupt Staatsreligion, damit alle heidnischen Kulte verboten. 395 teilte sich das Reich in West- und Ostrom, 455 eroberten die Wandalen Rom und 476 erlosch das Weströmische Reich endgültig mit der Absetzung des Romulus Augustus durch den Germanen Odowaker (Odoaker), aber die römische Kultur wurde von den Eroberern nicht zerstört, die arianische Christen waren und mit der unterworfenen Bevölkerung, die römisch-katholisch war, die erste und für die Christen-Geschichte wichtigste Verschmelzung eingingen. Für die geschichtliche Erkenntnis Jesu ist man nahezu ausschließlich auf die Evangelien des Neuen Testaments angewiesen. Derjenige, der das Christentum erst zur Weltreligion machte, war Paulus. (Vgl. 22-24 und 2-4 sowie 4-6).
Paulus († 29.06.66 oder 67; enthauptet), christlicher Heidenapostel, machte das Christentum durch Überwindung der nationalen und traditionellen Bedingtheiten seitens des Judenchristentums zur Weltreligion, indem er den übernationalen Charakter der durch den Glauben an Christus begründeten Heilsgemeinschaft betonte. Er war Verfasser zahlreicher neutestamentlicher Schriften. Als Quellen zur Rekonstruktion seines Lebens dienen vor allem die wirklich von ihm verfaßten Briefe an die Gemeinden in Rom, Korinth, Galatien, Philippi, Thessalonike und an Philemon, die alle aus der Zeit zwischen 50 und 56 stammen. Bei der spekulativen Durchdringung des Christentums verwendete er Elemente der stoischen und jüdisch-hellenistischen Philosophie. Seine vielen Missionsreisen führten am Ende zur Verhaftung in Jerusalem, zur Überführung nach Rom und dort zur Enthauptung (Märtyrertod). (Vgl. Mission und Apostelkonzil). Paulus gilt als der bedeutendste Missionar des Urchristentums. In seiner mehrjährigen Missionstätigkeit auf Zypern, in Kleinasien, Syrien, Griechenland, Makedonien u.a. Regionen verkündete er kompromißlos das Evangelium frei von Gesetzesbindungen und trat dadurch natürlich in Gegensatz zum Judenchristentum der Urgemeinde. Er knüpfte besonders an die nachösterliche Verkündigung des gekreuzigten und auferstandenen Herrn und seine Bedeutung für das Heil der Menschheit an. Die durch den Tod und die Auferstehung Christi eingetretene Wende der Heilsgeschichte zeigt sich nach Paulus vor allem darin, daß der jüdische Heilsweg, der in der Erfüllung der Gesetzgebung als der Verpflichtung gegenüber dem Bund mit Jahwe steht, aufgehoben ist (!), die Rechtfertigung* ausschließlich aus dem Glauben erlangt werden kann (!). (*Rechtfertigung ist ein Begriff der christlichen Theologie, mit dem der Vorgang reflektiert wird, daß das durch die Sünde gestörte Verhältnis zwischen Mensch und Gott in einen als „heil“ geglaubten Zustand überführt wird). Der Glaube kann auch nicht als Werk des Menschen aus sich selbst verstanden werden, sondern als Gabe und als Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes. Der Mensch ist in allen seinen Aspekten („Geist“, „Seele“, „Leib“) aufgerufen, das in Christus geschenkte neue Leben zu verwirklichen. In seinem Verhalten ist der Mensch jedoch nicht auf sich allein gestellt, sondern ist Mitglied der Gemeinde des auferstandenen Herrn. Diese ist schon gegenwärtig der Leib Christi, wird aber gleichzeitig von der Hoffnung auf die endgültige Wiederkunft (Parusie) des Herrn geleitet und ist in dieser Spannung von „schon“ und „noch nicht“ Träger seines Geistes.
