Vom schwulen Eros (3)

Dies sind unausrottbare Gegebenheiten. Trotz aller Anstrengungen der Gender-Ideologen sind Jungen und Männer nicht davon abzubringen, »schwul« als Schimpf- oder Spottwort zu benutzen. Bei näherer Betrachtung ist es in erster Linie nicht die Homosexualität an sich, die als bedrohlich, verächtlich oder lächerlich empfunden wird, sondern vor allem die damit konnotierte Verweiblichung des Mannes, die als Kennzeichen psychischer und physischer Regression gilt. Die verachtete »Schwuchtel« meint den weichlichen, passiven, unterwürfigen, feigen, affektierten, emotional unkontrollierten Mann, der sich körperlich nicht verteidigen kann. Nicht nur in der embryologischen Entwicklung geht das Weibliche dem Männlichen voran, auch die kindliche Welt steht primär unter der Herrschaft der Frau. Schon die Psychoanalyse wies auf den Prozeß der psychischen Abnabelung von der Mutter hin, die für ein männliches Kind ganz andere Identitätskrisen birgt als für ein weibliches. Das spiegelt sich auch auf der äußeren Ebene: hohe Stimmen, zierliche Körper, runde Formen und bartlose Gesichter gehen dem späteren Habitus und den sekundären Geschlechtsmerkmalen des Mannes voran. Der seelische Einschnitt reicht in der Regel tiefer als bei der Entwicklung von Mädchen. Folgerichtig waren die grausamen Initiationsrituale primitiver Gesellschaften in erster Linie der männlichen Jugend zugedacht. Ein Widerhall davon findet sich noch heute in der rauhen Sprache militärischer Ausbildner, deren Ziel letztlich die Ausmerzung des »Muttersöhnchenhaften« der ihnen anvertrauten jungen Männer ist.
Damit wird auch das klassische Postulat des Zusammenhangs zwischen Dekadenz und Verweiblichung plausibel. »In Spätphasen befindet sich die Männlichkeit stets auf dem Rückzug«, bemerkte Paglia. Mario Praz hat in seiner Studie Liebe, Tod und Teufel gezeigt, wie in der Kunst und Literatur des späten 19. Jahrhunderts der Typus des Androgynen, – asexuell, morbid, überfeinert und unfruchtbar –, zum verbreiteten Topos wurde. Anfang des 21. Jahrhunderts, in Zeiten von »Metrosexualität« und Gender Mainstreaming, taucht dieser Typus in veränderter Form erneut als Ideal auf. Die politische Beschlagnahme der Homosexualität spielt heute wie alle radikalegalitären Bewegungen offensiv der Dekadenz des Westens in die Hände, also der Unterminierung seiner Tradition, seiner Identität und seines Selbstbehauptungswillens. Mit dem ironischen Ergebnis, daß sowohl Feministinnen als auch Schwule blindlings daran mitarbeiten, sich den Ast abzusägen, auf dem sie selbst sitzen, indem sie der Islamisierung des Kontinents Vorschub leisten. »Nach uns der grausame Gott«, schrieb William Butler Yeats im Rückblick auf die ermüdete, überzüchtete Kultur des Fin de Siècle.
Dieser Schlagseite zur Dekadenz war sich auch Hans Blüher bewußt, als er 1913 postulierte, es sei »die Zeit vorüber, wo die homosexuelle Frage den Homosexuellen allein gehörte und nur sie betraf«. Denn auch für Blüher war die Homosexualität ein Politikum, und zwar ein kaum zu Unterschätzendes. Der erst vierundzwanzigjährige umstrittene Deuter der »Wandervogel«-Bewegung hatte bereits im Kern seine berühmte Theorie ausformuliert, wonach die »standfesten Formen der Homosexualität mit der jedem Menschen begegnenden, der ganzen Kultur dauernd immanenten Nuancierungen« verknüpft seien. Ausgehend von einer allgemeinen Bisexualität des Menschen entwickelte er einen hochdifferenzierten Eros-Begriff, mit dem er aufzuzeigen versuchte, daß der Staat im Gegensatz zur heterosexuell begründeten Familie auf den im weiteren wie im engeren Sinne homoerotischen Bindekräften des »Männerbundes« beruhte. In dem Aufsatz »Die drei Grundformen der sexuellen Inversion« siedelte er, gewiß nicht zufällig, den absolut »Invertierten« innerhalb des Spektrums der sexuellen Neigung ganz »links« an, den absolut Heterosexuellen ganz »rechts«. Nichtsdestotrotz entwickelte sich Blühers Konzept des Männerbundes besonders nach dem 1. Weltkrieg zu einer gänzlich konträr zum heutigen Trend stehenden, dezidiert »rechten« Politisierung der Homosexualität: der den Männerbund tragende »Invertierte« stand in diesem Konzept keineswegs für die Verweiblichung des Mannes, sondern war vielmehr der Gralswächter der unkorrumpierten Männlichkeit, im erweiterten Sinne des Staates überhaupt und sogar des preußischen Königtums, das Blüher gegen die als »feminin« aufgefaßte Demokratie verteidigte.

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