48 fand das Apostelkonzil in Jerusalem statt, an dem auch Petrus und Paulus teilnahmen. Anlaß des Apostelkonzils war die Frage, ob „Heiden“, die zum Christentum übertreten, sich der Beschneidung und dem jüdischen Gesetz unterwerfen müssen. Das Apostedekret ist der vom Apostelkonzil (Apg. 15; Gal. 2, 1-10) den Christen Antiochias, Syriens und Kilikiens (heute: Südanatolien) mitgeteilte Beschluß, daß sie zur Beobachtung (Befolgung) des mosaischen (israelitisch-jüdischen) Gesetzes nicht verpflichtet seien (!). Also war das Apostelkonzil ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Universalkirche.
Der „Klemensbrief“, der von Klemens I. (reg. um 88-97) verfaßte politisch gefärbte Brief mit 61 Kapiteln, ist das früheste authentische Dokument der nachapostolischen Zeit; er identifiziert die Einheit der römischen Gemeinde mit der Einheit in Rom und kann als eine erste „Enzyklika“, ein politisch gefärbtes „Evangelium“ aufgefaßt werden. Unter Klemens I. bekehrten sich führende Angehörige des römischen Adels und des Kaiserhauses zum Christentum. (Vgl. Papstgeschichte).
Hadrian (Publius Aelius Hadrianus, 24.01.76 – 10.07.138 ), Verwandter Trajans, zweiter adoptierter Kaiser (117-138), war seit 116 Statthalter in Syrien und schloß unter Verzicht auf die eroberten Gebiete mit den Parthern einen Frieden. 117 wurde er nach umstrittener Adoption zum Kaiser ausgerufen. Seine Politik des Verzichts auf kostspielige Reichsexpansion und verstärkter Grenzsicherung entspricht dem Bemühen im Innern, v.a. Straßen-, Städte- und Wasserleitungsbau im ganzen Reich zu betreiben. Die Euphratgrenze wurde wieder hergestellt, der Ausbau des germanischen Limes an Rhein und Donau intensiviert, wie auch andere Befestigungsanlagen, z.B. in Britannien und am Euphrat. Hadrian verbesserte und verstärkte den Verwaltungsapparat durch Ausbau der Kanzleibürokratie und machte ausgedehnte Reisen zur Überwachung der Reichsverwaltung (Reisekaiser). Unter ihm gab es Neueinrichtungen von Provinzen und eine Heeresreform. Hadrian war Griechenfreund und Philosoph und im Osten göttlich verehrt. Er war erfüllt vom Ziel der Verwirklichung der Pax Augusta im ganzen Imperium. Der Wiederaufbau Jerusalems als Kolonie Aelia Capitolina entfachte den Aufstand der Juden unter Bar Kochba (132-135), der mit der Eroberung Jerusalems durch Hadrian endete. Hadrian adoptierte 137 den späteren Kaiser Antonius Pius, verfaßte eine Biographie und ließ u.a. das Mausoleum (Engelsburg) in Rom, die Villa Adriana bei Tivoli und in Athen die Stoa – mit Bibliothek – bauen. Hadrian wurde in dem monumentalen Rundgrab, dem Mausoleum Hadriani (Engelsburg) beigesetzt. (Vgl. Tabelle).
Antonius Pius (Titus Aelius Hadrianus Antonius, 19.09.86 – 07.03.161), 138 von Hadrian adoptierter Kaiser (138-161), der die Friedenspolitik seines Vorgängers fortsetzte. Die Limesanlagen wurden weiter ausgebaut, das Heer durch einheimische Truppen verstärkt und in Britannien die Grenze bis zum Firth of Forth verschoben (Antoniuswall, um 142). Seine Regierung galt als Zeit des Wohlstands. Antonius Pius adoptierte auf Wunsch Hadrians die späteren Kaiser Mark Aurel und Lucius Verus. (Vgl. Tabelle)
Mark Aurel (Marcus Aurelius Antoninus, eigtl. Marcus Annius Verus, 26.04.121 – 17.03.180), 138 von Antonius Pius adoptierter Kaiser (161-180), der Philosoph auf dem Kaiserthron, regierte zuerst mit seinem Adoptivbruder Lucius Verus (Lucius Aelius Aurelius Commodus, eigtl. Lucius Ceionius Commodus, 15.12.130 – Jan./Febr. 169), indem er ihn zum Mitkaiser ernannte. Diese Doppelprinzipat, wenn es noch eines war, hielt bis zum Tode des Mitkaisers (169). Lucius Verus führte erfolgreich Krieg gegen die Parther (162-166), die Armenien, Kappadokien und Syrien besetzt hatten, und eroberte Seleukeia am Tigris und Ktesiphon. Mesopotamien wurde besetzt. Mark Aurels Regierung war der Beginn des römischen Niedergangs: wegen der Pest, die sich durch heimkehrende Soldaten über das ganze Reich von Osten nach Westen verbreitete, kam es zum Friedensschluß und zu ständigen Grenzüberschreitungen an der Donau durch die germanischen Völker wie Markomannen, Quaden und Bastarnen sowie durch die iranischen Sarmaten (seit 166). Aus diesem Grunde erfolgte der 1. Markomannische Krieg (167-175). Mark Aurels Hauptwerk, die in griechischer Sprache verfaßten Wege zu sich selbst, entstanden während eines Feldzuges; diese Offensive zur Sicherung der Donaugrenze brachte den Frieden (171): die Markomannen und Quaden mußten einen Gebietsstreifen links der Donau räumen. 173 wurde ihm zu Ehren ein Reiterstandbild auf dem Kapitolsplatz in Rom errichtet, 176 folgte eine Säule, die den 1. Markomannischen Krieg darstellende Markussäule. Mitregent wurde sein Sohn Commodus und das Adoptionsprinzip zugunsten einer dynastischen Erbfolge aufgegeben. Der 2. Markomannische Krieg (178-180) veranlaßte die Römer 179, ein neues Legionslager, Castra Regina (Regensburg) zu errichten, aber sie mußten nach dem Tod Mark Aurels in Vindobona (Wien, 180) wegen des ungünstigen Friedensschlusses die Offensivpolitik aufgeben. Diese Entscheidung fällte Mark Aurels Sohn Commodus. (Vgl. Tabelle).
Commodus (Marcus Aurelius Commodus Antonius, seit 191: Lucius Aelius Aurelius Commodus, 31.08.161 – 31.12.192), Sohn des Mark Aurel und der Faustina d.J., war seit 166 Caesar, seit 177 Augustus und von 180 bis 192 römischer Kaiser. Er gab die Offensivpolitik auf und glaubte, eine Inkarnation des Herkules und Mithras zu sein. Ähnlich wie schon bei Caligula zeigt dieser Cäsarenwahn antik-magische Züge, denn der Kult um Herkules (Herakles) ist griechischen, also antiken Ursprungs, doch der Mithras-Kult indoiranischen Ursprungs. Die Willkürherrschaft des Commodus und sein wahlloser Ämterverkauf (Günstlingswirtschaft) brachte ihn in einen verschärfenden Gegensatz zum Senat. Seine Ausschweifungen und die sich steigernden Vorstellungen von eigener Göttlichkeit führten zu einer zunächst mißlungenen Verschwörung (182), zu einem Bandenkrieg in Italien (186), zu Aufständen in Africa und Britannien und schließlich zu einer Palastverschwörung, die nicht mehr scheitern konnte. Commodus wurde in der Silvesternacht ermordet (192/193). Es folgte das 2. Vierkaiserjahr (193). (Vgl. Tabelle).
2. Vierkaiserjahr (193): Didius Julianus (für Rom), P. Niger (für die Provinz Syrien), Clodius Albinus (für die Provinz Britannien) und Septimius Severus (für die Provinz Pannonien), der am Ende die Gegenkaiser besiegte (April 193) und das severische Herrscherhaus begründete. (Vgl. 1. Vierkaiserjahr, 68/69). Eine Übersicht bietet die Tabelle.
Origenes (185, Alexandria, † 254, Tyrus) war zunächst Lehrer (203-231) an der ältesten Theologenbildungsanstalt zu Alexandria, die von Philon im 1. Jh. gegründet worden war („Alexandrinische Schule“). Danach war Origenes Vorsteher der von ihm 232 gegründeten Anstalt in Caesarea (Palästina). Er wurde von den Orthodoxen als Ketzer angegriffen.
Plotinos (205, Lykopolis, † 270, Minturnae / Campanien) war in Alexandria Schüler des sagenhaften Ammonios Sakkas (um 175 – 242), danach, nach seiner Teilnahme an Kaiser Gordians persischen Feldzug, als Kaiser Gallienus‘ Schützling Vorsteher einer eigenen Schule in Rom. Plotin war so sehr auf Vergeistigung bedacht, daß er sich sogar schämte, einen Körper zu haben. (Magische Geistesdominanz; vgl. Seelenbild).
Arianismus ist die Christologie des alexandrinischen Priesters Arius (ca. 250 – 336). Nach ihr ist Christus mit Gott nicht wesensgleich, sondern nur dessen vornehmstes Geschöpf. Arius wurde von seinem Bischof Alexander exkommuniziert, seine Lehre, die der griechische Kirchenlehrer Athanasios (295-373) aufs heftigste bestritt, wurde 325 unter Einfluß des Kaisers Konstantin d. Gr. auf dem Konzil von Nizäa verurteilt. Bei Goten (vgl. Wulfila), Wandalen und Langobarden lebte sie jedoch bis zum 6. Jh. fort.
Wulfila (Ulfila, Ulfilas, Gulfilas, um 311 – um 383 in Konstantinopel), westgotischer Bischof, 341 für die Goten zum Bischof geweiht. Wulfila mußte sich 348 hinter die Reichsgrenze zurückziehen wegen der Verfolgung durch Athanarich , den damaligen Führer der Westgoten, der mehere Christenverfolgungen, z.B. in den Jahren 348, 369 aus Römerhaß (!), unternahm und durch Kaiser Valens nach mehrjährigem Krieg 369 zum Vertragsverhältnis mit Rom gezwungen und gegen Lebensende von Kaiser Theodosius ehrenvoll aufgenommen wurde. Wulfila wirkte trotzdem weiter als Missionsbischof und weltlicher Führer (Primas). Theologisch gehörte er zu den gemäßigten Arianern. Seine bedeutendste Leistung war die Bibelübersetzung ins Gotische. War er also ein Luther am Übergang Spätantike/Mittelalter oder war Luther ein Wulfila am Übergang Mittelalter/Neuzeit?
Übersicht über die Vor- und Frühgeschichte der abendländischen Musik (Grundlagen / Träger):

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Hymnischer Chorgesang / Ambrosius (339-397), der aus Trier stammte und Bischof von Mailand war.
Gregorianischer Gesang (Gregorianischer Choral; 1stimmige Gregorianik) / Papst Gregor I. (540-604).
(Psalmodie vom Wortakzent bestimmt; Antiphonen, Respondorien, Hymnen).
Organum: früheste Form (7. Jh.) der Mehrstimmigkeit, Paraphonie zur gregorianischen Melodie.
Choralrhythmus, 40 Sequenzen / Notker der Stammler (Balbulus; 840-912), der Mönch im Kloster St. Gallen war.
Durch Klang gestützte Melodik / Gymel, Fauxbourdon (3stimmige Setzweise).
Mehrstimmigkeit / Studentenlyrik: Carmina Burana (Lieder aus Beuren; Kloster bei Bad Tölz, 11., 12., 13. Jh.).
Erwachendes rhythmisches Bewußtsein / Minnesänger, W. von der Vogelweide u. a., Kreuzritter, fahrende Sänger.
Ars antiqua (Organum wird Discantus: abgetrennte Gegenstimme / Leoninus (12.Jh.), Perotinus Magnus (13. Jh.).
Conductus (mehrstimmiges Vokalwerk der Ars antiqua) und Motetus (3 Stimmen, scharf gegenseitig abgesetzt).
Früheste Polyphonie, Mensuralmusik (gemessene Musik: festgelegte Notenwerte) / Franko von Köln (13. Jh.).
Früheste ausgereifte polyphone Satztechnik, z. B. (Sommerkanon), Rondeaus / z. B. Adam de la Halle (13. Jh.).
Meistergesang / Meistersinger (14. Jh. bis 16. Jh., z.B. Hans Sachs, 1494-1576)
Ars nova, niederländischer Kontrapunkt und niederländische Polyphonie, mehrstimmiges deutsches Lied, Choräle bis zum Aufkommen der Instrumentalmusik (Paumann, 1452).